L 3 P 8/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 39 P 47/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 P 8/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.12.2002 wird zurückgewiesen. Die Feststellungsklage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte die Pauschgebühren erstatten muss, die dem Kläger im Klageverfahren entstanden sind und nach Abschluss des Berufungsverfahrens entstehen werden.

Seit Januar 1995 war der Beklagte beim Kläger, einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, zu Monatsbeiträgen von zuletzt 102,58 DM privat pflegepflichtversichert. Mit Schreiben vom 23. Juni 1999 kündigte der Beklagte den Pflegeversicherungsvertrag zum 30. Juni 1999 und bot dem Kläger gleichzeitig an, die rückständigen Beiträge für die Monate April bis Juni 1999 in Raten zurückzuzahlen. Im Juli 1999 forderte der Beklagte den Kläger auf, ihm eine "Gesamtabrechnung" zu übersenden, aus der die Höhe der rückständigen Beiträge und eventueller Gutschriften ersichtlich sei. Gleichzeitig behauptete er, ihm seien die Versicherungsbedingungen bei Vertragsabschluss nicht ausgehändigt worden. Die rückständigen Pflegeversicherungsbeiträge i.H.v. 307,74 DM zahlte er in der Folgezeit nicht.

Im März 2001 erwirkte der Kläger beim Amtsgericht (AG) S ... einen Mahnbescheid (Geschäftsnummer: ...), der dem Beklagten am 13. März 2001 zugestellt wurde. Nachdem dieser gegen den Mahnbescheid am 30. März 2001 Widerspruch eingelegt hatte, gab das AG S ... das Verfahren auf Antrag des Klägers an das Sozialgericht (SG) Düsseldorf zur Durchführung des streitigen Verfahrens ab.

Im Klageverfahren machte der Kläger die Pauschgebühr für das sozialgerichtliche Verfahren als Schadensersatz gem. § 286 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geltend. Der Beklagte erkannte die Beitragsforderung i.H.v. 307,74 DM nebst 10,13 DM Zinsen zzgl. 25,00 DM Gerichtskosten für den Mahnbescheid an, ohne den Gesamtbetrag von 342,87 DM zu zahlen.

Mit Gerichtsbescheid vom 12. Dezember 2002 hat das SG den "Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts" abgeändert und den Beklagten verurteilt, an den Kläger 157,34 Euro nebst Jahreszinsen i.H.v. 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz gem. § 1 Diskontsatzüberleitungsgesetz (DÜG) seit dem 13. März 2001 zu zahlen. Außerdem hat es dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Klägers sowie die Kosten des vorangegangen Mahnverfahrens auferlegt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und hierzu ausgeführt, dass der Beklagte nicht verpflichtet sei, dem Kläger die Pauschgebühr für das erstinstanzliche Verfahren zu erstatten. Dies folge aus dem Grundsatz der Gerichtskostenfreiheit, der nicht umgangen werden dürfe, indem die Pauschgebühr dem Beklagten im Wege des Schadensersatzes aufgebürdet werde. Im Übrigen begünstige die Pauschgebühr den Kläger in Leistungsstreitigkeiten, so dass bei ganzheitlicher Betrachtung aller Streitigkeiten für die privaten Pflegeversicherungsunternehmen ein Ausgleich gegeben sei.

Nach Zustellung am 02. Januar 2003 hat der Kläger gegen diese Entscheidung am 14. Januar 2003 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, der der Senat mit Beschluss vom 05. März 2003 stattgegeben hat. Zur Begründung trägt er vor, er führe jährlich ca. 150 bis 200 Beitragsprozesse, aber nur ca. 4 bis 5 Gerichtsverfahren in Leistungsangelegenheiten, so dass von einem "vermeintlichen Ausgleich" keine Rede sein könne. Soweit er in Beitragsangelegenheiten die Pauschgebühr erfolgsunabhängig tragen müsse, sei es wirtschaftlich sinnlos, Beitragsforderungen bis zur Höhe der Pauschgebühr gerichtlich durchzusetzen. Dies verletzte ihn in seinen Grundrechten aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes (GG). Im Übrigen hat er insgesamt 13 Gerichtsentscheidungen in Kopie übersandt, die seine Ansicht stützen.

Der Kläger, der im Termin nicht vertreten war, beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Beklagten unter Abänderung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12. Dezember 2002 zu verurteilen, an ihn weitere 137,22 Euro zu zahlen sowie festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm weitere 225,00 Euro nach Abschluss des Berufungsverfahrens zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen und die weitergehende Klage abzuweisen.

Er behauptet, seinen Verpflichtungen nachgekommen zu sein und lehnt es ab, "eine Nachzahlung gleich welcher Art zu leisten". Außerdem habe es der Kläger versäumt, ihm (aus der privaten Krankenversicherung) "Beitragsrückerstattungen gutzuschreiben".

Der Senat hat den Beteiligten das Senatsurteil vom 06. Dezember 2002, Az.: L 3 P 46/02 zugänglich gemacht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte verwiesen. Beide Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Obwohl der Kläger im Termin nicht vertreten war, konnte der Senat verhandeln und entscheiden, weil er auf diese Möglichkeit in der Ladung hingewiesen worden ist (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Satz 2, 126 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).

Die Berufung ist unbegründet. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger die Pauschge- bühren zu erstatten, die ihm im Klageverfahren entstanden sind und nach Abschluss des Berufungsverfahrens entstehen werden.

Das Sozialgericht hat zu Recht angenommen, dass der Kläger keinen materiell-rechtlichen Anspruch auf Erstattung der Pauschgebühren für das Klageverfahren hat. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus § 8 Abs. 7 der allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegepflichtversicherung (MB/PVV 1995) noch aus §§ 284, 286 BGB a.F. (vgl. Art. 229 § 5 EGBGB), wie der Senat bereits entschieden hat. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest und verweist vollinhaltlich auf die Senatsurteile vom 06. Dezember 2002 (Az.: L 3 P 46/02) und vom 10. März 2003 (Az.: L 3 P 49/02), die sich eingehend und umfassend mit der Rechtslage auseinandersetzen. Auch der 6. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NW) hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2003 (Az.: L 6 P 24/03) entschieden, dass Pauschgebühren nicht zu erstatten sind.

Die (zweitinstanzliche) Feststellungsklage ist jedenfalls unbegründet, weil der Beklagte materiell-rechtlich nicht verpflichtet ist, die Pauschgebühren zu übernehmen, die dem Kläger im Berufungsverfahren originär entstehen. Deswegen fehlt ein festzustellendes Rechtsverhältnis (Senatsurteile, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung des SG ist nicht zu beanstanden. Zu Recht hat es § 193 Abs. 4 Satz 1 SGG in der bis zum 01. Januar 2002 geltenden Fassung (a.F.; Art. 19 Satz 3 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes - 6. SGG-ÄndG - vom 17. August 2001, BGBl. I, 2144 ff.) angewandt. Dies folgt zwar nicht aus Art. 17 des 6. SGG-ÄndG, weil diese Übergangsvorschrift nur bestimmt, nach welchem Recht Gerichtsgebühren zu erheben sind. Dieser Norm kann aber im Umkehrschluss entnommen werden, dass die Kosten(grund)entscheidung nach altem Recht zu treffen ist, wenn die Klage - wie hier - bereits anhängig gewesen ist, bevor die Neuregelung in Kraft trat (BSG, Urteile vom 08. Juli 2002, Az.: B 3 P 3/02 R und vom 11. April 2002, Az.: B 3 P 10/01 R; Senatsbeschluss vom 20. September 2002, L 3 B 11/ 02 P). Da der Beklagte in erster Instanz unterlag, entsprach es billigem Ermessen, ihm die außergerichtlichen Kosten des Klägers (§ 193 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 SGG a.F.) einschließlich der Kosten des vorausgegangen Mahnverfahrens (§ 193 Abs. 1 Satz 2 SGG) aufzuerlegen.

Das SG hat dem Beklagten im Rahmen der Kostengrundentscheidung richtigerweise keine weiteren Gerichtskosten incl. der Pauschgebühr aufgebürdet. Hierfür bietet § 193 Abs. 1 Satz 2 SGG keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage (so aber SG Dortmund, Beschluss vom 15. Juni 1999, Az.: S 39 P 202/98; SG Darmstadt, Gerichtsbescheid vom 16. Dezember 2002, Az.: S 12 P 551/02; SG Neubrandenburg, Beschluss vom 23. Oktober 2002, Az.: S 4 P 9/ 02; Berliner Kommentar, Sozialgerichtsgesetz, 2003, § 193 Rn. 20). Dagegen sprechen schon die Regelungsabsichten und Normvorstellungen des Gesetzgebers. Denn der Grundsatz der Kostenfreiheit und die in den Gesetzgebungsmaterialien zu § 193 Abs. 1 Satz 2 SGG zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wille zeigen, dass diese Vorschrift allein die Entscheidung über die Kosten des Mahnverfahrens meint. Bereits in dem von Baden-Württemberg im Bundesrat eingebrachten Entwurf eines 5. Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes wurde davon ausgegangen, dass mit der Neuregelung nur die "relativ geringen Kosten des Mahnver- fahrens" von demjenigen zu tragen seien, der im Rechtsstreit unterliege (BR-Drs. 789/97, Seite 2). Diesen klaren Hinweis enthält auch der Gesetzentwurf des Bundesrates (BR-Drs. 13/ 9609). Darüber hinaus erklärt der in den Bundesrat eingebrachte Entwurf des Landes Baden-Württemberg den Grundsatz der Kostenfreiheit (§ 183 a.F. SGG) ausdrücklich hinsichtlich der "Kosten des Mahnverfahrens" - also nicht auch bezüglich weiterer Gerichtskosten - für unanwendbar (BR-Drs. 789/97, Seite 11). Der Entwurf des Bundesrates macht dies noch deutlicher. Hier wird ausgeführt, das Gericht sei nach der Neufassung des § 193 Abs. 1 SGG verpflichtet, im Urteil auch über die Frage zu entscheiden, welcher Beteiligte Kosten "eines vorangegangen Mahnverfahrens" zu tragen habe. Die "in jenem Verfahren" entstandenen Gerichtskosten seien grundsätzlich dem im Rechtsstreit unterlegenen Beteiligten aufzuerlegen (BT-Drs. 13/9609, Begründung B. 5. zu Nummer 5). Diese Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren belegen deutlich, dass mit den Worten "Gerichtskosten" in § 193 Abs. 1 Satz 2 SGG lediglich die Gerichtskosten des Mahnverfahrens gemeint waren (LSG NW, Urteil vom 24. Juni 2003, Az.: L 6 P 24/03).

Ob die Pauschgebühren zu den Aufwendungen iSd. § 193 Abs. 2 SGG gehören, die "zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung" des Klägers notwendig waren (so Bayerisches LSG, Beschluss vom 12. Dezember 2002, L 4 B 83/02 P und ihm folgend LSG Brandenburg, Urteil vom 07. Juli 2003, Az.: L 9 P 4/03), muss der Senat offen lassen. Denn es handelt sich hierbei um eine Frage der Kostenfestsetzung (§ 197 Abs. 1 SGG), über die das Sozialgericht gem. § 197 Abs. 2 SGG endgültig entscheidet. Der Senat ist insofern unzuständig (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. 2002, § 193 Rn. 7 und § 197 Rn. 10; Zeihe, SGG, 7. Aufl. 2000, § 193 Rn. 12).

Ob § 184 Abs. 1 SGG verfassungswidrig ist, weil er den Kläger erfolgsunabhängig verpflichtet, Pauschgebühren zu zahlen, lässt der Senat ebenfalls offen. Wäre die Vorschrift nämlich verfassungswidrig, dann würde eine Überwälzung dieser - dann verfassungswidrig - erhobenen Pauschgebühr auf den Versicherten erst Recht ausscheiden. Folglich kann der Kläger seine verfassungsrechtlichen Argumente gegen § 184 Abs. 1 SGG nur im Festsetzungsverfahren nach § 189 SGG geltend machen.

Dass (verfassungsgemäß erhobene) Pauschgebühren in Beitragsstreitigkeiten auf den Versicherten nicht überwälzt werden können, verstößt weder gegen die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) noch gegen das verfassungsrechtliche Gebot des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (so aber: SG Dortmund Urteil vom 21. Juni 2002, Az.: S 39 P 64/01, VersR 2002, 1270, 1271; SG Gotha, Urteil vom 29. August 2002, Az.: S 16 P 571/02; SG Neubrandenburg, Beschluss vom 23. Oktober 2002, Az.: S 4 P 9/02; SG Darmstadt, Gerichtsbescheid vom 16. Dezember 2002, Az.: S 12 P 551/02; ausdrücklich offengelassen Bayerisches LSG, Beschluss vom 12. Dezember 2002, Az.: L 4 B 83/02 P und LSG Brandenburg, Urteil vom 07. Juli 2003, Az.: L 9 P 4/03). Im Kern rügt der Kläger damit ein gesetzgeberisches Unterlassen, nämlich den Umstand, dass es der Gesetzgeber in Beitragsstreitigkeiten versäumt habe, eine Regressnorm für die Pauschgebühr zu schaffen.

Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich aber keinesfalls verpflichtet, in Beitragsstreitigkeiten Regelungen zum Ausgleich der Pauschgebühr zwischen privaten Pflegeversicherungsunter- nehmen und säumigen Beitragszahlern zu erlassen. Einen ausdrücklichen Auftrag, eine solche Bestimmung zu schaffen, enthält das Grundgesetz nicht. Eine entsprechende Gesetzgebungspflicht lässt sich auch nicht im Wege der Verfassungsinterpretation aus einer in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG oder Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG enthaltenen Grundentscheidung herleiten. Voraussetzung ist nämlich, dass die Handlungspflicht tatbestandsmäßig so konkret bestimmbar ist, dass sich daraus eine bestimmte Rechtsfolge ableiten lässt, die nicht in den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers eingreift (Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, § 73 III 7 d). Der Erlass einer "Pauschgebührenregressnorm" in Beitragsangelegenheiten hängt von sozial- und haushaltspolitischen Erwägungen sowie von wirtschaftlichen Überlegungen ab, die sich richterlicher Überprüfung entziehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 26. Mai 1998, Az.: 1 BvR 180/88; Stern, a.a.O.). Über sie hat allein der Gesetzgeber zu entscheiden. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers beim Ausgleich der Pauschgebühren in Beitragsangelegenheiten derart verengt haben könnte, dass verfassungsrechtlich nur die Überwälzung dieser Gebühr auf den säumigen Beitragszahler in Betracht käme. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass eine Aussetzung des Berufungsverfahrens und eine (Richter-)Vorlage an das Bundesverfassungsgericht in Fällen des gesetzgeberischen Unterlassens schon nach dem Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG nicht in Betracht kommen (vgl. hierzu im Einzelnen: Schenke, Rechtschutz gegen das Unterlassen von Rechtsnormen, Verw.Arch. Bd. 82 (1991), 307, 319 ff.).

Die Kostenentscheidung im Berufungsverfahren beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Streitsache grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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