B 10 LW 7/01 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Alterssicherung der Landwirte
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 LW 7/01 R
Datum
Kategorie
Urteil

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 22. Februar 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Ausgleichsgeld für landwirtschaftliche Arbeitnehmer hat. Der 1942 geborene Kläger war von 1960 bis 1990 als Tierpfleger bei einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft und anschließend in gleicher Tätigkeit im Betriebsbereich Schweinemast bei der Agrargenossenschaft F e.G. beschäftigt. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 1996. Sie hatte in den Jahren 1993 bis 1996 zunächst 158,10, dann 157,54, anschließend 217,00 und schließlich 285,12 ha ihrer landwirtschaftlichen Gesamtnutzfläche von anfangs 1603 und im Jahre 1996 noch 1316 ha stillgelegt. In der Zeit von 1992 bis 1996 wurden nahezu gleichbleibend etwa 2750 Schweine gehalten. Der Milchkuhbestand sank währenddessen von 668 auf 396, der weitere Bestand an Rindern von 853 auf 682 Tiere. Die Zahl der Beschäftigten verringerte sich in diesen Jahren von 127 (1992) über 89 (1993), 74 (1994), 60 (1995) auf 47 im Jahre 1996.

Die Beklagte lehnte es ab, dem Kläger Ausgleichsgeld zu gewähren (Bescheid vom 21. Oktober 1997; Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 1998). Das Sozialgericht Leipzig hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. August 1996 Ausgleichsgeld zu zahlen (Urteil vom 30. März 1999). Das Sächsische Landessozialgericht (LSG) hat diese Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 22. Februar 2001). Es hat ausgeführt: Dem Kläger stehe Ausgleichsgeld nicht zu, weil seine Beschäftigung - anders als in § 9 Abs 1 des Gesetzes zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit (FELEG) gefordert - nicht "auf Grund" von Flächenstillegung geendet habe. Wie auch sonst im Sozialrecht sei der Ursachenzusammenhang im FELEG nach der Lehre von der rechtlich wesentlichen Bedingung zu beurteilen. Die Ursächlichkeit zwischen Flächenstillegung und Ende der Beschäftigung sei hier zu verneinen. Das ergebe eine Gesamtwürdigung nach den Kriterien innerer Zusammenhang, zeitlicher Zusammenhang, Proportionalität zwischen Umfang der Flächenstillegung und Verringerung des Personalbestandes, tatsächlicher Wegfall des innegehabten Arbeitsplatzes und Flächenbezug der ausgeübten Tätigkeit. Flächenstillegungen hätten für die Entlassung des Klägers allenfalls eine untergeordnete mittelbare Rolle gespielt; entscheidender sachlicher Grund für die Entlassung des Klägers sei die Einsparung von Arbeitskräften im Zusammenhang mit einer Modernisierung der Fütterungstechnik gewesen.

Der Kläger macht mit der Revision geltend, das LSG habe § 9 Abs 1 FELEG verletzt. An die Ursächlichkeit der Flächenstillegung für das Beschäftigungsende dürften keine zu strengen Anforderungen gestellt werden. Es genüge Mitursächlichkeit und zu deren Nachweis eine - hier vorliegende - Bescheinigung der ehemaligen Arbeitgeberin.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 22. Februar 2001 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 30. März 1999 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist nicht begründet. Die Kläger hat keinen Anspruch auf Ausgleichsgeld, weil seine Beschäftigung als landwirtschaftlicher Arbeitnehmer nicht aufgrund von Flächenstillegung geendet hat.

Gemäß § 9 Abs 1 Satz 1 FELEG in der hier maßgebenden Fassung des Agrarsozialreformgesetzes 1995 ((ASRG 1995) vom 29. Juli 1994, BGBl I 1890) erhalten ua Arbeitnehmer, die in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind, ein Ausgleichsgeld, wenn

1. ihre Beschäftigung in einem Unternehmen der Landwirtschaft iS des § 1 Abs 2 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) auf Grund dessen Stillegung (§ 2) oder Abgabe (§ 3) endet und

2. sie in den letzten 120 Kalendermonaten vor der Antragstellung mindestens 90 Kalendermonate in Unternehmen der Landwirtschaft iS des § 1 Abs 2 des ALG, davon in den letzten 48 Kalendermonaten vor der Stillegung oder Abgabe des Unternehmens der Landwirtschaft mindestens 24 Kalendermonate in diesem Unternehmen hauptberuflich tätig gewesen sind.

Die Leistungen werden nach Satz 2 aaO frühestens ab Vollendung des 55. Lebensjahres, bei Vorliegen von Berufsunfähigkeit ab Vollendung des 53. Lebensjahres, gewährt; das maßgebende Lebensjahr muß vor dem 1. Januar 1997 vollendet sein. Diese Vorschrift gilt gemäß § 13 Abs 1 Nr 6 FELEG entsprechend für Arbeitnehmer, deren Beschäftigung in einem Unternehmen der Landwirtschaft auf Grund einer Maßnahme nach Maßgabe von sonstigen (nicht in den Nrn 1-5 aaO genannten) EWG-rechtlichen Vorschriften hinsichtlich einer Stillegung landwirtschaftlicher Nutzflächen endet. Gemäß § 18c Abs 1 FELEG gilt § 9 FELEG für am 1. Juli 1990 im Beitrittsgebiet ansässige und rentenversicherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmer mit der Maßgabe, daß auf die nach § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 2 FELEG erforderlichen Zeiten der Tätigkeit auch Zeiten der hauptberuflichen Tätigkeit in einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, einem volkseigenen Gut oder einer vergleichbaren Einrichtung angerechnet werden. Nach § 22 Abs 3 FELEG sind die durch das ASRG 1995 erweiterten Tatbestände des § 13 Abs 1 FELEG ab 1. Januar 1995 (Art 48 Abs 1 ASRG 1995) auch dann anzuwenden, wenn sie bereits vor jenem Zeitpunkt erfüllt sind.

Der Rechtsbegriff "auf Grund" beschreibt nach allgemeinem juristischem Sprachgebrauch einen kausalen Zusammenhang. Nichts anderes gilt im Regelungszusammenhang des FELEG (vgl zu §§ 9, 13 FELEG bereits den Senatsbeschluß vom 18. März 1999 - B 10 LW 11/98 B -, auszugsweise abgedruckt in Neue Landwirtschaft - Briefe zum Agrarrecht 1999, 390 f). Das Gesetz verwendet diesen Begriff nicht nur in § 9 Abs 1 Nr 1 und § 13 Abs 1, sondern an zahlreichen weiteren Stellen (§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr 4, § 3 Abs 3, § 6 Abs 3 Satz 5 Nr 1, § 16 Abs 1). Die Bedeutung ist überall dieselbe. Zu Recht hat das LSG sie in der Forderung nach einem Kausalzusammenhang nicht lediglich im philosophisch-naturwissenschaftlichen Sinne (conditio sine qua non) erkannt. Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinn ist hier zwar notwendig, sie reicht für den Anspruch auf Ausgleichsgeld aber nicht aus.

Auf dem Gebiet der Sozialversicherung, insbesondere der Unfall- (BSGE 45, 176, 178 = SozR 2200 § 548 Nr 37), aber auch in der Kranken- (BSGE 33, 202, 204 = SozR Nr 48 zu § 182 Reichsversicherungsordnung (RVO)) und Rentenversicherung (BSGE 30, 167, 178 = SozR Nr 79 zu § 1246 RVO), im Recht der sozialen Entschädigung (BSGE 79, 87, 88 = SozR 3-3800 § 2 Nr 5) und im Arbeitsförderungsrecht (BSGE 69, 108, 110 ff = SozR 3-4100 § 119 Nr 6) sowie beim sozialrechtlichen Herstellungsanspruch (Bundessozialgericht (BSG) vom 5. Mai 1988 - 12 RK 44/86 - SozSich 1988, 382) wird in ständiger, vom Schrifttum nahezu einhellig gebilligter Rechtsprechung die Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung angewandt, die in der Rechtsprechung auch als Theorie der "wesentlich mitwirkenden Ursache" bezeichnet wird (hierzu im einzelnen mit umfangreichen Nachweisen auch: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band II S 480 ff, Stand: 1989 sowie Erlenkämper in: Erlenkämper/Fichte, Sozialrecht, 4. Aufl 1999, S 74 ff). Es gibt im Gesetz keinen Anhaltspunkt noch sonst einen sachlichen Grund, warum dies im Regelungsbereich des FELEG anders sein sollte. Die hierin geregelten Leistungen - die Produktionsaufgaberente für ältere landwirtschaftliche Unternehmer sowie das Ausgleichsgeld für ältere landwirtschaftliche Arbeitnehmer und mitarbeitende Familienangehörige - mögen zwar vorwiegend agrarstrukturelle Ziele verfolgen (vgl die Antwort der Bundesregierung vom 7. Februar 1995 auf eine parlamentarische Kleine Anfrage, BT-Drucks 13/391 S 8) - sie sind aber Sozialleistungen: § 18 Abs 1 FELEG bestimmt die entsprechende Geltung der für die Alterssicherung der Landwirte maßgebenden Vorschriften des Ersten, Vierten und Zehnten Buches Sozialgesetzbuch; § 18 Abs 4 FELEG ordnet an, daß Streitigkeiten in Angelegenheiten dieses Gesetzes Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung sind und demgemäß nach § 51 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit fallen.

Daraus folgt: Bei der in § 9 Abs 1 FELEG geforderten Feststellung eines kausalen Zusammenhanges dürfen als Ursachen für das Ende der Beschäftigung eines landwirtschaftlichen Arbeitnehmers - unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes - nur die (naturwissenschaftlich wirksam gewordenen) Bedingungen angesehen werden, die wegen ihrer besonderen Beziehungen zu dem Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BSGE 1, 72, 76; Urteil des Senats vom 12. Juni 2001 - B 9 V 5/00 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Die Beurteilung, ob eine Bedingung wesentlich und deshalb (auch) rechtlich Ursache oder Mitursache ist, stellt eine Wertentscheidung dar (BSGE 69, 108, 113 = SozR 3-4100 § 119 Nr 6). Sie richtet sich nach der Qualität der Bedingung, die nicht davon abhängt, an welcher Stelle der Kausalkette sie steht. Insbesondere ist eine Bedingung nicht erst (oder schon) deshalb wesentlich, weil sie als letzte eingetreten ist und den Erfolg sichtbar gemacht hat (vgl BSGE 13, 40, 42 = SozR Nr 9 zu § 35 Bundesversorgungsgesetz). Entscheidend kommt es stets auf die Umstände des einzelnen Falles an (vgl BSG SozR 2200 § 548 Nr 81). Sind zwei oder mehr Ereignisse im gleichen Maße wesentlich für den Erfolg, dann sind sie sämtlich wesentliche Bedingungen und damit Ursachen im Rechtssinn (BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO); ist eine der Bedingungen oder sind mehrere Bedingungen gemeinsam gegenüber anderen Bedingungen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur jene die wesentliche Bedingung und damit die Ursache im Rechtssinne der geltenden Kausalitätslehre (BSGE 12, 242, 245 f = SozR Nr 27 zu § 542 aF RVO).

Dem Urteil des LSG läßt sich entnehmen, daß es - zutreffend - zwischen der Kausalitätsfeststellung (im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn) als Tatsache und deren Subsumtion unter den Rechtsbegriff der "wesentlichen Ursache" (BSGE 1, 268, 269 f; 7, 288, 290 f; Urteil des Senats vom 29. Juli 1998 - B 9 V 10/97 R -, SGb 1998, 582 f; May, Die Revision, 2. Aufl 1997, 374 f; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl 1997, 402) unterschieden hat. Das angegriffene Urteil stellt fest, der Kläger sei als Tierpfleger gekündigt worden, weil durch eine Änderung der Fütterungstechnik Arbeitskräfte hätten eingespart werden können. Die Änderung in der Fütterungstechnik (Umstellung auf Fertigfutter bei der Schweinemast) sei ihrerseits auch nicht durch Flächenstillegungen erzwungen worden. Die Entlassung des Klägers sei "allenfalls nur mittelbar" auf die Flächenstillegungen zurückzuführen. Von den danach festgestellten Mitursachen hat das Berufungsgericht - rechtsfehlerfrei - die Modernisierung der Fütterungstechnik als gewichtiger, die Flächenstillegung dagegen als nicht wesentlich für das Beschäftigungsende gewertet.

Die dieser Wertung zugrundeliegenden Tatsachenfeststellungen hat der Kläger nicht angegriffen. Sie sind deshalb für den Senat bindend (§ 163 SGG). Daran ändert der Hinweis des Klägers auf die Bescheinigung seiner ehemaligen Arbeitgeberin über das Motiv für die Entlassung nichts. Diese Angabe mag Anlaß sein, der Frage nachzugehen, ob die Entlassung - wie vom Gesetz gefordert - "auf Grund" einer Flächenstillegung erfolgt ist. Durch die Arbeitgeberbescheinigung wird diese Frage aber nicht beantwortet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Rechtskraft
Aus
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