Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 7 KN 375/97 U
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 KN 18/99 U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 12. Februar 1999 aufgehoben.
II. Der Bescheid der Beklagten vom 05.05.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.1997 wird aufgehoben.
III. Die Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid vom 15.09.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.1995 zurückzunehmen und dem Kläger Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit nach Ziffer 2103 der Anlage zur BeKV nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v.H. ab dem 07.05.1993 zu bewilligen.
IV. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits für beide Instanzen zu erstatten.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2103 Berufskrankheitenverordnung BeKV.
Der am ... geborene Kläger war während seiner Berufstätigkeit als Berglehrling und als Hauer unter Tage beim M ... Kupfererzbergbau sowie bei der SDAG Wismut - Jugendbergbaubetrieb K ... - über einen Zeitraum von über 26 Jahren gegenüber Teilkörperschwingungen mit einer Beurteilungsschwingstärke von mehr als 16,2 m/s² im Sinne einer BK 2103/2104/54 exponiert. Die Exposition dauerte auch noch an, nachdem OMR Dr. med. T ... am 11.05.1993 bei der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit erstattet hatte. Die Anzeige bezog sich auf die Berufskrankheiten der Listen-Nr. 2103 und 2104. Das Verfahren wegen der Berufskrankheit nach der Listen-Nr. 2104 endete mit bestandskräftigem Ablehnungsbescheid vom 12.05.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.11.1995, nachdem der Kläger den Rechtsstreit vor dem Sozialgericht (SG) Chemnitz (Az.: S 14 Kn 317/95 U) im Vergleich vom 11.09.1996 für erledigt erklärt hatte. In diesem Vergleich hatte sich die Beklagte verpflichtet, das Vorliegen einer BK 2103 noch einmal zu überprüfen. Das in jenem Rechtsstreit eingeholte Gutachten des Prof. D ... vom 26.07.1996 verneinte zwar eine BK der Listen-Nr. 2104, ergab jedoch Anhaltspunkte, dass eine BK der Listen-Nr. 2103 vorliegen könnte.
Zum Zeitpunkt des Vergleichs war das die BK 2103 betreffende Verwaltungsverfahren bereits mit bestandskräftigem Widerspruchsbescheid vom 20.02.1995 abgeschlossen gewesen. In diesem Widerspruchsbescheid war der Ablehnungsbescheid vom 15.09.1994 bestätigt worden, in welchem die Beklagte dem Ratschlag von Dr. O ... und von Dr. N ... (Sächsisches Landesinstitut für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin), eine Berufskrankheit nach der Listen-Nr. 2103 nicht anzuerkennen, gefolgt war. Den beiden Stellungnahmen hatte ein Gutachten des Prof. F ... (Orthopädische Universitätsklinik C ... G ... C ..., D ...) vom 08.03.1994 vorgelegen, welches im Auftrag der Beklagten erstattet worden war. Dr. O ... und Dr. N ... befürworteten allerdings übereinstimmend Maßnahmen nach § 3 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 BeKV (Arbeitsplatzwechsel), welche jedoch von der Beklagten dann nicht eingeleitet wurden. Das Gutachten von Prof. F ... kam zum Ergebnis, dass der Kläger durch die Folgen der Berufskrankheit der Listen-Nr. 2103 seit September 1992 in seiner Erwerbsfähigkeit um 20 % gemindert sei. Grund sei eine beginnende Arthrose beider Ellenbogengelenke. Außerdem leide der Kläger - was allerdings für die Berufskrankheit nicht relevant sei - an einer chronischen Insertionstendopathie beider Schultergelenke, rechts mehr als links.
Auf Grund der im Termin vom 11.09.1996 gemachten Zusage, die Ablehnung der BK Nr. 2103 insbesondere unter Berücksichtigung des Gutachtens Prof. D ... vom 26.07.1996 zu überprüfen, legte die Beklagte die Akten noch einmal Dr. O ... vor. Dieser wiederholte in einer kurzen Stellungnahme vom 04.11.1996 seine Einschätzung, dass bei dem Kläger keine ausreichend BK-suspekten Befunde an den Armgelenken bestünden. Die im Gutachten von Prof. D ... beschriebenen degenerativen Veränderungen könne er nicht erkennen bzw. sie seien so diskret, dass ihnen unter Berücksichtigung des Alters des Klägers keine entsprechende Relevanz beizumessen sei. Die zweifelsfrei vorhandenen degenerativen Veränderungen in den Fingergelenken seien ebenfalls ein Indiz für einen altersbedingten, also vorwiegend endogenen Prozess. In den Schultergelenken leide der Kläger an einem Rotatorenmanschettensyndrom und an den Ellenbogengelenken eher an einer Epicondylitis als an einem degenerativen Gelenksprozess. Es seien also nach wie vor keine BK-relevanten Befunde festzustellen. Daraufhin wurde ein weiteres Gutachten bei Prof. N ..., Göttingen, in Auftrag gegeben. In diesem Gutachten wurden jetzt erstmals Maßnahmen nach § 3 BeKV auch ärztlicherseits nicht mehr für erforderlich gehalten. Die Ablehnung einer Berufskrankheit der Listen-Nr. 2103 begründete Prof. Nyga damit, dass die beim Kläger erhobenen Befunde an den oberen Extremitäten "nicht altersüberschreitend" seien.
Mit Bescheid vom 05.05.1997 lehnte daraufhin die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 15.09.1994 in Form des Widerspruchsbescheides vom 20.02.1995 ab. Die Voraussetzungen des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) lägen nicht vor, denn die genannten Bescheide seien nicht rechtswidrig. Nach den Gutachten des Herrn Prof. Dr. N ..., Göttingen, seien Veränderungen im Sinne einer BK Nr. 2103 an den Schultereck-, Ellenbogen- und Handgelenken weder röntgenologisch noch klinisch zu objektivieren. An beiden Ellenbogengelenken fänden sich nur geringe Verschleißerscheinungen und keine Funktionseinschränkungen. Der Widerspruch des Klägers vom 29.05.1997 wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 11.08.1997 als unbegründet zurückgewiesen. Der Widerspruchsbescheid wurde auf eine gutachterliche Stellungnahme des Arztes für Arbeitsmedizin Dr. M ... gestützt, welcher um eine zusammenfassende Beurteilung der bisherigen Gutachten und medizinischen Äußerungen gebeten worden war und in einer ½-seitigen Stellungnahme zu der Auffassung gelangte, die von den Gutachtern der Orthopädischen Klinik Dresden festgestellten diskreten Veränderungen an den Ellenbogen-, Schultereck- und Handgelenken würden hinsichtlich der beruflichen Verursachung überbewertet. Tatsächlich seien diese Veränderungen altersentsprechend.
Auf die Klage zum SG Chemnitz hat dieses nochmals Beweis erhoben, und zwar durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens von Dr. P ..., Oberarzt im Klinikum Hof. Dr. P ... bejahte eine Quasi-Berufskrankheit mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 15 %, legte jedoch nicht dar, welche neuen medizinischen Erkenntnisse die Einführung einer neuen Berufskrankheit erforderlich machten. Eine BK 2103 hatte auch Dr. P ... abgelehnt, da nach den Röntgenbefunden der Gelenke der oberen Extremitäten lediglich von geringgradigen Veränderungen im Sinne einer Arthrosis deformans auszugehen sei.
Das SG hat daraufhin mit Urteil vom 12.02.1999 die Klage abgewiesen. Es liege schon kein Versicherungsfall vor, denn die MdE sei mit unter 10 v. H. anzusetzen. Dies ergebe sich nach der MdE-Erfahrungswerte-Übersicht für eine endgradige Bewegungseinschränkung der Ellenbogengelenke. Auch eine leichte Bewegungseinschränkung im Schultergelenk könne nur mit einer MdE unter 10 v. H. bewertet werden.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 01.04.1999. Der Kläger sei noch bis zum 31.12.1998 bei der Rechtsnachfolgerin der SDAG Wismut tätig und somit über insgesamt 32,8 Jahre Teilkörperschwingungen ausgesetzt gewesen. Erst jetzt habe man erfahren, dass auch die beratenden Ärzte der Beklagten wie Prof. F ... eine Umsetzung für erforderlich gehalten hätten. Gleichwohl sei ein Arbeitsplatzwechsel nicht verfügt worden. Die Empfehlungen der Ärzte wiesen darauf hin, dass auch damals schon degenerative Veränderungen - wie hoch auch immer - nachweisbar gewesen seien. Denn sonst hätte diese Empfehlung ja gar keinen Sinn gegeben. Was die späteren Einschätzungen angehe, so sei für den Kläger das Gutachten des Orthopäden Prof. D ... aussagekräftiger als die Gutachten von Chirurgen. Es werde angeregt, ein weiteres fachorthopädisches Gutachten einzuholen. Auf den Antrag des Klägers wurde Prof. D ... gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragt, ein solches Gutachten zu erstellen.
In dem Gutachten vom 19.09.2000 werden noch einmal die BK-relevanten Beschwerden zusammengefasst: Seit ca. 1990 habe der Kläger zunehmende Schultergelenksbeschwerden, links stärker als rechts. Die Bewegung sei eingeschränkt, das Heben der Arme über die Horizontale sei problematisch und eine grobe Kraftentfaltung ohnehin. Ellenbogengelenkbeschwerden habe er schon davor gehabt. Die Schmerzen beträfen die gesamte Gelenkzirkumferenz, nicht etwa nur die Epikondylen. Schlagende Bewegungen und auch grobe Kraftentfaltungen könne der Kläger nicht mehr realisieren. Die Schmerzen im Handwurzelbereich seien mittlerweile stärker als in den Fingergelenken. Auch habe er oft lokale Kreuzschmerzen, vor allem bei Anteversionsbelastung. Prof. D ... kommt zu folgenden Diagnosen:
1. Leichte acromioclavikulare und humeroscapulare Arthrose beiderseits. 2. Ellenbogengelenksarthrose beiderseits. Leichte Handgelenksarthrose beiderseits. 3. Arthrose in den Fingergrundgelenken III rechts sowie II bis IV links. 4. Lokales zervikales vertebragenes Schmerzsyndrom bei progredienten degenerativen Veränderungen C 5/6. 5. Lokales lumbales vertebragenes Schmerzsyndrom.
Charakteristisch sei die Ausbreitung der Erkrankung: Zunächst seien Schmerzen in den Ellenbogengelenken aufgetreten, danach in den Schultergelenken und schließlich auch in den Handgelenken. Die Arthrose der Acromioclavikulargelenke sei ein Leitsymptom bei einer Arthropathie auf der Basis der Teilkörpervibration. Die Symptomatik an den Schultergelenken sei keineswegs auf ein Rotatorenmanschettensyndrom zurückzuführen. Auch sei die Symptomatik an den Ellenbogengelenken nicht mit einer Epicondylitis zu erklären. Röntgenologisch nachweisbar seien degenerative Veränderungen an all jenen Gelenken der oberen Extremitäten, die beim Auftreten einer BK 2103 degenerative Veränderungen aufweisen. Die Funktionseinschränkungen im Gebrauchswert der Arme bestünden darin, dass der Kläger zahlreiche Tätigkeiten nicht mehr oder nicht mit entsprechender Häufigkeit realisieren könne. So sei die grobe Kraftentfaltung in den Armen gemindert, insbesondere bei schlagenden Bewegungen komme es zur Schmerzprovokation. Auch sei das feste Zufassen behindert, ebenso wie repetierendes Pro- oder Supinieren. Nicht ein Einzelgelenk gebe den entscheidenden Ausschlag für die Minderung der Beweglichkeit und der Beanspruchbarkeit der beiden Arme, vielmehr mache die Summe sämtlicher betroffener Gelenke an beiden Armen und die dadurch ausgelösten schmerzbedingten Belastungseinschränkungen den Charakter der BK 2103 aus. Eine altersentsprechende Arthrose gebe es an den Acromioclavikulargelenken ebenso wenig wie an den Ellenbogen-, Hand- und Humeroscapulargelenken. Beginn der Berufskrankheit sei die Meldung durch den behandelnden Arzt im Jahre 1993, die MdE betrage 20 %.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 12.02.1999 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.05.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.1997 zu verpflichten, den Bescheid vom 15.09.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.1995 gemäß § 44 Abs. 1 SGB X zurückzunehmen und beim Kläger die Erkrankungen der Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenke als Berufskrankheit im Sinne der BK nach Listen-Nr. 2103 BeKV anzuerkennen und eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. der Vollrente beginnend ab dem 07.05.1993 zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 12.02.1999 zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass auch das Gutachten von Prof. D ... die Anerkennung einer Berufskrankheit nicht rechtfertige. Die leichten Arthrosezeichen seien keine dem Alter vorauseilenden vorzeitigen Verschleißerscheinungen. Auch sei kein im Vergleich zu anderen Körpergelenken vermehrter Verschleißprozess an den durch die Teilkörpervibration betroffenen Gelenken zu beobachten und nur solch ein Befund sei als BK anzuerkennen und zu entschädigen. Beim Kläger seien progrediente Arthrosezeichen an der Halswirbelsäule zu beobachten und die rezidivierenden Beschwerden in den Sprunggelenken seien auf eine Hyperurikämie zurückzuführen. Diese konkurrierenden Ursachen seien aber zu berücksichtigen. Schließlich verursachten die nur leichten Bewegungseinschränkungen keine MdE im rentenberechtigenden Grade.
Dem Senat liegen neben den Verwaltungsakten der Beklagten die Gerichtsakten beider Instanzen vor sowie die beigezogenen Akten des SG Chemnitz (Az.: S 14 Kn 317/95 U, S 14 Kn 480/96 U, S 14 KN 130/97 U).
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist auch begründet. Die beim Kläger bestehenden Erkrankungen der Acromioclavikular-, Humeroscapular-, Ellenbogen-, Hand- und Fingergelenke sind "Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeiten mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen" im Sinne der BK 2103. Der Senat stützt sich auf das Gutachten des Prof. D ... vom 19.09.2000. Röntgenologisch gibt es keine für Pressluftschäden spezifische Veränderungen. Sie entsprechen vielmehr dem Bild einer Arthrosis deformans bzw. Osteochondrosis dissecans. Es sind dann za- ckige oder spornartige Knochenwucherungen, Deformierungen an den Gelenkflächen, freie Gelenkkörper als Folge von Knorpelzerstörung an den Gelenken sowie Kalk- oder Knocheneinlagerungen in der Gegend der Ansatzstelle der Gelenkkapseln oder der Muskeln nachweisbar (vgl. Merkblatt zur BK Nr. 25 der Anlage 1 zur 7. BKVO, Bekanntmachung des BMA vom 18.02.1963, BArbBl. Fachteil Arbeitsschutz 1963, 21 f.). Zum klinischen Bild gehören neben örtlichen Ermüdungserscheinungen Kraftlosigkeit, Schmerzen bei Arbeitsbeginn und in der Ruhe, Druck und Bewegungsbehinderung (a.a.O.).
Sowohl vom klinischen Bild her als auch röntgenologisch passen die Befunde also zur BK 2103. Die lokalen Schmerzen sprechen - wie Prof. D ... überzeugend nachgewiesen hat - gegen Tendinosen. Kraftlosigkeit (beispielsweise beim Faustschluss) und Bewegungsbehinderung liegt bei dem Kläger ebenso vor. An den Acromioclavikulargelenken zeigen sich spitzzipfelige Ausziehungen, links eine Pseudozyste. Kantenausziehungen sind auch an den Humeroscapulargelenken festzustellen. Spitzzipfelige Ausziehungen der Gelenkumschlagskanten wurden (rechts deutlicher als links) auch bei den Ellenbogengelenken beobachtet. Ein im Vergleich zu anderen Körpergelenken vermehrter Verschleißprozess ist also entgegen der Ansicht der Beklagten sehr wohl zu beobachten. Eine Arthrose der Hüft- und Kniegelenke ist nicht beschrieben. Auch besteht dort keine Beschwerdesymptomatik.
Die bloße Behauptung, es handele sich bei den BK-relevanten Befunden um altersbedingte Prozesse, die zudem auch noch deswegen als "endogen bedingt" eingestuft werden (so Dr. O ..., B 193), ist aus mehreren Gründen nicht geeignet, die Feststellung einer Berufskrankheit zu widerlegen. So sind schon alle altersbedingten Prozesse ein Resultat von exogener wie endogener Bedingtheit: Bei fälschlicherweise "Abnutzungserscheinungen" genannten Degenerationserscheinungen handelt es sich um (endogene) Reaktionen des Körpers auf eine (exogene) Belastung. Solche Anpassungsprozesse können produktiv, aber auch kontraproduktiv sein. Letztlich wird sich in fast keinem Fall auf naturwissenschaftlicher Ebene eine ganz bedeutende Mitverursachung solcher Prozesse durch das, was ein Mensch sein Leben lang gemacht hat, und das ist in der Regel die Arbeit, verneinen lassen. Primäre Arthrose an den einschlägigen Gelenken ist also immer schon dann Berufskrankheit, wenn - wie hier - eine ausreichende Exposition vorlag. Dem Berufskrankheitenrecht ist es eigen, dass der konkrete Nachweis einer lückenlosen Kausalität, der in der Praxis ohnehin kaum möglich sein dürfte, durch die mit dem Listenprinzip eingeführte normative Kausalität ersetzt wird. Dies heißt, dass ein Kausalzusammenhang dann fingiert wird, wenn eine typische Belastung vorgelegen hat, die abstrakt geeignet ist, einen entsprechenden - listenmäßig erfassten - Schaden zu verursachen und wenn dieser Schaden vorliegt. Differenzialdiagnostisch ist dann lediglich die sekundäre Arthrose auszuschließen (vgl. Pschyrembel, 258. Auflage, S. 126, dysplastische Zustände, Subluxationen, Luxationen, Folgezustände von Wachstumsstörungen oder auch erworbene Gelenkdeformierung durch entzündliche Erkrankungen, rheumatische Gelenkleiden oder regelrechte Gelenktraumen) - dergleichen wurde beim Kläger nie diagnostiziert und auch nie in das Verfahren eingeführt.
Der Überlastungsschaden (primäre Arthrose) an den Hand-, Ellenbogen- und Schulter- sowie Schlüsselbeingelenken ist daher Berufskrankheit. Die Beklagte war daher zur Entschädigung zu verurteilen.
Die MdE wurde von Prof. D ... mit 20 v.H. korrekt festgesetzt. Dagegen greifen die Einwände der Beklagten nicht durch. Insbesondere reicht es nicht aus, im Rahmen der Minderung der Erwerbsfähigkeit lediglich auf die Einschränkung der passiven Beweglichkeit abzustellen. Gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII richtet sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Dass und in welchem Umfang Verletztenrenten im Einzelnen auch dem Ersatz immaterieller Schäden dienen, war bis zum Inkrafttreten des RRG 1992 gesetzlich nicht ausdrücklich bestimmt und in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Während das Bundesarbeitsgericht die Ansicht vertrat, die Verletztenrente diene nicht allein dem Ausgleich des Verdienstausfalles, sondern der Entschädigung aller Auswirkungen eines Unfalls, neben unfallbedingtem Mehraufwand auch dem Ausgleich immaterieller Schäden, erhöhter Anstrengung und Verdienstminderungen (BAG VersR 1988, 973, 974, BAGE 43, 161, 170; 43, 173, 181), verneinte der Bundesgerichtshof eine Konkurrenz zwischen Verletztenrente und Schmerzensgeldanspruch; sachliche und zeitliche Deckungsgleichheit liege nicht vor, d.h. der Schadensersatzanspruch und die Leistung aus der Sozialversicherung dienten insoweit nicht dem Ausgleich eines Schadens gleicher Art; sozialversicherungsrechtlich sei ein Ausgleich für Einbußen nicht vermögensrechtlicher Art nicht vorgesehen (vgl. BGH VersR 1970, 1053, 1054; BG 1982, 704 f.). Der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts vertrat im Hinblick darauf, dass bei geringen MdE-Graden (leichten dauerhaften Verletzungen) der Verletztenrente in der Regel keine Verdienstminderung gegenüberstehe und auch in mittelschweren Fällen die Verdienstminderung regelmäßig nicht ins Gewicht falle, die Ansicht, dass die Verletztenrente "unter den gegenwärtigen Verhältnissen bei leichten und mittelschweren Unfällen ein entgangenes Schmerzensgeld aufwiegt" (vgl. BVerfGE 34, 118, 132 f.). Darüber hinaus werde durch den mit dem RRG 1992 eingeführten, an die MdE gekoppelten Freibetrag im Rahmen des § 93 Abs. 2 SGB VI "nunmehr nicht nur bei leichter Verletzten, sondern auch bei Schwerstverletzten zumindest ein Teil des immateriellen Schadens und nicht nur der Verdientsausfall durch die Gesamtrente ausgeglichen (vgl. Kammerbeschluss vom 08. Februar 1995, BVerfG SozR 3 2200 § 636 RVO Nr. 1). Mit der Bezugnahme auf die BVG-Grundrente in § 93 Abs. 2 SGB VI wurde dann gesetzlich klargestellt, dass der Verletztenrente auch die Funktion zukommt, bestimmte "immaterielle Schäden" auszugleichen.
Hiermit ist nicht der Grundsatz des Reichsversicherungsamtes aufgegeben, wonach Rentenbegutachtung "im Kern" Funktionsbegutachtung sei (vgl. RVA vom 08.04.1905, AN 1905, 413), die zusätzliche Berücksichtigung besonderer Schmerzen oder sonstiger immaterieller Schäden (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage, S. 153) ergänzt diesen Kernbereich lediglich, lässt ihn aber im Übrigen unangetastet. Bei dem Kläger spielen die Schmerzen unter Berücksichtigung des oben gesagten eine Doppelrolle: In der Regel führen Schmerzen zu Schonhaltungen und Schonbewegungen und damit unmittelbar zu einer Beeinträchtigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch eine Funktionsminderung (vgl. hierzu auch LSG Baden-Württemberg, Entscheidung vom 18.06.1998 - L 7 U 1992/97). Zum anderen aber sind die Schmerzen durchaus auch in dem Sinne zu berücksichtigen, wie es bei § 30 Abs. 1 Satz 1 2. Hs BVG explizit heißt, dass nämlich "seeliche Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen" sind (vgl. hierzu: BSG, 4. Senat, Entscheidung vom 31.03.1998 - B 4 RA 49/96 R).
Eine MdE von 10 oder gar "unter 10 v.H." wird den Beeinträchtigungen des Klägers offensichtlich nicht gerecht. Die jeweils zwar nicht sehr erheblichen, in ihrer Gesamtheit aber doch den Kläger vielfältig behindernden und einschränkenden arthrotischen Veränderungen im Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenk können nicht mit einer Versteifung des Daumenendgelenkes (vgl. Mehrhoff/Muhr, Unfallbegutachtung, 10. Auflage, S. 150: MdE 10 v.H.) verglichen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
II. Der Bescheid der Beklagten vom 05.05.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.1997 wird aufgehoben.
III. Die Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid vom 15.09.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.1995 zurückzunehmen und dem Kläger Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit nach Ziffer 2103 der Anlage zur BeKV nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v.H. ab dem 07.05.1993 zu bewilligen.
IV. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits für beide Instanzen zu erstatten.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2103 Berufskrankheitenverordnung BeKV.
Der am ... geborene Kläger war während seiner Berufstätigkeit als Berglehrling und als Hauer unter Tage beim M ... Kupfererzbergbau sowie bei der SDAG Wismut - Jugendbergbaubetrieb K ... - über einen Zeitraum von über 26 Jahren gegenüber Teilkörperschwingungen mit einer Beurteilungsschwingstärke von mehr als 16,2 m/s² im Sinne einer BK 2103/2104/54 exponiert. Die Exposition dauerte auch noch an, nachdem OMR Dr. med. T ... am 11.05.1993 bei der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit erstattet hatte. Die Anzeige bezog sich auf die Berufskrankheiten der Listen-Nr. 2103 und 2104. Das Verfahren wegen der Berufskrankheit nach der Listen-Nr. 2104 endete mit bestandskräftigem Ablehnungsbescheid vom 12.05.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.11.1995, nachdem der Kläger den Rechtsstreit vor dem Sozialgericht (SG) Chemnitz (Az.: S 14 Kn 317/95 U) im Vergleich vom 11.09.1996 für erledigt erklärt hatte. In diesem Vergleich hatte sich die Beklagte verpflichtet, das Vorliegen einer BK 2103 noch einmal zu überprüfen. Das in jenem Rechtsstreit eingeholte Gutachten des Prof. D ... vom 26.07.1996 verneinte zwar eine BK der Listen-Nr. 2104, ergab jedoch Anhaltspunkte, dass eine BK der Listen-Nr. 2103 vorliegen könnte.
Zum Zeitpunkt des Vergleichs war das die BK 2103 betreffende Verwaltungsverfahren bereits mit bestandskräftigem Widerspruchsbescheid vom 20.02.1995 abgeschlossen gewesen. In diesem Widerspruchsbescheid war der Ablehnungsbescheid vom 15.09.1994 bestätigt worden, in welchem die Beklagte dem Ratschlag von Dr. O ... und von Dr. N ... (Sächsisches Landesinstitut für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin), eine Berufskrankheit nach der Listen-Nr. 2103 nicht anzuerkennen, gefolgt war. Den beiden Stellungnahmen hatte ein Gutachten des Prof. F ... (Orthopädische Universitätsklinik C ... G ... C ..., D ...) vom 08.03.1994 vorgelegen, welches im Auftrag der Beklagten erstattet worden war. Dr. O ... und Dr. N ... befürworteten allerdings übereinstimmend Maßnahmen nach § 3 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 BeKV (Arbeitsplatzwechsel), welche jedoch von der Beklagten dann nicht eingeleitet wurden. Das Gutachten von Prof. F ... kam zum Ergebnis, dass der Kläger durch die Folgen der Berufskrankheit der Listen-Nr. 2103 seit September 1992 in seiner Erwerbsfähigkeit um 20 % gemindert sei. Grund sei eine beginnende Arthrose beider Ellenbogengelenke. Außerdem leide der Kläger - was allerdings für die Berufskrankheit nicht relevant sei - an einer chronischen Insertionstendopathie beider Schultergelenke, rechts mehr als links.
Auf Grund der im Termin vom 11.09.1996 gemachten Zusage, die Ablehnung der BK Nr. 2103 insbesondere unter Berücksichtigung des Gutachtens Prof. D ... vom 26.07.1996 zu überprüfen, legte die Beklagte die Akten noch einmal Dr. O ... vor. Dieser wiederholte in einer kurzen Stellungnahme vom 04.11.1996 seine Einschätzung, dass bei dem Kläger keine ausreichend BK-suspekten Befunde an den Armgelenken bestünden. Die im Gutachten von Prof. D ... beschriebenen degenerativen Veränderungen könne er nicht erkennen bzw. sie seien so diskret, dass ihnen unter Berücksichtigung des Alters des Klägers keine entsprechende Relevanz beizumessen sei. Die zweifelsfrei vorhandenen degenerativen Veränderungen in den Fingergelenken seien ebenfalls ein Indiz für einen altersbedingten, also vorwiegend endogenen Prozess. In den Schultergelenken leide der Kläger an einem Rotatorenmanschettensyndrom und an den Ellenbogengelenken eher an einer Epicondylitis als an einem degenerativen Gelenksprozess. Es seien also nach wie vor keine BK-relevanten Befunde festzustellen. Daraufhin wurde ein weiteres Gutachten bei Prof. N ..., Göttingen, in Auftrag gegeben. In diesem Gutachten wurden jetzt erstmals Maßnahmen nach § 3 BeKV auch ärztlicherseits nicht mehr für erforderlich gehalten. Die Ablehnung einer Berufskrankheit der Listen-Nr. 2103 begründete Prof. Nyga damit, dass die beim Kläger erhobenen Befunde an den oberen Extremitäten "nicht altersüberschreitend" seien.
Mit Bescheid vom 05.05.1997 lehnte daraufhin die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 15.09.1994 in Form des Widerspruchsbescheides vom 20.02.1995 ab. Die Voraussetzungen des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) lägen nicht vor, denn die genannten Bescheide seien nicht rechtswidrig. Nach den Gutachten des Herrn Prof. Dr. N ..., Göttingen, seien Veränderungen im Sinne einer BK Nr. 2103 an den Schultereck-, Ellenbogen- und Handgelenken weder röntgenologisch noch klinisch zu objektivieren. An beiden Ellenbogengelenken fänden sich nur geringe Verschleißerscheinungen und keine Funktionseinschränkungen. Der Widerspruch des Klägers vom 29.05.1997 wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 11.08.1997 als unbegründet zurückgewiesen. Der Widerspruchsbescheid wurde auf eine gutachterliche Stellungnahme des Arztes für Arbeitsmedizin Dr. M ... gestützt, welcher um eine zusammenfassende Beurteilung der bisherigen Gutachten und medizinischen Äußerungen gebeten worden war und in einer ½-seitigen Stellungnahme zu der Auffassung gelangte, die von den Gutachtern der Orthopädischen Klinik Dresden festgestellten diskreten Veränderungen an den Ellenbogen-, Schultereck- und Handgelenken würden hinsichtlich der beruflichen Verursachung überbewertet. Tatsächlich seien diese Veränderungen altersentsprechend.
Auf die Klage zum SG Chemnitz hat dieses nochmals Beweis erhoben, und zwar durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens von Dr. P ..., Oberarzt im Klinikum Hof. Dr. P ... bejahte eine Quasi-Berufskrankheit mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 15 %, legte jedoch nicht dar, welche neuen medizinischen Erkenntnisse die Einführung einer neuen Berufskrankheit erforderlich machten. Eine BK 2103 hatte auch Dr. P ... abgelehnt, da nach den Röntgenbefunden der Gelenke der oberen Extremitäten lediglich von geringgradigen Veränderungen im Sinne einer Arthrosis deformans auszugehen sei.
Das SG hat daraufhin mit Urteil vom 12.02.1999 die Klage abgewiesen. Es liege schon kein Versicherungsfall vor, denn die MdE sei mit unter 10 v. H. anzusetzen. Dies ergebe sich nach der MdE-Erfahrungswerte-Übersicht für eine endgradige Bewegungseinschränkung der Ellenbogengelenke. Auch eine leichte Bewegungseinschränkung im Schultergelenk könne nur mit einer MdE unter 10 v. H. bewertet werden.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 01.04.1999. Der Kläger sei noch bis zum 31.12.1998 bei der Rechtsnachfolgerin der SDAG Wismut tätig und somit über insgesamt 32,8 Jahre Teilkörperschwingungen ausgesetzt gewesen. Erst jetzt habe man erfahren, dass auch die beratenden Ärzte der Beklagten wie Prof. F ... eine Umsetzung für erforderlich gehalten hätten. Gleichwohl sei ein Arbeitsplatzwechsel nicht verfügt worden. Die Empfehlungen der Ärzte wiesen darauf hin, dass auch damals schon degenerative Veränderungen - wie hoch auch immer - nachweisbar gewesen seien. Denn sonst hätte diese Empfehlung ja gar keinen Sinn gegeben. Was die späteren Einschätzungen angehe, so sei für den Kläger das Gutachten des Orthopäden Prof. D ... aussagekräftiger als die Gutachten von Chirurgen. Es werde angeregt, ein weiteres fachorthopädisches Gutachten einzuholen. Auf den Antrag des Klägers wurde Prof. D ... gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragt, ein solches Gutachten zu erstellen.
In dem Gutachten vom 19.09.2000 werden noch einmal die BK-relevanten Beschwerden zusammengefasst: Seit ca. 1990 habe der Kläger zunehmende Schultergelenksbeschwerden, links stärker als rechts. Die Bewegung sei eingeschränkt, das Heben der Arme über die Horizontale sei problematisch und eine grobe Kraftentfaltung ohnehin. Ellenbogengelenkbeschwerden habe er schon davor gehabt. Die Schmerzen beträfen die gesamte Gelenkzirkumferenz, nicht etwa nur die Epikondylen. Schlagende Bewegungen und auch grobe Kraftentfaltungen könne der Kläger nicht mehr realisieren. Die Schmerzen im Handwurzelbereich seien mittlerweile stärker als in den Fingergelenken. Auch habe er oft lokale Kreuzschmerzen, vor allem bei Anteversionsbelastung. Prof. D ... kommt zu folgenden Diagnosen:
1. Leichte acromioclavikulare und humeroscapulare Arthrose beiderseits. 2. Ellenbogengelenksarthrose beiderseits. Leichte Handgelenksarthrose beiderseits. 3. Arthrose in den Fingergrundgelenken III rechts sowie II bis IV links. 4. Lokales zervikales vertebragenes Schmerzsyndrom bei progredienten degenerativen Veränderungen C 5/6. 5. Lokales lumbales vertebragenes Schmerzsyndrom.
Charakteristisch sei die Ausbreitung der Erkrankung: Zunächst seien Schmerzen in den Ellenbogengelenken aufgetreten, danach in den Schultergelenken und schließlich auch in den Handgelenken. Die Arthrose der Acromioclavikulargelenke sei ein Leitsymptom bei einer Arthropathie auf der Basis der Teilkörpervibration. Die Symptomatik an den Schultergelenken sei keineswegs auf ein Rotatorenmanschettensyndrom zurückzuführen. Auch sei die Symptomatik an den Ellenbogengelenken nicht mit einer Epicondylitis zu erklären. Röntgenologisch nachweisbar seien degenerative Veränderungen an all jenen Gelenken der oberen Extremitäten, die beim Auftreten einer BK 2103 degenerative Veränderungen aufweisen. Die Funktionseinschränkungen im Gebrauchswert der Arme bestünden darin, dass der Kläger zahlreiche Tätigkeiten nicht mehr oder nicht mit entsprechender Häufigkeit realisieren könne. So sei die grobe Kraftentfaltung in den Armen gemindert, insbesondere bei schlagenden Bewegungen komme es zur Schmerzprovokation. Auch sei das feste Zufassen behindert, ebenso wie repetierendes Pro- oder Supinieren. Nicht ein Einzelgelenk gebe den entscheidenden Ausschlag für die Minderung der Beweglichkeit und der Beanspruchbarkeit der beiden Arme, vielmehr mache die Summe sämtlicher betroffener Gelenke an beiden Armen und die dadurch ausgelösten schmerzbedingten Belastungseinschränkungen den Charakter der BK 2103 aus. Eine altersentsprechende Arthrose gebe es an den Acromioclavikulargelenken ebenso wenig wie an den Ellenbogen-, Hand- und Humeroscapulargelenken. Beginn der Berufskrankheit sei die Meldung durch den behandelnden Arzt im Jahre 1993, die MdE betrage 20 %.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 12.02.1999 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.05.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.1997 zu verpflichten, den Bescheid vom 15.09.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.1995 gemäß § 44 Abs. 1 SGB X zurückzunehmen und beim Kläger die Erkrankungen der Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenke als Berufskrankheit im Sinne der BK nach Listen-Nr. 2103 BeKV anzuerkennen und eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. der Vollrente beginnend ab dem 07.05.1993 zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 12.02.1999 zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass auch das Gutachten von Prof. D ... die Anerkennung einer Berufskrankheit nicht rechtfertige. Die leichten Arthrosezeichen seien keine dem Alter vorauseilenden vorzeitigen Verschleißerscheinungen. Auch sei kein im Vergleich zu anderen Körpergelenken vermehrter Verschleißprozess an den durch die Teilkörpervibration betroffenen Gelenken zu beobachten und nur solch ein Befund sei als BK anzuerkennen und zu entschädigen. Beim Kläger seien progrediente Arthrosezeichen an der Halswirbelsäule zu beobachten und die rezidivierenden Beschwerden in den Sprunggelenken seien auf eine Hyperurikämie zurückzuführen. Diese konkurrierenden Ursachen seien aber zu berücksichtigen. Schließlich verursachten die nur leichten Bewegungseinschränkungen keine MdE im rentenberechtigenden Grade.
Dem Senat liegen neben den Verwaltungsakten der Beklagten die Gerichtsakten beider Instanzen vor sowie die beigezogenen Akten des SG Chemnitz (Az.: S 14 Kn 317/95 U, S 14 Kn 480/96 U, S 14 KN 130/97 U).
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist auch begründet. Die beim Kläger bestehenden Erkrankungen der Acromioclavikular-, Humeroscapular-, Ellenbogen-, Hand- und Fingergelenke sind "Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeiten mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen" im Sinne der BK 2103. Der Senat stützt sich auf das Gutachten des Prof. D ... vom 19.09.2000. Röntgenologisch gibt es keine für Pressluftschäden spezifische Veränderungen. Sie entsprechen vielmehr dem Bild einer Arthrosis deformans bzw. Osteochondrosis dissecans. Es sind dann za- ckige oder spornartige Knochenwucherungen, Deformierungen an den Gelenkflächen, freie Gelenkkörper als Folge von Knorpelzerstörung an den Gelenken sowie Kalk- oder Knocheneinlagerungen in der Gegend der Ansatzstelle der Gelenkkapseln oder der Muskeln nachweisbar (vgl. Merkblatt zur BK Nr. 25 der Anlage 1 zur 7. BKVO, Bekanntmachung des BMA vom 18.02.1963, BArbBl. Fachteil Arbeitsschutz 1963, 21 f.). Zum klinischen Bild gehören neben örtlichen Ermüdungserscheinungen Kraftlosigkeit, Schmerzen bei Arbeitsbeginn und in der Ruhe, Druck und Bewegungsbehinderung (a.a.O.).
Sowohl vom klinischen Bild her als auch röntgenologisch passen die Befunde also zur BK 2103. Die lokalen Schmerzen sprechen - wie Prof. D ... überzeugend nachgewiesen hat - gegen Tendinosen. Kraftlosigkeit (beispielsweise beim Faustschluss) und Bewegungsbehinderung liegt bei dem Kläger ebenso vor. An den Acromioclavikulargelenken zeigen sich spitzzipfelige Ausziehungen, links eine Pseudozyste. Kantenausziehungen sind auch an den Humeroscapulargelenken festzustellen. Spitzzipfelige Ausziehungen der Gelenkumschlagskanten wurden (rechts deutlicher als links) auch bei den Ellenbogengelenken beobachtet. Ein im Vergleich zu anderen Körpergelenken vermehrter Verschleißprozess ist also entgegen der Ansicht der Beklagten sehr wohl zu beobachten. Eine Arthrose der Hüft- und Kniegelenke ist nicht beschrieben. Auch besteht dort keine Beschwerdesymptomatik.
Die bloße Behauptung, es handele sich bei den BK-relevanten Befunden um altersbedingte Prozesse, die zudem auch noch deswegen als "endogen bedingt" eingestuft werden (so Dr. O ..., B 193), ist aus mehreren Gründen nicht geeignet, die Feststellung einer Berufskrankheit zu widerlegen. So sind schon alle altersbedingten Prozesse ein Resultat von exogener wie endogener Bedingtheit: Bei fälschlicherweise "Abnutzungserscheinungen" genannten Degenerationserscheinungen handelt es sich um (endogene) Reaktionen des Körpers auf eine (exogene) Belastung. Solche Anpassungsprozesse können produktiv, aber auch kontraproduktiv sein. Letztlich wird sich in fast keinem Fall auf naturwissenschaftlicher Ebene eine ganz bedeutende Mitverursachung solcher Prozesse durch das, was ein Mensch sein Leben lang gemacht hat, und das ist in der Regel die Arbeit, verneinen lassen. Primäre Arthrose an den einschlägigen Gelenken ist also immer schon dann Berufskrankheit, wenn - wie hier - eine ausreichende Exposition vorlag. Dem Berufskrankheitenrecht ist es eigen, dass der konkrete Nachweis einer lückenlosen Kausalität, der in der Praxis ohnehin kaum möglich sein dürfte, durch die mit dem Listenprinzip eingeführte normative Kausalität ersetzt wird. Dies heißt, dass ein Kausalzusammenhang dann fingiert wird, wenn eine typische Belastung vorgelegen hat, die abstrakt geeignet ist, einen entsprechenden - listenmäßig erfassten - Schaden zu verursachen und wenn dieser Schaden vorliegt. Differenzialdiagnostisch ist dann lediglich die sekundäre Arthrose auszuschließen (vgl. Pschyrembel, 258. Auflage, S. 126, dysplastische Zustände, Subluxationen, Luxationen, Folgezustände von Wachstumsstörungen oder auch erworbene Gelenkdeformierung durch entzündliche Erkrankungen, rheumatische Gelenkleiden oder regelrechte Gelenktraumen) - dergleichen wurde beim Kläger nie diagnostiziert und auch nie in das Verfahren eingeführt.
Der Überlastungsschaden (primäre Arthrose) an den Hand-, Ellenbogen- und Schulter- sowie Schlüsselbeingelenken ist daher Berufskrankheit. Die Beklagte war daher zur Entschädigung zu verurteilen.
Die MdE wurde von Prof. D ... mit 20 v.H. korrekt festgesetzt. Dagegen greifen die Einwände der Beklagten nicht durch. Insbesondere reicht es nicht aus, im Rahmen der Minderung der Erwerbsfähigkeit lediglich auf die Einschränkung der passiven Beweglichkeit abzustellen. Gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII richtet sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Dass und in welchem Umfang Verletztenrenten im Einzelnen auch dem Ersatz immaterieller Schäden dienen, war bis zum Inkrafttreten des RRG 1992 gesetzlich nicht ausdrücklich bestimmt und in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Während das Bundesarbeitsgericht die Ansicht vertrat, die Verletztenrente diene nicht allein dem Ausgleich des Verdienstausfalles, sondern der Entschädigung aller Auswirkungen eines Unfalls, neben unfallbedingtem Mehraufwand auch dem Ausgleich immaterieller Schäden, erhöhter Anstrengung und Verdienstminderungen (BAG VersR 1988, 973, 974, BAGE 43, 161, 170; 43, 173, 181), verneinte der Bundesgerichtshof eine Konkurrenz zwischen Verletztenrente und Schmerzensgeldanspruch; sachliche und zeitliche Deckungsgleichheit liege nicht vor, d.h. der Schadensersatzanspruch und die Leistung aus der Sozialversicherung dienten insoweit nicht dem Ausgleich eines Schadens gleicher Art; sozialversicherungsrechtlich sei ein Ausgleich für Einbußen nicht vermögensrechtlicher Art nicht vorgesehen (vgl. BGH VersR 1970, 1053, 1054; BG 1982, 704 f.). Der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts vertrat im Hinblick darauf, dass bei geringen MdE-Graden (leichten dauerhaften Verletzungen) der Verletztenrente in der Regel keine Verdienstminderung gegenüberstehe und auch in mittelschweren Fällen die Verdienstminderung regelmäßig nicht ins Gewicht falle, die Ansicht, dass die Verletztenrente "unter den gegenwärtigen Verhältnissen bei leichten und mittelschweren Unfällen ein entgangenes Schmerzensgeld aufwiegt" (vgl. BVerfGE 34, 118, 132 f.). Darüber hinaus werde durch den mit dem RRG 1992 eingeführten, an die MdE gekoppelten Freibetrag im Rahmen des § 93 Abs. 2 SGB VI "nunmehr nicht nur bei leichter Verletzten, sondern auch bei Schwerstverletzten zumindest ein Teil des immateriellen Schadens und nicht nur der Verdientsausfall durch die Gesamtrente ausgeglichen (vgl. Kammerbeschluss vom 08. Februar 1995, BVerfG SozR 3 2200 § 636 RVO Nr. 1). Mit der Bezugnahme auf die BVG-Grundrente in § 93 Abs. 2 SGB VI wurde dann gesetzlich klargestellt, dass der Verletztenrente auch die Funktion zukommt, bestimmte "immaterielle Schäden" auszugleichen.
Hiermit ist nicht der Grundsatz des Reichsversicherungsamtes aufgegeben, wonach Rentenbegutachtung "im Kern" Funktionsbegutachtung sei (vgl. RVA vom 08.04.1905, AN 1905, 413), die zusätzliche Berücksichtigung besonderer Schmerzen oder sonstiger immaterieller Schäden (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage, S. 153) ergänzt diesen Kernbereich lediglich, lässt ihn aber im Übrigen unangetastet. Bei dem Kläger spielen die Schmerzen unter Berücksichtigung des oben gesagten eine Doppelrolle: In der Regel führen Schmerzen zu Schonhaltungen und Schonbewegungen und damit unmittelbar zu einer Beeinträchtigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch eine Funktionsminderung (vgl. hierzu auch LSG Baden-Württemberg, Entscheidung vom 18.06.1998 - L 7 U 1992/97). Zum anderen aber sind die Schmerzen durchaus auch in dem Sinne zu berücksichtigen, wie es bei § 30 Abs. 1 Satz 1 2. Hs BVG explizit heißt, dass nämlich "seeliche Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen" sind (vgl. hierzu: BSG, 4. Senat, Entscheidung vom 31.03.1998 - B 4 RA 49/96 R).
Eine MdE von 10 oder gar "unter 10 v.H." wird den Beeinträchtigungen des Klägers offensichtlich nicht gerecht. Die jeweils zwar nicht sehr erheblichen, in ihrer Gesamtheit aber doch den Kläger vielfältig behindernden und einschränkenden arthrotischen Veränderungen im Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenk können nicht mit einer Versteifung des Daumenendgelenkes (vgl. Mehrhoff/Muhr, Unfallbegutachtung, 10. Auflage, S. 150: MdE 10 v.H.) verglichen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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