L 3 AL 208/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 1 AL 590/00
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 208/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 07. September 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über das Bestehen eines Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg) ab 01.05.2000.

Der am ...1980 geborene Kläger absolvierte nach 12jährigem Schulbesuch und Ablegung des Abiturs vom 01.07.1999 bis 30.04.2000 seinen Grundwehrdienst.

Am 25.04.2000 meldete er sich mit Wirkung zum 01.05.2000 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Das Begehren lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.05.2000 ab, weil die Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Alg nicht erfüllt sei. Der Kläger habe nicht innerhalb der vom 01.05.1997 bis 30.04.2000 dauernden Rahmenfrist mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Auch die Ausnahmevorschrift für Saisonarbeiter treffe auf ihn nicht zu. Ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) sei abzulehnen, weil der Kläger innerhalb der vom 01.05.1999 bis 30.04.2000 dauernden Vorfrist kein Alg bezogen habe.

Gegen diesen Bescheid richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 23.05.2000, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.2000 als unbegründet zurückwies.

Am 20.07.2000 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Leipzig erhoben. Das Recht sei durch die Beklagte unrichtig angewandt worden.

In der am 07.09.2000 vor dem SG durchgeführten mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärt, er wolle seinen Antrag auf die Gewährung von Alg beschränken. Ein Antrag auf Bewilligung von Alhi werde nicht gestellt.

Mit Urteil vom 07.09.2000 hat das SG die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Kläger habe die Anwartschaftszeit des § 123 SGB III nicht erfüllt, weil er nicht mindestens 10 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Gemäß § 25 Abs. 2 SGB III seien nur Wehrdienstleistende versicherungspflichtig, die vor ihrem Dienstantritt zum Kreis der abhängig beschäftigten Arbeitnehmer gezählt hätten. Da der Kläger unmittelbar vor Dienstantritt sein Abitur ablegte, sei diese Tatbestandsvoraussetzung in seinem Fall nicht erfüllt. Auch die Voraussetzungen der §§ 26 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB III lägen nicht vor.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich Empfangsbekenntnisses am 16.10.2000 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 18.10.2000, eingegangen beim SG Leipzig am 19.10.2000 und beim Sächsischen Landessozialgericht am 24.11.2000, Berufung eingelegt. Der nahtlose Übergang vom Schüler- zum Soldatendasein sei per Einberufungsbefehl vollzogen worden. Daher müsse staatliche Fürsorge dafür getragen werden, dass die aktiv Dienenden nach der Entlassung aus dem Wehrdienst nicht benachteiligt würden. Zwischen Einberufung und Dienstantritt (hier: 10.05.1999 bis 30.06.1999) habe ein beschäftigungsähnliches Verhältnis vorgelegen, welches zu berücksichtigen sei. Überdies begehre er eine Vorlage zum Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 100 Grundgesetz (GG).

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 07.09.2000 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.05.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2000 zu verurteilen, dem Kläger ab dem 01.05.2000 Arbeitslosengeld zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Leistungsakte der Beklagten, die der Senat zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) sowie form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das mit der Berufung angegriffene Urteil des SG Leipzig ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 16.05.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2000 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat die Bewilligung von Alg für die Zeit ab 01.05.2000 zu Recht abgelehnt.

Zutreffend hat das SG lediglich über einen Anspruch auf Alg, mithin nicht über einen solchen auf Alhi entschieden, weil der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vom 07.09.2000 vor dem SG Leipzig ausdrücklich erklärt hat, lediglich Alg, nicht hingegen Alhi zu begehren. Daher ist der Streitgegenstand auf erstgenannten Anspruch begrenzt (Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, Rdnr. 5 zu § 96).

Zu Recht haben Beklagte und SG entschieden, dass dem Kläger ab 01.05.2000 kein Anspruch auf Alg zusteht. Gemäß § 117 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) i. d. F. des Artikel 1 Arbeitsförderungsreformgesetz vom 24.03.1997 (BGBl. I S. 594) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Alg, die arbeitslos sind (Nr. 1), sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt haben (Nr. 3). Nach § 123 Abs. 1, § 124 Abs. 1 SGB III hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist von drei Jahren vor Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen des Anspruchs auf Alg mindestens 12 Monate (Nr. 1), als Wehrdienstleistender oder Zivildienstleistender (§ 25 Abs. 2 Satz 2, § 26 Abs. 1 Nr. 2 und 3 sowie Abs. 4 SGB III) mindestens 10 Monate (Nr. 2) oder als Saisonarbeiter mindestens sechs Monate (Nr. 3) in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat.

Der Anspruch des Klägers scheitert am Fehlen der anwartschaftsrechtlichen Voraussetzungen. Die Rahmenfrist dauerte - wie von der Beklagten und dem SG zutreffend festgestellt - vom 01.05.1997 bis 30.04.2000. Innerhalb dieser Zeit hatte der Kläger nicht 12 Monate (§ 123 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Unmittelbar nach dem Abschluss der Schulausbildung und Ablegung des Abiturs hat er seinen 10monatigen Wehrdienst geleistet.

Eine versicherungspflichtige Tätigkeit lag - wie der Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung bestätigte - zu keinem Zeitpunkt vor. Gemäß § 25 Abs. 1 SGB III sind Personen versicherungspflichtig, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Der Kläger erfüllte diese Voraussetzungen während der Anwartschaftszeit nicht.

Auch der Tatbestand des § 25 Abs. 2 SGB III war nicht erfüllt. Gemäß dieser Norm gilt bei Wehrdienstleistenden und Zivildienstleistenden, denen nach gesetzlichen Vorschriften für die Zeit ihres Dienstes Arbeitsentgelt weiter zu gewähren ist, das Beschäftigungsverhältnis durch den Wehrdienst oder Zivildienst als nicht unterbrochen. Personen, die im Rahmen einer besonderen Auslandsverwendung im Sinne des Soldatengesetzes freiwillig Wehrdienst leisten, sind in dieser Beschäftigung nicht nach Abs. 1 versicherungspflichtig.

Nach dem Wortlaut der Norm sollen nur die Wehr- und Zivildienstleistenden versicherungspflichtig sein, die vor ihrem Dienstantritt zum Kreis der abhängig beschäftigten Arbeitnehmer zu zählen waren (BT-Drucks. 11/3603 S. 12; BSG, SozR 4100 § 168 Nr. 22). Die Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 1 SGB III unterscheidet daher zwischen Wehr- und Zivildienstleistenden, die während der Dienstleistung weiterhin Arbeitsentgelt aus ihrer bisherigen Beschäftigung erhalten, und solchen ohne Weiterbezug des bisherigen Arbeitsentgeltes. Im ersten Fall wird die Fortdauer des bisherigen Beschäftigungsverhältnisses fingiert, obwohl dem bisherigen Arbeitgeber in der Zeit des Wehr- bzw. Zivildienstes kein Direktionsrecht zusteht und der Wehr- bzw. Zivildienstpflichtige der Verfügungsgewalt des Arbeitgebers nicht untersteht. Im zweiten Fall besteht eine Versicherungspflicht nur unter den Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Nr. 2 bzw. 3 SGB III (Niesel, SGB III, Rdnr. 38 zu § 25; Gagel, SGB III, Rdnr. 36 zu § 25). Die Fiktion des Beschäftigungsverhältnisses nach § 25 Abs. 2 Satz 1 SGB III erklärt sich vor dem Hintergrund der Regelungen des Arbeitsplatzschutzgesetzes, dessen § 11 Abs. 1 bei Wehrübungen von nicht länger als drei Tagen die Freistellung von der Arbeitsleistung bei Weitergewährung des Arbeitsentgeltes und dessen § 1 Abs. 2 für den öffentlichen Dienst die Weitergewährung des Lohnes bei Wehrübungen ohne Rücksicht auf die zeitliche Dauer vorsieht (Gagel, a.a.O.). Da dem Kläger während des Wehrdienstes Arbeitsentgelt nicht weitergewährt wurde und auch keine Verpflichtung hierzu bestand, ist der Tatbestand des § 25 Abs. 2 SGB III nicht erfüllt.

Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Nr. 2 SGB III vor. Danach sind Personen versicherungspflichtig, die auf Grund gesetzlicher Pflicht länger als drei Tage Wehrdienst oder Zivildienst leisten und während dieser Zeit nicht als Beschäftigte versicherungspflichtig sind, wenn sie unmittelbar vor Dienstanstritt versicherungspflichtig waren oder eine Entgeltersatzleistung nach dem SGB III bezogen haben (a) oder eine Beschäftigung gesucht haben, die Versicherungspflicht nach dem SGB III begründet (b).

Zwar leistete der Kläger vom 01.07.1999 bis 30.04.2000 auf Grund einer gesetzlichen Pflicht länger als drei Tage Wehrdienst. Er war während dieser Zeit nicht versicherungspflichtig. Auch unmittelbar vor Dienstantritt bestand keine Versicherungspflicht. Vielmehr besuchte der Kläger vorher die Schule. Am 09.07.1999 wurde ihm das Abiturzeugnis ausgehändigt. Der Kläger bezog vor Dienstantritt am 01.07.1999 auch keine Entgeltersatzleistung. Daher ist der Tatbestand des § 26 Abs. 1 Nr. 2a SGB III nicht erfüllt.

Auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 26 Abs. 1 Nr. 2b i.V.m. § 26 Abs. 4 SGB III liegen nicht vor. Es kann dahinstehen, ob der Kläger eine Beschäftigung gesucht hat, weil gemäß § 26 Abs. 4 SGB III eine Versicherungspflicht nach § 26 Abs. 1 Nr. 2b SGB III nicht eintritt, wenn der Dienstleistende in den letzten zwei Monaten vor Beginn des Dienstes eine Ausbildung in einer allgemeinbildenden Schule beendet (Nr. 1) und innerhalb der letzten zwei Jahre vor Beginn der Ausbildung weniger als 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (Nr. 2). Der Kläger hat laut Abiturzeugnis am 09.07.1999 die Hochschulreife erhalten und damit die Schulausbildung beendet. Da er am 01.07.1999 seinen Wehrdienst antrat und innerhalb der letzten zwei Jahre vor Beginn der Schulausbildung nicht in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat, liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 26 Abs. 4 SGB III vor, der die Versicherungspflicht ausschließt.

Auch der Tatbestand des § 26 Abs. 1 Nr. 3 SGB III ist nicht erfüllt. Danach sind Personen während des Wehrdienstes in der Verfügungsbereitschaft nach § 5a Abs. 1 Wehrpflichtgesetz und des freiwilligen zusätzlichen Wehrdienstes nach § 6b Abs. 1 Wehrpflichtgesetz versicherungpflichtig, wenn sie während des vorangegangenen Grundwehrdienstes versicherungspflichtig waren. Da eine Versicherungspflicht während des Grundwehrdienstes nicht bestand, liegen auch die Voraussetzungen dieser Norm nicht vor.

Dass als Voraussetzung für die Gewährung von Alg die Erfüllung einer Anwartschaftszeit gefordert wird, ist Ausfluß des in der gesamten Sozialversicherung geltenden Versicherungsprinzips. Ein Verstoß der zitierten Normen gegen das Grundgesetz (GG) liegt nicht vor. Auf Artikel 14 GG kann sich der Kläger nicht berufen, weil er zu keinem Zeitpunkt eine Anwartschaft auf Alg erworben hat. Auch eine Verletzung von Artikel 3 GG ist zu verneinen. Vergleicht man den Kläger mit Versicherten, die die Voraussetzungen der genannten Normen der §§ 25, 26 SGB III erfüllt haben, so liegt der rechtfertigende Grund der Ungleichbehandlung gerade darin, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet hat. Zur Absicherung seiner Existenz hätte der Kläger von der Möglichkeit, Sozialhilfe zu beantragen, Gebrauch machen müssen. Da der Senat die angewandten Normen nicht für verfassungswidrig erachtet, lagen die Voraussetzungen für den vom Kläger begehrten Vorlagebeschluss gemäß Artikel 100 GG nicht vor.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG; Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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