Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 16 P 7/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 P 10/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 10.02.2000 abgeändert sowie der Bescheid der Beklagten vom 19.12.1996 und vom 11.08.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.1998 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 02.09.1996 Pflegegeld der Pflegestufe I zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Pflegegeld aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I.
Der am ... geborene Kläger ist bei der Beklagten gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichert. Er leidet unter einer spastischen Hemiparese rechts bei Zustand nach Mengioencephalitis mit ausgeprägten motorischen Störungen, einer leichten geistigen Behinderung und unter einer chronischen Akne vulgaris an Gesicht, Kopf und Rücken. Der Grad der Behinderung ist mit 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "B", "G" und "H" festgestellt.
Der Kläger arbeitet seit 1993 in einer Werkstatt für Behinderte in der Montagegruppe. Sein Tätigkeitsfeld umfasst Falt-, Verpackungs-, Zähl- und Montagearbeiten. Er lebt bei seinen Eltern, von denen er betreut und gepflegt wird.
Am 02.09.1996 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Pflegegeld. Die Beklagte veranlasste daraufhin die Erstellung eines Pflegegutachtens durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Im Gutachten vom 17.12.1996 kam Dipl.-Med. R ... zu dem Ergebnis, dass keine Pflegebedürftigkeit vorliege. Hilfebedarf bestehe beim Waschen, Duschen/Baden, bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung sowie beim An- und Auskleiden. Die Kontrolle bei der Körperpflege und die Unterstützung bei der mundgerechten Zubereitung der Mahlzeiten könne höchstens mit 20 Minuten veranschlagt werden. An den hauswirtschaftlichen Verrichtungen beteilige sich der Kläger nicht, obwohl die Fähigkeiten dazu vorhanden wären. Mit Anleitung seien einige Verrichtungen machbar. Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.12.1996 den Antrag des Klägers ab.
Auf den Widerspruch des Klägers vom 15.01.1997 holte die Beklagte ein erneutes Pflegegutachten durch den MDK ein. Im Gutachten vom 30.07.1997, erstattet nach Untersuchung in häuslicher Umgebung am 23.07.1997, kamen Dr. H ... und die Pflegefachkraft Sch ... ebenso zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine erhebliche Pflegebedürftigkeit nicht erfüllt seien. Die Gutachter stellten beim Kläger ein gestörtes Gangbild, rechtsseitig spastisch mit Vorfuß- und Außenrandauftritt fest. Der rechte Fuß befinde sich in Spitzstellung bei leichter Innenrotation. An den linken oberen Extremitäten befänden sich keine funktionellen Einschränkungen. Rechts sei der Nackengriff unvollständig, der Faustschluss frei, die Greiffunktion gestört. Grobe Kraft bestehe bei zeitweilig einschießender Spastik in die rechte Hand. Der tägliche Hilfebedarf beim Duschen/Baden bestehe (durchschnittlich) i. H. v. 7 Minuten, beim Kämmen/Rasieren i. H. v. 1 Minute und bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung i. H. v. 9 Minuten. Der wöchentliche Zeitaufwand für die hauswirtschaftliche Versorgung betrage 315 Minuten. Mit weiterem Bescheid vom 11.08.1997 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers erneut ab. Zur Begründung verwies die Beklagte auf das Ergebnis der zweiten Begutachtung.
Den hiergegen am 04.09.1997 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.01.1998 zurück. Gutachterlich sei festgestellt worden, dass der Kläger in den drei Bereichen der Grundpflege um hohe Selbstständigkeit bemüht sei. Jedoch seien infolge des Fehlens der Feinmotorik in der rechten Hand Unterstützungen und Teilhilfen in einem geringen zeitlichen Umfang in den Bereichen Körperpflege und bei der mundgerechten Zubereitung des Essens erforderlich. Der zeitliche Umfang entspreche höchstens 20 Minuten täglich und erreiche damit nicht den zur Bewilligung von Leistungen der Pflegeversicherung durch den Gesetzgeber geforderten zeitlichen Umfang von mindestens mehr als 45 Minuten täglich im Grundpflegebereich. Die festgestellte Schwerbehinderung mit der Bestätigung eines Grades von 100 führe nicht zwangsläufig zur Einstufung in eine Pflegestufe der Pflegeversicherung. Die in einem anderen Sozialleistungsbereich getroffene Entscheidung über das Vorliegen einer Behinderung habe keine bindende Wirkung für die Pflegekasse und sage auch nichts über das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit aus. Ebenso könne man aus der psychischen Erkrankung des Klägers nicht die Schlussfolgerung ziehen, es bestehe Pflegebedürftigkeit. Zur Beurteilung der Pflegebedürftigkeit seien die Fähigkeiten zur Ausübung der täglich wiederkehrenden Verrichtungen und nicht Art oder Schwere vorliegender Erkrankungen ausschlaggebend.
Mit der am 06.02.1998 beim Sozialgericht Dresden (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein auf Gewährung von Pflegegeld gerichtetes Begehren weiterverfolgt und mit Schriftsatz vom 06.05.1998 eine Aufstellung zum Hilfe- und Pflegebedarf durch seinen Vater vorlegen lassen, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.
Das SG hat zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts Befundberichte von Dr. L ..., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, und von Dr. H ..., Facharzt für Allgemeinmedizin, eingeholt. Dem SG hat eine Auskunft des Leiters der Behindertenwerkstatt vorgelegen, in der der Kläger beschäftigt ist. Danach kann der Kläger bei der Arbeit nur seine linke Hand vollständig benutzen. Er versuche aber auch, wo möglich, die rechte Hand unterstützend (Haltefunktion) einzusetzen. Bedingt durch die motorische Einhändigkeit müsse dem Kläger bei der Mittagsmahlzeit und auch bei anderen Mahlzeiten geholfen werden. Der Kläger besuche selbstständig die Toilette und bediene sich, obwohl es ihm schwerfalle, allein. Bei entsprechender technischer Ausstattung (Mischbatterie) könne sich der Kläger allein die Hände waschen. Auf die Auskunft im Übrigen (Bl. 38 SG-Akte) wird Bezug genommen.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Pflegegutachtens durch den staatlich examinierten Krankenpfleger K ... Der gerichtlich bestellte Sachverständige ist nach einem Hausbesuch bei dem Kläger am 04.12.1998 zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger die Voraussetzungen für die Pflegestufe I nicht erfülle. Der Zeitaufwand für Körperpflege, Ernährung und Mobilität belaufe sich insgesamt auf täglich 43 Minuten. Hiervon entfielen 25 Minuten auf den Bereich Körperpflege, 9 Minuten auf die Ernährung sowie ebenso 9 Minuten auf den Bereich Mobilität. Auf das Gutachten im Übrigen (Bl. 72-75 SG-Akte) wird Bezug genommen.
Die Beteiligten haben zu dem Gutachten Stellung genommen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, das 10 Minuten für einen Duschvorgang für Teilübernahmen durch die Pflegeperson des Klägers als zu hoch eingeschätzt seien. Das Gleiche treffe auf die Verrichtung "Waschen" zu. Im Bereich der Darm- und Blasenentleerung sei entsprechend dem Bericht der Lebenshilfe kein Hilfebedarf gegeben. Einen Hilfebedarf zu diesen Verrichtungen zu unterstellen sei spekulativ. Der Hilfebedarf zur Verrichtung "Ankleiden" mit maximal 6 Minuten sei ebenso wenig nachvollziehbar, handele es sich doch hierbei um Hilfe zur Auswahl zweckentsprechender Kleidung sowie zum Knöpfen der Kleidung bzw. zum Binden der Schuhe, also um Teilhilfen.
Der Kläger hat vortragen lassen, dass er zum Duschen/Baden stets in die Badewanne gesetzt werden müsse. Der tägliche Aufwand hierfür sei stets gleich hoch (ca. 15 Minuten). Der Zeitaufwand für die Teilwäsche Oberkörper betrage ca. 8 Minuten. Intimhygiene und Händewaschen könne er nur oberflächlich ausführen. Im Übrigen hat der Kläger eine detaillierte Aufstellung über den Zeitbedarf für die erforderlichen Hilfeleistungen vorgelegt, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 105 SG-Akte).
Das SG hat auf mündliche Verhandlung mit Urteil vom 10.02.2000 die Klage abgewiesen und sich zur Begründung auf das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen gestützt.
Gegen das am 18.03.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 18.04.2000 eingelegte Berufung des Klägers. Der Zeitaufwand für tägliche Pflegeleistungen betrage täglich 60 Minuten. Nach dem vorgelegten Pflegeprotokoll vom Dezember 1998 betrage der Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege 45 Minuten (8 Minuten für die Teilwäsche, 8 Minuten für Zahnpflege, 8 Minuten für das Rasieren, 15 Minuten für das Baden und 6 Minuten für den Stuhlgang), bei der Ernährung 8 Minuten (Frühstück drei, Verpflegung eine und Abendbrot vier Minuten) und im Rahmen der Mobilität 10 Minuten (Aufstehen eine, Ankleiden nach Aufstehen/Waschen drei Minuten und beim Verlassen der Wohnung eine Minute, Stehen drei Minuten [Ein- und Aussteigen aus der Badewanne] und Verlassen/Wiederaufsuchen der Wohnung zwei Minuten). In Ergänzung des Pflegeprotokolls führte der Vater des Klägers aus, dass zwei Minuten für die Nachreinigung der Zahnzwischenräume und des Zahnfleisches sowie weitere zwei Minuten für die Reinigung des Waschplatzes einschl. Spiegel, Zahnbürste und Zahnbecher erforderlich seien. Für die Hilfe bei der Nachrasur seien aufgrund vorhandener Probleme bei der Handhabung des Rasierapparates fünf Minuten, für die nachfolgende Haut- und Gesichtspflege eine Minute und für das Säubern des Rasierapparates weitere zwei Minuten notwendig. Im Rahmen der Darmentleerung bestehe Hilfebedarf bei der Intimhygiene (drei Minuten), beim Säubern der Hände (eine Minute), beim Richten der Kleidung (eine Minute) und beim Reinigen der Toilette (eine Minute). Regelmäßige Arztbesuche seien gegenwärtig weder erforderlich noch sinnvoll.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 10.02.2000 sowie die Bescheide vom 19.12.1996 und vom 11.08.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Pflegegeld nach der Pflegestufe I ab 02.09.1996 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist im Übrigen auf ihr erstinstanzlichen Vorbringen.
Der Senat hat eine Stellungnahme des vom SG bestellten Sachverständigen zu dem vom Kläger vorgetragen Hilfebedarf eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass bei den Verrichtungen Waschen, Duschen und Baden die erforderliche Hilfeleistung hauptsächlich in Form teilweiser Übernahme der Verrichtung in Form von Unterstützung oder absichernder Beaufsichtigung bestehe. Die "teilweise Übernahme" beziehe sich vor allem auf das Waschen in Form von Trocknen von Rücken oder linker Oberkörperhälfte. Der Kläger sei versiert im Gebrauch der linken Hand, weshalb er wesentliche Teile der Verrichtung selbstständig bewältige. Er könne auch relativ sicher stehen, weshalb die gesunde Hand durch ein selbstständiges, dauerndes Festhalten beim Duschen nicht blockiert sei und für die eigentliche Verrichtung gebraucht werden könne. Die Rasur werde beim Kläger als Trockenrasur durchgeführt. Bei Verwendung funktionierender Technik und bei (aufgrund täglicher Durchführung berechtigter) Annahme von großer Routine, müsse die Reklamierung eines höheren Zeitbedarfs (als 1 Minute) konstruiert erscheinen. Man könne aber ebenso gut 2 Minuten für diese Verrichtung ansetzen. Die abendlichen Salbeneinreibungen zur Akne-Behandlung gehörten zur Behandlungspflege. Diese müssten daher unberücksichtigt bleiben. Im Bereich der Darmentleerung bestehe Hilfebedarf hauptsächlich bei der Nachreinigung und dem anschließenden Richten der Bekleidung. Die Angaben des Klägers im Bereich des Aufstehens seien plausibel. Im Bereich des Ankleidens sei die Notwendigkeit einer vollständigen Übernahme der Verrichtung nicht nachvollziehbar dargestellt worden und sei als solche auch nicht erkennbar.
Der Kläger hat hierzu vortragen lassen, dass es ihm nicht möglich sei, mit der rechten Hand selbstständige Verrichtungen durchzuführen. Daher könne der Kläger überhaupt nicht duschen und die Feststellung des Gutachters, dass der Kläger relativ sicher stehen könne und mit der gesunden linken Hand auch ein selbstständiges dauerndes Festhalten gewährleisten könne, sei schlichtweg falsch. Dem Kläger sei es nicht möglich zu duschen, sondern er bade täglich. Für den Badevorgang müsse zunächst für den Kläger das Badewasser vorbereitet werden. Aufgrund der Störung seiner Feinmotorik sei es dem Kläger nicht möglich, die Temperatur des Badewassers zu erkennen. Dem Kläger sei es aufgrund des rechten Spitzfußes auch nicht möglich, allein in die Badewanne oder aus der Badewanne zu steigen. Beim Rasieren sei es dem Kläger auch mit der gesunden linken Hand aufgrund der Störung der Feinmotorik nicht möglich, eine Rasur so durchzuführen, dass hinterher sämtliche Barthaare entfernt seien. Eine Nachrasur sei erforderlich, die einen Zeitaufwand von mehr als einer Minute benötige. Die Gesichtspflege schätze der Gutachter völlig falsch ein. Hierbei handele es sich keinesfalls um eine Behandlungspflege, sondern um die einer Rasur folgende Pflege.
Der Senat hat den Sachverständigen hierauf in der mündlichen Verhandlung einvernommen. Wegen der Angaben des Sachverständigen K ... wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20.11.2001 verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 19.12.1996 und vom 11.08.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.1998 sind rechtswidrig. Der Kläger hat Anspruch auf Pflegegeld ab 02.09.1996 nach der Pflegestufe I (§§ 37 Abs. 1, 33 Abs. 1 Satz 2 SGB XI).
Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maß (§ 15) der Hilfe bedürfen. Gewöhnliche oder regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen sind nach § 14 Abs. 4 SGB XI das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, das Rasieren, das Darm- und Blasenentleeren (Körperpflege), das mundgerechte Zubereiten und die Aufnahme der Nahrung (Ernährung), das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (Mobilität) sowie das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung und das Beheizen der Wohnung (hauswirtschaftliche Versorgung). Hilfe im genannten Sinne besteht nach § 14 Abs. 3 SGB XI in der Unterstützung, teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen. Für die Leistungen nach SGB XI sind die Pflegebedürftigen gem. § 15 Abs. 1 Nr. 1 - 3 SGB XI einer der drei Pflegestufen zuzuordnen.
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI (i. d. F. des 1. SGB XI-Änderungsgesetz vom 14.06.1996, BGBl. I 830) setzt die Zuordnung eines Pflegebedürftigen zur Pflegestufe I voraus, dass er bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für mindestens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei den hauswirtschaftlichen Verrichtungen benötigt werden. Zusätzlich wird nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI i. d. F. des 1. SGB XI-Änderungsgesetz vorausgesetzt, dass der Zeitaufwand, den eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen benötigt, täglich im Wochendurchschnitt mindestens 90 Minuten beträgt, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen.
Der Kläger bedarf wegen geistiger und körperlicher Behinderungen Hilfeleistungen im Bereich der Grundpflege von mehr als 45 Minuten täglich. Er leidet an einer spastischen Hemiparese rechts bei Zustand nach Mengioencephalitis mit ausgeprägten motorischen Störungen und einer leichten geistigen Behinderung.
Bei der Bemessung des Pflegebedarfs im Bereich der Grundpflege folgt der Senat dem Gutachten des Sachverständigen K ... uneingeschränkt, wobei sich unter Berücksichtigung von zwei zusätzlichen Hilfeleistungen folgender zeitlicher Pflegebedarf ergibt: Für die Körperpflege insgesamt 48 Minuten, nämlich für die Teilwäsche des Oberkörpers 4 Minuten, das Baden bzw. Duschen 10 Minuten, das Haare waschen (zweimal wöchentlich 5 Minuten) umgerechnet täglich 1 Minute, das Hände waschen (fünfmal wöchentlich 4 Minuten) umgerechnet 3 Minuten, die Zahnpflege 4 Minuten (2 x 2), das Rasieren 2 Minuten, die Darm-/Blasenentleerung 6 Minuten (3 x 2). Im Bereich der Ernährung ist für das mundgerechte Zubereiten der Nahrung ein Zeitaufwand von 9 Minuten (3 x 3) und im Bereich der Mobilität insgesamt 9 Minuten, nämlich für das Aufstehen 3 Minuten und das teilweise Ankleiden 6 Minuten anzusetzen. Aus den vorstehenden einzelnen Zeitangaben für die jeweils genannten Verrichtungen ergibt sich ein Gesamtzeitaufwand von insgesamt 48 Minuten täglich. Ein zeitlich geringer wie auch höher zu bemessender Zeitaufwand lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht rechtfertigen.
Die vom Prozessvertreter und Vater des Klägers angegebenen 6 Minuten für Oberkörper- und Armwaschen sowie Abtrocknen lassen sich nicht nachvollziehen. Angesichts der beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen, die vor allem seine rechte Hand betreffen, erscheint es dem Senat schlüssig, wenn der gerichtlich bestellte Sachverständige Hilfe im Bereich der Oberkörperteilwäsche nur insoweit erforderlich erachtet, als es das Waschen und das Trocknen des Rückens und der linken Oberkörperhälfte betrifft. Hierfür erscheinen dem Senat 4 Minuten als ausreichend, aber auch im Hinblick auf den Sachvortrag der Beklagten auf der Grundlage der eingeholten MDK-Gutachten als erforderlich.
Beim Rasieren besteht Hilfebedarf des Klägers nur bei der Nachrasur und bei der Hautpflege mittels Gesichtswasser nach der Rasur i. H. v. von jeweils einer Minute. Der Senat hält es für nachvollziehbar, dass der Kläger aufgrund der bestehenden motorischen Störungen diese Verrichtungen nur unvollständig selbst durchführen kann und teilweise von einer Pflegeperson übernommen werden müssen, wobei dem Senat der angegebene Zeitaufwand von je einer Minute als angemessen erscheint. Einen höheren Hilfe bedarf als den vom Sachverständigen angegebenen kann der Senat hingegen auf der Grundlage des Sachvortrags des Klägers, wonach der Zeitaufwand von 5 Minuten unter anderem deswegen erforderlich sei, weil dem Kläger der Einsatz des Langhaarschneiders nicht gelänge, nicht nachvollziehen. Anhaltspunkte, dass der Kläger einen derartigen Haarwuchs hat, dass der tägliche Einsatz des Langhaarschneiders erforderlich ist, liegen nicht vor. Ebenso wenig hält der Senat ein tägliches, zwei Minuten dauerndes Reinigen des Rasierapparates für notwendig.
Im Bereich der Zahnpflege lässt sich auch kein höherer als der von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen angegebene Hilfebedarf feststellen. Dieser hat ausgeführt, dass der Kläger diese Verrichtungen in Teilen selbst durchzuführen in der Lage ist, so dass auch hier nur eine Nachreinigung notwendig ist. Dies steht in Übereinstimmung mit der Tatsache, dass an der linken Hand des Klägers keine Funktionsstörungen bestehen. Die Richtlinien zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (Begutachtungs-Richtlinien - BRi) vom 21.03.1997 sehen bei der vollständigen Übernahme der Zahnpflege einen Zeitkorridor von 5 Minuten vor. Angesichts dessen ist der Hilfebedarf bei "nur" erforderlicher Teilhilfe mit jeweils 2 Minuten für Nachsäuberung der Zahnzwischenräume ausreichend, aber auch als erforderlich zu bewerten. Im Übrigen erschließt sich dem Senat nicht die Notwendigkeit des Putzens des Spiegels und des Waschplatzes nach jedem Zähneputzen. Anhaltspunkte, die einen entsprecheneden Hilfebedarf rechtfertigten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen sprechen vielmehr dafür, dass er zum Zähneputzen derart in der Lage ist, dass eine Verschmutzung des Waschplatzes/des Spiegels, die über die hinausgeht, die jedem Zähneputzen immanent ist, nicht anfällt.
Für das Duschen/Baden ist ein Hilfebedarf von 10 Minuten täglich anzusetzen. Die Richtlinien zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (Begutachtungs-Richtlinien - BRi - vom 21.03.1997) sehen für das Duschen einen Hilfebedarf von 15 bis 20 Minuten und für das Baden von 20 bis 25 Minuten vor bei vollständiger Übernahme dieser Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Eine vollständige Übernahme dieser Verrichtungen ist beim Kläger indes nicht erforderlich. Dies ergibt sich bereits aus den Angaben des Vaters des Klägers, wonach die Hilfe im Bereich des Badens/Duschens in der Zurechtlegung der Badeutensilien, in der Befestigung der Rutscheinlage, in der Überwachung der Wassertemperatur und -menge (beim Baden), in der Bedienung der Armaturen und der Einstellung des Brausestrahls (beim Duschen), in der Unterstützung beim Ein- und Aussteigen aus der Badewanne, im Waschen und Abtrocknen des Rückens und linken Arms und in der Säuberung der Wanne besteht. Hieraus wird ersichtlich, dass nur eine teilweise Übernahme dieser Verrichtung durch die Pflegeperson notwendig ist. Angesichts dessen ist ein Hilfebedarf von durchschnittlich in Höhe etwa der Hälfte der in den BRi angegebenen Zeitkorridore nicht zu beanstanden, zumal der Sachverständige Königsdörfer bekundet hat, den Hilfebedarf beim Ein- und Aussteigen bei der Verrichtung Baden/Duschen berücksichtigt zu haben, demgegenüber die BRi den hierfür erforderlichen Hilfebedarf separat im Bereich der Mobilität der Verrichtung "Stehen" zuordnen.
Für das Haare waschen ist ein täglicher Hilfebedarf von 1 Minute einzubeziehen. Es ist eine berücksichtigungsfähige Maßnahme der Grundpflege im Sinne von § 14 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI. Zwar ist die Verrichtung Haare waschen dort nicht gesondert ausgeführt. Dies ist jedoch, wie das BSG im Urteil vom 31.08.2000 (B 3 P 14/99 R) hervorgehoben hat, unschädlich, weil sie nach Wortlaut, Sprachgebrauch und Verkehrsauffassung als Bestandteil der Verrichtung Waschen/Duschen/Baden anzusehen ist. Ein zweimaliges wöchentliches Haare waschen, wie es der Vater des Klägers in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, ist als dem heutigen Hygienestandard üblich und erforderlich anzusehen. Für die notwendigen Hilfen in Form von Shampoo auf den Kopf geben, Haarwasser aufsprühen und einmassieren und Haare fönen mit einer Bürste ist der vom Vater des Klägers ist der mündlichen Verhandlung mit 5 Minuten als untere Grenze angegebene Hilfebedarf pro Vorgang zur Überzeugung des Senats gerechtfertigt. Hieraus ergibt sich ein nach unten gerundeter täglicher Zeitaufwand von 1 Minute. Der Sachverständige Königsdörfer hat zudem in der mündlichen Verhandlung bekundet, den Zeitaufwand für das Haare waschen nicht beim Duschen/Baden eingestellt zu haben, so dass hieraus ein zusätzlicher berücksichtigungsfähiger Hilfebedarf resultiert.
Der im Bereich der Darm- und Blasenentleerung angegebene Hilfebedarf von täglich insgesamt 6 Minuten bei mehreren Toilettengängen für die Nachreinigung, Richten der Kleidung und Hände waschen steht in Übereinstimmung mit den Angaben des Klägers. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat für den Senat insoweit überzeugend ausgeführt, an der Einschätzung der Behindertenwerkstatt, wonach der Kläger hier keinen Hilfebedarf benötige, seien durchgreifende Bedenken dahingehend angebracht, dass der der Kläger bei der Verrichtung "Gang zur Toilette" befriedigende Ergebnisse beim Nachreinigen bzw. beim Richten der Bekleidung und Hände waschen erzielt. Wie der Sachverständige nachvollziehbar ausgeführt hat, fordert der Kläger einen solchen Hilfebedarf nicht ein, weil er ihn nicht erkennt. Angesichts auch der geistigen Defizite des Klägers ist vielmehr gerade im Bereich der Intimpflege wie auch beim nachfolgenden Hände waschen ein Hilfebedarf als erforderlich einzuschätzen.
Darüber hinaus hat der Vater des Klägers in der mündlichen Verhandlung für den Senat anschaulich und überzeugend geschildert, dass die Hände des Klägers nach der Rückkehr aus der Behindertenwerkstatt und auch wegen seiner dortigen Tätigkeit in der Montagewerkstatt so schmutzig sind, dass sie mit Seife und einer Hand- und Nagelbürste gründlich "geschrubbt" werden müssen. In Anlehnung an die Angabe des Vaters der Klägers von 5 Minuten pro Vorgang hält der Senat insoweit den doppelten Zeitansatz des in den BRi angegebenen Zeitaufwands für die Teilwäsche von Hände/Gesicht von 1-2 Minuten mit 4 Minuten für schlüssig und ist für fünf Wochentage zu veranschlagen, so dass umgerechnet ein zusätzlicher täglicher Hilfebedarf von 3 Minuten einzubeziehen ist.
Im Bereich der Ernährung ist auch unter Berücksichtigung des Sachvortrags des Klägers Hilfe nur für das mundgerechte Zubereiten der Nahrung erforderlich. Der Kläger kann aufgrund seiner rechtsseitigen Behinderung nicht mit Messer und Gabel umgehen. Die Nahrung muß ihm mundgerecht zubereitet werden. Der vom gerichtlich bestellten Sachverständige angenommene Hilfebedarf von täglich 3 Minuten steht in Übereinstimmung mit dem in den BRi vorgesehenen Zeitkorridor, wozu die Reichung von Getränken, aber auch das Zerkleinern von Obst und Zurechtschneiden der belegten Brote für das Vesper zu berücksichtigen sind, so dass der Zeitaufwand dem Senat insgesamt gerechtfertigt erscheint. Darüber hinaus ist dieser Hilfebedarf auch im Gutachten des MDK vom 24.07.1997 mit 9 Minuten ausgewiesen. Weiteren Hilfebedarf hält der Senat insoweit für nicht erforderlich. Die Zubereitung des Tees zum Vesper und Milch erwärmen gehören zur hauswirtschaftlichen Versorgung und daher nicht zur Grundpflege.
Im Bereich der Mobilität ist mit dem Gutachter K ... von einem Hilfebedarf für das Aufstehen von 3 Minuten und für das Ankleiden von 6 Minuten auszugehen. Zwar kann sich der Kläger grundsätzlich alleine aus dem Bett bewegen. Er bedarf aber, insbesondere aufgrund seiner geistigen Behinderung, morgens der besonderen Motivation, die über eine schlichte Aufforderung hinausgeht. Der Sachverständige hat insoweit ausgeführt, dass beim Kläger aufgrund seiner Wesenseigenheiten ein morgendlicher Aufwand erforderlich ist, um ihn zum Aufstehen zu bewegen. Der Vater des Klägers hat hierzu in der mündlichen Verhandlung erklärt, der Kläger müsse morgens geweckt und "angeschoben" werden. Er brauche "ein paar Streicheleinheiten, damit er in die Gänge kommt". Insoweit handelt es bei dem Hilfebedarf nicht um schlichte Aufforderungen, sondern um eine Anleitung, zu der auch die BRi die Motivierung des Pflegebedürftigen bei ansonsten selbständiger Durchführung rechnen.
Für das Ankleiden ist mit dem Sachverständigen Königsdörfer ebenfalls von einem Hilfebedarf von 6 Minuten auszugehen. Die Kleidung muß für den Kläger zweckgerichtet ausgewählt und bereit gelegt werden. Wegen seiner starken Gebrauchsminderung der rechten Hand benötigt er Hilfen bei den feinmotorischen Verrichtungen wie dem Knöpfen des Hemdes, dem Einstecken des Hemdes, Knöpfen der Hose, Gürtel schließen, Schuhe binden. Soweit die Beklagte eingewandt hat, der Zeitansatz des Sachverständigen sei in Würdigung der nur erforderlichen Teilhilfen als überhöht einzuschätzen, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung bekundet, nur den jeweils maßgeblichen konkreten Hilfebedarf erfaßt zu haben. Er ist dem Senat zudem als ein in Pflegeversicherungsfällen erfahrener und, wie auch aus seinem hier erstatteten Gutachten einschließlich seiner ergänzenden Stellungnahme deutlich wird, kritischer Gutachter bekannt, so dass der Senat keine Veranlassung hat, seine Einschätzung in Frage zu stellen. Soweit die Gutachter des MDK im Bereich der Mobilität keinen Hilfebedarf feststellen konnten, steht dies im Übrigen auch im Widerspruch zu den Angaben des früheren Hausarztes des Klägers, Dr. H ..., wonach der Kläger aufgrund der starken Gebrauchsminderung der rechten Hand Hilfe insbesondere beim Ankleiden bedarf.
Der vom Kläger angegebene Hilfebedarf für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung ist nicht berücksichtigungsfähig. In den Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 24.06.1998 (B 3 P 4/97 R) und vom 06.08.1998 (B 3 P 17/98 R), der sich der Senat anschließt, ist die Hilfe außerhalb der Wohnung nur dann pflegeversicherungsrechtlich von Bedeutung, wenn sie erforderlich ist, um ein Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen. Beim Besuch der Behindertenwerkstatt fehlt der erforderliche Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Existenz in der häuslichen Umgebung. Sie dient vielmehr der Stabilisierung und Entwicklung der geistigen und körperlichen Fähigkeiten, die auch dann erforderlich bleiben, wenn der Behinderte in einem Heim untergebracht ist. Arztbesuche, Behördengängen, Therapien vermögen darüber hinaus nur dann einen Hilfebedarf zu begründen, wenn sie ein persönlichen Erscheinen des Behinderten erforderlich machen und regelmäßig wenigstens einmal pro Woche auf Dauer (d.h. mindestens sechs Monate) anfallen (BSG, Urteil vom 29.04.1999 B 3 P 7/98 R). Hierfür ergeben sich weder aus dem Vortrag des Klägers noch aus den Unterlagen Anhaltspunkte.
Bei alledem ergibt sich allein aufgrund dieser Feststellungen ein täglicher Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 48 Minuten, so dass dahin gestellt bleiben kann, ob es sich bei den täglichen Salbenbehandlungen an Gesicht und Rücken wegen der Akne vulgaris um berücksichtungsfähige krankheitsspezifische Behandlungsmaßnahmen handelt. Zu den krankheitsspezifischen Behandlungsmaßnahmen hat die Rechtsprechung entschieden, dass diese dann zu berücksichtigen sind, wenn sie im Anschluß an eine Verrichtung der Grundpflege aus medizinisch-pflegerischen Gründen erforderlich sind und hat dies im Falle des Eincremens der Haut nach dem Waschen bei einer Neurodermitis-Erkrankung bejaht (BSG, Urteil vom 26.11.1998 - B 3 P 20/97 R). Anlaß für weitere Ermittlungen in dieser Hinsicht bestand hingegen nicht, weil der Mindestumfang im Bereich der Grundpflege von mehr als 45 Minuten bereits mit den Katalog-Verrichtungen erreicht ist.
Im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung hat der Sachverständige Königsdörfer einen Hilfebedarf von täglich einer Stunde, der Gutachter des MDK Dr. H ... einen Hilfebedarf von täglich 45 Minuten festgestellt, so dass auch unter Heranziehung dieses geringeren Zeitaufwandes ein Hilfebedarf von 93 Minuten täglich festzustellen ist und die zeitlichen Voraussetzungen der Pflegestufe I damit erfüllt sind.
Nach alledem war die Berufung des Klägers begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Pflegegeld aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I.
Der am ... geborene Kläger ist bei der Beklagten gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichert. Er leidet unter einer spastischen Hemiparese rechts bei Zustand nach Mengioencephalitis mit ausgeprägten motorischen Störungen, einer leichten geistigen Behinderung und unter einer chronischen Akne vulgaris an Gesicht, Kopf und Rücken. Der Grad der Behinderung ist mit 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "B", "G" und "H" festgestellt.
Der Kläger arbeitet seit 1993 in einer Werkstatt für Behinderte in der Montagegruppe. Sein Tätigkeitsfeld umfasst Falt-, Verpackungs-, Zähl- und Montagearbeiten. Er lebt bei seinen Eltern, von denen er betreut und gepflegt wird.
Am 02.09.1996 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Pflegegeld. Die Beklagte veranlasste daraufhin die Erstellung eines Pflegegutachtens durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Im Gutachten vom 17.12.1996 kam Dipl.-Med. R ... zu dem Ergebnis, dass keine Pflegebedürftigkeit vorliege. Hilfebedarf bestehe beim Waschen, Duschen/Baden, bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung sowie beim An- und Auskleiden. Die Kontrolle bei der Körperpflege und die Unterstützung bei der mundgerechten Zubereitung der Mahlzeiten könne höchstens mit 20 Minuten veranschlagt werden. An den hauswirtschaftlichen Verrichtungen beteilige sich der Kläger nicht, obwohl die Fähigkeiten dazu vorhanden wären. Mit Anleitung seien einige Verrichtungen machbar. Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.12.1996 den Antrag des Klägers ab.
Auf den Widerspruch des Klägers vom 15.01.1997 holte die Beklagte ein erneutes Pflegegutachten durch den MDK ein. Im Gutachten vom 30.07.1997, erstattet nach Untersuchung in häuslicher Umgebung am 23.07.1997, kamen Dr. H ... und die Pflegefachkraft Sch ... ebenso zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine erhebliche Pflegebedürftigkeit nicht erfüllt seien. Die Gutachter stellten beim Kläger ein gestörtes Gangbild, rechtsseitig spastisch mit Vorfuß- und Außenrandauftritt fest. Der rechte Fuß befinde sich in Spitzstellung bei leichter Innenrotation. An den linken oberen Extremitäten befänden sich keine funktionellen Einschränkungen. Rechts sei der Nackengriff unvollständig, der Faustschluss frei, die Greiffunktion gestört. Grobe Kraft bestehe bei zeitweilig einschießender Spastik in die rechte Hand. Der tägliche Hilfebedarf beim Duschen/Baden bestehe (durchschnittlich) i. H. v. 7 Minuten, beim Kämmen/Rasieren i. H. v. 1 Minute und bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung i. H. v. 9 Minuten. Der wöchentliche Zeitaufwand für die hauswirtschaftliche Versorgung betrage 315 Minuten. Mit weiterem Bescheid vom 11.08.1997 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers erneut ab. Zur Begründung verwies die Beklagte auf das Ergebnis der zweiten Begutachtung.
Den hiergegen am 04.09.1997 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.01.1998 zurück. Gutachterlich sei festgestellt worden, dass der Kläger in den drei Bereichen der Grundpflege um hohe Selbstständigkeit bemüht sei. Jedoch seien infolge des Fehlens der Feinmotorik in der rechten Hand Unterstützungen und Teilhilfen in einem geringen zeitlichen Umfang in den Bereichen Körperpflege und bei der mundgerechten Zubereitung des Essens erforderlich. Der zeitliche Umfang entspreche höchstens 20 Minuten täglich und erreiche damit nicht den zur Bewilligung von Leistungen der Pflegeversicherung durch den Gesetzgeber geforderten zeitlichen Umfang von mindestens mehr als 45 Minuten täglich im Grundpflegebereich. Die festgestellte Schwerbehinderung mit der Bestätigung eines Grades von 100 führe nicht zwangsläufig zur Einstufung in eine Pflegestufe der Pflegeversicherung. Die in einem anderen Sozialleistungsbereich getroffene Entscheidung über das Vorliegen einer Behinderung habe keine bindende Wirkung für die Pflegekasse und sage auch nichts über das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit aus. Ebenso könne man aus der psychischen Erkrankung des Klägers nicht die Schlussfolgerung ziehen, es bestehe Pflegebedürftigkeit. Zur Beurteilung der Pflegebedürftigkeit seien die Fähigkeiten zur Ausübung der täglich wiederkehrenden Verrichtungen und nicht Art oder Schwere vorliegender Erkrankungen ausschlaggebend.
Mit der am 06.02.1998 beim Sozialgericht Dresden (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein auf Gewährung von Pflegegeld gerichtetes Begehren weiterverfolgt und mit Schriftsatz vom 06.05.1998 eine Aufstellung zum Hilfe- und Pflegebedarf durch seinen Vater vorlegen lassen, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.
Das SG hat zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts Befundberichte von Dr. L ..., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, und von Dr. H ..., Facharzt für Allgemeinmedizin, eingeholt. Dem SG hat eine Auskunft des Leiters der Behindertenwerkstatt vorgelegen, in der der Kläger beschäftigt ist. Danach kann der Kläger bei der Arbeit nur seine linke Hand vollständig benutzen. Er versuche aber auch, wo möglich, die rechte Hand unterstützend (Haltefunktion) einzusetzen. Bedingt durch die motorische Einhändigkeit müsse dem Kläger bei der Mittagsmahlzeit und auch bei anderen Mahlzeiten geholfen werden. Der Kläger besuche selbstständig die Toilette und bediene sich, obwohl es ihm schwerfalle, allein. Bei entsprechender technischer Ausstattung (Mischbatterie) könne sich der Kläger allein die Hände waschen. Auf die Auskunft im Übrigen (Bl. 38 SG-Akte) wird Bezug genommen.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Pflegegutachtens durch den staatlich examinierten Krankenpfleger K ... Der gerichtlich bestellte Sachverständige ist nach einem Hausbesuch bei dem Kläger am 04.12.1998 zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger die Voraussetzungen für die Pflegestufe I nicht erfülle. Der Zeitaufwand für Körperpflege, Ernährung und Mobilität belaufe sich insgesamt auf täglich 43 Minuten. Hiervon entfielen 25 Minuten auf den Bereich Körperpflege, 9 Minuten auf die Ernährung sowie ebenso 9 Minuten auf den Bereich Mobilität. Auf das Gutachten im Übrigen (Bl. 72-75 SG-Akte) wird Bezug genommen.
Die Beteiligten haben zu dem Gutachten Stellung genommen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, das 10 Minuten für einen Duschvorgang für Teilübernahmen durch die Pflegeperson des Klägers als zu hoch eingeschätzt seien. Das Gleiche treffe auf die Verrichtung "Waschen" zu. Im Bereich der Darm- und Blasenentleerung sei entsprechend dem Bericht der Lebenshilfe kein Hilfebedarf gegeben. Einen Hilfebedarf zu diesen Verrichtungen zu unterstellen sei spekulativ. Der Hilfebedarf zur Verrichtung "Ankleiden" mit maximal 6 Minuten sei ebenso wenig nachvollziehbar, handele es sich doch hierbei um Hilfe zur Auswahl zweckentsprechender Kleidung sowie zum Knöpfen der Kleidung bzw. zum Binden der Schuhe, also um Teilhilfen.
Der Kläger hat vortragen lassen, dass er zum Duschen/Baden stets in die Badewanne gesetzt werden müsse. Der tägliche Aufwand hierfür sei stets gleich hoch (ca. 15 Minuten). Der Zeitaufwand für die Teilwäsche Oberkörper betrage ca. 8 Minuten. Intimhygiene und Händewaschen könne er nur oberflächlich ausführen. Im Übrigen hat der Kläger eine detaillierte Aufstellung über den Zeitbedarf für die erforderlichen Hilfeleistungen vorgelegt, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 105 SG-Akte).
Das SG hat auf mündliche Verhandlung mit Urteil vom 10.02.2000 die Klage abgewiesen und sich zur Begründung auf das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen gestützt.
Gegen das am 18.03.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 18.04.2000 eingelegte Berufung des Klägers. Der Zeitaufwand für tägliche Pflegeleistungen betrage täglich 60 Minuten. Nach dem vorgelegten Pflegeprotokoll vom Dezember 1998 betrage der Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege 45 Minuten (8 Minuten für die Teilwäsche, 8 Minuten für Zahnpflege, 8 Minuten für das Rasieren, 15 Minuten für das Baden und 6 Minuten für den Stuhlgang), bei der Ernährung 8 Minuten (Frühstück drei, Verpflegung eine und Abendbrot vier Minuten) und im Rahmen der Mobilität 10 Minuten (Aufstehen eine, Ankleiden nach Aufstehen/Waschen drei Minuten und beim Verlassen der Wohnung eine Minute, Stehen drei Minuten [Ein- und Aussteigen aus der Badewanne] und Verlassen/Wiederaufsuchen der Wohnung zwei Minuten). In Ergänzung des Pflegeprotokolls führte der Vater des Klägers aus, dass zwei Minuten für die Nachreinigung der Zahnzwischenräume und des Zahnfleisches sowie weitere zwei Minuten für die Reinigung des Waschplatzes einschl. Spiegel, Zahnbürste und Zahnbecher erforderlich seien. Für die Hilfe bei der Nachrasur seien aufgrund vorhandener Probleme bei der Handhabung des Rasierapparates fünf Minuten, für die nachfolgende Haut- und Gesichtspflege eine Minute und für das Säubern des Rasierapparates weitere zwei Minuten notwendig. Im Rahmen der Darmentleerung bestehe Hilfebedarf bei der Intimhygiene (drei Minuten), beim Säubern der Hände (eine Minute), beim Richten der Kleidung (eine Minute) und beim Reinigen der Toilette (eine Minute). Regelmäßige Arztbesuche seien gegenwärtig weder erforderlich noch sinnvoll.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 10.02.2000 sowie die Bescheide vom 19.12.1996 und vom 11.08.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Pflegegeld nach der Pflegestufe I ab 02.09.1996 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist im Übrigen auf ihr erstinstanzlichen Vorbringen.
Der Senat hat eine Stellungnahme des vom SG bestellten Sachverständigen zu dem vom Kläger vorgetragen Hilfebedarf eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass bei den Verrichtungen Waschen, Duschen und Baden die erforderliche Hilfeleistung hauptsächlich in Form teilweiser Übernahme der Verrichtung in Form von Unterstützung oder absichernder Beaufsichtigung bestehe. Die "teilweise Übernahme" beziehe sich vor allem auf das Waschen in Form von Trocknen von Rücken oder linker Oberkörperhälfte. Der Kläger sei versiert im Gebrauch der linken Hand, weshalb er wesentliche Teile der Verrichtung selbstständig bewältige. Er könne auch relativ sicher stehen, weshalb die gesunde Hand durch ein selbstständiges, dauerndes Festhalten beim Duschen nicht blockiert sei und für die eigentliche Verrichtung gebraucht werden könne. Die Rasur werde beim Kläger als Trockenrasur durchgeführt. Bei Verwendung funktionierender Technik und bei (aufgrund täglicher Durchführung berechtigter) Annahme von großer Routine, müsse die Reklamierung eines höheren Zeitbedarfs (als 1 Minute) konstruiert erscheinen. Man könne aber ebenso gut 2 Minuten für diese Verrichtung ansetzen. Die abendlichen Salbeneinreibungen zur Akne-Behandlung gehörten zur Behandlungspflege. Diese müssten daher unberücksichtigt bleiben. Im Bereich der Darmentleerung bestehe Hilfebedarf hauptsächlich bei der Nachreinigung und dem anschließenden Richten der Bekleidung. Die Angaben des Klägers im Bereich des Aufstehens seien plausibel. Im Bereich des Ankleidens sei die Notwendigkeit einer vollständigen Übernahme der Verrichtung nicht nachvollziehbar dargestellt worden und sei als solche auch nicht erkennbar.
Der Kläger hat hierzu vortragen lassen, dass es ihm nicht möglich sei, mit der rechten Hand selbstständige Verrichtungen durchzuführen. Daher könne der Kläger überhaupt nicht duschen und die Feststellung des Gutachters, dass der Kläger relativ sicher stehen könne und mit der gesunden linken Hand auch ein selbstständiges dauerndes Festhalten gewährleisten könne, sei schlichtweg falsch. Dem Kläger sei es nicht möglich zu duschen, sondern er bade täglich. Für den Badevorgang müsse zunächst für den Kläger das Badewasser vorbereitet werden. Aufgrund der Störung seiner Feinmotorik sei es dem Kläger nicht möglich, die Temperatur des Badewassers zu erkennen. Dem Kläger sei es aufgrund des rechten Spitzfußes auch nicht möglich, allein in die Badewanne oder aus der Badewanne zu steigen. Beim Rasieren sei es dem Kläger auch mit der gesunden linken Hand aufgrund der Störung der Feinmotorik nicht möglich, eine Rasur so durchzuführen, dass hinterher sämtliche Barthaare entfernt seien. Eine Nachrasur sei erforderlich, die einen Zeitaufwand von mehr als einer Minute benötige. Die Gesichtspflege schätze der Gutachter völlig falsch ein. Hierbei handele es sich keinesfalls um eine Behandlungspflege, sondern um die einer Rasur folgende Pflege.
Der Senat hat den Sachverständigen hierauf in der mündlichen Verhandlung einvernommen. Wegen der Angaben des Sachverständigen K ... wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20.11.2001 verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 19.12.1996 und vom 11.08.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.1998 sind rechtswidrig. Der Kläger hat Anspruch auf Pflegegeld ab 02.09.1996 nach der Pflegestufe I (§§ 37 Abs. 1, 33 Abs. 1 Satz 2 SGB XI).
Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maß (§ 15) der Hilfe bedürfen. Gewöhnliche oder regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen sind nach § 14 Abs. 4 SGB XI das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, das Rasieren, das Darm- und Blasenentleeren (Körperpflege), das mundgerechte Zubereiten und die Aufnahme der Nahrung (Ernährung), das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (Mobilität) sowie das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung und das Beheizen der Wohnung (hauswirtschaftliche Versorgung). Hilfe im genannten Sinne besteht nach § 14 Abs. 3 SGB XI in der Unterstützung, teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen. Für die Leistungen nach SGB XI sind die Pflegebedürftigen gem. § 15 Abs. 1 Nr. 1 - 3 SGB XI einer der drei Pflegestufen zuzuordnen.
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI (i. d. F. des 1. SGB XI-Änderungsgesetz vom 14.06.1996, BGBl. I 830) setzt die Zuordnung eines Pflegebedürftigen zur Pflegestufe I voraus, dass er bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für mindestens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei den hauswirtschaftlichen Verrichtungen benötigt werden. Zusätzlich wird nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI i. d. F. des 1. SGB XI-Änderungsgesetz vorausgesetzt, dass der Zeitaufwand, den eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen benötigt, täglich im Wochendurchschnitt mindestens 90 Minuten beträgt, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen.
Der Kläger bedarf wegen geistiger und körperlicher Behinderungen Hilfeleistungen im Bereich der Grundpflege von mehr als 45 Minuten täglich. Er leidet an einer spastischen Hemiparese rechts bei Zustand nach Mengioencephalitis mit ausgeprägten motorischen Störungen und einer leichten geistigen Behinderung.
Bei der Bemessung des Pflegebedarfs im Bereich der Grundpflege folgt der Senat dem Gutachten des Sachverständigen K ... uneingeschränkt, wobei sich unter Berücksichtigung von zwei zusätzlichen Hilfeleistungen folgender zeitlicher Pflegebedarf ergibt: Für die Körperpflege insgesamt 48 Minuten, nämlich für die Teilwäsche des Oberkörpers 4 Minuten, das Baden bzw. Duschen 10 Minuten, das Haare waschen (zweimal wöchentlich 5 Minuten) umgerechnet täglich 1 Minute, das Hände waschen (fünfmal wöchentlich 4 Minuten) umgerechnet 3 Minuten, die Zahnpflege 4 Minuten (2 x 2), das Rasieren 2 Minuten, die Darm-/Blasenentleerung 6 Minuten (3 x 2). Im Bereich der Ernährung ist für das mundgerechte Zubereiten der Nahrung ein Zeitaufwand von 9 Minuten (3 x 3) und im Bereich der Mobilität insgesamt 9 Minuten, nämlich für das Aufstehen 3 Minuten und das teilweise Ankleiden 6 Minuten anzusetzen. Aus den vorstehenden einzelnen Zeitangaben für die jeweils genannten Verrichtungen ergibt sich ein Gesamtzeitaufwand von insgesamt 48 Minuten täglich. Ein zeitlich geringer wie auch höher zu bemessender Zeitaufwand lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht rechtfertigen.
Die vom Prozessvertreter und Vater des Klägers angegebenen 6 Minuten für Oberkörper- und Armwaschen sowie Abtrocknen lassen sich nicht nachvollziehen. Angesichts der beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen, die vor allem seine rechte Hand betreffen, erscheint es dem Senat schlüssig, wenn der gerichtlich bestellte Sachverständige Hilfe im Bereich der Oberkörperteilwäsche nur insoweit erforderlich erachtet, als es das Waschen und das Trocknen des Rückens und der linken Oberkörperhälfte betrifft. Hierfür erscheinen dem Senat 4 Minuten als ausreichend, aber auch im Hinblick auf den Sachvortrag der Beklagten auf der Grundlage der eingeholten MDK-Gutachten als erforderlich.
Beim Rasieren besteht Hilfebedarf des Klägers nur bei der Nachrasur und bei der Hautpflege mittels Gesichtswasser nach der Rasur i. H. v. von jeweils einer Minute. Der Senat hält es für nachvollziehbar, dass der Kläger aufgrund der bestehenden motorischen Störungen diese Verrichtungen nur unvollständig selbst durchführen kann und teilweise von einer Pflegeperson übernommen werden müssen, wobei dem Senat der angegebene Zeitaufwand von je einer Minute als angemessen erscheint. Einen höheren Hilfe bedarf als den vom Sachverständigen angegebenen kann der Senat hingegen auf der Grundlage des Sachvortrags des Klägers, wonach der Zeitaufwand von 5 Minuten unter anderem deswegen erforderlich sei, weil dem Kläger der Einsatz des Langhaarschneiders nicht gelänge, nicht nachvollziehen. Anhaltspunkte, dass der Kläger einen derartigen Haarwuchs hat, dass der tägliche Einsatz des Langhaarschneiders erforderlich ist, liegen nicht vor. Ebenso wenig hält der Senat ein tägliches, zwei Minuten dauerndes Reinigen des Rasierapparates für notwendig.
Im Bereich der Zahnpflege lässt sich auch kein höherer als der von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen angegebene Hilfebedarf feststellen. Dieser hat ausgeführt, dass der Kläger diese Verrichtungen in Teilen selbst durchzuführen in der Lage ist, so dass auch hier nur eine Nachreinigung notwendig ist. Dies steht in Übereinstimmung mit der Tatsache, dass an der linken Hand des Klägers keine Funktionsstörungen bestehen. Die Richtlinien zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (Begutachtungs-Richtlinien - BRi) vom 21.03.1997 sehen bei der vollständigen Übernahme der Zahnpflege einen Zeitkorridor von 5 Minuten vor. Angesichts dessen ist der Hilfebedarf bei "nur" erforderlicher Teilhilfe mit jeweils 2 Minuten für Nachsäuberung der Zahnzwischenräume ausreichend, aber auch als erforderlich zu bewerten. Im Übrigen erschließt sich dem Senat nicht die Notwendigkeit des Putzens des Spiegels und des Waschplatzes nach jedem Zähneputzen. Anhaltspunkte, die einen entsprecheneden Hilfebedarf rechtfertigten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen sprechen vielmehr dafür, dass er zum Zähneputzen derart in der Lage ist, dass eine Verschmutzung des Waschplatzes/des Spiegels, die über die hinausgeht, die jedem Zähneputzen immanent ist, nicht anfällt.
Für das Duschen/Baden ist ein Hilfebedarf von 10 Minuten täglich anzusetzen. Die Richtlinien zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (Begutachtungs-Richtlinien - BRi - vom 21.03.1997) sehen für das Duschen einen Hilfebedarf von 15 bis 20 Minuten und für das Baden von 20 bis 25 Minuten vor bei vollständiger Übernahme dieser Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Eine vollständige Übernahme dieser Verrichtungen ist beim Kläger indes nicht erforderlich. Dies ergibt sich bereits aus den Angaben des Vaters des Klägers, wonach die Hilfe im Bereich des Badens/Duschens in der Zurechtlegung der Badeutensilien, in der Befestigung der Rutscheinlage, in der Überwachung der Wassertemperatur und -menge (beim Baden), in der Bedienung der Armaturen und der Einstellung des Brausestrahls (beim Duschen), in der Unterstützung beim Ein- und Aussteigen aus der Badewanne, im Waschen und Abtrocknen des Rückens und linken Arms und in der Säuberung der Wanne besteht. Hieraus wird ersichtlich, dass nur eine teilweise Übernahme dieser Verrichtung durch die Pflegeperson notwendig ist. Angesichts dessen ist ein Hilfebedarf von durchschnittlich in Höhe etwa der Hälfte der in den BRi angegebenen Zeitkorridore nicht zu beanstanden, zumal der Sachverständige Königsdörfer bekundet hat, den Hilfebedarf beim Ein- und Aussteigen bei der Verrichtung Baden/Duschen berücksichtigt zu haben, demgegenüber die BRi den hierfür erforderlichen Hilfebedarf separat im Bereich der Mobilität der Verrichtung "Stehen" zuordnen.
Für das Haare waschen ist ein täglicher Hilfebedarf von 1 Minute einzubeziehen. Es ist eine berücksichtigungsfähige Maßnahme der Grundpflege im Sinne von § 14 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI. Zwar ist die Verrichtung Haare waschen dort nicht gesondert ausgeführt. Dies ist jedoch, wie das BSG im Urteil vom 31.08.2000 (B 3 P 14/99 R) hervorgehoben hat, unschädlich, weil sie nach Wortlaut, Sprachgebrauch und Verkehrsauffassung als Bestandteil der Verrichtung Waschen/Duschen/Baden anzusehen ist. Ein zweimaliges wöchentliches Haare waschen, wie es der Vater des Klägers in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, ist als dem heutigen Hygienestandard üblich und erforderlich anzusehen. Für die notwendigen Hilfen in Form von Shampoo auf den Kopf geben, Haarwasser aufsprühen und einmassieren und Haare fönen mit einer Bürste ist der vom Vater des Klägers ist der mündlichen Verhandlung mit 5 Minuten als untere Grenze angegebene Hilfebedarf pro Vorgang zur Überzeugung des Senats gerechtfertigt. Hieraus ergibt sich ein nach unten gerundeter täglicher Zeitaufwand von 1 Minute. Der Sachverständige Königsdörfer hat zudem in der mündlichen Verhandlung bekundet, den Zeitaufwand für das Haare waschen nicht beim Duschen/Baden eingestellt zu haben, so dass hieraus ein zusätzlicher berücksichtigungsfähiger Hilfebedarf resultiert.
Der im Bereich der Darm- und Blasenentleerung angegebene Hilfebedarf von täglich insgesamt 6 Minuten bei mehreren Toilettengängen für die Nachreinigung, Richten der Kleidung und Hände waschen steht in Übereinstimmung mit den Angaben des Klägers. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat für den Senat insoweit überzeugend ausgeführt, an der Einschätzung der Behindertenwerkstatt, wonach der Kläger hier keinen Hilfebedarf benötige, seien durchgreifende Bedenken dahingehend angebracht, dass der der Kläger bei der Verrichtung "Gang zur Toilette" befriedigende Ergebnisse beim Nachreinigen bzw. beim Richten der Bekleidung und Hände waschen erzielt. Wie der Sachverständige nachvollziehbar ausgeführt hat, fordert der Kläger einen solchen Hilfebedarf nicht ein, weil er ihn nicht erkennt. Angesichts auch der geistigen Defizite des Klägers ist vielmehr gerade im Bereich der Intimpflege wie auch beim nachfolgenden Hände waschen ein Hilfebedarf als erforderlich einzuschätzen.
Darüber hinaus hat der Vater des Klägers in der mündlichen Verhandlung für den Senat anschaulich und überzeugend geschildert, dass die Hände des Klägers nach der Rückkehr aus der Behindertenwerkstatt und auch wegen seiner dortigen Tätigkeit in der Montagewerkstatt so schmutzig sind, dass sie mit Seife und einer Hand- und Nagelbürste gründlich "geschrubbt" werden müssen. In Anlehnung an die Angabe des Vaters der Klägers von 5 Minuten pro Vorgang hält der Senat insoweit den doppelten Zeitansatz des in den BRi angegebenen Zeitaufwands für die Teilwäsche von Hände/Gesicht von 1-2 Minuten mit 4 Minuten für schlüssig und ist für fünf Wochentage zu veranschlagen, so dass umgerechnet ein zusätzlicher täglicher Hilfebedarf von 3 Minuten einzubeziehen ist.
Im Bereich der Ernährung ist auch unter Berücksichtigung des Sachvortrags des Klägers Hilfe nur für das mundgerechte Zubereiten der Nahrung erforderlich. Der Kläger kann aufgrund seiner rechtsseitigen Behinderung nicht mit Messer und Gabel umgehen. Die Nahrung muß ihm mundgerecht zubereitet werden. Der vom gerichtlich bestellten Sachverständige angenommene Hilfebedarf von täglich 3 Minuten steht in Übereinstimmung mit dem in den BRi vorgesehenen Zeitkorridor, wozu die Reichung von Getränken, aber auch das Zerkleinern von Obst und Zurechtschneiden der belegten Brote für das Vesper zu berücksichtigen sind, so dass der Zeitaufwand dem Senat insgesamt gerechtfertigt erscheint. Darüber hinaus ist dieser Hilfebedarf auch im Gutachten des MDK vom 24.07.1997 mit 9 Minuten ausgewiesen. Weiteren Hilfebedarf hält der Senat insoweit für nicht erforderlich. Die Zubereitung des Tees zum Vesper und Milch erwärmen gehören zur hauswirtschaftlichen Versorgung und daher nicht zur Grundpflege.
Im Bereich der Mobilität ist mit dem Gutachter K ... von einem Hilfebedarf für das Aufstehen von 3 Minuten und für das Ankleiden von 6 Minuten auszugehen. Zwar kann sich der Kläger grundsätzlich alleine aus dem Bett bewegen. Er bedarf aber, insbesondere aufgrund seiner geistigen Behinderung, morgens der besonderen Motivation, die über eine schlichte Aufforderung hinausgeht. Der Sachverständige hat insoweit ausgeführt, dass beim Kläger aufgrund seiner Wesenseigenheiten ein morgendlicher Aufwand erforderlich ist, um ihn zum Aufstehen zu bewegen. Der Vater des Klägers hat hierzu in der mündlichen Verhandlung erklärt, der Kläger müsse morgens geweckt und "angeschoben" werden. Er brauche "ein paar Streicheleinheiten, damit er in die Gänge kommt". Insoweit handelt es bei dem Hilfebedarf nicht um schlichte Aufforderungen, sondern um eine Anleitung, zu der auch die BRi die Motivierung des Pflegebedürftigen bei ansonsten selbständiger Durchführung rechnen.
Für das Ankleiden ist mit dem Sachverständigen Königsdörfer ebenfalls von einem Hilfebedarf von 6 Minuten auszugehen. Die Kleidung muß für den Kläger zweckgerichtet ausgewählt und bereit gelegt werden. Wegen seiner starken Gebrauchsminderung der rechten Hand benötigt er Hilfen bei den feinmotorischen Verrichtungen wie dem Knöpfen des Hemdes, dem Einstecken des Hemdes, Knöpfen der Hose, Gürtel schließen, Schuhe binden. Soweit die Beklagte eingewandt hat, der Zeitansatz des Sachverständigen sei in Würdigung der nur erforderlichen Teilhilfen als überhöht einzuschätzen, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung bekundet, nur den jeweils maßgeblichen konkreten Hilfebedarf erfaßt zu haben. Er ist dem Senat zudem als ein in Pflegeversicherungsfällen erfahrener und, wie auch aus seinem hier erstatteten Gutachten einschließlich seiner ergänzenden Stellungnahme deutlich wird, kritischer Gutachter bekannt, so dass der Senat keine Veranlassung hat, seine Einschätzung in Frage zu stellen. Soweit die Gutachter des MDK im Bereich der Mobilität keinen Hilfebedarf feststellen konnten, steht dies im Übrigen auch im Widerspruch zu den Angaben des früheren Hausarztes des Klägers, Dr. H ..., wonach der Kläger aufgrund der starken Gebrauchsminderung der rechten Hand Hilfe insbesondere beim Ankleiden bedarf.
Der vom Kläger angegebene Hilfebedarf für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung ist nicht berücksichtigungsfähig. In den Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 24.06.1998 (B 3 P 4/97 R) und vom 06.08.1998 (B 3 P 17/98 R), der sich der Senat anschließt, ist die Hilfe außerhalb der Wohnung nur dann pflegeversicherungsrechtlich von Bedeutung, wenn sie erforderlich ist, um ein Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen. Beim Besuch der Behindertenwerkstatt fehlt der erforderliche Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Existenz in der häuslichen Umgebung. Sie dient vielmehr der Stabilisierung und Entwicklung der geistigen und körperlichen Fähigkeiten, die auch dann erforderlich bleiben, wenn der Behinderte in einem Heim untergebracht ist. Arztbesuche, Behördengängen, Therapien vermögen darüber hinaus nur dann einen Hilfebedarf zu begründen, wenn sie ein persönlichen Erscheinen des Behinderten erforderlich machen und regelmäßig wenigstens einmal pro Woche auf Dauer (d.h. mindestens sechs Monate) anfallen (BSG, Urteil vom 29.04.1999 B 3 P 7/98 R). Hierfür ergeben sich weder aus dem Vortrag des Klägers noch aus den Unterlagen Anhaltspunkte.
Bei alledem ergibt sich allein aufgrund dieser Feststellungen ein täglicher Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 48 Minuten, so dass dahin gestellt bleiben kann, ob es sich bei den täglichen Salbenbehandlungen an Gesicht und Rücken wegen der Akne vulgaris um berücksichtungsfähige krankheitsspezifische Behandlungsmaßnahmen handelt. Zu den krankheitsspezifischen Behandlungsmaßnahmen hat die Rechtsprechung entschieden, dass diese dann zu berücksichtigen sind, wenn sie im Anschluß an eine Verrichtung der Grundpflege aus medizinisch-pflegerischen Gründen erforderlich sind und hat dies im Falle des Eincremens der Haut nach dem Waschen bei einer Neurodermitis-Erkrankung bejaht (BSG, Urteil vom 26.11.1998 - B 3 P 20/97 R). Anlaß für weitere Ermittlungen in dieser Hinsicht bestand hingegen nicht, weil der Mindestumfang im Bereich der Grundpflege von mehr als 45 Minuten bereits mit den Katalog-Verrichtungen erreicht ist.
Im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung hat der Sachverständige Königsdörfer einen Hilfebedarf von täglich einer Stunde, der Gutachter des MDK Dr. H ... einen Hilfebedarf von täglich 45 Minuten festgestellt, so dass auch unter Heranziehung dieses geringeren Zeitaufwandes ein Hilfebedarf von 93 Minuten täglich festzustellen ist und die zeitlichen Voraussetzungen der Pflegestufe I damit erfüllt sind.
Nach alledem war die Berufung des Klägers begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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