L 6 KN 40/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 7 KN 102/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 KN 40/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 29. Juni 1999 sowie der Bescheid der Beklagten vom 13.06.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.02.1998 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Weitergewährung einer Bergmannsaltersrente nach dem Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) ab dem 01.04.1997.

Mit Antrag vom 20.05.1996, eingegangen bei der Beklagten am 21.05.1996, beantragte die Klägerin Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute sowie Bergmannsrente nach Art. 2 des RÜG. Mit Bescheid vom 11.09.1996 wurde der am ... geborenen Klägerin, welche am 18.05.1990 ihren Wohnsitz im Beitrittsgebiet hatte, Bergmannsaltersrente ab dem 01.11.1996 in Höhe von 1.115,55 DM bewilligt. Die Rente war nach dem Übergangsrecht für das Beitrittsgebiet berechnet worden.

Am 15.03.1997 verstarb ihr Ehemann Erich D ... Am 24.03.1997 beantragte sie bei der Beklagten große Witwenrente, welche ihr mit Bescheid vom 24.06.1997 auch bewilligt wurde. Zuvor hatte die Beklagte allerdings die Klägerin in einem Anhörungsschreiben vom 29.05.1997 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, den Bescheid über die Bewilligung der Rente nach dem RÜG aus eigener Versicherung mit Wirkung ab 01.07.1997 ganz aufzuheben. Nach § 319b Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) sei nämlich bei dem Zusammentreffen von Renten nach dem SGB VI und nach dem RÜG nur die Rente nach dem SGB VI zu erbringen. Die Klägerin wandte daraufhin ein, dass die ihr zugestandene Bergmannsrente auf ihrer eigenen bergmännischen Tätigkeit beruhe und eine Entziehung der Rente gegen Art. 14 Grundgesetz (GG) verstoße. Mit Bescheid vom 13.06.1997 hob die Beklagte daraufhin den Bewilligungsbescheid vom 11.09.1996 - anders als angekündigt - schon ab dem 01.04.1997 auf und berief sich hierfür auf § 319b SGB VI und § 48 Abs. 1 Ziff. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch berief sich die Klägerin auf einen Passus in einer Broschüre des BMA "Das neue Rentenrecht", wonach auch nach dem Rentenreformgesetz 1992 beim Bezug von Witwen- oder Witwerrente eine gleichzeitig bezogene Versichertenrente und das sonstige selbst erworbene Einkommen der Witwe oder des Witwers in jedem Fall voll erhalten bleiben.

Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 05.02.1998 als unbegründet zurückgewiesen. Gesetzgeberisches Ziel des § 319b SGB VI sei es, bei einem Anspruch auf eine oder mehrere Leistungen nach dem SGB VI oder eine oder mehrere Leistungen nach dem Art. 2 RÜG immer allein die Leistung bzw. Gesamtleistung nach dem SGB VI ggf. erhöht um die Differenz zur Leistung bzw. Gesamtleistung nach Art. 2 RÜG zu zahlen. Die Zahlung der Bergmannsrente sei also nicht zulässig, da ab dem 01.04.1997 eine Hinterbliebenenrente nach dem SGB VI hinzugetreten sei. Diese sei höher, so dass auch kein Anspruch auf einen Übergangszuschlag bestehe.

Die dagegen erhobene Klage zum Sozialgericht (SG) Chemnitz wurde damit begründet, dass mit der Klägerin zwar das Rechtsproblem ausführlich erörtert worden sei, diese aber dennoch nicht bereit sei, ihre Klage zurückzunehmen. Es werde daher gebeten, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden.

Dieser Bitte kam das SG am 29.06.1999 nach und wies die Klage ab.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie weist zunächst darauf hin, dass doch wohl auch nach § 319b SGB VI auf die Gesamtleistung abzustellen sei, Vergleichsgröße sei also die Gesamtleistung, wie sie sich nach dem Rentenrecht der DDR ergeben hätte. Nach § 50 Abs. 2 Rentenverordnung DDR hätte Anspruch auf 25 % der Bergmannshinterbliebenenrente bestanden. Es errechne sich so ein Zuschlag von 180,72 DM. Hierauf entgegnete die Beklagte, dass Anspruch auf Bergmannshinterbliebenenrente nach Art. 2 RÜG gerade nicht mehr bestehe, weil das Übergangsrecht ab dem 01.01.1997 nicht mehr anzuwenden sei.

Die Klägerin hat daraufhin ihre Rechtsauffassung dahingehend präzisiert, dass die Beklagte den Bescheid vom 11.09.1996 schon gar nicht mit Rücknahmebescheid vom 13.06.1997 habe zurücknehmen dürfen. Für eine Anwendung des § 319b SGB VI sei nämlich nur für die Zeit vom 01.01.1992 bis 31.12.1996 Raum. Allenfalls habe die Beklagte die Witwenrente gemäß § 46 SGB VI in Verbindung mit § 97 SGB VI kürzen dürfen.

Sie beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 29.06.1999 mit dem Bescheid vom 13.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.1998 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat liegen die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakten der Beklagten vor.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist auch begründet. Ein rechtfertigender Grund für die Entziehung der Bergmannsaltersrente ist nicht gegeben.

Zu Unrecht hat sich das SG (wie beispielsweise auch das LSG Berlin, Entscheidung vom 15.12.1997 - L 16 J 75/97 -) für seine Auffassung auf KassKomm - Polster, § 319b SGB VI, Rnrn. 2, 5 berufen. Den ersatzlosen Wegfall einer ganzen Rentenart aus dem einzigen Grunde, weil die eine Rente nach dem SGB VI, die andere nach dem RÜG berechnet wird, sieht § 319b SGB VI nicht vor. Eine solche Rechtsfolge würde sich auch kaum rechtfertigen lassen: Hätten beide Renten in der Zeit vom 01.01.1992 bis zum 31.12.1996 begonnen (Art. 2 § 1 Abs. 1 Ziff. 3 RÜG), so hätte eine dem DDR-Recht entsprechende Anrechnung, wie sie etwa von der Klägerin in der ersten Berufungsbegründung vom 25.10.1999 vorgetragen wurde, stattgefunden (Art. 2 § 41 Abs. 2 RÜG). Bei einem Beginn beider Renten nach dem 31.12.1996 kämen - hiervon geht auch die Beklagte aus - die Anrechnungsvorschriften des SGB VI, namentlich § 97, zur Anwendung. Ein von diesen beiden Berechnungsmodalitäten abweichender ersatzloser Wegfall der niedrigeren Rente aus dem einzigen Grunde, weil die zusammentreffenden Renten nach verschiedenen Gesetzen berechnet wurden, ist in § 319b SGB VI nicht normiert. Weder die Entstehungsgeschichte der Vorschrift noch ihr Wortlaut lassen sich dafür heranziehen.

§ 319b SGB VI wurde durch Art. 1 Nr. 33 RÜ-ErgG vom 24.06.1993 (BGBl. I, 1038) eingefügt und ist gemäß Art. 18 Abs. 4 RÜ-ErgG rückwirkend zum 01.01.1992 in Kraft getreten. Er ersetzt Art. 2 § 45 RÜG, der mit Wirkung vom 01.01.1992 gestrichen wurde. Art. 2 § 45 RÜG lautete:

Besteht für denselben Zeitraum Anspruch auf Leistungen nach den Vorschriften dieses Artikels und auf solche nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch, wird die nach Anwendung der jeweiligen Vorschriften über das Zusammentreffen von Renten und von Einkommen höhere Gesamtleistung erbracht. Bestand am 31. Dezember 1991 Anspruch auf eine Rente nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets, wird für die Feststellung der Gesamtleistung nach Satz 1 diese Rente nach den Vorschriften dieses Artikels neu berechnet. Bei gleich hohen Gesamtleistungen wird die Gesamtleistung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erbracht.

Fände diese Vorschrift auf den Fall der Klägerin noch Anwendung, so wäre also zu vergleichen, welche Gesamtleistung sich ergibt, wenn die Leistungen nach dem SGB VI so angerechnet werden, als wären sie Leistungen nach dem RÜG und welche Gesamtleistung sich ergibt, wenn die Leistungen nach dem RÜG so angerechnet werden, als wären sie Leistungen nach dem SGB VI. Erst das Ergebnis dieses Vergleiches entscheidet, ob die Gesamtleistung nach dem RÜG oder nach dem SGB VI zu erbringen ist. Dieses Prozedere wurde insbesondere deswegen für unpraktikabel gehalten, weil es ohne jeweilige Einschaltung der Sachbearbeitung im Einzelfall nicht zu bewältigen war. Von den Rentenversicherungsträgern wurde daher im Rahmen der Vorbereitung des RÜ-ErgG vorgebracht, dass ein Verfahren wünschenswert sei, welches eine maschinelle Bearbeitung erlaube. Diesem Begehren trug § 319b in der Fassung des RÜ-ErgG Rechnung. Eine sachliche Änderung war jedoch keinesfalls beabsichtigt. Der entsprechende Passus in der Begründung des Referentenentwurfs lautet (BT-Drucks. 12/4810, S. 27):

Mit der vorgeschlagenen Änderung wird sichergestellt, dass das mit der bisherigen Regelung verfolgte Regelungsziel in einem maschinellen Verfahren umgesetzt werden kann. Die Regelung legt fest, dass stets die nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ermittelte Gesamtleistung (eine oder mehrere Renten) geleistet wird. Ist die Gesamtleistung nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch niedriger als die Gesamtleistung nach den Vorschriften des Art. 2 des Renten-Überleitungsgesetzes, wird zusätzlich ein Übergangszuschlag in Höhe der Differenz zwischen der Gesamtleistung nach den Vorschriften des Art. 2 und der Gesamtleistung nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch gezahlt. Im Ergebnis wird sichergestellt, dass der nach den Vorschriften des Art. 2 des Renten-Überleitungsgesetzes ermittelte Betrag der Gesamtleistung gezahlt wird. Ändert sich die Gesamtleistung nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch oder die nach dem Übergangsrecht für Renten nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets (z.B. durch Rentenanpassung oder im Wege der Einkommensanrechnung), ist der Übergangszuschlag neu zu ermitteln.

Rechtstechnisch ist also zunächst einmal das Problem der Rechtswahl entschieden: Die neu ermittelte Gesamtleistung gilt immer als Leistung nach dem SGB VI; wäre die Leistung nach dem RÜG höher, so wird nicht, wie in Art. 2 § 45 RÜG vorgesehen, diese Leistung gezahlt, sondern gleichwohl die Leistung nach dem SGB VI zzgl. eines Übergangszuschlages, dessen Berechnung freilich nicht immer einfach ist, die jedoch maschinell erfolgen kann. Ein rigoroser Wegfall der jeweils niedrigeren Rente ist jedoch, wie sich auch aus der Begründung ergibt, nicht vorgesehen.

Die Beklagte interpretiert § 319b Satz 1 SGB VI falsch, wenn sie daraus diese Rechtsfolge herleitet. § 319b Satz 1 SGB VI lautet:

Besteht für denselben Zeitraum Anspruch auf Leistungen nach den Vorschriften dieses Buches und auf solchen nach dem Übergangsrecht für Renten nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets, werden die Leistungen nach den Vorschriften dieses Buches erbracht.

Die Beklagte hat in ihrer Auslegung gewissermaßen das Wörtchen "nur" in den Text hineininterpretiert, welches dort jedoch mit gutem Grund nicht zu finden ist. Die Rechtsfolge lautet nicht: " ..., werden nur die Leistungen nach den Vorschriften dieses Buches erbracht". Dieser Satzteil ist vielmehr folgendermaßen zu lesen: " ..., werden die zustehenden Leistungen als Leistungen nach den Vorschriften dieses Buches erbracht".

Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Kommentarliteratur. Auch KassKomm Polster betont, dass die höhere Gesamtleistung nach dem SGB VI erbracht wird (a.a.O. § 319b SGB VI, Rn. 2). Hiermit wird offensichtlich auf den Begriff aus Art. 2 § 45 RÜG Bezug genommen, der sich in § 319b S. 1 SGB VI nicht mehr befindet, woraus aber jetzt nicht etwa der Schluss gezogen werden darf, dass nicht mehr die Gesamtleistungen verglichen werden, sondern die einzelnen Renten. § 319b S. 2 SGB VI greift nämlich den Begriff der Gesamtleistung wieder auf und macht damit deutlich, dass es sich um einen Summenvergleich handelt (vgl. KassKomm Polster a.a.O. Rn. 7).

Es fehlt also an der Rechtsgrundlage für einen Entzug der Bergmannsaltersrente. Die Frage, inwiefern das Einkommen aus dieser Rente als Erwerbsersatzeinkommen auf die Witwenrente anzurechnen ist, ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Gegenstand des Rechtsstreits (§ 95 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist der Bescheid vom 13.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.02.1998, der mangels einer Rechtsgrundlage (§ 31 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -) antragsgemäß aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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