Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 5 BL 27/96
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 BL 4/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 24.08.1999 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin der Nachteilsausgleich für Gehörlose nach dem Sächsischen Landesblindengeldgesetz (LBlindG) zusteht.
Wegen "an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit" war der am ... geborenen Klägerin bereits ein DDR-Schwerbehindertenausweis (Stufe: SB) ausgestellt worden. Ein undatierter (aus dem Jahre 1977 stammender), von Dr. T ... für den Rat des Kreises/der Stadt erhobener Untersuchungsbefund machte zur Krankheitsgeschichte der Klägerin folgende Angaben:
"Von Kind an schwerhörig, allmähliche Verschlechterung."
Der die Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin betreffende Bescheid der Beklagten vom 21.5.1993 stellte u.a. eine beidseitige Schwerhörigkeit fest. Dafür wurde verwaltungsintern ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 ausgewiesen. Mit Bescheid vom 17.3.1999 wurde u.a. Taubheit mit Sprachstörungen als Behinderung festgestellt, die verwaltungsintern mit einem Einzel-GdB von 80 bewertet wurde.
Im Januar 1996 beantragte die Klägerin Leistungen nach dem LBlindG. Mit Bescheid vom 23.5.1996 lehnte die Beklagte es ab, Leistungen zu gewähren, weil die Klägerin nicht gehörlos sei. Als Gehörlose würden nach dem LBlindG Personen mit angeborener oder bis zum siebten Lebensjahr erworbener oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit angesehen. Ferner seien gehörlos im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen Personen, die die Taubheit erst später erworben hätten und bei denen der GdB allein infolge Taubheit und mit der Taubheit einhergehender schwerer Sprachstörung 100 betrage. Bei der Klägerin bestehe weder eine angeborene noch eine bis zum siebten Lebensjahr erworbene Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit. Es bestehe bei der Klägerin keine so schwere Sprachstörung, dass ihre Lautsprache schwer verständlich und ihr Wortschatz gering sei. Auch erreiche die Klägerin keinen GdB von 100. Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihre Taubheit sei angeboren. Der Gehörnerv sei stark geschädigt. Dies sei bereits 1970 in der Universitätsklinik H ... festgestellt worden. Ein Hörgerät sei daher nutzlos. Sie könne nur das "hören", was sie von den Lippen ablesen könne. Schon im Kleinkindalter sei festgestellt worden, dass sie auf Geräusche nicht reagiere. Die Beklagte holte bei Dr. B ..., Facharzt für HNO-Heilkunde, Phoniatrie und Pädaudiologie, ein Gutachten ein. In seinem Gutachten vom 25.9.1996 kam Dr. B ... zu dem Ergebnis, bei der Klägerin liege eine beidseits hochgradige bzw. an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit vor. Diese beruhe auf einer mit höchster Wahrscheinlichkeit angeborenen, voranschreitenden Innenohrschwerhörigkeit. Bei der Untersuchung sei ein Gespräch mit der Klägerin möglich gewesen. Ihre Sprache sei kaum verwaschen gewesen, jedoch etwas leise. Die gestellten Fragen habe sie bei deutlicher Aussprache aus einer Entfernung von etwa einem Meter wahrnehmen können. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 23 bis 26 der Beklagtenakte verwiesen. Der Beklagte wies daraufhin den Widerspruch zurück (Bescheid vom 15.10.1996), weil die Untersuchung keinen Nachweis dafür erbracht habe, dass bereits vor dem siebten Lebensjahr Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit bestanden habe. Das heutige Ausmaß habe sich erst nach dem siebten Lebensjahr manifestiert.
Zur Begründung ihrer dagegen vor dem Sozialgereicht Chemnitz (SG) erhobenen Klage hat sich die Klägerin auf Zeugen (Schwester, Base, Eltern und Tante) berufen, die bestätigen könnten, dass bereits vor dem siebten Lebensjahr Taubheit bzw. an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit vorgelegen habe. Sie hat dem SG entsprechende schriftliche Erklärungen der als Zeugen benannten Personen übergeben, in denen jeweils folgender, vorformulierter Satz unterschrieben ist (Blatt 26 bis 30 der SG-Akte):
"Hiermit bestätige ich, daß Frau H ... G ... geb. D ..., geb ..., seit dem Kleinstkindesalter gehörlos ist." Das SG hat zunächst Beweis erhoben durch die Beiziehung von Befundberichten und sonstigen ärztlichen Stellungnahmen (Blatt 50 bis 53, 59, 61 bis 63, 80 bis 82, 85 bis 87 der SG-Akte). Dabei hat das Kreiskrankenhaus S ...am 1.9.1994 eine progrediente beidseitige Innenohrschwerhörigkeit diagnostiziert. Frau H ..., Fachärztin für HNO- Krankheiten, hat unter dem 20.5.1998 bei der Klägerin eine beidseitige Taubheit diagnostiziert. Unter dem 24.9.1997 hat das Staatliche Schulamt Z ... mitgeteilt, dass über die Klägerin keinerlei Unterlagen mehr vorhanden seien.
Das SG hat die Einholung eines Gutachtens veranlasst. Zum Sachverständigen hat es Prof. Dr. F ..., Chefarzt der HNO-Klinik des Krankenhauses D ... bestimmt. Prof. Dr. F ... ist in seinem Gutachten vom 27.11.1998 zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin jetzt unter einer beidseitigen praktischen Taubheit mit geringen Hörresten im Tieftonbereich leide. Eine erbliche Ursache für den Innenohrschaden könne aber nicht als gesichert angesehen werden. Er hat den GdB auf 80 geschätzt. Mehrere Indizien sprächen gegen eine Taubheit in der Kindheit: Schon im Untersuchungsbefund von Dr. T ... sei anamnestisch eine allmähliche Verschlechterung angegeben worden. Der Besuch der "normalen" Grundschule bis zur achten Klasse sei möglich gewesen. Die Klägerin verfüge trotz der jetzt vorliegenden beidseitigen praktischen Taubheit über eine verständliche Sprache mit fast fehlerfreier Aussprache. Bei den Vokalen a und o seien sogar dialektbedingte Nuancen angedeutet zu erkennen. Es habe daher in der Zeit des Spracherwerbs und darüber hinaus noch ein entsprechendes Hörvermögen vorhanden sein müssen. Dies gelte auch dann, wenn man berücksichtige, dass sich die Mutter der Klägerin um deren Spracherwerb besonders bemüht habe. Auch die tonschwellenaudiometrischen Befunde seit 1977 zeigten eine allmähliche Zunahme der Hörstörung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 99 bis 109 der SG-Akte verwiesen.
In Erwiderung hierauf hat die Klägerin eine Erklärung eines früheren Lehrers, Herrn U ... K ..., vorgelegt, der sich an sie für die Zeit von November 1946 bis Juli 1950 als Schülerin erinnern könne. Er habe sie in dieser Zeit als Fachlehrer und im Schuljahr 1949/50 auch als Klassenlehrer unterrichtet. Die Klägerin sei hochgradig schwerhörig gewesen. Sie habe in der ersten Reihe der Schulbänke gesessen, um dem Lehrer die Worte vom Mund ablesen zu können. Der Lehrer habe aber sehr artikuliert sprechen müssen. Eine Teilnahme am Unterrichtsgespräch sei allerdings nicht möglich gewesen. Die mündlichen Leistungen im Fach Deutsch hätten nicht bewertet werden können (Blatt 113 der SG-Akte). In seiner ergänzenden Stellungnahme hat Prof. Dr. F ... ausgeführt, diese Bekundungen stünden nicht im Widerspruch zu den anderen anamnestischen Angaben und den gutachtlichen Bewertungen. Er habe festgestellt, dass bei der Klägerin eine erhebliche Hörstörung seit früher Kindheit bestanden habe. Der Eintritt einer Taubheit bis zum siebten Lebensjahr könne daraus jedoch nicht abgeleitet werden. Auch Herr K ... habe bestätigt, dass die Klägerin hochgradig schwerhörig gewesen sei (Blatt 117 der SG- Akte).
Durch Urteil vom 24.8.1999 hat das SG die auf die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung des Nachteilsausgleichs für Gehörlose nach dem LBlindG gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin erfülle weder die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 LBlindG unmittelbar noch in Verbindung mit § 1 Abs. 4 Satz 3 und 4 LBlindG. Entscheidend spreche die fehlende schwere Sprachstörung gegen eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit bis zum siebten Lebensjahr. Die Klage sei von dem Missverständnis getragen, dass der Nachteilsausgleich auch in dem medizinisch unwahrscheinlichen Fall der angeborenen oder in der Kindheit erworbenen Taubheit ohne schwere Sprachstörungen zu gewähren sei. Selbst wenn man davon ausgehe, dass die Angaben der Klägerin zuträfen, habe die Klage schon deswegen keinen Erfolg, weil § 1 Abs. 3 und Abs. 4 LBlindG systematisch im Kontext der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996" (im Folgenden: Anhaltspunkte) zu interpretieren seien. An die "Anhaltspunkte lehne sich das LBlindG in seinen Vorgaben für den Nachteilsausgleich für Gehörlose an. Das LBlindG habe mit § 1 Abs. 4 Satz 3 nicht in Abweichung von den Anhaltspunkten noch einen Tatbestand formulieren wollen, der die Rechtsfolgen des Nachteilsausgleichs auslöse, obwohl ein GdB von 100 nicht gegeben sei. Maßgeblich seien daher die in den Anhaltspunkten gemachten Vorgaben: Entweder liege eine angeborene oder in der Kindheit erworbene Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit angeborenen Sprachstörungen oder hörbedingten Störungen des Spracherwerbs vor oder die später vom achten bis zum 18. Lebensjahr erworbene Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit gehe mit schweren Sprachstörungen einher. Beide Alternativen lägen bei der Klägerin nicht vor. Das Gericht folge den Gutachten von Dr. B ... und Prof. Dr. F ... hinsichtlich der Sprachfähigkeit der Klägerin. Eine angeborene oder bis zum siebten Lebensjahr erworbene Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit schweren Sprachstörungen sei nicht nachgewiesen. Auch betrage der GdB für die Hörstörung nicht 100.
Mit ihrer dagegen eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Der nicht erfolgte Besuch einer Sonderschule für Gehörlose sei kein Indiz. Die fehlende besondere Betreuung sei den unmittelbaren Nachkriegsverhältnissen zuzuschreiben. Auch hätten die speziell auf die Klägerin abgestellten Unterrichtsbedingungen, wie sie von Herrn K ... beschrieben worden seien, ihre hörbedingte Sonderstellung innerhalb des Klassenverbands belegt. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Klägerin bereits in der Grundschule unter einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit gelitten habe. Dem SG könne auch nicht darin gefolgt werden, dass § 1 Abs. 4 Satz 3 LBlindG die weitere - ungeschriebene - Voraussetzung aufweise, dass der Betroffene neben der an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit auch eine schwere Sprachstörung aufweisen müsse. Das LBlindG sei schon als förmliche Rechtsquelle gegenüber den Anhaltspunkten vorrangig. Ausgehend von seiner Rechtsauffassung hätte das SG sich intensiver damit befassen müssen, ob eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit im Kindesalter auch ohne Sprachstörungen vorliegen könne. Außerdem sei das SG von unzutreffenden Billigkeitserwägungen ausgegangen. Das LBlindG sehe gerade nicht vor, dass es unbillig sei, Gehörlose einen Nachteilsausgleich zu gewähren, die unter keiner schweren Sprachstörung litten.
Auf einen Hinweis des Senats vom 13.12.1999, dass die Berufung unter Berücksichtigung des Gutachtens von Prof. Dr. F ... keine Erfolgsaussicht habe (Blatt 24 f. der LSG-Akte), hat die Klägerin beantragt, Dr. R ..., Oberärztin in der Universitätsklinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie der M ...-Universität H ..., gutachtlich zu hören. Der Senat hat Dr. R ... durch Beweisanordnung vom 3.4.2000 zur Sachverständigen bestimmt, die in ihrem Gutachten vom 9.9.2000 ausgeführt hat, die Sprache der Klägerin weise die Merkmale der Schwerhörigensprache auf. Es erscheine sehr unwahrscheinlich, dass die jetzigen sprachlichen Fähigkeiten bzw. auch der Spracherwerb ohne jedwede auditive Rückkopplung möglich gewesen seien. Wahrscheinlicher sei, dass der Stimm- und Spracherwerb der Klägerin nicht bei vollständiger Taubheit erfolgt sei. Allerdings habe annehmbar in der Phase des Spracherwerbs eine hochgradige Hörstörung vorgelegen, die sich wohl progredient entwickelt habe. Das Tonaudiogramm aus dem Jahre 1977 ergebe auf dem rechten Ohr ein Hörverlust, der nach den Anhaltspunkten als hochgradige Schwerhörigkeit nicht aber als an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit einzuschätzen sei. Eine Auswertung der wissenschaftlichen Literatur habe keinen Hinweis darauf erbracht, dass bei prälingualer praktischer Taubheit der Gehörlose - die bei der Klägerin nicht vorliegenden - typischen sprachlichen Merkmale der Gehörlosen vermeiden könne. Eine Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit (im Sinne der Anhaltspunkte) vor dem 7. Lebensjahr könne aufgrund der erhobenen Befunde nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Nach dem Sprachaudiogramm sei der GdB bezüglich des Hörvermögens zur Zeit mit 80 zu bewerten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 53 bis 89 der LSG-Akte verwiesen.
In Reaktion hierauf erklärt die Klägerin, sie wolle an der Berufung festhalten. Sinngemäß trägt sie vor, sie sei nicht gründlich genug von Dr. R ... untersucht worden. Auch sei es vorstellbar, dass die Gehörlosigkeit der Klägerin durch Masern oder Röteln verursacht worden sei. Es gebe Hinweise darauf, dass die Klägerin an Röteln erkrankt sei (vgl. Arztbrief Institut für Laboratoriumsmedizin Dr. Sch ... und Partner, Blatt 106 der LSG-Akte). Dr. B ... sei der Meinung, dass die Mutter der Klägerin während der Schwangerschaft im dritten Schwangerschaftsmonat an Röteln erkrankt sei. Auch andere vom Ehemann der Klägerin angesprochene Fachleute hätten dies bestätigt.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Chemnitz vom 24.8.1999 sowie des Bescheides des Beklagten vom 23.5.1996 in der gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.10.1996 den beklagten zu verurteilen, ihr den Nachteilsausgleich für Gehörlose nach dem Landesblindengeldgesetz zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vor, dass hier auch im 40. Lebensjahr eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit noch nicht vorgelegen habe, so dass sich damit die Frage erledigt habe, ob Taubheit vor dem siebten Lebensjahr vorgelegen habe.
Dem Gericht liegen die Verfahrensakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte sowie die Schwerbehindertenakte des Beklagten vor.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht kann durch den Berichterstatter als Einzelrichter entscheiden (§ 155 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz ), weil der Rechtsstreit nach dem Geschäftsverteilungsplan des Senats auf den Berichterstatter übertragen worden ist und die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben, dass er allein über den Rechtsstreit entscheiden soll.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen. Der Klägerin steht der Nachteilsausgleich für Gehörlose nicht zu.
§ 1 Abs. 3 LBlindG in der ab 1.1.1996 geltenden Fassung bestimmt - soweit hier relevant -, dass Gehörlose, die ihren ständigen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Freistaat Sachsen haben, nach Vollendung des 1. Lebensjahres zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mehraufwendungen und sonstigen Nachteile einen Nachteilsausgleich nach dem LBlindG erhalten. Nach § 1 Abs. 4 Satz 3 LBlindG in der ab 1.1.1996 maßgeblichen Fassung gelten als Gehörlose Personen mit angeborener oder bis zum siebten Lebensjahr erworbener Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit. Nach § 1 Abs. 4 Satz 4 LBlindG in der ab 1.1.1996 maßgeblichen Fassung gelten gleichfalls als Gehörlose Personen, die Taubheit erst später erworben haben und bei denen der Grad der Behinderung allein infolge Taubheit und mit der Taubheit einhergehender schwerer Sprachstörungen 100 beträgt.
§ 1 Abs. 4 Satz 4 LBlindG scheidet hier von vornherein aus, weil die Klägerin weder nach den Feststellungen im Schwerbehindertenverfahren noch nach den gutachtlichen Einschätzungen im vorliegenden Verfahren einen GdB von 100 wegen Taubheit und mit der Taubheit einhergehender schwerer Sprachstörungen erreicht. Eine schwere Sprachstörung liegt nicht vor. Dies bestätigen alle ärztlichen Sachverständigen. Die Taubheit ist mit einem GdB von 80 zutreffend bewertet.
Die Klägerin hat auch nach § 1 Abs. 4 Satz 3 LBlindG keinen Anspruch auf einen Nachteilsausgleich.
Das Gericht - der Einzelrichter des Senats - folgt der Rechtsprechung des Senats, der auf Landesebene allein für die Entscheidung von Rechtsstreiten nach dem LBlindG im Berufungsverfahren zuständig ist, dass § 1 Abs. 3 LBlindG i.V.m. § 1 Abs. 4 Satz 3 LBlindG nicht ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der schweren Sprachstörung enthält.
Gleichwohl hat das insoweit in der Begründung abweichende Urteil des SG Bestand. Denn aufgrund der Feststellungen der Sachverständigen, namentlich der Feststellungen von Prof. Dr. F ... und Dr. R ..., steht zur vollen Überzeugung des Gerichts lediglich fest, dass die Klägerin in ihrer Kindheit unter einer hochgradigen Schwerhörigkeit im Sinne der Anhaltspunkte gelitten hat. Es steht nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin bis zum siebten Lebensjahr schon unter einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit gelitten hat.
Insbesondere Dr. R ... hat in ihrem Gutachten akribisch untersucht und belegt, dass die Sprachfähigkeit der Klägerin einen sicheren Rückschluss darauf zulässt, dass die Klägerin in der Phase des Spracherwerbs noch über ein gewisses Hörvermögen verfügt haben muss. Dieser schlüssig und substantiiert begründeten Einschätzung, die auch schon von Prof. Dr. F ... vertreten worden ist, folgt das Gericht. Da die Auswertung des Tonaudiogramms aus dem Jahre nicht einmal eine beidseitige, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit erbracht hat und eine Progredienz des Hörverlustes für die Zeit davor nicht ausgeschlossen werden kann, also das Hörvermögen der Klägerin noch besser gewesen sein könnte, steht nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin schon bei Erreichen des siebten Lebensjahres (= sechster Geburtstag; das ist der erste Tag des siebten Lebensjahres) eine an Taubheit grenzende beidseitige Schwerhörigkeit aufgewiesen hat. Besondere Bedeutung kommt hier den von Dr. T ... im Jahre 1977 anamnestisch festgehaltenen Angaben zu, wonach die Klägerin von Kind an schwerhörig gewesen sei und eine allmähliche Verschlechterung eingetreten sei. Nichts anderes folgt aus den Angaben von Herrn K ..., einem ehemaligen Lehrer der Klägerin. Als Herr K ... der Klägerin erstmals begegnete, war diese fast zehn Jahre alt (Februar 1937 bis Oktober 1946). Schon deswegen können aus seinen Angaben keine Rückschlüsse auf den Zustand des Gehörs der Klägerin vor dem 14.2.1943 gezogen werden. Im Übrigen hat auch Herr K ... insoweit nur davon gesprochen, aus den Schülerpapieren und den Aussagen der damaligen Kollegen sei hervorgegangen, dass die Klägerin "hochgradig schwerhörig" gewesen sei.
Im Hinblick auf die Ausführungen von Dr. R ... zur Diskrepanz der klinischen Bewertung und der Bewertung durch die Anhaltspunkte, was unter einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit zu verstehen ist, sowie im Hinblick auf etwaige Messungenauigkeiten (vgl. Blatt 28 des Gutachtens, Blatt 81 der LSG-Akte) und die nicht sicher festgestellte, nachhaltige Progredienz des Gehörverlustes kann das Gericht nicht ausschließen, dass die Klägerin in der Zeit des Spracherwerbs, der schon einige Jahre vor Beginn des siebten Lebensjahres einsetzt, zunächst im klinischen Sinne nur so mittel- bis hochgradig schwerhörig war, dass ein Spracherwerb im Sinne der Schwerhörigensprache noch möglich war, jedoch die Klägerin vor Erreichen des siebten Lebensjahres die Schwelle zur an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit nach der Definition der Anhaltspunkte überschritten hatte. Diese durchaus vorhandene Möglichkeit genügt jedoch nicht den durch das Gesetz gestellten Beweisanforderungen. Die tatbestandlich relevante Gesundheitsstörung muss zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen. Es muss ein Grad der Gewissheit erreicht sein, der vernünftige Zweifel ausschließt. Dies trifft hier zugunsten der Klägerin aus den oben genannten Gründen gerade nicht zu. Die gute Möglichkeit kann nicht die Wahrscheinlichkeit oder - wie hier gefordert - gar die Gewissheit ersetzen.
Der Gesetzgeber des LBlindG hat den Nachteilsausgleich für Gehörlose mit unechter Rückwirkung eingeführt (schon bestehende Gesundheitsstörungen werden für die Zukunft im vom Gesetz vorgegebenen Rahmen finanziell kompensiert). Trotz der offen zu Tage liegenden Beweisproblematik für "Altfälle" hat der Gesetzgeber keine Übergangsregelungen mit besonderen Beweislasterleichterungen geschaffen. Das Gericht sieht daher auch keinen Anlass und keine rechtliche Möglichkeit, den gesetzgeberischen Willen richterrechtlich zu korrigieren.
Die sonstigen Beweisanregungen der Klägerin sind nicht geeignet, die objektiv bestehende Ungewissheit über das bei der Klägerin bis zu ihrem sechsten Geburtstag bestehende Hörvermögen zu beseitigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin der Nachteilsausgleich für Gehörlose nach dem Sächsischen Landesblindengeldgesetz (LBlindG) zusteht.
Wegen "an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit" war der am ... geborenen Klägerin bereits ein DDR-Schwerbehindertenausweis (Stufe: SB) ausgestellt worden. Ein undatierter (aus dem Jahre 1977 stammender), von Dr. T ... für den Rat des Kreises/der Stadt erhobener Untersuchungsbefund machte zur Krankheitsgeschichte der Klägerin folgende Angaben:
"Von Kind an schwerhörig, allmähliche Verschlechterung."
Der die Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin betreffende Bescheid der Beklagten vom 21.5.1993 stellte u.a. eine beidseitige Schwerhörigkeit fest. Dafür wurde verwaltungsintern ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 ausgewiesen. Mit Bescheid vom 17.3.1999 wurde u.a. Taubheit mit Sprachstörungen als Behinderung festgestellt, die verwaltungsintern mit einem Einzel-GdB von 80 bewertet wurde.
Im Januar 1996 beantragte die Klägerin Leistungen nach dem LBlindG. Mit Bescheid vom 23.5.1996 lehnte die Beklagte es ab, Leistungen zu gewähren, weil die Klägerin nicht gehörlos sei. Als Gehörlose würden nach dem LBlindG Personen mit angeborener oder bis zum siebten Lebensjahr erworbener oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit angesehen. Ferner seien gehörlos im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen Personen, die die Taubheit erst später erworben hätten und bei denen der GdB allein infolge Taubheit und mit der Taubheit einhergehender schwerer Sprachstörung 100 betrage. Bei der Klägerin bestehe weder eine angeborene noch eine bis zum siebten Lebensjahr erworbene Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit. Es bestehe bei der Klägerin keine so schwere Sprachstörung, dass ihre Lautsprache schwer verständlich und ihr Wortschatz gering sei. Auch erreiche die Klägerin keinen GdB von 100. Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihre Taubheit sei angeboren. Der Gehörnerv sei stark geschädigt. Dies sei bereits 1970 in der Universitätsklinik H ... festgestellt worden. Ein Hörgerät sei daher nutzlos. Sie könne nur das "hören", was sie von den Lippen ablesen könne. Schon im Kleinkindalter sei festgestellt worden, dass sie auf Geräusche nicht reagiere. Die Beklagte holte bei Dr. B ..., Facharzt für HNO-Heilkunde, Phoniatrie und Pädaudiologie, ein Gutachten ein. In seinem Gutachten vom 25.9.1996 kam Dr. B ... zu dem Ergebnis, bei der Klägerin liege eine beidseits hochgradige bzw. an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit vor. Diese beruhe auf einer mit höchster Wahrscheinlichkeit angeborenen, voranschreitenden Innenohrschwerhörigkeit. Bei der Untersuchung sei ein Gespräch mit der Klägerin möglich gewesen. Ihre Sprache sei kaum verwaschen gewesen, jedoch etwas leise. Die gestellten Fragen habe sie bei deutlicher Aussprache aus einer Entfernung von etwa einem Meter wahrnehmen können. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 23 bis 26 der Beklagtenakte verwiesen. Der Beklagte wies daraufhin den Widerspruch zurück (Bescheid vom 15.10.1996), weil die Untersuchung keinen Nachweis dafür erbracht habe, dass bereits vor dem siebten Lebensjahr Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit bestanden habe. Das heutige Ausmaß habe sich erst nach dem siebten Lebensjahr manifestiert.
Zur Begründung ihrer dagegen vor dem Sozialgereicht Chemnitz (SG) erhobenen Klage hat sich die Klägerin auf Zeugen (Schwester, Base, Eltern und Tante) berufen, die bestätigen könnten, dass bereits vor dem siebten Lebensjahr Taubheit bzw. an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit vorgelegen habe. Sie hat dem SG entsprechende schriftliche Erklärungen der als Zeugen benannten Personen übergeben, in denen jeweils folgender, vorformulierter Satz unterschrieben ist (Blatt 26 bis 30 der SG-Akte):
"Hiermit bestätige ich, daß Frau H ... G ... geb. D ..., geb ..., seit dem Kleinstkindesalter gehörlos ist." Das SG hat zunächst Beweis erhoben durch die Beiziehung von Befundberichten und sonstigen ärztlichen Stellungnahmen (Blatt 50 bis 53, 59, 61 bis 63, 80 bis 82, 85 bis 87 der SG-Akte). Dabei hat das Kreiskrankenhaus S ...am 1.9.1994 eine progrediente beidseitige Innenohrschwerhörigkeit diagnostiziert. Frau H ..., Fachärztin für HNO- Krankheiten, hat unter dem 20.5.1998 bei der Klägerin eine beidseitige Taubheit diagnostiziert. Unter dem 24.9.1997 hat das Staatliche Schulamt Z ... mitgeteilt, dass über die Klägerin keinerlei Unterlagen mehr vorhanden seien.
Das SG hat die Einholung eines Gutachtens veranlasst. Zum Sachverständigen hat es Prof. Dr. F ..., Chefarzt der HNO-Klinik des Krankenhauses D ... bestimmt. Prof. Dr. F ... ist in seinem Gutachten vom 27.11.1998 zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin jetzt unter einer beidseitigen praktischen Taubheit mit geringen Hörresten im Tieftonbereich leide. Eine erbliche Ursache für den Innenohrschaden könne aber nicht als gesichert angesehen werden. Er hat den GdB auf 80 geschätzt. Mehrere Indizien sprächen gegen eine Taubheit in der Kindheit: Schon im Untersuchungsbefund von Dr. T ... sei anamnestisch eine allmähliche Verschlechterung angegeben worden. Der Besuch der "normalen" Grundschule bis zur achten Klasse sei möglich gewesen. Die Klägerin verfüge trotz der jetzt vorliegenden beidseitigen praktischen Taubheit über eine verständliche Sprache mit fast fehlerfreier Aussprache. Bei den Vokalen a und o seien sogar dialektbedingte Nuancen angedeutet zu erkennen. Es habe daher in der Zeit des Spracherwerbs und darüber hinaus noch ein entsprechendes Hörvermögen vorhanden sein müssen. Dies gelte auch dann, wenn man berücksichtige, dass sich die Mutter der Klägerin um deren Spracherwerb besonders bemüht habe. Auch die tonschwellenaudiometrischen Befunde seit 1977 zeigten eine allmähliche Zunahme der Hörstörung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 99 bis 109 der SG-Akte verwiesen.
In Erwiderung hierauf hat die Klägerin eine Erklärung eines früheren Lehrers, Herrn U ... K ..., vorgelegt, der sich an sie für die Zeit von November 1946 bis Juli 1950 als Schülerin erinnern könne. Er habe sie in dieser Zeit als Fachlehrer und im Schuljahr 1949/50 auch als Klassenlehrer unterrichtet. Die Klägerin sei hochgradig schwerhörig gewesen. Sie habe in der ersten Reihe der Schulbänke gesessen, um dem Lehrer die Worte vom Mund ablesen zu können. Der Lehrer habe aber sehr artikuliert sprechen müssen. Eine Teilnahme am Unterrichtsgespräch sei allerdings nicht möglich gewesen. Die mündlichen Leistungen im Fach Deutsch hätten nicht bewertet werden können (Blatt 113 der SG-Akte). In seiner ergänzenden Stellungnahme hat Prof. Dr. F ... ausgeführt, diese Bekundungen stünden nicht im Widerspruch zu den anderen anamnestischen Angaben und den gutachtlichen Bewertungen. Er habe festgestellt, dass bei der Klägerin eine erhebliche Hörstörung seit früher Kindheit bestanden habe. Der Eintritt einer Taubheit bis zum siebten Lebensjahr könne daraus jedoch nicht abgeleitet werden. Auch Herr K ... habe bestätigt, dass die Klägerin hochgradig schwerhörig gewesen sei (Blatt 117 der SG- Akte).
Durch Urteil vom 24.8.1999 hat das SG die auf die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung des Nachteilsausgleichs für Gehörlose nach dem LBlindG gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin erfülle weder die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 LBlindG unmittelbar noch in Verbindung mit § 1 Abs. 4 Satz 3 und 4 LBlindG. Entscheidend spreche die fehlende schwere Sprachstörung gegen eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit bis zum siebten Lebensjahr. Die Klage sei von dem Missverständnis getragen, dass der Nachteilsausgleich auch in dem medizinisch unwahrscheinlichen Fall der angeborenen oder in der Kindheit erworbenen Taubheit ohne schwere Sprachstörungen zu gewähren sei. Selbst wenn man davon ausgehe, dass die Angaben der Klägerin zuträfen, habe die Klage schon deswegen keinen Erfolg, weil § 1 Abs. 3 und Abs. 4 LBlindG systematisch im Kontext der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996" (im Folgenden: Anhaltspunkte) zu interpretieren seien. An die "Anhaltspunkte lehne sich das LBlindG in seinen Vorgaben für den Nachteilsausgleich für Gehörlose an. Das LBlindG habe mit § 1 Abs. 4 Satz 3 nicht in Abweichung von den Anhaltspunkten noch einen Tatbestand formulieren wollen, der die Rechtsfolgen des Nachteilsausgleichs auslöse, obwohl ein GdB von 100 nicht gegeben sei. Maßgeblich seien daher die in den Anhaltspunkten gemachten Vorgaben: Entweder liege eine angeborene oder in der Kindheit erworbene Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit angeborenen Sprachstörungen oder hörbedingten Störungen des Spracherwerbs vor oder die später vom achten bis zum 18. Lebensjahr erworbene Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit gehe mit schweren Sprachstörungen einher. Beide Alternativen lägen bei der Klägerin nicht vor. Das Gericht folge den Gutachten von Dr. B ... und Prof. Dr. F ... hinsichtlich der Sprachfähigkeit der Klägerin. Eine angeborene oder bis zum siebten Lebensjahr erworbene Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit schweren Sprachstörungen sei nicht nachgewiesen. Auch betrage der GdB für die Hörstörung nicht 100.
Mit ihrer dagegen eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Der nicht erfolgte Besuch einer Sonderschule für Gehörlose sei kein Indiz. Die fehlende besondere Betreuung sei den unmittelbaren Nachkriegsverhältnissen zuzuschreiben. Auch hätten die speziell auf die Klägerin abgestellten Unterrichtsbedingungen, wie sie von Herrn K ... beschrieben worden seien, ihre hörbedingte Sonderstellung innerhalb des Klassenverbands belegt. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Klägerin bereits in der Grundschule unter einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit gelitten habe. Dem SG könne auch nicht darin gefolgt werden, dass § 1 Abs. 4 Satz 3 LBlindG die weitere - ungeschriebene - Voraussetzung aufweise, dass der Betroffene neben der an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit auch eine schwere Sprachstörung aufweisen müsse. Das LBlindG sei schon als förmliche Rechtsquelle gegenüber den Anhaltspunkten vorrangig. Ausgehend von seiner Rechtsauffassung hätte das SG sich intensiver damit befassen müssen, ob eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit im Kindesalter auch ohne Sprachstörungen vorliegen könne. Außerdem sei das SG von unzutreffenden Billigkeitserwägungen ausgegangen. Das LBlindG sehe gerade nicht vor, dass es unbillig sei, Gehörlose einen Nachteilsausgleich zu gewähren, die unter keiner schweren Sprachstörung litten.
Auf einen Hinweis des Senats vom 13.12.1999, dass die Berufung unter Berücksichtigung des Gutachtens von Prof. Dr. F ... keine Erfolgsaussicht habe (Blatt 24 f. der LSG-Akte), hat die Klägerin beantragt, Dr. R ..., Oberärztin in der Universitätsklinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie der M ...-Universität H ..., gutachtlich zu hören. Der Senat hat Dr. R ... durch Beweisanordnung vom 3.4.2000 zur Sachverständigen bestimmt, die in ihrem Gutachten vom 9.9.2000 ausgeführt hat, die Sprache der Klägerin weise die Merkmale der Schwerhörigensprache auf. Es erscheine sehr unwahrscheinlich, dass die jetzigen sprachlichen Fähigkeiten bzw. auch der Spracherwerb ohne jedwede auditive Rückkopplung möglich gewesen seien. Wahrscheinlicher sei, dass der Stimm- und Spracherwerb der Klägerin nicht bei vollständiger Taubheit erfolgt sei. Allerdings habe annehmbar in der Phase des Spracherwerbs eine hochgradige Hörstörung vorgelegen, die sich wohl progredient entwickelt habe. Das Tonaudiogramm aus dem Jahre 1977 ergebe auf dem rechten Ohr ein Hörverlust, der nach den Anhaltspunkten als hochgradige Schwerhörigkeit nicht aber als an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit einzuschätzen sei. Eine Auswertung der wissenschaftlichen Literatur habe keinen Hinweis darauf erbracht, dass bei prälingualer praktischer Taubheit der Gehörlose - die bei der Klägerin nicht vorliegenden - typischen sprachlichen Merkmale der Gehörlosen vermeiden könne. Eine Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit (im Sinne der Anhaltspunkte) vor dem 7. Lebensjahr könne aufgrund der erhobenen Befunde nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Nach dem Sprachaudiogramm sei der GdB bezüglich des Hörvermögens zur Zeit mit 80 zu bewerten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 53 bis 89 der LSG-Akte verwiesen.
In Reaktion hierauf erklärt die Klägerin, sie wolle an der Berufung festhalten. Sinngemäß trägt sie vor, sie sei nicht gründlich genug von Dr. R ... untersucht worden. Auch sei es vorstellbar, dass die Gehörlosigkeit der Klägerin durch Masern oder Röteln verursacht worden sei. Es gebe Hinweise darauf, dass die Klägerin an Röteln erkrankt sei (vgl. Arztbrief Institut für Laboratoriumsmedizin Dr. Sch ... und Partner, Blatt 106 der LSG-Akte). Dr. B ... sei der Meinung, dass die Mutter der Klägerin während der Schwangerschaft im dritten Schwangerschaftsmonat an Röteln erkrankt sei. Auch andere vom Ehemann der Klägerin angesprochene Fachleute hätten dies bestätigt.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Chemnitz vom 24.8.1999 sowie des Bescheides des Beklagten vom 23.5.1996 in der gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.10.1996 den beklagten zu verurteilen, ihr den Nachteilsausgleich für Gehörlose nach dem Landesblindengeldgesetz zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vor, dass hier auch im 40. Lebensjahr eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit noch nicht vorgelegen habe, so dass sich damit die Frage erledigt habe, ob Taubheit vor dem siebten Lebensjahr vorgelegen habe.
Dem Gericht liegen die Verfahrensakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte sowie die Schwerbehindertenakte des Beklagten vor.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht kann durch den Berichterstatter als Einzelrichter entscheiden (§ 155 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz ), weil der Rechtsstreit nach dem Geschäftsverteilungsplan des Senats auf den Berichterstatter übertragen worden ist und die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben, dass er allein über den Rechtsstreit entscheiden soll.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen. Der Klägerin steht der Nachteilsausgleich für Gehörlose nicht zu.
§ 1 Abs. 3 LBlindG in der ab 1.1.1996 geltenden Fassung bestimmt - soweit hier relevant -, dass Gehörlose, die ihren ständigen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Freistaat Sachsen haben, nach Vollendung des 1. Lebensjahres zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mehraufwendungen und sonstigen Nachteile einen Nachteilsausgleich nach dem LBlindG erhalten. Nach § 1 Abs. 4 Satz 3 LBlindG in der ab 1.1.1996 maßgeblichen Fassung gelten als Gehörlose Personen mit angeborener oder bis zum siebten Lebensjahr erworbener Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit. Nach § 1 Abs. 4 Satz 4 LBlindG in der ab 1.1.1996 maßgeblichen Fassung gelten gleichfalls als Gehörlose Personen, die Taubheit erst später erworben haben und bei denen der Grad der Behinderung allein infolge Taubheit und mit der Taubheit einhergehender schwerer Sprachstörungen 100 beträgt.
§ 1 Abs. 4 Satz 4 LBlindG scheidet hier von vornherein aus, weil die Klägerin weder nach den Feststellungen im Schwerbehindertenverfahren noch nach den gutachtlichen Einschätzungen im vorliegenden Verfahren einen GdB von 100 wegen Taubheit und mit der Taubheit einhergehender schwerer Sprachstörungen erreicht. Eine schwere Sprachstörung liegt nicht vor. Dies bestätigen alle ärztlichen Sachverständigen. Die Taubheit ist mit einem GdB von 80 zutreffend bewertet.
Die Klägerin hat auch nach § 1 Abs. 4 Satz 3 LBlindG keinen Anspruch auf einen Nachteilsausgleich.
Das Gericht - der Einzelrichter des Senats - folgt der Rechtsprechung des Senats, der auf Landesebene allein für die Entscheidung von Rechtsstreiten nach dem LBlindG im Berufungsverfahren zuständig ist, dass § 1 Abs. 3 LBlindG i.V.m. § 1 Abs. 4 Satz 3 LBlindG nicht ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der schweren Sprachstörung enthält.
Gleichwohl hat das insoweit in der Begründung abweichende Urteil des SG Bestand. Denn aufgrund der Feststellungen der Sachverständigen, namentlich der Feststellungen von Prof. Dr. F ... und Dr. R ..., steht zur vollen Überzeugung des Gerichts lediglich fest, dass die Klägerin in ihrer Kindheit unter einer hochgradigen Schwerhörigkeit im Sinne der Anhaltspunkte gelitten hat. Es steht nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin bis zum siebten Lebensjahr schon unter einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit gelitten hat.
Insbesondere Dr. R ... hat in ihrem Gutachten akribisch untersucht und belegt, dass die Sprachfähigkeit der Klägerin einen sicheren Rückschluss darauf zulässt, dass die Klägerin in der Phase des Spracherwerbs noch über ein gewisses Hörvermögen verfügt haben muss. Dieser schlüssig und substantiiert begründeten Einschätzung, die auch schon von Prof. Dr. F ... vertreten worden ist, folgt das Gericht. Da die Auswertung des Tonaudiogramms aus dem Jahre nicht einmal eine beidseitige, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit erbracht hat und eine Progredienz des Hörverlustes für die Zeit davor nicht ausgeschlossen werden kann, also das Hörvermögen der Klägerin noch besser gewesen sein könnte, steht nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin schon bei Erreichen des siebten Lebensjahres (= sechster Geburtstag; das ist der erste Tag des siebten Lebensjahres) eine an Taubheit grenzende beidseitige Schwerhörigkeit aufgewiesen hat. Besondere Bedeutung kommt hier den von Dr. T ... im Jahre 1977 anamnestisch festgehaltenen Angaben zu, wonach die Klägerin von Kind an schwerhörig gewesen sei und eine allmähliche Verschlechterung eingetreten sei. Nichts anderes folgt aus den Angaben von Herrn K ..., einem ehemaligen Lehrer der Klägerin. Als Herr K ... der Klägerin erstmals begegnete, war diese fast zehn Jahre alt (Februar 1937 bis Oktober 1946). Schon deswegen können aus seinen Angaben keine Rückschlüsse auf den Zustand des Gehörs der Klägerin vor dem 14.2.1943 gezogen werden. Im Übrigen hat auch Herr K ... insoweit nur davon gesprochen, aus den Schülerpapieren und den Aussagen der damaligen Kollegen sei hervorgegangen, dass die Klägerin "hochgradig schwerhörig" gewesen sei.
Im Hinblick auf die Ausführungen von Dr. R ... zur Diskrepanz der klinischen Bewertung und der Bewertung durch die Anhaltspunkte, was unter einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit zu verstehen ist, sowie im Hinblick auf etwaige Messungenauigkeiten (vgl. Blatt 28 des Gutachtens, Blatt 81 der LSG-Akte) und die nicht sicher festgestellte, nachhaltige Progredienz des Gehörverlustes kann das Gericht nicht ausschließen, dass die Klägerin in der Zeit des Spracherwerbs, der schon einige Jahre vor Beginn des siebten Lebensjahres einsetzt, zunächst im klinischen Sinne nur so mittel- bis hochgradig schwerhörig war, dass ein Spracherwerb im Sinne der Schwerhörigensprache noch möglich war, jedoch die Klägerin vor Erreichen des siebten Lebensjahres die Schwelle zur an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit nach der Definition der Anhaltspunkte überschritten hatte. Diese durchaus vorhandene Möglichkeit genügt jedoch nicht den durch das Gesetz gestellten Beweisanforderungen. Die tatbestandlich relevante Gesundheitsstörung muss zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen. Es muss ein Grad der Gewissheit erreicht sein, der vernünftige Zweifel ausschließt. Dies trifft hier zugunsten der Klägerin aus den oben genannten Gründen gerade nicht zu. Die gute Möglichkeit kann nicht die Wahrscheinlichkeit oder - wie hier gefordert - gar die Gewissheit ersetzen.
Der Gesetzgeber des LBlindG hat den Nachteilsausgleich für Gehörlose mit unechter Rückwirkung eingeführt (schon bestehende Gesundheitsstörungen werden für die Zukunft im vom Gesetz vorgegebenen Rahmen finanziell kompensiert). Trotz der offen zu Tage liegenden Beweisproblematik für "Altfälle" hat der Gesetzgeber keine Übergangsregelungen mit besonderen Beweislasterleichterungen geschaffen. Das Gericht sieht daher auch keinen Anlass und keine rechtliche Möglichkeit, den gesetzgeberischen Willen richterrechtlich zu korrigieren.
Die sonstigen Beweisanregungen der Klägerin sind nicht geeignet, die objektiv bestehende Ungewissheit über das bei der Klägerin bis zu ihrem sechsten Geburtstag bestehende Hörvermögen zu beseitigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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