L 1 B 107/00 VJ

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 5 VJ 4/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 B 107/00 VJ
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 07. August 2000 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer (Bf.) wendet sich gegen die Bestellung eines bestimmten Arztes zum medizinischen Sachverständigen.

Die Beteiligten streiten im Hauptsacheverfahren (Sozialgericht Chemnitz, Az: S 5 VJ 4/97) über die Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens nach dem Bundes-Seuchengesetz.

Mit Beweisanordnung vom 25. August 1998 ernannte das Sozialgericht Chemnitz (SG) Prof. Dr. med. habil S ... (Facharzt für Mikrobiologie, Infektionsepidemiologie und Kinderkrankheiten, Abteilungsleiter Humanmedizin und Präsident der Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen ..., Institut ..., und zugleich Vorsitzender der ... Impfkommission sowie Vorsitzender der Gesellschaft für Hygiene, Umweltmedizin und Schutzimpfungen in ... e. V.) zum medizinischen Sachverständigen. Unter dem 26. Januar 1998 erstattete dieser ein medizinisches Sachverständigengutachten aufgrund ambulanter Untersuchung des Bf.

Mit Schreiben vom 01. Februar 1999 übersandte das SG dem Bf. das Gutachten des Sachverständigen zur Stellungnahme und fragte gleichzeitig an, ob angesichts des Gutachtens die Klage noch aufrechterhalten bleibe.

Mit Schriftsatz vom 13. März 1999 äußerte sich der Bf. unter anderem dahingehend, das angefertigte Gutachten beinhalte einige offensichtliche Unrichtigkeiten, befasse sich in einem Punkt mit unerheblichen Tatsachen und lasse insoweit einiges an Objektivität vermissen. Insgesamt erwecke das Gutachten den Anschein, dass nicht sein könne, was nicht sein dürfe. Dies lasse sich aus seiner Sicht zum Teil damit begründen, dass der Gutachter insbesondere auch als Vorsitzender der Sächsischen Impfkommission tätig sei. Daher halte er eine bedingte Befangenheit des Gutachters durchaus für möglich. Er halte seine Klage weiterhin aufrecht.

Auch zu weiteren Einwänden des Bf. gegen das Gutachten mit Schriftsatz vom 29. Juni 1999 holte das SG eine ergänzende Stellungnahme des Gutachters ein (Stellungnahme vom 10. August 1999).

Mit Schriftsatz vom 05. Mai 2000 stellte der Bf. einen Befangenheitsantrag gegen den Gutachter Prof. Dr. B ..., bei Gericht eingegangen am 08. Mai 2000.

Mit Beschluss vom 07. August 2000 wies das SG den Antrag des Bf. auf Ablehnung des Sachverständigen zurück. Der Befangenheitsantrag sei unzulässig. Ein Ablehnungsantrag sei spätestens binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung zu stellen. Der Bf. habe den Befangenheitsantrag nicht innerhalb der Frist von zwei Wochen gestellt. Zwar sei die Beweisanordnung ihm nicht zugestellt worden, so dass der genaue Ablauf der zweiwöchigen Frist nicht nachweisbar sei. Seine Äußerung, der Gutachter sei möglicherweise befangen, sei aber erst im Schreiben vom 13. März 1999 enthalten gewesen. Zwischen Beweisanordnung vom 25. August 1998 und erstmaliger Äußerung von Befangenheitsaspekten im Schreiben vom 13. März 1999 lägen deutlich mehr als zwei Wochen. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht daraus, dass der Sachverständige durch Beweisanordnung und nicht durch einen Beweisbeschluss bestellt worden sei. Der Bf. habe auch keine Argumente vorgetragen, die eine Verlängerung der Frist rechtfertigen könnten. Der Hinweis auf die fehlende Belehrung in der Beweisanordnung und damit fehlendes Verschulden seinerseits greife nicht durch. Für das Gericht bestehe keine Pflicht, die Beteiligten über alle möglichen Angriffs- und Verteidigungsmittel aufzuklären. Belehrungen müssten nur dann vorgenommen werden, wenn diese gesetzlich vorgeschrieben seien. Zwar bestehe grundsätzlich die Möglichkeit, bestimmte Hinweise zu geben. Dem Nichtgebrauch dieser Möglichkeit durch das Gericht stehe aber kein Verschuldensausschluss auf Seiten des Bf. gegenüber. Fehlendes Verschulden gem. § 118 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 406 Abs. 2 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) habe das Gericht aus dem Vortrag des Bf. nicht entnehmen können. Auch die Auswahl des Sachverständigen hebe das Verschulden des Bf. nicht auf. Hintergrund der zweiwöchigen Frist sei gerade, dass die Beteiligten vor Erstellung des Gutachtens ihre Bedenken mitteilten, um den Verfahrensfortgang nicht zu verzögern, unnötige Kosten zu sparen und Fragen über die Person des Sachverständigen vor Erstellung des Gutachtens zu klären. Auch habe der Bf. keine Argumente vorgetragen, die erst mit der Erstellung des Gutachtens oder später bekannt geworden seien. Eine Verlängerung der Frist bzw. eine Verschiebung des Fristbeginns sei somit nicht ersichtlich.

Gegen den als Einschreiben am 25. August 2000 zur Post gegebenen Beschluss legte der Bf. am 22. September 2000 Beschwerde ein, der das SG nicht abgeholfen und dem Sächsischen Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt hat.

Der Bf. trägt vor, erst mit Schreiben vom 10. Mai 2000 sei er vom Gericht darauf hingewiesen worden, dass der von ihm am 05. Mai 2000 gestellte Befangenheitsantrag gegen den Gutachter Prof. Dr. Bigl innerhalb einer 14-tägigen Frist nach Ernennung des Gutachters habe erfolgen müssen. Ein derartiger Hinweis auf diese Frist sei in der Beweisanordnung vom 25. August 1998 nicht enthalten gewesen. Aus diesem Grund sei für ihn weder die eventuelle Möglichkeit der Äußerung von Bedenken gegen den ernannten Gutachter noch die Frist innerhalb derer diese Bedenken bei Gericht geltend gemacht werden müssten, ersichtlich gewesen. Aus den §§ 106 und 112 Abs. 2 Satz 2 SGG ergebe sich, dass das Gericht eine Fürsorgepflicht für die insbesondere rechtlich nicht bewanderten Beteiligten habe. Dieser Fürsorgepflicht sei das Gericht durch fehlenden Hinweis auf mögliche Rechtsmittel nicht nachgekommen. Außerdem müsse das Gericht auf Rechtsfragen hinweisen, soweit es sich um Zulässigkeitsfragen handele, nach allgemeiner Meinung auch dann, wenn der Hinweis notwendig sei, um auf sachdienliche Anträge hinzuwirken. Hinweise im vorbereitenden Verfahren seien wesentlich, um den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, sich auf die mündliche Verhandlung vorzubereiten, um das ihnen zustehende Recht auf Gehör (§ 62 SGG) angemessen in Anspruch nehmen zu können. Sein Recht auf Gehör entsprechend § 62 SGG habe er in Unkenntnis der Antragsfrist nicht rechtzeitig, d. h. vor Erstellung des Gutachtens, in Anspruch nehmen können.

Der Beklagte hat sich zur Sache nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft und zulässig (§ 172 Abs. 1, § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 406 Abs. 5 ZPO), jedoch unbegründet. Zu Recht hat das SG den Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit als unzulässig abgelehnt.

Das SG hat zutreffend festgestellt, dass der Bf., der Bedenken hinsichtlich einer Befangenheit des Gutachters mit Schriftsatz vom 13. März 1999 erstmals geäußert hat, einen Ablehnungsantrag binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung gestellt und damit die Frist des § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht eingehalten hat. Die genannten Vorschriften begründen eine zweiwöchige Frist hinsichtlich des Ablehnungsantrages. Eine Fristerstreckung erfordert insoweit die Glaubhaftmachung, dass der Antragsteller "ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen".

Zutreffend weist das SG darauf hin, dass die maßgebliche Zwei-Wochen-Frist abgelaufen ist. Gründe für eine Fristerstreckung sind weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht noch sonst zu ersehen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe sieht der Senat unter entsprechender Anwendung des § 153 Abs. 2 SGG ab.

Soweit der Bf. mit dem Hinweis auf eine dem SG obliegende Fürsorgepflicht hinsichtlich der Ablehnungsmöglichkeit sinngemäß einen Verstoß gegen die Grundsätze des "fairen Verfahrens" rügt, ergibt sich nichts anderes. Die vom Bf. behauptete "Fürsorgepflicht" besteht hinsichtlich der hier streitigen Sachverständigenablehnung nicht. Die Hinweispflicht des Gerichts (vgl. § 106 SGG) dient dazu, den Rechtsstreit sachgerecht und zügig zu führen. Namentlich unbeholfenen und unerfahrenen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 106 Rdnr. 2 m.w.N.) Beteiligten soll dadurch effektiver Rechtsschutz zuteil werden. Die Disposition über die Prozessführung muss aber letztlich beim Beteiligten selbst liegen. Dies gilt namentlich für die Abgabe von Befangenheitsanträgen. "Rät" das Gericht einem Beteiligten, einen Befangenheitsantrag gegen einen Sachverständigen zu stellen, begibt es sich selbst in die Nähe der Befangenheit. Dies kommt schon dann in Betracht, soweit das Gericht - wie vom Bf. ersichtlich verlangt - in einer Sachverständigenbestellung, sei es in Gestalt einer Beweisanordnung, sei es in Gestalt eines förmlichen Beweisbeschlusses (dazu Meyer-Ladewig, a.a.O., § 106 Rdnr. 12a), bereits in der Beauftragung des Sachverständigen auf die Möglichkeit einer Ablehnung wegen Befangenheit hinweisen würde.

Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass in der Sache ersichtlich kein Anhalt für eine Ablehnung des Sachverständigen vorliegt.

Eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen (§ 60 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO). Dabei kommt es darauf an, ob ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus nach vernünftigen Erwägungen Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen haben kann (vgl. BSG SozR 1500 § 60 Nr. 3; LSG Niedersachsen, Breithaupt 1981, 547). Eine Ablehnung ist dann berechtigt, wenn Umstände auch bei nüchtern denkenden Beteiligten Befürchtungen rechtfertigen könnten, dass der Sachverständige sich einseitig festgelegt und den Angaben des anderen Beteiligten mehr glaube (vgl. OLG München, NJW 1992, 1569). Ein Grund für eine Ablehnung wegen Befangenheit liegt selbst dann nicht vor, wenn der gerichtliche Sachverständige bereits früher eine ungünstige Stellungnahme abgegeben hat (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, SGb 1978, 450), wenn er bereits Gutachten für den Beklagten erstattet hat (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1986, 638), wenn er einen Beteiligten (ohne Begründung eines besonderen Vertrauensverhältnisses) einmalig behandelt hat (Zöller, Zivilprozessordnung, 19. Auflage, § 406 Rdnr. 9 mit Hinweis auf OLG Köln, VersR 1992, 517) oder, wenn der benannte Gutachter den Bf. vorher als zuständiger Krankenhausarzt behandelt und im Rahmen der Prüfung der Rehabilitation bereits eine Leistungsbeurteilung abgegeben hat, wenn nicht weitere Umstände erkennbar sind, aus denen sich ergibt, dass seine Meinung vorgefasst und unumstößlich ist (vgl. Hessisches LSG, SGb 1987, 115).

Allein die Tatsache, dass der Sachverständige Vorsitzender der Sächsischen Impfkommission ist und in einem Beschäftigungsverhältnis zum Freistaat Sachsen steht, begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit. Eine Ablehnung wäre möglicherweise in Betracht zu ziehen, wenn der Sachverständige in einem Streit nach dem Bundesversorgungsgesetz ein in der Versorgungsverwaltung beschäftigter Arzt wäre, es sei denn, dass er nur über besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf einem Spezialgebiet verfügt (vgl. Meyer-Ladewig, a. a. O., Rdnr. 12 l mit Hinweis auf BSG NJW 1993, 3022). Der Sachverständige ist jedoch nicht in der Versorgungsverwaltung beschäftigt, sondern vielmehr Präsident der Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen Sachsen und damit bei einer anderen Behörde tätig. Auch die Tatsache, dass der Sachverständige Vorsitzender der Sächsischen Impfkommission ist, begründet keine Besorgnis der Befangenheit. Vielmehr ergibt sich aus der Wahrnehmung dieses Amtes gerade die besondere Sachkunde des Sachverständigen für den Impf-Bereich.

Nach alledem hatte die Beschwerde keinen Erfolg.
Rechtskraft
Aus
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