B 10 LW 24/01 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Alterssicherung der Landwirte
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 LW 24/01 R
Datum
Kategorie
Urteil

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 25. Oktober 2001 und des Sozialgerichts Halle vom 25. Februar 1999 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sämtlicher Rechtszüge sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Ausgleichsleistung für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft.

Die 1941 geborene Klägerin war seit 1959 bei verschiedenen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) und dann ab 1. Juli 1991 bei der LPG-Nachfolgerin L. O. als landwirtschaftliche Arbeitnehmerin beschäftigt. Nach 1994 war die Klägerin vom 2. bis 15. sowie vom 23. bis 31. Januar und dann auf Dauer ab 6. März 1995 arbeitsunfähig krank. Sie bezog während dieser Zeiten Krankengeld, vom 13. März bis zum 10. April 1996 Übergangsgeld und ab 11. April 1996 Berufsunfähigkeitsrente. Ab 1. August 1996 bewilligte die Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Die Beklagte lehnte es ab, zu dieser Rente Ausgleichsleistung nach dem Gesetz über die Errichtung einer Zusatzversorgungskasse für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft (ZVALG) zu bewilligen (Bescheid vom 24. Juni 1997; Widerspruchsbescheid vom 20. November 1997). Die Klägerin habe nach dem 31. Dezember 1994 nicht, wie in § 12 Abs 2b ZVALG gefordert, mindestens sechs Monate lang eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung als landwirtschaftliche Arbeitnehmerin ausgeübt. Die ab 1. Januar 1995 zurückgelegten Zeiten des Bezuges von Kranken- und Übergangsgeld könnten bei Berechnung der Beschäftigungsdauer nicht berücksichtigt werden.

Das Sozialgericht (SG) Halle hat die Beklagte verurteilt, ab 1. August 1997 Ausgleichsleistung zu zahlen (Urteil vom 25. Februar 1999). Das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 25. Oktober 2001). Die Klägerin habe nach dem 31. Dezember 1994 auch mindestens sechs Monate eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung als landwirtschaftliche Arbeitnehmerin iS des § 12 Abs 2b ZVALG ausgeübt. "Rentenversicherungspflichtige Beschäftigung" liege - nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) - Urteil vom 15. Dezember 1988 - 4/11a RZLw 1/87 - stets während einer mit Pflichtbeiträgen belegten Zeit vor. Dies gelte - wie sich aus § 166 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) ergebe - auch für Zeiten des Bezuges von Kranken- und Übergangsgeld. Dasselbe Ergebnis folge aus § 7 Abs 3 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV): eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt gelte längstens für einen Monat als fortbestehend, wenn das Beschäftigungsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauere. Die zeitliche Einschränkung auf einen Monat gelte aber nach Satz 2 der Vorschrift nicht, wenn - wie hier - Krankengeld in Anspruch genommen werde. Zu Unrecht nehme die Beklagte demgegenüber an, eine Beschäftigung werde nur dann "ausgeübt", wenn der Arbeitnehmer sie tatsächlich verrichte. Nach dieser Auffassung dürften auch Zeiten der Krankheit mit Lohnfortzahlungsanspruch oder Urlaubszeiten nicht berücksichtigt werden, während derer das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis unstreitig fortbestehe.

Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung des § 12 Abs 2b ZVALG und macht geltend: Für eine - von der Klägerin nicht erfüllte - Forderung nach tatsächlicher Arbeitsleistung sprächen außer dem Wortlaut der Vorschrift ("ausüben") und ihrem Standort im Gesetz (als § 12 Abs 2b statt Abs 1a) auch Sinn und Zweck der Regelung: Leistungen nach dem ZVALG sollten ausschließlich den nachweislich im fachlichen Geltungsbereich des ZVALG (§ 2 Abs 2 ZVALG) Tätigen gewährt werden.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 25. Oktober 2001 und des Sozialgerichts Halle vom 25. Februar 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angegriffenen Entscheidungen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) einverstanden erklärt.

II

Die Revision ist begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ausgleichsleistung, weil sie nach dem 31. Dezember 1994 nicht für die in § 12 Abs 2b ZVALG geforderte Dauer von sechs Monaten eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung als landwirtschaftliche Arbeitnehmerin ausgeübt hat. Zu Recht hat die Beklagte bei Berechnung der Beschäftigungsdauer Zeiten des Bezuges von Krankengeld (und Übergangsgeld) nicht berücksichtigt.

Das ZVALG spricht seit jeher von einer von landwirtschaftlichen Arbeitnehmern "ausgeübten" Beschäftigung (vgl § 12 Abs 2 Satz 2 idF vom 31. Juli 1974, BGBl I 1660). Was darunter zu verstehen ist, erschließt sich aus den Materialien (BT-Drucks 7/2066 S 4):

Absatz 2 bestimmt, welche Zeiten den Zeiten einer Beschäftigung als landwirtschaftlicher Arbeitnehmer gleichstehen. Es handelt sich hierbei um die Ersatz- und Ausfallzeiten iS der Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung ...

Damit wird erreicht, dass die Zeiten, in denen der Arbeitnehmer unfreiwillig seine Arbeitnehmertätigkeit nicht ausüben konnte, den Zeiten der Ausübung der Tätigkeit gleichstehen.

Während einer rentenversicherungsrechtlichen Ersatz- oder Ausfallzeit übt ein Arbeitnehmer somit nach dem Verständnis des Gesetzgebers keine Arbeitnehmertätigkeit aus. Zu den Ausfallzeiten rechneten bei Inkrafttreten des Gesetzes (1974) "Zeiten, in denen eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch eine infolge Krankheit ... bedingte Arbeitsunfähigkeit ... mindestens einen Kalendermonat unterbrochen worden ist ..." (§ 1259 Abs 1 Nr 1 Reichsversicherungsordnung).

Nach dem ZVALG - jedenfalls nach dessen § 12 Absätze 1 und 2 - übt ein landwirtschaftlicher Arbeitnehmer mithin nur während solcher Zeiten eine Beschäftigung aus, in denen diese Beschäftigung im rentenversicherungsrechtlichen Sinne nicht unterbrochen ist. Denselben Inhalt hat der Begriff in § 12 Abs 2b ZVALG. Für eine abweichende Auslegung fehlt jeder Anhaltspunkt. Die Gleichstellungsvorschrift des § 12 Abs 2 ZVALG kann auf die in Abs 2b geforderte Mindestbeschäftigungsdauer auch nicht entsprechend angewendet werden. Abs 2b regelt selbstständig und abschließend, in welchem Fall den Zeiten ausgeübter Beschäftigung Zeiten nach Abs 2 gleichgestellt sind: nur bei den in Abs 1 genannten Beschäftigungszeiten, nicht bei der - für die Zeit nach dem 31. Dezember 1994 zusätzlich geforderten - Mindestbeschäftigungsdauer von sechs Monaten.

Die Klägerin hat nach dem 31. Dezember 1994 nur vom 16. bis zum 22. Januar und vom 1. Februar bis zum 5. März 1995 eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung als landwirtschaftliche Arbeitnehmerin ausgeübt und damit nur für sechs Wochen statt der erforderlichen sechs Monate. Im Übrigen war die Beschäftigung der Klägerin unterbrochen, weil sie arbeitsunfähig krank gewesen ist und Krankengeld (sowie Übergangsgeld) bezogen hat.

Die vom LSG für seine - entgegengesetzte - Auffassung angeführten Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Zu Unrecht beruft es sich für sein Verständnis vom Begriff der "rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung" als einer jeden mit Pflichtbeiträgen belegten Zeit auf Rechtsprechung des BSG (aaO). Dort ist lediglich entschieden, dass eine nicht mit Pflichtbeiträgen belegte Zeit nicht rentenversicherungspflichtige Beschäftigung sei. Die umgekehrte Aussage trifft das zitierte Urteil nicht.

Der Hinweis des Berufungsgerichts auf § 7 Abs 3 SGB IV geht in doppelter Hinsicht fehl. Zum einen ist diese Vorschrift erst zum 1. Januar 1999 in Kraft getreten, während hier Zeiten bis April 1996 zu beurteilen sind. Zum anderen hat die Vorschrift nicht den vom LSG angenommenen Inhalt. § 7 Abs 3 Satz 2 SGB IV fingiert nicht - wie das LSG meint - unter Ausnahme von der Monatsfrist des Satzes 1 den zeitlich unbegrenzten Fortbestand einer Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt, solange nur zB Krankengeld oder Übergangsgeld bezogen wird. Bei Bezug dieser Geldleistungen besteht die Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt nicht fort und gilt auch nicht - nicht einmal für einen Monat - als fortbestehend.

Die Vorschrift des § 12 Abs 2b ZVALG ist - mit dem vom Senat oben festgestellten Inhalt - verfassungsgemäß. Der Gesetzgeber hat den Personenkreis der zu Ausgleichsleistung berechtigten landwirtschaftlichen Arbeitnehmer des Beitrittsgebiets begrenzt, ohne dabei gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) zu verstoßen. Das Gleichbehandlungsgebot ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung nicht finden lässt. Im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit, zu dem das System der Ausgleichsleistung für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft gehört, hat der Gesetzgeber bei Abgrenzung des begünstigten Personenkreises weit gehende Freiheit. Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben hat der Gesetzgeber beachtet. Er hat die Zusatzversorgung für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft mit dem Agrarsozialen Reformgesetz (ASRG) 1995 ab 1. Januar 1995 auf die neuen Bundesländer ausgedehnt, dabei aber zur Begrenzung der aus Ansprüchen ab 1. Juli 1995 (§ 19 Satz 2 ZVALG) entstehenden finanziellen Lasten nur solche Personen zum System der Ausgleichsleistung zugelassen, die am 1. Juli 1995 bereits das 50. Lebensjahr vollendet hatten und nach dem 31. Dezember 1994 für mindestens sechs Monate eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung als landwirtschaftliche Arbeitnehmer ausgeübt haben. Ebenso wenig wie die - von der Klägerin erfüllte - Altersgrenze widerspricht die Forderung nach einer Mindestzeit ausgeübter Beschäftigung Art 3 Abs 1 GG. Sie schließt all jene vom System der Ausgleichsleistung aus, deren Zugehörigkeit zum Kreis der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer nach Inkrafttreten des ASRG 1995 sich inhaltlich und zeitlich nicht ausreichend dokumentiert. Die Unterscheidung zwischen "ausgeübter" und nicht ausgeübter, weil zB - wie hier - durch Arbeitsunfähigkeit mit Bezug von Kranken- oder Übergangsgeld unterbrochener Beschäftigung als landwirtschaftlicher Arbeitnehmer, knüpft an die Intensität der Zugehörigkeit zu diesem Personenkreis an und erweist sich damit als sachlich einleuchtender Grund.

Dem steht nicht entgegen, dass auch Krankengeld und Übergangsgeld nach § 166 Abs 1 Nr 2 SGB VI beitragspflichtige Einnahmen sind. Denn unabhängig von der Beitragspflicht etwa bezogener Lohnersatzleistungen lockert sich die Zugehörigkeit zum Personenkreis der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer, sobald der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer kein Arbeitsentgelt mehr zu zahlen oder fortzuzahlen hat.

Angesichts seiner weit gehenden Gestaltungsfreiheit war der Gesetzgeber auch nicht von Verfassungs wegen verpflichtet, die in § 12 Abs 2 ZVALG für Wartezeiten nach Abs 1 Buchst b getroffene Gleichstellungsregelung uneingeschränkt in den Abs 2b zu übernehmen oder - wie bei vertriebenen landwirtschaftlichen Arbeitnehmern (vgl Abs 2a) - von einer (sechsmonatigen) Mindestdauer ausgeübter Beschäftigung als Zugangsvoraussetzung zum System der Ausgleichsleistung abzusehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Rechtskraft
Aus
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