S 10 RA 13/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 10 RA 13/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 20,00 DM zu zahlen. Die Widerklage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist die Rückforderung des Restbetrages einer nach dem Tod der Versicherten überzahlten Altersrente und insbesondere die Frage, ob der Beklagten insoweit ein aufrechenbarer Anspruch auf Aufwandsentschädigung i.H.v. 20,- DM zusteht.

Die Versicherte ...bezog von der Klägerin seit Januar 1972 eine Altersrente. Die Rente wurde von der Klägerin über das Postrentendienstzentrum laufend auf ein Konto der Versicherten überwiesen, das diese bei der Beklagte führte. Die Versicherte starb am 24.07.1997. Die Beklagte erhielt die Mitteilung über den Tod der Versicherten zu einem Zeitpunkt, als die Überweisung der Altersrente für den Monat August 1997 in Höhe von 2.592,44 DM bereits veranlasst war. Auf das Rückforderungsersuchen der Klägerin hinsichtlich der für den Monat August 1997 überzahlten Altersrente zahlte die Beklagte einen Betrag in Höhe von 2.572,44 DM an die Klägerin.

Mit Schreiben vom 30.09.1997 forderte die Klägerin die Beklagte auf, den Restbetrag in Höhe von 20,- DM zu überweisen. Die Beklagte lehnte dies mit der Begründung ab, sie erfülle mit der Rücküberweisung eine im Sozialgesetzbuch vorgeschriebene und von der Klägerin in Anspruch genommene Dienstleistung, wodurch ihr ein erheblicher Arbeitsaufwand entstehe, den sie mit einer Gebührenpauschale in Höhe von 20,- DM wenigstens teilweise in Rechnung stelle.

Nachdem die Beklagte eine nochmalige Zahlungsaufforderung der Klägerin zurückgewiesen hatte, hat die Klägerin am 21.01.1998 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, eine aufrechenbare Gegenforderung der Beklagten bestehe nicht, da es keine Anspruchsgrundlage für einen Aufwendungsersatzanspruch der Beklagten gebe. Die Rücküberweisungsverpflichtung ergebe sich aus § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI, ohne dass in dieser Vorschrift ein Aufwendungsersatzanspruch oder Entschädigungsanspruch geregelt worden sei. Im übrigen sei die Beklagte zur Aufrechnung auch dann nicht befugt, wenn ihr tatsächlich ein Anspruch auf Aufwandsentschädigung zustehen würde.

Insoweit würde das in § 118 Abs. 3 Satz 4 SGB VI geregelte Aufrechnungsverbot eingreifen, wonach das Geldinstitut den überwiesenen Betrag nicht zur Befriedigung eigener Forderungen verwenden darf.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 20,00 DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Klägerin im Wege der Widerklage zu verurteilen, an die Beklagte 20,00 DM zu zahlen.

Die Klägerin beantragt,

die Hilfswiderklage abzuweisen.

Die Klägerin und die Beklagte beantragen,

die Berufung zuzulassen.

Die Beklagte ist der Ansicht, ein Erstattungsanspruch für die von ihr erbrachten Dienstleistungen ergebe sich aus einer analogen Anwendung der §§ 91 Abs. 2, 93 SGB X sowie der §§ 670, 683 BGB. Nach § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB X bestehe ein Aufwendungsersatzanspruch, wenn ein Beauftragter Sozialleistungen für einen Auftrageber erbringe. Die Bestimmung beziehe sich zwar nur auf Leistungsträger im Sinne des Sozialversicherungsrechts, jedoch werde die Beklagte im Falle der Rücküberweisung einer überzahlten Rente durch § 118 Abs. 3 SGB VI kraft gesetzlichen Auftrages zum Leistungsträger bzw. zum gesetzlich beauftragten Verrichtungsgehilfen des Leistungsträgers. Aus den gleichen Gründen ergebe sich auch ein Aufwendungsersatzanspruch analog §§ 670, 683 BGB, da aufgrund der gesetzlichen Regelungen in § 118 Abs. 3 und 4 SGB VI ein gesetzliches Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen dem Kontoführer und dem Rentenversicherungsträger begründet werde. Darüber hinaus könne ein Erstattungsanspruch auch aus einer analogen Anwendung des § 17 a ZSEG abgeleitet werden. Im übrigen sei es gesicherter Bestandteil des geschriebenen und ungeschriebenen privaten und öffentlichen Rechts, dass außerhalb eines Vertragsverhältnisses ausschließlich zugunsten eines Dritten begründete Leistungspflichten mindestens insoweit zu vergüten seien, als deren Erfüllung in Person des Verpflichteten nicht ohne Aufwand möglich sei.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte, der die Versicherte ... betreffenden Verwaltungsakte der Klägerin und der beigezogenen Gerichtsakte (Az.: S 2 KN 232/97) Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Es handelt sich um eine echte Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die zulässig ist, da die Klägerin nicht befugt ist, einen Rückforderungsanspruch nach § 118 Abs. 3 SGB VI einseitig in einem vollstreckbaren Bescheid festzustellen (vgl. BSG vom 28.08.1997, Az.: 8 RKn 2/97).

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin hat nach § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI einen Anspruch auf Rücküberweisung der Geldleistung, die für die Zeit nach dem Tod der Versicherten auf das bei der Beklagten geführte Konto zu Unrecht überwiesen worden ist. Da die Versicherte am 24.07.1997 verstorben ist, war die Altersrente nach § 102 Abs. 5 SGB VI lediglich bis zum Ende des Monats Juli 1997 zu leisten. Somit ist die für August 1997 gezahlte Rente in Höhe von 2.592,44 DM in voller Höhe zu Unrecht erbracht worden.

Der Rückforderungsanspruch der Klägerin ist nicht in Höhe von 20,- DM nach § 389 BGB erloschen. Der Beklagten steht keine aufrechenbare Forderung im Sinne des § 387 BGB zu.

Ein Entschädigungsanspruch bzw. ein Aufwendungsersatzanspruch kann nicht aus § 118 Abs. 3 SGB VI hergeleitet werden, da diese Vorschrift keine entsprechende Anspruchsgrundlage enthält. Auch § 21Abs. 3 Satz 4 SGB X ist insoweit nicht einschlägig, da die Beklagte im Rahmen der Geltendmachung des Rückforderungsanspruches seitens der Klägerin nicht als Zeugin oder Sachverständige herangezogen wird und es sich nicht um eine Maßnahme zur Ermittlung des Sachverhaltes handelt.

Eine von der Beklagten in Anspruch genommene analoge Anwendung der §§ 91, 93 SGB X bzw. der §§ 670, 683 BGB setzt voraus, dass das Fehlen einer gesetzlichen Entschädigungsregelung eine planwidrige Gesetzeslücke darstellt, die von der Rechtsprechung geschlossen werden könnte (vgl. zu den Voraussetzungen einer Analogie allgmein: BSG in SozR 5755 Artikel 2 § 1 AnVNG). Eine solche Lücke lässt sich nicht feststellen. Vielmehr muss aus der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck der Regelung des § 118 Abs. 3 SGB VI geschossen werden, dass der Gesetzgeber bewusst keine Entschädigungsregelung hinsichtlich des mit der Rücküberweisung überzahlter Renten verbundenen Aufwandes der Kreditinstitute getroffen hat.

Vor Einführung des § 118 Abs. 3 SGB VI mit dem Rentenreformgesetz 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 2261) wurden wegen Todes überzahlte Renten auf der Grundlage einer Einverständniserklärung des Leistungsberechtigten im Rentenantrag und einer darauf aufbauenden Vereinbarung zwischen den Spitzenverbänden des Kreditgewerbes und dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger sowie dem Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (veröffentlicht in Zfs 1993, Seite 307) zurücküberwiesen. Diese Regelungen waren in der grundlegenden Struktur der Rechtsbeziehungen zivilrechtlicher Natur; im konkreten Einzelfall traten Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsverhältnis zwischen dem Versicherungsträger und dem Versicherten hinzu. Mit der Einführung des § 118 Abs. 3 und 4 SGB VI wurde mit Blick auf den Rücküberweisungs- bzw. Erstattungsanspruch des Versicherungsträgers eine öffentlich rechtliche Regelung geschaffen. Für den Ausnahmefall einer wegen Todes überzahlten Rente werden nunmehr bei Kontobewegungen nach dem Tod des Versicherten die Rechtsbeziehungen zwischen den hieran Beteiligten durch den Rücküberweisungsanspruch des Versicherungsträgers teilweise sozialrechtlich ausgestaltet (BSG vom 28.08.1997, Az.: 8 RKn 2/97). Damit sollten die rechtlichen Unsicherheiten bei der Anwendung der bisherigen Vereinbarungsregelung beseitigt werden. In der Gesetzesbegründung zu § 118 Abs. 3 SGB VI (BT- Drucksache 11/4124 Seite 179 zu § 119 des Entwurfs) heißt es:

"Absatz 3 stellt eine bereits bestehende Praxis, die sich bisher auf eine im Rentenantrag erteilte Einverständniserklärung des Leistungsberechtigten einerseits und eine Vereinbarung zwischen den Rentenversicherungsträgern und den Spitzenverbänden des Kre- ditgewerbes andererseits stützt, aus rechtsstaatlichen Erwägungen auf eine gesetzliche Grundlage."

Der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ist zu entnehmen, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspricht, eine gesetzliche Grundlage für die bisherigen vertraglichen Konstruktionen und insbesondere für das zu schaffen, was bisher Gegenstand der Vereinbarung zwischen den Spitzenverbänden des Kreditgewerbes und des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger sowie des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften gewesen war. Da diese Vereinbarung keine wie auch immer geartete Entschädigungs- bzw. Aufwandsentschädigung für die Kreditinstitute vorsah, kann nicht angenommen werden, dass es eine dem Plan des Gesetzgebers widersprechende Lücke darstellt, dass nunmehr in der gesetzlichen Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen Rentenversicherungsträger und Kreditinstitut eine Entschädigungsregelung nicht aufgenommen worden ist. Dies gilt umso mehr, als in der Vereinbarung der kreditwirtschaftlichen Verbände mit den gesetzlichen Rentenversicherungsträgern und Berufsgenossenschaften unter Ziffer 2. und in der nunmehrigen gesetzlichen Regelung in § 118 Abs. 3 SGB VI im einzelnen geregelt war bzw. ist, unter welchen Gesichtspunkten sich der von dem Kreditinstitut zurückzuzahlende Betrag vermindert. Insoweit ist es fernliegend, davon auszugehen, der Gesetzgeber habe unbewusst eine ansonsten von ihm gewollte Minderungsmöglichkeit unter dem Gesichtspunkt eines eigenen Entschädigungs- bzw. Aufwendungsersatzanspruches des Kreditinstituts nicht mitgeregelt.

Gegen die Annahme einer planwidrigen Gesetzeslücke spricht zudem der Umstand, dass mit Wirkung vom 01.01.1996 durch den Gesetzgeber eine Neuregelung in Gestalt des § 118 Abs. 4 SGB VI getroffen worden ist, mit der insbesondere der Umfang der Informationspflicht der Geldinstitute gegenüber den Rentenversicherungsträgern geregelt worden ist.

Sollte es dem Willen des Gesetzgebers entsprochen haben, den Kreditinstituten einen Entschädigungsanspruch für ihre Rücküberweisungsverpflichtung zuzubilligen, hätte zu diesem Zeitpunkt eine entsprechende Regelung in die Vorschrift aufgenommen werden können. Aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber auch für die nun eingeführte Auskunftsverpflichtung der Kreditinstitute keinen Anspruch auf Ersatz von insoweit entstehenden Aufwendungen eingeräumt hat, kann nur geschlossen werden, dass der Gesetzgeber bewusst auf eine gesetzliche Vergütung hinsichtlich dieser Verpflichtungen verzichtet hat. Dies gilt erst recht auf dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber in einem anderen Bereich des Sozialgesetzbuches eine Auskunftspflicht von Banken geregelt und eine diesbezügliche Kostenersatzverpflichtung durch die Verweisung auf § 21 Abs. 3 Satz 4 SGB X angeordnet hat (vgl. die Änderung des § 144 AFG aF durch Artikel 30 des Jahressteuergesetzes 1997 vom 20.12.1996, BGBl I 2049 - heutige Regelung in § 315 Abs. 2 Satz 2 SGB III). Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass der Wille des Gesetzgebers dahin geht, dass im Rahmen der Rücküberweisungsverpflichtung nach § 118 Abs. 3 SGB VI kein Kostenerstattungsanspruch gegeben sein soll (ebenso im Ergebnis für die in § 118 Abs. 4 Satz 2 SGB VI geregelte Auskunftsverpflichtung: LSG NRW vom 10.06.1998, Az.: L 8 RJ 77/97).

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann allein aus der Tatsache, dass ihr durch § 118 Abs. 3 SGB VI eine öffentlich rechtliche Verpflichtung auferlegt worden ist, unter bestimmten Voraussetzungen die Rücküberweisung einer überzahlten Rente vorzunehmen, kein Entschädigungsanspruch hergeleitet werden. Es ist zwar zutreffend, dass die Regelung im Interesse der Solidargemeinschaft getroffen worden ist, um eine schnelle Rücküberweisung der überzahlten Rentenbeträge zu ermöglichen, damit die Gelder möglichst bald den Rentenversicherungsträgern zur Erfüllung ihrer Aufgaben wieder zur Verfügung stehen (vgl. BSG v. 28.08.1997, Az.: 8 RKn 2/97). Insoweit steht es jedoch in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, ob und ggf. in welchem Umfang er einen Aufwendungsersatzanspruch zubilligt. So kann beispielsweise der Gesichtspunkt der erhöhten Sozialpflichtigkeit bestimmter Personengruppen dafür sprechen, einen gesetzlichen Anspruch auf Aufwands-entschädigung nicht zuzubilligen (vgl. für Arbeitgeber und sonstige Dienstberechtigte:

BSG in SozR 3 - 4100 § 144 AFG). Im Fall der Rücküberweisungsverpflichtung eines Kreditinstituts nach § 118 Abs. 3 SGB VI spricht insbesondere der Umstand, dass die Vornahme der Überweisung - wie von der Beklagten im Verhandlungstermin eingeräumt - im Rahmen des Girovertrages den Erben der Versicherten in Rechnung gestellt wird, gegen einen Aufwendungsersatzanspruch gegenüber dem Rentenversicherungsträger. Ob die insoweit im Girovertrag vereinbarte Überweisungsgebühr kostendeckend ist, ist eine Frage der Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen der Beklagten und ihren Privatkunden und kann im Verhältnis zum Rentenversicherungsträger nicht relevant sein. Unter diesem Gesichtspunkt liegt jedenfalls ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu der Entschädigungsregelung in § 315 Abs. 2 Satz 2 SGB III vor.

Da der Beklagten kein Aufwendungsersatzanspruch zusteht, kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte befugt wäre, entgegen dem Wortlaut der Vorschrift des § 118 Abs. 3 Satz 4 SGB VI den überwiesenen Betrag zur Befriedigung ihrer Forderung zu verwenden.

Die nach § 100 SGG zulässige Widerklage ist unbegründet, da die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 20,- DM für die von ihr vorgenommene Rücküberweisung der überzahlten Rente hat.

Die Berufung war nach § 150 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Rechtssache unter dem Gesichtspunkt grundsätzliche Bedeutung hat, dass eine Klärung der Rechtsfrage mit Rücksicht auf die Wiederholung ähnlicher Fälle erwünscht ist (vgl. BSGE 2, 132; Meyer-Ladewig § 160 Randnummer 6).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
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