Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 5 SB 63/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 SB 2/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 09. November 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Die am ... geborene Klägerin beantragte am 27.07.1995 bei dem Beklagten, Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) zu treffen. Als Gesundheitsstörungen gab sie Wirbelsäulenbeschwerden, Depressionen, Schlafstörungen, Folgen nach einer Schilddrüsenentfernung sowie ein Carpal-Tunnel-Syndrom an. Der Beklagte holte einen Befundbericht von Dipl.-Med. B ..., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, vom Arzt für Allgemeinmedizin P ..., dem Arztberichte von Dipl.-Med. B ..., Dr. L ... und Dipl.-Med. Pe ... beilagen, sowie einen Befundbericht von Dipl.-Med. Pe ..., Facharzt für Orthopädie, ein. Dipl.-Med. B ... stellte bei der Klägerin ein depressives Syndrom mit Angst- und Unruhezuständen und Schlafstörungen bei Arbeitslosigkeit und Partnerschaftskonflikten fest. Psychorelevante Symptome hätten nicht bestanden. Es handele sich um eine reaktive Depression. Dr. L ..., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, konnte im Bereich der rechten Hand der Klägerin hinsichtlich Motorik, Sensibilität und Koordination keine Auffälligkeiten feststellen. Trotz des etwas atypischen Beschwerdebildes habe sich rechts ein deutliches Carpal-Tunnel-Syndrom dargestellt. Nach Auskunft von Dipl.-Med. Pe ... bestehe auch eine Rhizarthrose beidseits sowie ein therapieresistentes lumbales Schmerzsyndrom bei Verdacht auf Segmentlockerung im Segment L 4/L 5 mit Retrolisthesis von L 5 gegenüber L 4 um etwa 5 mm auf der Grundlage einer Osteochondrosis intervertebralis.
Mit Bescheid vom 28.02.1996 stellte der Beklagte bei der Klägerin eine Behinderung mit einem GdB von 50 unter Berücksichtigung folgender Behinderungen fest:
1. Seelische Störung
2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule
3. Mittelnervendruckschädigung rechts (Carpal-Tunnel-Syndrom)
Bei der Bemessung des Gesamt-GdB ging der Beklagte von einem Einzel-GdB für die seelische Störung von 40, für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule von 20 und für die Mittelnervendruckschädigung rechts von 10 aus.
Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 22.03.1996 Widerspruch ein. Die erheblichen Funktionsstörungen verschiedener Wirbelbereiche mit einem Einzel-GdB von 20 sei zu ungünstig bewertet. Gerade die sich hieraus ergebende erhebliche Schmerzsymptomatik mit radikulären Ausfällen führe zu regelmäßiger Notwendigkeit der orthopädischen Behandlung. Ergänzend und integrierend zu bewerten seien auch noch die sich aus der Funktionsbeeinträchtigung der Handgelenke ergebenden Behinderungen, so dass hier insgesamt ein GdB von mehr als 50 vorliege.
Der Beklagte holte im Widerspruchsverfahren einen weiteren Befundbericht von Dipl.-Med. Pe ... ein. Dieser gab als weitere Diagnose "schnellender Finger 2 und 4, schnellender Daumen rechts" an. Für 01/97 sei die operative Revision im Bereich der schnellenden Finger und des schnellenden Daumens geplant. Weiterhin lag dem Beklagten das im Rentenverfahren erstellte nervenärztliche Gutachten von Dr. V ..., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 03.06.1996 sowie die Stellungnahme hierzu von Dr. H ... vom Sozialmedizinischen Dienst C ... vom 13.06.1996 vor. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.1997 zurück. Die Feststellung eines höheren Einzel- bzw. Gesamt-GdB als 50 lasse sich aus versorgungsärztlicher Sicht nicht begründen. Das Lendenwirbelsyndrom mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen bei Segmentlockerung L 4/L 5 und das Carpal-Tunnel-Syndrom rechts seien nach den vorliegenden Befunden ausreichend bewertet. Weitere Funktionsstörungen, die im Sinne des SchwbG zu berücksichtigen seien, lägen gegenwärtig nicht vor.
Mit der am 24.03.1997 beim Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr auf Feststellung eines höheren GdB als 50 gerichtetes Begehren weiterverfolgt.
Dem SG hat ein Befundbericht von Dr. P ..., der Heilentlassungsbericht der M ... Klinik L ..., ein Auszug aus den medizinischen Daten von Dr. Ha ... und Dr. J ..., Fachärzte für Chirurgie, Unfall- und Gefäßchirurgie, ein Befundbericht von Dr. L ... sowie von Dipl.-Med. Pe ... vorgelegen. Im Heil- entlassungsbericht vom 16.09.1997 ist festgestellt, dass der Schultergürtel, Schulter-, Ellenbogen, Hand- und Fingergelenke seitengleich frei beweglich und keine muskulären Atrophien erkennbar seien. Rechts zeige sich über dem palmaren Querband eine reizlose Narbe von 6 cm. Dr. Ha ... stellte bei der Klägerin erstmals am 10.08.1995 ein Carpal-Tunnel-Syndrom rechts fest. Dieses wurde nach seinen Aufzeichnungen Anfang Februar 1996 operiert. Am 20.01.1997 erfolgte eine In- und Excision des Bandes Daumen und 4. Finger sowie eine Entfernung des Knotens über 4. MHK rechts. Dr. L ... stellte bei der Klägerin im November 1997 ein deutliches Carpal-Tunnel-Syndrom links fest. Die Beschwerden rechts seien nach der Operation stark zurückgegangen.
Das SG hat Beweis erhoben und ein Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet von Dr. S ... vom 10.08.2000 eingeholt. Diese stellte bei der Klägerin eine Arthrose der Daumengrund- und -sattelgelenke beiderseits, ein chronisches Lumbalsyndrom sowie eine beginnende Coxarthrose beiderseits fest. Die Arthrose sei mit einem GdB von 20, die Funktionsbehinderung der Lenden-Becken-Region mit einem GdB von 10 zu bewerten. Der Gesamt-GdB werde mit 50 eingeschätzt. Die Störung der Lenden-Becken-Region und der Hände beeinflussten sich gegenseitig nur wenig. Jedoch wirkten sich die psychische Störung ganz sicher beeinflussend auf das subjektive Beschwerdebild aus. Auf das Gutachten im Übrigen (Bl. 85 - 96 SG- Akte) wird Bezug genommen.
Die Klägerin hat zu dem Gutachten Stellung genommen und ist der Meinung, dass in der Gesamtschau sicher ein GdB von 60 bis 70 vorliege. Feststellungen zu den Auswirkungen im Hinblick auf das Carpal-Tunnel-Syndrom habe die Gutachterin nicht getroffen.
Das SG hat auf mündliche Verhandlung mit Urteil vom 09.11.2000 die Klage abgewiesen. Der Beklagte habe die bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen zutreffend mit einem GdB von 50 bewertet. Die bei der Klägerin vorliegende seelische Störung sei mit einem Einzel-GdB von 40, die geringgradigen Bewegungseinschränkungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule mit einem GdB von 10 und die Funktionsbeeinträchtigungen der Hände mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Hieraus resultiere ein Gesamt-GdB von 50.
Gegen das ihr am 01.12.2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29.12.2000 beim SG Berufung eingelegt. Die Bewertung der seelischen Störung werde nicht mehr den tatsächlichen Verhältnissen gerecht. Das Beschwerdebild (der seelischen Störung) werde verstärkt durch die Auswirkungen der Behinderung aus den orthopädischen Erkrankungen, insbesondere der mangelnden und erheblich eingeschränkten Funktionsfähigkeit im Bereich der rechten Hand. Gerade diese Erkrankung stelle eine ganz erhebliche Benachteiligung im gesellschaftlichen Leben dar, die es primär gelte nach dem SchwbG auszugleichen. Als Rechtshänderin sei sie praktisch in allen Angelegenheiten der Verrichtung im täglichen Leben gehindert. Für den Bereich der Veränderungen der Wirbelsäulen- und der Handgelenke sei zusammen und integrierend betrachtet ein Einzelwert von 30 anzunehmen, so dass dieser die Primärbehinderung insoweit verstärke, als der vom Beklagten vor Jahren festgestellte GdB von 50 nicht mehr den tatsächlichen - gesundheitlichen - Verhältnissen im Rahmen des § 3 SchwbG gerecht werde.
Die nicht vertretene Klägerin beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 09.11.2000 sowie den Bescheid vom 28.02.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.02.1997 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr eine Behinderung mit einem GdB von wenigstens 60 anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Tatsachen, die auf eine Verschlimmerung der Funktionsbeeinträchtigungen schließen ließen, mache die Klägerin nicht geltend.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen sowie auf die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in Abwesenheit der ordnungsgemäß geladenen Klägerin verhandeln und entscheiden (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG-).
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Das SG hat 28.02.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.02.1997 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Feststellung einer Behinderung mit einem GdB von mehr als 50.
Der Anspruch der Klägerin beurteilt sich nach den Vorschriften des SGB IX, das gemäß Art. 68 Abs. 1 des Gesetzes "Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" vom 19.06.2001 (BGBl. I Seite 1046, 1139) am 01.07.2001 in Kraft getreten ist, da für die vorliegende Verpflichtungsklage die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich ist (BSGE 43, 1, 5).
Menschen sind gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden und damit der Beklagte das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend. Für die Beurteilung ist danach maßgeblich, in welchem Ausmaß die aus einer Gesundheitsstörung hervorgehende Beeinträchtigung den Betroffenen in Arbeit, Beruf und Gesellschaft behindern. Dabei sind einerseits besonders berufliche Beeinträchtigungen zu berücksichtigen, andererseits finden auch Einschränkungen bei der Ausübung von Tätigkeiten im Haushalt oder in der Freizeit Berücksichtigung. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so ordnet § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX an, dass der GdB nach den Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit und unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehung festzustellen ist.
Grundlage für die inhaltliche Bemessung und den Umfang einer Behinderung sowie die konkrete Bestimmung des GdB sind im Hinblick auf die Gleichbehandlung aller Schwerbehinderten die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung, die das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zuletzt 1996 herausgegeben hat. Zwar beruhen die AHP weder auf dem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften, so dass sie keinerlei Normqualität haben, dennoch sind sie als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, deshalb normähnliche Auswirkungen haben und im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden sind (BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 -, BSGE 72, 285, 286 ff.). Die AHP stellen eine der Entscheidungsfindung dienende Grundlage der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaften zur Bemessung sowohl des Umfanges als auch der Schwere der Beeinträchtigung dar. Denn in ihnen ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen jeweils aktualisiert wiedergegeben. Sie ermöglichen auf diese Weise eine nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Rechtsprechung sowohl hinsichtlich des Umfanges als auch der Schwere der Beeinträchtigungen, die dem Gleichheitssatz genügt. Eine Abweichung von den AHP kann daher nur in medizinisch begründeten Ausnahmefällen in Betracht kommen. Aus vorgenannten Gründen hat der Senat keine Bedenken, die AHP seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
Da für die vorliegende Verpflichtungsklage die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich ist, sind die AHP 1996 als derzeitiger Stand des sozialmedizinischen Erfahrungswissens zugrunde zu legen.
Der Begriff des GdB umfasst indes nicht einen medizinischen, sondern einen rechtlichen Begriff, so dass seine Festlegung nicht Aufgabe von Sachverständigen ist. Diese beruht auch nicht auf medizinischen Erfahrungen, sondern auf einer rechtlichen Wertung von Tatsachen, die jedoch mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Bei der erforderlichen rechtlichen Schlussfolgerung bilden zwar die Auffassungen der Sachverständigen wertvolle Fingerzeige; doch ist stets zu beachten, dass es sich dabei nicht mehr um die Erörterung medizinischer, sondern um eine solche rechtlicher Begriffe handelt, welche im Streitfall den Gerichten obliegt (BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9 a/9 RVs 7/89 =SozR 3-3870 § 4 Nr. 1).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat für die bei ihr vorliegenden Behinderungen keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 50. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme, d. h. aus allen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gewonnenen medizinischen Erkenntnissen, insbesondere aber aus dem Heilentlassungsbericht der M ... Klinik L ... und dem Gutachten der gerichtlichen bestellten Sachverständigen.
Danach leidet die Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet unter einem chronischen Cervikobrachialsyndrom bei Osteochondrosis intervertebralis und Spondylosis deformans C 6/7 mit Uncarthrose, einem chronischen Lumbalsyndrom bei Morbus Baastrup L 3-L 1 und Osteochondrosis intervertebralis mit initialer Spondylosis deformans L 4/L 5 und L5/S 1, unter einer Arthrose beider Daumengrund- und -sattelgelenke (Rhizarthorse) sowie unter einer beginnenden Coxarthrose. Daneben besteht bei der Klägerin eine seelische Störung in Form einer reaktiven Depression. Das am 23.05.1995 erstmals festgestellte Carpal-Tunnel-Syndrom rechts ist nicht mehr nachweisbar. Für das von Dr. L ... im November 1997 festgestellte Carpal-Tunnel-Syndrom links bestand im Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. S ... kein Anhalt.
Für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule ist mit dem SG ein GdB von 10 anzusetzen. Gemäß Ziff. 26.18, S. 139, 140 AHP ist für Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende und anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 30, mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ein GdB von 40 und mit besonders schweren Auswirkungen (z. B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [Milwaukee-Korsett]; schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Cobb]) ein GdB von 50 bis 70 anzusetzen. Bei außergewöhnlichen Schmerzsyndromen kann auch ohne nachweisbare neurologische Ausfallerscheinungen ein GdB über 30 in Betracht kommen. Bei der Klägerin liegen Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auwirkungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule vor. Die von Dr. S ... nach der Neutral-Null-Methode gemessenen Werte im Bereich der Halswirbelsäule betragen bei der Retroflexion/Anteflexion (Rückneigen/Vorneigen) 0/0/50, bei der Rotation rechts/links 20/0/30 und bei der Seitlage rechts/links 40/0/40. Die Normwerte einer gesunden Wirbelsäule liegen beim Vor-/Rückneigen bei 34 bis 45/0/35 bis 45, beim Seitneigen rechts/links bei 45/0/45 und beim Drehen rechts/links bei 60 bis 80/0/60 bis 80 (vgl. Ziff. 8 S. 16 AHP). Die Gegenüberstellung der Werte zeigt, dass die Klägerin zur Rückneigung des Kopfes nicht in der Lage ist, während die Vorneigung uneingeschränkt möglich ist. Die Seitneigung rechts/links ist geringgradig, die Rotationsbewegung links zur Hälfte und rechts zu zwei Drittel eingeschränkt. Diesen zum Teil mittelgradigen bis erheblichen Bewegungseinschränkungen steht indes keine wesentliche Schmerzsymptomatik gegenüber. Es wurde kein Druckschmerz, kein Klopfschmerz und kein Bewegungsschmerz festgestellt. Die paravertebrale Muskulatur war nicht verspannt. Es bestand kein Anhalt für eine radikuläre Symptomatik. Auch Extrembewegungen der Halswirbelsäule lösten keinen Schwindel oder Nystagmus aus. Aufgrund des Fehlens von Wirbelsäulensyndromen war daher insgesamt nur von einer geringen funktionellen Auswirkung im Bereich der Halswirbelsäule auszugehen. Im Bereich der Lendenwirbelsäule leidet die Klägerin unter einem chronischen Lumbalsyndrom bei Morbus Baastrup L 3/L 1 und Osteochondrosis intervertebralis mit initialer Spondylosis deformans L 4/L 5 und L5/S 1. In diesem Bereich bestehen indes nur geringe Bewegungseinschränkungen. Der Finger-Boden-Abstand beträgt nach den Feststellungen von Frau Dr. S ... 10 cm. Die Seitneigung rechts/links mit Werten nach der Neutral-Null-Methode von 30/0/30 (normal: 30-40/0/30-40) ist nicht, die Rückneigung bei einem gemessenen Wert von 10° (normal: 30°) zu zwei Drittel und die Rotation entsprechend den in der Abschlussuntersuchung der M ... Klink gemessenen Werte mit 25/0/25 (normal: 30-40/0/30-40) nur geringgradig eingeschränkt. Dieses geringfügige Bewegungsdefizit der Lendenwirbelsäule ist mit einem lumbalen Schmerzsyndrom verbunden. Dr. S ... stellte einen interspinale Druck- und ein Bewegungsschmerz fest. Eine Radikulärsymptomatik bestand indes nicht. Der Lasegué war beidseits negativ. Es bestanden keine Hyp- oder Parästhesien. Die Bewertung der Funktionsbehinderung im Bereich der Lendenregion durch die gerichtlich bestellte Sachverständige war daher zutreffend mit einem GdB von 10 erfolgt. Ausgehend von nur geringgradigen funktionellen Auswirkungen der bei der Klägerin bestehenden Wirbelsäulenschäden in zwei Wirbelsäulenabschnitten war für das "Funktionssystem Wirbelsäule" daher insgesamt ein Einzel-GdB von 10 anzusetzen.
Die beginnende Coxarthrose hat keine wesentliche Bewegungseinschränkung zur Folge, da nach den Feststellungen von Dr. S ... im Bereich Streckung/Beugung keine Bewegungseinschränkung besteht.
Für die Funktionsstörungen der Hände ist das SG zutreffend von einem Einzel-GdB von 20 ausgegangen. Nach den Feststellungen von Dr. S ... ist die Funktionsbeeinträchtigung der Hände derzeit auf die Arthrose beider Daumengrund- und -sattelgelenke zurückzuführen. Diese führt nach den glaubhaften Angaben der Klägerin zu Schmerzen mit der Folge, dass sie Lasten weder Heben noch Tragen kann. Der Faustschluss ist hingegen kräftig, wobei die Fingerspitzen die Hohlhand erreichen, der Spitzgriff rechts ist wegen Schmerzen nicht, links gegen Widerstand nicht möglich. Das von der Klägerin angegebene Taubheitsgefühl an den Fingerspitzen 1-3 konnte von der gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht bestätigt werden. Der Sensibilitätsstatus war ohne Befund. Die bei der Klägerin vorliegenden Funktionsbehinderungen an beiden Händen sind am ehesten vergleichbar mit denen, die aufgrund einer Versteifung beider Daumengelenke und des Mittelhand-Handwurzelgelenks in günstiger Stellung bestehen, denn die Gebrauchsfähigkeit der Daumen der Klägerin ist weitgehend aufgehoben. Nach Ziff. 26.18 S. 145 AHP ist hierfür ein GdB von 20 vorgesehen. Eine Erhöhung des GdB für den Zeitraum, in dem die Klägerin rechts unter einem Carpal-Tunnel-Syndrom gelitten hat, kommt nicht in Betracht. Zwar ergibt sich aus der medizinischen Dokumentation, dass dieses länger als sechs Monate bestand und daher beachtenswert im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB IX ist. Das Carpal-Tunnel-Syndrom rechts wurde erstmals im Mai 1995 diagnostiziert und wurde erst durch die im Januar 1997 erfolgte Operation erfolgreich behandelt. Infolge des Carpal-Tunnel-Syndroms hatte die Klägerin Schmerzen in der rechten Hand. Nach den Feststellungen von Dr. Pe ... bestand daneben ein Taubheitsgefühl, eine Einschränkung der groben Kraft sowie des Spitzgriffes. Dr. L ... konnte ebenso wenig wie Dr. V ... Auffälligkeiten in der Motorik, Sensibilität oder Koordination feststellen. Da es sich bei dem Carpal-Tunnel-Syndrom um eine Kompression des Nervus medianus handelt, ist die Bewertung der infolge dessen eingetretenen Funktionsbehinderung vom SG zutreffend entsprechend Ziff. 26.18, S. 147 AHP bewertet worden. Danach führt der vollständige Ausfall des Nervus medianus zu einem GdB von 30 (distal) bis 40 (proximal). Das SG geht auch zu Recht davon aus, dass aufgrund der mitgeteilten Befunde nicht von einem vollständigen Ausfall des Nervus medianus ausgegangen werden kann, so dass der GdB für den entsprechenden Zeitraum geringer anzusetzen ist. Die Annahme eines Einzel-GdB von 20 für die durch das Carpal-Tunnel-Syndrom rechts bedingten Funktionsstörungen war daher nicht zu beanstanden. Dies führt indes nicht dazu, dass der Einzel-GdB für das "Funktionssystem Hände" von Mai 1995 bis Januar 1997 höher als der nunmehr für die Rhizarthrose anzusetzende GdB zu bewerten war. Die bei der Klägerin nachweisbar vorliegenden Funktionsbehinderungen durch die Rhizarthrose, die sich nach den Feststellungen von Dr. S ... im Verlaufszeitraum verschlechterte, stimmen im Wesentlichen mit denen durch das Carpal-Tunnel-Syndrom verursachten überein. Insbesondere bestehen weiterhin Schmerzen in der rechten Hand und ist der Spitzgriff wegen dieser Schmerzen rechts nicht möglich. Inwiefern sich die durch das Carpal-Tunnel-Syndrom hervorgerufenen Schmerzen noch durch die Rhizarthrose verstärkt haben, lässt sich anhand der Befunde nicht feststellen. Wesentlich erscheint in diesem Zusammenhang die Feststellung von Dr. P ... im November 1997, also zu einem Zeitpunkt als das Carpal-Tunnel-Syndrom rechts bereits operiert worden war, dass die Klägerin seit 1996 immer die gleichen Beschwerden habe. Auch hieraus schließt der Senat, dass sich die jetzt durch Dr. S ... festgestellten Funktionsbehinderungen seit 1995 nicht wesentlich im Bereich der rechten Hand verändert haben, vielmehr die Krankheitsursache hierfür nur eine andere ist. Dabei ist mit Dr. S ... davon auszugehen, dass sich die bei der Klägerin vorliegende psychische Störung ganz sicher beeinflussend auf das objektive Beschwerdebild der Klägerin auswirkt.
Für die bei der Klägerin vorliegende seelische Störung ist ein GdB von 40 anzusetzen. Dies entspricht Ziff. 26.3, S. 60 der AHP. Danach sind stärker behindernde (seelische) Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit einem GdB von 30 bis 40 bewerten. Anhaltspunkte für schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit), die, wenn sie mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten verbunden sind, einen GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 80 bis 100 rechtfertigen, bestehen aufgrund der vorliegenden medizinischen Dokumentation nicht. Der Senat sah sich insoweit auch nicht zu weiteren Ermittlungen veranlasst. Hierfür ergab sich aus dem Sachvortrag der Klägerin kein Anhalt.
Die festgestellten Funktionsstörungen in Form der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 10, der Hände mit einem Einzel-GdB von 20 sowie der seelischen Störung mit einem Einzel-GdB von 40 bedingen einen Gesamt-GdB von 50. Dies hat das SG zu Recht festgestellt. Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB ist gem. Ziff. 19 der AHP bei Vorliegen mehrerer Funktionsstörungen zwar der jeweilige Einzel-GdB anzugeben. Maßgeblich ist jedoch der Gesamt-GdB, welcher nur für den Gesamtzustand der Behinderung festgestellt wird, nicht für Einzelfunktionsbeeinträchtigungen. Bei den Einzel-GdB-Werten handelt es sich lediglich um Einsatzgrößen, bei denen die Einschätzung des Gesamt-GdB einerseits vorbereitet, andererseits nachvollziehbar begründet und damit überprüfbar gemacht wird. Darin erschöpft sich die Bedeutung der Einzel-GdB. Sie gehen als bloße Messgröße für mehrere zugleich vorliegende Funktionsbeeinträchtigungen restlos im Gesamt-GdB auf und erwachsen nicht in Rechtskraft.
Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsstörungen zusammen dürfen nach Ziff. 19 Abs. 1 AHP die einzelnen Teil-GdB-Werte nicht einfach addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Dabei führen indes leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Teil-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamt-Beeinträchtigung, die bei dem Gesamt-GdB berücksichtigt werden könnte (vgl. BSG, Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R -). Auch bei leichten Behinderungen mit einem Teil-GdB von 20 ist es regelmäßig nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist daher in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt. Im Hinblick auf alle weiteren Funktionsstörungen ist zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsstörungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (vgl. Ziff. 19 Abs. 3 AHP). Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist zu beachten, wie weit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen, ob sich eine Behinderung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt, wie weit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden und ob das Ausmaß einer Behinderung durch eine hinzutretende Gesundheitsstörung nicht verstärkt wird.
Vor diesem Hintergrund hält der Senat unter Berücksichtigung der festgestellten Einzel-GdB-Werte einen Gesamt-GdB von 50 für zutreffend und in Einklang stehend mit den AHP. Die Auswirkungen der Behinderungen auf orthopädischem und psychischem Gebiet sind voneinander unabhängig, so dass die Funktionsstörungen der Hände, der Wirbelsäule und die seelische Störung bei der Bildung des Gesamt-GdB zu berücksichtigen waren. Andererseits führt die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 10 und der Hände mit einem Einzel-GdB von 20 zu keiner wesentlichen Zunahme der durch die seelische Störung bedingten Behinderung.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Die am ... geborene Klägerin beantragte am 27.07.1995 bei dem Beklagten, Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) zu treffen. Als Gesundheitsstörungen gab sie Wirbelsäulenbeschwerden, Depressionen, Schlafstörungen, Folgen nach einer Schilddrüsenentfernung sowie ein Carpal-Tunnel-Syndrom an. Der Beklagte holte einen Befundbericht von Dipl.-Med. B ..., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, vom Arzt für Allgemeinmedizin P ..., dem Arztberichte von Dipl.-Med. B ..., Dr. L ... und Dipl.-Med. Pe ... beilagen, sowie einen Befundbericht von Dipl.-Med. Pe ..., Facharzt für Orthopädie, ein. Dipl.-Med. B ... stellte bei der Klägerin ein depressives Syndrom mit Angst- und Unruhezuständen und Schlafstörungen bei Arbeitslosigkeit und Partnerschaftskonflikten fest. Psychorelevante Symptome hätten nicht bestanden. Es handele sich um eine reaktive Depression. Dr. L ..., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, konnte im Bereich der rechten Hand der Klägerin hinsichtlich Motorik, Sensibilität und Koordination keine Auffälligkeiten feststellen. Trotz des etwas atypischen Beschwerdebildes habe sich rechts ein deutliches Carpal-Tunnel-Syndrom dargestellt. Nach Auskunft von Dipl.-Med. Pe ... bestehe auch eine Rhizarthrose beidseits sowie ein therapieresistentes lumbales Schmerzsyndrom bei Verdacht auf Segmentlockerung im Segment L 4/L 5 mit Retrolisthesis von L 5 gegenüber L 4 um etwa 5 mm auf der Grundlage einer Osteochondrosis intervertebralis.
Mit Bescheid vom 28.02.1996 stellte der Beklagte bei der Klägerin eine Behinderung mit einem GdB von 50 unter Berücksichtigung folgender Behinderungen fest:
1. Seelische Störung
2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule
3. Mittelnervendruckschädigung rechts (Carpal-Tunnel-Syndrom)
Bei der Bemessung des Gesamt-GdB ging der Beklagte von einem Einzel-GdB für die seelische Störung von 40, für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule von 20 und für die Mittelnervendruckschädigung rechts von 10 aus.
Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 22.03.1996 Widerspruch ein. Die erheblichen Funktionsstörungen verschiedener Wirbelbereiche mit einem Einzel-GdB von 20 sei zu ungünstig bewertet. Gerade die sich hieraus ergebende erhebliche Schmerzsymptomatik mit radikulären Ausfällen führe zu regelmäßiger Notwendigkeit der orthopädischen Behandlung. Ergänzend und integrierend zu bewerten seien auch noch die sich aus der Funktionsbeeinträchtigung der Handgelenke ergebenden Behinderungen, so dass hier insgesamt ein GdB von mehr als 50 vorliege.
Der Beklagte holte im Widerspruchsverfahren einen weiteren Befundbericht von Dipl.-Med. Pe ... ein. Dieser gab als weitere Diagnose "schnellender Finger 2 und 4, schnellender Daumen rechts" an. Für 01/97 sei die operative Revision im Bereich der schnellenden Finger und des schnellenden Daumens geplant. Weiterhin lag dem Beklagten das im Rentenverfahren erstellte nervenärztliche Gutachten von Dr. V ..., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 03.06.1996 sowie die Stellungnahme hierzu von Dr. H ... vom Sozialmedizinischen Dienst C ... vom 13.06.1996 vor. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.1997 zurück. Die Feststellung eines höheren Einzel- bzw. Gesamt-GdB als 50 lasse sich aus versorgungsärztlicher Sicht nicht begründen. Das Lendenwirbelsyndrom mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen bei Segmentlockerung L 4/L 5 und das Carpal-Tunnel-Syndrom rechts seien nach den vorliegenden Befunden ausreichend bewertet. Weitere Funktionsstörungen, die im Sinne des SchwbG zu berücksichtigen seien, lägen gegenwärtig nicht vor.
Mit der am 24.03.1997 beim Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr auf Feststellung eines höheren GdB als 50 gerichtetes Begehren weiterverfolgt.
Dem SG hat ein Befundbericht von Dr. P ..., der Heilentlassungsbericht der M ... Klinik L ..., ein Auszug aus den medizinischen Daten von Dr. Ha ... und Dr. J ..., Fachärzte für Chirurgie, Unfall- und Gefäßchirurgie, ein Befundbericht von Dr. L ... sowie von Dipl.-Med. Pe ... vorgelegen. Im Heil- entlassungsbericht vom 16.09.1997 ist festgestellt, dass der Schultergürtel, Schulter-, Ellenbogen, Hand- und Fingergelenke seitengleich frei beweglich und keine muskulären Atrophien erkennbar seien. Rechts zeige sich über dem palmaren Querband eine reizlose Narbe von 6 cm. Dr. Ha ... stellte bei der Klägerin erstmals am 10.08.1995 ein Carpal-Tunnel-Syndrom rechts fest. Dieses wurde nach seinen Aufzeichnungen Anfang Februar 1996 operiert. Am 20.01.1997 erfolgte eine In- und Excision des Bandes Daumen und 4. Finger sowie eine Entfernung des Knotens über 4. MHK rechts. Dr. L ... stellte bei der Klägerin im November 1997 ein deutliches Carpal-Tunnel-Syndrom links fest. Die Beschwerden rechts seien nach der Operation stark zurückgegangen.
Das SG hat Beweis erhoben und ein Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet von Dr. S ... vom 10.08.2000 eingeholt. Diese stellte bei der Klägerin eine Arthrose der Daumengrund- und -sattelgelenke beiderseits, ein chronisches Lumbalsyndrom sowie eine beginnende Coxarthrose beiderseits fest. Die Arthrose sei mit einem GdB von 20, die Funktionsbehinderung der Lenden-Becken-Region mit einem GdB von 10 zu bewerten. Der Gesamt-GdB werde mit 50 eingeschätzt. Die Störung der Lenden-Becken-Region und der Hände beeinflussten sich gegenseitig nur wenig. Jedoch wirkten sich die psychische Störung ganz sicher beeinflussend auf das subjektive Beschwerdebild aus. Auf das Gutachten im Übrigen (Bl. 85 - 96 SG- Akte) wird Bezug genommen.
Die Klägerin hat zu dem Gutachten Stellung genommen und ist der Meinung, dass in der Gesamtschau sicher ein GdB von 60 bis 70 vorliege. Feststellungen zu den Auswirkungen im Hinblick auf das Carpal-Tunnel-Syndrom habe die Gutachterin nicht getroffen.
Das SG hat auf mündliche Verhandlung mit Urteil vom 09.11.2000 die Klage abgewiesen. Der Beklagte habe die bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen zutreffend mit einem GdB von 50 bewertet. Die bei der Klägerin vorliegende seelische Störung sei mit einem Einzel-GdB von 40, die geringgradigen Bewegungseinschränkungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule mit einem GdB von 10 und die Funktionsbeeinträchtigungen der Hände mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Hieraus resultiere ein Gesamt-GdB von 50.
Gegen das ihr am 01.12.2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29.12.2000 beim SG Berufung eingelegt. Die Bewertung der seelischen Störung werde nicht mehr den tatsächlichen Verhältnissen gerecht. Das Beschwerdebild (der seelischen Störung) werde verstärkt durch die Auswirkungen der Behinderung aus den orthopädischen Erkrankungen, insbesondere der mangelnden und erheblich eingeschränkten Funktionsfähigkeit im Bereich der rechten Hand. Gerade diese Erkrankung stelle eine ganz erhebliche Benachteiligung im gesellschaftlichen Leben dar, die es primär gelte nach dem SchwbG auszugleichen. Als Rechtshänderin sei sie praktisch in allen Angelegenheiten der Verrichtung im täglichen Leben gehindert. Für den Bereich der Veränderungen der Wirbelsäulen- und der Handgelenke sei zusammen und integrierend betrachtet ein Einzelwert von 30 anzunehmen, so dass dieser die Primärbehinderung insoweit verstärke, als der vom Beklagten vor Jahren festgestellte GdB von 50 nicht mehr den tatsächlichen - gesundheitlichen - Verhältnissen im Rahmen des § 3 SchwbG gerecht werde.
Die nicht vertretene Klägerin beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 09.11.2000 sowie den Bescheid vom 28.02.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.02.1997 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr eine Behinderung mit einem GdB von wenigstens 60 anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Tatsachen, die auf eine Verschlimmerung der Funktionsbeeinträchtigungen schließen ließen, mache die Klägerin nicht geltend.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen sowie auf die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in Abwesenheit der ordnungsgemäß geladenen Klägerin verhandeln und entscheiden (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG-).
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Das SG hat 28.02.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.02.1997 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Feststellung einer Behinderung mit einem GdB von mehr als 50.
Der Anspruch der Klägerin beurteilt sich nach den Vorschriften des SGB IX, das gemäß Art. 68 Abs. 1 des Gesetzes "Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" vom 19.06.2001 (BGBl. I Seite 1046, 1139) am 01.07.2001 in Kraft getreten ist, da für die vorliegende Verpflichtungsklage die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich ist (BSGE 43, 1, 5).
Menschen sind gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden und damit der Beklagte das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend. Für die Beurteilung ist danach maßgeblich, in welchem Ausmaß die aus einer Gesundheitsstörung hervorgehende Beeinträchtigung den Betroffenen in Arbeit, Beruf und Gesellschaft behindern. Dabei sind einerseits besonders berufliche Beeinträchtigungen zu berücksichtigen, andererseits finden auch Einschränkungen bei der Ausübung von Tätigkeiten im Haushalt oder in der Freizeit Berücksichtigung. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so ordnet § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX an, dass der GdB nach den Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit und unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehung festzustellen ist.
Grundlage für die inhaltliche Bemessung und den Umfang einer Behinderung sowie die konkrete Bestimmung des GdB sind im Hinblick auf die Gleichbehandlung aller Schwerbehinderten die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung, die das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zuletzt 1996 herausgegeben hat. Zwar beruhen die AHP weder auf dem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften, so dass sie keinerlei Normqualität haben, dennoch sind sie als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, deshalb normähnliche Auswirkungen haben und im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden sind (BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 -, BSGE 72, 285, 286 ff.). Die AHP stellen eine der Entscheidungsfindung dienende Grundlage der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaften zur Bemessung sowohl des Umfanges als auch der Schwere der Beeinträchtigung dar. Denn in ihnen ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen jeweils aktualisiert wiedergegeben. Sie ermöglichen auf diese Weise eine nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Rechtsprechung sowohl hinsichtlich des Umfanges als auch der Schwere der Beeinträchtigungen, die dem Gleichheitssatz genügt. Eine Abweichung von den AHP kann daher nur in medizinisch begründeten Ausnahmefällen in Betracht kommen. Aus vorgenannten Gründen hat der Senat keine Bedenken, die AHP seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
Da für die vorliegende Verpflichtungsklage die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich ist, sind die AHP 1996 als derzeitiger Stand des sozialmedizinischen Erfahrungswissens zugrunde zu legen.
Der Begriff des GdB umfasst indes nicht einen medizinischen, sondern einen rechtlichen Begriff, so dass seine Festlegung nicht Aufgabe von Sachverständigen ist. Diese beruht auch nicht auf medizinischen Erfahrungen, sondern auf einer rechtlichen Wertung von Tatsachen, die jedoch mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Bei der erforderlichen rechtlichen Schlussfolgerung bilden zwar die Auffassungen der Sachverständigen wertvolle Fingerzeige; doch ist stets zu beachten, dass es sich dabei nicht mehr um die Erörterung medizinischer, sondern um eine solche rechtlicher Begriffe handelt, welche im Streitfall den Gerichten obliegt (BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9 a/9 RVs 7/89 =SozR 3-3870 § 4 Nr. 1).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat für die bei ihr vorliegenden Behinderungen keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 50. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme, d. h. aus allen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gewonnenen medizinischen Erkenntnissen, insbesondere aber aus dem Heilentlassungsbericht der M ... Klinik L ... und dem Gutachten der gerichtlichen bestellten Sachverständigen.
Danach leidet die Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet unter einem chronischen Cervikobrachialsyndrom bei Osteochondrosis intervertebralis und Spondylosis deformans C 6/7 mit Uncarthrose, einem chronischen Lumbalsyndrom bei Morbus Baastrup L 3-L 1 und Osteochondrosis intervertebralis mit initialer Spondylosis deformans L 4/L 5 und L5/S 1, unter einer Arthrose beider Daumengrund- und -sattelgelenke (Rhizarthorse) sowie unter einer beginnenden Coxarthrose. Daneben besteht bei der Klägerin eine seelische Störung in Form einer reaktiven Depression. Das am 23.05.1995 erstmals festgestellte Carpal-Tunnel-Syndrom rechts ist nicht mehr nachweisbar. Für das von Dr. L ... im November 1997 festgestellte Carpal-Tunnel-Syndrom links bestand im Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. S ... kein Anhalt.
Für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule ist mit dem SG ein GdB von 10 anzusetzen. Gemäß Ziff. 26.18, S. 139, 140 AHP ist für Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende und anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 30, mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ein GdB von 40 und mit besonders schweren Auswirkungen (z. B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [Milwaukee-Korsett]; schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Cobb]) ein GdB von 50 bis 70 anzusetzen. Bei außergewöhnlichen Schmerzsyndromen kann auch ohne nachweisbare neurologische Ausfallerscheinungen ein GdB über 30 in Betracht kommen. Bei der Klägerin liegen Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auwirkungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule vor. Die von Dr. S ... nach der Neutral-Null-Methode gemessenen Werte im Bereich der Halswirbelsäule betragen bei der Retroflexion/Anteflexion (Rückneigen/Vorneigen) 0/0/50, bei der Rotation rechts/links 20/0/30 und bei der Seitlage rechts/links 40/0/40. Die Normwerte einer gesunden Wirbelsäule liegen beim Vor-/Rückneigen bei 34 bis 45/0/35 bis 45, beim Seitneigen rechts/links bei 45/0/45 und beim Drehen rechts/links bei 60 bis 80/0/60 bis 80 (vgl. Ziff. 8 S. 16 AHP). Die Gegenüberstellung der Werte zeigt, dass die Klägerin zur Rückneigung des Kopfes nicht in der Lage ist, während die Vorneigung uneingeschränkt möglich ist. Die Seitneigung rechts/links ist geringgradig, die Rotationsbewegung links zur Hälfte und rechts zu zwei Drittel eingeschränkt. Diesen zum Teil mittelgradigen bis erheblichen Bewegungseinschränkungen steht indes keine wesentliche Schmerzsymptomatik gegenüber. Es wurde kein Druckschmerz, kein Klopfschmerz und kein Bewegungsschmerz festgestellt. Die paravertebrale Muskulatur war nicht verspannt. Es bestand kein Anhalt für eine radikuläre Symptomatik. Auch Extrembewegungen der Halswirbelsäule lösten keinen Schwindel oder Nystagmus aus. Aufgrund des Fehlens von Wirbelsäulensyndromen war daher insgesamt nur von einer geringen funktionellen Auswirkung im Bereich der Halswirbelsäule auszugehen. Im Bereich der Lendenwirbelsäule leidet die Klägerin unter einem chronischen Lumbalsyndrom bei Morbus Baastrup L 3/L 1 und Osteochondrosis intervertebralis mit initialer Spondylosis deformans L 4/L 5 und L5/S 1. In diesem Bereich bestehen indes nur geringe Bewegungseinschränkungen. Der Finger-Boden-Abstand beträgt nach den Feststellungen von Frau Dr. S ... 10 cm. Die Seitneigung rechts/links mit Werten nach der Neutral-Null-Methode von 30/0/30 (normal: 30-40/0/30-40) ist nicht, die Rückneigung bei einem gemessenen Wert von 10° (normal: 30°) zu zwei Drittel und die Rotation entsprechend den in der Abschlussuntersuchung der M ... Klink gemessenen Werte mit 25/0/25 (normal: 30-40/0/30-40) nur geringgradig eingeschränkt. Dieses geringfügige Bewegungsdefizit der Lendenwirbelsäule ist mit einem lumbalen Schmerzsyndrom verbunden. Dr. S ... stellte einen interspinale Druck- und ein Bewegungsschmerz fest. Eine Radikulärsymptomatik bestand indes nicht. Der Lasegué war beidseits negativ. Es bestanden keine Hyp- oder Parästhesien. Die Bewertung der Funktionsbehinderung im Bereich der Lendenregion durch die gerichtlich bestellte Sachverständige war daher zutreffend mit einem GdB von 10 erfolgt. Ausgehend von nur geringgradigen funktionellen Auswirkungen der bei der Klägerin bestehenden Wirbelsäulenschäden in zwei Wirbelsäulenabschnitten war für das "Funktionssystem Wirbelsäule" daher insgesamt ein Einzel-GdB von 10 anzusetzen.
Die beginnende Coxarthrose hat keine wesentliche Bewegungseinschränkung zur Folge, da nach den Feststellungen von Dr. S ... im Bereich Streckung/Beugung keine Bewegungseinschränkung besteht.
Für die Funktionsstörungen der Hände ist das SG zutreffend von einem Einzel-GdB von 20 ausgegangen. Nach den Feststellungen von Dr. S ... ist die Funktionsbeeinträchtigung der Hände derzeit auf die Arthrose beider Daumengrund- und -sattelgelenke zurückzuführen. Diese führt nach den glaubhaften Angaben der Klägerin zu Schmerzen mit der Folge, dass sie Lasten weder Heben noch Tragen kann. Der Faustschluss ist hingegen kräftig, wobei die Fingerspitzen die Hohlhand erreichen, der Spitzgriff rechts ist wegen Schmerzen nicht, links gegen Widerstand nicht möglich. Das von der Klägerin angegebene Taubheitsgefühl an den Fingerspitzen 1-3 konnte von der gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht bestätigt werden. Der Sensibilitätsstatus war ohne Befund. Die bei der Klägerin vorliegenden Funktionsbehinderungen an beiden Händen sind am ehesten vergleichbar mit denen, die aufgrund einer Versteifung beider Daumengelenke und des Mittelhand-Handwurzelgelenks in günstiger Stellung bestehen, denn die Gebrauchsfähigkeit der Daumen der Klägerin ist weitgehend aufgehoben. Nach Ziff. 26.18 S. 145 AHP ist hierfür ein GdB von 20 vorgesehen. Eine Erhöhung des GdB für den Zeitraum, in dem die Klägerin rechts unter einem Carpal-Tunnel-Syndrom gelitten hat, kommt nicht in Betracht. Zwar ergibt sich aus der medizinischen Dokumentation, dass dieses länger als sechs Monate bestand und daher beachtenswert im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB IX ist. Das Carpal-Tunnel-Syndrom rechts wurde erstmals im Mai 1995 diagnostiziert und wurde erst durch die im Januar 1997 erfolgte Operation erfolgreich behandelt. Infolge des Carpal-Tunnel-Syndroms hatte die Klägerin Schmerzen in der rechten Hand. Nach den Feststellungen von Dr. Pe ... bestand daneben ein Taubheitsgefühl, eine Einschränkung der groben Kraft sowie des Spitzgriffes. Dr. L ... konnte ebenso wenig wie Dr. V ... Auffälligkeiten in der Motorik, Sensibilität oder Koordination feststellen. Da es sich bei dem Carpal-Tunnel-Syndrom um eine Kompression des Nervus medianus handelt, ist die Bewertung der infolge dessen eingetretenen Funktionsbehinderung vom SG zutreffend entsprechend Ziff. 26.18, S. 147 AHP bewertet worden. Danach führt der vollständige Ausfall des Nervus medianus zu einem GdB von 30 (distal) bis 40 (proximal). Das SG geht auch zu Recht davon aus, dass aufgrund der mitgeteilten Befunde nicht von einem vollständigen Ausfall des Nervus medianus ausgegangen werden kann, so dass der GdB für den entsprechenden Zeitraum geringer anzusetzen ist. Die Annahme eines Einzel-GdB von 20 für die durch das Carpal-Tunnel-Syndrom rechts bedingten Funktionsstörungen war daher nicht zu beanstanden. Dies führt indes nicht dazu, dass der Einzel-GdB für das "Funktionssystem Hände" von Mai 1995 bis Januar 1997 höher als der nunmehr für die Rhizarthrose anzusetzende GdB zu bewerten war. Die bei der Klägerin nachweisbar vorliegenden Funktionsbehinderungen durch die Rhizarthrose, die sich nach den Feststellungen von Dr. S ... im Verlaufszeitraum verschlechterte, stimmen im Wesentlichen mit denen durch das Carpal-Tunnel-Syndrom verursachten überein. Insbesondere bestehen weiterhin Schmerzen in der rechten Hand und ist der Spitzgriff wegen dieser Schmerzen rechts nicht möglich. Inwiefern sich die durch das Carpal-Tunnel-Syndrom hervorgerufenen Schmerzen noch durch die Rhizarthrose verstärkt haben, lässt sich anhand der Befunde nicht feststellen. Wesentlich erscheint in diesem Zusammenhang die Feststellung von Dr. P ... im November 1997, also zu einem Zeitpunkt als das Carpal-Tunnel-Syndrom rechts bereits operiert worden war, dass die Klägerin seit 1996 immer die gleichen Beschwerden habe. Auch hieraus schließt der Senat, dass sich die jetzt durch Dr. S ... festgestellten Funktionsbehinderungen seit 1995 nicht wesentlich im Bereich der rechten Hand verändert haben, vielmehr die Krankheitsursache hierfür nur eine andere ist. Dabei ist mit Dr. S ... davon auszugehen, dass sich die bei der Klägerin vorliegende psychische Störung ganz sicher beeinflussend auf das objektive Beschwerdebild der Klägerin auswirkt.
Für die bei der Klägerin vorliegende seelische Störung ist ein GdB von 40 anzusetzen. Dies entspricht Ziff. 26.3, S. 60 der AHP. Danach sind stärker behindernde (seelische) Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit einem GdB von 30 bis 40 bewerten. Anhaltspunkte für schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit), die, wenn sie mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten verbunden sind, einen GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 80 bis 100 rechtfertigen, bestehen aufgrund der vorliegenden medizinischen Dokumentation nicht. Der Senat sah sich insoweit auch nicht zu weiteren Ermittlungen veranlasst. Hierfür ergab sich aus dem Sachvortrag der Klägerin kein Anhalt.
Die festgestellten Funktionsstörungen in Form der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 10, der Hände mit einem Einzel-GdB von 20 sowie der seelischen Störung mit einem Einzel-GdB von 40 bedingen einen Gesamt-GdB von 50. Dies hat das SG zu Recht festgestellt. Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB ist gem. Ziff. 19 der AHP bei Vorliegen mehrerer Funktionsstörungen zwar der jeweilige Einzel-GdB anzugeben. Maßgeblich ist jedoch der Gesamt-GdB, welcher nur für den Gesamtzustand der Behinderung festgestellt wird, nicht für Einzelfunktionsbeeinträchtigungen. Bei den Einzel-GdB-Werten handelt es sich lediglich um Einsatzgrößen, bei denen die Einschätzung des Gesamt-GdB einerseits vorbereitet, andererseits nachvollziehbar begründet und damit überprüfbar gemacht wird. Darin erschöpft sich die Bedeutung der Einzel-GdB. Sie gehen als bloße Messgröße für mehrere zugleich vorliegende Funktionsbeeinträchtigungen restlos im Gesamt-GdB auf und erwachsen nicht in Rechtskraft.
Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsstörungen zusammen dürfen nach Ziff. 19 Abs. 1 AHP die einzelnen Teil-GdB-Werte nicht einfach addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Dabei führen indes leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Teil-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamt-Beeinträchtigung, die bei dem Gesamt-GdB berücksichtigt werden könnte (vgl. BSG, Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R -). Auch bei leichten Behinderungen mit einem Teil-GdB von 20 ist es regelmäßig nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist daher in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt. Im Hinblick auf alle weiteren Funktionsstörungen ist zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsstörungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (vgl. Ziff. 19 Abs. 3 AHP). Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist zu beachten, wie weit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen, ob sich eine Behinderung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt, wie weit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden und ob das Ausmaß einer Behinderung durch eine hinzutretende Gesundheitsstörung nicht verstärkt wird.
Vor diesem Hintergrund hält der Senat unter Berücksichtigung der festgestellten Einzel-GdB-Werte einen Gesamt-GdB von 50 für zutreffend und in Einklang stehend mit den AHP. Die Auswirkungen der Behinderungen auf orthopädischem und psychischem Gebiet sind voneinander unabhängig, so dass die Funktionsstörungen der Hände, der Wirbelsäule und die seelische Störung bei der Bildung des Gesamt-GdB zu berücksichtigen waren. Andererseits führt die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 10 und der Hände mit einem Einzel-GdB von 20 zu keiner wesentlichen Zunahme der durch die seelische Störung bedingten Behinderung.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
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