L 1 SB 18/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 7 SB 202/99
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 SB 18/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 16.12.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "RF" (Rundfunkgebührenbefreiung).

Dem am ... geborenen Kläger wurde infolge einer Knochenerkrankung Anfang 1948 der rechte Unter- und Anfang 1985 der rechte Oberschenkel amputiert. Aufgrund dieser Gesundheitsstörung war der Kläger in der ehemaligen DDR als Schwerbeschädigter anerkannt. Der Beklagte stellte mit Bescheid vom 15.06.1992 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "B", "G" und "aG" unter Berücksichtigung folgender Funktionsstörungen (dort und auch im Folgenden als "Behinderungen" bezeichnet) fest:

1. Verlust des rechten Beines im Oberschenkel ohne Prothesenversorgung
2. Funktionsbehinderung des linken Kniegelenkes (Gonarthrose) und Achsenfehlstellung
3. Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke
4. Knochensystemerkrankung mit erhöhter Brüchigkeit

Auf den Antrag des Klägers vom 07.04.1994, mit dem er erstmals die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "RF" begehrte, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 28.07.1994 nunmehr folgende Behinderungen fest:

1. Verlust des Beines rechts im Oberschenkel ohne Prothesenversorgung
2. Zuckerkrankheit
3. Bewegungseinschränkung des Schultergelenkes beidseits
4. Funktionsbehinderung des linken Kniegelenkes und Achsenfehlstellung
5. Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes beidseits
6. Knochenmarkserkrankung erhöhte Brüchigkeit

Im Übrigen lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab. Ein hiergegen eingelegter Widerspruch blieb erfolglos.

Am 11.01.1999 beantragte der Kläger bei dem Beklagten erneut die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "RF". Er gab an, dass sich sein Gesundheitszustand im Hinblick auf die Zuckerkrankheit und das linke Kniegelenk verschlimmert hätten. Er müsse stündlich Wasser lassen und sei nur noch mit Stützapparat und ohne Prothese gehfähig. Das Laufen mit Armstütze sei ihm aufgrund eines schmerzhaften Syndroms des rechten Handgelenks, Daumens, Zeigefingers und Mittelfingers unmöglich (zeitweilig).

Der Beklagte holte einen Befundbericht von Prof. Dr. H ..., von Dr. H ..., von Dr. G ..., Facharzt für Allgemeinmedizin, und von Dr. D ..., Fachärztin für Orthopädie, den ärztlichen Entlassungsbericht der ehemaligen Medizinischen Akademie "C ... G ... vom 06.04.1993, das Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 24.05.1995, erstattet durch SR Dr. B ..., und den ärztlichen Heilentlassungsbericht der Klinik am R ... vom 14.05.1996 ein. Nach Auskunft von Dr. G ... liegt die größte Behinderung im Verlust des rechten Beines, der nicht mit Prothese ausgeglichen werden könne. Folgeschäden, insbesondere des linken Kniegelenks, der Hüftgelenke und auch bedingt durch den Gang an zwei Stützstöcken beider Schultergelenke erschwerten die Fortbewegung des Klägers deutlich. Hinzukomme ein insulinpflichtiger Diabetes sowie ein Bluthochdruck. Insgesamt fühle sich der Kläger nicht in der Lage, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, die länger als eine Stunde dauerten. Dr. D ... stellte beim Kläger zuletzt am 23.02.1999 einen Zustand nach Oberschenkelamputation rechts, eine fibröse Dysplasie der linken Tibia, eine ausgeprägte Valgusgonarthrose links mit instabilem Genu valgum, eine rezidivierende Epicondylalgie humeri radialis rechts, ein rezidivierendes ulnares und Medianuskompressionssyndrom (links mehr als rechts), ein zervikales myofasziales Schmerzsyndrom beidseits sowie eine Omarthrose beidseits fest. Der Gang des Klägers an zwei Unterarmstützen mit Oberschenkel-Unterschenkel-Schienen-Hülsen-Apparat sei mühsam. Das Gehvermögen betrage 50 m. Die Mobilität des Klägers werde jetzt zusätzlich durch degenerative Schultergelenksbeschwerden sowie Tendopathien im Bereich des Schultergürtels, durch degenerative Veränderungen und Ansatztendinosen im Bereich des Ellenbogens sowie durch degenerativ bedingte Bewegungseinschränkungen und Nervenkompressionssyndrome der Hohlhand beidseits eingeschränkt. Der Kläger könne keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Er benutze noch seinen Privat-Pkw, ansonsten sei ihm eine Teilnahme am öffentlichen Leben überhaupt nicht möglich. Steh- und Gehsicherheit seien im Vergleich zu den Vorbefunden deutlich gemindert.

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 27.04.1999 den Antrag des Klägers auf Zuerkennung des Nachteilausgleichs "RF" ab. Zwar bestehe beim Kläger nunmehr auch ein Schmerzsyndrom beider Arme und Hände. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "RF" lägen indes nicht vor. Auf den Widerspruch des Klägers vom 26.05.1999 veranlasste der Beklagte dessen gutachterliche Untersuchung. Dr. P ... stellte in seinem Gutachten vom 01.07.1999 fest, dass der Kläger ohne Begleitperson allein mit zwei Unterarmstützen und Schienen-Hülsen-Apparat am linken Bein mit eigenem Pkw mit Automatik zur Untersuchung erschienen sei. Der Kläger habe angegeben, dass er das Haus mit dem Pkw zu Arztbesuchen verlasse oder den Garten in Dresden-Johannstadt aufsuche. Er fahre seine ebenfalls gehbehinderte Ehefrau auch zu Einkäufen. Einen Rollstuhl zur Verbesserung der Mobilität insbesondere im Winter wolle der Kläger nicht. Ein ständiger Ausschluss des Klägers aus der allgemeinen Öffentlichkeit bzw. eine praktische Bindung an die Wohnung aufgrund der Behinderung liege nicht vor.

Der Kläger hat zur gutachterlichen Untersuchung Stellung genommen. Er ist der Ansicht, er könne an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen, da sein "Laufradius" ca. 50 m betrage und er keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen könne. Mit Unterstützung seiner Frau bewältige er mit großer Anstrengung die sieben Stufen zu seiner Wohnung. Er sei 70 Jahre alt und mit den Unterarmstützen sei er schon mehrfach gestürzt, vor allem bei Nässe und Glätte. Deshalb könne er die Wohnung nur bei Trockenheit und im Winterhalbjahr fast überhaupt nicht verlassen. Seit 1993 habe er eine schwere Diabetes, infolgedessen er sich dreimal spritzen und fünfmal essen müsse. Die Fortbewegung im Rollstuhl sei ihm grundsätzlich nicht möglich aufgrund der Handgelenksversteifung und des (Schmerz-)syndroms rechts. Circa stündlich müsse er Wasser lassen.

Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.1999 (abgesandt am 02.08.1999) als unbegründet zurück.

Mit seiner am 26.08.1999 beim Sozialgericht Dresden (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Der Kläger hat unter anderem vorgetragen, dass er am 05.07.1999 einen Herzinfrakt erlitten habe, aufgrund dessen er mehrere Wochen in stationärer Behandlung gewesen sei und im September 1999 habe operiert werden müssen. Wegen seiner Herzerkrankung nehme er 11 verschiedene Medikamente täglich ein, einige darunter zweimal täglich. Aufgrund der Einnahme bestehe eine erhöhte Blutungsgefahr. Da er übermäßig Wasser in der Lunge habe, müsse er viel trinken und zusätzlich Wassertabletten einnehmen. Der (infolgedessen bestehende) Harndrang trete sehr plötzlich und sehr dringend auf. Aufgrund des Diabetes mellitus müsse er sich täglich dreimal Insulin in den Bauch spritzen und außerdem nach dem Spritzen essen. Auch leide er an Atemnot. Er berufe sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - - vom 06. März 1987 (Az.: 9a RVs 27/85). Dort werde ausgeführt, dass das Merkzeichen "RF" auch bei schweren Herzerkrankungen und schweren Lungenerkrankungen erteilt werden könne. Auch nach seinem Herzinfarkt könne er sich noch etwa 50 m mit Hilfe seiner Krücken zu Fuß fortbewegen, allerdings müsse er im Gegensatz zu vorher etwa auf der Hälfte der Strecke eine kurze Pause einlegen. Sitzprobleme der Art, dass er nicht mindestens eine Stunde sitzen könne, lägen bei ihm nicht vor. Bei einer kürzlich durchgeführten Lungenfunktionsprüfung sei festgestellt worden, dass seine Lungenleistung nur nur etwa 60 % betrage.

Das SG hat auf mündliche Verhandlung mit Urteil vom 16.12.1999 die Klage abgewiesen, da der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "RF" habe. Der Kläger sei nach seinem eigenen Vorbringen trotz der bei ihm vorliegenden Behinderungen nicht ständig daran gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Dem Kläger sei es möglich und zumutbar, eine Vielzahl öffentlicher Veranstaltungen - notfalls unter Zuhilfenahme eines Rollstuhls sowie einer Begleitperson - zu besuchen. Trotz der regelmäßigen Einnahme der Medikamente, des dreimal täglichen Insulinspritzens verbunden mit den bestimmten Essenszeiten sei es dem Kläger auch nach seinem Herzinfarkt im Juli 1999 weiterhin möglich, ohne Begleitung seine Wohnung zu verlassen, um mit seinem Auto Ärzte aufzusuchen, sich in seinem Garten zu bewegen oder seiner Ehefrau beim Einkaufen behilflich zu sein. Entsprechendes gelte hinsichtlich der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gemachten, durch die Einnahme von Gerinnungshemmern verursachten erhöhten Blutungsgefahr. Auch könne der Kläger nach eigenen Angaben länger als eine Stunde ohne größere Schwierigkeiten sitzen. Das BSG habe im Übrigen nicht entschieden, dass das Merkzeichen "RF" immer dann zu erteilen sei, wenn ein Schwerbehinderter an einer schweren Herzerkrankung oder einer schweren Lungenerkrankung leide. Erforderlich sei vielmehr, dass aufgrund dessen der Schwerbehinderte auf Dauer selbst mit Hilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln (z. B. Rollstuhl) öffentliche Veranstaltungen in zumutbarer Weise nicht besuchen könne. Gerade an der letzten Voraussetzung fehle es aber nach dem eigenen Vorbringen des Klägers.

Gegen das mit Einschreiben zugestellte Urteil (abgesandt am 23.02.2000) richtet sich die am 21.03.2000 eingelegte Berufung des Klägers. Das SG habe seine Entscheidung getroffen, ohne vom Herzzentrum oder von der Kureinrichtung die Gutachten zur Bewertung eingeholt zu haben, so dass es ohne jede Arztinformation zu seinem Herzinfarkt und Lungenbefund eine Einschätzung getroffen habe, die ihm gar nicht zustehe. Der Kläger hat den Reha-Entlassungsbericht der Klinik am Tharandter Wald vom 21.10.1999 sowie den Arztbericht des Krankenhauses Dresden-Friedrichstadt vom 21.07.1999, in dem der Kläger vom 06.07. bis 21.07.1999 stationär behandelt worden war, vorgelegt. Im Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt wurde beim Kläger unter anderem ein Zustand nach ventrikulärer Tachykardie und nach möglichem Myokardinfarkt (klinisch und Transaminasen) bei koronarer Zweigefäßkrankheit sowie eine mittelgradige obstruktive Lungenfunktionsstörung festgestellt. Aus der Anschlussrehabilitation wurde der Kläger ohne kardiale Insuffizienzzeichen in ambulante Weiterbehandlung entlassen. Limitierend für die Belastung zeige sich nach der Epikrise der Klinik am Tharandter Wald eine Exazerbation bei bekannter chronischer obstruktiver Lungenerkrankung bei allerdings fehlender Paraklinik. Der klinische Lungenbefund habe sich deutlich gebessert.

Der im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht anwesende und nicht vertretende Kläger beantragt sinngemäß,

unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Dresden vom 16.12.1999 den Bescheid des Beklagten vom 27.04.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.1999 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "RF" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat zur weiteren Ermittlung des medizinischen Sachverhalts einen Befundbericht von Dr. D ..., von Dr. M ..., Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie, sowie von Dr. G ... beigezogen. Nach Auskunft von Dr. D ... zek steht der aufgrund der letzten ausführlichen Untersuchung am 22.11.1999 festgestellte orthopädische Befund nicht gegensätzlich zu dem vom 23.02.1999. Der Kläger halte sich etwa 20 bis 90 Minuten in der Praxis auf. Dr. M ... gab an, dass der Kläger kardial aktuell beschwerdefrei sei. Durch die Amputation sei der Kläger im Bewegungsradius deutlich eingeschränkt, er sei aber nicht an die Wohnung gefesselt. Eine bevorzugte Behandlung des Klägers finde nicht statt. Es bestehe auch für den Kläger die übliche Wartezeit. Laut eines Arztberichts von Frau Dr. M ... vom 26.06.2000 ist die globale linksventrikuläre Funktion gering eingeschränkt. Nach dem Befundbericht von Dr. G ... besteht beim Kläger keine Ruhedyspnoe. Die Komplexität der beim Kläger vorliegenden Leiden ermögliche es ihm nicht, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Kurze Zusammenkünfte bis zu einer Stunde Dauer seien sicher möglich. An die Wohnung sei der Kläger aufgrund seiner Leiden nicht gefesselt. Er werde bei Eintreffen in seiner Praxis bevorzugt behandelt. Es wäre bisher nicht notwendig gewesen, dass sich der Kläger wegen längerer Wartezeiten habe hinlegen müssen.

Die Beteiligten haben zu den medizinischen Unterlagen Stellung genommen. Der Beklagte ist der Auffassung, dass aus dem Bericht der Orthopädischen Klinik der " Uni" D ... hervorgehe, dass der Kläger auf die Benutzung eines Pkw angewiesen sei. Das dürfte ihn dann auch in die Lage versetzen, zumindest an einem Teil der angebotenen öffentlichen Veranstaltungen entweder in geschlossenen Räumen oder im Freien in zumutbarer Weise teilnehmen zu können. Der Kläger gab an, dass er zum Beispiel im Winterhalbjahr wegen hoher Sturzgefahr bei Nässe, Glätte und Schnee an die Wohnung gefesselt sei. Bei Auswertung des Gutachtens des Hausarztes und der Orthopädin hätte SR B ... zu der Erkenntnis kommen müssen, dass von beiden Ärzten sein Zustand fachkompetent beurteilt worden sei, insbesondere auch die Unmöglichkeit des Besuches öffentlicher Veranstaltungen. Sein Gesundheitszustand habe sich weiter verschlechtert. Es sei ein Gehörsturz rechts mit Verminderung der Hörleistung, ein grauer Star beidseitig sowie eine beginnende Anaemie hinzugekommen.

Der Senat hat in erneuter Sachermittlung einen Befundbericht von Dr. B ..., Augenärztin, von Dr. G ... und von Dr. S ..., Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, eingeholt. Dr. B ... stellte beim Kläger eine Keratoconjunctivitis sicca beidseits, eine Cataracta senilis progressa beidseits sowie eine Retinopathia diab. I fest. Der Visus rechts und links betrage + 1,0, der GdB 10. Nach Auskunft von Dr. G ... beklagte der Kläger eine leichte Blutarmut. Dr. S ... führte aus, dass die rezidivierenden Hörstürze zu einer Zunahme der Schwerhörigkeit beim Kläger geführt hätten. Der GdB für den Tinitus betrage 10 bis 20, für die Schwerhörigkeit betrage der Gesamt-GdB 15.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 17.06.2001, beim Sächsischen Landessozialgericht am 20.06.2001 eingegangen, die "Terminsverschiebung" beantragt. Er sei vor Tagen schwer gestürzt und dadurch an die Wohnung gefesselt.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen verwiesen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in Abwesenheit des ordnungsgemäß geladenen Klägers verhandeln und entscheiden (§ 153 Abs. 1; 110 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Erhebliche Gründe, die die Ver- tagung der mündlichen Verhandlung geboten hätten, sind entgegen §§ 227 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO -, § 202 SGG vom Kläger nicht glaubhaft gemacht worden. Ein entsprechendes ärztliches Attest, das die Verhandlungsunfähigkeit des Klägers infolge des behaupteten Sturzes bestätigt, hat der Kläger nicht vorgelegt. Die Glaubhaftmachung war auch entgegen § 227 Abs. 2 ZPO, § 202 SGG erforderlich. § 227 Abs. 2 ZPO setzt zwar für deren Erforderlichkeit die Aufforderung durch das erkennende Gericht voraus. § 227 Abs. 2 ZPO ist indes einschränkend dahingehend auszulegen, dass dem Gericht die geltend gemachten erheblichen Gründe rechtzeitig jedenfalls dann dargetan werden müssen, wenn diese - wie hier - bereits mehrere Tage vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung feststanden und dem Kläger bekannt waren. Denn das Gericht muss die Möglichkeit haben, den Kläger zur Glaubhaftmachung aufzufordern, dieser seinerseits zur Glaubhaftmachung. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Vorschrift des § 227 Abs. 2 ZPO durch unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung gestellte Vertagungsgesuche, in denen die geltend gemachten erheblichen Gründe nicht glaubhaft gemacht wurden, unterlaufen wird. Das Vertagungsgesuch des Klägers ging indes erst einen Tag vor der angesetzten mündlichen Verhandlung und damit nicht rechtzeitig ein. Denn es war dem Senat angesichts der Postlaufzeiten nicht mehr möglich, den Kläger zur Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit derart aufzufordern, dass dem der Kläger bis zur mündlichen Verhandlung auch tatsächlich hätte nachkommen können. Eine Telefaxnummer hat der Kläger nicht angegeben.

Die statthafte, frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 - SGG -) ist zulässig, erweist sich in der Sache jedoch als unbegründet. Mit Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 27.04.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.1999 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des begehrten Nachteilsausgleichs, die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, bei ihm vorliegen (§ 4 Abs. 4 Schwerbehindertengesetz - SchwbG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.08.1986, BGBl. I 1421, berichtigt 1550). Der Kläger erfüllt nicht die Voraussetzungen, unter denen eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vorgesehen ist.

Behinderte sind nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 der "Verordnung der Sächsischen Staatsregierung über die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht" vom 06.01.1992 (Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt [SächsGVBl] 1992, Nr. 1 S. 16) i. V. m. Artikel 1 des "Gesetzes zum Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland" vom 19.12.1991 (SächsGVBl. 1991, S. 425) i. V. m. Artikel 4 § 6 des "Staatsvertrages über den Rundkfunk im vereinten Deutschland" von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien, wenn sie nicht nur vorübergehend um wenigstens 80 v. H. in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert sind und wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist eine enge Auslegung dieser Gebührenbefreiungsvorschrift geboten (vgl. unter anderem BSG, Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 = SozR 3-3870 § 4 Nr. 17 m. w. N.). Danach wird dem Zweck der Befreiung von der Gebührenpflicht für den Rundfunk- und Fernsehempfang dann genügt, wenn der Schwerbehinderte wegen seiner Leiden ständig, d. h. allgemein und umfassend vom Besuch von Zusammenkünften politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, staatlicher, unterhaltender oder wirtschaftlicher Art ausgeschlossen ist. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn er praktisch an das Haus gebunden ist und allenfalls an einer nicht nennenswerten Zahl von Veranstaltungen teilnehmen kann. Solange er mit technischen Hilfsmitteln (z. B. einem Rollstuhl) oder mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann, ist er von der Teilnahme am öffentlichen Geschehen nicht ausgeschlossen (vgl. BSG, Urteil vom 03.06.1987 - 9a RVs 27/85 = SozR 3870 § 3 Nr. 25; Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 = SozR 3-3870 § 4 Nr. 17).

Dieser restriktiven Auslegung hat sich der Senat in ständiger Rechtsprechung angeschlossen. An ihr ist auch deshalb festzuhalten, weil es zunehmend zweifelhaft erscheint, ob der genannte Nachteilsausgleich dem ihm zugedachten Zweck erfüllt. Die Nachteilsausgleiche sollen nach § 48 SchwbG zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile oder Mehraufwendungen dienen. Da fast jeder Haushalt mit einem Rundfunk- und einem Fernsehgerät ausgestattet ist, gleicht die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht folglich kaum mehr behinderungsbedingte Nachteile/Mehraufwendungen aus (vgl. BSG SozR 3-3870 § 48 Nr. 2 m. w. N.).

Bei dem Kläger ist zwar der (Gesamt-)GdB mit 100 festgestellt. Gleichwohl ist er trotz der bei ihm vorliegenden erheblichen Behinderungen nicht an der Teilnahme an Veranstaltungen im angeführten Sinne ausgeschlossen, da er kurze Strecken mit Hilfe der Unterarmstützen noch zu gehen vermag und zumindest mit Hilfe eines Rollstuhls und mit Hilfe einer Begleitperson an öffentlichen Veranstaltungen passiv und sitzend als Zuschauer oder Zuhörer teilnehmen kann.

Dies hat das SG zu Recht festgestellt und ergibt sich aus der vorliegenden medizinischen Dokumentation. Danach leidet der Kläger an einem Zustand nach Oberschenkelamputation rechts nach Osteomyelitis 1985, einer fibrösen Dysplasie der linken Tibia, einer ausgeprägten Valgusgonarthrose links mit instabilem Genu valgum, einer rezidivierenden Epicondylalgie humeri radialis rechts, einem rezidivierenden ulnaren und Medianuskompressionssyndrom (links mehr als rechts), einem zervikalen myofaszialem Schmerzsyndrom beidseits, einer Omarthrose beidseits, einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus, einer arteriellen Hypertonie, einem Zustand nach ventrikulärer Tachykardie und möglichem Myocardinfarkt bei koronarer Zweigefäßerkrankung, an einer obstruktiven Lungenfunktionsstörung sowie unter Hyperlipidämie. Aufgrund der beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen, insbesondere auf orthopädischem Gebiet, ist zwar die Bewegungsfähigkeit des Klägers derart eingeschränkt, dass er mit Hilfe der Unterarmstützen nur noch 50 m am Stück zurücklegen kann. Dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem SG selbst angegeben und steht in Übereinstimmung mit den medizinischen Feststellungen von Dr. D ... Gleichwohl ist der Kläger nicht praktisch "an sein Haus gefesselt". Vielmehr ist der Kläger nach seinen eigenen Angaben gegenüber dem Gutachter Dr. P ... in der Lage, seinen eigenen Pkw zu führen. Mit diesem erreicht er die ihn behandelnden Ärzte und seinen Garten in Dresden-Johannstadt. Außerdem fährt er seine ebenfalls gehbehinderte Ehefrau zu Einkäufen. Dies hat der Kläger auch nach seinem Herzinfarkt nicht in Abrede gestellt. Dem vom Senat beigezogenen Befundbericht von Dr. D ... ist zudem zu entnehmen, dass der Kläger 20 bis 90 Minuten in ihrer Praxis verweilt. Der Kläger war schließlich auch in der Lage, an der über eine Stunde dauernden mündlichen Verhandlung vor dem SG teilzunehmen. In dieser räumte er ein, dass er keine Sitzprobleme dergestalt habe, dass er nicht länger als eine Stunde sitzen könne. Infolgedessen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger im Stande ist, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen sowie seine Wohnung für eine erhebliche Zeitdauer zu verlassen. Hieraus folgt, dass der Kläger nicht nur in der Lage ist, zu einer öffentlichen Veranstaltung zu gelangen, sondern auch an ihr teilzunehmen. Soweit Dr. G ... hingegen der Ansicht ist, dass es dem Kläger aufgrund der Komplexität der Leiden nicht möglich sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, schließt sich dem der Senat nicht an, da Dr. G ... offensichtlich die oben dargelegten rechtlichen Gesichtspunkte nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt hat. Denn Dr. G ... hat auch angegeben, dass dem Kläger kurze Zusammenkünfte bis zu einer Stunde Dauer sicher möglich seien und der Kläger nicht an die Wohnung gefesselt sei. Folgt man dieser Aussage, so lässt sie nur den Schluss zu, dass der Kläger noch in der Lage ist, an mehr als einer nicht nennenswerten Anzahl von Veranstaltungen teilzunehmen (vgl. auch Sächs. Landessozialgericht, Urteil vom 11.02.1999 - L 4 SB 32/98).

Soweit der Kläger vorgibt, er sei aufgrund der Notwendigkeit, häufig die Toilette aufsuchen zu müssen, nicht in der Lage, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, ergeben sich aus der medizinischen Dokumentation keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger unter einer Harninkontinenz leidet. Vielmehr ist der Kläger nach eigenen Angaben noch in der Lage, die Toilette zum Wasserlassen aufzusuchen. Dem Kläger ist somit zum Beispiel ein Museums- oder ein Kinobesuch oder der einer Sportveranstaltung möglich, da in den entsprechenden Einrichtungen grundsätzlich Toiletten in ausreichendem Maße vorhanden sind, die der Kläger - zumindest mit einem Rollstuhl und einer Begleitperson - noch erreichen kann. Die Angst des Klägers infolge der Erforderlichkeit des häufigen Wasserlassens die Umwelt während einer Kinoveranstaltung zu belasten, kann die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" nicht rechtfertigen. Eine im Sinne des Schwerbehindertenrechts erhebliche Störung anderer Teilnehmer hierdurch in dem Sinne, dass es unzumutbar ist, den Kläger mit seiner Behinderung zu ertragen, ist nicht gegeben. Der Öffentlichkeit ist ein hohes Maß an Belastung durch behinderungsbedingte Auffälligkeiten zuzumuten, da das Schwerbehindertenrecht die Eingliederung und nicht die Ausgrenzung Behinderter zum Ziel hat. Deshalb kann das Merkzeichen "RF" auch nicht bereits deshalb vergeben werden, weil ein empfindsamer Behinderter mit Rücksicht auf andere Besucher wegen der Auswirkungen seiner Behinderung öffentliche Veranstaltungen meidet (BSG, Urteil vom 10.08.1993 - 9/9a RVs 7/91).

Im Übrigen hat das SG zu Recht auf die ständige Rechtsprechung des BSG hingewiesen, der sich auch der Senat angeschlossen hat (vgl. BSG, Urteil vom 12.02.1997 a. a. O.). Danach ist es selbst Behinderten, die an einer Harninkontinenz leiden, zuzumuten, Windelhosen zu benutzen, die den Harn bis zu zwei Stunden ohne Geruchsbelästigung für andere Menschen aufnehmen. Dies verstößt weder gegen die Würde des Menschen (Artikel 1 Grundgesetz - GG -) noch gegen den Sozialstaatsgrundsatz des Artikels 20 Abs. 1 GG.

Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, dass der Kläger auf Grund des Diabetes mellitus und des damit verbundenen dreimal täglich erforderlichen Insulinspritzens sowie der notwendigen Zwischenmahlzeiten vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen ist. Die Zufügung des Insulins erfolgt nach den Angaben des Klägers täglich um 7, 12 und 19 Uhr. 20 bis 30 Minuten später nehme er die entsprechende Mahlzeit zu sich. Daneben seien drei Zwischenmahlzeiten erforderlich. Die Zeitangaben belegen, dass dem Kläger zwischen den Insulinverabreichungen genug Zeit bleibt, um an einer öffentlichen Veranstaltung teilzunehmen. Zwischenmahlzeiten kann sich der Kläger vorbereiten und z.B. während eines Museumsbesuchs im meist angeschlossenen Cafe oder während eines Kinobesuchs oder einer Sportveranstaltung, bei denen das Verspeisen von Brötchen oder ähnlichem nicht unüblich ist, zu sich nehmen.

Ebenso wenig rechtfertigen die vom Kläger angegebenen Atembeschwerden oder die bei ihm festgestellte Herzkrankheit die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs. Zwar gehören nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) zu den Behinderten mit einem GdB von wenigstens 80, die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, auch Behinderte, bei denen schwere Bewegungsstörungen - auch durch innere Leiden (schwere Herzleistungsschwäche, schwere Lungenfunktionsstörung) - bestehen (vgl. Ziff. 33 Abs. 2c 1. Spiegelstrich der AHP). Aus den medizinischen Unterlagen ergeben sich indes keine Anhaltspunkte dafür, dass beim Kläger derart schwere Leiden auf internistischem Gebiet vorliegen. So wurde der Kläger aus der Rehabilitationsklinik im Oktober 1999 ohne kardiale Insuffizienzzeichen entlassen. Der Kläger war bis 75 Watt belastbar, ohne dass Ischämiezeichen oder Rhythmusstörungen auftraten. Nach Angaben von Frau Dr. M ... war der Kläger im Juni 2000 kardial beschwerdefrei. Auch Dr. G ... konnte eine Ruhedyspnoe nicht feststellen. Eine schwere Herzleistungsschwäche setzt hingegen bereits eine Leistungsbeeinträchtigung in Ruhe voraus. Ebenso wenig liegt beim Kläger eine schwere Lungenfunktionsstörung, die bei Atemnot bereits bei leichtester Belastung oder in Ruhe anzunehmen ist (vgl. Ziff. 26.9, Seite 83 der AHP), vor. Nach dem Entlassungsbericht des Krankenhauses Dresden-Friedrichstadt besteht beim Kläger "lediglich" eine mittelgradige obstruktive Lungenfunktionsstörung. Eine wesentliche Verschlechterung dieses Befundes seit der Entlassung des Klägers aus dem Krankenhaus Anfang September 1999 ist den medizinischen Unterlagen nicht zu entnehmen.

Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 2a) und b) der Verordnung der Sächsischen Staatsregierung über die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht. Danach sind von der Rundfunkgebührenpflicht auch Blinde oder nicht nur vorübergehen sehbehinderte Personen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 vom Hundert allein wegen der Sehbehinderung (Nr. 2a ) und Hörgeschädigte, die gehörlos sind oder denen die ausreichende Verständigung auch nicht mit Hörhilfen möglich ist (Nr. 2b), zu befreien. Aus den Befundberichten von Dr. B ... ergibt sich indes nicht, dass der Kläger wesentlich sehbehindert ist. Nach Auskunft von Frau Dr. B ... rechtfertigt die Einschränkung der Sehfähigkeit lediglich einen GdB von 10. Dr. S ... stellte beim Kläger zwar eine Schwerhörigkeit fest, indes setzen die AHP an beiden Ohren mindestens eine hochgradige kombinierte Schwerhörigkeit oder eine hochgradige Innenohrschwerhörigkeit voraus, für die ein GdB von wenigstens 50 anzusetzen ist (vgl. Ziff. 33 Abs. 2b der AHP). Für eine derartige Einschränkung des Hörvermögens ergeben sich auf der Grundlage des Befundberichts von Dr. S ... keine Anhaltspunkte.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved