L 6 B 99/00 KN

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 7 KN 474/97 U
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 B 99/00 KN
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 06.09.2000 aufgehoben. Die Sache wird an das Sozialgericht Chemnitz zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Beschwerde richtet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes, ersatzweiser Androhung von Ordnungshaft sowie die Auferlegung von Kosten.

Im Hauptsacheverfahren streiten die Beteiligten um die Verrechnung eines Nachzahlungsbetrages aus Unfall-Hinterbliebenenrente mit einer Überzahlung bei der großen Witwenrente. Ferner macht die Beschwerdeführerin (Bf.) Zins- und Ersatzansprüche geltend.

Das Sozialgericht (SG) Chemnitz hat Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 29.03.1999 anberaumt und hierzu das persönliche Erscheinen der Beschwerdeführerin (Bf.) angeordnet. Auf Antrag des Prozessbevollmächtigten der Bf. wurde dieser Termin verlegt auf den 10.05.1999. Es verblieb bei der Anordnung des persönlichen Erscheinens. Zu diesem Termin erschien die Bf. nicht. Das SG vertagte die Sitzung, um die Bf. persönlich anzuhören. Ein im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 10.05.1999 vom Klägerbevollmächtigten gestellter Antrag auf Ablehnung der Vorsitzenden der 7. Kammer des SG Chemnitz blieb erfolglos (Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichts - LSG - vom 07.07.1999; Az. L 5 Ar 49/99 KN).

Neuer Termin zur mündlichen Verhandlung war der 31.08.2000. Die Ladung zu diesem Termin sowie die Mitteilung über die Anordnung ihres persönlichen Erscheinenes erhielt die Bf. mit PZU am 05.08.2000. Auch zu diesem Termin ist die Bf. nicht erschienen. Ihr Prozessbevollmächtigter überreichte in der Sitzung ein von der Bf. unterzeichnetes Schreiben, in dem sie erklärte, dass sie zu der Verhandlung ihren Prozessbevollmächtigten und Schwiegersohn als Vertreter entsende. Er sei von Anbeginn in der Gesamtsache mit der Beklagten bevollmächtigt gewesen, habe als solcher für sie gehandelt und sei auch vergleichsbefugt. Das SG fasste nach geheimer Beratung den Beschluss, dass die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen die trotz Ladung nicht erschienene Klägerin der Vorsitzenden vorbehalten bleibe, wenn die Bf. ihr Ausbleiben nicht ausreichend entschuldige. Der Rechtsstreit wurde vertagt.

Am 04.09.2000 ging beim Sozialgericht ein Schriftsatz des Klägervertreters vom 31.08.2000 ein, mit dem er erneut die Richterin am SG Meiß wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnte. Die neuerliche Vertagung am 31.08.2000 sei unbegründet und verstoße gegen den Grundsatz des zu gewährenden Rechtsschutzes. Die Vorsitzende der 7. Kammer des SG Chemnitz sei erkenntlich getragen von neuerlicher Klägerinbenachteiligung. Sie habe sich in Rechtsirrtümer verrannt und ihre richterliche Unabhängigkeit verloren. Der Klägervertreter bat im Ablehnungsverfahren um Beiziehung der Akte L 5 Ar 49/99 KN.

Mit Beschluss vom 06.09.2000 erlegte die Vorsitzende der 7. Kammer des SG Chemnitz der Bf. die durch ihr Ausbleiben am 31.08.2000 verursachten Kosten auf. Zugleich wurde gegen die Bf. ein Ordnungsgeld in Höhe von 300 DM (und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft von 3 Tagen) festgesetzt. Der dagegen erhobenen Beschwerde half die Vorsitzende gemäß Verfügung vom 21.09.2000 nicht ab und legte das Verfahren dem Sächsischen LSG zur Entscheidung vor.

II.

Die statthafte und zulässige (§§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) Beschwerde ist bereits deshalb begründet, weil eine wirksame Festsetzung eines Ordnungsgeldes bzw eine wirksame Auferlegung von Kosten wegen Verstoßes gegen § 47 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht vorliegt. Der angegriffene Beschluss des SG ist daher in vollem Umfang aufzuheben.

Mit Schriftsatz vom 31.08.2000, eingegangen beim SG Chemnitz am 04.09.2000, lehnte der Klägervertreter Richterin am SG Meiß wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Gemäß § 202 SGG i. V. m. § 47 ZPO hat ein abgelehnter Richter vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten. Nur wirklich unaufschiebbare Handlungen bleiben bei der Befangenheitsablehnung wirksam, auch wenn die Ablehnung erfolgreich ist (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 47 Rn. 2). Weder die Verhängung eines Ordnungsgeldes oder die Auferlegung von Kosten noch die Nichtabhilfeentscheidung zu einer dagegen gerichteten Beschwerde gehören zu den unaufschiebbaren Handlungen im Sinne des § 47 ZPO. Vor der möglichen Entscheidung über die Festsetzung von Ordnungsmitteln muss zunächst das Ablehnungsgesuch erledigt werden.

Der verfahrensfehlerhaft ergangene Beschluss ist aufzuheben; das Verfahren wird gemäß § 202 SGG i. V. m. § 575 ZPO an das SG zurückverwiesen. Von der Möglichkeit, eine eigene Sachentscheidung zu treffen (vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 13.07.1998, Az. L 1 B 22/98 U, E-LSG B-127; Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Band II, 4. Aufl., Stand 01/2000, § 172 Anm. 37) sieht der Senat ab, da es sich bei dem Verstoß gegen § 47 ZPO um einen wesentlichen Verfahrensmangel handelt.

Bei einer erneuten Entscheidung über die Festsetzung eines Ordnungsgeldes wird das SG folgendes zu beachten haben (vgl. Peters/Sautter/Wolf, a. a. O., Rn. 39: Im Falle der Zurückverweisung sind dem SG die erforderlichen Anweisungen für eine neue Entscheidung zu geben):

Bleibt eine Partei trotz der Anordnung des persönlichen Erscheinens im Termin aus, so kann gegen sie ein Ordnungsgeld festgesetzt werden, § 202 SGG i. V. m. § 141 Abs. 3 ZPO. Die Entscheidung über die Festsetzung eines Ordnungsgeldes trifft nach herrschender Meinung nicht der Vorsitzende allein, sondern das Gericht unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (so bereits Bayer. LSG, Breithaupt 1967, S. 1064 ff, 1065; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Breithaupt 1991, S. 789 ff, 791; Thüringer LSG, Beschluss vom 13.07.1998, L 1 B 22/98 U, E-LSG B-127; Sächs. LSG, Beschluss vom 28.04.1999, L 1 B 38/97 KR, E-LSG B-155; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl., § 111 Rn. 6b). Auch eine Nichtabhilfeentscheidung setzt die Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter voraus (s. Sächs. LSG, a. a. O.). Ein Beschluss, wonach die Entscheidung über die Verhängung eines Ordnungsgeldes der Vorsitzenden vorbehalten bleibt, genügt diesen Anforderungen nicht.

Die Verhängung eines Ordnungsgeldes kommt dann nicht in Betracht, wenn die Partei zur Verhandlung einen nach § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO orientierten Vertreter entsendet. Das kann auch der Prozessbevollmächtigte sein (vgl. Zeihe, SGG, 7. Aufl., Stand 01.09.2000, § 111 Rn. 7a unter Hinweis auf OLG Düsseldorf, MDR 1963, S. 602). Nur wenn der entsandte Vertreter nicht umfassend informiert oder bevollmächtigt ist, genügt er den Anforderungen des § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO nicht mit der Folge, dass die Partei als nicht erschienen zu behandeln ist (Thomas-Putzo, ZPO, § 141 Rn. 4). Zu dem Termin am 31.08.2000 erschien die Bf. nicht persönlich, sondern entsandte ihren Schwiegersohn als Vertreter, der gleichzeitig auch ihr Prozessbevollmächtigter ist. Sollte das SG der Auffassung sein, dass der Vetreter nicht den Anforderungen des § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO genügte, so dass die Bf. als nicht erschienen anzusehen war, so muss es diese Auffassung in dem Beschluss begründen.

Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes steht im Ermessen des Gerichts. Die Begründung eines Ordnungsgeldbeschlusses muss die Ermessenserwägungen zum Grund der Festsetzung und zur Höhe des Ordnungsgeldes enthalten (siehe LSG Nordrhein-Westfalen, Breithaupt 1997, S. 921 ff., 922; Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl., § 141 Rn. 12; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 58. Aufl., § 141 Rn. 38).

Eine für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, ersatzweise Androhung von Ordnungshaft kommt nicht in Betracht. Nach § 202 SGG i. V. m. § 141 Abs. 3 ZPO kann gegen eine im Termin ausbleibende Partei "Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen" festgesetzt werden. Bereits diese ausschließliche Bezugnahme auf die Möglichkeit des Ordnungsgeldes macht unmissverständlich deutlich, dass die darüber hinausgehende Festsetzung einer ersatzweisen Ordnungshaft schlechthin ausscheidet (so auch Sächsisches LSG, a. a. O. unter Hinweis auf OVG Lüneburg, SchlHA 1991, 100; OLG Köln, NJW 1992, 1999; OLG Düsseldorf, OLGZ 1994, 576; LAG Rheinland-Pfalz, OLGZ 1993, 362; vgl. auch Zeihe a. a. O.; Thomas/Putzo, a. a. O., § 141 Rn. 5). Die Auferlegung der Kosten ist ebenfalls kein Ordnungsmittel i. S. v. § 141 Abs. 3 ZPO und deshalb gleichfalls unzulässig (vgl. Thomas/Putzo, a. a. O.). Insoweit kommt unter den Voraussetzungen des § 192 SGG die Auferlegung von Mutwillenskosten in Betracht (Zeihe, a. a. O.).

Diese Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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