L 4 B 10/01 RA

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 2 RA 911/99
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 B 10/01 RA
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 04. Januar 2001 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Kläger und Beschwerdeführer (Bf.) bezieht seit 01.08.1994 von der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Bg.) eine nach den Vorschriften des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) ermittelte Regelaltersrente, deren Wert letztlich mit Bescheid vom 08.07.1996 festgestellt worden war. Nach dem Versicherungsverlauf (Anlage 2 des Bescheides) sind für die Feststellung des subjektiven Wertes der Regelaltersrente ab 01.10.1963 neben den durch Beitragszahlung zur Sozialpflichtversicherung der ehemaligen DDR versicherten Entgelten auch nach dem AAÜG überführte Entgelte berücksichtigt worden.

Am 11.12.1997 beantragte der Bf. die Überprüfung der Höhe seiner Rentenleistung. Die im Bescheid des Versorgungsträgers ausgewiesenen und die Werte der Anlage 3 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) übersteigenden Teile seines Arbeitsentgelts seien nach Maßgabe der Regelungen über die Höherversicherung (§§ 234, 269 SGB VI) zu berücksichtigen. Für eine Übergangszeit nach der Herstellung der Einheit Deutschlands habe er den Verzicht auf eine Berücksichtigung der über die Beitragsbemessungsgrenze hinausgehenden Beitragszahlungen bei der Bemessung seiner Rente hingenommen. Diese Übergangszeit sei jedoch zum 31.12.1996 abgelaufen. Er begehre deshalb eine Anerkennung der vom Arbeitgeber gezahlten Beiträge als eine der freiwilligen Höherversicherung gleichgestellte Leistung.

Diesen Antrag lehnte die Bg. mit Bescheid vom 29.09.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.1998 ab. Die in Rede stehenden Entgeltteile, die nach erfolgter Hochwertung mittels der Werte der Anlage 10 zum SGB VI auf West-Niveau die allgemeine Beitragsbemessungsgrenze überschritten und nach § 260 Satz 2 SGB VI auf diese zu begrenzen seien, stellten keine Beiträge der Höherversicherung dar. Eine Abgeltung komme danach nicht in Betracht. Auch die beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorliegenden Entscheidungen befassten sich nicht mit der Problematik der Höherversicherung.

Mit der am 14.01.1999 vor dem Sozialgericht Dresden erhobenen Klage machte der Bf. erneut eine Berücksichtigung der von ihm erzielten Entgelte über der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze geltend. Diese Ansprüche seien im Rahmen der Altersversorgung der Intelligenz erworben und seien daher auch der Berechnung der Rente zugrunde zu legen.

Im Hinblick auf die zwischenzeitlich beim BVerfG vorliegenden Verfassungsbeschwerden zur sog. Systementscheidung hatte das Sozialgericht auf die übereinstimmenden Anträge der Beteiligten mit Beschluss vom 15.04.1999 das Ruhen des Verfahrens angeordnet.

Nach Vorlage der Entscheidungen des BVerfG vom 28.04.1999 zum Komplex der "Rentenüberleitung" hat das Sozialgericht auf Antrag der Bg. das ruhende Verfahren wieder aufgenommen und fortgesetzt. Die Bg. geht davon aus, dass nach der Entscheidung des BVerfG ein weiteres Ruhen nicht sachdienlich sei. Ob und ggf. welche Auswirkungen eine eventuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf den Streitgegenstand haben könnte, sei völlig unbestimmt.

Der Bf. begehrte hingegen weiterhin das Ruhen des Verfahrens, weil die Kürzung von Ansprüchen auf die Altersversorgung der Intelligenz als Hauptgrund für seine Klage weiterhin bestehe.

Das Sozialgericht hat den Antrag des Bf. auf ein weiteres Ruhen des Verfahrens mit Beschluss vom 04.01.2001 abgelehnt. Der Antrag sei nach § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 251 Abs. 1 Zivilprozessrecht (ZPO) abzulehnen, da ein entsprechender Antrag der Bg. nicht vorliege. Eine Umdeutung des Begehrens des Bf. in einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach § 114 SGG scheide ebenfalls aus, weil die Voraussetzungen nicht vorlägen.

Gegen den dem Bf. mit Einschreiben vom 10.01.2001 zugestellten Beschluss richtet sich seine am 26.01.2001 beim Sozialgericht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.

Der Bf. könne den ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts nicht widerspruchslos hinnehmen. Er gehe weiterhin davon aus, dass die gegenwärtige Rechtslage nicht dem im Grundgesetz festgeschriebenen Gleichheitsgrundsatz entspreche. Nach seinem Wissen sei gegen die insoweit maßgeblichen Bestimmungen eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig. Ferner habe sich die Bundesregierung mit einem Gesetzentwurf zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes befasst. Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung und einer Entscheidung in Strasbourg bestehe ein Grund für das weitere Ruhen des Verfahrens.

Der Bf. beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts vom 04.01.2001 aufzuheben und das weitere Ruhen des Verfahrens anzuordnen.

Die Bg. beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Ein weiteres Ruhen des Klageverfahrens sei nicht erforderlich, weil sich das BVerfG am 28.04.1999 umfassend zur Problematik der "Rentenüberleitung" und damit auch zur Berücksichtigung der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze nach § 260 SGB VI geäußert habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und auf die beigezogene Verwaltungsakte, die dem Senat vorlagen.

II.

Die form- und fristgerecht beim Sozialgericht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172 Abs. 1, 173 Satz 1 SGG), jedoch nicht begründet.

Zutreffend hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 04.01.2001 den Antrag des Klägers auf ein weiteres Ruhen des Klageverfahrens abgelehnt. Das Sozialgerichtsgesetz enthält zwar zum Ruhen des Verfahrens keine Vorschriften. Über die Verweisungsregelung des § 202 SGG sind aber, soweit das SGG keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, das Gerichtsverfassungsgesetz und die ZPO entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen.

Nach dieser Verweisungsregelung war deshalb auf § 251 ZPO zurückzugreifen. Nach dessen Absatz 1 hat das Gericht das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist. Bereits aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt sich, dass einerseits ein übereinstimmender Antrag beider Prozessbeteiligter für eine Anordnung des Ruhens eines Verfahrens vorliegen muss und andererseits das Ruhen aus einem wichtigen Grund als zweckmäßig anzusehen ist. Damit entscheidet selbst beim Vorliegen übereinstimmender Anträge das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen über die Anordnung des Ruhens.

Zutreffend hat das Sozialgericht festgestellt, dass eine Anordnung des Ruhens des Verfahrens bereits am Nichtvorliegen übereinstimmender Anträge scheitert. Entgegen der Ansicht des Bf. sind neben der Zweckmäßigkeit eines Ruhens die Anträge beider Parteien Prozessvoraussetzung für eine Ruhensanordnung. Ein Ruhen des Verfahrens kann, im Gegensatz zur Aussetzung eines Verfahrens, nicht gegen den Antrag eines Beteiligten erzwungen werden (vgl. Bambach/Lauterbach, ZPO § 251 RdNr. 4).

Zwar hat das Sozialgericht die Anträge der Verfahrensbeteiligten unter verständiger Würdigung ihres Vorbringens auszulegen. Insoweit könnte das Vorbringen des Bf. als Anregung zur Aussetzung des Verfahrens wegen Vorgreiflichkeit (§ 114 SGG) anzusehen sein. Aber auch Gründe für eine Aussetzung des Verfahrens nach § 114 SGG liegen, wie bereits das Sozialgericht im angegriffenen Beschluss mitgeteilt hat, nicht vor.

Nach § 114 SGG kann das Gericht das Verfahren aussetzen, wenn
- die Entscheidung des Rechtsstreits von einem familien- oder erbrechtlichen Verhältnis abhängt, bis dieses Verhältnis in einem Zivilprozess festgestellt wird (Abs. 1),
- die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist (Abs. 2) oder
- sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist (Abs. 3).

Keine der in § 114 SGG genannten Alternativen liegt hier jedoch vor.

Das Gericht muss allerdings das Verfahren in analoger Anwendung des § 114 SGG aussetzen, wenn das BVerfG eine Norm zwar nicht für nichtig, aber für verfassungswidrig erklärt hat (vgl. BSG SozR 1700 § 31 Nr. 1). Aber auch diese Möglichkeit der Aussetzung, auf die der Bf. sinngemäß abzielt, soweit er auf die Gesetzesinitiative zur Zweiten Änderung des AAÜG hinweist, ist vorliegend nicht gegeben. Das BVerfG hat mit dem Leiturteil vom 28.04.1999 zur "Systementscheidung" und zur Zahlbetragsgarantie (1 BvL 32/95 und 1 BvR 2105/95) die Überführung der Ansprüche und Anwartschaften ausschließlich in die gesetzliche Rentenversicherung der Bundesrepublik und damit inzident die Maßgeblichkeit der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze verfassungsrechtlich nicht beanstandet. Es hat lediglich, und nur insoweit ist der Gesetzgeber verpflichtet, verfassungsgemäße Regelungen zu erlassen, mit dem Urteil zu den Verfahren 1 BvL 22/95 und 1 BvL 34/95 die Absenkung des rentenwirksamen Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens im Falle der Zugehörigkeit zu "staats- oder systemnahen" Versorgungssystemen (§ 6 Abs. 2 und 3 AAÜG) wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) für mit dem Grundgesetz unvereinbar gehalten. Von diesen Regelungen ist der Bf. hingegen nicht betroffen, da seine Arbeitsentgelte wegen der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der Intelligenz nach § 6 Abs. 1 AAÜG überführt worden sind. Insoweit kommt auch eine Aussetzung des Verfahrens wegen anstehender gesetzlicher Neuregelungen nicht in Betracht. Auch die vorgesehene gesetzliche Änderung zu § 307 b SGB VI hat auf den Rentenanspruch des Klägers keine Auswirkung und es besteht insoweit kein wichtiger Grund zur Aussetzung des Verfahrens, da es sich beim dem Kläger nicht um einen Bestandsrentner handelt.

Zutreffend hat damit das Sozialgericht sowohl ein weiteres Ruhen des Klageverfahrens als auch inzident eine Aussetzung des Verfahrens abgelehnt. Die Beschwerde blieb im Ganzen ohne Erfolg.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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