S 3 KA 1356/00

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 3 KA 1356/00
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Parallelentscheidungen: S 3 KA 1564/00, S 3 KA 1569/00, S 3 KA 1612/00 S 3 KA 1417/00
Tatbestand:

Strittig ist vorrangig die Berechtigung der Klägerin, die Rechtmäßigkeit des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) der Beklagten im Wege der abstrakten Normenkontrolle überprüfen zu lassen, materiell-rechtlich zudem die Frage, ob die Beklagte berechtigt war, die durch § 85 Abs. 4 Satz 1 2. Halbsatz SGB V angeordnete Trennung der Gesamtvergütungen für die hausärztliche und die fachärztliche Versorgung erst zum 1.7.2000 umzusetzen.

Die Klägerin ist als Kinderärztin zur vertragsärztlichen Versorgung in Hamburg zugelassen und nimmt damit gemäß § 73 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 SGB V an der hausärztlichen Versorgung teil.

Durch § 85 Abs. 4 Satz 1 2. Halbsatz SGB V i.d.F. des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22.12.1999 (BGBl. I 2626, 2633 f.) wurde die getrennte Verteilung der Gesamtvergütungen für die Bereiche der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung eingeführt. Die hierzu nach § 85 Abs. 4a Satz 1 SGB V erforderliche Beschlussfassung des Bewertungsausschusses erfolgte am 16.2.2000 (DÄ 2000, S. A-556 ff.).

Die Vertreterversammlung der Beklagten beschloss am 24.2.2000, die getrennte Verteilung der Gesamtvergütungen nicht bereits zum 1.1.2000, sondern erst zum 1.7.2000 umzusetzen. Eine entsprechende, ab dem 1.7.2000 geltende Änderung des HVM wurde sodann in den Sitzungen der Vertreterversammlung vom 15.6. und 5.7.2000 beschlossen (HÄB 2000 S. 348, 349).

Mit Honorarbescheid vom 28.8.2000 setzte die Beklagte das der Klägerin für das Quartal I/00 zustehende Honorar auf der Grundlage des HVM vom 14.12.1995 in der Fassung vom 11.11.1999 fest. Gegen diesen und den weiteren auf der Grundlage des unveränderten HVM ergangenen Honorarabrechnungsbescheid vom 28.11.2000 (Quartal II/00) erhob die Klägerin jeweils Widerspruch und nach deren Zurückweisung durch die Beklagte (Widerspruchsbescheid vom 6.6.2001) am 4.7.2001 Anfechtungs- und Bescheidungsklage (Az. S 3 KA 228/01).

Am 9.10.2000 beantragte die Klägerin, der Beklagten im Wege der einstweilige Anordnung aufzugeben, sämtliche künftige auf dem unveränderten HVM beruhende Honorarbescheide an Fachärzte unter den Vorbehalt der Rechtmäßigkeit derselben zu stellen. Mit Beschluss vom 22.11.2000 (S 3 KA 1355/00 ER), auf den Bezug genommen wird, lehnte das Sozialgericht diesen Antrag wegen des Fehlens eines Anordnungsgrundes ab.

Am 9.10.2000 hat die Klägerin durch ihre Bevollmächtigten zudem Klage mit dem Begehren erhoben, die Nichtigkeit des HVM der Beklagten seit dem 1.1.2000 festzustellen. Die Klage hat sie mit Schriftsatz vom 4.10.2000 (nebst umfänglichen Anlagen) wie folgt begründet:

Die erst zum 1.7.2000 erfolgte Trennung des Vergütungsanteile für Hausärzte und Fachärzte führe dazu, dass der Anteil der Hausärzte in den Quartalen I/00 und II/00 pro Quartal um DM 5.000.000.- niedriger sei als dies bei einer dem Gesetz entsprechenden Umsetzung der Fall gewesen wäre.

Die Klage sei nach § 47 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) zulässig. Ungeachtet des Fehlens einer ein Normenkontrollverfahren regelnden Vorschrift im Sozialgerichtsgesetz (SGG) gebiete die in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG normierte Garantie eines effektiven und insbesondere rechtzeitigen Rechtsschutzes die Überwindung der Lückenhaftigkeit des SGG, falls und soweit die Voraussetzungen für eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz vorlägen. Dies sei nach der Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und Bundessozialgericht (BSG) dann der Fall, wenn ein Vollzugsakt nicht vorgesehen sei oder soweit ausnahmsweise wegen besonderer Umstände der Rechtsschutz gegen einen Vollzugsakt nicht effektiv oder das Abwarten des Vollzugsaktes unzumutbar sei. Dann bestehe ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf unmittelbar gegen untergesetzliche Rechtsnormen gerichteten Rechtsschutz durch die Fachgerichte.

Die Frage, ob dem durch eine extensive Auslegung der Feststellungsklage oder durch eine analoge Anwendung des § 47 VwGO Rechnung zu tragen sei, sei von zweitrangiger Bedeutung; allerdings sei unter Hinweis auf den Beschluss des BVerfG vom 19.10.1977 (2 BvR 42/76), wonach zur Lückenfüllung auf die Vorschriften der VwGO zurückzugreifen sei, die abstrakte Normenkontrolle analog § 47 VwGO als statthafte Klageart zu qualifizieren.

Die Klägerin sei klagebefugt, da die von der Beklagten nicht beachteten Normen (§ 85 Abs. 4 und 4a SGB V) auch den subjektiven Interessen der Klägerin dienten.

Die Klägerin könne effektiven Rechtsschutz grundsätzlich nur durch eine unmittelbar gegen den HVM der Beklagten gerichtete Klage erreichen. Ein Abwarten auf den Vollzugsakt (für das Quartal II/00) sei ihr nicht zuzumuten, da es mit dessen Vollzug zugleich zu irreparablen Schäden kommen würde. Das Zusammenspiel zwischen der für Verwaltungsakte geltenden Fehlerlehre und den Regelungen des SGB V zur Verteilung der Gesamtvergütungen begründe die Gefahr, dass im Quartal II/00 ca. 5 Millionen DM zu Unrecht an die Fachärzte ausgezahlt würden, ohne dass später selbst bei Feststellung der Nichtigkeit des HVM im Rahmen einer Inzidentprüfung die dann in Bestandskraft erwachsenen rechtswidrig begünstigenden Honorarbescheide der Fachärzte rückwirkend aufgehoben werden könnten.

Dies würde aufgrund der Endlichkeit der Gesamtvergütungen dazu führen, dass die von den Hausärzten erstrittenen Nachzahlungen vorab aus den Gesamtvergütungen künftiger Quartale zu begleichen wären, mit der Folge, dass die Hausärzte wegen des aus der Vorabentnahme resultierenden Punktwertverfalls den größten Teil der Nachzahlung selbst zu tragen hätten, also ein irreparabler Schaden eintreten würde.

Auch bei Feststellung der Nichtigkeit des HVM im Rahmen einer Inzidentprüfung stehe die Aufhebung bestandskräftiger Verwaltungsakte im Ermessen der Beklagten, die hierbei einer Aufhebung im Regelfall entgegen stehende Vertrauensschutzgesichtspunkte zu berücksichtigen habe. Dies führe dazu, dass ein Abwarten auf die Honorarbescheide für das Quartal II/00 bedinge, dass an die Fachärzte rechtswidriger Weise ein Betrag ausgezahlt werde, ohne dass die Möglichkeit bestehe, dass dieser Betrag später zurückgefordert werde.

Die Beklagte sei weder gesetzlich verpflichtet, Rückstellungen für ggf. zu leistende Nachzahlungen zu bilden, noch verfahre sie in der Praxis so; wegen des damit verbundenen Punktwertverfalls sei ihr dies nach der Rechtsprechung des BSG sogar verwehrt. Bei einer damit zwingenden Finanzierung der im Falle des Obsiegens der Hausärzte im Honorarabrechnungsstreitverfahren zu leistenden Nachzahlung aus der laufenden Gesamtvergütung würden die Hausärzte die Nachzahlung mit finanzieren, würden also am Ende des Rechtsschutzverfahrens deshalb nicht so gestellt, wie es Art. 19 Abs. 4 GG garantiere, nämlich so, als ob die nichtige untergesetzliche Rechtsnorm seit Inkrafttreten unberücksichtigt geblieben sei. Daraus folge, dass ein Abwarten auf den Honorarbescheid für das Quartal II/00 nicht zuzumuten sei, da mit den Honorarbescheiden der Grundstein dafür gelegt werde, dass der Rechtsschutz nicht mehr die garantierte Effektivität habe, also mit den Honorarbescheiden Tatsachen geschaffen würden, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten.

Die Klage sei auch begründet, da der HVM der Beklagten wegen Unvereinbarkeit mit § 85 Abs. 4 und 4a SGB V und mit dem diesbezüglichen Beschluss des Bewertungsausschusses nichtig sei (wird ausgeführt).

Mit weiterem Schriftsatz vom 5.2.2002 hat die Klägerin erneut darauf verwiesen, dass die Möglichkeit, gegen Honorarbescheide Rechtsbehelfe einzulegen, unerheblich sei, da sie den gegen den wegen der Missachtung des § 85 Abs. 4 und Abs. 4a SGB V nichtigen HVM gebotenen Rechtsschutz nur erlangen könne, wenn sie unmittelbar gegen diesen klage. Andernfalls werde der erlittene Nachteil nicht vollständig ausgeglichen, da die rechtswidrig gewährten Begünstigungen an Dritte endgültig verloren seien. Auch der Umstand des zwischenzeitlich erfolgten Erlasses des Honorarbescheides für das Quartal II/00 könne die Zulässigkeit der Klage nicht tangieren, da der Bescheid zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht zugestellt gewesen sei. Das Rechtsschutzinteresse der Klägerin könne nicht durch das zwischenzeitlich erfolgte hoheitliche Handeln der Beklagten obsolet gemacht werden. Ein einmal begründetes Rechtsschutzinteresse könne generell nicht durch – zumal rechtswidriges - hoheitliches Handeln beseitigt werden.

Ergänzend wird auf den weiteren Inhalt der Schriftsätze sowie deren Anlagen Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

allgemeinverbindlich zu erklären, hilfsweise allgemeinverbindlich festzustellen, dass der Honorarverteilungsmaßstab der Beklagten vom 14. Dezember 1995 in der Fassung vom 11. November 1999 seit dem 1. Januar 2000 nichtig ist und die Beklagte zu verurteilen, die Entscheidungsformel ebenso zu veröffentlichen, wie der Honorarverteilungsmaßstab bekanntzugeben ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie mit Schriftsatz vom 9.1.2001 auf ihre Ausführungen im Eilverfahren S 3 KA 1355/00 ER verwiesen. Dort hatte sie mit Schriftsatz vom 30.10.2000, auf den ergänzend Bezug genommen wird, unter anderem ausgeführt, die Klägerin sei nicht beschwert, da eventuelle Nachzahlungen aus den Rückstellungen finanziert werden könnten (welche sie mit Schriftsatz vom 13.11.2000 auf ca. 60 Millionen DM bezifferte), und auf ihre als Anlage beigefügten Rechtsausführungen gegenüber der Aufsichtsbehörde verwiesen (Schreiben vom 17.8.2000 und 27.9.2000).

Mit weiterem Schriftsatz vom 2.1.2002 hat sie ausgeführt, dass die abstrakte Normenkontrollklage unzulässig sei. Die Voraussetzungen einer ausnahmsweise zulässigen Feststellungsklage lägen nicht vor, da der Klägerin der normale sozialgerichtliche Rechtsweg offen stehe und sie diesen auch beschritten habe.

In der mündlichen Verhandlung am 5.6.2002 hat die Klägerin erklärt, dass die Hausärzte durch die verspätete Umsetzung der Trennung der Honorarverteilung je nach Schätzung pro Quartal mit 5 bis 11 Millionnen DM belastet würden.

Der Bevollmächtigte der Beklagten hat dargelegt, dass die Rücklagen aus einer Abrundung des Punktwertes ab der dritten Stelle hinter dem Komma finanziert würden. Die Höhe der Rücklagen betrage weiterhin rund 60 Millionen DM. Er hat weiter erklärt, dass die Klägerin bei einer früheren Trennung der Honorarverteilung einen Betrag von ca. 386.- DM (bezogen auf das Quartal II/00) mehr erhalten hätte.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakten S 3 KA 1356/00 und S 3 KA 1355/00 ER verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unzulässig.

Das Sozialgerichtsgesetz sieht – anders als die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) - eine abstrakte Normenkontrolle nicht vor. Die Voraussetzungen einer ausnahmsweise im Wege der Feststellungsklage zulässigen Normenkontrolle liegen nicht vor.

Die von der Klägerin begehrte analoge Anwendung des § 47 VwGO scheitert schon daran, dass eventuell bestehende Rechtsschutzlücken zunächst mit Hilfe einer ggf. erweiterten Anwendung des durch die jeweilige Prozessordnung zur Verfügung gestellten Instrumentariums zu schließen sind, bevor Normen aus anderen Prozessordnungen herangezogen werden können (vgl. auch Axer in NZS 1997, 10, 14).

Zudem hat der Gesetzgeber bei der erst zum 2.1.2002 in Kraft getretenen umfangreichen Überarbeitung des SGG durch das 6. SGG-Änderungsgesetz vom 17.8.2001 (BGBl. I, 2144) auf die Einfügung einer entsprechenden Vorschrift verzichtet, während er den bislang ebenfalls lückenhaften einstweiligen Rechtsschutz des SGG an die Bestimmungen der VwGO angepasst hat. Dies kann nur so gedeutet werden, dass der Gesetzgeber in Kenntniss der insoweit bestehenden Lücke die ihm ebenfalls bekannte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur (unter bestimmten Voraussetzungen) im Wege der Feststellungsklage möglichen abstrakten Normenkontrolle als ausreichend erachtet hat.

Nach der Rechtsprechung des BSG kommt eine Feststellungsklage zur Kontrolle untergesetzlicher Rechtsnormen, zu denen auch Honorarverteilungsmaßstäbe gehören (BSGE 75, 37, 39 u.a.), ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Betroffenen andernfalls keinerlei Rechtsschutz erhalten könnten bzw. gezwungen wären, unmittelbar gegen die von ihnen beanstandete untergesetzliche Rechtsnorm Verfassungsbeschwerde zu erheben (BSG, Urteil vom 28.4. 1999, B 6 KA 52/98 R unter Hinweis auf BSGE 72, 15 = SozR 3-2500 § 88 Nr. 2 und BSGE 78, 91 f. = SozR 3-5540 § 25 Nr. 2 S. 3 f.). Eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen eine Norm wäre zulässig, wenn die untergesetzlichen Rechtsnormen keines Vollzugsaktes mehr bedürfen oder soweit ausnahmsweise wegen besonderer Umstände der Rechtsschutz gegen den Vollzugsakt nicht effektiv oder das Abwarten auf einen solchen unzumutbar wäre (BSGE 71, 42, 52 unter Hinweis auf BVerfGE 79, 174, 187 ff.; siehe hierzu auch Axer in NZS 1997, 10, 11 ff.).

So hat das BSG eine unmittelbar gegen das im Bundesmantelvertrag geregelte Überweisungsverbot für OI- Laborleistungen gerichtete Feststellungsklage deswegen als zulässig angesehen, weil die betroffenen Ärzte andernfalls erst gegen das Überweisungsverbot hätten verstoßen müssen, um dessen Ungültigkeit im Rahmen einer Inzidentprüfung klären zu können (vgl. BSGE 78, 91 = SozR 3-5540 § 25 Nr. 2).

Ebenso hat die Kammer (Urteil vom 1.8.2002, S 3 KA 4/00) die gegen Bestimmungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (Wirtschaftlichkeitsbonus im OIII – Laborbereich) gerichtete Feststellungsklage einer Laborpraxis als zulässig erachtet, da das von ihnen als Folge der Neuregelung beklagte Ausbleiben von Überweisungsaufträgen im Rahmen einer Überprüfung ihrer Honorarbescheide keiner rechtlichen Kontrolle hätte unterzogen werden können.

Die genannten Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zulässigkeit sind vorliegend nicht gegeben.

Die Klärung der von der Klägerin aufgeworfenen Frage der Rechtmäßigkeit des HVM der Beklagten kann inzident in dem die Rechtmäßigkeit der für die Quartale I/00 und II/00 ergangenen Honorarbescheide betreffenden Verfahren erfolgen. Diese Rechtschutzmöglichkeit ist weder per se ineffektiv noch ist das Abwarten auf den Vollzugsakt für die Klägerin unzumutbar.

Zudem kann die Klägerin die von ihr vorgetragenen Nachteile einer Inzidentprüfung durch die im vorliegenden Verfahren begehrte Feststellung der Nichtigkeit des HVM der Beklagten nicht verhindern.

Die Rechtsschutzgewährung im Wege einer Anfechtungsklage gegen den Honorarbescheid erweist sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht deswegen als ineffektiv, weil die bereits (ggf. zu Unrecht) ausgezahlten Honorare nicht zurückgefordert werden könnten. Abgesehen davon, dass diese Rechtsfolge keineswegs zwingend ist, wie noch auszuführen sein wird, erleidet die Klägerin durch diesen Umstand keinen gravierenden Nachteil. Zum einen hat die Beklagte hinreichende Vorsorge zur Finanzierung etwaiger Nachzahlungen getroffen. Zum anderen stellt es keine unzumutbare Sondersituation dar, dass diese Nachzahlungen von der Klägerin mit zu finanzieren sind, sondern entspricht einer in Gemeinschaften üblichen Lastenverteilung.

Unzutreffend ist schon das klägerische Argument, dass eine im Obsiegensfalle an Hausärzte zu leistende Nachzahlung aus der laufenden Gesamtvergütung zu finanzieren wäre.

Die Beklagte hat nach ihren nicht in Zweifel zu ziehenden Angaben Rückstellungen in Höhe von ca. 60 Millionen DM gebildet, welche zur Befriedigung etwaiger Nachzahlungsansprüche der Hausärzte mehr als ausreichend sind (diese werden insgesamt auf 10 – 20 Millionen DM geschätzt). Zwar stehen die Rückstellungen nicht allein hierfür zur Verfügung, sondern dienen auch der Absicherung rechtlicher Risiken in Bezug auf die Praxisbudgets und die Psychotherapeuten-Vergütung, doch kann bei realistischer Betrachtung davon ausgegangen werden, dass sich lediglich ein Teil dieser zusätzlichen Risiken realisieren wird.

Entgegen der Argumentation der Klägerin ist die Beklagte auch zur Bildung von Rückstellungen berechtigt, da – wie noch ausgeführt wird – die Bildung der Rückstellungen entgegen den von der Klägerin zitierten Bedenken des BSG keinen erheblichen Teil der Gesamtvergütung umfasst.

Dass diese Rückstellungen auch von der Klägerin mit finanziert worden sind, ist eine zwingende Folge des der Bildung der Kassenärztlichen Vereinigungen innewohnenden Genossenschaftsgedankens (siehe BVerfGE 11, 30, 39). Daher ist es hinzunehmen, dass die zum Ausgleich rechtlicher Risiken gebildeten Rückstellungen von allen Vertragsarztgruppen gleichermaßen zu finanzieren sind, auch wenn diese je nach rechtlicher Fallgestaltung nur einzelnen Arztgruppen oder einzelnen Ärzten zu Gute kommen. So dürften von den Rückstellungen, die zum Ausgleich der vom BSG (vgl. BSGE 81, 86) für rechtswidrig erklärten rückwirkenden Budgetierung der Gesprächsleistungen in den Quartalen I/96 und II/96 gebildet wurden, vornehmlich Hausärzte profitiert haben, obwohl sie auch aus fachärztlichen Honoraren finanziert wurden.

Zu ergänzen ist, dass auch die allgemeinen Verwaltungskosten der Beklagten von allen Vertragsärzten mit zu finanzieren sind; deren Höhe wird auch durch die Kosten der für die Rechtsverteidigung erforderlichen Rechtsabteilung mit bestimmt.

Zudem wird die Klägerin durch diese Rückstellungen nur minimal belastet, da die Rückstellungen allein durch Rundungsbeträge, d.h. die sich durch Abrundung der Punktwerte nach der zweiten Stelle hinter dem Komma ergebenden Beträge, finanziert werden. Der maximale Anteil der Rundungsbeträge kann dabei ca. ein Promille des Punktwertes erreichen (bei arztindividuellen Punktwerten von 8, 42 bzw. 8, 65 Pfennigen in den Quartalen I/00 und einem maximalen Rundungsbetrag von 0, 00999 Pfennigen).

Weiter ist darauf hinzuweisen, dass es keinen Anspruch auf einen ´perfekten`, die obsiegende Partei von jeglichen Nachteilen freistellenden Rechtsschutz gibt und geben kann. So sind etwa vertragsärztliche Honorarforderungen im Falle des Obsiegens weder nach § 44 SGB I noch nach anderen Vorschriften zu verzinsen (vgl. BSGE 56, 116, 117, 118 = SozR 1200 § 44 Nr.10, S.33, 34; ebenso BSG, Urteil vom 9.5.1985, Az. 6 RKa 2/84 = USK 85185; BSG, Urteil vom 13.11.1996, 6 RKa 78/95 S. 9/10). Ebenso findet der Zeitaufwand der obsiegenden Partei bei der Festsetzung der vom Gegner zu erstattenden Kosten grundsätzlich keine Berücksichtigung.

Soweit die Klägerin geltend macht, dass der ihr entstandene Nachteil nicht vollständig ausgeglichen werde, weil ´die rechtswidrig gewährten Begünstigungen an Dritte endgültig verloren seien`, fehlt es ihr ohnehin am Rechtsschutzbedürfnis. Die den Fachärzten in den Quartalen I/00 und II/00 - ggf. rechtswidrig überhöht- gezahlten Vergütungen, die diese wegen des eingetretenen Vertrauensschutzes auch im Falle einer später festgestellten Nichtigkeit des HVM behalten dürfen, mögen für die Klägerin ein Ärgernis darstellen, beschweren sie (über ihre bereits erwähnte Beteiligung an den Rückstellungen hinaus) jedoch als solche nicht. Damit würde sie – im Sinne einer Popularklage – ein allgemeines Recht geltend machen, das Verwaltungshandeln der Beklagten überprüfen lassen zu können.

Schließlich würde dann, wenn man der Argumentation der Klägerin folgen und bereits eine Mitfinanzierung von Rückstellungen als ausreichenden Nachteil ansehen würde, jeder mit einer der zahlreichen untergesetzlichen Normen des Vertragsarztrechtes unzufriedene Vertragsarzt berechtigt sein, eine abstrakte Normenkontrolle zu begehren.

Zu ergänzen ist, dass der von der Klägerin ´beklagte` Vertrauensschutz der ggf. zu Unrecht begünstigten Fachärzte keineswegs so unvermeidbar ist, wie ihn die Klägerin darstellt. Vielmehr ergehen Honorarbescheide, wie in der neueren Rechtsprechung des BSG präzisiert worden ist (Urteile vom 31.10.2001, B 6 KA 16/00 R u.a.), grundsätzlich unter dem Vorbehalt der späteren Überprüfung auf ihre Rechtmäßigkeit. Eine Einschränkung besteht lediglich dann, wenn die Honorarbescheide wegen eines in den Verantwortungsbereich der Kassenärztlichen Vereinigung fallenden Fehlers zurückzunehmen sind. Dann setzt eine Aufhebung voraus, dass ´aufgrund entsprechender Hinweise der KV hinreichend deutlich ist oder sich zumindest aus den dem Vertragsarzt bekannten Gesamtumständen hinreichend deutlich ergibt, unter welchen konkreten Voraussetzungen und in welchem ungefähren Umfang die KV sich auf eine Vorläufigkeit des Bescheides berufen und ihn ggf. nachträglich korrigieren will (BSG a.a.O.).

Somit beruht die nach Ansicht der Klägerin bestehende Ineffektivität der Inzidentprüfung nicht auf Mängeln des Rechtsmittels selbst, sondern auf dem Verhalten der Beklagten. Das Entstehen von Vertrauensschutz für (ggf. in rechtswidriger Weise) begünstigte Fachärzte hätte dadurch verhindert werden können, dass die Beklagte in alle die Quartale I/00 und II/00 betreffenden Honorarbescheide einen präzisen Hinweis der Art aufgenommen hätte, dass es rechtlich umstritten sei, ob eine Trennung der hausärztlichen und fachärztlichen Vergütungen bereits zum 1.1.2000 hätte erfolgen müssen, und dass ggf. mit Honorarrückforderungen in gewisser Höhe zu rechnen sei (zu den Anforderungen im Einzelnen siehe die Urteile des BSG vom 31.10.2001 a.a.O.).

Dass die Beklagte in Kenntnis der rechtlich umstrittenen Frage des Umsetzungszeitpunktes der Vergütungstrennung auf die Aufnahme eines entsprechenden Hinweises verzichtet hat, ist für die Frage der Zulässigkeit der vorliegenden Klage irrelevant. Ob sie hierzu rechtlich verpflichtet gewesen wäre, hat die Kammer nicht zu beurteilen, da eine etwaige Verletzung von Amtspflichten durch die Beklagte allenfalls Gegenstand eines Amtshaftungsverfahrens sein könnte, für das die Zivilgerichte zuständig wären.

Soweit die Klägerin die von ihr behauptete ausnahmsweise Zulässigkeit einer abstrakten Normenkontrolle darauf stützt, dass ihr ein Abwarten auf den Honorarbescheid für das Quartal II/00 nicht zugemutet werden könne, vermag die Kammer ihre Argumentation nicht nachzuvollziehen. Zwar ist es durchaus zutreffend, dass durch den Erlass der Honorarbescheide ggf. Tatsachen geschaffen werden, die zumindest bei den begünstigten Ärzten nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Hieran würde ein Obsiegen der Klägerin im vorliegenden Verfahren jedoch überhaupt nichts ändern.

Selbst dann, wenn das Gericht der Klage stattgeben würde, würde dies nicht den bereits eingetretenen Vertrauensschutz derjenigen (Fach-)Ärzte beseitigen, die einen sie begünstigenden und zwischenzeitlich bestandskräftig gewordenen Honorarbescheid für die Quartale I/00 und II/00 erhalten haben. Unabhängig von der Frage einer Überlastung der Sozialgerichte konnte die Klägerin nicht erwarten, dass über eine am 9.10.2000 erhobene Klage in einem Hauptsacheverfahren rechtzeitig vor der am 28.11.2000 erfolgten Bekanntgabe der Honorarbescheide für das Quartal II/00 entschieden worden wäre. Abgesehen von der für die Klageerwiderung einzuräumenden und der für eine Terminierung benötigten Zeit würde ein Vertrauensschutz für die begünstigten (Fach-)Ärzte auch erst dann entfallen, wenn diese von einer die Nichtigkeit des HVM feststellenden gerichtlichen Entscheidung Kenntnis erlangten.

Eine abstrakte Normenkontrolle ist daher im Regelfall – wie auch vorliegend – ein ungeeignetes Mittel, um den Eintritt von Vertrauensschutz zu verhindern. Ob dies anders zu beurteilen wäre, wenn die Regelung, deren Rechtmäßigkeit in Zweifel gezogen wird, für einen längeren Zeitraum Geltung beansprucht, kann vorliegend zwar offen bleiben, ist aber angesichts des sich gegenüber einer regulären Anfechtungsklage ergebenden geringen Zeitgewinns zumindest zweifelhaft.

So gesehen war der von der Klägerin zunächst eingeschlagene Weg, die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zur Aufnahme von Vorbehalten in die Honorarbescheide zu veranlassen, durchaus sachgerecht, wenn auch nach dem bis zum 31.12.2001 geltenden Prozessrecht und der hierzu ergangenen Rechtsprechung der Kammer (vgl. Beschluss vom 21.5.1997, Az. 3 KA 80/97 EA) wie auch des LSG Hamburg (vgl. Beschlüsse vom 8.4.1997 – II EABs 29/97 - und vom 16.4.1999 – L 3 B 35/99 ER -) mangels unzumutbarer Nachteile nicht erfolgreich.

Die Kammer folgt schließlich auch nicht der Auffassung der Klägerin, dass ein einmal begründetes Rechtsschutzinteresse nicht durch nachfolgendes hoheitliches Handeln (vorliegend den Erlass der Honorarbescheide für das Quartal II/00) beseitigt werden könne. Dies mag für den Regelfall gelten, nicht aber dann, wenn das Rechtsschutzinteresse allein darauf gestützt wird, dass sich nur so nachteilige Vollzugsfolgen verhindern liessen. Angesichts des unmittelbar nach Klageerhebung zu erwartenden Erlasses der Honorarbescheide für das Quartal II/00 trug die Klage schon den Keim des Scheiterns in sich.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved