L 2 U 113/98

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 5 U 306/96
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 113/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 30.09.1998 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung und Entschädigung des Ereignisses vom 12.06.1995.

Der Kläger spürte - der Unfallanzeige zufolge - am 12.06.1995 einen derben Schmerz im linken Fuß rechts, als er sich mit dem Körper gegen eine etwa 30 kg schwere Stahlplatte stemmte, um diese zu verschieben. Er befand sich vom 13.06.1995 bis 23.06.1995 in stationärer Behandlung im Kreiskrankenhaus R ..., wo durch eine Ultraschalluntersuchung eine Teilruptur der rechten Achillessehne festgestellt wurde. Aufgrund ungünstiger Hautverhältnisse sah man von einer Operation zunächst ab. Seit 19.08.1995 war der Kläger wieder arbeitsfähig.

Mit Schreiben vom 30.08.1995 teilte die Beklagte dem Kläger mit, der Unfallhergang sei nicht geeignet gewesen, die Ruptur hervorzurufen.

Wegen anhaltender Beschwerden und Kraftlosigkeit im linken Bein suchte der Kläger am 07.09.1995 den D-Arzt auf. Am 08.09.1995 erfolgte im Kreiskrankenhaus R ... eine operative Sehnenrevision, bei der u. a. Material der rechten Achillessehne für eine histologische Untersuchung entnommen wurde, die Hinweise auf eine länger zurückliegende Ruptur ergab. Deshalb wandte sich der D-Arzt an die Beklagte und bat um nochmalige Überprüfung ihres ablehnenden Standpunktes. Seines Erachtens habe ein eindeutiger Unfallmechanismus vorgelegen. Auch habe der histologische Befund keinen Nachweis von degenerativen Veränderungen im Bereich der Achillessehne ergeben.

Die Beklagte befragte ihren beratenden Arzt Dr. P ..., D ..., der in seiner Stellungnahme vom 11.11.1995 empfahl, den Unfallzusammenhang anzuerkennen.

Auf Anfrage der Beklagten teilte der operierende OA Dr. B ... mit, er könne keine genauen Angaben dazu machen, ob degenerative Bezirke vorhanden gewesen seien. Da der Patient nach dessen Auskunft vor dem Ereignis vom 12.06.1995 keinerlei Beschwerden im Achillessehnenbereich gehabt habe, müsse das an diesem Tag eingetretene Ereignis die Ruptur ausgelöst haben.

Die Beklagte wandte sich nunmehr an Prof. Dr. M ..., FA für Chirurgie, D ..., der in seinem Gutachten vom 05.03.1996 ausführte, der histologische Befund erbringe keine eindeutige Ursache. Entscheidend sei die Einschätzung des Unfallherganges. Hier habe eine willentliche Kraftanstrengung bei kontrolliertem Bewegungsablauf stattgefunden. Dabei gelte, dass eher der Muskel in seiner Kraft versage, als dass eine nicht vorgeschädigte Sehne reiße. Im vorliegenden Fall seien also die Voraussetzungen für die Ruptur einer gesunden Sehne vom Unfallereignis her nicht gegeben. Ein ursächlicher Zusammenhang mit dem angeschuldigten Ereignis sei somit abzulehnen.

Darauf gestützt lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung ab (Bescheid vom 10.04.1996). Dem widersprach der Kläger und beschrieb den Unfallhergang näher.

Die Beklagte zog daraufhin den Orthopäden Dr. T ..., B ..., heran, der im Gutachten vom 07.08.1996 zu dem Ergebnis gelangte, es bestehe "überhaupt kein Zweifel" daran, dass der geschilderte Arbeitsablauf nicht in der Lage gewesen sei, einen Achillessehnenriss herbeizuführen. Bei dem Achillessehnenriss handle es sich ohne Zweifel um ein schicksalmäßiges Ereignis, welches zum selben oder nahen Zeitpunkt bei anderen kraftfordernden Bewegungsabläufen ebenso eingetreten wäre. Der eingetretene Achillessehnenriss sei damit Folge einer schicksalsmäßigen degenerativen Entartung des Gewebes. Eine solche Degeneration müsse keinesfalls irgendwelche Beschwerden verursachen und könne oft Jahrzehnte völlig symptomlos verlaufen. Die Befunde anlässlich der Operation seien so außergewöhnlich gewesen, dass an der vorbestehenden Degeneration überhaupt nicht gezweifelt werden könne. Derartige Befunde könnten sich nicht in einem Zeitraum von 3 Monaten entwickeln.

Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch zurück (Bescheid vom 06.09.1996).

Dagegen hat der Kläger das Sozialgericht Dresden (SG) angerufen. Sowohl Prof. Dr. M ... als auch Dr. T ... argumentierten vom Ergebnis her.

Das SG hat die Krankenunterlagen des Klägers beigezogen und Dr. Paul aus Dresden zum ärztlichen Sachverständigen ernannt. In seinem Gutachten vom 21.05.1997 hat dieser darauf hingewiesen, er könne wegen der unterschiedlichen Unfalldarstellungen keine sichere Einschätzung der Zusammenhangsfrage abgeben. Die gegenwärtige unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei mit 20 v. H. einzuschätzen.

Die Beklagte hat eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. St ..., D ..., vorgelegt. Danach sei der willentliche Krafteinsatz nicht als Unfall im Sinne des Gesetzes anzusehen.

Das SG hat die Beklagte am 30.09.1998 verurteilt, das Ereignis vom 12.06.1995 als Arbeitsunfall anzuerkennen und dem Kläger eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. ab 08.01.1996 zu gewähren. Es sei weder eine Vorschädigung noch deren genaueres Ausmaß nachgewiesen.

Dagegen hat die Beklagte am 22.12.1998 Berufung eingelegt. Es fehle an einem geeigneten Unfallhergang als einem plötzlich von Außen einwirkenden Ereignis.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 30.09.1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Dem Senat liegen die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten vor.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat - wie das SG zu Recht festgestellt hat - einen Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung des Unfalls vom 12.06.1995 als Arbeitsunfall.

Der Anspruch des Klägers richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil der von ihm geltend gemachte Arbeitsunfall vor dem In-Kraft-Treten des Siebenten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 01.01.1997 eingetreten ist (§ 212 SGB VII).

Nach § 548 Abs. 1 S. 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 - 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet.

Der Begriff des Unfalls ist in der RVO nicht bestimmt. Nach der ständigen Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit ist unter "Unfall" ein körperlich schädigendes, zeitlich begrenztes Ereignis zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 28.07.1977 - 2 RU 15/76 = SozR 2200 § 550 RVO Nr. 35; BSG, Urteil vom 24.06.1981 - 2 RU 61/79 = SozR 2200 § 548 RVO Nr. 56). Soweit daneben zum Teil auch gefordert wird, das Ereignis müsse "von außen" auf den Menschen einwirken, soll damit lediglich zum Ausdruck gebracht werden, dass ein aus innerer Ursache, aus dem Menschen selbst kommendes Ereignis nicht als Unfall anzusehen ist (BSG a. a. O.). Dazu ist nicht erforderlich, dass das Ereignis von außen her auf den Betroffenen zukommt; u. a. gelten auch körpereigene Bewegungen als von außen kommend (BSG, Urteil vom 17.10.1990 - 2 RU 43/90; Erlenkämper/Fichte, Sozialrecht, 4. Auflage, S. 37, 38).

In diesem Sinne hat der Kläger am 12.6.1995 einen Unfall erlitten. Die Kraftanstrengung und die dadurch bedingte Belastung - dessen tatsächlicher Umfang nicht feststellbar ist - durch das Wegschieben der Stahlplatte ist - entgegen der Auffassung der Beklagten - ein körperlich schädigendes, zeitlich begrenztes Ereignis und damit ein Unfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung.

Dieser Unfall war auch ein Arbeitsunfall. Der Kläger befand sich gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO unter Versicherungsschutz, als er die Stahlplatte wegschieben wollte, denn er erledigte dabei eine Tätigkeit, die in innerem Zusammenhang mit seinem Arbeitsverhältnis stand.

Von keinem der in dem Verfahren gehörten Sachverständigen wird bezweifelt, dass der Schmerz, den der Kläger beim Versuch des Zurechtrückens der vorstehenden Stahlplatte spürte, das Zeichen der sich im selben Augenblick ereignenden Sehnenruptur war (s. Stellungnahme Dr. P ... v. 11.11.1995, Bekl.-Akten Bl. 34 Rs.; Gutachten Dr. M ... v. 5.3.1996: Der Kläger verspürte einen "Schlag" im unteren Teil des Unterschenkels ["Krachen"], Beklagten-Akte Bl. 66; Dr. T ..., Gutachten v. 7.8.1996: Der Kläger erlitt am 12.6.1995 während einer beruflichen Tätigkeit eindeutig einen Achillessehnenriss links", Beklagten-Akte Bl. 98). Damit ist sowohl der Sehenriss im Zeitpunkt der erfolgten Kraftanstrengung als Tatsache als auch der ursächliche Zusammenhang des Risses mit der Kraftanstrengung im Sinne einer naturwissenschaftlichen "conditio sine qua non" erwiesen.

Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass die Achillessehnenruptur auch rechtlich auf das Wegschieben der Stahlplatte und somit auf den Unfall zurückzuführen ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die betriebsbezogene - versicherte - Tätigkeit den Unfall nach der im Unfallrecht geltenden Kausallehre von der wesentlichen Bedingung verursacht hat. Im Unterschied zur versicherten Tätigkeit, die voll nachgewiesen ist, muss die kausale Verknüpfung zwischen Unfallfolge - hier: die Ruptur - und dem Unfall nicht sicher feststehen. Insoweit genügen die geringere Anforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs für die richterliche Überzeugungsbildung (BSGE 61, 127, 129). Im Anschluss daran kommt es weiter darauf an, ob zwischen dem schädigenden Ereignis und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden (im Wesentlichen: Bewegungseinschränkung des oberen und unteren Sprungelenks, GA Dr. P ..., SG-Akte Bl. 75) ein ursächlicher Zusammenhang besteht [sog. haftungsausfüllende Kausalität]. Hier muss geklärt werden, ob der Unfall wesentliche Bedingung für den Gesundheitsschaden ist, und ob dieser Zusammenhang hinreichend wahrscheinlich ist.

Ob eine Unfallursache im naturwissenschaftlichen Sinn zugleich auch wesentliche Ursache (bzw. Bedingung) nach der in der gesetzlichen Unfallversicherung herrschenden Kausallehre ist, beurteilt sich nach dem Wert, den ihr die Auffassung des täglichen Lebens gibt (BSGE 38, 127, 129). Maßgebend ist die Qualität der einzelnen Ursachen, nicht dagegen deren Quantität oder die zeitliche Reihenfolge der Bedingungen im Rahmen der Kausalkette. Insbesondere ist eine Bedingung nicht schon deshalb (allein) wesentliche Ursache, weil sie als letzte eingetreten ist und den Erfolg sichtbar gemacht hat. Bei der Wertbestimmung der einzelnen für den Unfall ursächlichen Bedingungen ist jedoch auch der Schutzzweck der jeweiligen Norm mit einzubeziehen, um zu ermitteln, bis zu welcher Grenze der Versicherungsschutz reicht (BSGE a. a. O.).

"Bedingungen" sind damit solche Ursachen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfiele. "Wesentlich" ist eine solche Bedingung dann, wenn sie wegen ihrer besonderen qualitativen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen hat.

Im vorliegenden Fall ist die "haftungsbegründende" Kausalität (auch als Unfallkausalität im Unterschied zur Schadenskausalität bezeichnet, s. Schulin in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Rd. 2: Unfallversicherungsrecht § 27 Rn. 112, 1. Aufl. 1996, S. 548 f.) gegeben. Die versicherte Tätigkeit des Klägers stellt eine wesentliche Bedingung für den Unfall und seine (unmittelbare) Folge dar; denn ohne diese ganz konkrete Tätigkeit hätte sich dieser Unfall mit identischer Unfallfolge nicht ereignet. Doch kommt es darauf an, ob auch keine anderen Tatsachen festgestellt werden, die als Konkurrenzursachen wirksam geworden sein könnten.

Hier könnte daneben eine so genannte "Gelegenheitsursache" (auch "Anlassgeschehen") ein geeigneter Unfallhergang oder ein Vorschaden als weitere wesentliche Bedingungen in Betracht zu ziehen sein.

Bedingungen sind Tatsachen. Deren Vorliegen muss in der Regel voll bewiesen sein. Der Vollbeweis ist dann erbracht, wenn ein so hoher Grad an Gewissheit besteht, dass begründbare Zweifel nicht mehr bestehen. Denn jede Rechtsanwendung und damit auch jede Kausalitätsbeurteilung darf aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit, der Rechtssicherheit sowie der Durchsichtigkeit und Nachvollziehbarkeit der Rechtsanwendung nur auf Tatsachen gestützt werden, die voll nachgewiesen und dadurch jederzeit und von jedermann nachprüfbar sind. Annahmen, Vermutungen, Unterstellungen oder sonstige Hypothesen reichen nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht aus, auch eine "gute Möglichkeit" und selbst eine "hinreichende Wahrscheinlichkeit" nicht (A. Erlenkämper,, Arbeitsunfall, Schadensanlage und Gelegenheitsursache in: SGB 1997 S. 355,361 mit Hinweis auf BSG SozR 2200 § 548 Nr. 84 und SozR 3-2200 § 548 RVO Nr. 4).

Ebenso bedürfen aber auch alle unfallunabhängigen Kausalfaktoren, deren ursächliche Beteiligung an dem Eintritt des streitigen Schadens erwogen wird, in ihren tatsächlichen Grundlagen stets eines solchen Vollbeweises. Kann eine - theoretisch - in Betracht zu ziehende unfallfremde Mitursache in ihren tatsächlichen Grundlagen nicht nachgewiesen werden, kann sich - so das BSG in ständiger Rechtsprechung (BSGE 61, 127, 130) - "nicht einmal die Frage erheben", ob sie im konkreten Einzelfall Ursache im Rechtssinne sein könnte. Daher darf auch die ursächlich wesentliche oder gar überwiegende Mitwirkung einer Schadensanlage an der Entstehung der Körperschädigung stets nur erwogen werden, wenn diese Schadensanlage für den individuellen Einzelfall in ihren tatsächlichen Grundlagen im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen ist. Auch insofern reichen Annahmen, Unterstellungen, Hypothesen, "gute Möglichkeiten" und selbst eine "hinreichende Wahrscheinlichkeit" hier ebenso wenig aus, wie eine Berufung auf "allgemeine ärztliche Erfahrung" (Erlenkämper ebd. mit Hinweis auf BSG SozR 2200 § 548 Nr. 75,84; SozR 3-2200 § 548 RVO Nr. 4 u. 11; vgl. ferner Erlenkämper/Fichte, Sozialrecht, 4. Auflage, S. 118).

In diesem Zusammenhang ist auch der Schutzzweck des Gesetzes zu beachten. Die gesetzliche Unfallversicherung hat die Aufgabe, Versicherten, die "infolge" einer versicherten Tätigkeit einen Arbeitsunfall erleiden, für den dadurch bewirkten ("verursachten") Gesundheitsschaden die gesetzlich vorgesehene Entschädigung zu gewährleisten (Erlenkämper a. a. O. S. 357). Daher sind in den Schutz der Versicherung auch alle im Unfallzeitpunkt bereits bestehenden Krankheiten, Behinderungen, sonstige Vorschäden mit ihren Auswirkungen, aber auch alle Schadensanlagen, also alle konstitutionell, degenerativ oder durch frühere Erkrankungen oder Unfälle bedingten Krankheitsdispositionen einzubeziehen. Gerade der Versicherte, der trotz einer solchen Schadensanlage beruflichen Belastungen ausgesetzt wird und infolge einer solchen Schadensanlage leichter als der Gesunde, Robuste der Gefahr erliegt, durch schädigende Einwirkungen der versicherten Tätigkeit einen bleibenden Gesundheitsschaden zu erleiden, soll den Schutz des Gesetzes erfahren und nicht hiervon ausgeschlossen werden.

Tritt demnach eine Körperschädigung durch ein ursächliches Zusammenwirken von Arbeitsunfall und einer solchen Schadensanlage ein, darf dem Arbeitsunfall die Bedeutung einer rechtlich wesentlichen Bedingung nicht von vornherein pauschal mit der Begründung abgesprochen werden, die Schadensanlage habe sich "bei Gelegenheit" des Arbeitsunfalles manifestiert oder gar, bei einem gesunden Versicherten wäre dieser Schaden nicht eingetreten (vgl. Erlenkämper ebd.).

Nach der ständigen Rechtsprechung ist für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark und so leicht ansprechbar ist, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen nicht besonderer in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedarf, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSGE 62, 220, 222 m. w. N.). Nur in einem solchen Fall wird von der "Gelegenheitsursache" gesprochen.

Nicht ohne jede rechtliche Relevanz für die Frage, ob der Arbeitsunfall eine wesentliche Bedingung bildet oder nicht, ist es allerdings weiterhin, ob ein bestimmtes Unfallereignis sozialmedizinisch als "nicht geeignet" angesehen wird, den streitigen Gesundheitsschaden zu bewirken. Der Unfallhergang darf aber nur dann in die Abwägung mit einbezogen werden, wenn er generell, also auch für einen Laien einleuchtend, nicht geeignet ist, den aufgetretenen Gesundheitsschaden zu verursachen. Der Unfallhergang kann dann - sofern er überhaupt rekonstruierbar ist - als Indiz, aber nur als solches, für einen Vorschaden herangezogen werden, darf aber nicht, wie dies häufig und auch im vorliegenden Rechtsstreit der Fall ist, dazu herangezogen werden, den Schluss zu ziehen, dieser sei medizinisch generell nicht geeignet, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Denn im Sozialrecht ist - wie Erlenkämper zutreffend ausführt - rechtlich allein relevant, ob die schädigende Einwirkung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Conditio sine qua non für den Eintritt des Schadens gebildet hat und ob diese Bedingung auch rechtlich wesentlich ist. Eine generalisierende, auf allgemeine (auch: allgemein ärztliche) Erfahrung gestützte Betrachtung dahin, eine bestimmte Einwirkung sei generell nicht geeignet, den streitigen Schaden zu verursachen, und die damit auf die Adäquanz zwischen dem schädigenden Ereignis und dem eingetretenen Schaden abhebt, ist typisch für das Zivilrecht und für die dort gewollte Beschränkung der Haftung auf Bedingungen, die erfahrungsgemäß allgemein - also weitgehend unabhängig von den individuellen Gegebenheiten des konkreten Einzelfalles - geeignet sind, einen gleichartigen Erfolg zu bewirken. Ein solcherweise bewirkter Ausschluss ungewöhnlicher und unvorhersehbarer Kausalitätsabläufe ist dem Sozialrecht dagegen wesensfremd. Es wäre nicht mit dem Gebot der individualisierenden Prüfung vereinbar (Erlenkämper/Fichte a. a. O., S. 79 mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 28.06.1988 - 2/9b RU 28/87 = SozR 2200 § 548 RVO Nr. 91).

Damit ist freilich nicht zugleich von vornherein ausgeschlossen, dass in dem Fall, dass ein "geeigneter Unfallhergang" mit Sicherheit nicht stattgefunden hat, die medizinische Lehrmeinung: "ohne geeignetes Unfallereignis kein Riss einer gesunden Achillessehne" das Bestehen eines Vorschadens zwingend beweist.

In Übereinstimmung mit den im Verfahren herangezogenen Sachverständigen, der Literatur (Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl. 1998 S. 422) und der Rechtsprechung (s. die Nachweise bei Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, a. a. O. S. 423) ist davon auszugehen, dass eine gesunde Achillessehne in der Regel nur aufgrund plötzlicher, überfallartiger Überdehnung reißt. Es kann offen bleiben, ob es im Falle des Klägers zu einem vergleichbaren Unfallmechanismus gekommen ist (vgl. die Beschreibung in der Unfallmeldung v. 26.6.1995 - BG-Akten Bl. 1 - einerseits: )Der Kläger stemmte sich mit dem Körper gegen eine vorstehende Metallplatte, um diese zurechtzurücken; im selben Moment verspürte er einen starken Schmerz im linken Fuß( und die Darstellung des Vorganges im Schr. des Klägers v. 14.1.1997 - SG-Akte Bl. 34 - andererseits: )aufgrund der auf den Boden gefallenen Brennschlacke war der Stand des Klägers bei der vorgenommenen Kraftanstrengung nicht gesichert, sein Standbein verlor den festen Halt und er knickte mit dem verletzten Fuß um(). Denn auch unter der Voraussetzung, dass es an einem so genannten "geeigneten" Unfallmechanismus fehlte und man deshalb von einer nicht mehr "gesunden", d. h. aber degenerative Vorschäden aufweisenden Achillessehne auszugehen hat, ist der Anspruch des Klägers begründet.

Denn der Beweis eines Vorschadens allein und als solchen genügte nicht. Voll bewiesen muß vielmehr auch dessen Ausmaß sein. Dabei ist zu beachten, dass allein aus dem Unfallhergang bzw. aus Bewegungsabläufen nicht bereits auf das Vorhandensein degenerativer Veränderungen und somit anlagebedingter Vorschäden solchen Ausmaßes geschlossen werden darf, dass im Vergleich dazu das eigentliche Unfallereignis als völlig unbedeutend zurücktreten müsste. Kann - wie hier - das Ausmaß eines Vorschadens (anlagebedingten Leidens) nicht sicher festgestellt werden, stellt sich nicht einmal die Frage, ob dieser im konkreten Einzelfall auch nur als Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn in Betracht zu ziehen ist. Deshalb können auch die Gutachten von Prof. Dr. M ... und Dr. T ... insoweit nicht verwertet werden. Die Auffassung von Prof. Dr. M ..., im vorliegenden Fall sei entscheidend die Einschätzung des Unfallherganges, ist, wie oben dargelegt, nicht zutreffend. Allein mit dem Unfallhergang, der regelmäßig schon deshalb nicht genau rekonstruierbar sein dürfte, weil der Betroffene zum Zeitpunkt des Eintritts des Gesundheitsschadens in der Regel gerade nicht auf den Hergang achtet, kann der Vollbeweis für das rechtserhebliche Ausmaß eines Vorschadens in der Regel nicht geführt werden. Dies übersieht im Übrigen auch Dr. P ... Ein vorbestehender Gesundheitsschaden führt nicht allgemein und generell zum Ausschluss des Versicherungsschutzes. Dieser wird lediglich in den Fällen versagt, in denen der (bewiesene) Vorschaden die allein wesentliche Ursache der bei dem Unfall aufgetretenen Körperverletzung darstellt. Deshalb mag die Feststellung von Prof. Dr. M ... in medizinischer Hinsicht zutreffend sein, wonach die Voraussetzungen für die Ruptur einer gesunden Sehne vom Unfallereignis aus betrachtet nicht gegeben seien. Aber darauf kommt es im Sozialrecht unter Anwendung der Kausallehre nicht an.

Diese Ausführungen gelten im Wesentlichen auch für das Gutachten von Dr. T ... Soweit Dr. T ... ausführt, bei dem Achillessehnenriss handle es sich ohne Zweifel um ein schicksalmäßiges Ereignis, welches zum selben oder nahen Zeitpunkt bei anderen Kraft fordernden Bewegungsabläufen ebenso eingetreten wäre, handelt es sich um Behauptungen, die er nicht beweist. Er hätte auch hier die Tatsachen benennen und bewerten müssen, die zu einem solchen Schluss zwingen. Daran fehlt es aber auch in diesem Gutachten, weswegen ihm nicht gefolgt werden kann.

Die weitere Feststellung von Prof. Dr. M ..., wonach eher der Muskel in seiner Kraft versagt, als dass eine nicht vorgeschädigte Sehne reißt, mag deshalb durchaus zutreffen. Es wird dabei jedoch nur auf eine generalisierende allgemein ärztliche Erfahrung zurückgegriffen. Das ist prinzipiell nicht unzulässig, doch kommt es darauf an, welches Ausmaß im konkreten Einzelfall der unterstellte (!) Vorschaden bereits angenommen hatte.

Im Operationsbericht des Kreiskrankenhauses R ... vom 06.09.1995 von OA Dr. B ... ist nur von "fettig degenerativen Bezirken" die Rede (Unfallakte Bl. 28). Im Schreiben vom 10.01.1996 an die Beklagte hat Dr. B ... klargestellt, dass sich die histologische Untersuchung "nur auf winzige, aus dem Sehnenanteil herausgeschnittene Gewebebezirke" bezogen habe, "die keinesfalls eine maßgebliche Einschätzung von Degenerationsbezirken erlauben" (Bl. 43).

Prof. M ... räumt in seinem Gutachten vom 05.03.1996 (Bl. 62 ff.) selbst ein, dass "bindende Aussagen zum Ausmaß der Vorschädigung ... histologisch ... nur bis 4 Wochen nach dem Unfall möglich sind" (Bl. 67). Hier aber lagen fast 3 Monate dazwischen. Woher Dr. T ... seine Erkenntnis gewonnen hat, "die Befunde anläßlich der Operation [seien] aber so außergewöhnlich" (Bl. 102), ist unerfindlich. Seine Stellungnahme enthält insoweit nichts anderes, als den Hinweis auf jene fettigen degenerativen Veränderungen. Der von Dr. T ... in diesem Zusammenhang ebenfalls herangezogene Befund: "Bindegewebe mit Narbenfeldern und Herden von Granulationsgewebe, alte Blutreste" (Bl. 97) bezieht sich nach der Beurteilung des Histologen - OA Dr. R ... - selbst allein auf "das Reparationsstadium einer länger zurückliegenden Ruptur", enthält also ebenfalls keinen Hinweis auf das Ausmaß einer für unabdingbar gehaltenen Vorschädigung. Damit aber fehlt es an dem erforderlichen Nachweis dafür, dass der behauptete Vorschaden die rechtlich allein wesentliche Ursache für den Sehnenriss gewesen sei.

Der Umfang des durch den Unfall im Sinne der so genannten "haftungsausfüllenden" Kausalität ("Schadenskausalität") hervorgerufenen Gesundheitsschadens ist durch das Gutachten Dr. P ... bewiesen. Auf die entsprechenden Ausführungen des Urteils des SG wird insoweit Bezug genommen; die Beklagte hat sich im Berufungsverfahrens dagegen nicht - auch nicht hilfsweise - gewandt. Auch nach Einschätzung des Senats sind die Unfallfolgen mit einer MdE um 20 v. H. zutreffend bewertet.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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