Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 5 RA 422/96
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 RA 130/99 BVA
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 2/01 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 19. April 1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die beklagte Bundesrepublik Deutschland berechtigt war, dem Kläger das Recht auf Entschädigungsrente mit Wirkung ab März 1997 abzuerkennen.
Der am ... geborene Kläger war von Oktober 1944 bis Mai 1945 im Zwangsarbeiterlager ... ( ... - ...) als rassisch Verfolgter (Jude) inhaftiert. In der Zeit vom 01.01.1954 bis 31.08.1981 gehörte er dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR an, zuletzt als Leiter der Kreisdienststelle Geithain im Rang eines Oberstleutnants. Dabei war er von 1954 bis 1957 als operativer Mitarbeiter, von 1960 bis 1961 als stellvertretender Leiter der Kreisdienststelle und ab 01.01.1961 durchgehend als Leiter der Kreisdienststelle tätig.
Der Kläger erhielt eine Ehrenpension nach der Anordnung über Ehrenpensionen für Kämpfer gegen den Faschismus und für Verfolgte des Faschismus sowie für deren Hinterbliebene vom 20.09.1976 (unveröffentlicht, Aichberger II Nr. 127) und ab 01.05.1992 eine Entschädigungsrente in Höhe von monatlich 1.400,00 DM nach dem Gesetz über Entschädigungen für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet vom 22.04.1992 (EntschRG, BGBl. I S. 906), die von der Beigeladenen zu 2. ausgezahlt wurde. Ferner bezog er nach seinem Ausscheiden beim MfS eine Altersrente auf der Grundlage der Versorgungsordnung des MfS.
Nach Beiziehung des Einzelberichts zum Schreiben des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR an die Kommission der Bundesrepublik Deutschland zum Versorgungsruhens- und Entschädigungsrentengesetz (Beigeladene zu 1.) schlug diese der Beklagten nach Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 21.03.1996 vor, ihm die laufende Entschädigungsrente vorläufig abzuerkennen. Die Beklagte erkannte daraufhin dem Kläger die Entschädigungsrente mit Bescheid vom 15.05.1996 gemäß § 5 Abs. 1 und 3 EntschRG in Verbindung mit § 4 Abs. 4 Versorgungsruhensgesetz (VRG) mit sofortiger Wirkung vorläufig ab. Während der etwa 20-jährigen Tätigkeit als Leiter der Kreisdienststelle Geithain habe er gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Die genannten Richtlinien und Dienstanweisungen seien die Grundlage für rechtsstaatswidrige Eingriffe, insbesondere in das Recht auf Freiheit, die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, die Meinungsfreiheit, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie in das Recht auf Freizügigkeit. Das anzulastende Verhalten bestehe darin, dass der Kläger nach dem im MfS herrschenden Einzelleitungsprinzip die Verantwortung für die Umsetzung der genannten Richtlinien und Dienstanweisungen in seinem Zuständigkeitsbereich getragen habe. Des weiteren Nachweises eines vorwerfbaren Verhaltens gegenüber Einzelnen bedürfe es nicht, da allgemein kundig sei, dass die im MfS erlassenen Regelungen umgesetzt worden seien. Das anzulastende Verhalten sei vorwerfbar, da dem Kläger der Unrechtsgehalt hätte bewusst sein müssen. Nach rechtsstaatlichen Bewertungsmaßstäben müssten alle Regelungen selbst rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen, weil die Menschenrechte in ihrem Wesensgehalt weder beseitigt noch beschränkt werden können. Angesichts des besonderen Unrechtsgehaltes und des erheblichen Umfanges der zuzurechnenden Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit sei die Entschädigungsrente in vollem Umfange abzuerkennen. Eine Grundlage dafür, die Entschädigungsrente lediglich zu kürzen, sei nicht gegeben. Entsprechend der Empfehlung der Beigeladenen zu 1. erfolge die Aberkennung zunächst nur vorläufig.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 13.06.1996 beim Sozialgericht (SG) Leipzig Klage erhoben und gleichzeitig die Aussetzung des Vollzugs des angefochtenen Bescheides begehrt. Zum 30.06.1996 stellte die Beigeladene zu 2. die Zahlung der Leistung ein.
Mit Beschluss vom 16.12.1996 schlug die Beigeladene zu 1. der Beklagten vor, die Entschädigungsrente endgültig abzuerkennen.
Das SG hat mit Beschluss vom 07.02.1997 den Vollzug des Bescheides vom 15.05.1996 rückwirkend bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache ausgesetzt.
Mit Bescheid vom 26.02.1997 erkannte die Beklagte das Recht des Klägers auf Entschädigungsrente endgültig ab. Nach dem Ermittlungsergebnis stehe fest, dass er gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen habe. Im Rahmen der nach § 5 Abs. 1 EntschRG tatbestandlich erforderlichen Abwägung sei zu seinen Lasten festzuhalten, dass er mit seinen Anweisungen Verletzungen von Individualrechtsgütern in einer Vielzahl von Fällen nicht nur formal legitimiert, sondern zum Maßstab effizienten und zu prämierenden Handelns der ihm unterstellten MfS-Angehörigen gemacht habe. Damit habe er diese Mitarbeiter zu ihren rechtsstaatswidrigen Taten bestimmt bzw. - je nach Grad seiner Einflussnahme - dies Taten selbst oder durch seine Mitarbeiter begangen. Für ihn günstige Anhaltspunkte seien nach Aktenlage unter Berücksichtigung seiner Stellungnahme nicht ersichtlich.
So habe die Richtlinie 1/58 die Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern geregelt. Aufgabe der geheimen Mitarbeiter und geheimen Informatoren sei z. B. "die Feststellung der Anzeichen feindlicher Tätigkeit verdächtiger Personen, der Einsatz bei der Aufklärung und Verhinderung von Republikflucht und Abwerbungen und die Aufklärung und Kontrolle verdächtiger Personen sowie Aufdeckung und Liquidierung der Untergrundbewegung auch einzelner Personen und verbrecherischer Elemente" gewesen. Die Dienstanweisung 10/62 habe die Anordnung der Telefonüberwachung zur Erhöhung der konspirativen Tätigkeit geregelt. Die Dienstanweisung 4/66 "Zur politisch-operativen Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion und Untergrundtätigkeit unter jugendlichen Personenkreisen in der DDR" habe dazu gedient, oppositionelle Bestrebungen unter Jugendlichen in der DDR auszuschalten und die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu sichern. Weitere Dienstanweisungen hätten der "Leitung und Organisation der politisch-operativen Bekämpfung der staatsfeindlichen Hetze und die volle Verantwortung der Leiter der Kreisdienststellen in den von diesen Diensteinheiten zu sichernden und zu bearbeitenden Objekten, territorialen Bereichen und Personenkategorien für die politisch-operative Bekämpfung der staatsfeindlichen Hetze" geregelt. Die Dienstanweisungen hätten somit auf die Verfolgung, Kriminalisierung und Inhaftierung Oppositioneller gezielt. Der Einwand, nur Befehlsempfänger gewesen zu sein, sei in Anbetracht der Entscheidungsspielräume, die das MfS dem Kläger zugestanden und dieser genutzt habe, nicht nachvollziehbar und glaubhaft.
Auf die Beschwerde der Beklagten fasste das SG mit Beschluss vom 23.07.1997 den Beschluss vom 07.02.1997 neu und setzte den Vollzug des Bescheides vom 15.05.1996 rückwirkend bis zum 27.02.1997 aus und wies den Antrag auf Aussetzung des Vollzuges des Bescheides vom 26.02.1997 für die Zeit ab 28.02.1997 ab. Über die hiergegen eingelegten Beschwerden der Beteiligten hat das Sächsische Landessozialgericht (LSG) durch Beschluss vom 09.12.1997 (L4 B 59/97.An-VR) entschieden und die Beschwerde des Klägers zurückgewiesen. Auf die Beschwerde der Beklagten hat es den Beschluss des SG vom 07.02.1997 i. d. F. des Beschlusses vom 23.07.1997 insoweit aufgehoben, als dort die Vollziehung des Bescheides vom 15.05.1996 bis zum 27.02.1997 ausgesetzt worden war.
Das SG hat mit Urteil vom 19.04.1999 den Bescheid der Beklagten vom 15.05.1996 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der Bescheid vom 26.02.1997 habe den Bescheid vom 15.05.1996 nicht in vollem Umfange ersetzt, sondern lediglich für die Zeit ab März 1997. Der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) folgend, fehle diesem Bescheid vom 15.05.1996 über die vorläufige Aberkennung der Entschädigungsrente die Ermächtigungsgrundlage. Dem Kläger habe zum Zeitpunkt des In- Kraft-Tretens des EntschRG am 01.05.1992 das Recht auf Ehrenpension zugestanden und dieses sei durch ein Recht auf Entschädigungsgrente nach dem EntschRG ersetzt worden. In dieses Recht habe die Beklagte mit Bescheid vom 15.05.1996 rechtsvernichtend eingegriffen. Eine für diesen Eingriff nach dem Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes erforderliche Rechtsgrundlage sei nicht ersichtlich und § 5 Abs. 1 EntschRG nicht zu entnehmen. Der Bescheid über die endgültige Aberkennung vom 26.02.1997 sei hingegen rechtmäßig. Der Kläger sei über 27 Jahre und dabei 20 Jahre lang in leitenden Positionen beim ehemaligen MfS der DDR tätig gewesen. Insbesondere in der Funktion als Leiter der Kreisdienststelle Geithain von 1961 bis 1981 trage er nach dem beim MfS geltenden Prinzip der Einzelleitung für die Umsetzung der einschlägigen Richtlinien und Dienstanweisungen sowie für die Erfüllung aller politisch-operativen Aufgaben im Territorium des Kreises uneingeschränkt Verantwortung. Die Umsetzung z.B. der Richtlinie 1/58 und der Dienstanweisungen 4/66 und 2/71 sei nach Auffassung des Gerichts wesensnotwendig ein Verstoß gegen fundamentale Grund- und Menschenrechte. Diese Menschenrechtsverletzungen seien mit der Ausübung der "Amtspflichten" des Klägers als Leiter einer Kreisdienststelle des MfS wesensnotwendig verbunden. Der Rechtsprechung des BSG folgend sei damit der Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit hilfstatsächlich indiziert. Darüber hinaus habe er auch eigenhändig in unveräußerliche Grundrechte Menschenrechte der Bürger der DDR in rechtsstaatwidriger Weise eingegriffen. Dies ergebe sich aus den beigezogenen Unterlagen der Gauck-Behörde. So habe der Kläger konkret in einem Fall 1954 im Rahmen des sogenannten Überprüfungsvorganges "Blaupunkt", bei dem eine Bürgerin der DDR verdächtigt worden sei, Kontakte zu einem Westberliner Rundfunksender zu unterhalten, zunächst die Durchführung der Postüberwachung der Verdächtigen selbst und später für deren gesamte Familie beantragt (Operativplan vom 31.05.1954). In verschiedenen Fällen habe er geheime Informatoren angeworben und gezielt im Umfeld einzelner Personen eingesetzt. Des Weiteren habe er an Einsätzen mitgewirkt, die darauf abzielten, das Recht von einzelnen Personen auf Freizügigkeit und Ausreisefähigkeit zu beschränken. Die Beteiligung des Klägers am Operativ-Vorgang "Vorwärts" habe dazu geführt, dass ein Bürger der ehemaligen DDR allein wegen des Verteilens eines Flugblattes wegen Boykotthetze zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt worden sei. Aus diesem exemplarisch den Akten der Gauck-Behörde entnommenen Vorgängen sei nach Auffassung des Gerichts ersichtlich, dass der Kläger unmittelbar an Eingriffen in unveräußerliche Menschenrechte von Bürgern der ehemaligen DDR beteiligt gewesen sei. Aus den Unterlagen der Gauck-Behörde ergebe sich die Information des Klägers darüber, welche erheblichen Verfolgungsmaßnahmen und drakonischen Strafen oppositionellen bzw. ausreisewilligen DDR-Bürgern drohten. Der Bescheid der Beklagten vom 26.02.1997 sei auch hinsichtlich der dort angeordneten vollständigen Aberkennung der Entschädigungsrente nicht zu beanstanden.
Gegen das am 27.05.1999 zugestellte Urteil richtet sich die am 22.06.1999 beim LSG eingegangene Berufung. Die dem Kläger zur Last gelegten Handlungen würden keine die Aberkennung der Entschädigungsrente rechtfertigende Verletzung von Grundsätzen der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit i.S.v. § 5 Abs. 1 EntschRG darstellen. Die Entscheidung des SG sei deshalb unrichtig, weil der Schuldvorwurf aus der Funktion des Klägers und aus dienstlichen Bestimmungen abgeleitet werde. Die Innehabung einer politischen und dienstlichen Funktion ließe zwar zulässig Schlüsse zur Etablierung des Klägers im politischen System der DDR und seines Beitrages zur Stabilisierung dieses Systems zu. Der Entziehungsgrund stelle aber nicht hierauf, sondern auf eine individuelle Schuld und damit auf den Nachweis konkreten unmenschlichen Verhaltens ab. Zweifelsfrei stellten die in Bezug genommenen Dienstanweisungen des MfS ein letztlich der Stabilität des politischen Systems der DDR dienendes Instrumentarium dar, dessen Durchsetzung grundlegende Rechte der Bürger berührte und sie im Einzelfall in unzulässiger Weise begrenzte. Hieraus den Schluss zu ziehen, der Kläger habe zweifelsfrei bewegt, dass es zu Verletzungen der Grundsätze gekommen ist, verkenne die Funktion des Klägers als Leiter einer untergeordneten Kreisdienststelle. Die einleitende Überwachung des Postverkehrs in konkreten Einzelfällen und der Einsatz von inoffiziellen Mitarbeitern stelle keinen Gesetzesverstoß i.S.d. § 5 Abs. 1 EntschRG dar. Der Kläger habe auf der Grundlage von Dienstvorschriften gehandelt und weit unterhalb hoher und höchster Machtebenen. Auf diesen Unterschied komme es an.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Leipzig vom 19.04.1999 insoweit aufzuheben, als die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 26.02.1997 abgewiesen wurde und den Bescheid der Beklagten vom 26.02.1997 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils für zutreffend. Das BSG habe in seinen Entscheidungen vom 30.01.1997 erkannt (SozR 3-8850 § 5 Nr. 1 und 2), dass ein ausreichender Grund für die Aberkennung der Entschädigungsrente darin liegen könne, dass ein Rechtsinhaber den von anderen beschlossenen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtstaatlichkeit und Menschlichkeit bewusst gefördert habe. Das SG habe zutreffend erkannt, dass im Hinblick auf die lange Zeitspanne, in der der Kläger in verantwortlicher Position beim MfS tätig gewesen sei und auch hinsichtlich der Schwere der ihm konkret vorzuwerfenden Eingriffe in die Menschenrechte der DDR-Bürger eine völlige Aberkennung des Rechts auf den Bezug der Entschädigungsrente dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche.
Die Beigeladene zu 1) beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger habe keineswegs, so wie er dazustellen versuche, im Rahmen seiner Tätigkeit im MfS nur das politische System in der DDR allgemein gefördert, sondern als hauptamtlicher Mitarbeiter des MfS, dem wesentlichen Unterdrückungsorgan im Inneren der DDR, dazu beigetragen, dass fundamentale Menschenrechte verletzt worden seien. Dies ergebe sich durch konkret belegbares Verhalten durch unmittelbare Beteiligung an Operativmaßnahmen. Im Operativvorgang "Omega" im Jahre 1974 habe er dazu beigetragen, dass zwei Personen, die lediglich von ihrem Recht auf Ausreisefreiheit und Freizügigkeit Gebrauch machen wollten, verhaftet und wegen "staatsfeindlicher Verbindung in Tateinheit mit versuchter und vorbereiteter Nichtrückkehr in die DDR" zu drei Jahren und acht Monaten bzw. zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden seien.
Die Beigeladene zu 2) beantragt,
die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Der Kläger habe weder neue Gesichtspunkte vorgetragen noch neue Beweismittel vorgelegt, die eine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage zuließen. Sie mache das gesamte Vorbringen der Beklagten zum Gegenstand ihrer Einlassung. Das SG habe die Rechtslage zutreffend gewürdigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und auf die beigezogene Verwaltungsakten der Beklagten und Beigeladenen zu 1., die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig (§ 143 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), erweist sich jedoch als unbegründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 26.02.1997 über die endgültige Aberkennung des gegen die Beigeladene zu 2. gerichteten Rechts des Klägers auf Entschädigungsrente. Eines Vorverfahrens bedurfte es bezüglich dieses Bescheides nicht (§ 6 Abs. 4 Satz 2 EntschRG i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über das Ruhen von Ansprüchen aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen - Versorgungsruhensgesetz - VRG vom 25.07.1991 - BGBl. 1606).
Soweit das SG die Klage gegen die "endgültige" Aberkennung der Entschädigungsrente im Bescheid vom 26.02.1997 abgewiesen hat, erfolgte dies zutreffend. Die Beklagte hat dem Kläger sein Recht auf Entschädigungsrente gegen die BfA zurecht aberkannt.
Die Beklagte hat den Eingriffsakt vom 26.02.1997 auf die in § 5 Abs. 1 EntschRG enthaltene Ermächtigungsgrundlage gestützt. Gerichtlicher Prüfung unterfällt nur, ob der von der Beklagten im Verwaltungsakt geltend gemachte Kürzungs- oder Aberkennungsgrund vorliegt und den vorgenommenen Eingriff rechtfertigt. Nach § 5 Abs. 2 EntschRG entscheidet das Bundesversicherungsamt (BVA) über die Kürzung oder Aberkennung einer Entschädigungsrente auf Vorschlag der Kommission nach § 3 VRG, hier also der Beigeladenen zu 1). Den gesetzlich geforderten Vorschlag zur endgütligen Aberkennung hat die Kommission mit Beschluss vom 16.12.1996 unterbreitet. Eine Verletzung der im Übrigen für das Verfahren entsprechend geltenden Vorschriften des VRG ist nicht erkennbar. Vielmehr hat die Beklagte dem Kläger vor Erlass des Bescheides vom 26.02.1997 Gelegenheit zur Stellungnahme zu den tragenden Gesichtspunkten für eine Aberkennung gegeben.
Einfach gesetzlich trägt § 5 Abs. 1 EntschRG die im Bescheid vom 26.02.1997 getroffene Regelung, das zuerkannte Recht auf Entschädigungsrente mit sofortiger Wirkung abzuerkennen. Dies hat zur Folge, dass die beigeladene BfA dem Kläger für Bezugszeiträume ab 01.03.1997 Entschädigungsrente nicht mehr zu zahlen hat. Nach § 5 Abs. 1 EntschRG sind Entschädigungsrenten zu kürzen oder abzuerkennen, wenn der Berechtigte oder derjenige, von dem sich die Berechtigung ableitet, gegen die Grundsätze der Menschenlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zu eigenem Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat. Die Norm statuiert damit eine Unwürdigkeitsklausel, d.h., das Recht auf Entschädigungsrente besteht insoweit nicht mehr, wie die Beklagte zu Recht den Einwand erhebt, dass der Betroffene selbst gegen die Grundsätze verstoßen hat, auf denen die Gewährung der Entschädigungsrente beruht. Insoweit enthält die Vorschrift eine spezialgesetzliche Ermächtigung ("aberkennen", "kürzen") für die Beklagte, die Bindungswirkung des früheren Verwaltungsaktes zu durchbrechen, mit dem ein Recht auf Entschädigungsrente zuerkannt worden war (BSG Urteil vom 30.01.1997 - 4 RA 23/96, Urteil vom 24.03.1998 - B 4 RA 78/96 R).
Der gerichtlichen Prüfung unterliegt insoweit, ob der von der Beklagten geltend gemachte Aberkennungsgrund vorliegt und den vorgenommenen Eingriff rechtfertigt. Die Beklagte hat die Befugnis zur Aberkennung auf Verstöße des Klägers gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit durch das Mitwirken an operativen Vorgängen und die langjährige Tätigkeit als Leiter einer Kreisdienststelle des MfS gestützt. Ihre Entscheidung, der Aberkennungsgrund liege vor, ist nicht zu beanstanden.
Der objektive Tatbestand des § 5 Abs. 1 EntschRG setzt folgendes voraus:
Der Betroffene muss gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben. Insoweit genügt eine nur allgemeine Förderung des Unrechts und Gewaltsystems der SED nicht, er muss vielmehr durch ein konkretes nachweisbares Verhalten gegen die genannten Grundsätze verstoßen haben. Der Grundsatz der Menschlichkeit schützt die (Ansehens-) Würde (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz - GG -) und die unveräußerlichen Menschenrechte (Art. 1 Abs. 2 GG) eines jeden, der in einem Gemeinwesen dem jeweiligen Inhaber der Macht sowie den Menschen unterworfen ist, denen jener Herrschaftsmacht verliehen oder faktisch eingeräumt hat. Schutzgut des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit ist, dass jeder Gewaltinhaber sich in einer den jeweiligen Lebensverhältnissen angemessenen Sachbehandlung, vor allem unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, bemühen muss und insbesondere nicht willkürlich handeln darf; keinesfalls darf jemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat, seiner Herkunft, seines Glaubens oder seiner religiösen und politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden (BSG Urteil vom 24.03.1998 a. a. O.).
Der Tatbestand des § 5 Abs. 1 EntschRG ist danach erfüllt, wenn der Inhaber eines Rechts auf Entschädigungsrente durch sein Verhalten (Handeln oder Unterlassen) in Ausübung ihm übertragener oder eingeräumter Gewalt, den Unrechtserfolg des Verstoßes gegen einen der genannten Grundsätze herbeigeführt oder einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet hat, dass andere diesen Erfolg herbeiführten. Ferner muss er zurechnungsfähig sein und die Tatsachen gekannt haben, aus denen sich die Unvereinbarkeit seines Verhaltens mit den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit ergab (BSGE 80, 72, 86 ff. m. w. N.). Die Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Dem SG ist dahin zu folgen, dass der Verstoß gegen diese Grundsätze dann anzunehmen ist, wenn jemand durch konkretes, räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten, das einem Beweis zugänglich ist, gegen die Inhalte der Grundsätze vorgegangen oder Verstöße gegen sie - obwohl ihm möglich und zumutbar - nicht entgegengetreten ist. Es reicht eine Mitwirkung an den Verstößen anderer Gewaltinhaber, die nicht auf die strafrechtliche Teilnahmeform begrenzt ist, aus. Notwendig ist jedoch nicht, dass der Berechtigte die Verletzung selbst mit beschlossen oder diese eigenhändig bewirkt hat. Es reicht, wenn er durch Rat oder Tat oder durch Organisations- oder Schulungsmaßnahmen oder in anderer Weise im Rahmen der ihm eingeräumten Gewalt den Verstoß gefördert hat. Soweit die dem Berechtigten verliehenen Macht Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit zum Inhalt hatte, es also gewissermaßen zu seiner Amtsausübung gehörte, kann der Verstoß durch den Inhalt der jeweiligen "Amtsgeschäfte" hilfstatsächlich indiziert sein (Urteile des BSG vom 30.01.1997, a. a. O. bzw. 4 RA 99/95). Ein einmaliger, punktueller, nach der Art der Begehung und dem eingetretenen Verletzungserfolg nicht schwerwiegender Verstoß gegen die vorgenannten Grundsätze kann schon aus Gründen tatbestandlicher Verhältnismäßigkeit die Anwendung des § 5 Abs. 1 EntschRG nicht begründen. Nach den tatsächlichen Feststellungen der Beklagten und des SG ergibt sich die berechtigte Annahme, dass der Kläger an menschenverachtenden Maßnahmen mitgewirkt hat.
Der Kläger hat als Inhaber eines bestehenden subjektiven Rechts auf Entschädigungsrente gegen die oben genannten Grundsätze verstoßen, also durch konkretes räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten. Er war als hauptamtlicher Mitarbeiter des MfS über 27 Jahre, dabei 20 Jahre lang in leitenden Positionen, beim ehemaligen MfS tätig. In der Funktion als Leiter der Kreisdienststelle Geithain war er nach dem beim MfS geltenden Prinzip der Einzelleitung für die Umsetzung der einschlägigen Richtlinien und Dienstanweisungen sowie für die Erfüllung aller politisch-operativen Aufgaben im Territorium des Kreises uneingeschränkt verantwortlich. Nach den Richtlinien und Dienstanweisungen handelte es sich dabei um Anordnungen von Post- und Telefonüberwachung sowie sonstige Bespitzelung durch MfS, Hausdurchsuchungen, häufige Vorladungen zu Behörden, Verlust des Arbeitsplatzes oder Umsetzung auf einen schlechteren Arbeitsplatz, Sanktionen gegen Familienmitglieder, Verschlechterung der medizinischen Versorgung, Ächtung durch SED und staatliche Organisationen, Kriminalisierungen und Inhaftierungen, z.B. wegen des Vorwurfs der Vorbereitung von Republikflucht oder wegen Behinderung von staatlichen Organen. Vor dem Hintergrund dieses massiven Bedrohungspotentiales mutet es wie menschenverachtender Zynismus an, wenn der Kläger meint, er habe lediglich im Rahmen seiner Tätigkeit im MfS das politische System in der DDR allgemein gefördert (BSG Urteil vom 24.03.1998 a. a. O.). Ein Verkennen der Funktion eines Leiters einer Kreisdienststelle des MfS, wie vom Kläger behauptet, ist auf dieser Grundlage völlig abwegig. Zutreffend hat das SG unter Benennung der jeweiligen Richtlinien und Dienstanweisungen sowie deren Zielen festgestellt, dass mit der Umsetzung dieser Richtlinien und Dienstanweisungen wesensnotwendig ein Verstoß gegen fundamentale Grund- und Menschenrechte verbunden war. Ebenso waren diese Menschenrechtsverletzungen mit der Ausübung der Amtspflichten des Klägers als Leiter einer Kreisdienststelle des MfS zwingend verbunden. Damit ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, welcher sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt, ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit hilfstatsächich indiziert. Des Weiteren kann aus der (Hilfs-) Tatsache, dass jemand ein Amt nicht nur ganz kurzzeitig inne gehabt hat, auf die Hauptsache geschlossen werden, er habe die mit dem Amt verbundenen Aufgaben wahrgenommen, falls - wie hier - keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, es könne sich im Einzelfall ausnahmsweise anders verhalten haben. Der Kläger hat mit seinem persönlichen Einsatz zur Stabilisierung und Erhöhung der Effizienz des herrschenden Unterdrückungssystems beigetragen und zweifelsfrei bewegt, dass es zur Verletzung der genannten Grundsätze kommen konnte. Die politisch-operative Arbeit des MfS und seiner Organe, zu denen auch die Kreisdienststellen gehörten, war stets auf eine völlige Durchdringung der Bevölkerung der ehemaligen DDR mit informellen und geheimen Mitarbeitern zu deren Kontrolle, Bespitzelung, Verfolgung und Unterdrückung gerichtet. Hierbei ging es im Wesentlichen nicht um die Abwehr von Spionage- und Geheimdiensttätigkeiten, sondern um gezielte Überwachung, insbesondere von Ausreise- und Fluchtwilligen sowie mutmaßlichen Regimegegnern und Kritikern. Dadurch ist in erheblichem Maße in unveräußerliche Rechtsgüter eingegriffen worden.
Darüber hinaus hat der Kläger eigenhändig in unveräußerliche Grundrechte und Menschenrechte in rechtsstaatswidriger Weise eingegriffen, wie sich aus den beigezogenen Unterlagen der Gauck-Behörde ergibt und im Bescheid der Beklagten dargestellt wurde. 1954 hat er im Rahmen des sogenannten Überprüfungsvorganges "Blaupunkt" die Durchführung der Postüberwachung einer Verdächtigen selbst und später für deren gesamte Familie beantragt. Weiterhin hat er geheime Informatoren angeworben und gezielt im Umfeld einzelner Personen eingesetzt. Die Mitwirkung des Klägers am Vorgang "Vorwärts" führte dazu, dass ein Bürger wegen des Verteilens eines Flugblattes wegen Boykotthetze zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt wurde. Der Senat verweist insoweit auf die Entscheidungsgründe des SG (§ 153 Abs. 2 SGG) sowie auf den Beschluss des Sächsischen LSG vom 09.12.1997 (a. a. O.), wo weitere Einzelheiten dieser Vorgänge beschrieben sind. Die Beteiligung des Klägers am Vorgang "Omega" ist ebenso unbestritten. Anhand dieser und weiterer in den vorliegenden Akten dokumentierter Vorgänge ergibt sich, dass der Kläger selbst oder als Vorgesetzter - Leiter der Kreisdienststelle - beteiligt war. Entgegen seiner Auffassung ist ihm insofern ein konkreter Schuldvorwurf zu machen. Sein diesbezüglich vorgetragenes "Bedauern" ist demnach weder nachvollziehbar noch glaubhaft.
Nicht unberücksichtigt blieb auch der Sinn und Zweck des EntschRG, den Verfolgten des Nationalsozialismus, die in der DDR lebten, die Wiedergutmachungsrechte zuzuerkennen, wie sie im Bundesentschädigungsgesetz für die Opfer des Nationalsozialismus im früheren Bundesgebiet vorgesehen waren. Während in der DDR eine ideologisch geleitete Auswahl unter allen Opfern nationalsozialistischer Verfolgung getroffen wurde, erkannte das Bundesrecht nach §§ 1 - 6 Bundesentschädigungsgesetz grundsätzlich allen Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung ein Recht auf Wiedergutmachung zu (vgl. BSG, Urteile vom 30.01.1997). Ferner war zu berücksichtigen, dass es die Achtung vor den Opfern menschenverachtender Gewaltherrschaft dem Rechtsstaat grundsätzlich nicht erlaubt, die Sachwahl einer derartigen totalitären Gewaltherrschaft, wo sie selbst auch Opfer der NS-Verfolgung waren, schlechthin in jeder Hinsicht denjenigen wiedergutmachungsrechtlich gleichzustellen, die ausschließlich Opfer waren. Gerade der Kläger hätte als Verfolgter des Nationalsozialismus erkennen müssen und können, dass seine Tätigkeit - zumindest teilweise - gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstößt. § 5 Abs. 1 EntschRG enthält kein (Kriminal-) Strafrecht, denn es geht nicht darum, dem Berechtigten wegen eines in der Vergangenheit verübten Verbrechens oder Vergehens eine seiner individuellen Tatschuld angemessene Strafsanktion aufzuerlegen (BVerfGE 34, 331, 341 m. w. N.), sondern um eine Kürzung oder Aberkennung eines von der Bundesrepublik Deutschland gewährten Rechts auf Wiedergutmachung bei solchen NS-Opfern, die zugleich Täter von Menschenrechtsverletzungen sind.
Somit liegt ein ausreichender Grund, das Recht auf Entschädigungsrente abzuerkennen, vor, wenn der Rechtsinhaber den von anderen beschlossenen (initiierten) bzw. vollstreckten Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtstaatlichkeit bewußt gefördert hat. Die aufgezeigten Verstöße gegen Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtstaatlichkeit sind dem Kläger nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv zuzurechnen. Der mit der Unwürdigkeitserklärung im Sinne des § 5 Abs. 1 EntschRG verbundene ethische Vorwurf schuldhaften Verhaltens (BVerfGE 12, 264) basiert auf der tatsächlichen, wissentlichen und willentlichen Mitwirkung an (mindestens) einer Verletzungshandlung. Nicht vorausgesetzt wird, dass der Machtausübende mit seiner bewusst und gewollt vorgenommenen Verletzungshandlung gerade die Absicht verfolgte, die genannten Grundsätze zu verletzten; vielmehr reicht aus, dass er bei gehöriger Gewissensanspannung hätte erkennen können, dass er jene verletzt; Rechtsblindheit entschuldigt nicht (BSG Urteil vom 24.03.1998 a. a. O.). Vorliegend ist die Tatsachenkenntnis belegt durch die langjährig ausgeübte Funktion eines Kreisdienststellenleiters des MfS. Nach § 5 Abs. 1 EntschRG ist im Falle eines (nachgewiesenen) Verstoßes die bereits bewilligte Rente zu kürzen oder abzuerkennen. Dieser an die BVA gerichtete strikte Anwendungsbefehl eröffnet weder ein Betätigungs- noch ein Auswahlermessen. Somit kommt es entscheidend auf Schwere und Intensität der Unrechtshandlungen des Betroffenen selbst in der DDR an. Maßgebend sind Anzahl, Ort, Umfang und Dauer der Unrechtshandlungen des Betroffenen sowie diejenigen der Verletzungen seiner Opfer. Gemessen an diesen Maßstäben ist die endgültige Aberkennung des Rechtes auf Entschädigungsrente aus den dargestellten Gründen nicht zu beanstanden. Nach der vom Senat vorgenommenen Auslegung ist bei der Anwendung der Ermächtigungsnormen des § 5 Abs. 1 EntschRG sowohl der Nachweis (mindestens) einer konkreten Handlung erbracht als auch durch die langjährige Zugehörigkeit des Klägers zum MfS und durch die ausgeübten Funktionen nachgewiesen, dass wiederholt und dauerhaft gegen elementare Rechtsstaatsprinzipien verstoßen worden ist. Somit ist unter Heranziehung der ständigen Rechtsprechung des BSG ein konkreter, sachlich und zeitlich eingegrenzter und dem Beweis zugänglicher Lebenssachverhalt vorhanden, dem die zum Verstoß führende Handlung und darauf basierende unmittelbare Verletzungshandlung und der Verletzungserfolg zu entnehmen ist.
Die Regelungen des § 5 Abs. 1 EntschRG sind verfassungsgemäß und stehen mit den völkervertragsrechtlich begründeten Pflichten der Bundesrepublik Deutschland im Einklang (BSG Urteile vom 30.01.1997 sowie 24.03.1998 [a. a. O.]).
Der Bescheid der Beklagten vom 26.02.1997 sowie das Urteil des SG vom 19.04.1999 sind daher rechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch hinsichtlich der dort angeordneten vollständigen Aberkennung der Entschädigungsrente, da entgegen der Ansicht des Klägers die durch die Unterlagen der Gauck-Behörde belegten Vorwürfe derart gravierend sind, dass eine nur teilweise Entziehung der Entschädigungsrente nicht gerechtfertigt wäre. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der langen Zeitspanne, in der der Kläger in verantwortlicher Position beim MfS tätig war, sondern auch hinsichtlich der Schwere der ihm konkret vorzuwerfenden Eingriffe in die Menschenrechte der Bürger der ehemaligen DDR.
Aus den genannten Gründen war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung wird die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 1 und 2 SGG).
II. Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die beklagte Bundesrepublik Deutschland berechtigt war, dem Kläger das Recht auf Entschädigungsrente mit Wirkung ab März 1997 abzuerkennen.
Der am ... geborene Kläger war von Oktober 1944 bis Mai 1945 im Zwangsarbeiterlager ... ( ... - ...) als rassisch Verfolgter (Jude) inhaftiert. In der Zeit vom 01.01.1954 bis 31.08.1981 gehörte er dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR an, zuletzt als Leiter der Kreisdienststelle Geithain im Rang eines Oberstleutnants. Dabei war er von 1954 bis 1957 als operativer Mitarbeiter, von 1960 bis 1961 als stellvertretender Leiter der Kreisdienststelle und ab 01.01.1961 durchgehend als Leiter der Kreisdienststelle tätig.
Der Kläger erhielt eine Ehrenpension nach der Anordnung über Ehrenpensionen für Kämpfer gegen den Faschismus und für Verfolgte des Faschismus sowie für deren Hinterbliebene vom 20.09.1976 (unveröffentlicht, Aichberger II Nr. 127) und ab 01.05.1992 eine Entschädigungsrente in Höhe von monatlich 1.400,00 DM nach dem Gesetz über Entschädigungen für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet vom 22.04.1992 (EntschRG, BGBl. I S. 906), die von der Beigeladenen zu 2. ausgezahlt wurde. Ferner bezog er nach seinem Ausscheiden beim MfS eine Altersrente auf der Grundlage der Versorgungsordnung des MfS.
Nach Beiziehung des Einzelberichts zum Schreiben des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR an die Kommission der Bundesrepublik Deutschland zum Versorgungsruhens- und Entschädigungsrentengesetz (Beigeladene zu 1.) schlug diese der Beklagten nach Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 21.03.1996 vor, ihm die laufende Entschädigungsrente vorläufig abzuerkennen. Die Beklagte erkannte daraufhin dem Kläger die Entschädigungsrente mit Bescheid vom 15.05.1996 gemäß § 5 Abs. 1 und 3 EntschRG in Verbindung mit § 4 Abs. 4 Versorgungsruhensgesetz (VRG) mit sofortiger Wirkung vorläufig ab. Während der etwa 20-jährigen Tätigkeit als Leiter der Kreisdienststelle Geithain habe er gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Die genannten Richtlinien und Dienstanweisungen seien die Grundlage für rechtsstaatswidrige Eingriffe, insbesondere in das Recht auf Freiheit, die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, die Meinungsfreiheit, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie in das Recht auf Freizügigkeit. Das anzulastende Verhalten bestehe darin, dass der Kläger nach dem im MfS herrschenden Einzelleitungsprinzip die Verantwortung für die Umsetzung der genannten Richtlinien und Dienstanweisungen in seinem Zuständigkeitsbereich getragen habe. Des weiteren Nachweises eines vorwerfbaren Verhaltens gegenüber Einzelnen bedürfe es nicht, da allgemein kundig sei, dass die im MfS erlassenen Regelungen umgesetzt worden seien. Das anzulastende Verhalten sei vorwerfbar, da dem Kläger der Unrechtsgehalt hätte bewusst sein müssen. Nach rechtsstaatlichen Bewertungsmaßstäben müssten alle Regelungen selbst rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen, weil die Menschenrechte in ihrem Wesensgehalt weder beseitigt noch beschränkt werden können. Angesichts des besonderen Unrechtsgehaltes und des erheblichen Umfanges der zuzurechnenden Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit sei die Entschädigungsrente in vollem Umfange abzuerkennen. Eine Grundlage dafür, die Entschädigungsrente lediglich zu kürzen, sei nicht gegeben. Entsprechend der Empfehlung der Beigeladenen zu 1. erfolge die Aberkennung zunächst nur vorläufig.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 13.06.1996 beim Sozialgericht (SG) Leipzig Klage erhoben und gleichzeitig die Aussetzung des Vollzugs des angefochtenen Bescheides begehrt. Zum 30.06.1996 stellte die Beigeladene zu 2. die Zahlung der Leistung ein.
Mit Beschluss vom 16.12.1996 schlug die Beigeladene zu 1. der Beklagten vor, die Entschädigungsrente endgültig abzuerkennen.
Das SG hat mit Beschluss vom 07.02.1997 den Vollzug des Bescheides vom 15.05.1996 rückwirkend bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache ausgesetzt.
Mit Bescheid vom 26.02.1997 erkannte die Beklagte das Recht des Klägers auf Entschädigungsrente endgültig ab. Nach dem Ermittlungsergebnis stehe fest, dass er gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen habe. Im Rahmen der nach § 5 Abs. 1 EntschRG tatbestandlich erforderlichen Abwägung sei zu seinen Lasten festzuhalten, dass er mit seinen Anweisungen Verletzungen von Individualrechtsgütern in einer Vielzahl von Fällen nicht nur formal legitimiert, sondern zum Maßstab effizienten und zu prämierenden Handelns der ihm unterstellten MfS-Angehörigen gemacht habe. Damit habe er diese Mitarbeiter zu ihren rechtsstaatswidrigen Taten bestimmt bzw. - je nach Grad seiner Einflussnahme - dies Taten selbst oder durch seine Mitarbeiter begangen. Für ihn günstige Anhaltspunkte seien nach Aktenlage unter Berücksichtigung seiner Stellungnahme nicht ersichtlich.
So habe die Richtlinie 1/58 die Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern geregelt. Aufgabe der geheimen Mitarbeiter und geheimen Informatoren sei z. B. "die Feststellung der Anzeichen feindlicher Tätigkeit verdächtiger Personen, der Einsatz bei der Aufklärung und Verhinderung von Republikflucht und Abwerbungen und die Aufklärung und Kontrolle verdächtiger Personen sowie Aufdeckung und Liquidierung der Untergrundbewegung auch einzelner Personen und verbrecherischer Elemente" gewesen. Die Dienstanweisung 10/62 habe die Anordnung der Telefonüberwachung zur Erhöhung der konspirativen Tätigkeit geregelt. Die Dienstanweisung 4/66 "Zur politisch-operativen Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion und Untergrundtätigkeit unter jugendlichen Personenkreisen in der DDR" habe dazu gedient, oppositionelle Bestrebungen unter Jugendlichen in der DDR auszuschalten und die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu sichern. Weitere Dienstanweisungen hätten der "Leitung und Organisation der politisch-operativen Bekämpfung der staatsfeindlichen Hetze und die volle Verantwortung der Leiter der Kreisdienststellen in den von diesen Diensteinheiten zu sichernden und zu bearbeitenden Objekten, territorialen Bereichen und Personenkategorien für die politisch-operative Bekämpfung der staatsfeindlichen Hetze" geregelt. Die Dienstanweisungen hätten somit auf die Verfolgung, Kriminalisierung und Inhaftierung Oppositioneller gezielt. Der Einwand, nur Befehlsempfänger gewesen zu sein, sei in Anbetracht der Entscheidungsspielräume, die das MfS dem Kläger zugestanden und dieser genutzt habe, nicht nachvollziehbar und glaubhaft.
Auf die Beschwerde der Beklagten fasste das SG mit Beschluss vom 23.07.1997 den Beschluss vom 07.02.1997 neu und setzte den Vollzug des Bescheides vom 15.05.1996 rückwirkend bis zum 27.02.1997 aus und wies den Antrag auf Aussetzung des Vollzuges des Bescheides vom 26.02.1997 für die Zeit ab 28.02.1997 ab. Über die hiergegen eingelegten Beschwerden der Beteiligten hat das Sächsische Landessozialgericht (LSG) durch Beschluss vom 09.12.1997 (L4 B 59/97.An-VR) entschieden und die Beschwerde des Klägers zurückgewiesen. Auf die Beschwerde der Beklagten hat es den Beschluss des SG vom 07.02.1997 i. d. F. des Beschlusses vom 23.07.1997 insoweit aufgehoben, als dort die Vollziehung des Bescheides vom 15.05.1996 bis zum 27.02.1997 ausgesetzt worden war.
Das SG hat mit Urteil vom 19.04.1999 den Bescheid der Beklagten vom 15.05.1996 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der Bescheid vom 26.02.1997 habe den Bescheid vom 15.05.1996 nicht in vollem Umfange ersetzt, sondern lediglich für die Zeit ab März 1997. Der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) folgend, fehle diesem Bescheid vom 15.05.1996 über die vorläufige Aberkennung der Entschädigungsrente die Ermächtigungsgrundlage. Dem Kläger habe zum Zeitpunkt des In- Kraft-Tretens des EntschRG am 01.05.1992 das Recht auf Ehrenpension zugestanden und dieses sei durch ein Recht auf Entschädigungsgrente nach dem EntschRG ersetzt worden. In dieses Recht habe die Beklagte mit Bescheid vom 15.05.1996 rechtsvernichtend eingegriffen. Eine für diesen Eingriff nach dem Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes erforderliche Rechtsgrundlage sei nicht ersichtlich und § 5 Abs. 1 EntschRG nicht zu entnehmen. Der Bescheid über die endgültige Aberkennung vom 26.02.1997 sei hingegen rechtmäßig. Der Kläger sei über 27 Jahre und dabei 20 Jahre lang in leitenden Positionen beim ehemaligen MfS der DDR tätig gewesen. Insbesondere in der Funktion als Leiter der Kreisdienststelle Geithain von 1961 bis 1981 trage er nach dem beim MfS geltenden Prinzip der Einzelleitung für die Umsetzung der einschlägigen Richtlinien und Dienstanweisungen sowie für die Erfüllung aller politisch-operativen Aufgaben im Territorium des Kreises uneingeschränkt Verantwortung. Die Umsetzung z.B. der Richtlinie 1/58 und der Dienstanweisungen 4/66 und 2/71 sei nach Auffassung des Gerichts wesensnotwendig ein Verstoß gegen fundamentale Grund- und Menschenrechte. Diese Menschenrechtsverletzungen seien mit der Ausübung der "Amtspflichten" des Klägers als Leiter einer Kreisdienststelle des MfS wesensnotwendig verbunden. Der Rechtsprechung des BSG folgend sei damit der Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit hilfstatsächlich indiziert. Darüber hinaus habe er auch eigenhändig in unveräußerliche Grundrechte Menschenrechte der Bürger der DDR in rechtsstaatwidriger Weise eingegriffen. Dies ergebe sich aus den beigezogenen Unterlagen der Gauck-Behörde. So habe der Kläger konkret in einem Fall 1954 im Rahmen des sogenannten Überprüfungsvorganges "Blaupunkt", bei dem eine Bürgerin der DDR verdächtigt worden sei, Kontakte zu einem Westberliner Rundfunksender zu unterhalten, zunächst die Durchführung der Postüberwachung der Verdächtigen selbst und später für deren gesamte Familie beantragt (Operativplan vom 31.05.1954). In verschiedenen Fällen habe er geheime Informatoren angeworben und gezielt im Umfeld einzelner Personen eingesetzt. Des Weiteren habe er an Einsätzen mitgewirkt, die darauf abzielten, das Recht von einzelnen Personen auf Freizügigkeit und Ausreisefähigkeit zu beschränken. Die Beteiligung des Klägers am Operativ-Vorgang "Vorwärts" habe dazu geführt, dass ein Bürger der ehemaligen DDR allein wegen des Verteilens eines Flugblattes wegen Boykotthetze zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt worden sei. Aus diesem exemplarisch den Akten der Gauck-Behörde entnommenen Vorgängen sei nach Auffassung des Gerichts ersichtlich, dass der Kläger unmittelbar an Eingriffen in unveräußerliche Menschenrechte von Bürgern der ehemaligen DDR beteiligt gewesen sei. Aus den Unterlagen der Gauck-Behörde ergebe sich die Information des Klägers darüber, welche erheblichen Verfolgungsmaßnahmen und drakonischen Strafen oppositionellen bzw. ausreisewilligen DDR-Bürgern drohten. Der Bescheid der Beklagten vom 26.02.1997 sei auch hinsichtlich der dort angeordneten vollständigen Aberkennung der Entschädigungsrente nicht zu beanstanden.
Gegen das am 27.05.1999 zugestellte Urteil richtet sich die am 22.06.1999 beim LSG eingegangene Berufung. Die dem Kläger zur Last gelegten Handlungen würden keine die Aberkennung der Entschädigungsrente rechtfertigende Verletzung von Grundsätzen der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit i.S.v. § 5 Abs. 1 EntschRG darstellen. Die Entscheidung des SG sei deshalb unrichtig, weil der Schuldvorwurf aus der Funktion des Klägers und aus dienstlichen Bestimmungen abgeleitet werde. Die Innehabung einer politischen und dienstlichen Funktion ließe zwar zulässig Schlüsse zur Etablierung des Klägers im politischen System der DDR und seines Beitrages zur Stabilisierung dieses Systems zu. Der Entziehungsgrund stelle aber nicht hierauf, sondern auf eine individuelle Schuld und damit auf den Nachweis konkreten unmenschlichen Verhaltens ab. Zweifelsfrei stellten die in Bezug genommenen Dienstanweisungen des MfS ein letztlich der Stabilität des politischen Systems der DDR dienendes Instrumentarium dar, dessen Durchsetzung grundlegende Rechte der Bürger berührte und sie im Einzelfall in unzulässiger Weise begrenzte. Hieraus den Schluss zu ziehen, der Kläger habe zweifelsfrei bewegt, dass es zu Verletzungen der Grundsätze gekommen ist, verkenne die Funktion des Klägers als Leiter einer untergeordneten Kreisdienststelle. Die einleitende Überwachung des Postverkehrs in konkreten Einzelfällen und der Einsatz von inoffiziellen Mitarbeitern stelle keinen Gesetzesverstoß i.S.d. § 5 Abs. 1 EntschRG dar. Der Kläger habe auf der Grundlage von Dienstvorschriften gehandelt und weit unterhalb hoher und höchster Machtebenen. Auf diesen Unterschied komme es an.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Leipzig vom 19.04.1999 insoweit aufzuheben, als die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 26.02.1997 abgewiesen wurde und den Bescheid der Beklagten vom 26.02.1997 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils für zutreffend. Das BSG habe in seinen Entscheidungen vom 30.01.1997 erkannt (SozR 3-8850 § 5 Nr. 1 und 2), dass ein ausreichender Grund für die Aberkennung der Entschädigungsrente darin liegen könne, dass ein Rechtsinhaber den von anderen beschlossenen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtstaatlichkeit und Menschlichkeit bewusst gefördert habe. Das SG habe zutreffend erkannt, dass im Hinblick auf die lange Zeitspanne, in der der Kläger in verantwortlicher Position beim MfS tätig gewesen sei und auch hinsichtlich der Schwere der ihm konkret vorzuwerfenden Eingriffe in die Menschenrechte der DDR-Bürger eine völlige Aberkennung des Rechts auf den Bezug der Entschädigungsrente dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche.
Die Beigeladene zu 1) beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger habe keineswegs, so wie er dazustellen versuche, im Rahmen seiner Tätigkeit im MfS nur das politische System in der DDR allgemein gefördert, sondern als hauptamtlicher Mitarbeiter des MfS, dem wesentlichen Unterdrückungsorgan im Inneren der DDR, dazu beigetragen, dass fundamentale Menschenrechte verletzt worden seien. Dies ergebe sich durch konkret belegbares Verhalten durch unmittelbare Beteiligung an Operativmaßnahmen. Im Operativvorgang "Omega" im Jahre 1974 habe er dazu beigetragen, dass zwei Personen, die lediglich von ihrem Recht auf Ausreisefreiheit und Freizügigkeit Gebrauch machen wollten, verhaftet und wegen "staatsfeindlicher Verbindung in Tateinheit mit versuchter und vorbereiteter Nichtrückkehr in die DDR" zu drei Jahren und acht Monaten bzw. zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden seien.
Die Beigeladene zu 2) beantragt,
die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Der Kläger habe weder neue Gesichtspunkte vorgetragen noch neue Beweismittel vorgelegt, die eine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage zuließen. Sie mache das gesamte Vorbringen der Beklagten zum Gegenstand ihrer Einlassung. Das SG habe die Rechtslage zutreffend gewürdigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und auf die beigezogene Verwaltungsakten der Beklagten und Beigeladenen zu 1., die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig (§ 143 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), erweist sich jedoch als unbegründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 26.02.1997 über die endgültige Aberkennung des gegen die Beigeladene zu 2. gerichteten Rechts des Klägers auf Entschädigungsrente. Eines Vorverfahrens bedurfte es bezüglich dieses Bescheides nicht (§ 6 Abs. 4 Satz 2 EntschRG i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über das Ruhen von Ansprüchen aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen - Versorgungsruhensgesetz - VRG vom 25.07.1991 - BGBl. 1606).
Soweit das SG die Klage gegen die "endgültige" Aberkennung der Entschädigungsrente im Bescheid vom 26.02.1997 abgewiesen hat, erfolgte dies zutreffend. Die Beklagte hat dem Kläger sein Recht auf Entschädigungsrente gegen die BfA zurecht aberkannt.
Die Beklagte hat den Eingriffsakt vom 26.02.1997 auf die in § 5 Abs. 1 EntschRG enthaltene Ermächtigungsgrundlage gestützt. Gerichtlicher Prüfung unterfällt nur, ob der von der Beklagten im Verwaltungsakt geltend gemachte Kürzungs- oder Aberkennungsgrund vorliegt und den vorgenommenen Eingriff rechtfertigt. Nach § 5 Abs. 2 EntschRG entscheidet das Bundesversicherungsamt (BVA) über die Kürzung oder Aberkennung einer Entschädigungsrente auf Vorschlag der Kommission nach § 3 VRG, hier also der Beigeladenen zu 1). Den gesetzlich geforderten Vorschlag zur endgütligen Aberkennung hat die Kommission mit Beschluss vom 16.12.1996 unterbreitet. Eine Verletzung der im Übrigen für das Verfahren entsprechend geltenden Vorschriften des VRG ist nicht erkennbar. Vielmehr hat die Beklagte dem Kläger vor Erlass des Bescheides vom 26.02.1997 Gelegenheit zur Stellungnahme zu den tragenden Gesichtspunkten für eine Aberkennung gegeben.
Einfach gesetzlich trägt § 5 Abs. 1 EntschRG die im Bescheid vom 26.02.1997 getroffene Regelung, das zuerkannte Recht auf Entschädigungsrente mit sofortiger Wirkung abzuerkennen. Dies hat zur Folge, dass die beigeladene BfA dem Kläger für Bezugszeiträume ab 01.03.1997 Entschädigungsrente nicht mehr zu zahlen hat. Nach § 5 Abs. 1 EntschRG sind Entschädigungsrenten zu kürzen oder abzuerkennen, wenn der Berechtigte oder derjenige, von dem sich die Berechtigung ableitet, gegen die Grundsätze der Menschenlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zu eigenem Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat. Die Norm statuiert damit eine Unwürdigkeitsklausel, d.h., das Recht auf Entschädigungsrente besteht insoweit nicht mehr, wie die Beklagte zu Recht den Einwand erhebt, dass der Betroffene selbst gegen die Grundsätze verstoßen hat, auf denen die Gewährung der Entschädigungsrente beruht. Insoweit enthält die Vorschrift eine spezialgesetzliche Ermächtigung ("aberkennen", "kürzen") für die Beklagte, die Bindungswirkung des früheren Verwaltungsaktes zu durchbrechen, mit dem ein Recht auf Entschädigungsrente zuerkannt worden war (BSG Urteil vom 30.01.1997 - 4 RA 23/96, Urteil vom 24.03.1998 - B 4 RA 78/96 R).
Der gerichtlichen Prüfung unterliegt insoweit, ob der von der Beklagten geltend gemachte Aberkennungsgrund vorliegt und den vorgenommenen Eingriff rechtfertigt. Die Beklagte hat die Befugnis zur Aberkennung auf Verstöße des Klägers gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit durch das Mitwirken an operativen Vorgängen und die langjährige Tätigkeit als Leiter einer Kreisdienststelle des MfS gestützt. Ihre Entscheidung, der Aberkennungsgrund liege vor, ist nicht zu beanstanden.
Der objektive Tatbestand des § 5 Abs. 1 EntschRG setzt folgendes voraus:
Der Betroffene muss gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben. Insoweit genügt eine nur allgemeine Förderung des Unrechts und Gewaltsystems der SED nicht, er muss vielmehr durch ein konkretes nachweisbares Verhalten gegen die genannten Grundsätze verstoßen haben. Der Grundsatz der Menschlichkeit schützt die (Ansehens-) Würde (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz - GG -) und die unveräußerlichen Menschenrechte (Art. 1 Abs. 2 GG) eines jeden, der in einem Gemeinwesen dem jeweiligen Inhaber der Macht sowie den Menschen unterworfen ist, denen jener Herrschaftsmacht verliehen oder faktisch eingeräumt hat. Schutzgut des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit ist, dass jeder Gewaltinhaber sich in einer den jeweiligen Lebensverhältnissen angemessenen Sachbehandlung, vor allem unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, bemühen muss und insbesondere nicht willkürlich handeln darf; keinesfalls darf jemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat, seiner Herkunft, seines Glaubens oder seiner religiösen und politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden (BSG Urteil vom 24.03.1998 a. a. O.).
Der Tatbestand des § 5 Abs. 1 EntschRG ist danach erfüllt, wenn der Inhaber eines Rechts auf Entschädigungsrente durch sein Verhalten (Handeln oder Unterlassen) in Ausübung ihm übertragener oder eingeräumter Gewalt, den Unrechtserfolg des Verstoßes gegen einen der genannten Grundsätze herbeigeführt oder einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet hat, dass andere diesen Erfolg herbeiführten. Ferner muss er zurechnungsfähig sein und die Tatsachen gekannt haben, aus denen sich die Unvereinbarkeit seines Verhaltens mit den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit ergab (BSGE 80, 72, 86 ff. m. w. N.). Die Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Dem SG ist dahin zu folgen, dass der Verstoß gegen diese Grundsätze dann anzunehmen ist, wenn jemand durch konkretes, räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten, das einem Beweis zugänglich ist, gegen die Inhalte der Grundsätze vorgegangen oder Verstöße gegen sie - obwohl ihm möglich und zumutbar - nicht entgegengetreten ist. Es reicht eine Mitwirkung an den Verstößen anderer Gewaltinhaber, die nicht auf die strafrechtliche Teilnahmeform begrenzt ist, aus. Notwendig ist jedoch nicht, dass der Berechtigte die Verletzung selbst mit beschlossen oder diese eigenhändig bewirkt hat. Es reicht, wenn er durch Rat oder Tat oder durch Organisations- oder Schulungsmaßnahmen oder in anderer Weise im Rahmen der ihm eingeräumten Gewalt den Verstoß gefördert hat. Soweit die dem Berechtigten verliehenen Macht Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit zum Inhalt hatte, es also gewissermaßen zu seiner Amtsausübung gehörte, kann der Verstoß durch den Inhalt der jeweiligen "Amtsgeschäfte" hilfstatsächlich indiziert sein (Urteile des BSG vom 30.01.1997, a. a. O. bzw. 4 RA 99/95). Ein einmaliger, punktueller, nach der Art der Begehung und dem eingetretenen Verletzungserfolg nicht schwerwiegender Verstoß gegen die vorgenannten Grundsätze kann schon aus Gründen tatbestandlicher Verhältnismäßigkeit die Anwendung des § 5 Abs. 1 EntschRG nicht begründen. Nach den tatsächlichen Feststellungen der Beklagten und des SG ergibt sich die berechtigte Annahme, dass der Kläger an menschenverachtenden Maßnahmen mitgewirkt hat.
Der Kläger hat als Inhaber eines bestehenden subjektiven Rechts auf Entschädigungsrente gegen die oben genannten Grundsätze verstoßen, also durch konkretes räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten. Er war als hauptamtlicher Mitarbeiter des MfS über 27 Jahre, dabei 20 Jahre lang in leitenden Positionen, beim ehemaligen MfS tätig. In der Funktion als Leiter der Kreisdienststelle Geithain war er nach dem beim MfS geltenden Prinzip der Einzelleitung für die Umsetzung der einschlägigen Richtlinien und Dienstanweisungen sowie für die Erfüllung aller politisch-operativen Aufgaben im Territorium des Kreises uneingeschränkt verantwortlich. Nach den Richtlinien und Dienstanweisungen handelte es sich dabei um Anordnungen von Post- und Telefonüberwachung sowie sonstige Bespitzelung durch MfS, Hausdurchsuchungen, häufige Vorladungen zu Behörden, Verlust des Arbeitsplatzes oder Umsetzung auf einen schlechteren Arbeitsplatz, Sanktionen gegen Familienmitglieder, Verschlechterung der medizinischen Versorgung, Ächtung durch SED und staatliche Organisationen, Kriminalisierungen und Inhaftierungen, z.B. wegen des Vorwurfs der Vorbereitung von Republikflucht oder wegen Behinderung von staatlichen Organen. Vor dem Hintergrund dieses massiven Bedrohungspotentiales mutet es wie menschenverachtender Zynismus an, wenn der Kläger meint, er habe lediglich im Rahmen seiner Tätigkeit im MfS das politische System in der DDR allgemein gefördert (BSG Urteil vom 24.03.1998 a. a. O.). Ein Verkennen der Funktion eines Leiters einer Kreisdienststelle des MfS, wie vom Kläger behauptet, ist auf dieser Grundlage völlig abwegig. Zutreffend hat das SG unter Benennung der jeweiligen Richtlinien und Dienstanweisungen sowie deren Zielen festgestellt, dass mit der Umsetzung dieser Richtlinien und Dienstanweisungen wesensnotwendig ein Verstoß gegen fundamentale Grund- und Menschenrechte verbunden war. Ebenso waren diese Menschenrechtsverletzungen mit der Ausübung der Amtspflichten des Klägers als Leiter einer Kreisdienststelle des MfS zwingend verbunden. Damit ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, welcher sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt, ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit hilfstatsächich indiziert. Des Weiteren kann aus der (Hilfs-) Tatsache, dass jemand ein Amt nicht nur ganz kurzzeitig inne gehabt hat, auf die Hauptsache geschlossen werden, er habe die mit dem Amt verbundenen Aufgaben wahrgenommen, falls - wie hier - keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, es könne sich im Einzelfall ausnahmsweise anders verhalten haben. Der Kläger hat mit seinem persönlichen Einsatz zur Stabilisierung und Erhöhung der Effizienz des herrschenden Unterdrückungssystems beigetragen und zweifelsfrei bewegt, dass es zur Verletzung der genannten Grundsätze kommen konnte. Die politisch-operative Arbeit des MfS und seiner Organe, zu denen auch die Kreisdienststellen gehörten, war stets auf eine völlige Durchdringung der Bevölkerung der ehemaligen DDR mit informellen und geheimen Mitarbeitern zu deren Kontrolle, Bespitzelung, Verfolgung und Unterdrückung gerichtet. Hierbei ging es im Wesentlichen nicht um die Abwehr von Spionage- und Geheimdiensttätigkeiten, sondern um gezielte Überwachung, insbesondere von Ausreise- und Fluchtwilligen sowie mutmaßlichen Regimegegnern und Kritikern. Dadurch ist in erheblichem Maße in unveräußerliche Rechtsgüter eingegriffen worden.
Darüber hinaus hat der Kläger eigenhändig in unveräußerliche Grundrechte und Menschenrechte in rechtsstaatswidriger Weise eingegriffen, wie sich aus den beigezogenen Unterlagen der Gauck-Behörde ergibt und im Bescheid der Beklagten dargestellt wurde. 1954 hat er im Rahmen des sogenannten Überprüfungsvorganges "Blaupunkt" die Durchführung der Postüberwachung einer Verdächtigen selbst und später für deren gesamte Familie beantragt. Weiterhin hat er geheime Informatoren angeworben und gezielt im Umfeld einzelner Personen eingesetzt. Die Mitwirkung des Klägers am Vorgang "Vorwärts" führte dazu, dass ein Bürger wegen des Verteilens eines Flugblattes wegen Boykotthetze zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt wurde. Der Senat verweist insoweit auf die Entscheidungsgründe des SG (§ 153 Abs. 2 SGG) sowie auf den Beschluss des Sächsischen LSG vom 09.12.1997 (a. a. O.), wo weitere Einzelheiten dieser Vorgänge beschrieben sind. Die Beteiligung des Klägers am Vorgang "Omega" ist ebenso unbestritten. Anhand dieser und weiterer in den vorliegenden Akten dokumentierter Vorgänge ergibt sich, dass der Kläger selbst oder als Vorgesetzter - Leiter der Kreisdienststelle - beteiligt war. Entgegen seiner Auffassung ist ihm insofern ein konkreter Schuldvorwurf zu machen. Sein diesbezüglich vorgetragenes "Bedauern" ist demnach weder nachvollziehbar noch glaubhaft.
Nicht unberücksichtigt blieb auch der Sinn und Zweck des EntschRG, den Verfolgten des Nationalsozialismus, die in der DDR lebten, die Wiedergutmachungsrechte zuzuerkennen, wie sie im Bundesentschädigungsgesetz für die Opfer des Nationalsozialismus im früheren Bundesgebiet vorgesehen waren. Während in der DDR eine ideologisch geleitete Auswahl unter allen Opfern nationalsozialistischer Verfolgung getroffen wurde, erkannte das Bundesrecht nach §§ 1 - 6 Bundesentschädigungsgesetz grundsätzlich allen Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung ein Recht auf Wiedergutmachung zu (vgl. BSG, Urteile vom 30.01.1997). Ferner war zu berücksichtigen, dass es die Achtung vor den Opfern menschenverachtender Gewaltherrschaft dem Rechtsstaat grundsätzlich nicht erlaubt, die Sachwahl einer derartigen totalitären Gewaltherrschaft, wo sie selbst auch Opfer der NS-Verfolgung waren, schlechthin in jeder Hinsicht denjenigen wiedergutmachungsrechtlich gleichzustellen, die ausschließlich Opfer waren. Gerade der Kläger hätte als Verfolgter des Nationalsozialismus erkennen müssen und können, dass seine Tätigkeit - zumindest teilweise - gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstößt. § 5 Abs. 1 EntschRG enthält kein (Kriminal-) Strafrecht, denn es geht nicht darum, dem Berechtigten wegen eines in der Vergangenheit verübten Verbrechens oder Vergehens eine seiner individuellen Tatschuld angemessene Strafsanktion aufzuerlegen (BVerfGE 34, 331, 341 m. w. N.), sondern um eine Kürzung oder Aberkennung eines von der Bundesrepublik Deutschland gewährten Rechts auf Wiedergutmachung bei solchen NS-Opfern, die zugleich Täter von Menschenrechtsverletzungen sind.
Somit liegt ein ausreichender Grund, das Recht auf Entschädigungsrente abzuerkennen, vor, wenn der Rechtsinhaber den von anderen beschlossenen (initiierten) bzw. vollstreckten Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtstaatlichkeit bewußt gefördert hat. Die aufgezeigten Verstöße gegen Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtstaatlichkeit sind dem Kläger nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv zuzurechnen. Der mit der Unwürdigkeitserklärung im Sinne des § 5 Abs. 1 EntschRG verbundene ethische Vorwurf schuldhaften Verhaltens (BVerfGE 12, 264) basiert auf der tatsächlichen, wissentlichen und willentlichen Mitwirkung an (mindestens) einer Verletzungshandlung. Nicht vorausgesetzt wird, dass der Machtausübende mit seiner bewusst und gewollt vorgenommenen Verletzungshandlung gerade die Absicht verfolgte, die genannten Grundsätze zu verletzten; vielmehr reicht aus, dass er bei gehöriger Gewissensanspannung hätte erkennen können, dass er jene verletzt; Rechtsblindheit entschuldigt nicht (BSG Urteil vom 24.03.1998 a. a. O.). Vorliegend ist die Tatsachenkenntnis belegt durch die langjährig ausgeübte Funktion eines Kreisdienststellenleiters des MfS. Nach § 5 Abs. 1 EntschRG ist im Falle eines (nachgewiesenen) Verstoßes die bereits bewilligte Rente zu kürzen oder abzuerkennen. Dieser an die BVA gerichtete strikte Anwendungsbefehl eröffnet weder ein Betätigungs- noch ein Auswahlermessen. Somit kommt es entscheidend auf Schwere und Intensität der Unrechtshandlungen des Betroffenen selbst in der DDR an. Maßgebend sind Anzahl, Ort, Umfang und Dauer der Unrechtshandlungen des Betroffenen sowie diejenigen der Verletzungen seiner Opfer. Gemessen an diesen Maßstäben ist die endgültige Aberkennung des Rechtes auf Entschädigungsrente aus den dargestellten Gründen nicht zu beanstanden. Nach der vom Senat vorgenommenen Auslegung ist bei der Anwendung der Ermächtigungsnormen des § 5 Abs. 1 EntschRG sowohl der Nachweis (mindestens) einer konkreten Handlung erbracht als auch durch die langjährige Zugehörigkeit des Klägers zum MfS und durch die ausgeübten Funktionen nachgewiesen, dass wiederholt und dauerhaft gegen elementare Rechtsstaatsprinzipien verstoßen worden ist. Somit ist unter Heranziehung der ständigen Rechtsprechung des BSG ein konkreter, sachlich und zeitlich eingegrenzter und dem Beweis zugänglicher Lebenssachverhalt vorhanden, dem die zum Verstoß führende Handlung und darauf basierende unmittelbare Verletzungshandlung und der Verletzungserfolg zu entnehmen ist.
Die Regelungen des § 5 Abs. 1 EntschRG sind verfassungsgemäß und stehen mit den völkervertragsrechtlich begründeten Pflichten der Bundesrepublik Deutschland im Einklang (BSG Urteile vom 30.01.1997 sowie 24.03.1998 [a. a. O.]).
Der Bescheid der Beklagten vom 26.02.1997 sowie das Urteil des SG vom 19.04.1999 sind daher rechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch hinsichtlich der dort angeordneten vollständigen Aberkennung der Entschädigungsrente, da entgegen der Ansicht des Klägers die durch die Unterlagen der Gauck-Behörde belegten Vorwürfe derart gravierend sind, dass eine nur teilweise Entziehung der Entschädigungsrente nicht gerechtfertigt wäre. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der langen Zeitspanne, in der der Kläger in verantwortlicher Position beim MfS tätig war, sondern auch hinsichtlich der Schwere der ihm konkret vorzuwerfenden Eingriffe in die Menschenrechte der Bürger der ehemaligen DDR.
Aus den genannten Gründen war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung wird die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 1 und 2 SGG).
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