Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 7 KN 183/98 U
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 KN 28/00 U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 10.04.2000 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung eines Wirbelsäulenschadens als Berufskrankheit.
Der am ...1945 geborene Kläger wurde vom 01.09.1961 bis zum 31.08.1963 an der Betriebsschule G ... der SDAG Wismut zum Hauer ausgebildet. Anschließend war er in diesem Beruf neun Tage beim Bergbaubetrieb R ... tätig, wurde jedoch vom 11.09.1963 - 14.05.1964 als Zimmerling unter Tage bei diesem Betrieb eingesetzt, wobei diese Tätigkeit hinsichtlich der Arbeitsschwere dem Hauerberuf durchaus vergleichbar ist. Während die Beanspruchung des Halte- und Bewegungsapparates bei diesen Tätigkeiten als überdurchschnittlich einzustufen ist, war sie bei der anschließenden Tätigkeit als Kollektor über Tage insgesamt durchschnittlich.
Nach der Einberufung zur NVA zum 03.05.1965 traten schon im Februar 1966 so gravierende Beschwerden im LWS-Bereich auf, dass der Kläger als dauernd dienstunfähig vorzeitig aus der Armee entlassen wurde.
Gleichwohl arbeitete er anschließend noch einmal vom 03.02.1967 bis 09.02.1967 in seinem erlernten Beruf als Hauer, wechselte jedoch zum 04.07.1967 zur Nickelhütte S ..., wo er als Hüttenarbeiter Schüttgut im Gewicht von ca. 20 kg etwa 20 mal pro Schicht vor dem Körper zu transportieren hatte. Auch bei der anschließenden Tätigkeit als sogenannter "Naßentstaubungswärter" waren Gewichte zu bewegen, und zwar sogar bis zu 50 kg. Diese Tätigkeit übte der Kläger - wie auch die folgende Tätigkeit als "Fe-Ni-Ofenmann" für 13 Monate aus, bei letzterer waren Lasten bis zu 15 kg zu transportieren. Vom 01.09.1968 bis zum 31.01.1980 arbeitete der Kläger in der Nickelhütte S ... als Betriebsschlosser. Die während dieser Zeit bewegten Gewichte überstiegen nicht 20 kg. Bei den Tätigkeiten im Gelenkwellenwerk M ... (01.04.1981 bis 30.11.1989 Schichtleiter, Schichtmeister; 01.12.1989 bis 31.12.1991 Anlagenfahrer Ver- und Entsorgung) traten keine nennenswerten Hebe- und Tragearbeiten oder Tätigkeiten mit starker Rumpfbeugung auf. Entsprechendes gilt für die Tätigkeit als Hausmeister bei der Evangelischen Kirchengemeinde M ... ab dem 01.01.1992.
Während die Aufgabe des Hauerberufes gesundheitsbedingt erfolgte - wobei Probleme mit den Fingern und Handgelenken im Vordergrund gestanden haben dürften - spielten bei der Abkehr von der Tätigkeit als Betriebsschlosser gesundheitliche Gründe nur insofern eine Rolle, als es um die Folgen eines Arbeitsunfalls aus dem Jahre 1978 ging, der von der Süddeutschen Metall-BG - allerdings ohne rentenberechtigende MdE - anerkannt wurde.
Nachdem Frau Dr. B ... vom T ... Landesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in einer Stellungnahme vom 17.07.1997 empfohlen hatte, die Anerkennung einer Berufskrankheit abzulehnen, da der Kläger nur für die Dauer von einem Jahr und acht Monaten exponiert gewesen sei, folgte die Beklagte mit Bescheid vom 03.11.1997 dieser Argumentation und verneinte bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen. Ergänzend wies sie darauf hin, dass auch die Kausalität fraglich sei, da die Erkrankung bereits praktisch bei Expositionsbeginn aufgetreten sei; dies spreche für ein anlagebedingtes Leiden. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom 10.03.1998 als unbegründet zurückgewiesen; es fehle an der langjährigen Überbelastung. Im Übrigen sei selbst dann keine Berufskrankheit anzuerkennen, wenn in der Nickelhütte auch eine Exposition anzuerkennen sei, denn die Krankheit habe bereits vor Beginn dieser angeschuldigten Exposition vorgelegen.
Die dagegen erhobene Klage hat das SG Chemnitz mit Urteil vom 10.04.2000 abgewiesen. Es ist hinsichtlich der Expositionseinschätzung dem Technischen Aufsichtsdienst der BBG gefolgt und hat das Ende der schädigenden Tätigkeit mit dem 09.02.1967 angenommen.
Mit der Berufung wendet sich der Kläger insgesamt gegen die Verweigerung der Anerkennung von Berufskrankheiten, egal welcher Form, und macht Strahlenschäden, einen Vibrationsschaden sowie eine chronische Pankreatitis geltend.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 10.04.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 03.11.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. 03.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, gegen- über dem Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 70 BKVO/DDR anzuerkennen und zu ent- schädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 10.04.2000 zurückzuweisen.
Dem Senat liegen neben den Gerichtsakten beider Instanzen die Verwaltungsakten der Beklagten vor.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigung seines Wirbelsäulenleidens als Berufskrankheit.
Auf den vorliegenden Fall findet - durch den Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II 889, 1239) in Bundesrecht transformiertes - Recht der DDR Anwendung (§ 1150 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 RVO; Anlage II Kapitel VIII Sachgeb. F Abschnitt III Nr. 6 EV i. V. m. § 23 der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung [Rentenverordnung] vom 23. November 1979 [GBl. DDR I, 401], zuletzt geändert durch das Rentenüberleitungsgesetz vom 25. Juli 1991 [BGBl. I, 1606] sowie Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nr. 4 und 5 EV i. V. m. § 221 des Arbeitsgesetzbuchs der DDR vom 16. Juni 1977 [GBl. DDR I, 185], zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. Mai 1994 [GBl. I, 1014], sowie der DDR-Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten vom 26. Februar 1981 [GBl. DDR I, 137] mit der 1. Durchführungsbestimmung zu dieser Verordnung - Liste der Berufskrankheiten - vom 21.04.1981 [GBl. DDR I 139]). Nach § 1150 Abs. 2 RVO, der gem. §§ 212, 215 Abs. 1 SGB VII weiterhin Anwendung findet, sind Unfälle und Krankheiten, die vor dem 01.01.1992 eingetreten sind, als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne des 3. Buches der RVO zu entschädigen, wenn sie nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren. Die Ausnahmeregelung von § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO findet hier aufgrund der Anzeige vom 17.02.1993 (eingegangen am 16.07.1993, also vor dem 31. Dezember 1993) keine Anwendung.
Nach § 221 AGB DDR stellte eine Berufskrankheit eine Erkrankung dar, die durch arbeitsbedingte Einflüsse bei der Ausübung beruflicher Tätigkeiten bzw. Arbeitsaufgaben hervorgerufen wurde und die in der Liste der Berufskrankheiten, die mit der 1. Durchführungsbestimmung zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) am 21.04.1981 bekannt gegeben worden ist, genannt war. Darin waren unter Nr. 70 als Berufskrankheiten aufgeführt: "Verschleißkrankheiten der Wirbelsäule (Bandscheiben, Wirbelkörperabschlussplatten, Wirbelfortsätze, Bänder, kleine Wirbelgelenke) durch langjährige mechanische Überbelastung". Unter Nr. 71 waren aufgeführt: "Verschleißkrankheiten von Gliedmaßen, Gelenken einschl. der Zwischengelenkscheiben durch langjährige mechanische Überbelastungen". Für beide Berufskrankheiten wurde als weitere Anerkennungsvoraussetzung gefordert: "Erhebliche Funktionseinschränkung des Bewegungsapparates mit Aufgabe der schädigenden Tätigkeit", wobei in der Begutachtungspraxis der DDR als "erheblich" Funktionseinschränkungen bewertet wurden, die auf einem chronischen Beschwerdebild mit einem rentenberechtigenden Grad des Körperschadens (GdK) von mindestens 20 v. H. beruhten (Konetzke/Rebohle/Heuchert, Berufskrankheiten, Gesetzliche Grundlagen zur Meldung, Begutachtung und Entschädigung, 3. Auflage 1988 S. 111; Empfehlungen zur Einhaltung und Durchführung der Begutachtung bei Verdacht auf berufsbedingte Verschleißkrankheiten der Wirbelsäule (BK Nr. 70), Konetzke, Arbeitsmedizininformation 14 (1987 Nr. 7 S. 40 bis 20) in: Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin, Sonderschrift 4, S. 285. Voraussetzung für die Anerkennung der BK 70 bzw. BK 71 waren demnach: 1. Der Nachweis einer arbeitsbedingten Überbelastung des geschädigten Wirbelsäulenabschnitts bzw. des geschädigten Gliedmaßengelenks (arbeitstechnische Voraussetzung), 2. das Vorliegen eines Krankheitskomplexes mit erheblicher Funktionseinschränkung im exponierten Wirbelsäulenabschnitt bzw. am exponierten Gliedmaßengelenk im Umfang eines Körperschadens von mindestens 20 % (medizinische Voraussetzung), 3. der ursächliche Zusammenhang zwischen der Überbelastung und der Verschleißkrankheit, 4. die krankheitsbedingte Aufgabe der schädigenden Tätigkeit (zusätzliche Anerkennungsvoraussetzung).
Das Kriterium der Kausalität ist am schwierigsten zu handhaben. Ob die Volkskrankheit Wirbelsäulensyndrom tatsächlich im Einzelfall auf eine stattgehabte Überlastung durch körperliche Arbeit zurückgeht, wird sich nur sehr schwer nachweisen lassen. Vor diesem Hintergrund mag es nahe gelegen haben, einen Anspruch auf Leistungen aufgrund einer Wirbelsäulenerkrankung generell abzulehnen (so LSG Niedersachsen, Urteil vom 05.02.1998 - L 6 U 178/97 - und SG Landshut, Urteil vom 17.10.1997 - S 8 U 224/95). Jedenfalls ist in rechtlicher Hinsicht die jahrzehntealte Diskussion, ob "degenerative" Wirbelsäulenerkrankungen Berufskrankheiten sind, durch die zweite Erweiterung der Berufskrankheiten-VO auch für das Altbundesgebiet beendet (vgl. Begutachtung der neuen Berufskrankheiten der Wirbelsäule, Deutscher Orthopädenkongress 17.10.1996, Wiesbaden, Gustav-Fischer-Verlag, 1997). Es wäre daher nicht systemgerecht, diese Diskussion über das Kausalitätskriterium doch wieder in ihrer vollen Breite in jedem Einzelfall aufleben zu lassen. Die "juristische" Entscheidung für eine "medizinisch-naturwissenschaftliche" Kausalität kann nur bedeuten, dass es sich hierbei um eine normative Kausalität handelt. Eine solche normative Kausalität ist auch im Nachhinein für das hier anwendbare Recht der DDR systemgerecht. Bereits durch die Definition einer Berufskrankheit ist der Kausalitätsnachweis für den Einzelfall auf eine andere Ebene verschoben worden. Der Verordnungsgeber, der eine Krankheit in die Liste der Berufskrankheiten aufnimmt, bejaht dadurch die generelle Geeignetheit einer bestimmten Belastung, zu dem typischen Schadensbild zu führen. Auch im Recht der DDR galt, dass ausnahmsweise ("Einzelentscheid") auch solche Krankheitsbilder als Berufskrankheit anerkannt werden konnten, die nicht in der Berufskrankheitenliste genannt sind. Wie aber hierfür die Beweisführung grundsätzlich erschwert war (vgl. hierzu auch Mehrtens/Perlebach, die Berufskrankheiten-Verordnung, M 2108 S. 23), so war sie auf der anderen Seite für die bereits "verordneten" Berufskrankheiten erleichtert, auch ohne dass es einer solchen ausdrücklichen Regelung wie in § 9 Abs. 3 SGB VII bedurft hätte. Das DDR-Recht kannte in diesem Zusammenhang die Rechtsfigur der gesetzlichen Vermutung nicht; gleichwohl bedeutet das Kausalitätskriterium auch hier, dass nur solche Fälle ausgeschlossen werden sollen, bei denen andere Ursachen gewissermaßen mit den Händen zu greifen sind. Mit dieser recht weiten Kausalität korrespondiert nun auf der anderen Seite das restriktive Kriterium der krankheitsbedingten Aufgabe der schädigenden Tätigkeit sowie das Erfordernis der erheblichen Funktionseinschränkung.
Die zusätzlichen begrenzenden Kriterien sind schon deswegen von besonderer Wichtigkeit, weil eine Kausalität mit der beruflichen Tätigkeit - gleich welcher Art - kaum jemals in Abrede gestellt werden kann. Bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS haben eine "multifaktorielle Ätiologie" (Merkblatt des BMA I), sie können durch Fehlbelastungen im privaten Bereich, durch typische Zivilisationsfolgen wie Bewegungs- und Belastungsarmut ebenso hervorgerufen werden, wie durch starke Belastungen. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem ein Versicherter gut 18 Jahre lang beruflichen Einwirkungen ausgesetzt war, die für seine Wirbelsäule physiologisch ungünstig waren, d. h. diese übermäßig belasteten, kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Belastungen überhaupt keinen, also auch keinen geringen Beitrag zu später auftretenden Degenerationserscheinungen geleistet haben. Eine Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinne ist somit gegeben (vgl. hierzu auch Urteil des 2. Senats vom 30.03.2000 L 2 U 86/98 S. 23 des Entscheidungsumdrucks). Ob die berufliche Einwirkung auch im Rechtssinne "wesentliche" Ursache ist, lässt sich naturwissenschaftlich nicht klären. Die Abgrenzung zu sog. "anlagebedingten" Leiden muss schon deshalb immer spekulativ bleiben, weil allgemeine Erkenntnisse über ein belastungsspezifisches Schadensbild nicht vorliegen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.07.1999 - L 2 KN 72/96 U - Breith 2000, 140) und auf der anderen Seite "endogene degenerative Prozesse" die berufsbedingten Verursachungsanteile auch deswegen kaum in den Hintergrund drängen können, weil der Versicherte in dem Gesundheitszustand geschützt ist, in dem er sich bei Aufnahme einer Tätigkeit befindet, auch wenn etwa dieser Zustand eine größere Gefährdung begründet. Eingebunden sind alle bestehenden Krankheiten, Anlagen, konstitutionelle oder degenerativ bedingte Schwächen und Krankheitsdispositionen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 5. Auflage, S. 81).
Die unter Ziffer 2 und 4 genannten Kriterien (medizinische Voraussetzung und zusätzliche Anerkennungsvoraussetzung) müssen gleichzeitig vorliegen. Dies ergibt sich aus der Natur der Sache.
Auch bei der Versicherung gegen Arbeitsunfall und Berufskrankheit steht die Schadensvermeidung im Vordergrund. Arbeit, die mit Sicherheit zu gesundheitlichen Schäden führt, darf es daher nicht geben; Arbeit, von der ein spezifisches gesundheitliches Risiko für die Beschäftigten ausgeht, muß arbeitsmedizinisch intensiv überwacht werden. Bei zeitabhängigen Risiken wie dem der Wirbelsäulenbelastung durch unphysiologische Schwerarbeit bedeutet dies, dass nach einer Exposition von ca. zehn Jahren in der Regel ein Arbeitsplatzwechsel stattzufinden hat, ggf. früher, je nach den zu beobachtenden Abnutzungserscheinungen, auf jeden Fall aber, bevor eine erhebliche Funktionseinschränkung eingetreten ist. Nur wenn zum Zeitpunkt des Arbeitsplatzwechsels bereits ein Grad des Körperschadens von 20 vorliegt, ist der - an sich ja zu vermeidende - Versicherungsfall (der mit dem Leistungsfall zusammenfällt) eingetreten. Ergibt sich der GdK von 20 erst später, so bewirkt das Prinzip der normativen Kausalität, dass die Prüfung, in wie fern dies noch Fernwirkungen der ehemaligen Schwerarbeit sind, zu unterbleiben hat. Ist der Versicherungsfall Berufskrankheit eingetreten, sind alle eventuellen späteren Verschlimmerungen mit einbezogen. Hat er sich vermeiden lassen, so kann er nicht später durch sukzessive Ergänzung der ursprünglich fehlenden Kriterien doch noch verwirklicht werden. Diese Grundsätze, die so nur für das übergeleitete Recht der DDR Geltung beanspruchen können, haben im Gesetz ihren begriflichen Niederschlag gefunden.
§ 1150 Abs. 2 RVO bestimmt die Anwendung des DDR-Rechts für Arbeitsunfälle und Berufkrankheiten, die vor dem 01.01.1992 eingetreten sind. Es müssen also alle Tatbestandsmerkmale jedenfalls wenigstens einmal gleichzeitig vorgelegen haben.
Für den Kläger ergeben sich folgende Schlussfolgerungen: Ein Versicherungsfall zum 31.12.1991 scheidet von vornherein schon deswegen aus, da die Tätigkeit als Anlagenfahrer nicht wegen der Wirbelsäulenerkrankung aufgegeben wurde. Entsprechendes gilt für einen Versicherungsfall am 30.11.1989: Auch der Wechsel vom Schichtleiter zum Anlagenfahrer erfolgte nicht wegen der Wirbelsäulenerkrankung. Darüber hinaus waren auch beide Tätigkeiten, wie aus der unmissverständlichen Stellungnahme von Dipl. Ing. Hirsch hervorgeht keine "schädigende Tätigkeit" im Sinne der BKVO-DDR. Vielmehr war die Tätigkeit im Gelenkwerk Mosel körperlich nur gering belastend. Hebe- und Tragearbeiten, oder Tätigkeiten mit starker Rumpfbeugung erfolgten dort nach der Stellungnahme des technischen Aufsichtsdienstes der Süddeutschen Metall-BG nicht. Diese Feststellungen erfolgten im Einvernehmen mit Herrn St ..., Herrn E ..., Herrn E ..., Frau M ..., Herrn Sch ... und Herrn H ... aus dem dortigen Betrieb. Eine entsprechende Überlastung wurde von dem Kläger mit der Berufung auch nicht geltend gemacht, vielmehr wurde darauf hingewiesen, dass er öfter kriechend Engstellen von Apparaten habe aufsuchen und in verdrehter Körperhaltung Verstopfungen durch Metallspäne beseitigen müssen. Dies sind nicht die für die BK 70 BKVO-DDR erforderlichen Überlastungen.
Auch die Tätigkeit als Betriebsschlosser vom 01.09.1968 bis zum 31.01.1980 erfüllt diese Voraussetzungen - in diesem Fall wäre die Liste der Berufskrankheiten vom 18.09.1968 (GBl. II Nr. 102 S. 821) anzuwenden, deren Nr. 22 aber insoweit sachlich den späteren BK 70/71 entsprach - nicht. Nach den differenzierten Arbeitsanalysen der Industriegesellschaft St. Egidien mbH i. L. vom 24.11.1993 hatte der Kläger als Schlosser bei der Verlegung und Montage von Rohrleitungen und Armaturen Lasten bis zu 20 kg vor dem Körper oder auf der Schulter bis zu zehn mal pro Schicht zu transportieren. Hierbei kam es zu einem Rumpfbeugewinkel von 90 Grad und zu Drehwinkeln von 45 Grad; als schädigende Tätigkeit im Sinne der BK 70 BKVO-DDR gilt jedoch im Allgemeinen erst das wiederholte Anheben und Absetzen von Lasten über 25 kg (vgl. Konetzke, a. a. O., Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin, Sonderschrift 4, S. 284). Unabhängig davon wurde auch diese Tätigkeit nicht wegen der Funktionsstörung der Wirbelsäule aufgegeben.
Ein krankheitsbedingter Tätigkeitswechsel hat - wie das Sozialgericht zu Recht festgestellt hat - im Jahre 1964 wegen eines Überlastungsschadens der Handgelenke stattgefunden. Der Wechsel einer Tätigkeit wegen eines Wirbelsäulenüberlastungsschadens erfolgte zu keinem Zeitpunkt. Es kann also dahinstehen, ob die Tätigkeit bei der Nickelhütte als Naßentstaubungswärter vom 17.06.1968 bis zum 14.07.1968 mit durchschnittlich einmaligem Transport von 50 kg vor dem Körper pro Schicht noch als schädigende Tätigkeit im Sinne der BK 70 BKVO-DDR angesehen werden kann. Darüber hinaus wäre auch dann die geforderte Expositionszeit von zehn Jahren, die nach dem System des DDR-Berufskrankheitenrechts als Mindestexpositionszeit zu verstehen ist (vgl. Konetzke a. a. O.), nicht gegeben.
Die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 10.04.2000 ist daher unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung eines Wirbelsäulenschadens als Berufskrankheit.
Der am ...1945 geborene Kläger wurde vom 01.09.1961 bis zum 31.08.1963 an der Betriebsschule G ... der SDAG Wismut zum Hauer ausgebildet. Anschließend war er in diesem Beruf neun Tage beim Bergbaubetrieb R ... tätig, wurde jedoch vom 11.09.1963 - 14.05.1964 als Zimmerling unter Tage bei diesem Betrieb eingesetzt, wobei diese Tätigkeit hinsichtlich der Arbeitsschwere dem Hauerberuf durchaus vergleichbar ist. Während die Beanspruchung des Halte- und Bewegungsapparates bei diesen Tätigkeiten als überdurchschnittlich einzustufen ist, war sie bei der anschließenden Tätigkeit als Kollektor über Tage insgesamt durchschnittlich.
Nach der Einberufung zur NVA zum 03.05.1965 traten schon im Februar 1966 so gravierende Beschwerden im LWS-Bereich auf, dass der Kläger als dauernd dienstunfähig vorzeitig aus der Armee entlassen wurde.
Gleichwohl arbeitete er anschließend noch einmal vom 03.02.1967 bis 09.02.1967 in seinem erlernten Beruf als Hauer, wechselte jedoch zum 04.07.1967 zur Nickelhütte S ..., wo er als Hüttenarbeiter Schüttgut im Gewicht von ca. 20 kg etwa 20 mal pro Schicht vor dem Körper zu transportieren hatte. Auch bei der anschließenden Tätigkeit als sogenannter "Naßentstaubungswärter" waren Gewichte zu bewegen, und zwar sogar bis zu 50 kg. Diese Tätigkeit übte der Kläger - wie auch die folgende Tätigkeit als "Fe-Ni-Ofenmann" für 13 Monate aus, bei letzterer waren Lasten bis zu 15 kg zu transportieren. Vom 01.09.1968 bis zum 31.01.1980 arbeitete der Kläger in der Nickelhütte S ... als Betriebsschlosser. Die während dieser Zeit bewegten Gewichte überstiegen nicht 20 kg. Bei den Tätigkeiten im Gelenkwellenwerk M ... (01.04.1981 bis 30.11.1989 Schichtleiter, Schichtmeister; 01.12.1989 bis 31.12.1991 Anlagenfahrer Ver- und Entsorgung) traten keine nennenswerten Hebe- und Tragearbeiten oder Tätigkeiten mit starker Rumpfbeugung auf. Entsprechendes gilt für die Tätigkeit als Hausmeister bei der Evangelischen Kirchengemeinde M ... ab dem 01.01.1992.
Während die Aufgabe des Hauerberufes gesundheitsbedingt erfolgte - wobei Probleme mit den Fingern und Handgelenken im Vordergrund gestanden haben dürften - spielten bei der Abkehr von der Tätigkeit als Betriebsschlosser gesundheitliche Gründe nur insofern eine Rolle, als es um die Folgen eines Arbeitsunfalls aus dem Jahre 1978 ging, der von der Süddeutschen Metall-BG - allerdings ohne rentenberechtigende MdE - anerkannt wurde.
Nachdem Frau Dr. B ... vom T ... Landesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in einer Stellungnahme vom 17.07.1997 empfohlen hatte, die Anerkennung einer Berufskrankheit abzulehnen, da der Kläger nur für die Dauer von einem Jahr und acht Monaten exponiert gewesen sei, folgte die Beklagte mit Bescheid vom 03.11.1997 dieser Argumentation und verneinte bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen. Ergänzend wies sie darauf hin, dass auch die Kausalität fraglich sei, da die Erkrankung bereits praktisch bei Expositionsbeginn aufgetreten sei; dies spreche für ein anlagebedingtes Leiden. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom 10.03.1998 als unbegründet zurückgewiesen; es fehle an der langjährigen Überbelastung. Im Übrigen sei selbst dann keine Berufskrankheit anzuerkennen, wenn in der Nickelhütte auch eine Exposition anzuerkennen sei, denn die Krankheit habe bereits vor Beginn dieser angeschuldigten Exposition vorgelegen.
Die dagegen erhobene Klage hat das SG Chemnitz mit Urteil vom 10.04.2000 abgewiesen. Es ist hinsichtlich der Expositionseinschätzung dem Technischen Aufsichtsdienst der BBG gefolgt und hat das Ende der schädigenden Tätigkeit mit dem 09.02.1967 angenommen.
Mit der Berufung wendet sich der Kläger insgesamt gegen die Verweigerung der Anerkennung von Berufskrankheiten, egal welcher Form, und macht Strahlenschäden, einen Vibrationsschaden sowie eine chronische Pankreatitis geltend.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 10.04.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 03.11.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. 03.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, gegen- über dem Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 70 BKVO/DDR anzuerkennen und zu ent- schädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 10.04.2000 zurückzuweisen.
Dem Senat liegen neben den Gerichtsakten beider Instanzen die Verwaltungsakten der Beklagten vor.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigung seines Wirbelsäulenleidens als Berufskrankheit.
Auf den vorliegenden Fall findet - durch den Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II 889, 1239) in Bundesrecht transformiertes - Recht der DDR Anwendung (§ 1150 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 RVO; Anlage II Kapitel VIII Sachgeb. F Abschnitt III Nr. 6 EV i. V. m. § 23 der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung [Rentenverordnung] vom 23. November 1979 [GBl. DDR I, 401], zuletzt geändert durch das Rentenüberleitungsgesetz vom 25. Juli 1991 [BGBl. I, 1606] sowie Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nr. 4 und 5 EV i. V. m. § 221 des Arbeitsgesetzbuchs der DDR vom 16. Juni 1977 [GBl. DDR I, 185], zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. Mai 1994 [GBl. I, 1014], sowie der DDR-Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten vom 26. Februar 1981 [GBl. DDR I, 137] mit der 1. Durchführungsbestimmung zu dieser Verordnung - Liste der Berufskrankheiten - vom 21.04.1981 [GBl. DDR I 139]). Nach § 1150 Abs. 2 RVO, der gem. §§ 212, 215 Abs. 1 SGB VII weiterhin Anwendung findet, sind Unfälle und Krankheiten, die vor dem 01.01.1992 eingetreten sind, als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne des 3. Buches der RVO zu entschädigen, wenn sie nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren. Die Ausnahmeregelung von § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO findet hier aufgrund der Anzeige vom 17.02.1993 (eingegangen am 16.07.1993, also vor dem 31. Dezember 1993) keine Anwendung.
Nach § 221 AGB DDR stellte eine Berufskrankheit eine Erkrankung dar, die durch arbeitsbedingte Einflüsse bei der Ausübung beruflicher Tätigkeiten bzw. Arbeitsaufgaben hervorgerufen wurde und die in der Liste der Berufskrankheiten, die mit der 1. Durchführungsbestimmung zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) am 21.04.1981 bekannt gegeben worden ist, genannt war. Darin waren unter Nr. 70 als Berufskrankheiten aufgeführt: "Verschleißkrankheiten der Wirbelsäule (Bandscheiben, Wirbelkörperabschlussplatten, Wirbelfortsätze, Bänder, kleine Wirbelgelenke) durch langjährige mechanische Überbelastung". Unter Nr. 71 waren aufgeführt: "Verschleißkrankheiten von Gliedmaßen, Gelenken einschl. der Zwischengelenkscheiben durch langjährige mechanische Überbelastungen". Für beide Berufskrankheiten wurde als weitere Anerkennungsvoraussetzung gefordert: "Erhebliche Funktionseinschränkung des Bewegungsapparates mit Aufgabe der schädigenden Tätigkeit", wobei in der Begutachtungspraxis der DDR als "erheblich" Funktionseinschränkungen bewertet wurden, die auf einem chronischen Beschwerdebild mit einem rentenberechtigenden Grad des Körperschadens (GdK) von mindestens 20 v. H. beruhten (Konetzke/Rebohle/Heuchert, Berufskrankheiten, Gesetzliche Grundlagen zur Meldung, Begutachtung und Entschädigung, 3. Auflage 1988 S. 111; Empfehlungen zur Einhaltung und Durchführung der Begutachtung bei Verdacht auf berufsbedingte Verschleißkrankheiten der Wirbelsäule (BK Nr. 70), Konetzke, Arbeitsmedizininformation 14 (1987 Nr. 7 S. 40 bis 20) in: Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin, Sonderschrift 4, S. 285. Voraussetzung für die Anerkennung der BK 70 bzw. BK 71 waren demnach: 1. Der Nachweis einer arbeitsbedingten Überbelastung des geschädigten Wirbelsäulenabschnitts bzw. des geschädigten Gliedmaßengelenks (arbeitstechnische Voraussetzung), 2. das Vorliegen eines Krankheitskomplexes mit erheblicher Funktionseinschränkung im exponierten Wirbelsäulenabschnitt bzw. am exponierten Gliedmaßengelenk im Umfang eines Körperschadens von mindestens 20 % (medizinische Voraussetzung), 3. der ursächliche Zusammenhang zwischen der Überbelastung und der Verschleißkrankheit, 4. die krankheitsbedingte Aufgabe der schädigenden Tätigkeit (zusätzliche Anerkennungsvoraussetzung).
Das Kriterium der Kausalität ist am schwierigsten zu handhaben. Ob die Volkskrankheit Wirbelsäulensyndrom tatsächlich im Einzelfall auf eine stattgehabte Überlastung durch körperliche Arbeit zurückgeht, wird sich nur sehr schwer nachweisen lassen. Vor diesem Hintergrund mag es nahe gelegen haben, einen Anspruch auf Leistungen aufgrund einer Wirbelsäulenerkrankung generell abzulehnen (so LSG Niedersachsen, Urteil vom 05.02.1998 - L 6 U 178/97 - und SG Landshut, Urteil vom 17.10.1997 - S 8 U 224/95). Jedenfalls ist in rechtlicher Hinsicht die jahrzehntealte Diskussion, ob "degenerative" Wirbelsäulenerkrankungen Berufskrankheiten sind, durch die zweite Erweiterung der Berufskrankheiten-VO auch für das Altbundesgebiet beendet (vgl. Begutachtung der neuen Berufskrankheiten der Wirbelsäule, Deutscher Orthopädenkongress 17.10.1996, Wiesbaden, Gustav-Fischer-Verlag, 1997). Es wäre daher nicht systemgerecht, diese Diskussion über das Kausalitätskriterium doch wieder in ihrer vollen Breite in jedem Einzelfall aufleben zu lassen. Die "juristische" Entscheidung für eine "medizinisch-naturwissenschaftliche" Kausalität kann nur bedeuten, dass es sich hierbei um eine normative Kausalität handelt. Eine solche normative Kausalität ist auch im Nachhinein für das hier anwendbare Recht der DDR systemgerecht. Bereits durch die Definition einer Berufskrankheit ist der Kausalitätsnachweis für den Einzelfall auf eine andere Ebene verschoben worden. Der Verordnungsgeber, der eine Krankheit in die Liste der Berufskrankheiten aufnimmt, bejaht dadurch die generelle Geeignetheit einer bestimmten Belastung, zu dem typischen Schadensbild zu führen. Auch im Recht der DDR galt, dass ausnahmsweise ("Einzelentscheid") auch solche Krankheitsbilder als Berufskrankheit anerkannt werden konnten, die nicht in der Berufskrankheitenliste genannt sind. Wie aber hierfür die Beweisführung grundsätzlich erschwert war (vgl. hierzu auch Mehrtens/Perlebach, die Berufskrankheiten-Verordnung, M 2108 S. 23), so war sie auf der anderen Seite für die bereits "verordneten" Berufskrankheiten erleichtert, auch ohne dass es einer solchen ausdrücklichen Regelung wie in § 9 Abs. 3 SGB VII bedurft hätte. Das DDR-Recht kannte in diesem Zusammenhang die Rechtsfigur der gesetzlichen Vermutung nicht; gleichwohl bedeutet das Kausalitätskriterium auch hier, dass nur solche Fälle ausgeschlossen werden sollen, bei denen andere Ursachen gewissermaßen mit den Händen zu greifen sind. Mit dieser recht weiten Kausalität korrespondiert nun auf der anderen Seite das restriktive Kriterium der krankheitsbedingten Aufgabe der schädigenden Tätigkeit sowie das Erfordernis der erheblichen Funktionseinschränkung.
Die zusätzlichen begrenzenden Kriterien sind schon deswegen von besonderer Wichtigkeit, weil eine Kausalität mit der beruflichen Tätigkeit - gleich welcher Art - kaum jemals in Abrede gestellt werden kann. Bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS haben eine "multifaktorielle Ätiologie" (Merkblatt des BMA I), sie können durch Fehlbelastungen im privaten Bereich, durch typische Zivilisationsfolgen wie Bewegungs- und Belastungsarmut ebenso hervorgerufen werden, wie durch starke Belastungen. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem ein Versicherter gut 18 Jahre lang beruflichen Einwirkungen ausgesetzt war, die für seine Wirbelsäule physiologisch ungünstig waren, d. h. diese übermäßig belasteten, kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Belastungen überhaupt keinen, also auch keinen geringen Beitrag zu später auftretenden Degenerationserscheinungen geleistet haben. Eine Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinne ist somit gegeben (vgl. hierzu auch Urteil des 2. Senats vom 30.03.2000 L 2 U 86/98 S. 23 des Entscheidungsumdrucks). Ob die berufliche Einwirkung auch im Rechtssinne "wesentliche" Ursache ist, lässt sich naturwissenschaftlich nicht klären. Die Abgrenzung zu sog. "anlagebedingten" Leiden muss schon deshalb immer spekulativ bleiben, weil allgemeine Erkenntnisse über ein belastungsspezifisches Schadensbild nicht vorliegen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.07.1999 - L 2 KN 72/96 U - Breith 2000, 140) und auf der anderen Seite "endogene degenerative Prozesse" die berufsbedingten Verursachungsanteile auch deswegen kaum in den Hintergrund drängen können, weil der Versicherte in dem Gesundheitszustand geschützt ist, in dem er sich bei Aufnahme einer Tätigkeit befindet, auch wenn etwa dieser Zustand eine größere Gefährdung begründet. Eingebunden sind alle bestehenden Krankheiten, Anlagen, konstitutionelle oder degenerativ bedingte Schwächen und Krankheitsdispositionen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 5. Auflage, S. 81).
Die unter Ziffer 2 und 4 genannten Kriterien (medizinische Voraussetzung und zusätzliche Anerkennungsvoraussetzung) müssen gleichzeitig vorliegen. Dies ergibt sich aus der Natur der Sache.
Auch bei der Versicherung gegen Arbeitsunfall und Berufskrankheit steht die Schadensvermeidung im Vordergrund. Arbeit, die mit Sicherheit zu gesundheitlichen Schäden führt, darf es daher nicht geben; Arbeit, von der ein spezifisches gesundheitliches Risiko für die Beschäftigten ausgeht, muß arbeitsmedizinisch intensiv überwacht werden. Bei zeitabhängigen Risiken wie dem der Wirbelsäulenbelastung durch unphysiologische Schwerarbeit bedeutet dies, dass nach einer Exposition von ca. zehn Jahren in der Regel ein Arbeitsplatzwechsel stattzufinden hat, ggf. früher, je nach den zu beobachtenden Abnutzungserscheinungen, auf jeden Fall aber, bevor eine erhebliche Funktionseinschränkung eingetreten ist. Nur wenn zum Zeitpunkt des Arbeitsplatzwechsels bereits ein Grad des Körperschadens von 20 vorliegt, ist der - an sich ja zu vermeidende - Versicherungsfall (der mit dem Leistungsfall zusammenfällt) eingetreten. Ergibt sich der GdK von 20 erst später, so bewirkt das Prinzip der normativen Kausalität, dass die Prüfung, in wie fern dies noch Fernwirkungen der ehemaligen Schwerarbeit sind, zu unterbleiben hat. Ist der Versicherungsfall Berufskrankheit eingetreten, sind alle eventuellen späteren Verschlimmerungen mit einbezogen. Hat er sich vermeiden lassen, so kann er nicht später durch sukzessive Ergänzung der ursprünglich fehlenden Kriterien doch noch verwirklicht werden. Diese Grundsätze, die so nur für das übergeleitete Recht der DDR Geltung beanspruchen können, haben im Gesetz ihren begriflichen Niederschlag gefunden.
§ 1150 Abs. 2 RVO bestimmt die Anwendung des DDR-Rechts für Arbeitsunfälle und Berufkrankheiten, die vor dem 01.01.1992 eingetreten sind. Es müssen also alle Tatbestandsmerkmale jedenfalls wenigstens einmal gleichzeitig vorgelegen haben.
Für den Kläger ergeben sich folgende Schlussfolgerungen: Ein Versicherungsfall zum 31.12.1991 scheidet von vornherein schon deswegen aus, da die Tätigkeit als Anlagenfahrer nicht wegen der Wirbelsäulenerkrankung aufgegeben wurde. Entsprechendes gilt für einen Versicherungsfall am 30.11.1989: Auch der Wechsel vom Schichtleiter zum Anlagenfahrer erfolgte nicht wegen der Wirbelsäulenerkrankung. Darüber hinaus waren auch beide Tätigkeiten, wie aus der unmissverständlichen Stellungnahme von Dipl. Ing. Hirsch hervorgeht keine "schädigende Tätigkeit" im Sinne der BKVO-DDR. Vielmehr war die Tätigkeit im Gelenkwerk Mosel körperlich nur gering belastend. Hebe- und Tragearbeiten, oder Tätigkeiten mit starker Rumpfbeugung erfolgten dort nach der Stellungnahme des technischen Aufsichtsdienstes der Süddeutschen Metall-BG nicht. Diese Feststellungen erfolgten im Einvernehmen mit Herrn St ..., Herrn E ..., Herrn E ..., Frau M ..., Herrn Sch ... und Herrn H ... aus dem dortigen Betrieb. Eine entsprechende Überlastung wurde von dem Kläger mit der Berufung auch nicht geltend gemacht, vielmehr wurde darauf hingewiesen, dass er öfter kriechend Engstellen von Apparaten habe aufsuchen und in verdrehter Körperhaltung Verstopfungen durch Metallspäne beseitigen müssen. Dies sind nicht die für die BK 70 BKVO-DDR erforderlichen Überlastungen.
Auch die Tätigkeit als Betriebsschlosser vom 01.09.1968 bis zum 31.01.1980 erfüllt diese Voraussetzungen - in diesem Fall wäre die Liste der Berufskrankheiten vom 18.09.1968 (GBl. II Nr. 102 S. 821) anzuwenden, deren Nr. 22 aber insoweit sachlich den späteren BK 70/71 entsprach - nicht. Nach den differenzierten Arbeitsanalysen der Industriegesellschaft St. Egidien mbH i. L. vom 24.11.1993 hatte der Kläger als Schlosser bei der Verlegung und Montage von Rohrleitungen und Armaturen Lasten bis zu 20 kg vor dem Körper oder auf der Schulter bis zu zehn mal pro Schicht zu transportieren. Hierbei kam es zu einem Rumpfbeugewinkel von 90 Grad und zu Drehwinkeln von 45 Grad; als schädigende Tätigkeit im Sinne der BK 70 BKVO-DDR gilt jedoch im Allgemeinen erst das wiederholte Anheben und Absetzen von Lasten über 25 kg (vgl. Konetzke, a. a. O., Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin, Sonderschrift 4, S. 284). Unabhängig davon wurde auch diese Tätigkeit nicht wegen der Funktionsstörung der Wirbelsäule aufgegeben.
Ein krankheitsbedingter Tätigkeitswechsel hat - wie das Sozialgericht zu Recht festgestellt hat - im Jahre 1964 wegen eines Überlastungsschadens der Handgelenke stattgefunden. Der Wechsel einer Tätigkeit wegen eines Wirbelsäulenüberlastungsschadens erfolgte zu keinem Zeitpunkt. Es kann also dahinstehen, ob die Tätigkeit bei der Nickelhütte als Naßentstaubungswärter vom 17.06.1968 bis zum 14.07.1968 mit durchschnittlich einmaligem Transport von 50 kg vor dem Körper pro Schicht noch als schädigende Tätigkeit im Sinne der BK 70 BKVO-DDR angesehen werden kann. Darüber hinaus wäre auch dann die geforderte Expositionszeit von zehn Jahren, die nach dem System des DDR-Berufskrankheitenrechts als Mindestexpositionszeit zu verstehen ist (vgl. Konetzke a. a. O.), nicht gegeben.
Die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 10.04.2000 ist daher unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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