L 6 KN 24/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 10 KN 325/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 KN 24/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 27. April 1999 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am ... geborene Kläger war zeit seines Berufslebens vom 10.11.1964 bis zur betriebsbedingten Kündigung am 31.03.1993 beim VEB Steinkohlenwerk "A ..." in Z ... beschäftigt. Ab dem 01.01.1978 hieß der Betrieb VEB Steinkohlenkokereien "A ...", ab dem 01.07.1990 E ...mbH, Z ... Die Tätigkeiten in der Kokerei (Betriebsassistent, Betriebsingenieur, Schichtleiter, Bereichsleiter, Abschnittsleiter und andere Funktionen) wurden im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung als bergmännische Tätigkeit Buchstabe "e" eingetragen. Da hiermit nach dem Recht der DDR insoweit eine Gleichstellung mit Untertagetätigkeiten impliziert war, bestand mit Vollendung des 50. Lebensjahres Anspruch auf Bergmannsvollrente gemäß § 37 RentenVO/DDR. Neben der Vollendung des 50. Lebensjahres war für diese Rentenart eine bergbauliche Versicherung von mindestens 25 Jahren sowie eine Untertagetätigkeit von mindestens 15 Jahren Voraussetzung. Vom FDGB-Kreisvorstand Z ...-Stadt wurde mit Bescheid vom 07.01.1988 dem Kläger Bergmannsvollrente ab dem 01.03.1988 bewilligt. In der Gesamtleistung von 573,00 Mark war auch ein Leistungszuschlag für 24 Jahre Untertagetätigkeit in Höhe von 27,50 Mark enthalten.

Mit Bescheid vom 29.11.1991 wurde die Bergmannsvollrente umgewertet und angepasst und als Rente für Bergleute wegen langjähriger Untertagebeschäftigung und Vollendung des 50. Lebensjahres geleistet. Der monatliche Zahlbetrag war mit 829,08 DM berechnet worden. Der Bescheid erhielt den Hinweis, dass für die bisher als Untertagetätigkeit berücksichtigten Zeiten Entgeltpunkte für einen Leistungszuschlag ermittelt werden. Es seien 24 volle Jahre der Untertagetätigkeit bisher berücksichtigt worden. Somit seien - vom 11. bis zum 20. Jahr 10 Jahre x 0,250 Entgeltpunkte = 2,5000 EP - für jedes weitere Jahr 4 Jahre x 0,375 Entgeltpunkte = 1,5000 EP - insgesamt also für den Leistungszuschlag 4,0000 EP als persönliche Entgeltpunkte (Ost) zu berücksichtigen. Eine entsprechende Berechnung wies auch der Bescheid vom 04.05.1993 aus; der Zahlbetrag war in diesem Bescheid für die Zeit ab dem 01.07.1993 mit 901,05 DM berechnet worden.

Anlässlich der bevorstehenden Vollendung des 60. Lebensjahres beantragte der Kläger am 17.01.1998 Altersrente, und zwar als Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute gemäß § 40 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) oder als Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit gemäß § 38 SGB VI.

Letztere Rentenart wurde ihm mit Bescheid vom 19.03.1998 bewilligt. Anstelle der bisherigen Rente erhielt der Kläger ab dem 01.04.1998 Rente in Höhe von 2.736,24 DM. Ein Leistungszuschlag war bei der Rentenberechnung nicht berücksichtigt worden. Die Zusammenstellung der Tätigkeiten für den Leistungszuschlag wies nur sieben Monate ständiger Arbeiten unter Tage aus, es handelte sich dabei um die Zeit der Tätigkeit als Bergknappe. Mit der Begründung, nach dieser Berechnung sei für den Leistungszuschlag kein volles Jahr anzurechnen, ermittelte die Beklagte auch keine zusätzlichen Entgeltpunkte für einen Leistungszuschlag. In Anlage 12 des Bescheides führte sie aus, es seien nämlich nicht mindestens sechs volle Jahre mit ständigen Arbeiten unter Tage belegt.

Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers, mit dem er geltend machte, die mit den Bescheiden vom 29.11.1991 und 04.05.1993 bewilligte Rente sei bereits eine Rente nach dem SGB VI gewesen, gleichwohl sei ein Leistungszuschlag mit 4,0000 Entgeltpunkten Bestandteil dieser Rente gewesen. Auch der neuen Rente liege das SGB VI zugrunde. Es dürfe hier nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Hinsichtlich des zuerkannten Leistungszuschlages genieße er Besitzsstandsschutz.

Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 19.06.1998 als unbegründet zurückgewiesen. Es bestehe kein Anspruch auf einen Leistungszuschlag nach § 85 SGB VI. In diesem Rahmen könne nämlich nur eine tatsächlich überwiegend unter Tage ausgeübte Tätigkeit Berücksichtigung finden, nicht aber Zeiten der Tätigkeit, die im Sozialversicherungsausweis mit "bergmännisch e" eingetragen worden waren. Dies ergebe sich aus § 254 a SGB VI in Verbindung mit § 61 SGB VI.

Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Chemnitz mit Gerichtsbescheid vom 27.04.1999 abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er macht Eigentumsschutz gemäß Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) hinsichtlich der zuerkannten 4 Entgeltpunkte geltend; es sei ihm unverständlich, weshalb mit Beginn der Altersrente der in Art. 30 Abs. 5 des Einigungsvertrages (EV) enthaltene Vertrauensschutzgedanke nicht mehr berücksichtigt werde. Des Weiteren beruft er sich darauf, dass er in einer für einen speziellen Personenkreis aufgestellten "Betriebsliste der bergmännischen Tätigkeiten in den Z ... Kokereien" mit erfasst gewesen sei. Diese betriebsintern genannte "500-Mann-Liste" habe auf einem Verwaltungsakt des Ministeriums für Kohle und Energie und dem Zentralvorstand der IGBE basiert. Dieser "vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Verwaltungsakt der DDR" bleibe gemäß Art. 19 EV wirksam. Eine Aberkennung des Leistungszuschlages sei daher nicht gerechtfertigt. Er sehe sich auch in seiner Rechtsauffassung durch eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG - Az.: B 8 KN 18/97 R) bestätigt, in welcher betont werde, dass es gerade Aufgabe des Art. 19 EV sei, vor Eingriffen in durch Verwaltungsakte eingeräumte Rechtspositionen zu schützen.

Er beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 27.04.1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19.03.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.06.1998 teilweise aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei der Berechnung der bewilligten Altersrente nach § 38 SGB VI 4,0000 zusätzliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat liegen neben den Gerichtsakten beider Instanzen die Verwaltungsakte der Beklagten vor.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet, denn das SG hat zu Recht die angefochtenen Bescheide der Beklagten bestätigt. Ein Anspruch auf Leistungszuschlag nach § 85 SGB VI besteht nicht, im Übrigen kann sich nach dieser Vorschrift auch kein Zuschlag über 4,0000 Entgeltpunkte errechnen. Bei einer Berücksichtigung von 23 Jahren ergäben sich 4,25 Entgeltpunkte, bei 24 Jahren 4,625 Entgeltpunkte.

Nach § 85 Abs. 1 SGB VI erhalten Versicherte nach sechs Jahren ständiger Arbeiten unter Tage für jedes volle Jahre mit solchen Arbeiten vom 6. bis zum 10. Jahr 0,125 vom 11. bis zum 20. Jahr 0,250 für jedes weitere Jahr 0,375 zusätzliche Entgeltpunkte. Was unter ständigen Arbeiten unter Tage zu verstehen ist, definiert allgemein für die Zeit nach dem 31.12.1967 § 61 SGB VI; für das Beitrittsgebiet gilt die Sonderregelung des § 254 a SGB VI. Hiernach sind im Beitrittsgebiet vor dem 01.01.1992 "überwiegend unter Tage" ausgeübte Tätigkeiten "ständige Arbeiten unter Tage" auch im Sinne des § 85 Abs. 1 SGB VI. Die Vorschrift des § 254 a SGB VI wurde durch das Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz - RÜG -) vom 25.06.1991 (BGBl. I S. 1606) mit Wirkung vom 01.01.1992 in das SGB VI eingefügt. In der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 12/405 S. 126 zu Nr. 60) wurde hierzu ausgeführt:

"Das Rentenrecht der ehemaligen DDR kennt nicht den Begriff der ständigen Arbeiten unter Tage, sondern den der überwiegenden Untertagetätigkeit. Es ist insofern weitergehend als der Begriff der ständigen Arbeiten unter Tage, als er im Kalendermonat nur 11 Untertageschichten voraussetzt, jedoch andererseits enger, weil eine Untertagetätigkeit nur vorliegt, wenn 80 v.H. der Zeit unter Tage verbracht wurden. Da insofern eine gewisse Vergleichbarkeit gegeben ist, bestimmt die Vorschrift, dass die nach DDR-Recht überwiegend unter Tage verrichteten Tätigkeiten den ständigen Arbeiten unter Tage gleichstehen."

Dieser Begriff der überwiegend unter Tage ausgeübten Tätigkeiten ergab sich aus § 41 Abs. 3 bis 5 der 1. Durchführungsbestimmung zur Rentenverordnung (1. DB) vom 23.11.1979 (GBl. DDR I Nr. 43 S. 413). Die genannte Vorschrift bestimmt dazu:

§ 41 (Abs. 3) Als Jahr der überwiegenden Untertagetätigkeit wird das Kalenderjahr angerechnet, in dem mindestens 135 Untertageschichten geleistet wurden. (Abs. 4) Wurden nicht 135 Untertageschichten in einem Kalenderjahr geleistet, werden die Monate angerechnet, in denen mindestens 11 Untertageschichten geleistet wurden. (Abs. 5) Als Untertageschicht gilt die Schicht, die mit mindestens 80 % der Zeit unter Tage verfahren wurde.

Keineswegs jedoch stellte § 41 Abs. 1 alle dort genannten Tätigkeiten den überwiegend unter Tage ausgeübten Tätigkeiten gleich. Aus dieser Vorschrift leitet sich die Eintragung "Buchstabe e" im Sozialversicherungsausweis des Klägers her. § 41 Abs. 1 1. DB definierte in einem Katalog von a bis i die Tätigkeiten, die als bergmännische Tätigkeiten gelten, nämlich

a) alle überwiegend unter Tage ausgeübten Tätigkeiten,
b) die Tätigkeiten des Anschlägers an der Hängebank,
c) die Tätigkeit des Abnehmers an Schächten, wenn sie ständig ausgeübt wird, d) die Tätigkeit des Fördermaschinisten,
e) die Tätigkeit des Kokereiarbeiters in der Steinkohlenindustrie, soweit diese bis 1945 der Untertagearbeit gleichgestellt wurde,
f) die Tätigkeit des Steigers und Obersteigers, der als Grubenbetriebsleiter überwiegend unter Tage arbeitet,
g) die überwiegende Untertagetätigkeit des Handwerkers,
h) die Tätigkeit der hauptamtlich im Grubenrettungsdienst Eingesetzten,
i) alle Tätigkeiten, die im unmittelbaren Zusammenhang mit Aufschluss, Gewinnung, Aufbereitung und Verarbeitung der in den Bergbaubetrieben gewonnenen Rohstoffe stehen, wenn die Beschäftigten hierbei gesundheitsgefährdenden Einwirkungen ausgesetzt sind.

Diese Tätigkeiten galten auch nach DDR-Recht nicht als Untertagetätigkeiten, sie wurden allerdings gemäß § 43 1. DB bei der Berechnung des Zuschlags für Untertagetätigkeit berücksichtigt. Dieser Zuschlag betrug gemäß § 35 der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung (Rentenverordnung) vom 23.11.1979 (GBl. DDR I Nr. 38, 401) für das 11. bis 15. Jahr der Untertagearbeit je 1,00 Mark, für das 16. bis 25. Jahr der Untertagearbeit je 2,50 Mark und für jedes weitere Jahr der Untertagearbeit je 3,50 Mark. Dementsprechend betrug der Leistungszuschlag für 24 Jahre Untertagetätigkeit gemäß dem FDGB-Bescheid vom 07.01.1988 27,50 Mark.

Für die Umwertung einer solchen Rente bestimmte nun § 307 Abs. 4 Nr. 2 SGB VI, dass für die bisher in der Rente als volle Jahre der Untertagetätigkeit berücksichtigten Zeiten für jedes volle Jahr vom 11. bis zum 20. Jahr 0,25 und für jedes weitere Jahr 0,375 zusätzliche Entgeltpunkte für einen Leistungszuschlag ermittelt werden. Auf diese Weise errechnete sich bei dem Kläger der Zuschlag von 4,0000 Entgeltpunkten (10 x 0,250 + 4 x 0,375).

Mit dem Anspruch auf die Rente nach § 38 SGB VI erlischt der Anspruch auf die umgewertete Rente. Für einen Besitzstandsschutz, der sich auf isolierte 4 Entgeltpunkte bezieht, lässt sich nichts ins Feld führen. Schon der Vergleich der Höhe der Leistungen macht deutlich, dass von einem materiellen Besitzstandsschutz in diesem Zusammenhang ohnehin nicht die Rede sein könnte.

Der Kläger kann sich zur Stützung seiner Ansicht auch nicht auf die Entscheidung des BSG vom 02.12.1999 (B 8 KN 18/97 R) berufen. In jener Entscheidung ging es darum, ob eine Bergmannsvollrente, auf die nach Art. 2 § 6 RÜG kein Anspruch bestand, gleichwohl durch Verwaltungsakt der DDR wirksam zugesichert werden konnte. Eine Zusicherung in Bezug auf die jetzt vom Kläger bezogene und streitbefangene Rentenart wurde jedoch in keiner Weise geltend gemacht und ergibt sich auch nicht aus den Akten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG in den Urteilen vom 30.06.1999 (B 8 KN 9/98 R und B 8 KN 16/98 R). Auch hier ging es um die lückenfüllende Auslegung des Art. 2 § 6 RÜG unter Berücksichtigung der Rechtspraxis in der DDR (vgl. hierzu auch Entscheidungen des LSG Brandenburg vom 26.07.2000 - L 3 KN 26/99 - und vom 30.03.2000 - L 3 KN 12/99 -). Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, einzelne Berechnungselemente aus ausgelaufenen Renten des Übergangsrechts auch in die Renten nach dem SGB VI zu übernehmen, besteht nicht.

Direkt aus § 85 SGB VI kann der Kläger - dies hat das SG zu Recht festgestellt - keinen Anspruch auf einen Leistungszuschlag - in welcher Höhe auch immer - herleiten. Denn der Kläger kann keine sechs Jahre ständiger Arbeiten unter Tage im Sinne des § 254 a SGB VI nachweisen.

Das vom Kläger vorgelegte Beweismaterial bezieht sich lediglich auf die bergmännische Tätigkeit im Sinne des § 41 Buchst. e 1. DB. Zur Ausführung dieser Bestimmung war eine konkrete Benennung erforderlich, die, wie es der Kläger ausführt, durch die so genannte Liste der 500 erfolgt ist. Als überwiegend unter Tage ausgeübte Tätigkeiten gelten jedoch nur die Tätigkeiten nach § 41 Abs. 1 Buchst. a, f und g (vgl. Pott in GK - SGB VI, § 254 a Rn. 4; Diel in Hauck/Haines, SGB VI, § 254 a Rn. 7). Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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