Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 LW 23/00 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Juli 2000 abgeändert. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 20. Oktober 1999 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger die für die Zeit vom 1. November 1997 bis 31. August 1998 erhaltenen Beitragszuschüsse zu erstatten hat, weil sein Leistungsanspruch währenddessen geruht hatte.
Dem am 2. Mai 1943 geborenen Kläger hat die Beklagte seit 1986 Beitragszuschüsse - zuletzt nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) - gewährt. Im August 1997 legte der Kläger den Einkommensteuerbescheid für 1995 vom 6. August 1997 vor. Aufgrund des darin ausgewiesenen "jährlichen Einkommens" setzte die Beklagte mit Bescheid vom 4. September 1997 den Beitragszuschuß ab 1. September 1997 mit 168,00 DM monatlich fest, den sie mit Folgebescheid vom 20. Dezember 1997 ab 1. Januar 1998 auf 172,00 DM monatlich erhöhte. Im Juli 1998 legte der Kläger die Seite 1 des Einkommensteuerbescheides für 1997 vom 18. Juni 1998 vor. Darauf forderte ihn die Beklagte zur Vorlage des Einkommensteuerbescheides für 1996 auf. Am 25. August 1998 legte der Kläger ua den Einkommensteuerbescheid 1996 vom 2. September 1997 vor. Mit Bescheid vom 17. September 1998 hob die Beklagte ihre Bescheide vom 4. September und 20. Dezember 1997 für die Zeit vom 1. November 1997 bis 31. August 1998 mit der Begründung auf, daß der Anspruch auf Beitragszuschuß geruht habe, und verlangte die Erstattung der für diesen Zeitraum erbrachten Leistungen in Höhe von 1.712,00 DM. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 1999 zurück.
Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) hob mit Urteil vom 20. Oktober 1999 die Bescheide vom 17. September 1998 und vom 18. Februar 1999 auf; es sah die Einlassung des Klägers, er habe den Einkommensteuerbescheid für 1996 rechtzeitig abgesandt, als erwiesen an.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das sozialgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. Juli 2000). Von einem rechtzeitigen Zugang des Einkommensteuerbescheides für 1996 bei der Beklagten könne nicht ausgegangen werden, insbesondere sei das vom Kläger geführte Portobuch für einen entsprechenden Nachweis ungeeignet. Ob der Kläger den Einkommensteuerbescheid innerhalb von zwei Kalendermonaten nach seiner Ausfertigung an die Beklagte abgesandt habe, könne dahinstehen. Jedenfalls ergebe sich aus der Eintragung in das Portobuch nicht, daß der Brief (mit dem Einkommensteuerbescheid für 1996) auch tatsächlich abgesandt worden sei. Es lägen keine Gründe vor, dem Kläger gemäß § 27 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren (SGB X) wegen der versäumten Zweimonatsfrist des § 32 Abs 4 Satz 1 ALG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Der Anspruch auf Beitragszuschuß habe nach der genannten Vorschrift von Anfang November 1997 bis Ende August 1998 kraft Gesetzes geruht, was die Beklagte gemäß § 34 Abs 4 ALG rückwirkend habe berücksichtigen dürfen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Klägers. Dieser macht im wesentlichen geltend, das LSG habe § 34 Abs 4 iVm § 32 ALG verletzt. An sich habe ein Anspruch auf Beitragszuschuß bestanden. Das volle Ruhen dieses Anspruchs als Sanktion für die nicht rechtzeitige Vorlage des Einkommensteuerbescheides für 1996 sei verfassungswidrig, da es gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz iVm dem Rechtsstaatsprinzip, insbesondere gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot verstoße.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Juli 2000 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 20. Oktober 1999 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Zurückweisung der Revision des Klägers.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend und macht ua geltend: Eine verfassungskonforme Auslegung der §§ 32 und 34 ALG in dem von der Revision gewünschten Sinn sei wegen des eindeutigen Wortlauts dieser Vorschriften nicht möglich. Insbesondere komme es für die Ruhenswirkung des § 32 Abs 4 Satz 1 ALG nicht darauf an, ob den Berechtigten ein Verschulden treffe, ob ein Mitverschulden der Verwaltung vorliege und ob und wie sich der Inhalt des nicht vorgelegten Einkommensteuerbescheides auf den Beitragszuschuß ausgewirkt hätte.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
II
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Das Urteil des LSG ist aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen die erstinstanzliche Entscheidung zurückzuweisen.
Gemäß § 32 Abs 1 ALG in der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassung des Agrarsozialreformgesetzes 1995 vom 29. Juli 1994 (BGBl I, 1890) erhalten versicherungspflichtige Landwirte einen Zuschuß zu ihrem Beitrag und zum Beitrag für mitarbeitende Familienangehörige, wenn das nach Abs 2 ermittelte jährliche Einkommen 40.000,00 DM nicht übersteigt. Das jährliche Einkommen wird nach näherer Maßgabe des § 32 Abs 2 und 3 ALG in der Regel aus dem sich auf das zeitnächste Veranlagungsjahr beziehenden Einkommensteuerbescheid ermittelt. Nach Abs 4 Satz 1 ist der Einkommensteuerbescheid der landwirtschaftlichen Alterskasse spätestens zwei Kalendermonate nach seiner Ausfertigung vorzulegen; nach Ablauf dieser Frist ruht die Leistung vom Beginn des Monats, in dem der Bescheid fristgemäß hätte vorgelegt werden können, bis zum Ablauf des Monats, in dem der Bescheid vorgelegt wird. Gemäß § 34 Abs 4 ALG ist der Verwaltungsakt (gemeint: über die Festsetzung des Beitragszuschusses) vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben, wenn sich die für Grund oder Höhe des Zuschusses zum Beitrag maßgebenden Verhältnisse geändert haben.
Nach dem Wortlaut dieser Vorschriften war die Beklagte befugt, mit den streitbefangenen Bescheiden ihre Bescheide vom 4. September 1997 und vom 20. Dezember 1997 für die von ihr zugrunde gelegten Zeiträume teilweise aufzuheben, dh zu ändern. Denn das Verstreichen der Zweimonatsfrist des § 32 Abs 4 Satz 1 erster Halbsatz bewirkte das Ruhen der Leistung vom Beginn des Monats ab, in dem der Bescheid fristgemäß hätte vorgelegt werden können. Der im September 1997 ausgefertigte Einkommensteuerbescheid für 1996 hätte nur bis Ende November 1997 fristgemäß vorgelegt werden können. Da der Kläger nach den unangegriffenen und damit für den Senat bindenden (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) Feststellungen des LSG die Vorlagefrist nicht eingehalten hat, trat nach dem Wortlaut des § 32 Abs 4 Satz 1 zweiter Halbsatz ALG ab 1. November 1997 kraft Gesetzes ein Ruhen des Anspruchs ein. Zur Vorlage des Bescheids kam es nach den Feststellungen des LSG erst im August 1998. Erst mit dem Ende dieses Monats endete somit auch das Ruhen des Anspruchs. Zwischen den Beteiligten ist das Bestehen eines - ruhenden - Anspruchs während des Ruhenszeitraums unstreitig, ebenso die Zahlbarkeit und die Höhe des Beitragszuschusses seit 1. September 1998. War die Aufhebung der Bescheide vom 4. September 1997 und 20. Dezember 1997 rechtens, so lagen nach § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X auch die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch der Beklagten gegen den Kläger in voller Höhe der im fraglichen Zeitraum erbrachten Leistungen vor.
Mit den von der Revision angeführten Urteilen vom 17. August 2000 (B 10 LW 8/00 R - SozR 3-5868 § 32 Nr 4 - und B 10 LW 11/00 R - teilweise veröffentlicht in SGb 2000 S 620 f) hat der Senat indessen entschieden, daß die uneingeschränkte Anwendung der Ruhensvorschrift des § 32 Abs 4 iVm § 50 Abs 1 SGB X verfassungswidrig ist und eine verfassungskonforme Auslegung in analoger Anwendung des § 67 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) für erforderlich gehalten. Es besteht kein Anlaß, diese Rechtsprechung aufzugeben.
Das gilt zunächst insoweit, als die Ruhensregelung des § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG als verschuldensabhängig anzusehen ist. Die praktischen Auswirkungen dieses Erfordernisses sind allerdings dadurch begrenzt, daß der Zuschußberechtigte in aller Regel im Rahmen des Verwaltungsverfahrens durch Merkblätter auf die Notwendigkeit der rechtzeitigen Vorlage von Einkommensteuerbescheiden und auf die Rechtsfolgen, die bei nicht fristgerechter Vorlage drohen, hingewiesen wird. So macht der Kläger auch nicht geltend, seine Vorlagepflicht und die bei ihrer Verletzung drohenden Folgen nicht gekannt zu haben. Im vorliegenden Fall würde den Kläger, wenn sein Vorbringen zugrunde zu legen wäre, er habe den Einkommensteuerbescheid für 1996 rechtzeitig abgesandt, kein Verschulden an dessen verspäteter Vorlage treffen, womit eine der materiellen Voraussetzungen für das Ruhen des Anspruchs auf Beitragszuschuß fehlen würde (vgl Urteil des Senats vom 6. Februar 2001 - B 10 LW 15/99 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Tatsächliche Feststellungen, die für die unverschuldete Versäumung der Vorlagefrist sprechen würden, brauchte das LSG aber nicht schon aufgrund der bloßen Behauptung des Klägers zu treffen, den Bescheid rechtzeitig abgesandt zu haben. Denn, wie der Senat in der zuletzt zitierten Entscheidung ausgeführt hat, ist die Frage, ob den Berechtigten bei der Versäumung der Vorlagefrist des § 32 Abs 4 Satz 1 ALG ein Verschulden trifft, nach denselben Grundsätzen zu prüfen wie eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, dh der Berechtigte muß die Umstände, die gegen sein Verschulden sprechen (hier die rechtzeitige Absendung des Einkommensteuerbescheides) glaubhaft machen. Es ist insoweit nicht zu beanstanden, daß das LSG im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) die rechtzeitige Absendung des Einkommensteuerbescheides auch durch das vom Kläger geführte Portobuch nicht als glaubhaft gemacht angesehen hat. Damit hat es zugleich - frei von gerügten Verfahrensmängeln - eine nicht unverschuldete Verzögerung der Bescheidsvorlage iS des § 27 SGB X und damit auch iS des § 32 Abs 4 Satz 1 ALG festgestellt.
Gleichwohl ist die Revision des Klägers begründet. Denn wie der Senat in seinen Urteilen vom 17. August 2000 aaO entschieden hat, verstößt die in § 32 Abs 4 Satz 1 zweiter Halbsatz ALG enthaltene Anordnung, wonach der Zuschußanspruch für den Fall, daß der maßgebliche Einkommensteuerbescheid nicht fristgerecht vorgelegt wird, bis zur Nachholung der Vorlage vollständig ruht, einerlei ob dessen Inhalt zur Gewährung höherer, gleicher oder niedriger Beitragszuschüsse geführt hätte, und ohne Rücksicht auf die absolute Höhe der eingetretenen Überzahlungen, gegen den aus Art 20 Abs 3 des Grundgesetzes (GG) herzuleitenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Letztlich liegt in der verspäteten Vorlage oder Nichtvorlage von Einkommensteuerbescheiden iS des § 32 Abs 4 Satz 1 ALG nur ein Verstoß gegen Mitwirkungspflichten; ein derartiger Verstoß ist auch in Fällen denkbar, in denen die leistungsrelevanten Verhältnisse sich nicht oder kaum oder gar zugunsten des Berechtigten geändert haben. In der unterschiedslosen und radikalen Sanktionierung der unterlassenen Mitwirkungshandlung liegt zugleich eine Mißachtung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots, da bereits eine angemessene Leistungsminderung den Zweck erfüllen würde, den Zuschußberechtigten zur Erfüllung seiner Vorlagepflicht anzuhalten. Da die Bescheidsvorlage letztlich eine Mitwirkungshandlung darstellt (vgl dazu §§ 60 ff SGB I), bietet sich für eine verfassungskonforme Auslegung der entsprechenden Sanktionsregelung die analoge Anwendung des § 67 SGB I an. Nach dieser Vorschrift kann der Leistungsträger auch in den Fällen, in denen er nach § 66 SGB X die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung des Berechtigten gänzlich versagt oder entzogen hat, in denen aber die Mitwirkungshandlung inzwischen nachgeholt worden ist und die Leistungsvoraussetzungen vorliegen, die Sozialleistungen nachträglich ganz oder teilweise erbringen. Die nach dem Vorbild dieser Regelung vorgenommene Auslegung führt zu einer stillschweigenden Ergänzung des § 34 Abs 4 ALG iS einer entsprechenden Anwendbarkeit des § 67 SGB I auf den Ruhenstatbestand nach § 32 Abs 4 Satz 1 zweiter Halbsatz ALG.
Den Einwand der Beklagten, der eindeutige Wortlaut des § 32 Abs 4 Satz 1 iVm § 34 Abs 4 ALG verbiete eine verfassungskonforme Auslegung, ist entgegenzuhalten, daß § 32 Abs 4 Satz 1 ALG im zweiten Halbsatz ein vollständiges Ruhen jedenfalls nicht ausdrücklich vorsieht. Gegen den weiteren Einwand, die Verwaltungspraktikabilität gebiete eine schematische, von den Umständen des Einzelfalles absehende Anwendung des § 32 Abs 4 Satz 1 iVm § 34 Abs 4 ALG, spricht die Erwägung, daß zeitraubende Rechtsstreitigkeiten auch und gerade bei der Eintreibung von Erstattungsforderungen nach § 50 SGB X auftreten können und daß die Handhabung des Ermessens durch Richtlinien erleichtert werden könnte, für deren mögliche Ausgestaltungen der Senat in den zitierten Entscheidungen vom 17. August 2000 bereits Überlegungen angestellt hat. Danach könnte die Alterskasse ihr Ermessen rechtmäßig und verfassungskonform auch in der Weise ausüben, daß sie dem säumigen Zuschußberechtigten nur Teile der erlangten Überzahlung beläßt.
Aus der Regelung des § 107a ALG, die lediglich einen vorübergehenden Aufschub der fraglichen Ruhensregelung vorsieht, kann zwar möglicherweise auf die Absicht des Gesetzgebers geschlossen werden, die Ruhensregelung unverändert beizubehalten, nicht jedoch auf deren Vereinbarkeit mit dem GG. Den verfassungsrechtlichen Bedenken des Senats hat der Gesetzgeber im übrigen Rechnung getragen, indem er § 32 Abs 4 ALG durch das - ab 1. August 2001 in Kraft getretene und nach der Übergangsregelung des gleichzeitig in Kraft getretenen § 107b ALG hier nicht anwendbare - Gesetz vom 17. Juli 2001 (BGBl I, 1600) neu gefaßt und der Bestimmung einen Satz 5 sowie § 34 ALG einen Absatz 5 angefügt hat.
Da der Senat sein Ermessen nicht an die Stelle des nach dem hier noch maßgeblichen Rechtsstand erforderlichen Ermessens der Beklagten setzen kann, sind die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufzuheben (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl RdNr 30 und 31), und das sozialgerichtliche Urteil - wenn auch mit anderer Begründung - im Ergebnis wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger die für die Zeit vom 1. November 1997 bis 31. August 1998 erhaltenen Beitragszuschüsse zu erstatten hat, weil sein Leistungsanspruch währenddessen geruht hatte.
Dem am 2. Mai 1943 geborenen Kläger hat die Beklagte seit 1986 Beitragszuschüsse - zuletzt nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) - gewährt. Im August 1997 legte der Kläger den Einkommensteuerbescheid für 1995 vom 6. August 1997 vor. Aufgrund des darin ausgewiesenen "jährlichen Einkommens" setzte die Beklagte mit Bescheid vom 4. September 1997 den Beitragszuschuß ab 1. September 1997 mit 168,00 DM monatlich fest, den sie mit Folgebescheid vom 20. Dezember 1997 ab 1. Januar 1998 auf 172,00 DM monatlich erhöhte. Im Juli 1998 legte der Kläger die Seite 1 des Einkommensteuerbescheides für 1997 vom 18. Juni 1998 vor. Darauf forderte ihn die Beklagte zur Vorlage des Einkommensteuerbescheides für 1996 auf. Am 25. August 1998 legte der Kläger ua den Einkommensteuerbescheid 1996 vom 2. September 1997 vor. Mit Bescheid vom 17. September 1998 hob die Beklagte ihre Bescheide vom 4. September und 20. Dezember 1997 für die Zeit vom 1. November 1997 bis 31. August 1998 mit der Begründung auf, daß der Anspruch auf Beitragszuschuß geruht habe, und verlangte die Erstattung der für diesen Zeitraum erbrachten Leistungen in Höhe von 1.712,00 DM. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 1999 zurück.
Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) hob mit Urteil vom 20. Oktober 1999 die Bescheide vom 17. September 1998 und vom 18. Februar 1999 auf; es sah die Einlassung des Klägers, er habe den Einkommensteuerbescheid für 1996 rechtzeitig abgesandt, als erwiesen an.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das sozialgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. Juli 2000). Von einem rechtzeitigen Zugang des Einkommensteuerbescheides für 1996 bei der Beklagten könne nicht ausgegangen werden, insbesondere sei das vom Kläger geführte Portobuch für einen entsprechenden Nachweis ungeeignet. Ob der Kläger den Einkommensteuerbescheid innerhalb von zwei Kalendermonaten nach seiner Ausfertigung an die Beklagte abgesandt habe, könne dahinstehen. Jedenfalls ergebe sich aus der Eintragung in das Portobuch nicht, daß der Brief (mit dem Einkommensteuerbescheid für 1996) auch tatsächlich abgesandt worden sei. Es lägen keine Gründe vor, dem Kläger gemäß § 27 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren (SGB X) wegen der versäumten Zweimonatsfrist des § 32 Abs 4 Satz 1 ALG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Der Anspruch auf Beitragszuschuß habe nach der genannten Vorschrift von Anfang November 1997 bis Ende August 1998 kraft Gesetzes geruht, was die Beklagte gemäß § 34 Abs 4 ALG rückwirkend habe berücksichtigen dürfen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Klägers. Dieser macht im wesentlichen geltend, das LSG habe § 34 Abs 4 iVm § 32 ALG verletzt. An sich habe ein Anspruch auf Beitragszuschuß bestanden. Das volle Ruhen dieses Anspruchs als Sanktion für die nicht rechtzeitige Vorlage des Einkommensteuerbescheides für 1996 sei verfassungswidrig, da es gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz iVm dem Rechtsstaatsprinzip, insbesondere gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot verstoße.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Juli 2000 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 20. Oktober 1999 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Zurückweisung der Revision des Klägers.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend und macht ua geltend: Eine verfassungskonforme Auslegung der §§ 32 und 34 ALG in dem von der Revision gewünschten Sinn sei wegen des eindeutigen Wortlauts dieser Vorschriften nicht möglich. Insbesondere komme es für die Ruhenswirkung des § 32 Abs 4 Satz 1 ALG nicht darauf an, ob den Berechtigten ein Verschulden treffe, ob ein Mitverschulden der Verwaltung vorliege und ob und wie sich der Inhalt des nicht vorgelegten Einkommensteuerbescheides auf den Beitragszuschuß ausgewirkt hätte.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
II
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Das Urteil des LSG ist aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen die erstinstanzliche Entscheidung zurückzuweisen.
Gemäß § 32 Abs 1 ALG in der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassung des Agrarsozialreformgesetzes 1995 vom 29. Juli 1994 (BGBl I, 1890) erhalten versicherungspflichtige Landwirte einen Zuschuß zu ihrem Beitrag und zum Beitrag für mitarbeitende Familienangehörige, wenn das nach Abs 2 ermittelte jährliche Einkommen 40.000,00 DM nicht übersteigt. Das jährliche Einkommen wird nach näherer Maßgabe des § 32 Abs 2 und 3 ALG in der Regel aus dem sich auf das zeitnächste Veranlagungsjahr beziehenden Einkommensteuerbescheid ermittelt. Nach Abs 4 Satz 1 ist der Einkommensteuerbescheid der landwirtschaftlichen Alterskasse spätestens zwei Kalendermonate nach seiner Ausfertigung vorzulegen; nach Ablauf dieser Frist ruht die Leistung vom Beginn des Monats, in dem der Bescheid fristgemäß hätte vorgelegt werden können, bis zum Ablauf des Monats, in dem der Bescheid vorgelegt wird. Gemäß § 34 Abs 4 ALG ist der Verwaltungsakt (gemeint: über die Festsetzung des Beitragszuschusses) vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben, wenn sich die für Grund oder Höhe des Zuschusses zum Beitrag maßgebenden Verhältnisse geändert haben.
Nach dem Wortlaut dieser Vorschriften war die Beklagte befugt, mit den streitbefangenen Bescheiden ihre Bescheide vom 4. September 1997 und vom 20. Dezember 1997 für die von ihr zugrunde gelegten Zeiträume teilweise aufzuheben, dh zu ändern. Denn das Verstreichen der Zweimonatsfrist des § 32 Abs 4 Satz 1 erster Halbsatz bewirkte das Ruhen der Leistung vom Beginn des Monats ab, in dem der Bescheid fristgemäß hätte vorgelegt werden können. Der im September 1997 ausgefertigte Einkommensteuerbescheid für 1996 hätte nur bis Ende November 1997 fristgemäß vorgelegt werden können. Da der Kläger nach den unangegriffenen und damit für den Senat bindenden (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) Feststellungen des LSG die Vorlagefrist nicht eingehalten hat, trat nach dem Wortlaut des § 32 Abs 4 Satz 1 zweiter Halbsatz ALG ab 1. November 1997 kraft Gesetzes ein Ruhen des Anspruchs ein. Zur Vorlage des Bescheids kam es nach den Feststellungen des LSG erst im August 1998. Erst mit dem Ende dieses Monats endete somit auch das Ruhen des Anspruchs. Zwischen den Beteiligten ist das Bestehen eines - ruhenden - Anspruchs während des Ruhenszeitraums unstreitig, ebenso die Zahlbarkeit und die Höhe des Beitragszuschusses seit 1. September 1998. War die Aufhebung der Bescheide vom 4. September 1997 und 20. Dezember 1997 rechtens, so lagen nach § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X auch die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch der Beklagten gegen den Kläger in voller Höhe der im fraglichen Zeitraum erbrachten Leistungen vor.
Mit den von der Revision angeführten Urteilen vom 17. August 2000 (B 10 LW 8/00 R - SozR 3-5868 § 32 Nr 4 - und B 10 LW 11/00 R - teilweise veröffentlicht in SGb 2000 S 620 f) hat der Senat indessen entschieden, daß die uneingeschränkte Anwendung der Ruhensvorschrift des § 32 Abs 4 iVm § 50 Abs 1 SGB X verfassungswidrig ist und eine verfassungskonforme Auslegung in analoger Anwendung des § 67 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) für erforderlich gehalten. Es besteht kein Anlaß, diese Rechtsprechung aufzugeben.
Das gilt zunächst insoweit, als die Ruhensregelung des § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG als verschuldensabhängig anzusehen ist. Die praktischen Auswirkungen dieses Erfordernisses sind allerdings dadurch begrenzt, daß der Zuschußberechtigte in aller Regel im Rahmen des Verwaltungsverfahrens durch Merkblätter auf die Notwendigkeit der rechtzeitigen Vorlage von Einkommensteuerbescheiden und auf die Rechtsfolgen, die bei nicht fristgerechter Vorlage drohen, hingewiesen wird. So macht der Kläger auch nicht geltend, seine Vorlagepflicht und die bei ihrer Verletzung drohenden Folgen nicht gekannt zu haben. Im vorliegenden Fall würde den Kläger, wenn sein Vorbringen zugrunde zu legen wäre, er habe den Einkommensteuerbescheid für 1996 rechtzeitig abgesandt, kein Verschulden an dessen verspäteter Vorlage treffen, womit eine der materiellen Voraussetzungen für das Ruhen des Anspruchs auf Beitragszuschuß fehlen würde (vgl Urteil des Senats vom 6. Februar 2001 - B 10 LW 15/99 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Tatsächliche Feststellungen, die für die unverschuldete Versäumung der Vorlagefrist sprechen würden, brauchte das LSG aber nicht schon aufgrund der bloßen Behauptung des Klägers zu treffen, den Bescheid rechtzeitig abgesandt zu haben. Denn, wie der Senat in der zuletzt zitierten Entscheidung ausgeführt hat, ist die Frage, ob den Berechtigten bei der Versäumung der Vorlagefrist des § 32 Abs 4 Satz 1 ALG ein Verschulden trifft, nach denselben Grundsätzen zu prüfen wie eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, dh der Berechtigte muß die Umstände, die gegen sein Verschulden sprechen (hier die rechtzeitige Absendung des Einkommensteuerbescheides) glaubhaft machen. Es ist insoweit nicht zu beanstanden, daß das LSG im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) die rechtzeitige Absendung des Einkommensteuerbescheides auch durch das vom Kläger geführte Portobuch nicht als glaubhaft gemacht angesehen hat. Damit hat es zugleich - frei von gerügten Verfahrensmängeln - eine nicht unverschuldete Verzögerung der Bescheidsvorlage iS des § 27 SGB X und damit auch iS des § 32 Abs 4 Satz 1 ALG festgestellt.
Gleichwohl ist die Revision des Klägers begründet. Denn wie der Senat in seinen Urteilen vom 17. August 2000 aaO entschieden hat, verstößt die in § 32 Abs 4 Satz 1 zweiter Halbsatz ALG enthaltene Anordnung, wonach der Zuschußanspruch für den Fall, daß der maßgebliche Einkommensteuerbescheid nicht fristgerecht vorgelegt wird, bis zur Nachholung der Vorlage vollständig ruht, einerlei ob dessen Inhalt zur Gewährung höherer, gleicher oder niedriger Beitragszuschüsse geführt hätte, und ohne Rücksicht auf die absolute Höhe der eingetretenen Überzahlungen, gegen den aus Art 20 Abs 3 des Grundgesetzes (GG) herzuleitenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Letztlich liegt in der verspäteten Vorlage oder Nichtvorlage von Einkommensteuerbescheiden iS des § 32 Abs 4 Satz 1 ALG nur ein Verstoß gegen Mitwirkungspflichten; ein derartiger Verstoß ist auch in Fällen denkbar, in denen die leistungsrelevanten Verhältnisse sich nicht oder kaum oder gar zugunsten des Berechtigten geändert haben. In der unterschiedslosen und radikalen Sanktionierung der unterlassenen Mitwirkungshandlung liegt zugleich eine Mißachtung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots, da bereits eine angemessene Leistungsminderung den Zweck erfüllen würde, den Zuschußberechtigten zur Erfüllung seiner Vorlagepflicht anzuhalten. Da die Bescheidsvorlage letztlich eine Mitwirkungshandlung darstellt (vgl dazu §§ 60 ff SGB I), bietet sich für eine verfassungskonforme Auslegung der entsprechenden Sanktionsregelung die analoge Anwendung des § 67 SGB I an. Nach dieser Vorschrift kann der Leistungsträger auch in den Fällen, in denen er nach § 66 SGB X die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung des Berechtigten gänzlich versagt oder entzogen hat, in denen aber die Mitwirkungshandlung inzwischen nachgeholt worden ist und die Leistungsvoraussetzungen vorliegen, die Sozialleistungen nachträglich ganz oder teilweise erbringen. Die nach dem Vorbild dieser Regelung vorgenommene Auslegung führt zu einer stillschweigenden Ergänzung des § 34 Abs 4 ALG iS einer entsprechenden Anwendbarkeit des § 67 SGB I auf den Ruhenstatbestand nach § 32 Abs 4 Satz 1 zweiter Halbsatz ALG.
Den Einwand der Beklagten, der eindeutige Wortlaut des § 32 Abs 4 Satz 1 iVm § 34 Abs 4 ALG verbiete eine verfassungskonforme Auslegung, ist entgegenzuhalten, daß § 32 Abs 4 Satz 1 ALG im zweiten Halbsatz ein vollständiges Ruhen jedenfalls nicht ausdrücklich vorsieht. Gegen den weiteren Einwand, die Verwaltungspraktikabilität gebiete eine schematische, von den Umständen des Einzelfalles absehende Anwendung des § 32 Abs 4 Satz 1 iVm § 34 Abs 4 ALG, spricht die Erwägung, daß zeitraubende Rechtsstreitigkeiten auch und gerade bei der Eintreibung von Erstattungsforderungen nach § 50 SGB X auftreten können und daß die Handhabung des Ermessens durch Richtlinien erleichtert werden könnte, für deren mögliche Ausgestaltungen der Senat in den zitierten Entscheidungen vom 17. August 2000 bereits Überlegungen angestellt hat. Danach könnte die Alterskasse ihr Ermessen rechtmäßig und verfassungskonform auch in der Weise ausüben, daß sie dem säumigen Zuschußberechtigten nur Teile der erlangten Überzahlung beläßt.
Aus der Regelung des § 107a ALG, die lediglich einen vorübergehenden Aufschub der fraglichen Ruhensregelung vorsieht, kann zwar möglicherweise auf die Absicht des Gesetzgebers geschlossen werden, die Ruhensregelung unverändert beizubehalten, nicht jedoch auf deren Vereinbarkeit mit dem GG. Den verfassungsrechtlichen Bedenken des Senats hat der Gesetzgeber im übrigen Rechnung getragen, indem er § 32 Abs 4 ALG durch das - ab 1. August 2001 in Kraft getretene und nach der Übergangsregelung des gleichzeitig in Kraft getretenen § 107b ALG hier nicht anwendbare - Gesetz vom 17. Juli 2001 (BGBl I, 1600) neu gefaßt und der Bestimmung einen Satz 5 sowie § 34 ALG einen Absatz 5 angefügt hat.
Da der Senat sein Ermessen nicht an die Stelle des nach dem hier noch maßgeblichen Rechtsstand erforderlichen Ermessens der Beklagten setzen kann, sind die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufzuheben (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl RdNr 30 und 31), und das sozialgerichtliche Urteil - wenn auch mit anderer Begründung - im Ergebnis wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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