B 10 LW 37/00 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 LW 37/00 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. September 2000 aufgehoben. Die Berufungen der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 12. Oktober 1999 werden zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Kläger sind Eheleute und betreiben seit April 1996 eine Gärtnerei in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft. Beide sind bei der beklagten Alterskasse für den Gartenbau pflichtversichert. Der Kläger war schon seit Ende 1992 Komplementär der damals aus ihm und der früheren Betriebsinhaberin (Frau D) bestehenden Kommanditgesellschaft gewesen; den Frau D zustehenden Kommanditistenanteil erwarb die Klägerin mit notariellem Vertrag vom 17. April 1996.

Mit Bescheid vom 4. Februar 1997 hatte die Beklagte den Klägern auf der Grundlage eines jeweiligen Gesamteinkommens von 37.538,- DM jährlich ab 1. Januar 1997 Beitragszuschüsse von je 31,- DM monatlich gewährt. Diesem Bescheid lag der Ende Dezember 1996 vorgelegte Einkommensteuerbescheid (EStB) des Finanzamts K. vom 8. November 1996 für das Steuerjahr 1994 zugrunde, wonach die Kläger ausschließlich Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von 75.077,- DM erzielt hatten. Mit Folgebescheid vom 7. Januar 1998 erhöhte die Beklagte die Beitragszuschüsse ab 1. Januar 1998 auf je 32,- DM.

Anfang April 1998 legten die Kläger die EStB für 1995 vom 21. Oktober 1997 und für 1996 vom 26. März 1998 vor. Auch nach dem zuletzt genannten EStB hatten die Kläger lediglich Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft erzielt, wovon auf den Kläger 63.000,- DM entfielen, während die Klägerin auf Grund des Erwerbs ihres Kommanditistenanteils negative Einkünfte in Höhe von 81.463,- DM aufzuweisen hatte. Mit streitbefangenem Bescheid vom 4. Mai 1998 änderte die Beklagte ihre Bescheide vom 4. Februar 1997 und vom 7. Januar 1998 ab. Für die Zeit vom 1. Dezember 1997 bis 30. April 1998 stellte sie das Ruhen der Ansprüche auf Beitragszuschuß mit der Begründung fest, daß der für diese Zeit maßgebliche EStB für 1995 nicht rechtzeitig vorgelegt worden sei; die auf diesen Zeitraum entfallenden Leistungen in Höhe von jeweils 159,- DM forderte sie zurück. Ab 1. Mai 1998 berechnete sie die Ansprüche auf Beitragszuschuß auf der Grundlage des EStB für 1996 neu. Dabei ging sie von einem Jahreseinkommen der Kläger von 63.000,- DM aus, wodurch sich für jeden der beiden Kläger ein jährliches Einkommen von 31.500,- DM ergab. Daraus errechnete die Beklagte ab 1. Mai 1998 einen monatlichen Beitragszuschuß in Höhe von je 96,- DM. Gegen die Differenzsumme zum bereits geleisteten Beitragszuschuß für Mai 1998 in Höhe von je 64,- DM rechnete sie die jeweilige Rückforderungssumme von 159,- DM teilweise auf; für den Rest in Höhe von jeweils 95,- DM verlangte sie Erstattung gemäß § 50 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Der Widerspruch der Kläger, mit welchem diese die Anrechnung der negativen Einkünfte der Klägerin für 1996 und daraus folgend die Zugrundelegung eines Jahreseinkommens ("Betriebseinkommens") von 0 DM begehrten, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 1998).

Auch die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Duisburg (SG) vom 12. Oktober 1999). In der Berufungsinstanz beschränkten die Kläger Klage und Berufung auf die "streitige Beitragszuschußgewährung bis einschließlich März 1999". Mit dem angefochtenen Urteil vom 6. September 2000 änderte das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide ab und verurteilte die Beklagte, den Klägern vom 1. Mai 1998 bis 31. März 1999 einen Beitragszuschuß "nach einem anrechenbaren ehelichen Gesamteinkommen von 0 DM" zu gewähren. Es war der Auffassung, daß die negativen Einkünfte der Klägerin bei der Ermittlung des "ehelichen Gesamteinkommens" hätten in Abzug gebracht werden müssen. Dies gelte zumindest dann, wenn - wie hier - das gesamte Familieneinkommen aus einem einzigen landwirtschaftlichen Betrieb erzielt werde.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie ist der Auffassung, der Wortlaut des § 32 Abs 3 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) sowie die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift, aber auch Parallelregelungen im früheren Bundeskindergeldrecht und im Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) sprächen dafür, das negative Einkommen der Klägerin unberücksichtigt zu lassen. Was die Parallelregelungen des § 11 Abs 1 Satz 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) aF angehe, habe das Bundverfassungsgericht (BVerfG) diese für vereinbar mit dem Grundgesetz (GG) erachtet.

Sie beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Berufungen der Kläger gegen das sozialgerichtliche Urteil zurückzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Sie halten das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend. Entscheidend für die Beitragsbemessung sei die Leistungsfähigkeit des einheitlichen landwirtschaftlichen Betriebes.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Zu Recht hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden die Beitragszuschüsse nach einem "jährlichen Einkommen" von je 31.500,- DM berechnet, so daß den Klägern für den fraglichen Zeitraum Anspruch auf höhere Leistungen nicht zusteht.

Streitgegenstand ist lediglich die Höhe der Beitragszuschüsse im Zeitraum vom 1. Mai 1998 bis 31. März 1999, für den die Kläger im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage iS des § 54 Abs 4 SGG Ansprüche auf höhere Leistungen erheben. Die übrigen, nicht die Leistungshöhe in diesem Zeitraum betreffenden Verfügungen der Beklagten im angefochtenen Bescheid vom 4. Mai 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 1998 haben die Kläger spätestens in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG außer Streit gestellt, indem sie Klage und Berufung ausdrücklich "auf die streitige Beitragszuschußgewährung bis einschließlich März 1999" beschränkten. Im übrigen hat das LSG im angefochtenen Urteil die Vorentscheidungen des SG und der Beklagten nur hinsichtlich dieses Zeitraums abgeändert. Hiergegen haben die Kläger keine Anschlußrevision eingelegt.

Entgegen der Ansicht des LSG hat die Beklagte die Beitragszuschüsse der Kläger zutreffend berechnet. Maßgebend für die Zuschußberechnung ist hier § 32 ALG vom 29. Juli 1994 in der Fassung des Gesetzes vom 15. Dezember 1995 (BGBl I 1814), die vom 1. Januar 1996 bis 31. Dezember 1999 gegolten hat. Nach Abs 1 dieser Bestimmung erhalten versicherungspflichtige Landwirte - wie die Kläger - einen Zuschuß zu ihrem Beitrag, wenn das nach Abs 2 der genannten Bestimmung ermittelte "jährliche Einkommen" 40.000,- DM nicht übersteigt. Gemäß Abs 2 wird das "jährliche Einkommen" aus dem "Jahreseinkommen" des Landwirts und seines nicht dauernd von ihm getrennt lebenden Ehegatten ermittelt und das Einkommen jedem Ehegatten zur Hälfte zugerechnet (§ 32 Abs 2 Satz 1 ALG). Die Berechnung des "Jahreseinkommens" geschieht nach § 32 Abs 3 Sätze 1 und 3 Nr 1 ALG in der Weise, daß die Summe der erzielten positiven Einkünfte iS des § 2 Abs 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) - mit einer hier nicht interessierenden Ausnahme - zugrunde zu legen ist. Dabei ist gemäß § 32 Abs 3 Satz 2 ALG ein Ausgleich mit Verlusten aus anderen Einkommen und Verlusten aus Einkommen des Ehegatten nicht zulässig.

Die seit Inkrafttreten des Agrarsozialreformgesetzes 1995 (ASRG 1995) vom 29. Juli 1994 (1. Januar 1995) bis Ende 1999 unverändert in Geltung gewesenen Bestimmungen des § 32 Abs 2 und 3 ALG weichen von der früheren in § 3c des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) enthaltenen Regelung in mehrfacher Hinsicht ab. Vor allem sind seither als "Einkommen" grundsätzlich alle Einkunftsarten iS des § 2 Abs 1 und 2 EStG zu berücksichtigen, während nach dem alten Recht nur bestimmte Einkunftsarten, insbesondere Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen (mit Ausnahme der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (vgl § 3c Abs 2 Buchst a GAL)) und vergleichbares Einkommen, nicht aber zB Einkünfte aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen waren. Ferner ist seither der Verlustausgleich zwischen den einzelnen Einkunftsarten - "vertikaler Verlustausgleich" - (der nach früherem Recht in beschränktem Umfang zulässig war), gänzlich ausgeschlossen. Das ergibt sich schon aus der Regelung des § 32 Abs 3 Satz 3 Nr 1 ALG, wonach als Einkommen die Summe der p o s i t i v e n Einkünfte gilt, womit die Berücksichtigung negativer Einkünfte, welche diese Summe mindern würden, grundsätzlich nicht vereinbar ist. Der sog vertikale Verlustausgleich (vgl dazu Heinicke bei Schmidt, EStG, 20. Aufl 2001, RdNr 19 zu § 10d) wird aber in § 32 Abs 3 Satz 2 1. Alternative ALG nochmals ausdrücklich untersagt. Außerdem wird in Satz 2 2. Alternative - ebenfalls anders als im bisherigen Recht und abweichend vom Steuerrecht (vgl Seeger bei Schmidt, Einkommensteuergesetz, aaO, RdNr 3 und 10 zu § 26b) - auch der Verlustausgleich mit Verlusten des Ehegatten ausgeschlossen. Da ein Verlustausgleich mit negativen Einkünften aus einer anderen Einkunftsart des Ehegatten schon nach der 1. Alternative des § 32 Abs 3 Satz 2 ALG unzulässig ist, betrifft diese Regelung in erster Linie solche Verluste, die - wie hier - innerhalb derselben Einkunftsart entstanden sind, also das Verbot des sog "horizontalen Verlustausgleichs" (vgl dazu Heinicke aaO RdNr 17 und 27 zu § 10d) unter Ehegatten.

Vergleichbare Vorschriften finden oder fanden sich noch an weiteren Stellen im Sozialrecht, insbesondere in § 11 Abs 1 Satz 2 BKGG in der bis zum 31. Dezember 1995 geltenden Fassung und in § 21 Abs 1 Satz 2 BAföG. Sinn dieser Regelungen und auch derjenigen nach dem ALG ist es, "in Zeiten knapper werdender - staatlicher - Finanzmittel" ein volles Durchschlagen steuerlicher Subventionierungen auf die Gewährung von Sozialleistungen nicht mehr zu gestatten (vgl BVerfG, Beschluss vom 15. September 1986, FamRZ 1987 S 901). Es soll mit anderen Worten weitgehend verhindert werden, daß steuertechnische Abzugsmöglichkeiten, die zu Verlusten führen, einen Anspruch auf Sozialleistungen begründen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob im Einzelfall nur ein steuertechnischer oder ein realer Verlust vorliegt (vgl Krebs, BKGG, Kommentar, Stand Mai 1995, RdNr 12 ff zu § 11 BKGG; auch Rothe/Blanke, Bundesausbildungsförderungsgesetz, Anm 9.2 zu § 21). Sowohl die Regelung in § 21 BAföG als auch diejenige in § 11 BKGG aF wurde vom BVerfG als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen (vgl Beschluss des BVerfG vom 15. September 1986 aaO und Beschluss des BVerfG vom 29. Mai 1990, BVerfGE 82, S 60, S 104 ff = SozR 3-5870 § 10 Nr 1). Entsprechendes ist von der praktisch gleichlautenden Regelung des § 32 Abs 3 Satz 2 ALG anzunehmen.

Zu Unrecht geht das LSG davon aus, daß ein Verlustausgleich unter Ehegatten wenigstens dann zulässig sein müsse, wenn die Ehegatten (wie hier) nur Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft erzielen und diese Einkünfte aus demselben Betrieb stammen. Der Annahme eines solchen Ausnahmefalles steht die generalisierende Betrachtungsweise entgegen, die der Regelung in § 32 ALG zu Grunde liegt. Wie schon ausgeführt, stellt die durch das ASRG 1995 eingeführte Regelung des Anspruchs auf Beitragszuschüsse auf die gesamte Einkommenslage des Landwirts und nicht auf die Rentabilität des von ihm betriebenen landwirtschaftlichen Betriebes ab. Entscheidend für die Höhe des Beitragszuschusses ist dementsprechend nicht das Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft, sondern das regelmäßig aus mehreren Einkunftsarten zusammengesetzte "Jahreseinkommen" bzw "jährliche Einkommen" iS des § 32 Abs 2 und 3 ALG. Welche Einkunftsarten dem "Jahreseinkommen" im Einzelfall zugrunde liegen, ist für die Art seiner Berechnung ebenso unerheblich wie für die Berechnung des "jährlichen Einkommens" und damit auch für die Berechnung des Beitragszuschusses.

Für die Höhe der einzelnen Einkünfte sind ausschließlich diejenigen Werte maßgeblich, die sich aus dem sich auf das zeitnächste Veranlagungsjahr beziehenden Einkommensteuerbescheid ergeben (§ 32 Abs 3 Satz 4 Nr 1 ALG). Es soll der landwirtschaftlichen Alterskasse gerade erspart bleiben, selbst die Einkommensverhältnisse der Ehegatten zu ermitteln und daraus Schlüsse auf die wirtschaftliche Lage der Ehegatten und auf die Angemessenheit der Zuschüsse zu ziehen. Insofern hat der Gesetzgeber erkennbar und in bewußter Abkehr von der bisherigen Regelung des GAL Gesichtspunkte der Verwaltungspraktikabilität in den Vordergrund gestellt. Es bedarf daher keiner Prüfung, ob im vorliegenden Fall die einkommensmindernd geltend gemachten Verluste der Klägerin, die sich aus dem Erwerb des Kommanditistenanteils von der Vorbesitzerin der von den Ehegatten betriebenen Gärtnerei herleiten, realer oder nur steuertechnischer Natur sind.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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