L 2 U 61/00

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 68 U 844/98
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 61/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Juli 2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Verletztenteilrente wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 (Lärmschwerhörigkeit) der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO).

Der 1942 geborene Kläger war im Bundesgebiet ab Februar 1969 als Hilfsarbeiter und Einsteifer, zuletzt ab 9. Januar 1979 bei der Bauunternehmung R O als Einsteifer beschäftigt.

Er erlitt am 7. Mai 1990 einen Arbeitsunfall mit Verbrennungen 2. Grades im Gesicht und an den Händen. Im Aufnahmebericht vom selben Tage des U-Krankenhauses heißt es zum Unfallhergang: "An einer Baustelle in der Wstraße ... war es durch eine defekte Muffe in einem Kabelschacht zu einer Explosion gekommen, durch die zur Isolierung verwendetes Bitumen dem Patienten ins Gesicht und auf die Hände spritzte ... Bei Aufnahme wacher und ansprechbarer Patient." Der äußere Gehörgang und die Ohren erwiesen sich als unauffällig. Der Kläger war in der Folgezeit arbeitsunfähig erkrankt bzw. arbeitslos. Rentenleistungen aus Anlass des Unfalls wurden mangels Vorliegens einer rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) durch Bescheid vom 25. Juni 1991 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. April 1992 abgelehnt. Vom 1. August 1995 bis zum 31. Juli 1997 bezog er eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Durch Bescheid vom 30. Mai 1995 erkannte das Versorgungsamt einen Grad der Behinderung ( GdB) von 70 wegen seelischer Leiden, Wirbelsäulenverschleiß mit Reizsymptomatik, operiertem Carpaltunnelsyndrom, Narbenbildung nach Verbrennungen beider Hände, rezidivierendem Magengeschwürsleiden an. Eine Hörbehinderung war nicht geltend gemacht worden.

Am 14. Juni 1996 ging bei der Beklagten eine Anzeige des Hals-Nasen-Ohren (HNO)-Arztes Dr. W über den Eintritt einer Berufskrankheit ein, der eine mittelgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts, hochgradige bis an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit links mitteilte. Bis 1992 habe eine geringgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit vorgelegen. Der Kläger habe angegeben, vor sechs Jahren nach einem Stromunfall schwerhöriger geworden zu sein. Die Beklagte zog die von Dr. W gefertigten Audiogramme vom 2. Juli 1990, 4. September 1992, 30. Mai 1996 und 3. Juni 1996 bei. Nachdem der Technische Aufsichtsdienst (TAD) mit Schreiben vom 8. Januar 1997 mitgeteilt hatte, der Kläger sei im Zeitraum von April 1971 "bis heute" einem mittleren Beurteilungspegel von 83,5 dB ausgesetzt gewesen, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 23. April 1997 die Anerkennung einer Berufskrankheit ab. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien nicht erfüllt, da der Kläger nicht einem Beurteilungspegel von 85 dB, dem gesetzlichen Grenzwert, ausgesetzt gewesen sei.

Auf den Widerspruch des Klägers hin holte die Beklagte eine weitere Arbeitsplatzanalyse durch ihren TAD ein, der zu der Feststellung gelangte, auf der Grundlage von Messwerten, Expositionszeiten und unter Berücksichtigung des Baulärms sei der Kläger einem mittleren Beurteilungspegel von 94 dB ausgesetzt gewesen.

Der mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragte HNO-Arzt Priv.-Doz. Dr. A kam am 12. Januar 1998 zu dem Ergebnis, bei dem Kläger liege eine mittelgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts und links vor. Weshalb die 1992 noch geringe Hörschädigung bis 1996 erheblich zugenommen habe, könne aus seiner Sicht nicht geklärt werden, wahrscheinlich habe ein weiterer, wahrscheinlich nicht lärmbedingter Faktor eine Rolle gespielt. Ein berufsbedingter Hörverlust auf beiden Seiten sei wahrscheinlich. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) durch die berufliche Lärmschwerhörigkeit betrage 20 %, die MdE bei zusätzlichem Bestehen eines nicht berufsbedingten Hörverlustes insgesamt 30 %.

Die Beklagte holte ein weiteres HNO-Gutachten nach Aktenlage von Dr. N vom 7. Februar 1998 ein, der die Auffassung vertrat, dem Gutachten von Dr. A könne nicht gefolgt werden, da die rasche Hörverschlechterung in den tiefen und mittleren Frequenzen, die von 1992 bis 1996 eingetreten sei, insbesondere aber die Schallleitungskomponente, die sicher vom Gesamthörschaden abzugrenzen sei, nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die chronische Lärmbelastung zurückzuführen sei. Aus dem Tonaudiogramm vom 7. Januar 1998 ergebe sich unabhängig von der Ursache allein für die gesamte Schallempfindungsschwerhörigkeit ein prozentualer Hörverlust rechts und links von 25 % und somit eine MdE zwischen 10 und 15 v.H. bzw. zusammen mit den Ohrgeräuschen von 15 v.H. Eine MdE von 20 v.H. werde also unabhängig von der Ursache für die gesamte Schallempfindungsschwerhörigkeit einschließlich der Ohrgeräusche nicht erreicht.

Durch ( Teilabhilfe-)Bescheid vom 10. Juni 1998 erkannte die Beklagte eine Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKVO sowie als Folge eine geringgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits an. Als Folgen der Berufskrankheit würden nicht anerkannt: Hörverschlechterung in den tiefen und mittleren Frequenzen (eingetreten von 1992 bis 1996) mit Darstellung einer breiten Schallleitungskomponente im Audiogramm. Ein Anspruch auf Rente wegen der Berufskrankheit bestehe mangels rentenberechtigender MdE nicht.

Durch Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 1998 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die MdE für die chronische Lärmschwerhörigkeit einschließlich der damit verbundenen Ohrgeräusche sei der Einschätzung von Dr. N zufolge mit 10 v.H. zu bewerten. Diese Beurteilung stimme mit den im Königsteiner Merkblatt erläuterten Richtlinien überein. Soweit sich hiernach ergebe, dass Anteile der gesamten festgestellten Schwerhörigkeit mit Sicherheit nicht durch Lärm verursacht worden sein könnten, müssten sie bei der Einschätzung des Schweregrades der berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit abgegrenzt und außer Betracht gelassen werden. Dr. A, der zu einer Bewertung der MdE in Höhe von 20 v.H. gekommen sei, könne nicht gefolgt werden, da dieser die zusätzlich bestehende Schallleitungsstörung links nicht außer Betracht gelassen habe.

Das dagegen angerufene Sozialgericht Berlin hat Gutachten des Me D der K zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit vom 22. November 1990, 16. Januar 1991, 25. Februar 1991, 12. August 1991, 11. Oktober 1991 und 7. April 1995 beigezogen und ein Terminsprotokoll der Sitzung des Sozialgerichts Berlin vom 4. November 1994 aus dem Rechtsstreit des Klägers gegen die L O und M zur Akte genommen. Danach berichtete der Betriebsratsvorsitzende der Firma O in diesem Termin, dass der Kläger nach seiner Gesundschreibung zum 31. August 1991 ganz kurzfristig (ein oder zwei Tage?) noch einmal zur Arbeit gekommen sei. Seitdem habe er nicht mehr gearbeitet.

Durch Urteil vom 25. Juli 2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKVO, weil die anerkannte geringgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits 1990 nicht in einem Ausmaß bestanden habe, dass sie die Zuerkennung einer MdE von 20 v.H. rechtfertige. Die Beurteilung erfolge nach dem Königsteiner Merkblatt 4. Auflage 1996. Danach könne ein Fortschreiten einer Lärmschwerhörigkeit nach einer beendeten Lärmexposition nicht angenommen werden. Vielmehr spreche das Fortschreiten der Schwerhörigkeit trotz fehlender Lärmexposition gegen eine derartige Ursache.

Gegen das ihm am 19. August 2000 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 30. August 2000. Er macht geltend, die konkreten Umstände des Arbeitsunfalls vom 7. Mai 1990 würden eine andere Beurteilungsgrundlage schaffen. Der 1990 erlittene Stromunfall habe sich akut auf sein schon vorgeschädigtes Hörvermögen ausgewirkt. Dies sei auch die Ursache dafür, dass sich sein Hörvermögen in den Folgejahren deutlich verschlechtert habe. Auch eine einmalige kurze aber heftige Lärmeinwirkung könne Ursache einer Lärmschwerhörigkeit sein. Es sei nicht ausgeschlossen, dass er, der zum Zeitpunkt der Explosion ein 380 Volt-Kabel in den Händen gehalten habe, einem Stromschlag ausgesetzt gewesen sei, der den Hörschaden verursacht habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Juli 2000 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 1998 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen einer bestehenden Lärmschwerhörigkeit eine Verletztenteilrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat mit Schreiben vom 22. Februar 2002 geltend gemacht, bei dem Unfall vom 7. Mai 1990 sei der Kläger zu keinem Zeitpunkt mit Strom in Kontakt gekommen; dies ergebe sich aus dem Aufnahmebericht des U Krankenhauses sowie aus dem im Verfahren zur Gewährung einer Rente wegen des Arbeitsunfalles eingeholten Gutachten des Chirurgen Dr. W vom 2. Oktober 1992.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Dr. M ein HNO-Gutachten vom 12. Dezember 2001 eingeholt. Diesem gegenüber hat der Kläger angegeben, nach Beendigung der Arbeiten durch die B seien die Starkstromkabel nicht gesichert gewesen, so dass er das Stromkabel mit beiden Armen hochgenommen und es zwischen Knien, Hals und die beiden Arme gehalten habe. Am Boden der Grube sei es nass gewesen, so dass er mit beiden Füßen im Wasser gestanden habe. Er habe dann einen Stromschlag von mindestens 3000 Volt erhalten und anschließend das Bewusstsein verloren. Der Sachverständige ist nach Untersuchungen des Klägers vom 1. und 2. November 2001 in seinem Gutachten vom 12. Dezember 2001 zu dem Ergebnis gelangt, es bestehe eine nahezu symmetrische Schallempfindungsschwerhörigkeit ohne Schallleitungskomponente mit einer andeutungsweise vorhandenen, für Lärmschwerhörigkeit typischen Senke im Bereich von 4000 Hertz. Das Sprachaudiogramm ergebe einen Hörverlust von 50 %, was einer mittelgradigen Schwerhörigkeit entspreche. Das Ergebnis der Hirnstammaudiometrie spreche eher für eine nicht lärmbedingte Schädigung des Hörnervs. Gehe man davon aus, dass ein Stromunfall stattgefunden habe, könne es im Rahmen eines stumpfen Schädeltraumas nach dem Unfall zu einer Schädigung des Innenohrs gekommen sein. Diese Schädigung sei sofort nach dem Unfall vorhanden und danach fast immer konstant. Die Schwerhörigkeit sei mit großer Wahrscheinlichkeit sowohl lärm- als auch unfallbedingt. Es könnte zusätzlich eine altersbedingte Schwerhörigkeit vorliegen. Dies voneinander abzugrenzen sei unmöglich. Die rasche Verschlechterung nach dem Unfall spreche nicht für eine überwiegend altersbedingte Schwerhörigkeit. Die mittelgradige Schwerhörigkeit bedinge eine MdE von 30. Da seit dem Unfall ein ständiges Ohrrauschen links sowie ein intermittierendes Ohrrauschen rechts bestehe, erscheine eine Erhöhung der MdE um 5 v.H. gerechtfertigt. Es könne nicht eindeutig geklärt werden, ob ein Kombinationsschaden des Innenohrs vorliege oder eindeutig zugeordnet werden könne, ob eine lärm- oder unfallbedingte Ursache für den Hörschaden vorliege.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akten des Sozialgerichts), die Gerichtsakten zum Verfahren L 3 U 21/93 und S 41 Vs 672/93 sowie die Verwaltungsakten der Beklagten zur BK 2301 und zum Unfall vom 7. Mai 1990 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat weder einen Anspruch auf eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. noch auf eine "Stützrente" wegen des Vorliegens eines weiteren, eine MdE von 10 v.H. bedingenden Arbeitsunfalls.

Der Anspruch des Klägers richtet sich gemäß § 212 Sozialgesetzbuch (SGB) VII nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da die erstmalige Feststellung des Vorliegens einer Berufskrankheit durch die Anzeige des behandelnden Arztes im Oktober 1996 eingeleitet wurde. Ein Anspruch auf Verletztenrente setzt nach § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO eine MdE infolge des Arbeitsunfalles um wenigstens 20 v.H. voraus. Als Arbeitsunfall gilt gemäß § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO auch eine Berufskrankheit. Die Beklagte hat eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKVO anerkannt.

Diese Berufskrankheit verursacht jedoch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keine MdE von 20 v.H. Maßgeblich abzustellen ist auf den Zustand, der zum Zeitpunkt der Aufgabe der belastenden Tätigkeit bestanden hat, da - wie das Sozialgericht bereits ausgeführt hat - eine Lärmschwerhörigkeit ohne Lärmexposition nicht fortschreitet (vgl. auch Mehrtens/Perlebach, Kommentar zur BKVO M 2301 Anm. 2 am Ende mit weiteren Nachweisen). Die belastende Tätigkeit wurde aufgrund des Arbeitsunfalls vom 7. Mai 1990 aufgegeben, so dass maßgeblich auf das zeitnah am nächsten erstellte Tonaudiogramm vom 2. Juli 1990 abzustellen ist. Danach bestand allenfalls eine geringgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit. Dies wird auch von dem den Kläger behandelnden HNO-Arzt Dr. W in seiner ärztlichen Bescheinigung vom 11. April 1996 bestätigt, der angibt, dass bis 1992 eine geringgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit vorgelegen habe. Unerheblich ist insoweit, dass Dr. M in seinem Gutachten vom 12. Dezember 2001 zu einer MdE von 30 v.H. bei einem prozentualen Hörverlust von beidseits 50 % gelangt. Denn Grundlage hierfür sind seine am 1. und 2. November 2001 erhobenen Befunde, die er mit den 1998 erhobenen Befunden vergleicht, ohne für die Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts eine Begründung anzuführen.

Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Gutachter zu dem Ergebnis kommt, die vorliegenden Befunde sprächen für eine Schwerhörigkeit, die nicht auf eine einzige Ursache zurückgeführt werden könne, ohne dass ein abgrenzbarer Schaden vorliege, ist eine MdE von 20 v.H. auf der Grundlage eines Lärmschadens nicht gegeben. Allerdings muss nach dem Königsteiner Merkblatt ( 4.1. a.E.) dann, wenn die Abgrenzung eines nicht lärmbedingten Anteiles der Schwerhörigkeit nicht sicher möglich ist, nach der Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung entschieden werden, ob die Lärmeinwirkung oder welcher andere Faktor die wesentliche Bedingung für die Entstehung der Schwerhörigkeit war. Nur diese Bedingung gilt dann versicherungsrechtlich als Ursache der gesamten medizinisch nicht näher abgrenzbaren Schwerhörigkeit. Auch dies setzt jedoch voraus, dass mit Beendigung der schädigenden Tätigkeit eine MdE von 20 bedingende Schwerhörigkeit vorliegt, da ein später eintretender Hörschaden einen versicherungsrechtlich unbeachtlichen Nachschaden darstellt. Soweit der Gutachter darauf abstellt, dass die Abgrenzung zwischen Lärmschädigung und der von ihm angenommenen Hörschädigung durch den Stromunfall nicht möglich sei, ist dies für die Frage, ob durch die anerkannte Berufskrankheit eine MdE von 20 v.H. verursacht wird, unerheblich. Die Bildung einer Gesamt-MdE, wie der Gutachter sie vorgenommen hat, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) dann unzulässig, wenn ein Organ durch mehrere Arbeitsunfälle betroffen ist (vgl. BSG SozR 2200 § 581 Nr. 21). Vielmehr ist - wie sich aus § 581 Abs. 3 Satz 1 RVO ergibt - für jeden Arbeitsunfall die Rente jeweils gesondert festzusetzen, also auch für die als Arbeitsunfall geltende Berufskrankheit.

Fraglich ist, ob der Kläger wegen der anerkannten Berufskrankheit nach Nr. 2301 mit einer MdE von 10 v.H. Anspruch auf eine Stützrente hat. Dieser Anspruch bestände gemäß § 581 Abs.3 Satz 1 RVO dann, wenn er infolge einer weiteren Berufskrankheit oder eines anerkannten Arbeitsunfalls gleichfalls in der Erwerbsfähigkeit gemindert wäre und die Hundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20 erreichen würden. Nach Satz 2 der Vorschrift sind die Folgen eines Arbeitsunfalles nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern. Diese gegenseitige Abhängigkeit verschiedener Arbeitsunfälle bzw. Berufskrankheiten voneinander, die jeweils eine MdE von 10 v.H. bedingen, für die Frage der Gewährung einer Stützrente hat zur Folge, dass verfahrensrechtlich eine Entscheidung in einem einheitlichen Verfahren zu erfolgen hat (vgl. BSG - Urteil vom 18.3.1993 -8 RKn 4/92 = HVBG-Info 1993, S. 1304) Die Voraussetzung hierfür, dass sich im sozialgerichtlichen Verfahren die Möglichkeit zeigt, dass einem Verletzten mehrere Stützrenten zu zahlen sein könnten, ist erfüllt, da der Kläger am 7. Mai 1990 einen Arbeitsunfall erlitten hat, der nach dem Gutachten von Dr. M einen Gesundheitsschaden in Form eines Hörverlustes verursacht haben könnte.

Der Senat ist an einer Entscheidung zu einer Stützrente aus einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 wegen der Anerkennung des Hörschadens als Folge des Arbeitsunfalls vom 7. Mai 1990 auch nicht aus verfahrensrechtlichen Gründen gehindert. Die Beklagte hat es in dem Schreiben vom 22. Februar 2002 abgelehnt, eine Hörschädigung als Folge des Arbeitsunfalls vom 7. Mai 1990 anzuerkennen. Hierin ist, wie mit den Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 11. März 2003 erörtert worden ist, ein ablehnender Überprüfungsbescheid zu dem Bescheid vom 25. Juni 1991 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. April 1992 zu sehen, der gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden ist.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer - stützenden - Rente nach einer MdE von 10 v.H. wegen eines durch den Arbeitsunfall verursachten Hörschadens. Eine Schädigung des Gehörs durch den Unfall vom 7. Mai 1990 ist vielmehr nicht hinreichend wahrscheinlich. Nach dem Gutachten von Dr. M wäre das schädigende Ereignis vom 7. Mai 1990 zwar geeignet gewesen, zu einem stumpfen Schädeltrauma zu führen, oder aber in Form eines Stromschlags einen Schaden am Hörorgan zu verursachen.

Zu der ersten Alternative führt der Sachverständige jedoch aus, dass diese Schädigung bei der so genannten Comotio labyrinthi sofort nach dem Unfall vorhanden und danach fast immer konstant ist. Dies vorausgesetzt müsste im Tonaudiogramm vom 2. Juli 1990 jedenfalls eine geringgradige Schwerhörigkeit beidseits festzustellen sein, d.h. ein Hörverlust von 20 % auf beiden Ohren. Ein derartiger Hörverlust ist dem Tonaudiogramm vom 2. Juli 1990 jedoch gerade nicht zu entnehmen.

Auch für den vom Gutachter erörterten Schaden durch einen Stromschlag am Hörorgan ergibt sich kein Anhaltspunkt. Dies gilt zum einen hinsichtlich des Verlaufs des Unfalls. Anders als der Kläger gegenüber dem Sachverständigen angegeben hat, enthalten die zeitnahen Untersuchungen zum Unfall vom 7. Mai 1990, die sich in der Verwaltungsakte zum Arbeitsunfall befinden und dem Sachverständigen nicht vorgelegen haben, keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger das Stromkabel in den Händen gehalten hat, als es zur Explosion gekommen ist. Danach war vielmehr das Erdreich ca. 30 cm unter der Muffe weggeschaufelt, als es zu einem Kurzschluss kam, durch den das heiße Bitumen auf die Mitarbeiter versprüht wurde.

Ein "Stromunfall" ist mithin nicht überwiegend wahrscheinlich.

Zum anderen müssten nach den Ausführungen in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage 1998, S. 375 unter 7.2.3.3 die klinischen Erscheinungen unmittelbar im Anschluss an das Trauma aufgetreten sein. Auch insoweit hätte mithin unmittelbar nach dem Unfall eine Hörminderung bereits eingetreten sein müssen. Diese Voraussetzung ist jedoch aufgrund der im Zeitraum von 1990 bis 1996 erhobenen Tonaudiogramme gerade nicht erfüllt.

Nach alledem kann dem Gutachter nicht dahingehend gefolgt werden, dass die Schwerhörigkeit auch unfallbedingt sei. Ist durch den Arbeitsunfall vom 7. Mai 1990 jedoch kein Hörschaden mit einer MdE von 10 v.H. verursacht worden, kann er als weiterer Arbeitsunfall für die Gewährung einer Stützrente keine Berücksichtigung finden.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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