L 4 RJ 298/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 9 RJ 453/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 RJ 298/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 28. September 1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte berechtigt ist, von der Klägerin 6.374,73 DM wegen der Umwandlung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) in eine Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) zurückzufordern.

Die am ...1950 geborene Klägerin bezog bereits seit 1986 eine Invalidenrente nach den Vorschriften der Sozialversicherung (SV) der ehemaligen DDR. Seit dem 16.05.1978 ist die Klägerin bei der Stadtverwaltung C ... als Näherin/Wäscherin beschäftigt. Mit Bescheid der Beklagten vom 02.12.1991 erfolgte die Umwertung und Anpassung der Rente auf Grund des ab 01.01.1992 geltenden neuen Rentenrechts. Es wurde hierin mitgeteilt, dass die Bearbeitung nunmehr unter der Versicherungsnummer 09 ...513 erfolge und künftig eine Rente wegen EU geleistet werde. Der Bescheid enthielt auf Seite 2 u.a. einen Hinweis auf folgende Mitteilungspflichten: "Der Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit setzt voraus, dass die dafür vorgesehene Hinzuverdienstgrenze eingehalten wird. Dies wird zunächst unterstellt. Sollte diese Annahme nicht zutreffen, ist nur eine Rente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen. Die Hinzuverdienstgrenze wird zumindest dann eingehalten, wenn das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit im Monat den Betrag von 400,00 DM nicht übersteigt. Es besteht die Verpflichtung, jede bestehende und künftige Beschäftigung oder Tätigkeit mit einem Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen von mehr als 400,00 DM unverzüglich mitzuteilen."

Auf Grund eines EDV-Ausdruckes vom 16.11.1995 ergab sich für die Beklagte der Hinweis, dass für die Klägerin zwei Versicherungsnummern verwendet wurden. Mit Schriftsatz vom 14.05.1996 wurde die Klägerin von der Beklagten aufgefordert, zukünftig nur noch die Versicherungsnummer 09 ...513 zu verwenden. Das Versicherungsnachweisheft und der SV-Ausweis mit der ungültigen Versicherungsnummer 09 ...522 sei bei der Krankenkasse abzugeben. Sofern die Klägerin in einem versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnis stehe, sei es unbedingt erforderlich, dem Arbeitgeber dieses Schreiben vorzulegen. Auf Grund des Auskunftsersuchens der Beklagten vom 14.06.1996 teilte die Stadtverwaltung C ... als Arbeitgeber der Klägerin am 21.06.1996 mit, dass die Klägerin an drei Tagen pro Woche täglich drei Stunden beschäftigt sei bei einer monatlichen Vergütung von 636,36 DM.

Mit Bescheid vom 30.10.1996 hob die Beklagte den Umwertungsbescheid vom 18.11.1991 (richtig: 02.12.1991) rückwirkend zum 01.01.1992 insoweit auf, als nur noch eine Rente wegen BU zu gewähren sei. Dies ergebe sich aus § 302a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Die Klägerin beziehe seit dem 01.01.1992 ein Arbeitsentgelt in Höhe von monatlich 507,25 DM, welches die Hinzuverdienstgrenze nach § 302a Abs. 2 SGB VI in Höhe von monatlich 400,00 DM (1992) überschreite. Ab dem 01.12.1996 werde monatlich eine BU-Rente in Höhe von 1.063,43 DM gezahlt. Es habe sich für die Vergangenheit eine Überzahlung 6.374,73 DM ergeben, deren Rückforderung beabsichtigt sei. Hierzu könne die Klägerin innerhalb von drei Wochen Stellung nehmen.

Am 19.11.1996 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. Ihr Arbeitgeber habe ständig den Arbeitslohn der Hinzuverdienstgrenze angepasst. Es bestünden Unklarheiten in der Aussage, ob diese Hinzuverdienstgrenze brutto oder netto zu bewerten sei. Aus dem Bescheid vom 18.11.1991 gehe dies nicht hervor. Hierzu teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 09.06.1997 mit, dass der Umwertungsbescheid den Hinweis enthalten habe, dass die Hinzuverdienstgrenze einzuhalten sei und dass jede Änderung der Einkommensverhältnisse mitzuteilen sei. Es befänden sich keinerlei Hinweise in der Rentenakte, dass die Ausübung einer Tätigkeit zumindest gemeldet wurde. Im Mai 1996 sei festgestellt worden, dass die Klägerin unter zwei verschiedenen Versicherungsnummern geführt wurde. In einer dieser Versicherungsnummern sei das Arbeitsentgelt übermittelt worden. Hinsichtlich der Prüfung der Hinzuverdienstgrenze seien die Bruttoeinkünfte maßgebend, § 14 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Mit Schriftsatz vom 05.12.1997 teilte der Bevollmächtigte der Klägerin mit, dass die Rückforderung in Höhe von 6.374,73 DM unter Verweis auf § 45 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) unberechtigt sei. Die Klägerin habe diesen Betrag längst verbraucht. Auch die in Ziffern 1 bis 3 des Abs. 2 genannten Voraussetzungen lägen seitens der Klägerin in keiner Weise vor. Insbesondere habe sie darauf vertrauen können, dass ihr Arbeitgeber durch seine Lohnbuchhaltung die Berechnungen ordnungsgemäß vornimmt und entsprechende Veranlassungen trifft, wenn die Hinzuverdienstgrenze überschritten wird. Der Beklagten sei seit Bewilligung der Rente im Jahre 1986 bekannt, dass die Klägerin noch Hinzuverdienst durch Arbeitstätigkeit erziele. Entsprechende Einkommensbelege und Abrechnungen seien über den Arbeitgeber ständig vorgelegt worden. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach den Absätzen 2 und 3 des § 45 SGB X nicht vor. Die Frist von zwei Jahren seit der Bekanntgabe sei seit langem abgelaufen. Für die verwaltungsinternen Fehler der Behörde (Zuordnung von zwei Versicherungsnummern) sei die Klägerin nicht verantwortlich zu machen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.05.1998 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zwar sei die nach § 24 Abs. 1 SGB X erforderliche Anhörung vor dem Erlass des Bescheides unterblieben. Die Verletzung dieser Verfahrensvorschrift sei jedoch nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X unbeachtlich, da die Anhörung im Widerspruchsverfahren nachgeholt wurde. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 45 SGB X seien erfüllt. Der Bescheid vom 02.12.1991 sei rechtswidrig gewesen, da bei Erlass davon ausgegangen worden sei, dass die Hinzuverdienstgrenzen eingehalten wurden. Tatsächlich habe die Klägerin jedoch Einkommen über der Hinzuverdienstgrenze erzielt. Nach § 302a Abs. 1 SGB VI sei in diesem Falle eine Rente wegen BU und nicht wegen EU zu leisten. Auf Vertrauen könne sich die Klägerin nicht berufen, da sie die Rechtswidrigkeit zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Aus dem Umwertungsbescheid habe sich unmissverständlich ergeben, dass die Einhaltung der Hinzuverdienstgrenze von monatlich 400,00 DM maßgebend für die Gewährung der EU-Rente sei. Die Klägerin sei ausführlich über ihre Mitteilungspflichten informiert worden. Daraus ergebe sich eindeutig, dass sie selbst verpflichtet gewesen wäre, ihren Verdienst der Beklagten mitzuteilen und sich dabei nicht auf den Arbeitgeber verlassen könnte. Wenn unklar gewesen wäre, ob der Betrag von 400,00 DM der Brutto- oder Nettoverdienst sei, hätte sie sich bei der LVA informieren müssen. Der Umwertungsbescheid habe daher gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden können. Die Rücknahme sei innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X erfolgt. In Ausübung des Ermessens sehe der Widerspruchsausschuss keine Möglichkeit, auf die Rücknahme zu verzichten. Die in Höhe von 6.374,73 DM erbrachte Leistung sei gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu erstatten, da der die Leistung begründende Verwaltungsakt vom 02.12.1991 insoweit aufgehoben worden sei.

Hiergegen richtet sich die am 10.06.1998 erhobene Klage. Die Klägerin habe bereits seit ihrer Invalidisierung im Jahr 1986 bei der Stadt Chemnitz als Angestellte in einem Kindergarten eine geringfügige Erwerbstätigkeit als Näherin ausgeübt und habe diese Tätigkeit bis heute ununterbrochen, allerdings mit erheblich reduzierter Stundenzahl, fortgeführt. Die entsprechenden sozialversicherungsrechtlichen Meldungen seien vom Arbeitgeber ordnungsgemäß durchgeführt worden. Der Klägerin sei bekannt gewesen, dass eine Hinzuverdienstgrenze einzuhalten sei. Dies wäre selbstverständlich auch dem Arbeitgeber der Klägerin bekannt. Deshalb veranlasste dieser bei entsprechenden tariflichen Einkommensänderungen, zuletzt im Jahre 1991, die Anpassung der Zahl der Arbeitsstunden an die Einhaltung der Hinzuverdienstgrenze von 400,00 DM. Ausweislich der Gehaltsnachweise seien die entsprechenden sozialversicherungsrechtlichen Meldungen und Beitragsabführungen an die Beklagte erfolgt. Aus dem Umstand, dass die Klägerin im Mai 1996 von der Beklagten aufgefordert wurde, ihrem Arbeitgeber den Umstand mitzuteilen, dass zwei Versicherungsnummern existieren, sei zu schließen, dass auch dem Arbeitgeber dieses Problem nicht bekannt war. Klägerseits werde davon ausgegangen, dass die Berechnung in dem Bescheid vom 30.10.1996 korrekt sei und auch die Ermittlung der Überzahlung rein mathematisch nicht zu beanstanden sei, dennoch sei die Rückforderung der Beklagten aus mehreren Gesichtspunkten rechtswidrig und deshalb aufzuheben. Der Klägerin sei hinsichtlich der Überzahlung keine grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen, da sie über ihren Arbeitgeber monatlich ihrer Informationspflicht Genüge getan habe. Wenn die Beklagte innerhalb ihres Organisationsablaufes nicht in der Lage sei, fehlerhafte Bearbeitungen über einen Zeitraum von über vier Jahren zu bemerken, dann habe sie dies selbst zu verantworten. Auch sei die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X nicht eingehalten. Die Beklagte müsse sich die Kenntnis aller ihrer Mitarbeiter zurechnen lassen. Da unstreitig sein dürfte, dass die Mitarbeiter der Beklagten sowohl von der Rentengewährung als auch von den Nebenerwerbseinkünften Kenntnis hatten, sei faktisch davon auszugehen, dass die Beklagte bereits mindestens seit dem Umwertungsbescheid vom November/Dezember 1991 Kenntnis von diesen Umständen hatte. Darüber hinaus habe der Klägerin angesichts der monatlich geringfügigen Überzahlungsbeträge eine etwaige Überzahlung nicht ins Auge fallen müssen. Im Übrigen seien diese relativ geringfügigen Beträge für die Lebensführung der Klägerin bereits verbraucht. Eine Rückforderung eines Betrages von mehr als sechs Monatsrenten sei auch absolut unverhältnismäßig im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X.

Die Beklagte führte hierzu aus, dass das Vorliegen von zumindest grober Fahrlässigkeit nicht deshalb negiert werden könne, weil die Beklagte Kenntnis über den Arbeitsentgeltbezug über die Meldungen des Arbeitgebers erlangte. Auch sei es nicht primär Sache des Arbeitgebers, auf die Einhaltung der Hinzuverdienstgrenze zu achten.

Das Sozialgericht (SG) wies die Klage mit Urteil vom 28.09.1999 ab. Der Rücknahmebescheid der Beklagten vom 30.10.1996 sei hinsichtlich des Rückforderungsbetrages von 6.374,73 DM rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Im Übrigen seien die Bescheide nicht angefochten worden und daher in Bestandskraft erwachsen. Die Voraussetzung des § 50 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 45 SGB X seien erfüllt. Der Bescheid vom 02.12.1991 sei anfänglich objektiv rechtswidrig gewesen. Die Klägerin habe ausweislich der Meldung ihres Arbeitsgebers unter der Versicherungsnummer 49230750L522 im Jahre 1992 einen durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst von 507,25 DM erhalten und damit ein Erwerbseinkommen im Sinne des § 18 Abs. 2, 3 SGB IV erzielt, welches die im Jahre 1992 maßgebliche Hinzuverdienstgrenze zur Gewährung einer Rente wegen EU des § 302a Abs. 2 SGB VI (mindestens 400,00 DM) übersteige, so dass bereits zum 01.01.1992 nur ein Anspruch auf eine Rente wegen BU bestanden habe. Auch in den Folgejahren sei die geltende Hinzuverdienstgrenze durchgängig überschritten worden. Die von der Beklagten vorgenommene Aufhebung für die Vergangenheit rechtfertige sich auf Grund grober Fahrlässigkeit der Klägerin hinsichtlich der Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes vom 02.12.1991. Grobe Fahrlässigkeit sei insbesondere anzunehmen, wenn der Betroffene auf Grund einfachster und ganz nahe liegender Überlegungen hätte erkennen können, dass dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. In dem Bescheid vom 02.12.1991 sei die Klägerin deutlich auf die Bedeutung der Hinzuverdienstgrenze und auf die Verpflichtung zur Mitteilung des Bezuges von Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen hingewiesen worden. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung habe sie den Bescheid vom 02.12.1991 vollständig gelesen, wisse jedoch nicht mehr, ob sie der Beklagten ihr Beschäftigungsverhältnis mitgeteilt habe. Die ab dem 01.01.1992 geltende Versicherungsnummer habe sie dem Lohnbüro ihres Arbeitgebers mitgeteilt. Damit habe die Klägerin in Kenntnis der auf Seite 2 des Bescheides vom 02.12.1991 angeführten Mitteilungspflichten dasjenige unberücksichtigt gelassen, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen, nämlich die Meldung ihrer Erwerbstätigkeit gegenüber der Beklagten. Gleichfalls habe die Klägerin Kenntnis darüber besessen, dass sie einen monatlichen Bruttoverdienst von über 400,00 DM erziele und ihr infolgedessen nur ein Anspruch auf eine Rente wegen BU zustehe. Somit sei der Klägerin grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Ziff. 3 SGB X zur Last zu legen, welche auch nicht dadurch entfalle, dass die Klägerin die neue Rentenversicherungsnummer dem Lohnbüro des Arbeitgebers mitgeteilt habe. Nach dem Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten habe der Arbeitgeber über den 31.12.1991 hinaus Verdienstmeldungen weiterhin unter der alten Versicherungsnummer abgegeben. Wenn die Klägerin jedoch zur Erfüllung der ihr obliegenden Mitteilungspflichten einen Dritten beauftragt, müsse sie sich sein Verhalten als eigenes zurechnen lassen. Der Klägerin wäre es möglich und zumutbar gewesen, anhand der Lohnabrechnungen nachzuprüfen, ob ab dem 01.01.1992 das Arbeitsentgelt der Beklagten tatsächlich unter der neuen Versicherungsnummer gemeldet worden und die ihr bekannte Hinzuverdienstgrenze von 400,00 DM eingehalten worden ist. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei auch die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten worden. Ausweislich der Verwaltungsakte habe die Beklagte erstmals am 13.05.1996 Kenntnis von der doppelten Kontoführung der Klägerin erhalten. Der Rückforderungsbescheid vom 30.10.1996 sei daher ersichtlich innerhalb der Jahresfrist ergangen. Die Beklagte habe auch das ihr gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X zustehende Ermessen erkannt und ausgeübt. Insbesondere liege ein erhebliches Mitverschulden der Beklagten an der Überzahlung, welches im Rahmen der Ermessensausübung zu beachten wäre, nicht vor. Ein Organisationsverschulden der Beklagten sei nicht ersichtlich. Zudem habe die Beklagte auch nicht den Grund zur Überzahlung seit dem 01.01.1992 gesetzt. Es wäre der Klägerin zumutbar und möglich gewesen, durch ihre Mitteilung des bestehenden Beschäftigungsverhältnisses an die Beklagte eine Überzahlung zeitnah zu verhindern.

Die Rückforderung des Betrages von 6.374,73 DM sei auch der Höhe nach rechnerisch nicht zu beanstanden.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 07.10.1999 zugestellte Urteil richtet sich die am 05.11.1999 eingelegte Berufung. Das Urteil des SG werde insoweit angegriffen, als es an die Mitteilungspflicht der Klägerin im Sinne des § 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) unverhältnismäßige Anforderungen stelle. Soweit das erstinstanzliche Gericht der Klägerin grobe Fahrlässigkeit vorwerfe, stimme dies weder mit den damaligen objektiven Umständen noch mit der zu dieser Frage entwickelten Rechtsprechung der oberinstanzlichen Gerichte überein. Gerade die vom SG zitierte Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach nämlich "einfachste und nahe liegende Überlegungen" zu der Erkenntnis führen müssen, dass ein wie auch immer gearteter Fehler vorliege, sei in keiner Weise geeignet, den Vorwurf des Gerichts gegenüber der Klägerin zu stützen. Das BSG verlange darüber hinaus noch in seiner erwähnten Entscheidung, dass eine "Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes" vorliegen müsse, um den Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu rechtfertigen. Außerdem sei pauschal daran erinnert, dass sich der streitgegenständliche Vorfall nämlich die Rentenumwertung auf Ende 1991/Anfang 1992 beziehe, also eine Zeit, als die überwiegende Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung noch völlig unerfahren mit verwaltungsrechtlichen Gepflogenheiten und Erfordernissen waren. Weiter sei darauf zu verweisen, dass die vom SG zitierten Hinweise im Umwertungsbescheid eben gerade nicht hinreichend klar und eindeutig waren, jedenfalls nicht für einen völlig unerfahrenen Bürger. Aus diesen Mitteilungspflichten sei nicht ohne weiteres zu ersehen, dass die Beklagte auch dann eine Meldung zu einer ausgeübten Nebentätigkeit haben wolle, wenn diese bereits seit Jahren bekannt und berücksichtigt sei. Diesen Umstand lasse das erstinstanzliche Gericht völlig unbeachtet, denn es gehe in diesem Falle nicht darum, dass die Beklagte überhaupt erstmalig eine Rente gewähre und folglich keine Kenntnis von der Nebentätigkeit habe und deshalb auf die Mitteilung der Klägerin angewiesen gewesen wäre. Das Gericht setzte sich nicht damit auseinander, dass die Beklagte es offenbar in ihrem Organisationsablauf unterlassen habe, die vormals gesondert gemeldeten Einkünfte neben dem Bezug von Invalidenrente bei der Umwertung in die EU-Rente meldetechnisch mit zu erfassen, sondern diese Ummeldung schlicht und ohne ausdrücklichen Hinweis an die Betroffenen, den Rentenempfängern überbürdet. Die Klägerin habe vielmehr nach vernünftigen Erwägungen genau das einzig Richtige getan, indem sie ihrem Arbeitgeber, einer lohnbuchhalterisch und versicherungsrechtlich erfahrenen Behörde, den Bescheid vorgelegt und diesen zur Veranlassung der jeweiligen Meldungen aufgefordert hat. Auch gehe das SG fälschlicherweise davon aus, dass die Klägerin die Möglichkeit gehabt habe, zu überprüfen, ob der Arbeitgeber die Meldung des Nebeneinkommens korrekt unter der neuen Versicherungsnummer vornimmt, weil angeblich die Versicherungsnummer auf den Gehaltsauszügen vermerkt sei. Dies sei unzutreffend, denn ausweislich der hier vorliegenden Gehaltsnachweise sei die Versicherungsnummer bis 1995 nicht auf den Gehaltsnachweisen vermerkt worden. Auch die Problematik der Verursachung der Überzahlung durch die unzulängliche Organisation bei der Beklagten lasse das erstinstanzliche Gericht völlig unbeachtet. Die Beklagte habe selbst die Ursache damit gesetzt, dass sie zu keiner Zeit die fast gleichlautenden Versicherungsnummern und die zwangsläufig identischen Personalien zum Anlass einer Prüfung der Angelegenheit genommen habe. Es sei kein grob fahrlässiges Verschulden der Klägerin, wenn sie unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse und im Vertrauen auf die Sachkenntnis ihres Arbeitgebers davon ausgehe, dass dieser die Vorschriften korrekt berücksichtigt und die SV-Meldungen korrekt vollzieht. Auch sei nach der Abrechnung im Bescheid vom 30.10.1996 die monatliche Differenz so gering, dass dies der Klägerin nicht habe auffallen müssen. Ebenso nachvollziehbar sei deshalb auch der berechtigte Einwand der Klägerin, dass diese relativ geringfügigen monatlichen Beträge bereits verbraucht seien. Aus diesen Gründen seien die Voraussetzungen des § 45 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 3 SGB X gerade nicht gegeben. Das "Rechenmodell" des SG hinsichtlich der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X sei aus Klägersicht nicht nachvollziehbar.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

das Urteil des SG Chemnitz vom 28.09.1999 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 30.10.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.1998 insoweit aufzuheben, als der Bescheid vom 02.12.1991 mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben wird und eine Rückforderung für den Zeitraum vom 01.01.1992 bis zum 30.11.1996 in Höhe von 6.374,73 DM erhoben wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das Urteil des SG Chemnitz für zutreffend. Die Klägerin sei im Umwertungsbescheid eindeutig und unmissverständlich darüber informiert worden, dass der Bezug von Arbeitsentgelt neben dem Rentenbezug Einfluss auf Höhe und Anspruch von Letzterem habe. Die Klägerin sei ihren Mitteilungspflichten nicht nachgekommen. Damit liege der Tatbestand der groben Fahrlässigkeit vor. Ein Mitverschulden der Beklagten sei nicht gegeben. In den Anfangsjahren der Einführung und Installierung des für die Rentenversicherung auch im Beitrittsgebiet seit 01.01.1992 gültigen neuen Systems funktionierte das Verfahren bezüglich Doppelvergabeverdacht von Versicherungsnummern nicht in gewünschtem und erforderlichem Maße. Dieses technische Problem betraf alle Rentenversicherungsträger. Damit läge kein Organisationsverschulden der Beklagten vor, welches ihr anzulasten wäre. Eine Interessenabwägung nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X ergebe daher, dass an der Korrektur der Verwaltungsentscheidung festzuhalten sei. Es werde nochmals darauf verwiesen, dass die Beklagte keine Kenntnis vom Entgeltbezug der Klägerin neben dem Rentenbezug erlangen konnte, da die Rentenzahlung unter einer anderen Versicherungsnummer lief als die Arbeitsentgeltmeldung.

Zur Sachverhaltsaufklärung legte die Klägerin ihren Bescheid über die Erhöhung der Rente zum 01.12.1989 sowie diverse Lohnabrechnungen aus den Jahren 1991 bis 1997 vor. Am 05.04.2000 fand ein Termin zur Erörterung des Sachverhalts mit den Beteiligten vor dem Sächsischen Landessozialgericht (LSG) statt, in dessen Nachgang die Klägerin Bescheinigungen zur Sozialversicherung vom 05.10.1992 und 19.07.1993 überreichte.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und auf die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§ 143, § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und auch im Übrigen zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.

Der Antrag im Berufungsverfahren vom 04.11.1999 ist bei Berücksichtigung der Berufungsbegründung so auszulegen, dass - ebenso wie im Klageverfahren - lediglich die Rückforderung für die Vergangenheit angegriffen wird.

Zu Recht hat das Sozialgericht (SG) Chemnitz jedoch die Klage abgewiesen. Der Rücknahmebescheid vom 30.10.1996 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 11.05.1998 ist auch hinsichtlich der streitgegenständlichen Rücknahme des Bescheides vom 02.12.1991 für die Vergangenheit und der damit einhergehenden Rückforderung rechtmäßig.

Zutreffend hat das SG ausgeführt, dass die Rücknahme des Bescheides vom 02.12.1992 auch mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen konnte. Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden, soweit er rechtswidrig ist. Dass der Umwertungsbescheid vom 02.12.1991 anfänglich objektiv rechtswidrig war, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Gemäß § 302a Abs. 1 SGB VI (in der Fassung des Gesetzes bis zum 31.12.2000) war in den Fällen, in denen am 31.12.1991 ein Anspruch auf eine nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets berechnete Invalidenrente bestand, vom 01.01.1992 an eine Rente wegen EU zu leisten, wenn die Hinzuverdienstgrenzen nach Abs. 2 nicht überschritten werden, andernfalls wurde sie als Rente wegen BU geleistet. Diese Hinzuverdienstgrenze betrug bis zum 31.03.1999 bei einer Beschäftigung im Beitrittsgebiet im Monat 1/7 der monatlichen Bezugsgröße (Ost), mindestens aber 400,00 DM. Da die Klägerin jedoch bereits 1992 über einen durchschnittlichen monatlichen Verdienst von 507,25 DM verfügte, war die Gewährung einer EU-Rente von Anfang an rechtswidrig. Vielmehr hat bereits zum 01.01.1992 nur ein Anspruch auf Rente wegen BU bestanden. Entgegen der Auffassung der Klägerseite liegen jedoch auch die weiteren Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheides gemäß der Absätze 2 bis 4 des § 45 SGB X vor. Insbesondere ist ein Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X gegeben, so dass entsprechend § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann.

Gemäß § 45 Abs. 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Zu Recht hat das SG angenommen, dass ein Fall der Ziff. 3 vorliegt. Die Klägerin hat die Rechtswidrigkeit des Bescheides zumindest grob fahrlässig nicht gekannt. Hierbei wurden durchaus entgegen dem Berufungsvorbringen die Legaldefinition der groben Fahrlässigkeit sowie die einschlägige Rechtsprechung beachtet. Demnach liegt grobe Fahrlässigkeit dann vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Ein Kennenmüssen ist dann zu bejahen, wenn der Versicherte die Rechtswidrigkeit, d.h. die Fehlerhaftigkeit des Bescheides ohne Mühe erkennen konnte (BVerwGE 40, 212). Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der Rechtsprechung im Verwaltungs- und Zivilrecht dann vor, wenn außer Acht gelassen worden ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGHZ 10, 16). Nichts anderes gilt für das Sozialrecht: Der Versicherte muss unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit seine Sorgfaltspflichten in außergewöhnlich hohem Maße, d.h. in einem das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigendem Maße verletzt haben. Dieser Vorwurf muss der Klägerin hier gemacht werden. Damit werden keine unverhältnismäßig hohen Anforderungen an die Mitwirkungspflichten der Klägerin gestellt, wie der Prozessbevollmächtigte ausgeführt hat. Vielmehr wird der allgemein gültige Prüfungsmaßstab zugrunde gelegt. Wie die Klägerin eingeräumt hatte, war ihr klar, dass der Hinzuverdienst gewissen Grenzen unterlag. Dies war ihr schon seit Bezug der Invalidenrente nach dem Recht der DDR bekannt gewesen. Ebenso enthielt der Bescheid vom 02.12.1991 den eindeutigen Hinweis, jede bestehende und künftige Beschäftigung oder Tätigkeit mit einem Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen von mehr als 400,00 DM mitzuteilen. Da ausdrücklich auch "bestehende" Beschäftigungsverhältnisse erwähnt sind, greift das Argument der Klägerin nicht, sie sei der Ansicht gewesen, dass die seit Jahren ausgeübte Nebentätigkeit nicht mitgeteilt werden müsste. Immerhin gab die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung erster Instanz an, den Umwertungsbescheid vollständig gelesen zu haben. Diese Passage konnte aber bei verständiger Würdigung nicht anders verstanden werden. Es musste jedem einleuchten, dass auch bestehende Nebentätigkeiten zu melden waren, die zu Einkommen von mehr als 400,00 DM führten. Sofern sich die Klägerin dahingehend einlässt, dass sie im Unklaren war, ob der Netto- oder Bruttobezug von Einkommen gemeint ist, hätte sie sich entsprechend informieren müssen, und zwar bei der hierfür zuständigen Stelle, nämlich der Beklagten. Soweit sie trotz Zweifel darauf vertraut hat, dass das Nettoeinkommen gemeint sei, hat sie die erforderliche Sorgfalt in außergewöhnlich hohem Maße verletzt. Im Übrigen weist auch die vorgelegte Lohnabrechnung für Januar 1992 einen Nettobetrag von 449,54 DM aus, so dass sie sich hieraus schon gedrängt gefühlt haben müsste, die Beklagte zu informieren. Da sie dies entgegen den klaren Hinweisen im Umwertungsbescheid nicht getan hat, hat sie mindestens grob fahrlässig die Rechtswidrigkeit des Bescheides nicht erkannt.

Die Klägerin kann sich auch nicht auf die besondere Unerfahrenheit der Leistungsempfänger des Beitrittsgebietes in den Zeiten des Umbruchs berufen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Klägerin etwas abverlangt wurde, was sie nach ihrer persönlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit nicht leisten konnte. Nach ihrem eigenen Vortrag war ihr klar, dass die Rentenleistung vom Hinzuverdienst abhängig ist und dass der Verdienst der Beklagten mitzuteilen war. Sie glaubte lediglich, der Mitteilungspflicht über ihren Arbeitgeber nachgekommen zu sein. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Mitwirkungspflicht gemäß § 60 SGB I trifft zunächst den Leistungsempfänger. So ist auch der eindeutige Hinweis im Umwertungsbescheid gefasst: "Überzahlungen können vermieden werden, wenn Sie uns umgehend benachrichtigen." Nach § 60 SGB I, der die Mitwirkungsverpflichtung allgemein normiert, ist Schuldner und Adressat der Mitwirkungspflicht, wer die Sozialleistung beantragt, erhält oder zu deren Erstattung verpflichtet ist (Seewald in KassKomm, § 60 SGB I, Rn. 5). Erforderliche Mitteilungen muss der Leistungsberechtigte von sich aus machen, auch wenn der Leistungsträger eventuell schon anderweitig Kenntnis erlangt hat (vgl. Seewald, a.a.O., Rn. 25). Vorliegend erfüllte der Arbeitgeber der Klägerin auch nicht die Mitteilungspflicht der Klägerin, sondern eigene Pflichten, die ihn als Arbeitgeber und potenziellen Beitragsschuldner gegenüber der Einzugstelle (§ 28a SGB IV) trafen. Sofern die Klägerin der Ansicht war, dass der Arbeitgeber ihre Meldepflichten erfüllen würde, war sie bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt auch verpflichtet, zu überprüfen, ob dies der Fall war. Ob sie erkennen konnte, unter welcher Versicherungsnummer der Arbeitgeber das Einkommen meldete, ist unerheblich, denn die Mitteilungspflichten trafen originär sie als Leistungsempfänger. Aus welchen Gründen der Arbeitgeber die alte Versicherungsnummer weiter nutzte, ist insofern ebenso wenig relevant wie die Tatsache, dass er nach Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Hinzuverdienstgrenze auf Nettolohnbasis berücksichtigte. Soweit sich die Klägerin zur Erfüllung ihrer Mitteilungspflichten des Arbeitgebers bediente, musste sie sich auch dessen Fehlverhalten zurechnen lassen. Unbeachtlich in diesem Zusammenhang ist, ob die Klägerin auf Grund der Höhe der monatlichen Überzahlung auf die Rechtswidrigkeit schließen konnte, denn sie hätte schon aus den eindeutigen Hinweisen im Umwertungsbescheid die Rechtswidrigkeit erkennen müssen.

Da damit die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Bescheides kennen musste, kann sie sich grundsätzlich auf Vertrauensschutz im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X nicht berufen. Trotz vorgetragenen Verbrauchs der gewährten Leistungen überwiegt das öffentliche Interesse an der Rücknahme des Verwaltungsaktes. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte nicht eher die Fehlerhaftigkeit des Bescheides bemerkt hat. Wie sie vorgetragen hat, bestand damals noch nicht die Möglichkeit die Doppelvergabe von Versicherungsnummern herauszufiltern. Auch ist ihr insofern kein Organisationsverschulden vorzuwerfen. Für die Beklagte bestand keinerlei Anlass, eine Überprüfung der Leistungsberechtigung der Klägerin früher vorzunehmen. Die Meldung des Arbeitgebers erfolgte unter einer vollkommen anderen Versicherungsnummer an eine andere Abteilung der Beklagten. Es ist nicht ersichtlich, wie die Beklagte solche Fälle durch organisatorische Maßnahmen mit zumutbarem Aufwand herausgreifen soll.

Darüber hinaus hat die Beklagte auch die erforderlichen Fristen für die Rücknahme eingehalten. Da die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X gegeben sind, konnte der Verwaltungsakt entsprechend § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, und dies auch mit Wirkung für die Vergangenheit, § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X.

Zu Recht ging das SG davon aus, dass auch die Frist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X gewahrt ist. Hiernach muss die Behörde den Verwaltungsakt innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen zurücknehmen, welche die Rücknahme eines begünstigenden rechtswidrigen Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Klägerin kann hier aber nicht auf den Zeitpunkt der Meldung des Arbeitgebers unter der stillgelegten Versicherungsnummer Bezug genommen werden. Diese Meldung erfolgte auch nicht an die für den Rentenbezug maßgebliche Stelle. Entscheidend für den Fristlauf ist, dass die Dienststelle, die über die Rücknahme des Verwaltungsaktes zu entscheiden hat, Kenntnis von den relevanten Tatsachen hat (Wiesner in Schroeder-Printzen, SGB X, § 45, Rn. 33). Ob auf die positive Kenntnis des zuständigen Sachbearbeiters abzustellen ist, ist streitig (so insbesondere die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 48 VwVfG; Wiesner a.a.O. m.w.N.). Die Aktenkundigkeit der relevanten Tatsache kann daher genügen, wenn sie sich so aus der Akte ergibt, dass ein Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit des aufzuhebenden Verwaltungsaktes ohne weiteres erkennbar war. Kenntnis ist dann anzunehmen, wenn der Behörde die Tatsache so hinreichend bekannt war, dass ohne weiteres der Schluss auf einen Sachverhalt gezogen werden konnte, der die Rücknahme rechtfertigt. Die Jahresfrist beginnt jedoch nicht eher zu laufen, als der für die Entscheidung über die Aufhebung nach der Geschäftsverteilung des Leistungsträgers zuständigen die Aufhebbarkeit des Verwaltungsaktes ergibt (BSGE 63, 224). Da auf die Tatsachen abgestellt wird, welche die Rücknahme des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen, läuft die Jahresfrist nicht bereits dann, wenn der Behörde die Tatsachen bekannt werden, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des aufzuhebenden Verwaltungsaktes ergibt; vielmehr müssen auch die Tatsachen bekannt sein, die eine Rücknahme und zwar für die Vergangenheit rechtfertigen, so z.B. die Tatsachen, aus denen sich z.B. eine grobe Fahrlässigkeit oder ein Verschulden ergibt, z.B. BSGE 60, 239). Nach diesen Grundsätzen ist die Jahresfrist vorliegend gewahrt. Der Rücknahmebescheid vom 30.10.1996 wurde auch an diesem Tag versandt. Kenntnis über die Tatsache, die die Rücknahme für die Vergangenheit rechtfertigen, hatte die Beklagte jedoch nicht vor dem 13.05.1996. Erst zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte Kenntnis vom monatlichen Hinzuverdienst der Klägerin, welcher unter der stillgelegten Versicherungsnummer 49 ...522 gemeldet wurde. Zwar erhielt die Beklagte unter dem 27.09.1995 eine Mitteilung der AOK C ..., dass für die Klägerin zwei Versicherungsnummern gemeldet waren, doch konnte hieraus noch nicht die Rechtswidrigkeit des Umwertungsbescheides abgeleitet werden. Die Vergabe von zwei Versicherungsnummern hat zunächst erst organisatorische Auswirkungen. Nach dem Vermerk in der Akte der Beklagten wurde der AOK C ... am 29.02.1996 mitgeteilt, welche Versicherungsnummer zutreffend ist. Erst hiernach konnte von der Beklagten ermittelt werden, ob das Führen von zwei Versicherungsnummern irgendwelche Auswirkungen hatte. Die maßgeblichen Hinzuverdienste, die die Rücknahme des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigten, waren letztendlich erst am 13.05.1996 aktenkundig, also ca. ein halbes Jahr vor Erlass des Rücknahmebescheides. Die Tatsache, dass einer anderen Stelle der Beklagten bereits seit 1992 die Verdienstmeldungen der Klägerin vorlagen, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Zum einen handelte es sich hierbei um eine vollkommen andere Abteilung, welche auch nicht mit der Führung der Leistungsakte der Klägerin betraut war. Zum anderen konnte diese Stelle nicht erkennen, dass es sich hierbei um den Hinzuverdienst einer Rentenbezieherin handelt. Damit waren die entscheidungserheblichen Tatsachen noch nicht der Dienststelle bekannt, die über die Rücknahme des Verwaltungsaktes zu entscheiden hat.

Letztlich hat die Beklagte auch das ihr gemäß § 45 Abs. 1 SGB X zustehende Ermessen ausgeübt. Zwar enthält erst der Widerspruchsbescheid Ausführungen zu § 45 SGB X und zu den Erwägungen, die der Ermessensentscheidung zugrunde gelegen haben. Da jedoch die Widerspruchsbehörde die gleichen Kompetenzen besitzt wie die Ausgangsbehörde, ist dies für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung ausreichend. Die Ermessensausübung ist von dem Gericht nur eingeschränkt überprüfbar. Hierbei ist die Prüfung auf Ermessensfehler beschränkt. Derartige Fehler sind jedoch nicht ersichtlich. Weder liegt ein Ermessensnichtgebrauch vor noch kann festgestellt werden, dass ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt, d.h. dass sachfremde, willkürliche Erwägung angestellt worden sind. Auch aus der im Widerspruchsverfahren nachgeholten Anhörung (§§ 24, 41 Abs. 1 Nr. 3 Abs. 2 SGB X) ergaben sich keine Belange, deren Nichtberücksichtigung durch die Beklagte die Entscheidung willkürlich machen würde.

Da der Umwertungsbescheid vom 02.12.1991 gemäß § 45 SGB X mit Bescheid vom 30.10.1996 zu Recht mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wurde, war - wie im Widerspruchsbescheid ausgesprochen - die erbrachte Leistung gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu erstatten. Obwohl hier erstmals der Widerspruchsbescheid die Erstattungsverpflichtung der Klägerin konkret ausspricht, war ein weiteres Vorverfahren hierzu im Sinne der Prozessökonomie entbehrlich. Gründe dafür, dass die Rückforderung der Höhe nach nicht berechtigt wäre, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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