L 4 RA 139/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 9 RA 13/99
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 RA 139/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 06. Juni 2000 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Wert des Rechts auf Altersrente des am 30.04.1999 verstorbenen Versicherten für die Zeit vom 01.09.1998 bis 30.04.1999.

Der am ... geborene und am ... verstorbene Versicherte, dessen Rechte seine Ehefrau im gerichtlichen Verfahren fortführt, war bis zum 30.11.1996 bei der SLG Ingenieurbüro für Umweltschutz und Projektierung GmbH beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch fristgemäße betriebsbedingte Kündigung des Arbeitgebers vom 24.09.1996 zum 30.11.1996. Bereits am 29.01.1996 fand in der Geschäftsleitung des Arbeitgebers mit dem Versicherten sowie zwei weiteren Arbeitnehmern ein Personalgespräch statt, in dessen Verlauf mitgeteilt wurde, dass auf Grund der betrieblichen Situation die jeweils bestehenden Arbeitsverhältnisse "im IV. Quartal 1996 aufgekündigt (werden)". Eine fristgemäße Kündigung erfolge nach Abarbeitung und Abschluss der angearbeiteten Aufträge. Zum Ergebnis dieses Personalgesprächs wurde dem Versicherten eine Gesprächsnotiz vom 29.01.1996 ausgehändigt. Am 24.09.1996 erfolgte dann mit dem Versicherten ein Kündigungsgespräch, in dem die organisatorischen Bedingungen des Ausscheidens aus dem Betrieb besprochen wurden. Die schriftliche Kündigung erhielt er am 25.09.1996.

Ab 01.12.1996 war der Versicherte zunächst arbeitsunfähig erkrankt und dann arbeitslos.

Am 03.04.1998 beantragte er die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit, die ihm die Beklagte mit Bescheid vom 17.09.1998 beginnend ab 01.09.1998 unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 0,940 wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der Rentenleistung in Höhe von monatlich 1.853,25 DM bewilligte.

Mit seinem gegen die Verminderung des Zugangsfaktors wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Rentenleistung gerichteten Widerspruch machte der Versicherte die Gewährung einer Rente in voller Höhe mit einem Zugangsfaktor von 1,000 geltend. Im Rahmen der Kontenklärung sei ihm und zwei weiteren Arbeitskollegen eine Prüfung der Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) angeregt worden. In diesem Sinne habe sein früherer Arbeitskollege H. A. eine Prüfung vornehmen lassen. Diesem Arbeitskollegen habe die Beklagte das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vertrauensschutzregelung schriftlich anerkannt, so dass die Altersgrenze von 60 Jahren für die Gewährung einer Rente ohne Abschläge nicht angehoben worden sei. Dies müsse, da die gleichen Ausgangsbedingungen vorlägen, auch für den Versicherten gelten.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 05.01.1999 zurück. Eine verbindliche Regelung zur Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses vor dem 14.02.1996 zu einem Zeitpunkt danach sei für den Versicherten nicht getroffen worden. Zum Stichtag "14.02.1996" habe zwischen ihm und dem Arbeitgeber keine wirksame Auflösungsvereinbarung vorgelegen. Mit der Gesprächsnotiz vom 29.01.1996 habe der Arbeitgeber lediglich angekündigt, das Arbeitsverhältnis zu einem späteren Zeitpunkt aufkündigen zu wollen. Diese Gesprächsnotiz stelle noch keine wirksame Auflösungsvereinbarung dar, die eine Anwendung der Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 2 SGB VI rechtfertigen würde. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass diese Erklärung in Form der Gesprächsnotiz anlässlich der den bevorstehenden Personalabbau regelnden Betriebsvereinbarung abgegeben worden sei. Der Versicherte habe sich am Stichtag aus arbeitsrechtlicher Sicht noch in einem ungekündigten und unbefristeten Arbeitsverhältnis befunden. Die Verminderung des Zugangsfaktors für die Ermittlung der Rentenhöhe sei damit nicht zu beanstanden.

Hiergegen richtete sich die am 13.01.1999 vor dem Sozialgericht Chemnitz erhobene Klage mit der der Versicherte sein Begehren fortführte. Im Laufe des Klageverfahrens verstarb der Versicherte und seine Witwe trat als Rechtsnachfolgerin in das Verfahren ein.

Das Sozialgericht gab mit Urteil vom 06.06.2000 der Klage statt. Es verurteilte die Beklagte unter Abänderung des entgegenstehenden Bescheides, dem verstorbenen Versicherten eine Altersrente mit einem Zugangsfaktor von 1,0 und damit ohne Abschläge zu gewähren. Unzutreffend habe die Beklagte eine Minderung des Zugangsfaktors um 0,060 für 20 Kalendermonate vorgenommen. Beim verstorbenen Versicherten liege eine vor dem 14.02.1996 vereinbarte Befristung des Arbeitsverhältnisses vor. Mit der Ankündigung einer Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses zum IV. Quartal 1996 in der Gesprächsnotiz vom 29.01.1996 sei durch den Arbeitgeber eine Befristung ausgesprochen worden. Diese Ansicht habe die Beklagte offensichtlich auch bei dem zugleich mit dem verstorbenen Versicherten gekündigten Arbeitnehmer A. vertreten. Es sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Beklagte in dem gleichgelagerten Fall des verstorbenen Versicherten nunmehr zu einer anderen Beurteilung des Sachverhaltes gekommen sei. Mit der Befristung des Arbeitsverhältnisses des Versicherten vor dem Stichtag "14.02.1996" greife die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 2 SGB VI, so dass die Absenkung des Zugangsfaktors zu Unrecht erfolgt sei.

Gegen das der Beklagten am 19.07.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 16.08.2000 eingelegte Berufung.

Die Beklagte hat vorgetragen, die Rechtsansicht des Sozialgerichts finde weder im Wortlaut noch in Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung eine Stütze. Die altersmäßige Anspruchsvoraussetzung für eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit werde für nach dem 31.12.1936 geborene Versicherte seit dem 01.01.1997 stufenweise auf das 65. Lebensjahr angehoben. Aus Gründen des Vertrauensschutzes seien jedoch unter anderem Versicherte grundsätzlich von der Anhebung der Altersgrenze ausgenommen, die die Auflösung ihres Beschäftigungsverhältnisses vor dem Stichtag "14.02.1996" zu einem Zeitpunkt danach aus arbeitsrechtlicher Sicht verbindlich geregelt hätten. Dem stehe eine vor dem Stichtag vereinbarte Befristung des Arbeitsverhältnisses gleich. Insoweit müsse die Kündigung bzw. Vereinbarung über die Beendigung oder Befristung des Arbeitsverhältnisses spätestens im Verlauf des 13.02.1996 erfolgt sein.

Im vorliegendem Fall habe jedoch vor dem Stichtag eine Kündigung nicht vorgelegen. Vielmehr sei dem Versicherten erst mit Schreiben des Arbeitgebers vom 24.09.1996 und damit eindeutig nach dem Stichtag gekündigt worden. Ebenso fehle es an einer Vereinbarung über die Beendigung oder Befristung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Beteiligten. Nach der Gesprächsnotiz des Arbeitgebers vom 29.01.1996 sollten die einzelnen Arbeitsverhältnisse lediglich durch betriebsbedingte Kündigung beendet werden. Eine Auflösungsvereinbarung im gegenseitigen Einvernehmen sei darin nicht zu erkennen. Eine derartige Vereinbarung im Sinne des § 237 Abs. 2 SGB VI (a. F.) müsse so gestaltet sein, dass die konkrete Willenserklärung beider Parteien hinsichtlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und des diesbezüglichen Termins eindeutig zum Ausdruck komme. Vorliegend sei der Versicherte jedoch lediglich von dem gefassten Entschluss seines Arbeitgebers zur künftigen Kündigung in Kenntnis gesetzt worden. Bei diesem Sachverhalt sei vor dem Stichtag allenfalls von einer Kenntnisnahme des Versicherten von einer beabsichtigten Kündigung auszugehen, eine konkret individuelle Veränderung seines Arbeitsverhältnisses sei damit jedoch nicht gegeben. Nur eine solche genüge den Erfordernissen des Gesetzes. Das Schweigen des betroffenen Mitarbeiters sei im Hinblick auf eine mögliche Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht von Bedeutung. Insbesondere sei ein Einverständnis des Arbeitnehmers zur Beendigung oder Befristung des Arbeitsverhältnisses darin nicht zu sehen. Aus arbeitsrechtlicher Sicht sei die Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses eindeutig erst durch die Kündigung mit Schreiben vom 24.09.1996 verbindlich geregelt worden. Eine etwaige fehlerhafte Beurteilung durch die Beklagte in einem vergleichbaren Einzelfall begründe, entgegen der Ansicht des Sozialgerichts, für den verstorbenen Versicherten keinen Anspruch auf Gleichbehandlung.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 06.06.2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie geht davon aus, dass die erstinstanzliche Entscheidung zutreffe. Es sei ihr unverständlich, aus welchen Gründen die Beklagte für die beiden weiteren, zum gleichen Zeitpunkt mit dem Verstorbenen entlassenen Arbeitnehmer das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vertrauensschutzregelung anerkannt habe und nur ihr verstorbener Ehemann davon ausgeschlossen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und auf die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist zulässig und begründet.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, dem verstorbenen Versicherten eine Rente wegen Arbeitslosigkeit ohne Abschläge zu gewähren. Dem Versicherten stand weder ein Rechtsanspruch auf Anwendung der Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der bis zum 31.12.1999 geltenden alten Fassung (a. F.) noch des § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der ab 01.01.2000 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 76 Rentenreformgesetz 1999 vom 16.12.1997 (BGBl. I S. 2998) zu.

Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 237 Abs. 2 Nr. a und b SGB VI a. F. hat der verstorbene Versicherte nicht erfüllt. Er war am 14.02.1996 weder arbeitslos noch hatte sein Arbeitsverhältnis auf Grund einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14.02.1996 erfolgt ist, nach dem 13.02.1996 geendet und er war daran anschließend arbeitslos geworden.

An dieser rechtlichen Würdigung ändert auch die Einlassung der Klägerin nichts, dass dem verstorbenen Versicherten in einem Personalgespräch am 29.01.1996 und somit vor dem Stichtag "14.02.1996" die betriebliche Situation zur Notwendigkeit eines Personalabbaus geschildert und ihm eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses "für das" - und nicht wie das Sozialgericht dargestellt hat "zum" - IV. Quartal 1996 angekündigt worden ist. Dieses Personalgespräch erfolgte in Vorbereitung einer in Aussicht gestellten Kündigung durch den Arbeitgeber. Ein konkreter Termin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Gesprächsnotiz nicht zu entnehmen. Insoweit handelt es sich entgegen auch nicht um eine einseitige Befristung des Arbeitsverhältnisses, denn diese hätte nur im Wege einer Änderungskündigung erfolgen können. Der Gesprächsnotiz vom 29.01.1996 ist vielmehr zu entnehmen, dass der Zeitpunkt einer fristgemäßen Kündigung von der Abarbeitung der Aufträge abhängig gemacht werde.

Aus dem vorliegenden Kündigungsschreiben vom 24.09.1996, welches dem Versicherten am 25.09.1996 zur Kenntnis gelangt ist, ist zweifelsfrei zu entnehmen, dass das mit ihm bestehende Arbeitsverhältnis vom 12.12.1991 per 30.09.1996 fristgemäß zum 30.11.1996 betriebsbedingt gekündigt ist. Einer derartigen Kündigung hätte es nicht bedurft, wenn bereits im Personalgespräch am 29.01.1996 eine definitive Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses vereinbart worden wäre.

Unter Zugrundelegung dieses zeitlichen Ablaufs war der für die Anwendung der Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 2 Satz 1 SGB VI a. F. (jetzt wortgleich § 237 Abs. 4 Satz 1 SGB VI) benannte Stichtag "14.02.1996" unstreitig überschritten. Die Beklagte hat daher mit Recht die Anwendung der vom verstorbenen Versicherten und nachfolgend der Klägerin geltend gemachten Vertrauensschutzregelung abgelehnt.

Soweit die Klägerin vorträgt, dass die genannte Vertrauensschutzregelung zur Gewährung einer Altersrente ohne Abschläge bei den beiden neben ihrem verstorbenen Ehemann gekündigten Arbeitnehmern von der Beklagten anerkannt worden sei, beruht dies - einen vergleichbaren Sachverhalt unterstellt - auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung durch die Beklagte. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht besteht hingegen nicht. Insoweit konnten auch die Einlassungen der Klägerin zu keiner anderen, aus rein arbeitsrechtlicher Sicht zu betrachtenden Bewertung der Gesprächsnotiz vom 29.01.1996 führen.

Auch aus der seit dem 01.01.2000 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuregelung des Anspruchs auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ergibt sich keine andere Entscheidung. Danach sind § 38 SGB VI lediglich gestrichen und die Anspruchsvoraussetzungen in § 237 Abs. 1 SGB VI gefasst worden. Die bisherigen Voraussetzungen für eine Anwendung der Vertrauensschutzregelung wurden wortgleich in Abs. 4 des § 237 SGB VI gefasst.

Aus den genannten Gründen war auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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