Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 14 KN 99/00
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 KN 34/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 19. September 2000 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beendigung des Rechtsstreits S 10 KN 355/98 durch Klagerücknahme festgestellt wird.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob das Verfahren vor dem Sozialgericht Chemnitz (SG) mit dem Aktenzeichen S 10 KN 355/98 beendet ist oder fortgeführt werden muss.
Jenes Verfahren hatte mit der Klageschrift des Klägers vom 31.07.1998 begonnen, mit welcher er Klage gegen den Bescheid der Bundesknappschaft vom 05.03.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.06.1998 erhoben hatte. Gegenstand dieser Bescheide war die Ablehnung von Rentenleistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gewesen. Die Beklagte hatte die Auffassung vertreten, der Kläger sei weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig, auch liege keine verminderte Berufsfähigkeit im Bergbau vor. Im Verfahren vor dem SG (Az.: S 10 KN 355/98) wurde auf den Antrag des Klägers (§ 109 SGG) der Facharzt für Orthopädie Dipl.-Med. S ... M ... gutachterlich gehört. Der Gutachter kam nach Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis, dass dieser noch in der Lage sei, leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel von Gehen und Sitzen auszuüben. Dabei müssten überwiegende Schreibtischtätigkeiten, Überkopfarbeiten, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie Arbeiten in Zwangshaltungen vermieden werden. Der Einsatz in Kälte und Nässe sei nicht möglich, das Heben und Tragen von Lasten über 10 kg sei zu vermeiden. Ein Einsatz als Lehrer bzw. Ingenieur für Umschulungen sei nicht mehr möglich. Die Beklagte vertrat daraufhin die Auffassung, es solle zunächst einmal vor einer abschließenden Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Klägers im Erwerbsleben ein Heilverfahren eingeleitet werden.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung schlossen daraufhin die Beteiligten auf Vorschlag des Vorsitzenden folgenden Vergleich:
I. Der Kläger nimmt den Vorschlag einer Reha-Maßnahme in Warmbad vom 29.03. bis 19.04.2000 an, um das objektiv vorliegende Leistungsvermögen feststellen zu lassen.
II. Die Beklagte verpflichtet sich, die Heilmaßnahme durchzuführen.
III. Der Kläger nimmt die vorliegende Klage zurück und wird ggf. nach Abschluss der Heilmaßnahme erneuten Rentenantrag stellen.
IV. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass damit der Rechtsstreit insgesamt erledigt ist.
V. Der Kläger verzichtet auf die Erstattung der ihm entstandenen notwendigen Auslagen.
Ausweislich der Sitzungsniederschrift wurde der Vergleich den Beteiligten vorgelesen und von ihnen genehmigt.
Mit Schreiben vom 06.03.2000 erklärte der Kläger den "Teilwiderruf" des Vergleichs vom 15.02.2000 und stellte klar, dass er hinsichtlich der Punkte I., II. und V. nach wie vor dem Vergleich "vollinhaltlich" zustimme; durch die Zurücknahme der Klage entstünden ihm aber bei einer eventuellen positiven Entscheidung eines neuen Rentenantrages erhebliche Nachteile durch Abschläge. Über diese Konsequenzen sei er weder informiert noch belehrt worden. Die Klage werde daher nicht zurückgenommen, der Rechtsstreit bleibe anhängig und sei nicht erledigt. Mit Schreiben vom 24.07.2000 wies das SG den Kläger darauf hin, dass der Vergleich vom 15.02.2000 keine Widerrufsklausel enthalte und dass das Gericht beabsichtige, im Wege des Gerichtsbescheides nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter zu entscheiden.
Der Kläger gab darauf zu bedenken, dass in der mündlichen Verhandlung die Möglichkeit eines Widerrufes nicht erörtert worden sei, er sei diesbezüglich nicht belehrt worden. Er sei in der mündlichen Verhandlung am 15.02.2000 "zumindest indirekt nötigend dahingehend beeinflusst" worden, dem Vergleich zuzustimmen, indem ihm in Aussicht gestellt worden sei, dass bei einer erneuten Antragstellung dieser Antrag dann sehr schnell entschieden würde. Der Vergleich könne eigentlich auch nicht als Vergleich angesehen werden, denn nur der Klägerseite seien Zugeständnisse abverlangt worden.
Das SG hat sodann mit Gerichtsbescheid vom 19.09.2000 festgestellt, dass der Rechtsstreit S 10 KN 355/98 durch Vergleich beendet worden sei. Der am 15.02.2000 abgeschlossene Vergleich sei wirksam. Ein Widerruf sei ohne Widerrufsklausel ausgeschlossen. Prozessrechtliche Gründe für eine Unwirksamkeit des Gerichtsvergleiches seien nicht ersichtlich. Auch sei eine Belehrung über die Möglichkeit eines widerruflichen Vergleichs nicht nötig. In materieller Hinsicht sei der Vergleich auch wirksam; insbesondere liege durchaus ein gegenseitiges Nachgeben vor, schließlich habe die Beklagte sich verpflichtet, eine Rehabilitationsmaßnahme zu gewähren. Ein Anfechtungsgrund gemäß § 119 Abs. 1 oder § 123 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sei nicht gegeben. Wenn der Kläger im Moment des Vergleichsabschlusses rentenrechtliche Nachteile nicht überblickt habe, so liege darin ein unbeachtlicher Rechtsfolgeirrtum, der nicht zur Anfechtung berechtige. Für eine arglistige Täuschung seitens der Beklagten oder des Gerichts gebe es keine Anhaltspunkte. Schließlich könne das durch den Vergleich rechtskräftig beendete Verfahren auch nicht entsprechend den Bestimmungen des Vierten Buches der Zivilprozessordnung (ZPO) wieder aufgenommen werden, denn Wiederaufnahmegründe seien nicht ersichtlich.
Der Gerichtsbescheid wurde dem Kläger am 05.10.2000 mit Einschreiben übersandt. Seine Berufung ging am 06.11.2000 beim SG und am 08.11.2000 am LSG Chemnitz ein. Der Kläger rügt, dass ihm auf Grund seines Teilwiderrufes vom 06.03.2000 zunächst mitgeteilt worden sei, dass das Verfahren fortgeführt werde. Es erscheine widersprüchlich, wenn dann am Ende doch ein Gerichtsbescheid ergehe, in welchem das Gegenteil festgestellt wird. Die Bezeichnung "Vergleich" stimme auch dann nicht, wenn man berücksichtige, dass die Beklagte ein Heilverfahren zugesagt und gewährt habe. Im Verfahren sei dies ohnehin ihr Standpunkt gewesen, von einem Nachgeben könne also nicht die Rede sein. Er selbst habe angenommen, dass nach dem durchgeführten Heilverfahren automatisch eine Entscheidung über die verminderte Erwerbsfähigkeit durch die Beklagte getroffen werde und eine erneute Rentenantragstellung nur bei einer negativen Entscheidung erforderlich gewesen sei. Im Übrigen habe er über die Möglichkeit, auch einen widerruflichen Vergleich abzuschließen, belehrt werden müssen; ohnehin sei der Vorsitzende einseitig zu Gunsten der Beklagten eingestellt gewesen.
Er beantragt,
1. den Vorsitzenden der Verhandlung vom 15.02.2000, Richter am SG Gieser, für befangen zu erklären.
2. den in der Verhandlung am 15.02.2000 geschlossenen Vergleich für unwirksam zu erklären.
3. den Rechtsstreit mit dem Aktenzeichen S 10 KN 355/98 als nicht beendet zu erklären.
Entscheidungsgründe:
I. Das Ablehnungsgesuch gegen Richter am SG Gieser ist bereits unzulässig, da dieser Richter wegen Kammerwechsels mit der Sache schon vor Erlass einer Entscheidung nicht mehr befasst war (vgl. BFH BStBl 80 II 335, NJW 96, 215; BayLSG Breith 78, 700)
II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Im Ergebnis zu Recht hat das SG festgestellt, dass der Rechtsstreit S 10 KN 355/98 beendet ist; allerdings wurde dieser Rechtsstreit nicht durch Vergleich, sondern durch Klagerücknahme beendet.
Gemäß § 101 Abs. 1 SGG können die Beteiligten zur Niederschrift des Gerichts einen Vergleich schließen, um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können. Gemäß § 102 SGG kann der Kläger die Klage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zurücknehmen. Die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache. Auf Antrag ist diese Wirkung durch Beschluss auszusprechen und, soweit Kosten entstanden sind, über diese zu entscheiden. Im Rahmen des Sozialgerichtsprozesses ist es üblich, auch die einseitige Erklärung des Klägers, der Rechtsstreit sei in der Hauptsache erledigt, als Klagerücknahme aufzufassen (vgl. ML, § 102 Anm. 3, LSG Bremen SGb 83, 557).
Die am 15.02.2000 niedergelegten Erklärungen beinhalten sowohl eine Klagerücknahme als auch eine - übereinstimmende - Erledigterklärung der Beteiligten im Rahmen eines Vergleiches. In diesem Fall ist das Problem der Konkurrenz der Erledigungsarten dahingehend zu lösen, dass die Prozesshandlung der Klagerücknahme auch dann Prozesshandlung bleibt, wenn sie im Rahmen eines Vergleiches erklärt wird. Es kann hier nichts anderes gelten, als wenn die Verpflichtung zur Klagerücknahme im Rahmen eines außergerichtlichen Vergleichs erklärt worden war. Die Doppelnatur (vgl. hierzu Wannagat NJW 1961 S. 1191, Haueisen NJW 1963, 1329, BSG SozR SGG § 101 Da 4 Nr. 4), die dem Prozessvergleich im Gegensatz zum außergerichtlichen Vergleich zukommt, entzieht nicht der Prozesserklärung Klagerücknahme ihre Grundlage; mit anderen Worten, der Umstand, dass dem Vergleich neben seinem Charakter als öffentlich-rechtlicher Vertrag gemäß § 54 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auch noch eine verfahrensbeendende Wirkung zukommt, heißt nicht, dass diese verfahrensbeendende Wirkung eine explizite Verfahrensbeendigung relativieren kann. § 101 Abs. 1 SGG spricht eigentlich nur aus, dass ein Vergleich auch im Sozialgerichtsprozess möglich ist. Allerdings ist seine prozessrechtliche Wirkung in dem Sinne der unmittelbaren Beendigung des Rechtsstreits unumstritten (vgl. ML § 101 Rn. 10, PSW Anm. 1 c). Zusätzliche Voraussetzung ist freilich, dass der gesamte Streitstoff erfasst wird (vgl. ML a.a.O.). Diese Frage ist durchaus nicht immer leicht zu beantworten. Entgegen Hofmann/Schroeder (SGG Kommentar 2. Aufl. 1957 § 101 Anm. 1) kann es daher sehr wohl zweckmäßig sein, auch noch einmal explizit festzulegen, dass die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt erklären bzw. dass der Kläger die Klage zurücknimmt. Die Ungewissheit, ob dem Vergleich tatsächlich verfahrenserledigende Wirkung beikommt, oder ob er nur - eventuell ohne dass es den Beteiligten und dem Gericht aufgefallen wäre - ein Teilvergleich ist und das Verfahren im Übrigen anhängig bleibt, kann mit einer solchen klarstellenden Klausel zweckmäßigerweise beseitigt werden. In diesem Fall steht dann die Erledigung nicht unter dem Vorbehalt, dass auch tatsächlich der gesamte Streitstoff erfasst wurde.
Es besteht kein Grund, der Klagerücknahmeerklärung, die aus einem gerichtlichen Vergleich folgt, eine geringere Unbedingtheit zuzusprechen, als einer Klagerücknahmeerklärung, zu der sich der Kläger in einem außergerichtlichen Vergleich verpflichtet hatte. Sollte der außergerichtliche Vergleich anfechtbar sein, kann die Klagerücknahmeerklärung als solche jedenfalls nicht kondiziert werden. Entsprechendes gilt, wenn eine Möglichkeit zum Rücktritt bestand, der Kläger aber gleichwohl "leichtfertig" bereits vor endgültiger Klarheit über den Rücktrittsgrund die unbedingte Klagerücknahme erklärt hatte. Ein "Durchschlagen" der Mängel des öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrages auf die Prozesserklärung ist dann ebenso wenig gegeben wie im umgekehrten Falle. Allenfalls kann es - wie auch bei der abredewidrig unterbliebenen Klagerücknahmeerklärung (vgl. dazu LAG Hamm, Entscheidung vom 18.12.1996, 2 Sa 340/96) - gegen Treu und Glauben verstoßen, die vertragswidrig erlangten Positionen im Rechtsverkehr zu gebrauchen. Wer sich - außergerichtlich - verpflichtet hat, die Klage zurückzunehmen, verstößt mit dem Weiterprozessieren gegen Treu und Glauben. Ebenso dürfte es gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn ein Versicherungsträger sich auf die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes beruft, die ihrerseits nur auf eine abredewidrig abgegebene Klagerücknahmeerklärung zurückgeht. Entsprechendes dürfte gelten, wenn die Klagerücknahmeerklärung Bestandteil eines öffentlich-rechtlichen Vertrages war, der wirksam angefochten wurde.
Die Klagerücknahmeerklärung als solche kann allerdings grundsätzlich nicht widerrufen oder angefochten werden, eine entsprechende Anwendung der §§ 119 ff. BGB ist ausgeschlossen (vgl. BSG, Beschluss vom 12.08.1961 - 3 RK 13/59 - SozR Nr. 6 zu § 102 SGG).
Im Ergebnis zu Recht hat das SG auch die Voraussetzungen der §§ 579 f. ZPO verneint. Zwar findet eine entprechende Anwendung der Vorschriften über die Wiederaufnahme eines "durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossenen Verfahrens" (§ 578 ZPO) auf durch Vergleich oder angenommenes Anerkenntnis beendetes Verfahren nach herrschender Meinung keine Anwendung (vgl. BSG NJW 1968, 2396; BVerwG 28, 332). Allerdings wurde das Verfahren S 10 KN 355/98 wie dargelegt durch Rücknahmeerklärung abgeschlossen und ein ausnahmsweiser Widerruf der Rücknahmeerklärung ist dann möglich, wenn die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens erfüllt sind (vgl. BVerwG Bucholz 310 § 92 VwGO Nr. 3; BGHZ 33, 73, 75; BSG, Urteil vom 14.06.1978 - 9/10 RV 31/77 - SozR 1500 § 102 Nr. 2). Dabei mögen Zweifel bestehen, ob eine entsprechende Anwendung des § 579 Abs. 1 ZPO Ziff. 1 bis 3 Sinn macht, geht es hier doch um die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts, ein Rechtsgut, dem dann eine untergeordnete Bedeutung zukommen dürfte, wenn das Gericht lediglich als Protokollierungsinstanz tätig geworden ist. Jedenfalls gibt es für entsprechende Tatbestände in den Akten keine Anhaltspunkte. Auch der - denkbar anwendbare (vgl. BSG SozR 1500 § 102 Nr. 2) - Fall des § 579 Abs. 1 Ziff. 4 (Mangel in der Vertretung eines Beteiligten) ist nicht gegeben. Die vom Kläger behauptete Befangenheit des Vorsitzenden kann in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen, da ein Ablehnungsgesuch nicht mit Erfolg geltend gemacht wurde. Tatbestände des § 580 ZPO sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
Da - wie dargelegt - auch eine synallagmatische Verknüpfung der einzelnen Ziffern des Vergleichs die Prozesserklärung der Klagerücknahme, die sich - doppelt - aus den Ziffern III und IV ergibt, nicht kondizierbar macht, erübrigt sich die Prüfung, inwiefern der Vergleich wirksam angefochten wurde. Die im Rahmen des Streitgegenstandes allein relevante Frage der Prozessbeendigung beantwortet sich bereits durch die unbedingt erklärte Klagerücknahme; die daneben noch mögliche - gesetzliche - Beendigung durch einen den gesamten Streitstoff erfassenden Vergleich tritt dahinter zurück.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob das Verfahren vor dem Sozialgericht Chemnitz (SG) mit dem Aktenzeichen S 10 KN 355/98 beendet ist oder fortgeführt werden muss.
Jenes Verfahren hatte mit der Klageschrift des Klägers vom 31.07.1998 begonnen, mit welcher er Klage gegen den Bescheid der Bundesknappschaft vom 05.03.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.06.1998 erhoben hatte. Gegenstand dieser Bescheide war die Ablehnung von Rentenleistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gewesen. Die Beklagte hatte die Auffassung vertreten, der Kläger sei weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig, auch liege keine verminderte Berufsfähigkeit im Bergbau vor. Im Verfahren vor dem SG (Az.: S 10 KN 355/98) wurde auf den Antrag des Klägers (§ 109 SGG) der Facharzt für Orthopädie Dipl.-Med. S ... M ... gutachterlich gehört. Der Gutachter kam nach Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis, dass dieser noch in der Lage sei, leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel von Gehen und Sitzen auszuüben. Dabei müssten überwiegende Schreibtischtätigkeiten, Überkopfarbeiten, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie Arbeiten in Zwangshaltungen vermieden werden. Der Einsatz in Kälte und Nässe sei nicht möglich, das Heben und Tragen von Lasten über 10 kg sei zu vermeiden. Ein Einsatz als Lehrer bzw. Ingenieur für Umschulungen sei nicht mehr möglich. Die Beklagte vertrat daraufhin die Auffassung, es solle zunächst einmal vor einer abschließenden Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Klägers im Erwerbsleben ein Heilverfahren eingeleitet werden.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung schlossen daraufhin die Beteiligten auf Vorschlag des Vorsitzenden folgenden Vergleich:
I. Der Kläger nimmt den Vorschlag einer Reha-Maßnahme in Warmbad vom 29.03. bis 19.04.2000 an, um das objektiv vorliegende Leistungsvermögen feststellen zu lassen.
II. Die Beklagte verpflichtet sich, die Heilmaßnahme durchzuführen.
III. Der Kläger nimmt die vorliegende Klage zurück und wird ggf. nach Abschluss der Heilmaßnahme erneuten Rentenantrag stellen.
IV. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass damit der Rechtsstreit insgesamt erledigt ist.
V. Der Kläger verzichtet auf die Erstattung der ihm entstandenen notwendigen Auslagen.
Ausweislich der Sitzungsniederschrift wurde der Vergleich den Beteiligten vorgelesen und von ihnen genehmigt.
Mit Schreiben vom 06.03.2000 erklärte der Kläger den "Teilwiderruf" des Vergleichs vom 15.02.2000 und stellte klar, dass er hinsichtlich der Punkte I., II. und V. nach wie vor dem Vergleich "vollinhaltlich" zustimme; durch die Zurücknahme der Klage entstünden ihm aber bei einer eventuellen positiven Entscheidung eines neuen Rentenantrages erhebliche Nachteile durch Abschläge. Über diese Konsequenzen sei er weder informiert noch belehrt worden. Die Klage werde daher nicht zurückgenommen, der Rechtsstreit bleibe anhängig und sei nicht erledigt. Mit Schreiben vom 24.07.2000 wies das SG den Kläger darauf hin, dass der Vergleich vom 15.02.2000 keine Widerrufsklausel enthalte und dass das Gericht beabsichtige, im Wege des Gerichtsbescheides nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter zu entscheiden.
Der Kläger gab darauf zu bedenken, dass in der mündlichen Verhandlung die Möglichkeit eines Widerrufes nicht erörtert worden sei, er sei diesbezüglich nicht belehrt worden. Er sei in der mündlichen Verhandlung am 15.02.2000 "zumindest indirekt nötigend dahingehend beeinflusst" worden, dem Vergleich zuzustimmen, indem ihm in Aussicht gestellt worden sei, dass bei einer erneuten Antragstellung dieser Antrag dann sehr schnell entschieden würde. Der Vergleich könne eigentlich auch nicht als Vergleich angesehen werden, denn nur der Klägerseite seien Zugeständnisse abverlangt worden.
Das SG hat sodann mit Gerichtsbescheid vom 19.09.2000 festgestellt, dass der Rechtsstreit S 10 KN 355/98 durch Vergleich beendet worden sei. Der am 15.02.2000 abgeschlossene Vergleich sei wirksam. Ein Widerruf sei ohne Widerrufsklausel ausgeschlossen. Prozessrechtliche Gründe für eine Unwirksamkeit des Gerichtsvergleiches seien nicht ersichtlich. Auch sei eine Belehrung über die Möglichkeit eines widerruflichen Vergleichs nicht nötig. In materieller Hinsicht sei der Vergleich auch wirksam; insbesondere liege durchaus ein gegenseitiges Nachgeben vor, schließlich habe die Beklagte sich verpflichtet, eine Rehabilitationsmaßnahme zu gewähren. Ein Anfechtungsgrund gemäß § 119 Abs. 1 oder § 123 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sei nicht gegeben. Wenn der Kläger im Moment des Vergleichsabschlusses rentenrechtliche Nachteile nicht überblickt habe, so liege darin ein unbeachtlicher Rechtsfolgeirrtum, der nicht zur Anfechtung berechtige. Für eine arglistige Täuschung seitens der Beklagten oder des Gerichts gebe es keine Anhaltspunkte. Schließlich könne das durch den Vergleich rechtskräftig beendete Verfahren auch nicht entsprechend den Bestimmungen des Vierten Buches der Zivilprozessordnung (ZPO) wieder aufgenommen werden, denn Wiederaufnahmegründe seien nicht ersichtlich.
Der Gerichtsbescheid wurde dem Kläger am 05.10.2000 mit Einschreiben übersandt. Seine Berufung ging am 06.11.2000 beim SG und am 08.11.2000 am LSG Chemnitz ein. Der Kläger rügt, dass ihm auf Grund seines Teilwiderrufes vom 06.03.2000 zunächst mitgeteilt worden sei, dass das Verfahren fortgeführt werde. Es erscheine widersprüchlich, wenn dann am Ende doch ein Gerichtsbescheid ergehe, in welchem das Gegenteil festgestellt wird. Die Bezeichnung "Vergleich" stimme auch dann nicht, wenn man berücksichtige, dass die Beklagte ein Heilverfahren zugesagt und gewährt habe. Im Verfahren sei dies ohnehin ihr Standpunkt gewesen, von einem Nachgeben könne also nicht die Rede sein. Er selbst habe angenommen, dass nach dem durchgeführten Heilverfahren automatisch eine Entscheidung über die verminderte Erwerbsfähigkeit durch die Beklagte getroffen werde und eine erneute Rentenantragstellung nur bei einer negativen Entscheidung erforderlich gewesen sei. Im Übrigen habe er über die Möglichkeit, auch einen widerruflichen Vergleich abzuschließen, belehrt werden müssen; ohnehin sei der Vorsitzende einseitig zu Gunsten der Beklagten eingestellt gewesen.
Er beantragt,
1. den Vorsitzenden der Verhandlung vom 15.02.2000, Richter am SG Gieser, für befangen zu erklären.
2. den in der Verhandlung am 15.02.2000 geschlossenen Vergleich für unwirksam zu erklären.
3. den Rechtsstreit mit dem Aktenzeichen S 10 KN 355/98 als nicht beendet zu erklären.
Entscheidungsgründe:
I. Das Ablehnungsgesuch gegen Richter am SG Gieser ist bereits unzulässig, da dieser Richter wegen Kammerwechsels mit der Sache schon vor Erlass einer Entscheidung nicht mehr befasst war (vgl. BFH BStBl 80 II 335, NJW 96, 215; BayLSG Breith 78, 700)
II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Im Ergebnis zu Recht hat das SG festgestellt, dass der Rechtsstreit S 10 KN 355/98 beendet ist; allerdings wurde dieser Rechtsstreit nicht durch Vergleich, sondern durch Klagerücknahme beendet.
Gemäß § 101 Abs. 1 SGG können die Beteiligten zur Niederschrift des Gerichts einen Vergleich schließen, um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können. Gemäß § 102 SGG kann der Kläger die Klage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zurücknehmen. Die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache. Auf Antrag ist diese Wirkung durch Beschluss auszusprechen und, soweit Kosten entstanden sind, über diese zu entscheiden. Im Rahmen des Sozialgerichtsprozesses ist es üblich, auch die einseitige Erklärung des Klägers, der Rechtsstreit sei in der Hauptsache erledigt, als Klagerücknahme aufzufassen (vgl. ML, § 102 Anm. 3, LSG Bremen SGb 83, 557).
Die am 15.02.2000 niedergelegten Erklärungen beinhalten sowohl eine Klagerücknahme als auch eine - übereinstimmende - Erledigterklärung der Beteiligten im Rahmen eines Vergleiches. In diesem Fall ist das Problem der Konkurrenz der Erledigungsarten dahingehend zu lösen, dass die Prozesshandlung der Klagerücknahme auch dann Prozesshandlung bleibt, wenn sie im Rahmen eines Vergleiches erklärt wird. Es kann hier nichts anderes gelten, als wenn die Verpflichtung zur Klagerücknahme im Rahmen eines außergerichtlichen Vergleichs erklärt worden war. Die Doppelnatur (vgl. hierzu Wannagat NJW 1961 S. 1191, Haueisen NJW 1963, 1329, BSG SozR SGG § 101 Da 4 Nr. 4), die dem Prozessvergleich im Gegensatz zum außergerichtlichen Vergleich zukommt, entzieht nicht der Prozesserklärung Klagerücknahme ihre Grundlage; mit anderen Worten, der Umstand, dass dem Vergleich neben seinem Charakter als öffentlich-rechtlicher Vertrag gemäß § 54 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auch noch eine verfahrensbeendende Wirkung zukommt, heißt nicht, dass diese verfahrensbeendende Wirkung eine explizite Verfahrensbeendigung relativieren kann. § 101 Abs. 1 SGG spricht eigentlich nur aus, dass ein Vergleich auch im Sozialgerichtsprozess möglich ist. Allerdings ist seine prozessrechtliche Wirkung in dem Sinne der unmittelbaren Beendigung des Rechtsstreits unumstritten (vgl. ML § 101 Rn. 10, PSW Anm. 1 c). Zusätzliche Voraussetzung ist freilich, dass der gesamte Streitstoff erfasst wird (vgl. ML a.a.O.). Diese Frage ist durchaus nicht immer leicht zu beantworten. Entgegen Hofmann/Schroeder (SGG Kommentar 2. Aufl. 1957 § 101 Anm. 1) kann es daher sehr wohl zweckmäßig sein, auch noch einmal explizit festzulegen, dass die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt erklären bzw. dass der Kläger die Klage zurücknimmt. Die Ungewissheit, ob dem Vergleich tatsächlich verfahrenserledigende Wirkung beikommt, oder ob er nur - eventuell ohne dass es den Beteiligten und dem Gericht aufgefallen wäre - ein Teilvergleich ist und das Verfahren im Übrigen anhängig bleibt, kann mit einer solchen klarstellenden Klausel zweckmäßigerweise beseitigt werden. In diesem Fall steht dann die Erledigung nicht unter dem Vorbehalt, dass auch tatsächlich der gesamte Streitstoff erfasst wurde.
Es besteht kein Grund, der Klagerücknahmeerklärung, die aus einem gerichtlichen Vergleich folgt, eine geringere Unbedingtheit zuzusprechen, als einer Klagerücknahmeerklärung, zu der sich der Kläger in einem außergerichtlichen Vergleich verpflichtet hatte. Sollte der außergerichtliche Vergleich anfechtbar sein, kann die Klagerücknahmeerklärung als solche jedenfalls nicht kondiziert werden. Entsprechendes gilt, wenn eine Möglichkeit zum Rücktritt bestand, der Kläger aber gleichwohl "leichtfertig" bereits vor endgültiger Klarheit über den Rücktrittsgrund die unbedingte Klagerücknahme erklärt hatte. Ein "Durchschlagen" der Mängel des öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrages auf die Prozesserklärung ist dann ebenso wenig gegeben wie im umgekehrten Falle. Allenfalls kann es - wie auch bei der abredewidrig unterbliebenen Klagerücknahmeerklärung (vgl. dazu LAG Hamm, Entscheidung vom 18.12.1996, 2 Sa 340/96) - gegen Treu und Glauben verstoßen, die vertragswidrig erlangten Positionen im Rechtsverkehr zu gebrauchen. Wer sich - außergerichtlich - verpflichtet hat, die Klage zurückzunehmen, verstößt mit dem Weiterprozessieren gegen Treu und Glauben. Ebenso dürfte es gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn ein Versicherungsträger sich auf die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes beruft, die ihrerseits nur auf eine abredewidrig abgegebene Klagerücknahmeerklärung zurückgeht. Entsprechendes dürfte gelten, wenn die Klagerücknahmeerklärung Bestandteil eines öffentlich-rechtlichen Vertrages war, der wirksam angefochten wurde.
Die Klagerücknahmeerklärung als solche kann allerdings grundsätzlich nicht widerrufen oder angefochten werden, eine entsprechende Anwendung der §§ 119 ff. BGB ist ausgeschlossen (vgl. BSG, Beschluss vom 12.08.1961 - 3 RK 13/59 - SozR Nr. 6 zu § 102 SGG).
Im Ergebnis zu Recht hat das SG auch die Voraussetzungen der §§ 579 f. ZPO verneint. Zwar findet eine entprechende Anwendung der Vorschriften über die Wiederaufnahme eines "durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossenen Verfahrens" (§ 578 ZPO) auf durch Vergleich oder angenommenes Anerkenntnis beendetes Verfahren nach herrschender Meinung keine Anwendung (vgl. BSG NJW 1968, 2396; BVerwG 28, 332). Allerdings wurde das Verfahren S 10 KN 355/98 wie dargelegt durch Rücknahmeerklärung abgeschlossen und ein ausnahmsweiser Widerruf der Rücknahmeerklärung ist dann möglich, wenn die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens erfüllt sind (vgl. BVerwG Bucholz 310 § 92 VwGO Nr. 3; BGHZ 33, 73, 75; BSG, Urteil vom 14.06.1978 - 9/10 RV 31/77 - SozR 1500 § 102 Nr. 2). Dabei mögen Zweifel bestehen, ob eine entsprechende Anwendung des § 579 Abs. 1 ZPO Ziff. 1 bis 3 Sinn macht, geht es hier doch um die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts, ein Rechtsgut, dem dann eine untergeordnete Bedeutung zukommen dürfte, wenn das Gericht lediglich als Protokollierungsinstanz tätig geworden ist. Jedenfalls gibt es für entsprechende Tatbestände in den Akten keine Anhaltspunkte. Auch der - denkbar anwendbare (vgl. BSG SozR 1500 § 102 Nr. 2) - Fall des § 579 Abs. 1 Ziff. 4 (Mangel in der Vertretung eines Beteiligten) ist nicht gegeben. Die vom Kläger behauptete Befangenheit des Vorsitzenden kann in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen, da ein Ablehnungsgesuch nicht mit Erfolg geltend gemacht wurde. Tatbestände des § 580 ZPO sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
Da - wie dargelegt - auch eine synallagmatische Verknüpfung der einzelnen Ziffern des Vergleichs die Prozesserklärung der Klagerücknahme, die sich - doppelt - aus den Ziffern III und IV ergibt, nicht kondizierbar macht, erübrigt sich die Prüfung, inwiefern der Vergleich wirksam angefochten wurde. Die im Rahmen des Streitgegenstandes allein relevante Frage der Prozessbeendigung beantwortet sich bereits durch die unbedingt erklärte Klagerücknahme; die daneben noch mögliche - gesetzliche - Beendigung durch einen den gesamten Streitstoff erfassenden Vergleich tritt dahinter zurück.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
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