L 2 U 103/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 22 U 1029/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 103/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. Juni 2001 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 23. August 2002 wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Übergangsleistungen im Sinne des § 3 Abs.2 Berufskrankheitenverordnung (BKVO).

Der 1962 geborene Kläger war seit April 1986 als Schweißer bei der F E- GmbH beschäftigt. Vom 5. November bis zum 26. November 1996 und vom 3. bis zum 10. Dezember 1996 befand er sich zur Abklärung unklarer Oberbauchbeschwerden sowie wegen des von seinem behandelnden Internisten geäußerten Verdachts einer Schweißerlunge in stationärer Behandlung im Kreiskrankenhaus S. Dem Entlassungsbericht vom 2. Januar 1997 zufolge wurden u.a. die Diagnosen:

Siderose der Lunge als Schweißerlunge bei entsprechender Berufsanamnese
Morbus Meulengracht

gestellt.

Nachdem der Kläger bereits am 18. Dezember 1996 fernmündlich die Anerkennung einer Lungenerkrankung durch Schweißrauche beantragt hatte, ging am 7. Februar 1997 bei der Beklagten eine ärztliche Anzeige der praktischen Ärztin Dipl. Med. H über den Eintritt einer Berufskrankheit ein, die den Verdacht einer Siderose der Lunge äußerte.

Die Beklagte holte ein Vorerkrankungsverzeichnis der AOK S, einen Befundbericht von Dipl. Med. Hund eine Auskunft des Betriebes vom 11. Juni 1997 ein. Der Betrieb teilte mit, zuletzt sei am 11. Juni 1996 eine Vorsorgeuntersuchung nach den berufsgenossenschaftlichen Grundsätzen G 39 durchgeführt und eine befristete Tauglichkeit bis Januar 1997 festgestellt worden. Am 9. Januar 1997 sei ein prophylaktischer Arbeitsplatzwechsel von der Schweißerei in die Mechanische Fertigung vorgenommen worden, wo der Kläger als Bohrer eingesetzt werde. Den gleichfalls beigezogenen betriebsärztlichen Unterlagen zufolge wurde dem Kläger am 7. Januar 1997 ein prophylaktischer Arbeitsplatzwechsel angeraten, um eine berufsbedingte Erkrankung zu vermeiden. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten - Fachstelle"gefährliche Arbeitsstoffe"- nahm am 16. Juli 1997 eine Arbeitsplatzbesichtigung mit einer Befragung des Klägers vor und kam in seiner Stellungnahme vom 18. Juli 1997 u.a. zu dem Ergebnis, besonders bis 1990/1991 habe eine Überschreitung der zulässigen Grenzwerte für Schweißrauche bestanden.

Der von der Beklagten mit einem Zusammenhangsgutachten beauftragte Facharzt für Innere Medizin Dr. F kam in seinem zusammen mit der Internistin Dr. St erstatteten Gutachten vom 14. Mai 1998 zu dem Ergebnis, eine Siderofibrose habe anhand der aktuellen Computertomographie ausgeschlossen werden können. Die nicht auszuschließenden Eisenoxidablagerungen hätten keinen Krankheitswert. Eine obstruktive Atemwegserkrankung, wie sie in dem Befundbericht des behandelnden Internisten vom 24. Oktober 1996 erwähnt worden sei, könne anhand der Akte und anhand der aktuellen Lungenfunktionsdiagnostik sowie der anamnestischen Angaben, in denen Atemnot nicht erwähnt worden sei, nicht nachvollzogen werden. Bei Einhaltung der Grenzwerte für Schweißrauche könne der Kläger weiterhin als Schweißer arbeiten.

Nachdem Dr. J in einer gewerbeärztlichen Stellungnahme empfohlen hatte, Berufskrankheiten nach Nr. 4301 und 4302 nicht anzuerkennen, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 11. November 1998 die Anerkennung der chronischen Bronchitis als Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung und die Gewährung von Leistungen ab. Zur Begründung verwies sie auf das Gutachten von Dr. F.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, ihm sei es untersagt worden, weiterhin als Schweißer zu arbeiten. Für die zugewiesene Arbeit als Bohrer sei er zwei Lohngruppen niedriger eingestuft worden. Hierfür begehre er einen Ausgleich. Es stelle sich die Frage, ob seine Erkrankung in Form von Halsschmerzen, Reizhusten und Auswurf nicht aufgrund dieser neuen Tätigkeit zur Ausheilung gekommen sei. In einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 25. Januar 1999 wies Dr. M darauf hin, dass eine Siderofibrose, die beim Kläger ohnehin nicht vorliege, bislang nicht als Berufskrankheit in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen sei und deshalb auch keine Maßnahmen nach § 3 BKVO gewährt werden könnten.

Durch Widerspruchsbescheid vom 26. November 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Das dagegen angerufene Sozialgericht hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt und den Internisten und Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. B mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Der Sachverständige hat in seinem im Juli 2000 erstatteten Gutachten unter Berücksichtigung eines Zusatzgutachtens zur Beurteilung der Herz- und Lungenfunktion von Prof. Dr. L ( vom 12. Juli 2000) ausgeführt, bei dem Kläger sei zu keinem Zeitpunkt eine obstruktive Atemwegserkrankung festgestellt worden. Eine dauerhafte Einwirkung der im TAD-Bericht aufgeführten Arbeitsstoffe und Materialien lasse sich beim Kläger nicht nachweisen. Es sei allenfalls zu vorübergehender schleimhautreizender Wirkung gekommen.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 14. Juni 2001 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Leistungsanspruch, weil eine Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage zur BKVO nicht vorliege. Es fehle an einer obstruktiven Atemwegserkrankung, wie Dr. Bauer überzeugend ausgeführt habe. Ob die vom Kläger geltend gemachten Beschwerden auf eine berufliche Tätigkeit zurückzuführen seien, sei im Rahmen der Klärung einer Berufskrankheit unerheblich.

Gegen den ihm am 10. Juli 2001 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung des Klägers vom 1. August 2001. Er macht geltend, die Gesundheitsbeschwerden seien aufgrund einer Verbesserung der Verhältnisse nicht mehr nachweisbar.

Mit Bescheid vom 23. August 2002 hat die Beklagte die Gewährung von Übergangsleistungen nach § 3 BKVO abgelehnt. Ein Anspruch auf Übergangsleistungen setze voraus, dass die Gefahr einer Berufskrankheit trotz präventiver Maßnahmen nach Abs.1 fortbestehe und die Notwendigkeit der Aufgabe der Tätigkeit bei objektiver Betrachtung darauf zurückzuführen sei. Zwar müsse das geforderte Krankheitsbild noch nicht vollständig erfüllt sein, jedoch müssten eindeutige Symptome vorliegen, die das Risiko des Eintritts der Erkrankung im Vergleich zu anderen Versicherten erhöhten. Sie hat auf eine Stellungnahme nach Aktenlage von Prof. Dr. W, Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits - und Sozialmedizin der J-Universität G vom 26. Juni 2002 verwiesen. Dieser hat ausgeführt, dass unter Zugrundelegung des Schweißergrundsatzes G 39 der berufsgenossenschaftlichen Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen dauernde gesundheitliche Bedenken bei obstruktiven Atemwegserkrankungen, unspezifischer Hyperreagibilität des Bronchialsystems, röntgenologisch fassbarer Staublunge, Silikose, Asbestose sowie anderen fibrotischen und granulomatösen Veränderungen der Lunge oder bestehender Herzinsuffizienz oder Krankheiten, die erfahrungsgemäß häufig zu Herzinsuffizienz führten, geäußert werden müssten. Da die unspezifische bronchiale Hyperreagibilität nicht getestet worden sei, könne unter Zugrundelegung des Vorsorgegrundsatzes G 39 die Zusammenhangsfrage nicht qualifiziert beantwortet werden. Retrospektiv könne keine Aussage mehr getroffen werden.

Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe ihm ein Tätigkeitsverbot als Schweißer erteilt, so dass sie den ihm entstandenen finanziellen Schaden zu ersetzen habe. Nach einer Begehung des Betriebs durch die Berufsgenossenschaft im Januar 1997 sei ihm von seinem Arbeitgeber mitgeteilt worden, dass er nicht mehr als Schweißer arbeiten dürfe. Er habe dann bei der Sachbearbeiterin der Beklagten nachgefragt, was er tun solle. Diese habe ihn aufgefordert, die Tätigkeit als Bohrer mit einem geringeren Lohn aufzunehmen. Da die Beklagte ihn richtigerweise darauf hätte hinweisen müssen, dass ein Anspruch auf Übergangsleistungen nur bestehe, wenn sich die Gefahr der Entstehung einer Berufskrankheit objektiviere, seien die finanziellen Folgen der unzulänglichen Beratung im Wege des Herstellungsanspruchs auszugleichen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. Juni 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. November 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. November 1999 sowie den Bescheid vom 23. August 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit von Januar 1997 bis Juli 1999 Übergangsleistungen nach § 3 BKVO zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 23. August 2002 abzuweisen.

Sie macht geltend, dass die drohende Gefahr des Eintritts einer Berufskrankheit die rechtlich wesentliche Ursache der Tätigkeitsaufgabe sein müsse. Maßgeblich sei die objektive, gegebenenfalls nachträgliche Beurteilung unabhängig von der persönlichen Motivlage des Versicherten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akten des SG - S 22 U 1029/99 -) und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch der Bescheid vom 23. August 2002, mit dem die Beklagte die Gewährung von Übergangsleistungen abgelehnt hat. Über ihn ist im Wege der Klage zu entscheiden.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Übergangsleistungen nach § 3 BKVO in der bis zum 30. November 1997 geltenden Fassung, die wegen der am 8. Januar 1997 erfolgten Aufgabe der möglicherweise belastenden Tätigkeit anzuwenden ist. Besteht für einen Versicherten die Gefahr, dass eine Berufskrankheit entsteht, so hat der Träger der Unfallversicherung nach § 3 Abs.1 BKVO mit allen geeigneten Mitteln dieser Gefahr entgegenzuwirken. Ist die Gefahr für den Versicherten nicht zu beseitigen, hat der Träger der Unfallversicherung ihn aufzufordern, die gefährdende Tätigkeit zu unterlassen. Nach § 3 Abs.2 S.1 BKVO hat ihm der Träger der Unfallversicherung dann, wenn der Versicherte die Tätigkeit einstellt, weil die Gefahr für ihn nicht zu beseitigen ist, zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderung des Verdienstes eine Übergangsleistung zu gewähren.

Dabei ist es rechtlich unerheblich, ob zuvor die Aufforderung zur Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit ergangen ist oder nicht; es genügt die objektive Gefahrenlage (Amtliche Begründung zum Entwurf der 7. BKVO, BR-Drucks 128/68 S 3; BSG Urteil vom 25. Oktober 1989 - 2 RU 57/88 - in HV-Info 1990, 260), die im Zweifelsfall nachträglich festzustellen ist.

Die für eine Berufskrankheit relevanten, besonderen, schädigenden Einwirkungen müssen den Versicherten am konkreten Arbeitsplatz treffen und in seiner Person die individuelle Gefahr begründen, dass sie im Sinne der Kausalitätsanforderungen in der gesetzlichen Unfallversicherung eine Berufskrankheit entstehen, wiederaufleben oder verschlimmern lassen (BSGE 40, 146, 148). Eine derartige konkrete Gefahr ist nach dem von Prof. Dr. W dargelegten Schweißergrundsatz G 39 dann anzunehmen, wenn die von ihm im Einzelnen dargelegten Krankheitsbilder bei dem Versicherten festgestellt werden. Derartige Befunde sind bei dem Kläger nicht erhoben worden, wobei eine unspezifische Hyperreagibilität allerdings nicht getestet wurde. Vielmehr erfolgte im Januar 1997 nicht eine erneute arbeitsmedizinische Untersuchung nach dem Grundsatz G 39, sondern den betriebsärztlichen Unterlagen zufolge wurde dem Kläger ein "prophylaktischer Arbeitsplatzwechsel angeraten".

Unabhängig von dem objektiven Vorliegen einer konkreten Gefahr besteht nach der Rechtsprechung des BSG dann eine Verpflichtung aus § 3 Abs.2 BKVO, wenn der Unfallversicherungsträger den Versicherten aufgefordert hat, eine gefährdende Tätigkeit zu unterlassen (BSG, Urteil vom 22.3.1983-2 RU 22/81). Auch diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Entgegen der Darstellung des Klägers hat weder die Sachbearbeiterin ihn zum Unterlassen der Tätigkeit aufgefordert, noch hat der TAD eine entsprechende Weisung erteilt. Vielmehr hat der Kläger nach dem Telefonvermerk der Beklagten vom 18. Dezember 1996 mitgeteilt, ihm sei der Zwang zur Aufgabe der schädigenden Tätigkeit durch die behandelnden Ärzte bereits mitgeteilt worden. Der TAD war erst am 16. Juli 1997 zu einer Besichtigung des Arbeitsplatzes im Betrieb.

Der Aufforderung durch den Unfallversicherungsträger ist eine Bescheinigung " dauernder gesundheitlicher Bedenken" bei Untersuchungen nach den berufsgenossenschaftlichen Grundsätzen für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen gleichzuerachten, wenn deren Kriterien auf den konkret individuellen Sachverhalt korrekt angewendet worden sind (vgl. Lauterbach/Koch Anh III zu § 9 SGB VII Rdnr. 30 u. 54). Voraussetzung ist jedoch, dass eine ärztliche Bescheinigung auf der Grundlage von Befunden erteilt worden ist, die gezielt wegen der Gefahrstoffexposition erhoben wurden(Lauterbach/Koch a.a.O., Rdnr. 54). Diese Voraussetzungen sind ebenfalls nicht erfüllt, da Grundlage der Empfehlung des Arbeitsplatzwechsels die Kurzmitteilung der behandelnden Ärztin Dipl. Med. Hwar. Dem Betriebsarzt lag dem Aktenvermerk zufolge weder der Entlassungsbericht des Krankenhauses S vor noch traf er seine Empfehlung unter Berücksichtigung einer festgestellten Gefahrstoffexposition.

Der Kläger kann auch nicht im Wege des Herstellungsanspruchs Übergangsleistungen geltend machen. Denn insoweit fehlt es jedenfalls an einem Recht, das dem Kläger gegenüber dem Leistungsträger bei sachgerechter Beratung zugestanden hätte. Ein Herstellungsanspruch setzt nämlich neben einer Pflichtverletzung voraus, dass diese als nicht hinwegdenkbare Bedingung neben anderen Bedingungen zumindest gleichwertig, ("ursächlich") bewirkt hat, dass dem Betroffenen ein (verfahrensrechtliches oder materielles Leistungs-, Gestaltungs- oder Abwehr-)Recht, das ihm im jeweiligen Sozialrechtsverhältnis nach den oder aufgrund der Vorschriften des SGB gegen den Leistungsträger zugestanden hat oder ohne die Pflichtverletzung zugestanden hätte, nicht mehr, nicht in dem vom Primärrecht bezweckten Umfang oder überhaupt nicht zusteht. Auch bei sachgerechter Beratung hätte der Kläger aber gerade keinen Anspruch auf die begehrte Übergangsleistung gehabt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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