Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 13 KN 457/98 KR
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 KN 60/99 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 09. September 1999 aufgehoben.
II. Die Bescheide der Beklagten vom 23.04.1998, 06.08.1998 und 10.09.1998 werden aufgehoben.
III. Es wird festgestellt, dass die Mitgliedschaft der Kläger bei der Beklagten zum 30.06.1998 endet.
IV. Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
V. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Dauer der Mitgliedschaft der Kläger in der knappschaftlichen Krankenversicherung.
Mit Beschluss der Vertreterversammlung der Bundesknappschaft vom 22.08.1997 wurden die §§ 152 b Abs. 4 und 5 sowie § 10 Abs. 2 und 3 der Anlage 4 zu § 153 der Satzung der Bundesknappschaft geändert. Es wurde beschlossen, dass diese Änderungen mit Wirkung vom 01.10.1997 in Kraft treten. Am 19.09.1997 wurde dieser "82. Nachtrag zur Satzung der Bundesknappschaft" mit Ausnahme der Änderung von § 152b Abs. 4 Nr. 4 vom Bundesversicherungsamt gemäß § 195 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. § 90 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) genehmigt. Damit war insbesondere auch § 152b Abs. 4 Ziff. 1 der neuen Fassung in Kraft, wonach der allgemeine Beitragssatz in Sachsen von 11,4 % auf 14,2 % heraufgesetzt wurde. Der 82. Nachtrag zur Satzung der Bundesknappschaft wurde als "Amtliche Bekanntmachung" in dem Oktober-Heft der Monatszeitschrift "Kompaß" veröffentlicht (Kompaß 10/97 S. 476). Das Oktober-Heft wurde allerdings nicht zu Beginn des Monats Oktober allgemein versandt, vielmehr ist in der Regel die Monatszeitschrift "Kompaß" erst in der Mitte des Folgemonats bei den Abonnenten. Beispielsweise das Heft Oktober 1997 ging bei der Bibliothek des Sächsischen Landessozialgerichts (LSG) am 11.11.1997 ein. In der Mitgliederzeitschrift "tag" II/98 wurde darüber informiert, dass sich der Beitragssatz für die alten Bundesländer von 14,0 % auf 14,5 % ab 01.01.1998 anhebe. Hiermit war freilich lediglich Bezug genommen auf den 83. Nachtrag vom 01.10.1997, veröffentlich in "Kompaß" Heft 12/97, S. 559. Die die Kläger betreffende Beitragssatzsteigerung wurde dann im April-Heft der Mitgliederzeitung "tag" erwähnt. Hier wurde auch darauf hingewiesen, dass es sich effektiv um eine Anhebung von 11,4 % auf 14,2 % handelte. Die Klägerin zu 2. kündigte daraufhin mit Schreiben vom 06.04.1998 ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten, die erst seit dem 01.09.1997 bestanden hatte. Die Klägerin zu 2. hatte im August 1997 von ihrem Kassenwahlrecht Gebrauch gemacht und war von der DAK übergetreten. Die Beklagte schrieb daraufhin zurück, dass ein Kassenwechsel nach den gesetzlichen Bestimmungen erst zum 01.01.1999 erfolgen könne. Die verkürzte Kündigungsfrist nach § 175 Abs. 4 Satz 3 SGB V sei "in Bezug auf den Zeitpunkt der Erhöhung der Beiträge aus Renten nach § 257 SGB V" nicht anwendbar. Die Klägerin zu 2. machte daraufhin in einem Schreiben vom 30.04.1998 deutlich, dass sie das Verhalten der Beklagten als arglistig empfinde. Durch die Beitragsanhebung einen Tag nach dem gesetzlichen Kündigungsstichtag um immerhin 2,8 % sei sie der Möglichkeit beraubt worden, die Mitgliedschaft schon zum 31.12.1997 zu kündigen bzw. gar nicht erst bei der Knappschaft Mitglied zu werden. Sie werde gleichzeitig die Mitgliedschaft rückwirkend ab 01.01.1998 bei der BKK Zollern-Alb beantragen. Die Beklagte entgegnete daraufhin, dass durch die kurzfristige Beitragssatzerhöhung den wahlberechtigten Personen nicht das Recht für einen vorzeitigen Krankenkassenwechsel beschnitten worden sei, da die hierfür geltende Kündigungsfrist erst zum Monatsende der Beitragssatzanhebung, also zum 31.10.1997 abgelaufen sei.
Die Beklagte erließ daraufhin einen Widerspruchsbescheid (Datum: 06.08.1998), in welchem sie ausführte, auch Rentner, bei denen sich Beitragssatzerhöhungen erst verzögert (nämlich zum 01.07. des Folgejahres) auswirkten, könnten nur unmittelbar im Zusammenhang mit der Beitragssatzerhöhung vom Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen. Im Falle der Klägerin zu 2. sei die Erhöhung des Beitragssatzes zum 01.10.1997 in Kraft getreten. Die Sonderkündigung habe somit nur bis zum 31.10.1997 ausgesprochen werden können. Da dies nicht geschehen sei, sei nur die Kündigung der Mitgliedschaft mit einer Frist von drei Monaten zum Ende des Kalenderjahres möglich. Dementsprechend sei als Ende der Mitgliedschaft der 31.12.1998 festgestellt worden. Gegen den am 12.08.1998 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 23.09.1998 zum Sozialgericht (SG) Chemnitz Klage erhoben.
Auch der Kläger zu 1. kündigte die Mitgliedschaft bei der Beklagten, allerdings erst mit Schreiben vom 26.06.1998, nachdem er aus dem Rentenanpassungsbescheid zum 01.07.1998 entnommen hatte, dass sich der Beitragssatz in der Krankenversicherung ab diesen Termin erhöht. Im Einverständnis mit dem Kläger zu 1. wurde sofort ein Widerspruchsbescheid erlassen (Datum 10.09.1998), in welchem mit der nämlichen Begründung wie bei der Klägerin zu 2. eine Beendigung der Mitgliedschaft erst zum 31.12.1998 festgestellt wurde.
Mit Beschluss vom 30.11.1998 hat das Sozialgericht (SG) die Klagen der Eheleute Stahn zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Die verbundenen Klagen wurden mit Gerichtsbescheid vom 09.09.1999 abgewiesen. Die Frist des § 175 Abs. 4 Satz 3 SGB V habe am 30.11.1997 geendet; da die Kläger jedoch erst nach diesem Zeitpunkt gekündigt hätten, könne diese Kündigung nur in eine fristgerechte zum nächsten Jahresende umgedeutet werden. Ein pflichtwidriges Verhalten der Beklagten, welches Voraussetzung für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch wäre, sei nicht erkennbar, Vorschriften des Grundgesetzes seien auch nicht verletzt.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger: Die Beklagte habe den Klägern bei Beginn der Mitgliedschaft oder später keine Satzung der Bundesknappschaft übergeben. Sie habe sie auch zu keinem Zeitpunkt darüber informiert, dass die Zeitschrift "Kompaß" existiere und Satzungsänderungen nur darin und nicht in der Mitgliederzeitschrift "tag" als bekannt gemacht gelten. Die Kläger seien seit langem nicht mehr im Berufsleben, der Rechtsnachfolger des Betriebes sei nicht mehr ortsansässig und die Klägerin zu 2. habe ohnehin nie in einem knappschaftlichen Betrieb gearbeitet. An welchen Betrieb oder an welchen Knappschaftsältesten hätten sie sich also wenden sollen? Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Beklagte überhaupt die Mitgliederzeitschrift "tag" herausgebe, wenn deren Mitteilungen über Beitrittserhöhungen rechtlich vollkommen unverbindlich seien. Jeder Arbeitnehmer erfahre eine Beitragserhöhung in der Krankenversicherung auch aus den monatlichen Verdienstabrechnungen seines Arbeitgebers und könne gegebenenfalls von seinem außerordentlichen Kündigungsrecht Gebrauch machen. Gesetzlich krankenversicherte Rentner hätten diese Kontrollmöglichkeit jedoch, da sie nur einmal im Jahr eine Rentenanpassungsmitteilung erhielten, nicht.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 09.09.1999 aufzuheben und festzustellen, dass die Mitgliedschaft der Kläger bei der Beklagten zum 30.06.1998 geendet hat.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 09.09.1999 als unbegründet zurückzuweisen.
Dem Gericht liegen neben den Gerichtsakten beider Instanzen (SG Chemnitz: S 13 KN 408/98 KR und S 13 KN 457/98 KR) die Verwaltungsakten der Beklagten vor.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist auch begründet. Die Kläger sind nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB analog) so zu behandeln, als hätten sie von ihrem Sonderkündigungsrecht rechtzeitig Gebrauch gemacht.
Die Kläger haben von ihrem Sonderkündigungsrecht verspätet Gebrauch gemacht. Dies hat das SG zu Recht festgestellt. Gemäß § 175 Abs. 4 Satz 3 SGB V in der Fassung des 1. Gesetzes zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (1. NOG) vom 23.06.1997 (BGBl. I, 1518) ist die Kündigung der Mitgliedschaft, sofern eine Krankenkasse ihren Beitragssatz erhöht hat, mit einer Frist von einem Monat zum Ende des auf den Tag des Inkrafttretens der Erhöhung folgenden Kalendermonats möglich. Diese Kündigungsmöglichkeit wurde dann durch das 2. NOG (Gesetz vom 23.06.1997, BGBl. I, 1520, 1530) auch für die Fälle erweitert, in denen die Krankenkasse Leistungen verändert, über deren Art und Umfang sie entscheiden kann. Diese Möglichkeit galt allerdings nur bis zum 31.12.1998 (Gesetz vom 19.12.1998, BGBl. I 3853). In § 175 Abs. 4 Satz 3 SGB V in der hier anzuwendenden Fassung ist nicht von einer Ausschlussfrist die Rede. Vielmehr ist gesetzestechnisch der mögliche Kündigungszeitpunkt mittelbar über einen bestimmten Kündigungstermin festgelegt. Kündigungstermin ist der Monatsletzte des Monats, der auf den Monat folgt, in welchem die Beitragserhöhung in Kraft getreten ist. Dies wäre - und hiervon gehen offenbar auch alle Beteiligten aus - im Falle der beiden Kläger der 30.11.1997, da nämlich die maßgebliche Beitragserhöhung zum 01.10.1997 in Kraft getreten ist (vgl. 82. Nachtrag, Kompaß 97, 476). Die Kündigungsfrist von einem Monat dient letztlich - wie alle Kündigungsfristen - dazu, dem Erklärungsempfänger einen gewissen Zeitraum für die Umsetzung der sich aus der Kündigungserklärung ergebenden Rechtsfolgen zuzugestehen. Eine Kündigungsfrist kann von demjenigen, der die Kündigungserklärung abgibt, nicht "versäumt" werden. Ist eine Kündigung nur zu bestimmten Terminen möglich (Ende des Kalendermonats, Ende des Kalendervierteljahres), so wirkt eine Kündigungserklärung, die nicht innerhalb einer ausreichenden Frist - bezogen auf den nächstmöglichen Kündigungszeitpunkt - erklärt wurde, automatisch auf den danach folgenden möglichen Kündigungszeitpunkt. Von daher ist die Formulierung des SG zumindest missverständlich, wonach die Frist des § 175 Abs. 4 Satz 3 SGB V mit dem Wirksamwerden der Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes begann und am 30.11.1997 endete. Hier ist zu trennen: Die Kündigungsfrist selbst ist im Gesetz ausdrücklich als Monatsfrist bezeichnet. Sie ist im Gegensatz zu den Fristberechnungen nach § 187 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) rückwärts zu berechnen, das heißt ausgehend von einem Endzeitpunkt. Die eigentliche Kündigungsfrist reichte also vom 30.11.1997 bis zurück zum 30.10.1997. Eine danach erklärte Kündigung hätte also nicht mehr zur vorgesehenen Vertragsbeendigung zum im Gesetz genannten Termin führen können. Im Gesetz ist die Rechtsfolge einer verspätet erklärten Kündigung nicht geregelt. Denkbar wäre, dass bei solchen verspäteten Kündigungen dann jeweils der nächste Monatsletzte als Beendigungszeitpunkt genommen wird. Die Beklagte und auch das SG sind davon ausgegangen, dass das Sonderkündigungsrecht erlischt, wenn eine Kündigung (zum Ende des auf den Tag des Inkrafttretens der Beitragserhöhung folgenden Kalendermonats) nicht geglückt ist. Dies wäre dann der Fall, wenn § 175 Abs. 4 Satz 3 SGB V auch noch - gewissermaßen "zwischen den Zeilen" - eine Ausschlussfrist zum Nachteil des Versicherten geregelt hätte. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an: Eine jeweilige Verlängerung dieses Sonderkündigungsrechts auf den Monatsletzten würde sowohl Sinn und Zweck der Regelung zuwiderlaufen als auch mit dem Gesetzeswortlaut des Gesetzes im Widerspruch stehen. Ebenso wenig kann es für Rentner auf einen anderen Zeitpunkt ankommen. Auch wenn Rentner wegen § 247 Abs. 1 SGB V von einer Beitragserhöhung praktisch erst im Juli des Folgejahres betroffen werden, heißt das nicht, dass ihr Sonderkündigungsrecht deswegen auf diesen Zeitpunkt verschoben wird. Es ist nämlich im Gesetz explizit vom Inkrafttreten der Regelung als Ausgangspunkt zur Fristberechnung die Rede und nicht vom Wirksamwerden; darüber hinaus - hierauf hat das SG zu Recht hingewiesen - ist der besondere Teil der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 13/5724 S. 5) insoweit eindeutig: "Bei Rentnern ist für die Kündigungsfrist nicht der Zeitpunkt der Erhöhung der Beiträge aus Renten nach § 247, sondern der Zeitpunkt der Beitragserhöhung der Krankenkasse nach § 221 maßgebend." In der Tat wird also auch Rentnern zugemutet, obwohl sie, wie der Prozessbevollmächtigte der Kläger zu Recht eingewandt hat, nicht in dem Maße wie Arbeitnehmer die Auswirkungen einer Beitragserhöhung unmittelbar zu spüren bekommen bzw. zumindest über den Betrieb oder andere Informationsquellen rechtzeitig von einer Beitragserhöhung zu erfahren, den Antrag so zu stellen, dass die Kündigung auf den Monatsletzten des Folgemonats nach der Beitragserhöhung noch erreicht wird. Hiermit ist eine andere Frage und auch eine andere Frist angesprochen: Den Klägern stand theoretisch zur Informationsbeschaffung wie auch als Überlegungsfrist nur der Zeitraum vom 01.10. bis zum 30.10.1997 zur Verfügung. In der Kommentarliteratur (Krauskopf-Bayer, § 175 SGB V Rn. 28) wird mit Recht darauf hingewiesen, dass diese Erklärungsfrist (zu Unrecht als "Kündigungsfrist" bezeichnet) dann zu kurz bemessen sein dürfte, wenn die Satzungsänderung gegen Ende des Monats in Kraft tritt und erst unmittelbar vor dem Inkrafttreten verkündet wird. Allerdings halten die Autoren wohl eine Erklärungsfrist von einem knappen Monat für ausreichend (a.a.O.).
Jedenfalls haben die Kläger beide in diesem Sinne nicht rechtzeitig die Kündigung erklärt. Man könnte daher daran denken, dass - bei Vorliegen der Voraussetzungen - ihnen auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu gewähren wäre. Allerdings handelt es sich dann, wenn bis zu einem bestimmten Termin eine Erklärung abzugeben ist, nicht um ein Fristversäumnis im Sinne des § 27 SGB X, wenn dieser Termin nicht eingehalten wurde. § 27 SGB X ist auf solche Termine wie z. B. den in Art. 2 § 1c Satz 2 AnVNG statuierten Termin für den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht (vgl. Schleswig-holsteinisches LSG, Urteil vom 05.04.1990 - L 3 An 82/89 - Breith. 1990, 747) weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.
Die Kläger haben im Oktober 1997 im Rechtsverkehr geschwiegen, anstatt eine Erklärung abzugeben, was sie "bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles" (vgl. § 119 Abs. 1 BGB) unzweifelhaft getan hätten. Schweigen im Rechtsverkehr kann allerdings nur dann analog § 119 BGB angefochten werden, wenn das Schweigen selbst eine rechtsgeschäftliche Erklärung darstellt, z. B. eine stillschweigende Annahmeerklärung (vgl. BGH Urteil vom 07.07.1969 - VII ZR 104/69 - NJW 1969 1711, vgl. auch Fabricius, JuS 1966, 1 ff., 50 ff.). Wird Schweigen vom Gesetz als Ablehnung fingiert, sind die §§ 119 ff. BGB nicht anwendbar (Palandt, BGB, 60. Aufl. 2001 § 119 Rn. 4).
Die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch sind auch nicht gegeben. Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm auf Grund eines Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses den Versicherten gegenüber erwachsenen Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG SozR 3-1200 § 14 Nr. 12 m.w.N.; SozR 3-3200 § 86a Nr. 2). Voraussetzung ist, dass die verletzte Pflicht dem Sozialleistungsträger gerade gegenüber den einzelnen Versicherten oblag, diesen also ein entsprechendes subjektives Recht einräumt. Die objektiv rechtswidrige Pflichtverletzung muss zumindest gleichwertig (neben anderen Bedingungen) einen Nachteil der Versicherten bewirkt haben. Schließlich muss auch die verletzte Pflicht darauf gerichtet gewesen sein, die Betroffenen gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren (Schutzzweckzusammenhang). Aus einer - hier in Betracht kommenden - unterbliebenen oder ungenügenden Aufklärung der Allgemeinheit, zu der ein Versicherungsträger gemäß § 13 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verpflichtet gewesen wäre, kann allerdings kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch resultieren (vgl. BSG SozR 3-1200 § 14 Nr. 12 m.w.N.). Etwas anderes gilt nur bei einer - hier nicht vorliegenden - unrichtigen oder missverständlichen Information durch den Versicherungsträger (vgl. BSGE 67, 90; SozR 3-1200 § 14 Nr. 12). Eine Verletzung der Beratungs- und Aufklärungspflicht nach den §§ 14, 15 SGB I, die sich die Beklagte zurechnen lassen müsste, liegt gleichermaßen nicht vor. Voraussetzung für das Entstehen einer Beratungspflicht nach § 14 SGB I ist ein Beratungsbegehren oder zumindest ein konkreter Anlass zur Beratung (vgl. BSGE 66, 258, 266). Daran mangelt es hier. Die Beitragssatzanhebung an sich verpflichtete die Beklagte nicht, alle Versicherten über die Sonderkündigungsmöglichkeit zu informieren. Eine solche Informationspflicht ohne konkreten Anlass ist in der Regel nicht anzunehmen (BSGE 79, 168, 172). Sie ist selbst bei gesetzlichen Änderungen mit schwerwiegenden Folgen wie drohendem Totalverlust eines Anspruchs allenfalls in Ausnahmefällen denkbar (vgl. BSG SozR 3-2200 § 86a Nr. 2). Der hier in Betracht kommende Rechtsverlust für die Kläger ist nicht schwerwiegend, da es sich lediglich um die Beitragsdifferenz Beklagte/Beigeladene für ein halbes Jahr handelt. Für eine Auskunftspflicht im Sinne des § 15 SGB I ist es ebenfalls erforderlich, dass ein entsprechender Informationsbedarf der Versicherten für den zuständigen Versicherungsträger oder eine andere auskunftspflichtige Stelle offen zutage tritt (vgl. BSG SozR 2200 § 1324 Nr. 3). Auch dies war hier nicht der Fall.
Nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben ist die Beklagte allerdings verpflichtet, die Kläger mit dem Wirksamwerden der Beitragserhöhung aus dem Versicherungsverhältnis zu entlassen. Es stellt sich nämlich als unzulässige Rechtsausübung dar, wenn sich die Beklagte auf die verspätete Kündigung beruft, obwohl sie den Klägern durch die nicht zeitgerechte Veröffentlichung der Beitragssatzänderung praktisch keine Möglichkeit ließ, die Erklärung rechtzeitig abzugeben. Im Zivilrecht ist allgemein anerkannt, dass die Rechtsausübung unzulässig ist, wenn der Schuldner sich auf eine Ausschlussfrist beruft, auf der anderen Seite aber den Gläubiger durch aktives Tun oder durch pflichtwidrige Vorenthaltung von Informationen gehindert hat, die Frist zu wahren (vgl. Palandt, BGB, 60. Auflage, 2001; BAG DB 95, 2317). Es sind an die formelle Publizität von Satzungen und sonstigem autonomen Recht der Sozialversicherungsträger als Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit dieses Rechts ohnehin hohe Anforderungen zu stellen (vgl. Leube, Öffentliche Bekanntmachung des autonomen Rechts in der Sozialversicherung, NZS 1999, 330, 336). Wenn in diesem Fall die Bekanntmachung im Einklang mit § 155 der Satzung im "Kompaß" veröffentlicht und bei den Knappschaftsältesten und in den knappschaftlichen Betrieben ausgelegt wurde, so mag der Formvorschrift des § 34 Abs. 2 SGB IV Genüge getan sein. Dies heißt allerdings noch nicht, dass damit die Beklagte auch im Einzelfall ihre Pflichten gegenüber den Klägern erfüllt hätte. Nach heute herrschender Meinung genügen Aushänge in den Geschäftsräumen des Versicherungsträgers alleine für eine öffentliche Bekanntmachung nicht. Das nur zum Aushang gebrachte autonome Recht ist wegen ungenügender Verbreitung nicht in gehöriger Weise öffentlich bekannt gemacht und unwirksam (Leube, a.a.O. S. 335, Hauck SGB V, Kommentar, § 34 Rn. 12). Die Veröffentlichung im "Kompaß" dürfte - jedenfalls was die Verbreitung unter den Versicherten und insbesondere den Rentnern angeht - kaum dem eigentlichen Zweck der öffentlichen Bekanntmachung mehr entsprechen; da aber die Prinzipien der formellen Publizität, welche grundsätzlich nur bei der Verkündung von Gesetzen Geltung beanspruchen (vgl. BSGE, 67, 90) auch eingeschränkt auf die Verkündung autonomen Rechts in der Sozialversicherung Anwendung finden, ist bei - wie hier - jedenfalls satzungsgemäß verkündeten Satzungsänderungen die Wirksamkeit nicht in Abrede zu stellen. Die Beklagte darf sich allerdings auf diese erworbene Rechtsposition - die Wirksamkeit der Satzungsänderung - gegenüber den Klägern nicht berufen, da diese nicht die Möglichkeit hatten, rechtzeitig hiervon Kenntnis zu nehmen. Dabei spielt es keine Rolle, ob, wie der Prozessbevollmächtigte der Kläger meint, "Arglist" vorliegt - die bei einer Institution ohnehin nur schwer nachweisbar sein dürfte -; ein schuldhaftes Verhalten ist nicht Voraussetzung für den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (vgl. BGH 64, 9, NJW RR 86, 765). Die Obliegenheiten eines Sozialleistungsträgers gegenüber den Versicherten sind nicht geringer als beispielsweise in der privaten Krankenversicherung die des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer. So kann beispielsweise gemäß § 31 VVG der Versicherungsnehmer, wenn der Versicherer auf Grund einer Anpassungsklausel die Prämie erhöht, ohne dass sich der Umfang des Versicherungsschutzes ändert, innerhalb eines Monats nach Eingang der Mitteilung des Versicherers mit sofortiger Wirkung, frühestens jedoch zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Erhöhung das Versicherungsverhältnis kündigen. Nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist der Versicherer auf Grund dieser Norm verpflichtet, dem Versicherungsnehmer die Änderung einen Monat vor deren Inkrafttreten mitzuteilen und ihn darüber hinaus auch über das Kündigungsrecht nach § 31 VVG zu belehren (vgl. OLG Celle, Urteil vom 22.07.1999 - 8 U 82/98 - VersR 2000, 47). Das Verschweigen einer Antragsmöglichkeit durch einen Versicherungsträger führt, wenn der Versicherte dadurch gehindert wird, diesen Antrag rechtzeitig zu stellen, dazu, dass der Antrag nach Treu und Glauben als gestellt gilt (vgl. SG Regensburg, Urteil vom 14.11.1978 - S 6/Ar 590/78).
Dadurch, dass die Beklagte den Klägern durch die verspätete Veröffentlichung - der "Kompaß" erscheint in der Regel in der Mitte des Folgemonats - die Voraussetzungen für das Sonderkündigungsrecht gewissermaßen "verschwieg", wurde das gesetzlich vorgesehene Sonderkündigungsrecht weitgehend vereitelt. Dem kann nicht der Umstand entgegengehalten werden, dass die Kläger durch die Möglichkeit der regulären Kündigung bzw. durch die entsprechende Umdeutung ihrer Kündigungserklärung letztendlich nur einen nicht sehr bedeutenden Rechtsverlust erlitten haben. Ausdrückliches Ziel des 1. NOG war es, das Beitragssatzniveau in der gesetzlichen Krankenversicherung zu stabilisieren (vgl. BT-Drucks. 13/5724), und zwar durch eine Erschwerung von Beitragssatzanhebungen mithilfe eines außerordentlichen Kündigungsrechts der Versicherten bei Beitragssatzerhöhungen durch ihre Krankenkasse. Es sollte den Versicherten also ein flexibles Ausweichen ermöglicht werden, wenn Beitragssatzerhöhungen durch ihre Krankenkasse vorgenommen wurden. Wenn man sie auf das ohnehin bestehende Kündigungsrecht verweist, läuft das 1. NOG leer. Vor diesem Hintergrund ist es ihnen eben gerade nicht zuzumuten, ein halbes Jahr lang die höheren Beiträge zu bezahlen. Das außerordentliche Kündigungsrecht wurde in der amtlichen Begründung ausdrücklich als einer der Schwerpunkte des Gesetzes genannt (vgl. BT-Drucks. 13/5724 S. 5).
Die Beklagte hat dadurch, dass sie ihre Beitragssatzanhebung zum 01.10.1997 zwar wirksam, aber unter dem Gesichtspunkt des Gesetzeszwecks und der berechtigten Interessen ihrer Versicherten verspätet veröffentlicht hat, gegen Treu und Glauben verstoßen.
Die Kläger sind daher so zu stellen, dass sie durch dieses Verhalten keinen Rechtsnachteil erhalten. Dies ist der Fall, wenn ihnen zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Beitragssatzerhöhung der Übertritt in eine andere Krankenkasse ermöglicht wird. Für einen früheren Wechsel der Krankenkasse ist kein berechtigtes Interesse ersichtlich, insbesondere ist das Verhalten der Beklagten nicht in dem Sinne als arglistig zu bezeichnen, dass den Klägern schlichthin unzumutbar gewesen wäre, weiterhin Mitglied bei der Beklagten zu bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache war die Revision zuzulassen.
II. Die Bescheide der Beklagten vom 23.04.1998, 06.08.1998 und 10.09.1998 werden aufgehoben.
III. Es wird festgestellt, dass die Mitgliedschaft der Kläger bei der Beklagten zum 30.06.1998 endet.
IV. Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
V. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Dauer der Mitgliedschaft der Kläger in der knappschaftlichen Krankenversicherung.
Mit Beschluss der Vertreterversammlung der Bundesknappschaft vom 22.08.1997 wurden die §§ 152 b Abs. 4 und 5 sowie § 10 Abs. 2 und 3 der Anlage 4 zu § 153 der Satzung der Bundesknappschaft geändert. Es wurde beschlossen, dass diese Änderungen mit Wirkung vom 01.10.1997 in Kraft treten. Am 19.09.1997 wurde dieser "82. Nachtrag zur Satzung der Bundesknappschaft" mit Ausnahme der Änderung von § 152b Abs. 4 Nr. 4 vom Bundesversicherungsamt gemäß § 195 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. § 90 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) genehmigt. Damit war insbesondere auch § 152b Abs. 4 Ziff. 1 der neuen Fassung in Kraft, wonach der allgemeine Beitragssatz in Sachsen von 11,4 % auf 14,2 % heraufgesetzt wurde. Der 82. Nachtrag zur Satzung der Bundesknappschaft wurde als "Amtliche Bekanntmachung" in dem Oktober-Heft der Monatszeitschrift "Kompaß" veröffentlicht (Kompaß 10/97 S. 476). Das Oktober-Heft wurde allerdings nicht zu Beginn des Monats Oktober allgemein versandt, vielmehr ist in der Regel die Monatszeitschrift "Kompaß" erst in der Mitte des Folgemonats bei den Abonnenten. Beispielsweise das Heft Oktober 1997 ging bei der Bibliothek des Sächsischen Landessozialgerichts (LSG) am 11.11.1997 ein. In der Mitgliederzeitschrift "tag" II/98 wurde darüber informiert, dass sich der Beitragssatz für die alten Bundesländer von 14,0 % auf 14,5 % ab 01.01.1998 anhebe. Hiermit war freilich lediglich Bezug genommen auf den 83. Nachtrag vom 01.10.1997, veröffentlich in "Kompaß" Heft 12/97, S. 559. Die die Kläger betreffende Beitragssatzsteigerung wurde dann im April-Heft der Mitgliederzeitung "tag" erwähnt. Hier wurde auch darauf hingewiesen, dass es sich effektiv um eine Anhebung von 11,4 % auf 14,2 % handelte. Die Klägerin zu 2. kündigte daraufhin mit Schreiben vom 06.04.1998 ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten, die erst seit dem 01.09.1997 bestanden hatte. Die Klägerin zu 2. hatte im August 1997 von ihrem Kassenwahlrecht Gebrauch gemacht und war von der DAK übergetreten. Die Beklagte schrieb daraufhin zurück, dass ein Kassenwechsel nach den gesetzlichen Bestimmungen erst zum 01.01.1999 erfolgen könne. Die verkürzte Kündigungsfrist nach § 175 Abs. 4 Satz 3 SGB V sei "in Bezug auf den Zeitpunkt der Erhöhung der Beiträge aus Renten nach § 257 SGB V" nicht anwendbar. Die Klägerin zu 2. machte daraufhin in einem Schreiben vom 30.04.1998 deutlich, dass sie das Verhalten der Beklagten als arglistig empfinde. Durch die Beitragsanhebung einen Tag nach dem gesetzlichen Kündigungsstichtag um immerhin 2,8 % sei sie der Möglichkeit beraubt worden, die Mitgliedschaft schon zum 31.12.1997 zu kündigen bzw. gar nicht erst bei der Knappschaft Mitglied zu werden. Sie werde gleichzeitig die Mitgliedschaft rückwirkend ab 01.01.1998 bei der BKK Zollern-Alb beantragen. Die Beklagte entgegnete daraufhin, dass durch die kurzfristige Beitragssatzerhöhung den wahlberechtigten Personen nicht das Recht für einen vorzeitigen Krankenkassenwechsel beschnitten worden sei, da die hierfür geltende Kündigungsfrist erst zum Monatsende der Beitragssatzanhebung, also zum 31.10.1997 abgelaufen sei.
Die Beklagte erließ daraufhin einen Widerspruchsbescheid (Datum: 06.08.1998), in welchem sie ausführte, auch Rentner, bei denen sich Beitragssatzerhöhungen erst verzögert (nämlich zum 01.07. des Folgejahres) auswirkten, könnten nur unmittelbar im Zusammenhang mit der Beitragssatzerhöhung vom Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen. Im Falle der Klägerin zu 2. sei die Erhöhung des Beitragssatzes zum 01.10.1997 in Kraft getreten. Die Sonderkündigung habe somit nur bis zum 31.10.1997 ausgesprochen werden können. Da dies nicht geschehen sei, sei nur die Kündigung der Mitgliedschaft mit einer Frist von drei Monaten zum Ende des Kalenderjahres möglich. Dementsprechend sei als Ende der Mitgliedschaft der 31.12.1998 festgestellt worden. Gegen den am 12.08.1998 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 23.09.1998 zum Sozialgericht (SG) Chemnitz Klage erhoben.
Auch der Kläger zu 1. kündigte die Mitgliedschaft bei der Beklagten, allerdings erst mit Schreiben vom 26.06.1998, nachdem er aus dem Rentenanpassungsbescheid zum 01.07.1998 entnommen hatte, dass sich der Beitragssatz in der Krankenversicherung ab diesen Termin erhöht. Im Einverständnis mit dem Kläger zu 1. wurde sofort ein Widerspruchsbescheid erlassen (Datum 10.09.1998), in welchem mit der nämlichen Begründung wie bei der Klägerin zu 2. eine Beendigung der Mitgliedschaft erst zum 31.12.1998 festgestellt wurde.
Mit Beschluss vom 30.11.1998 hat das Sozialgericht (SG) die Klagen der Eheleute Stahn zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Die verbundenen Klagen wurden mit Gerichtsbescheid vom 09.09.1999 abgewiesen. Die Frist des § 175 Abs. 4 Satz 3 SGB V habe am 30.11.1997 geendet; da die Kläger jedoch erst nach diesem Zeitpunkt gekündigt hätten, könne diese Kündigung nur in eine fristgerechte zum nächsten Jahresende umgedeutet werden. Ein pflichtwidriges Verhalten der Beklagten, welches Voraussetzung für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch wäre, sei nicht erkennbar, Vorschriften des Grundgesetzes seien auch nicht verletzt.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger: Die Beklagte habe den Klägern bei Beginn der Mitgliedschaft oder später keine Satzung der Bundesknappschaft übergeben. Sie habe sie auch zu keinem Zeitpunkt darüber informiert, dass die Zeitschrift "Kompaß" existiere und Satzungsänderungen nur darin und nicht in der Mitgliederzeitschrift "tag" als bekannt gemacht gelten. Die Kläger seien seit langem nicht mehr im Berufsleben, der Rechtsnachfolger des Betriebes sei nicht mehr ortsansässig und die Klägerin zu 2. habe ohnehin nie in einem knappschaftlichen Betrieb gearbeitet. An welchen Betrieb oder an welchen Knappschaftsältesten hätten sie sich also wenden sollen? Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Beklagte überhaupt die Mitgliederzeitschrift "tag" herausgebe, wenn deren Mitteilungen über Beitrittserhöhungen rechtlich vollkommen unverbindlich seien. Jeder Arbeitnehmer erfahre eine Beitragserhöhung in der Krankenversicherung auch aus den monatlichen Verdienstabrechnungen seines Arbeitgebers und könne gegebenenfalls von seinem außerordentlichen Kündigungsrecht Gebrauch machen. Gesetzlich krankenversicherte Rentner hätten diese Kontrollmöglichkeit jedoch, da sie nur einmal im Jahr eine Rentenanpassungsmitteilung erhielten, nicht.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 09.09.1999 aufzuheben und festzustellen, dass die Mitgliedschaft der Kläger bei der Beklagten zum 30.06.1998 geendet hat.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 09.09.1999 als unbegründet zurückzuweisen.
Dem Gericht liegen neben den Gerichtsakten beider Instanzen (SG Chemnitz: S 13 KN 408/98 KR und S 13 KN 457/98 KR) die Verwaltungsakten der Beklagten vor.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist auch begründet. Die Kläger sind nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB analog) so zu behandeln, als hätten sie von ihrem Sonderkündigungsrecht rechtzeitig Gebrauch gemacht.
Die Kläger haben von ihrem Sonderkündigungsrecht verspätet Gebrauch gemacht. Dies hat das SG zu Recht festgestellt. Gemäß § 175 Abs. 4 Satz 3 SGB V in der Fassung des 1. Gesetzes zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (1. NOG) vom 23.06.1997 (BGBl. I, 1518) ist die Kündigung der Mitgliedschaft, sofern eine Krankenkasse ihren Beitragssatz erhöht hat, mit einer Frist von einem Monat zum Ende des auf den Tag des Inkrafttretens der Erhöhung folgenden Kalendermonats möglich. Diese Kündigungsmöglichkeit wurde dann durch das 2. NOG (Gesetz vom 23.06.1997, BGBl. I, 1520, 1530) auch für die Fälle erweitert, in denen die Krankenkasse Leistungen verändert, über deren Art und Umfang sie entscheiden kann. Diese Möglichkeit galt allerdings nur bis zum 31.12.1998 (Gesetz vom 19.12.1998, BGBl. I 3853). In § 175 Abs. 4 Satz 3 SGB V in der hier anzuwendenden Fassung ist nicht von einer Ausschlussfrist die Rede. Vielmehr ist gesetzestechnisch der mögliche Kündigungszeitpunkt mittelbar über einen bestimmten Kündigungstermin festgelegt. Kündigungstermin ist der Monatsletzte des Monats, der auf den Monat folgt, in welchem die Beitragserhöhung in Kraft getreten ist. Dies wäre - und hiervon gehen offenbar auch alle Beteiligten aus - im Falle der beiden Kläger der 30.11.1997, da nämlich die maßgebliche Beitragserhöhung zum 01.10.1997 in Kraft getreten ist (vgl. 82. Nachtrag, Kompaß 97, 476). Die Kündigungsfrist von einem Monat dient letztlich - wie alle Kündigungsfristen - dazu, dem Erklärungsempfänger einen gewissen Zeitraum für die Umsetzung der sich aus der Kündigungserklärung ergebenden Rechtsfolgen zuzugestehen. Eine Kündigungsfrist kann von demjenigen, der die Kündigungserklärung abgibt, nicht "versäumt" werden. Ist eine Kündigung nur zu bestimmten Terminen möglich (Ende des Kalendermonats, Ende des Kalendervierteljahres), so wirkt eine Kündigungserklärung, die nicht innerhalb einer ausreichenden Frist - bezogen auf den nächstmöglichen Kündigungszeitpunkt - erklärt wurde, automatisch auf den danach folgenden möglichen Kündigungszeitpunkt. Von daher ist die Formulierung des SG zumindest missverständlich, wonach die Frist des § 175 Abs. 4 Satz 3 SGB V mit dem Wirksamwerden der Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes begann und am 30.11.1997 endete. Hier ist zu trennen: Die Kündigungsfrist selbst ist im Gesetz ausdrücklich als Monatsfrist bezeichnet. Sie ist im Gegensatz zu den Fristberechnungen nach § 187 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) rückwärts zu berechnen, das heißt ausgehend von einem Endzeitpunkt. Die eigentliche Kündigungsfrist reichte also vom 30.11.1997 bis zurück zum 30.10.1997. Eine danach erklärte Kündigung hätte also nicht mehr zur vorgesehenen Vertragsbeendigung zum im Gesetz genannten Termin führen können. Im Gesetz ist die Rechtsfolge einer verspätet erklärten Kündigung nicht geregelt. Denkbar wäre, dass bei solchen verspäteten Kündigungen dann jeweils der nächste Monatsletzte als Beendigungszeitpunkt genommen wird. Die Beklagte und auch das SG sind davon ausgegangen, dass das Sonderkündigungsrecht erlischt, wenn eine Kündigung (zum Ende des auf den Tag des Inkrafttretens der Beitragserhöhung folgenden Kalendermonats) nicht geglückt ist. Dies wäre dann der Fall, wenn § 175 Abs. 4 Satz 3 SGB V auch noch - gewissermaßen "zwischen den Zeilen" - eine Ausschlussfrist zum Nachteil des Versicherten geregelt hätte. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an: Eine jeweilige Verlängerung dieses Sonderkündigungsrechts auf den Monatsletzten würde sowohl Sinn und Zweck der Regelung zuwiderlaufen als auch mit dem Gesetzeswortlaut des Gesetzes im Widerspruch stehen. Ebenso wenig kann es für Rentner auf einen anderen Zeitpunkt ankommen. Auch wenn Rentner wegen § 247 Abs. 1 SGB V von einer Beitragserhöhung praktisch erst im Juli des Folgejahres betroffen werden, heißt das nicht, dass ihr Sonderkündigungsrecht deswegen auf diesen Zeitpunkt verschoben wird. Es ist nämlich im Gesetz explizit vom Inkrafttreten der Regelung als Ausgangspunkt zur Fristberechnung die Rede und nicht vom Wirksamwerden; darüber hinaus - hierauf hat das SG zu Recht hingewiesen - ist der besondere Teil der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 13/5724 S. 5) insoweit eindeutig: "Bei Rentnern ist für die Kündigungsfrist nicht der Zeitpunkt der Erhöhung der Beiträge aus Renten nach § 247, sondern der Zeitpunkt der Beitragserhöhung der Krankenkasse nach § 221 maßgebend." In der Tat wird also auch Rentnern zugemutet, obwohl sie, wie der Prozessbevollmächtigte der Kläger zu Recht eingewandt hat, nicht in dem Maße wie Arbeitnehmer die Auswirkungen einer Beitragserhöhung unmittelbar zu spüren bekommen bzw. zumindest über den Betrieb oder andere Informationsquellen rechtzeitig von einer Beitragserhöhung zu erfahren, den Antrag so zu stellen, dass die Kündigung auf den Monatsletzten des Folgemonats nach der Beitragserhöhung noch erreicht wird. Hiermit ist eine andere Frage und auch eine andere Frist angesprochen: Den Klägern stand theoretisch zur Informationsbeschaffung wie auch als Überlegungsfrist nur der Zeitraum vom 01.10. bis zum 30.10.1997 zur Verfügung. In der Kommentarliteratur (Krauskopf-Bayer, § 175 SGB V Rn. 28) wird mit Recht darauf hingewiesen, dass diese Erklärungsfrist (zu Unrecht als "Kündigungsfrist" bezeichnet) dann zu kurz bemessen sein dürfte, wenn die Satzungsänderung gegen Ende des Monats in Kraft tritt und erst unmittelbar vor dem Inkrafttreten verkündet wird. Allerdings halten die Autoren wohl eine Erklärungsfrist von einem knappen Monat für ausreichend (a.a.O.).
Jedenfalls haben die Kläger beide in diesem Sinne nicht rechtzeitig die Kündigung erklärt. Man könnte daher daran denken, dass - bei Vorliegen der Voraussetzungen - ihnen auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu gewähren wäre. Allerdings handelt es sich dann, wenn bis zu einem bestimmten Termin eine Erklärung abzugeben ist, nicht um ein Fristversäumnis im Sinne des § 27 SGB X, wenn dieser Termin nicht eingehalten wurde. § 27 SGB X ist auf solche Termine wie z. B. den in Art. 2 § 1c Satz 2 AnVNG statuierten Termin für den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht (vgl. Schleswig-holsteinisches LSG, Urteil vom 05.04.1990 - L 3 An 82/89 - Breith. 1990, 747) weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.
Die Kläger haben im Oktober 1997 im Rechtsverkehr geschwiegen, anstatt eine Erklärung abzugeben, was sie "bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles" (vgl. § 119 Abs. 1 BGB) unzweifelhaft getan hätten. Schweigen im Rechtsverkehr kann allerdings nur dann analog § 119 BGB angefochten werden, wenn das Schweigen selbst eine rechtsgeschäftliche Erklärung darstellt, z. B. eine stillschweigende Annahmeerklärung (vgl. BGH Urteil vom 07.07.1969 - VII ZR 104/69 - NJW 1969 1711, vgl. auch Fabricius, JuS 1966, 1 ff., 50 ff.). Wird Schweigen vom Gesetz als Ablehnung fingiert, sind die §§ 119 ff. BGB nicht anwendbar (Palandt, BGB, 60. Aufl. 2001 § 119 Rn. 4).
Die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch sind auch nicht gegeben. Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm auf Grund eines Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses den Versicherten gegenüber erwachsenen Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG SozR 3-1200 § 14 Nr. 12 m.w.N.; SozR 3-3200 § 86a Nr. 2). Voraussetzung ist, dass die verletzte Pflicht dem Sozialleistungsträger gerade gegenüber den einzelnen Versicherten oblag, diesen also ein entsprechendes subjektives Recht einräumt. Die objektiv rechtswidrige Pflichtverletzung muss zumindest gleichwertig (neben anderen Bedingungen) einen Nachteil der Versicherten bewirkt haben. Schließlich muss auch die verletzte Pflicht darauf gerichtet gewesen sein, die Betroffenen gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren (Schutzzweckzusammenhang). Aus einer - hier in Betracht kommenden - unterbliebenen oder ungenügenden Aufklärung der Allgemeinheit, zu der ein Versicherungsträger gemäß § 13 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verpflichtet gewesen wäre, kann allerdings kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch resultieren (vgl. BSG SozR 3-1200 § 14 Nr. 12 m.w.N.). Etwas anderes gilt nur bei einer - hier nicht vorliegenden - unrichtigen oder missverständlichen Information durch den Versicherungsträger (vgl. BSGE 67, 90; SozR 3-1200 § 14 Nr. 12). Eine Verletzung der Beratungs- und Aufklärungspflicht nach den §§ 14, 15 SGB I, die sich die Beklagte zurechnen lassen müsste, liegt gleichermaßen nicht vor. Voraussetzung für das Entstehen einer Beratungspflicht nach § 14 SGB I ist ein Beratungsbegehren oder zumindest ein konkreter Anlass zur Beratung (vgl. BSGE 66, 258, 266). Daran mangelt es hier. Die Beitragssatzanhebung an sich verpflichtete die Beklagte nicht, alle Versicherten über die Sonderkündigungsmöglichkeit zu informieren. Eine solche Informationspflicht ohne konkreten Anlass ist in der Regel nicht anzunehmen (BSGE 79, 168, 172). Sie ist selbst bei gesetzlichen Änderungen mit schwerwiegenden Folgen wie drohendem Totalverlust eines Anspruchs allenfalls in Ausnahmefällen denkbar (vgl. BSG SozR 3-2200 § 86a Nr. 2). Der hier in Betracht kommende Rechtsverlust für die Kläger ist nicht schwerwiegend, da es sich lediglich um die Beitragsdifferenz Beklagte/Beigeladene für ein halbes Jahr handelt. Für eine Auskunftspflicht im Sinne des § 15 SGB I ist es ebenfalls erforderlich, dass ein entsprechender Informationsbedarf der Versicherten für den zuständigen Versicherungsträger oder eine andere auskunftspflichtige Stelle offen zutage tritt (vgl. BSG SozR 2200 § 1324 Nr. 3). Auch dies war hier nicht der Fall.
Nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben ist die Beklagte allerdings verpflichtet, die Kläger mit dem Wirksamwerden der Beitragserhöhung aus dem Versicherungsverhältnis zu entlassen. Es stellt sich nämlich als unzulässige Rechtsausübung dar, wenn sich die Beklagte auf die verspätete Kündigung beruft, obwohl sie den Klägern durch die nicht zeitgerechte Veröffentlichung der Beitragssatzänderung praktisch keine Möglichkeit ließ, die Erklärung rechtzeitig abzugeben. Im Zivilrecht ist allgemein anerkannt, dass die Rechtsausübung unzulässig ist, wenn der Schuldner sich auf eine Ausschlussfrist beruft, auf der anderen Seite aber den Gläubiger durch aktives Tun oder durch pflichtwidrige Vorenthaltung von Informationen gehindert hat, die Frist zu wahren (vgl. Palandt, BGB, 60. Auflage, 2001; BAG DB 95, 2317). Es sind an die formelle Publizität von Satzungen und sonstigem autonomen Recht der Sozialversicherungsträger als Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit dieses Rechts ohnehin hohe Anforderungen zu stellen (vgl. Leube, Öffentliche Bekanntmachung des autonomen Rechts in der Sozialversicherung, NZS 1999, 330, 336). Wenn in diesem Fall die Bekanntmachung im Einklang mit § 155 der Satzung im "Kompaß" veröffentlicht und bei den Knappschaftsältesten und in den knappschaftlichen Betrieben ausgelegt wurde, so mag der Formvorschrift des § 34 Abs. 2 SGB IV Genüge getan sein. Dies heißt allerdings noch nicht, dass damit die Beklagte auch im Einzelfall ihre Pflichten gegenüber den Klägern erfüllt hätte. Nach heute herrschender Meinung genügen Aushänge in den Geschäftsräumen des Versicherungsträgers alleine für eine öffentliche Bekanntmachung nicht. Das nur zum Aushang gebrachte autonome Recht ist wegen ungenügender Verbreitung nicht in gehöriger Weise öffentlich bekannt gemacht und unwirksam (Leube, a.a.O. S. 335, Hauck SGB V, Kommentar, § 34 Rn. 12). Die Veröffentlichung im "Kompaß" dürfte - jedenfalls was die Verbreitung unter den Versicherten und insbesondere den Rentnern angeht - kaum dem eigentlichen Zweck der öffentlichen Bekanntmachung mehr entsprechen; da aber die Prinzipien der formellen Publizität, welche grundsätzlich nur bei der Verkündung von Gesetzen Geltung beanspruchen (vgl. BSGE, 67, 90) auch eingeschränkt auf die Verkündung autonomen Rechts in der Sozialversicherung Anwendung finden, ist bei - wie hier - jedenfalls satzungsgemäß verkündeten Satzungsänderungen die Wirksamkeit nicht in Abrede zu stellen. Die Beklagte darf sich allerdings auf diese erworbene Rechtsposition - die Wirksamkeit der Satzungsänderung - gegenüber den Klägern nicht berufen, da diese nicht die Möglichkeit hatten, rechtzeitig hiervon Kenntnis zu nehmen. Dabei spielt es keine Rolle, ob, wie der Prozessbevollmächtigte der Kläger meint, "Arglist" vorliegt - die bei einer Institution ohnehin nur schwer nachweisbar sein dürfte -; ein schuldhaftes Verhalten ist nicht Voraussetzung für den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (vgl. BGH 64, 9, NJW RR 86, 765). Die Obliegenheiten eines Sozialleistungsträgers gegenüber den Versicherten sind nicht geringer als beispielsweise in der privaten Krankenversicherung die des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer. So kann beispielsweise gemäß § 31 VVG der Versicherungsnehmer, wenn der Versicherer auf Grund einer Anpassungsklausel die Prämie erhöht, ohne dass sich der Umfang des Versicherungsschutzes ändert, innerhalb eines Monats nach Eingang der Mitteilung des Versicherers mit sofortiger Wirkung, frühestens jedoch zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Erhöhung das Versicherungsverhältnis kündigen. Nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist der Versicherer auf Grund dieser Norm verpflichtet, dem Versicherungsnehmer die Änderung einen Monat vor deren Inkrafttreten mitzuteilen und ihn darüber hinaus auch über das Kündigungsrecht nach § 31 VVG zu belehren (vgl. OLG Celle, Urteil vom 22.07.1999 - 8 U 82/98 - VersR 2000, 47). Das Verschweigen einer Antragsmöglichkeit durch einen Versicherungsträger führt, wenn der Versicherte dadurch gehindert wird, diesen Antrag rechtzeitig zu stellen, dazu, dass der Antrag nach Treu und Glauben als gestellt gilt (vgl. SG Regensburg, Urteil vom 14.11.1978 - S 6/Ar 590/78).
Dadurch, dass die Beklagte den Klägern durch die verspätete Veröffentlichung - der "Kompaß" erscheint in der Regel in der Mitte des Folgemonats - die Voraussetzungen für das Sonderkündigungsrecht gewissermaßen "verschwieg", wurde das gesetzlich vorgesehene Sonderkündigungsrecht weitgehend vereitelt. Dem kann nicht der Umstand entgegengehalten werden, dass die Kläger durch die Möglichkeit der regulären Kündigung bzw. durch die entsprechende Umdeutung ihrer Kündigungserklärung letztendlich nur einen nicht sehr bedeutenden Rechtsverlust erlitten haben. Ausdrückliches Ziel des 1. NOG war es, das Beitragssatzniveau in der gesetzlichen Krankenversicherung zu stabilisieren (vgl. BT-Drucks. 13/5724), und zwar durch eine Erschwerung von Beitragssatzanhebungen mithilfe eines außerordentlichen Kündigungsrechts der Versicherten bei Beitragssatzerhöhungen durch ihre Krankenkasse. Es sollte den Versicherten also ein flexibles Ausweichen ermöglicht werden, wenn Beitragssatzerhöhungen durch ihre Krankenkasse vorgenommen wurden. Wenn man sie auf das ohnehin bestehende Kündigungsrecht verweist, läuft das 1. NOG leer. Vor diesem Hintergrund ist es ihnen eben gerade nicht zuzumuten, ein halbes Jahr lang die höheren Beiträge zu bezahlen. Das außerordentliche Kündigungsrecht wurde in der amtlichen Begründung ausdrücklich als einer der Schwerpunkte des Gesetzes genannt (vgl. BT-Drucks. 13/5724 S. 5).
Die Beklagte hat dadurch, dass sie ihre Beitragssatzanhebung zum 01.10.1997 zwar wirksam, aber unter dem Gesichtspunkt des Gesetzeszwecks und der berechtigten Interessen ihrer Versicherten verspätet veröffentlicht hat, gegen Treu und Glauben verstoßen.
Die Kläger sind daher so zu stellen, dass sie durch dieses Verhalten keinen Rechtsnachteil erhalten. Dies ist der Fall, wenn ihnen zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Beitragssatzerhöhung der Übertritt in eine andere Krankenkasse ermöglicht wird. Für einen früheren Wechsel der Krankenkasse ist kein berechtigtes Interesse ersichtlich, insbesondere ist das Verhalten der Beklagten nicht in dem Sinne als arglistig zu bezeichnen, dass den Klägern schlichthin unzumutbar gewesen wäre, weiterhin Mitglied bei der Beklagten zu bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache war die Revision zuzulassen.
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