Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 17 U 347/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 51/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 04. Juni 1998 mit dem Bescheid vom 27. Juni 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 1997 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Unfall des Klägers vom 23.02.1993 als Arbeitsunfall mit den Verletzungsfolgen: "Schädigung der vorderen unteren Kapselanteile des rechten Schultergelenks mit schmerzbedingter Einschränkung der Schulterbeweglichkeit" anzuerkennen und zu entschädigen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung und Entschädigung eines Unfalles vom 23.02.1993 als Arbeitsunfall.
Mit ärztlicher Unfallmeldung vom 22.09.1995 wurde der Beklagten mitgeteilt, der Kläger sei am 23.02.1993 während der Arbeit aus einem Auto gestürzt; er habe erst am folgenden Tag Schmerzen in der rechten Schulter verspürt. Am 29.03.1993 habe er sich eine Einreibung verordnen lassen, ohne dass die Ursache als Arbeitsunfall deklariert worden sei. Als Diagnose wurde eine Schultersteife bei degenerative Veränderungen an Sehnenursprüngen und -ansätzen, die zu einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung führen ( Periarthritis simplex) erhoben.
Nach den von der Beklagten beigezogenen Unterlagen fand sich bei einer röntgenologischen Untersuchung des Klägers am 29.03.1993 ein diskreter Gelenkverschleiß des Schultergelenkes (Omarthrose) sowie eine Arthrose im Schultereckgelenk.
Am 01.07.1993 suchte der Kläger den Facharzt für Orthopädie Dr. G ... aus ... auf. Dieser vermerkte an diesem Tage im Krankenblatt: "Vor 4 Monaten Sturz aus Barkas beim ...".
Im Schreiben vom 02.07.1993 wurde als Diagnose die Entwicklung einer echten Schultersteife aus Periarthritis simplex genannt.
In der Zeit vom 07.03.1995 bis 12.03.1995 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung in der Otto-von-Guericke-Universität ... Während dieses Aufenthalts erfolgte eine Arthroskopie am rechten Schultergelenk mit der Diagnose: "Frozen Schoulder 2. Grades (starre Schulter), Bursitis subacromialis [Schleinbeutelentzündung] rechtes Schultergelenk".
Der damalige Arbeitgeber des Klägers bestätigte eine mündliche Meldung des "Arbeitsunfalles" vom 23.02.1993, freilich sei trotz einer früheren Anfrage dieser Unfall bisher nicht bekannt gewesen. Der Kläger sei wegen dieses Unfalles nicht arbeitsunfähig gewesen.
Auf Anfrage der Beklagten schilderte der Kläger, er sei beim Entladen des Firmenwagens mit beiden Füßen hängen geblieben und vorwärts aus dem Fahrzeug gestürzt. Er habe tagelang Schmerzen in allen Gelenken gehabt.
Der von der Beklagten befragte Zeuge Kreu bestätigte, dass der Kläger am 23.02.1993 beim Entladen des Firmenfahrzeuges aus diesem gestürzt sei; es sei ein "starker Aufprall" gewesen.
Nachdem die Beklagte noch weitere Krankenunterlagen beigezogen hatte, beauftragte sie Dr. H ..., Arzt für Chirurgie in ... als Sachverständigen. In seinem Gutachten vom 11.11.1996 kam dieser zu dem Ergebnis, dem Unfallhergang, den ärztlichen Befundberichten und dem weiteren Verlauf sei nichts zu entnehmen, was für einen Unfallschaden im Bereich des rechten Schultergelenkes spreche. Der Kläger habe ihm berichtet, er sei auf das rechte Knie und den rechten Ellenbogen gestürzt. Hieraus könnte zwar prinzipiell eine fortgeleitete Stauchung des rechten Schultergelenkes mit Läsion der Rotatorenmanschette entstehen. Vor allem Letztere sei aber ärztlicherseits nicht festgestellt worden. Bei einer Periarthritis handle es sich nicht um eine Unfallfolge, sondern um eine Erkrankung. Aus den Diagnosen "Frozen Schoulder 2. Grades", "Bursitis subacromialis rechte Schulter" und "Impingementsyndrom rechte Schulter" könne auf unfallunabhängige krankhafte Veränderungen im Bereich des rechten Schultergelenkes geschlossen werden. Zusammenfassend kam er zu dem Ergebnis, das Ereignis vom 23.02.1993 sei mit Wahrscheinlichkeit nicht die Ursache oder wesentlich mitwirkende Teilursache der Beschwerden und Befunde im Bereich des rechten Schultergelenkes, sondern nur Gelegenheitsursache. Der Befund wäre mit Wahrscheinlichkeit auch ohne jede äußere Einwirkung bzw. ohne das angeschuldigte Ereignis durch eine übliche Verrichtung des privaten täglichen Lebens zu etwa der selben Zeit (in naher Zukunft) in etwa dem selben Ausmaß eingetreten.
Darauf gestützt lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung ab (Bescheid vom 27.06.1997). Dem widersprach der Kläger. Es habe sich um einen Arbeitsunfall gehandelt. Erst seit dem Unfall seien die Bewegungen im rechten Schultergelenk schmerzhaft eingeschränkt.
Die Beklagte wies den Widerspruch unter Bezugnahme auf das Gutachten von Dr. Hopp zurück (Bescheid vom 24.09.1997).
Hiergegen hat sich der Kläger an das Sozialgericht Chemnitz (SG) gewandt, das mit Urteil vom 04.06.1998 die Klage abgewiesen hat. Zwar könne eine Schultersteife durch mechanisch-traumatische Ereignisse verursacht werden, jedoch seien keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, die darauf hindeuteten, beim Kläger liege eine traumatische Schulterverletzung (Knochenverletzung, Prellung und Zerrung) rechts vor. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Schultersteife auf eine bestehende degenerative Erkrankung des Klägers zurückzuführen sei. Hierfür spreche auch das Röntgenergebnis vom 29.03.1993 sowie das am 21.01.1993 festgestellte Zervikalsyndrom rechts.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 16.06.1998 zugestellte Urteil hat der Kläger am 02.07.1998 Berufung eingelegt. Er habe nach dem Unfall von einem Arztbesuch abgesehen, weil er den Verlust seines Arbeitsplatzes wegen einer eventuellen Krankschreibung befürchtet habe. Eine Vorerkrankung an der rechten Schulter habe es nicht gegeben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 04.06.1998 sowie den Bescheid vom 27.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.09.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Unfall des Klägers vom 23.02.1993 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen, hilfsweise, den Rechtsstreit zu vertagen um ihm Gelegenheit zu geben, die im Termin verlesene Ausführung von Dr. M ... sachlich zu prüfen und sich dazu zu äußern.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Fünf Wochen nach dem angeschuldigten Ereignis habe keine traumatische Verletzung im Bereich des rechten Schultergelenkes festgestellt werden können, die geeignet gewesen wäre, die beim Kläger bestehende Schultersteife rechts bei bestehender Entzündung der Schicht der Blutgefäßwandungen sowie des umgebenen Bindegewebes rechtlich wesentlich zu verursachen. Die röntgenologisch nachgewiesene diskrete Schultergelenkarthrose und Schultereckgelenkarthrose habe bereits vor dem angeschuldigten Ereignis vorgelegen.
Der Senat hat nunmehr Prof. Dr. G ..., Städtisches Klinikum ... zum Sachverständigen bestellt, der in seinem Gutachten vom 10.11.2000 zu dem Ergebnis kommt, dass sich der Kläger bei dem streitgegenständlichen Unfall eine Schädigung der vorderen unteren Kapselanteile des rechten Schultergelenkes mit nachfolgender schmerzbedingter Einschränkung der Schulterbeweglichkeit zugezogen hat. Eine Schadensanlage im rechten Schultergelenk zum Unfallzeitpunkt könne nicht hinreichend belegt werden, eine solche könne allenfalls minimal gewesen sein. Aus dem Weiterarbeiten könne nicht der Schluss gezogen werden, es sei zu keiner Schulterverletzung gekommen. Die röntgenologisch sichtbaren Veränderungen hätten sich in der Zeit von 1993 bis 1995 rasch und nicht generalisiert, sondern lokal entwickelt. Dies spreche gegen einen lediglich "normal" fortschreitenden Verschleiß und für lokalisierte Reparaturvorgänge in diesem Bereich.
Dem hält der Beratungsarzt der Beklagten Dr. M ... in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 06.12.2000 entgegen, eine Schultersteife könne nur dann eintreten, wenn ein schwerwiegendes Ereignis die Schulter geschädigt habe. Hier aber habe der Kläger weiter gearbeitet. Es fehle damit der verletzungskonforme Verlauf. Nach der Röntgenaufnahme vom 29.03.1993 habe bei dem Kläger eine Arthrose im Schultereckgelenk bestanden, die nicht auf den Unfall zurückgeführt werden könne. Gegen einen solchen Erstkapselschaden spreche auch der nicht verletzungskonforme Verlauf.
Dem Senat liegen die Prozessakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte der Beklagten vor.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung des Unfalls vom 23.02.1993 als Arbeitsunfall.
Der Anspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil der von ihm geltend gemachte Arbeitsunfall vor dem In-Kraft-Treten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 01.01.1997 eingetreten ist (§ 212 SGB VII).
Nach § 548 Abs. 1 S. 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet.
Der Kläger hat, als er während seiner versicherten Arbeit aus einem Auto stürzte, einen Unfall erlitten.
Der Begriff des Unfalls ist in der RVO nicht bestimmt. Nach der in Rechtsprechung und Schrifttum seit langem und im Wesentlichen einhellig vertretenen Auffassung ist ein Unfall ein körperlich schädigendes, zeitlich begrenztes Ereignis (vgl. BSG, Urteil vom 18.03.1997 - 2 RU 8/96 -). Soweit daneben zum Teil auch gefordert wird, das Ereignis müsse "von außen" auf den Menschen einwirken, soll damit lediglich ausgedrückt werden, dass ein aus innerer Ursache, aus dem Menschen selbst kommendes Ereignis, nicht als Unfall anzusehen ist (BSG a. a. O.). Wesentlich für den Begriff des Unfalls sind hiernach ein ("äußeres") Ereignis als mögliche Ursache für eine Körperschädigung (als dessen Wirkung) Der Sturz aus dem Fahrzeug ist prinzipiel geeignet, eine Körperschädigung herbeizuführen.
Dass der Kläger im Unfallzeitpunkt eine versicherte Tätigkeit verrichtete steht außer Frage; denn er war damit beschäftigt, im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses das Betriebsfahrzeug zu entladen (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO). Es hat demnach der Kläger am 23.2.1993 einen Arbeitsunfall erlitten.
Das besagt allerdings noch nicht, dass die Schädigung der vorderen unteren Kapselanteile des rechten Schultergelenkes mit nachfolgender schmerzbedingter Einschränkung der Schulter- beweglichkeit auch rechtlich auf den Sturz und somit auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die betriebsbezogene - versicherte - Tätigkeit den Unfall nach der im Unfallrecht geltenden Kausallehre von der wesentlichen Bedingung verursacht hat. Im Unterschied zur versicherten Tätigkeit, die voll nachgewiesen ist, braucht die kausale Verknüpfung zwischen Unfallfolge - hier: Schädigung der vorderen unteren Kapselanteile des rechten Schultergelenkes mit nachfolgender schmerzbedingter Einschränkung der Schulterbeweglichkeit - und dem Unfall nicht sicher festzustehen. Insoweit genügt die geringere Anforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs für die richterliche Überzeugungsbildung (BSGE 61,127,129). Im Anschluss daran kommt es weiter darauf an, ob zwischen dem schädigenden Ereignis und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden (im Wesentlichen: Schädigung der vorderen unteren Kapselanteile des rechten Schultergelenkes mit nachfolgender schmerzbedingter Einschränkung der Schulterbeweglichkeit) ein ursächlicher Zusammenhang besteht [sog. haftungsausfüllende Kausalität]. Hier muss geklärt werden, ob der Unfall wesentliche Bedingung für den Gesundheitsschaden ist, und ob dieser Zusammenhang hinreichend wahrscheinlich ist.
Ob eine Unfallursache im naturwissenschaftlichen Sinn zugleich auch wesentliche Ursache (bzw. Bedingung) nach der in der gesetzlichen Unfallversicherung herrschenden Kausallehre ist, beurteilt sich nach dem Wert, den ihr die Auffassung des täglichen Lebens gibt (BSGE 38, 127, 129). Maßgebend ist die Qualität der einzelnen Ursachen, nicht dagegen deren Quantität oder die zeitliche Reihenfolge der Bedingungen im Rahmen der Kausalkette. Insbesondere ist eine Bedingung nicht schon deshalb (allein) wesentliche Ursache, weil sie als letzte eingetreten ist und den Erfolg sichtbar gemacht hat. Bei der Wertbestimmung der einzelnen für den Unfall ursächlichen Bedingungen ist jedoch auch der Schutzzweck der jeweiligen Norm mit einzubeziehen, um zu ermitteln, bis zu welcher Grenze der Versicherungsschutz reicht (BSGE a. a. O.).
"Bedingungen" sind damit solche Ursachen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfiele. "Wesentlich" ist eine solche Bedingung dann, wenn sie wegen ihrer besonderen qualitativen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen hat.
Im vorliegenden Fall ist die "haftungsbegründende" Kausalität (auch als Unfallkausalität im Unterschied zur Schadenskausalität bezeichnet, s. Schulin in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Rd. 2: Unfallversicherungsrecht § 27 Rn. 112, 1. Aufl. 1996, S. 548 f.) gegeben. Die versicherte Tätigkeit des Klägers stellt eine wesentliche Bedingung für den Unfall und seine (unmittelbare) Folge dar; denn ohne diese ganz konkrete Tätigkeit hätte sich dieser Unfall mit identischer Unfallfolge nicht ereignet. Doch kommt es darauf an, ob auch keine anderen Tatsachen festgestellt werden, die als Konkurrenzursachen wirksam geworden sein könnten.
Hier könnte daneben eine so genannte "Gelegenheitsursache" (auch "Anlassgeschehen") ein geeigneter Unfallhergang oder ein Vorschaden als weitere wesentliche Bedingungen in Betracht zu ziehen sein.
Bedingungen sind Tatsachen. Deren Vorliegen muss in der Regel voll bewiesen sein. Der Vollbeweis ist dann erbracht, wenn ein so hoher Grad an Gewissheit besteht, dass begründbare Zweifel nicht mehr bestehen. Denn jede Rechtsanwendung und damit auch jede Kausalitätsbeurteilung darf aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit, der Rechtssicherheit sowie der Durchsichtigkeit und Nachvollziehbarkeit der Rechtsanwendung nur auf Tatsachen gestützt werden, die voll nachgewiesen und dadurch jederzeit und von jedermann nachprüfbar sind. Annahmen, Vermutungen, Unterstellungen oder sonstige Hypothesen reichen nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht aus, auch eine "gute Möglichkeit" und selbst eine "hinreichende Wahrscheinlichkeit" nicht (A. Erlenkämper,, Arbeitsunfall, Schadensanlage und Gelegenheitsursache in: SGB 1997 S. 355,361 mit Hinweis auf BSG SozR 2200 § 548 Nr. 84 und SozR 3-2200 § 548 RVO Nr. 4).
Ebenso bedürfen aber auch alle unfallunabhängigen Kausalfaktoren, deren ursächliche Beteiligung an dem Eintritt des streitigen Schadens erwogen wird, in ihren tatsächlichen Grundlagen stets eines solchen Vollbeweises. Kann eine - theoretisch - in Betracht zu ziehende unfallfremde Mitursache in ihren tatsächlichen Grundlagen nicht nachgewiesen werden, kann sich - so das BSG in ständiger Rechtsprechung (BSGE 61, 127, 130) - "nicht einmal die Frage erheben", ob sie im konkreten Einzelfall Ursache im Rechtssinne sein könnte. Daher darf auch die ursächlich wesentliche oder gar überwiegende Mitwirkung einer Schadensanlage an der Entstehung der Körperschädigung stets nur erwogen werden, wenn diese Schadensanlage für den individuellen Einzelfall in ihren tatsächlichen Grundlagen im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen ist. Auch insofern reichen Annahmen, Unterstellungen, Hypothesen, "gute Möglichkeiten" und selbst eine "hinreichende Wahrscheinlichkeit" hier ebenso wenig aus, wie eine Berufung auf "allgemeine ärztliche Erfahrung" (Erlenkämper ebd. mit Hinweis auf BSG SozR 2200 § 548 Nr. 75,84; SozR 3-2200 § 548 RVO Nr. 4 u. 11; vgl. ferner Erlenkämper/Fichte, Sozialrecht, 4. Auflage, S. 118).
In diesem Zusammenhang ist auch der Schutzzweck des Gesetzes zu beachten. Die gesetzliche Unfallversicherung hat die Aufgabe, Versicherten, die "infolge" einer versicherten Tätigkeit einen Arbeitsunfall erleiden, für den dadurch bewirkten ("verursachten") Gesundheitsschaden die gesetzlich vorgesehene Entschädigung zu gewährleisten (Erlenkämper a. a. O. S. 357). Daher sind in den Schutz der Versicherung auch alle im Unfallzeitpunkt bereits bestehenden Krankheiten, Behinderungen, sonstige Vorschäden mit ihren Auswirkungen, aber auch alle Schadensanlagen, also alle konstitutionell, degenerativ oder durch frühere Erkrankungen oder Unfälle bedingten Krankheitsdispositionen einzubeziehen. Gerade der Versicherte, der trotz einer solchen Schadensanlage beruflichen Belastungen ausgesetzt wird und infolge einer solchen Schadensanlage leichter als der Gesunde, Robuste der Gefahr erliegt, durch schädigende Einwirkungen der versicherten Tätigkeit einen bleibenden Gesundheitsschaden zu erleiden, soll den Schutz des Gesetzes erfahren und nicht hiervon ausgeschlossen werden.
Tritt demnach eine Körperschädigung durch ein ursächliches Zusammenwirken von Arbeitsunfall und einer solchen Schadensanlage ein, darf dem Arbeitsunfall die Bedeutung einer rechtlich wesentlichen Bedingung nicht von vornherein pauschal mit der Begründung abgesprochen werden, die Schadensanlage habe sich "bei Gelegenheit" des Arbeitsunfalles manifestiert oder gar, bei einem gesunden Versicherten wäre dieser Schaden nicht eingetreten (vgl. Erlenkämper ebd.).
Nach der ständigen Rechtsprechung ist für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark und so leicht ansprechbar ist, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen nicht besonderer in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedarf, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSGE 62, 220, 222 m. w. N.). Nur in einem solchen Fall wird von der "Gelegenheitsursache" gesprochen.
Nicht ohne jede rechtliche Relevanz für die Frage, ob der Arbeitsunfall eine wesentliche Bedingung bildet oder nicht, ist es allerdings weiterhin, ob ein bestimmtes Unfallereignis sozialmedizinisch als "nicht geeignet" angesehen wird, den streitigen Gesundheitsschaden zu bewirken. Der Unfallhergang darf aber nur dann in die Abwägung mit einbezogen werden, wenn er generell, also auch für einen Laien einleuchtend, nicht geeignet ist, den aufgetretenen Gesundheitsschaden zu verursachen. Der Unfallhergang kann dann - sofern er überhaupt rekonstruierbar ist - als Indiz, aber nur als solches, für einen Vorschaden herangezogen werden, darf aber nicht, wie dies häufig und auch im vorliegenden Rechtsstreit der Fall ist, dazu herangezogen werden, den Schluss zu ziehen, dieser sei medizinisch generell nicht geeignet, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Denn im Sozialrecht ist - wie Erlenkämper zutreffend ausführt - rechtlich allein relevant, ob die schädigende Einwirkung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Conditio sine qua non für den Eintritt des Schadens gebildet hat und ob diese Bedingung auch rechtlich wesentlich ist. Eine generalisierende, auf allgemeine (auch: allgemein ärztliche) Erfahrung gestützte Betrachtung dahin, eine bestimmte Einwirkung sei generell nicht geeignet, den streitigen Schaden zu verursachen, und die damit auf die Adäquanz zwischen dem schädigenden Ereignis und dem eingetretenen Schaden abhebt, ist typisch für das Zivilrecht und für die dort gewollte Beschränkung der Haftung auf Bedingungen, die erfahrungsgemäß allgemein - also weitgehend unabhängig von den individuellen Gegebenheiten des konkreten Einzelfalles - geeignet sind, einen gleichartigen Erfolg zu bewirken. Ein solcherweise bewirkter Ausschluss ungewöhnlicher und unvorhersehbarer Kausalitätsabläufe ist dem Sozialrecht dagegen wesensfremd. Es wäre nicht mit dem Gebot der individualisierenden Prüfung vereinbar (Erlenkämper/Fichte a. a. O., S. 79 mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 28.06.1988 - 2/9b RU 28/87 = SozR 2200 § 548 RVO Nr. 91).
Unter Heranziehung dieser Grundsätze kann im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden, dass der Kläger an einer Schadensanlage an der rechten Schulter gelitten hat. Eine solche Schadensanlage ist im Sinne des Vollbeweises nachzuweisen. Hierzu führt Dr. G ... in seinem Gutachten aus, dass eine Schadensanlage am rechten Schultergelenk zum Unfallzeitpunkt nicht hinreichend belegt werden kann und belegt dies durch die Analyse der zeitnah zum Unfall angefertigten Röntgenaufnahmen. Diejenige der rechten Schulter vom 29.3.1993 zeigt "allenfalls diskrete Hinweise auf Verschleißerscheinungen" im Schulergelenk und im Schultereckgelenk, welche jedoch "das altersübliche Maß bei einem körperlich arbeitenden Rechtshänder nicht übersteigen (Gutachten S. 4, LSG-Akte Bl. 61). Von daher erscheint es dem Senat die Beurteilung von Dr. Müller vom 6.12.2000 (LSG-Akten Bl. 95) als spekulativ, diese geringfügigen Verschleißerscheinungen würden den Bewegungsraum für die Rotatorenmanschette einengen und auf diese Weise ein "Krankheitspotential" darstellen für die spätere reaktive Entzündung des Schulterschleimbeutels als unmittelbare Ursache der Schultersteife. Denn wenn es sich tatsächlich so verhielte, dann müßte praktisch in einer Vielzahl von Fällen - also denen mit mit altesentsprechenden Verschleißerscheinungen im Schulter- und Schultereckgelenk - die Schleimbeutelentzündung als regelmäßige Krankheit - ja Volkskrankheit - auftreten. So verhält es sich offenbar nicht. Dr ... legt auch nicht dar, daß Prof Gahr das Röntgenbild falsch gedeutet habe und die Verschleißerscheinungen in Wahrheit erheblich stärker ausgeprägt gewesen seien, als von diesem dargestellt. Der Senat vermag sich deshalb nicht von der Existenz eines Vor-"Schadens" als "Krankheitsgrundlage" und Ursache des später festgestellten Befundes zu überzeugen. Kann also - wie hier - ein Vorschaden oder anlagebedingtes Leiden nicht sicher festgestellt werden, stellt sich nicht einmal die Frage, ob sie im konkreten Einzelfall auch nur als Ursache im naturwissenschaftlich-philisophischen Sinn in Betracht zu ziehen ist.
Wenn Dr. M ... ferner ausführt, eine "frozen shoulder" als Schultersteife könne nur dann unfallbedingt entstanden sein, wenn eine "schwerwiegendes Ereignis" die Schulter geschädigt habe, geht er sinngemäß davon aus, dass der Unfallhergang nicht geeignet gewesen sei, die Schultersteife zu verursachen. Eine solche Betrachtungsweise ist aber, wie oben dargelegt, für die sozialrechtliche Beurteilung eines Kausalzusammenhangs ungeeignet, wenn nicht zugleich dargelegt wird, weshalb der tatsächliche Unfallhergang unter jedem Gesichtspunkt als Ursache nicht in Betracht kommen kann. Hier steht immerhin soviel fest, daß nach der ältesten Dokumentation des Vorganges (Krankenblatteintragung vom 1.7.1993, Verw.-Akte Bl. 10) bei dem Sturz neben Kniegelenk ("KG") und Hüftgelenk ("HG") auch die "Schulter" und zwar ausdrücklich die "rechte Schulter" betroffen war. Mehr als drei Jahre später wußte der Kläger sich gegenüber Dr. H ... zu erinnern, daß er auf das rechte Knie und den rechten Ellenbogen gestürzt sei (Gutachten S. 4, Verw.-Akte Bl. 71). Dies Angabe ist gewiß untendenziös gemacht, andernfalls hätte es nahe gelegen - der Kläger wußte, worum es geht - eine unmittelbare Schulterbeteiligung anzugeben. Bei einem Sturz aus einem Fahrzeug wird regelmäßig der Ellenbogen beteiligt sei, weil es der natürlichen reflexartigen Auffangreaktion entspricht. Daß von hier aus die Aufprallkraft an das Schultergelenk weitergegeben wird, ist physiologisch unvermeidlich. Es spricht aber die Eintragung von Juli 1993 mehr dafür, daß die rechte Schulter unmittelbar beteiligt war. Deshalb vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, daß - wie es erforderlich wäre, um von einem "ungeeigneten" Unfallhergang zu sprechen - die Schulter bei dem Sturz überhaupt nicht beteiligt war.
Das die Schulter nicht betroffen gewesen sein könne, versucht Dr. M ... aus dem Umstand zu erschließen, daß der Kläger nach dem Unfall weiter arbeitete, dies aber eine substantielle Schädigung wegen der aufgehobenen Belastbarkeit nicht zugelassen hätte. Nun schreibt Dr. M ... in anderem Zusammenhang, eine Arthrose müsse sich nicht kontinuierlich entwickeln, es sei vielmehr auch ein sprunghafter Verlauf mit nachfolgender Stagnation möglich - für den Senat ein Hinweis dafür, daß biologische Vorgänge offenbar nicht zwingend monomodal verlaufen, vielmehr eine erhebliche Bandbreite besteht. Hinzu kommt, daß der Kläger von Dr. G ... als "indolent" (herabgesetzt schmerzempfindlich) beschrieben wird und überdies die Unfallfolge ohnehin nicht stark ausgeprägt war. Eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit liegt nicht vor (s.u.). Deshalb vermag der Senat auch in diesem Hinweis keine Widerlegung des von Dr. G ... dargelegten Ursachenzusammenhangs zu erblicken.
Auch den Ausführungen des SG ist nicht zu folgen, wonach davon auszugehen sei, dass "die Schultersteife auf eine bestehende degenerative Erkrankung des Klägers zurückzuführen". Das SG beachtet dabei nicht, dass es des Nachweises im Sinne eines Vollbeweises des Vorschadens bedarf. Ein solcher Nachweis läßt sich den Entscheidungsgründen nicht entnehmen. Insbesondere bleibt offen, warum das Röntgenergebnis vom 29.03.1993 sowie das am 21.01.1993 festgestellte Zervikalsyndrom rechts für eine degenerative Vorerkrankung sprechen sollen.
Das Gutachten von Dr. H ... steht dem ebenfalls nicht entgegen. Dieser hat zur Intensität der Einwirkungen keinerlei Ausführungen gemacht, obwohl ein Zeuge angegeben hatte, es habe ein "starker Aufprall" (Bl. 37 der B.-Akte) stattgefunden. Soweit Dr. H ... behauptet, es liege eine so genannte Gelegenheitsursache vor, fehlt es an dem hierfür erforderlichen Nachweis, dass es sich bei der Frozen Schoulden zweiten Grades, der Bursitits subacromialis der rechten Schulter mit Impingementsyndrom um unfallunabhängige krankhafte Veränderungen handelt. Für den Senat ist nicht nachvollziehbar, welche Nachweise diesen Schluss zulassen. Auch genügt nicht die formelhafte Umschreibung der Gelegenheitsursache, um eine solche zu beweisen. Dr. H ... hätte in seinem Gutachten anhand von Nachweisen darlegen müssen, dass die unfallunabhängige Schadensanlage im Zeitpunkt des Unfallereignisses bereits so stark ausgeprägt war, dass es nur noch eines geringfügigen Anstoßes bedurfte, um den konkreten Gesundheitsschaden auszulösen. In seinem Gutachten fehlt aber bereits der Nachweis im Sinne des Vollbeweises, dass eine unfallunabhängige Schadensanlage überhaupt bestand. Auch vermag Dr. H ... nicht deutlich zu machen, weshalb die - in der Tat nicht festgestellte - Rotatorenmanschettenruptur die medizinisch einzig mögliche unmittelbare Unfallfolge darstellen soll. Die knappe Behauptung: "Bei einer Periarthritis handelt es sich nicht um eine Unfallfolge, sondern um eine Erkrankung" (Gutachten S. 4, Verw.-Akten Bl. 71) läßt sich nicht verifiziren. Nach Standardwerk von Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch kann dieses Leiden sehr wohl "mechanisch-traumatisch" verursacht sein (Stichwort: Periarthropathia humeroscapularis). Auch dies vermag daher nicht zu überzeugen.
Der Senat hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, den Kläger wegen der Folgen des Unfalles "zu entschädigen". Der Umfang dieser Leistungen ergibt sich aus dem tatsächlichen gesetzlichen Bedarf. Zur Klarstellung ist jedoch ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß die Gewährung einer Verletztenrente nicht dazu gehört. Dies ergibt sich aus dem gutachten von Dr. G ..., wonach eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit zu keinem Zeitpunkt bestand (S. 12, LSG-Akten Bl. 69).
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG) liegen nicht vor.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung und Entschädigung eines Unfalles vom 23.02.1993 als Arbeitsunfall.
Mit ärztlicher Unfallmeldung vom 22.09.1995 wurde der Beklagten mitgeteilt, der Kläger sei am 23.02.1993 während der Arbeit aus einem Auto gestürzt; er habe erst am folgenden Tag Schmerzen in der rechten Schulter verspürt. Am 29.03.1993 habe er sich eine Einreibung verordnen lassen, ohne dass die Ursache als Arbeitsunfall deklariert worden sei. Als Diagnose wurde eine Schultersteife bei degenerative Veränderungen an Sehnenursprüngen und -ansätzen, die zu einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung führen ( Periarthritis simplex) erhoben.
Nach den von der Beklagten beigezogenen Unterlagen fand sich bei einer röntgenologischen Untersuchung des Klägers am 29.03.1993 ein diskreter Gelenkverschleiß des Schultergelenkes (Omarthrose) sowie eine Arthrose im Schultereckgelenk.
Am 01.07.1993 suchte der Kläger den Facharzt für Orthopädie Dr. G ... aus ... auf. Dieser vermerkte an diesem Tage im Krankenblatt: "Vor 4 Monaten Sturz aus Barkas beim ...".
Im Schreiben vom 02.07.1993 wurde als Diagnose die Entwicklung einer echten Schultersteife aus Periarthritis simplex genannt.
In der Zeit vom 07.03.1995 bis 12.03.1995 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung in der Otto-von-Guericke-Universität ... Während dieses Aufenthalts erfolgte eine Arthroskopie am rechten Schultergelenk mit der Diagnose: "Frozen Schoulder 2. Grades (starre Schulter), Bursitis subacromialis [Schleinbeutelentzündung] rechtes Schultergelenk".
Der damalige Arbeitgeber des Klägers bestätigte eine mündliche Meldung des "Arbeitsunfalles" vom 23.02.1993, freilich sei trotz einer früheren Anfrage dieser Unfall bisher nicht bekannt gewesen. Der Kläger sei wegen dieses Unfalles nicht arbeitsunfähig gewesen.
Auf Anfrage der Beklagten schilderte der Kläger, er sei beim Entladen des Firmenwagens mit beiden Füßen hängen geblieben und vorwärts aus dem Fahrzeug gestürzt. Er habe tagelang Schmerzen in allen Gelenken gehabt.
Der von der Beklagten befragte Zeuge Kreu bestätigte, dass der Kläger am 23.02.1993 beim Entladen des Firmenfahrzeuges aus diesem gestürzt sei; es sei ein "starker Aufprall" gewesen.
Nachdem die Beklagte noch weitere Krankenunterlagen beigezogen hatte, beauftragte sie Dr. H ..., Arzt für Chirurgie in ... als Sachverständigen. In seinem Gutachten vom 11.11.1996 kam dieser zu dem Ergebnis, dem Unfallhergang, den ärztlichen Befundberichten und dem weiteren Verlauf sei nichts zu entnehmen, was für einen Unfallschaden im Bereich des rechten Schultergelenkes spreche. Der Kläger habe ihm berichtet, er sei auf das rechte Knie und den rechten Ellenbogen gestürzt. Hieraus könnte zwar prinzipiell eine fortgeleitete Stauchung des rechten Schultergelenkes mit Läsion der Rotatorenmanschette entstehen. Vor allem Letztere sei aber ärztlicherseits nicht festgestellt worden. Bei einer Periarthritis handle es sich nicht um eine Unfallfolge, sondern um eine Erkrankung. Aus den Diagnosen "Frozen Schoulder 2. Grades", "Bursitis subacromialis rechte Schulter" und "Impingementsyndrom rechte Schulter" könne auf unfallunabhängige krankhafte Veränderungen im Bereich des rechten Schultergelenkes geschlossen werden. Zusammenfassend kam er zu dem Ergebnis, das Ereignis vom 23.02.1993 sei mit Wahrscheinlichkeit nicht die Ursache oder wesentlich mitwirkende Teilursache der Beschwerden und Befunde im Bereich des rechten Schultergelenkes, sondern nur Gelegenheitsursache. Der Befund wäre mit Wahrscheinlichkeit auch ohne jede äußere Einwirkung bzw. ohne das angeschuldigte Ereignis durch eine übliche Verrichtung des privaten täglichen Lebens zu etwa der selben Zeit (in naher Zukunft) in etwa dem selben Ausmaß eingetreten.
Darauf gestützt lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung ab (Bescheid vom 27.06.1997). Dem widersprach der Kläger. Es habe sich um einen Arbeitsunfall gehandelt. Erst seit dem Unfall seien die Bewegungen im rechten Schultergelenk schmerzhaft eingeschränkt.
Die Beklagte wies den Widerspruch unter Bezugnahme auf das Gutachten von Dr. Hopp zurück (Bescheid vom 24.09.1997).
Hiergegen hat sich der Kläger an das Sozialgericht Chemnitz (SG) gewandt, das mit Urteil vom 04.06.1998 die Klage abgewiesen hat. Zwar könne eine Schultersteife durch mechanisch-traumatische Ereignisse verursacht werden, jedoch seien keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, die darauf hindeuteten, beim Kläger liege eine traumatische Schulterverletzung (Knochenverletzung, Prellung und Zerrung) rechts vor. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Schultersteife auf eine bestehende degenerative Erkrankung des Klägers zurückzuführen sei. Hierfür spreche auch das Röntgenergebnis vom 29.03.1993 sowie das am 21.01.1993 festgestellte Zervikalsyndrom rechts.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 16.06.1998 zugestellte Urteil hat der Kläger am 02.07.1998 Berufung eingelegt. Er habe nach dem Unfall von einem Arztbesuch abgesehen, weil er den Verlust seines Arbeitsplatzes wegen einer eventuellen Krankschreibung befürchtet habe. Eine Vorerkrankung an der rechten Schulter habe es nicht gegeben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 04.06.1998 sowie den Bescheid vom 27.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.09.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Unfall des Klägers vom 23.02.1993 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen, hilfsweise, den Rechtsstreit zu vertagen um ihm Gelegenheit zu geben, die im Termin verlesene Ausführung von Dr. M ... sachlich zu prüfen und sich dazu zu äußern.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Fünf Wochen nach dem angeschuldigten Ereignis habe keine traumatische Verletzung im Bereich des rechten Schultergelenkes festgestellt werden können, die geeignet gewesen wäre, die beim Kläger bestehende Schultersteife rechts bei bestehender Entzündung der Schicht der Blutgefäßwandungen sowie des umgebenen Bindegewebes rechtlich wesentlich zu verursachen. Die röntgenologisch nachgewiesene diskrete Schultergelenkarthrose und Schultereckgelenkarthrose habe bereits vor dem angeschuldigten Ereignis vorgelegen.
Der Senat hat nunmehr Prof. Dr. G ..., Städtisches Klinikum ... zum Sachverständigen bestellt, der in seinem Gutachten vom 10.11.2000 zu dem Ergebnis kommt, dass sich der Kläger bei dem streitgegenständlichen Unfall eine Schädigung der vorderen unteren Kapselanteile des rechten Schultergelenkes mit nachfolgender schmerzbedingter Einschränkung der Schulterbeweglichkeit zugezogen hat. Eine Schadensanlage im rechten Schultergelenk zum Unfallzeitpunkt könne nicht hinreichend belegt werden, eine solche könne allenfalls minimal gewesen sein. Aus dem Weiterarbeiten könne nicht der Schluss gezogen werden, es sei zu keiner Schulterverletzung gekommen. Die röntgenologisch sichtbaren Veränderungen hätten sich in der Zeit von 1993 bis 1995 rasch und nicht generalisiert, sondern lokal entwickelt. Dies spreche gegen einen lediglich "normal" fortschreitenden Verschleiß und für lokalisierte Reparaturvorgänge in diesem Bereich.
Dem hält der Beratungsarzt der Beklagten Dr. M ... in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 06.12.2000 entgegen, eine Schultersteife könne nur dann eintreten, wenn ein schwerwiegendes Ereignis die Schulter geschädigt habe. Hier aber habe der Kläger weiter gearbeitet. Es fehle damit der verletzungskonforme Verlauf. Nach der Röntgenaufnahme vom 29.03.1993 habe bei dem Kläger eine Arthrose im Schultereckgelenk bestanden, die nicht auf den Unfall zurückgeführt werden könne. Gegen einen solchen Erstkapselschaden spreche auch der nicht verletzungskonforme Verlauf.
Dem Senat liegen die Prozessakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte der Beklagten vor.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung des Unfalls vom 23.02.1993 als Arbeitsunfall.
Der Anspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil der von ihm geltend gemachte Arbeitsunfall vor dem In-Kraft-Treten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 01.01.1997 eingetreten ist (§ 212 SGB VII).
Nach § 548 Abs. 1 S. 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet.
Der Kläger hat, als er während seiner versicherten Arbeit aus einem Auto stürzte, einen Unfall erlitten.
Der Begriff des Unfalls ist in der RVO nicht bestimmt. Nach der in Rechtsprechung und Schrifttum seit langem und im Wesentlichen einhellig vertretenen Auffassung ist ein Unfall ein körperlich schädigendes, zeitlich begrenztes Ereignis (vgl. BSG, Urteil vom 18.03.1997 - 2 RU 8/96 -). Soweit daneben zum Teil auch gefordert wird, das Ereignis müsse "von außen" auf den Menschen einwirken, soll damit lediglich ausgedrückt werden, dass ein aus innerer Ursache, aus dem Menschen selbst kommendes Ereignis, nicht als Unfall anzusehen ist (BSG a. a. O.). Wesentlich für den Begriff des Unfalls sind hiernach ein ("äußeres") Ereignis als mögliche Ursache für eine Körperschädigung (als dessen Wirkung) Der Sturz aus dem Fahrzeug ist prinzipiel geeignet, eine Körperschädigung herbeizuführen.
Dass der Kläger im Unfallzeitpunkt eine versicherte Tätigkeit verrichtete steht außer Frage; denn er war damit beschäftigt, im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses das Betriebsfahrzeug zu entladen (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO). Es hat demnach der Kläger am 23.2.1993 einen Arbeitsunfall erlitten.
Das besagt allerdings noch nicht, dass die Schädigung der vorderen unteren Kapselanteile des rechten Schultergelenkes mit nachfolgender schmerzbedingter Einschränkung der Schulter- beweglichkeit auch rechtlich auf den Sturz und somit auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die betriebsbezogene - versicherte - Tätigkeit den Unfall nach der im Unfallrecht geltenden Kausallehre von der wesentlichen Bedingung verursacht hat. Im Unterschied zur versicherten Tätigkeit, die voll nachgewiesen ist, braucht die kausale Verknüpfung zwischen Unfallfolge - hier: Schädigung der vorderen unteren Kapselanteile des rechten Schultergelenkes mit nachfolgender schmerzbedingter Einschränkung der Schulterbeweglichkeit - und dem Unfall nicht sicher festzustehen. Insoweit genügt die geringere Anforderung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs für die richterliche Überzeugungsbildung (BSGE 61,127,129). Im Anschluss daran kommt es weiter darauf an, ob zwischen dem schädigenden Ereignis und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden (im Wesentlichen: Schädigung der vorderen unteren Kapselanteile des rechten Schultergelenkes mit nachfolgender schmerzbedingter Einschränkung der Schulterbeweglichkeit) ein ursächlicher Zusammenhang besteht [sog. haftungsausfüllende Kausalität]. Hier muss geklärt werden, ob der Unfall wesentliche Bedingung für den Gesundheitsschaden ist, und ob dieser Zusammenhang hinreichend wahrscheinlich ist.
Ob eine Unfallursache im naturwissenschaftlichen Sinn zugleich auch wesentliche Ursache (bzw. Bedingung) nach der in der gesetzlichen Unfallversicherung herrschenden Kausallehre ist, beurteilt sich nach dem Wert, den ihr die Auffassung des täglichen Lebens gibt (BSGE 38, 127, 129). Maßgebend ist die Qualität der einzelnen Ursachen, nicht dagegen deren Quantität oder die zeitliche Reihenfolge der Bedingungen im Rahmen der Kausalkette. Insbesondere ist eine Bedingung nicht schon deshalb (allein) wesentliche Ursache, weil sie als letzte eingetreten ist und den Erfolg sichtbar gemacht hat. Bei der Wertbestimmung der einzelnen für den Unfall ursächlichen Bedingungen ist jedoch auch der Schutzzweck der jeweiligen Norm mit einzubeziehen, um zu ermitteln, bis zu welcher Grenze der Versicherungsschutz reicht (BSGE a. a. O.).
"Bedingungen" sind damit solche Ursachen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfiele. "Wesentlich" ist eine solche Bedingung dann, wenn sie wegen ihrer besonderen qualitativen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen hat.
Im vorliegenden Fall ist die "haftungsbegründende" Kausalität (auch als Unfallkausalität im Unterschied zur Schadenskausalität bezeichnet, s. Schulin in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Rd. 2: Unfallversicherungsrecht § 27 Rn. 112, 1. Aufl. 1996, S. 548 f.) gegeben. Die versicherte Tätigkeit des Klägers stellt eine wesentliche Bedingung für den Unfall und seine (unmittelbare) Folge dar; denn ohne diese ganz konkrete Tätigkeit hätte sich dieser Unfall mit identischer Unfallfolge nicht ereignet. Doch kommt es darauf an, ob auch keine anderen Tatsachen festgestellt werden, die als Konkurrenzursachen wirksam geworden sein könnten.
Hier könnte daneben eine so genannte "Gelegenheitsursache" (auch "Anlassgeschehen") ein geeigneter Unfallhergang oder ein Vorschaden als weitere wesentliche Bedingungen in Betracht zu ziehen sein.
Bedingungen sind Tatsachen. Deren Vorliegen muss in der Regel voll bewiesen sein. Der Vollbeweis ist dann erbracht, wenn ein so hoher Grad an Gewissheit besteht, dass begründbare Zweifel nicht mehr bestehen. Denn jede Rechtsanwendung und damit auch jede Kausalitätsbeurteilung darf aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit, der Rechtssicherheit sowie der Durchsichtigkeit und Nachvollziehbarkeit der Rechtsanwendung nur auf Tatsachen gestützt werden, die voll nachgewiesen und dadurch jederzeit und von jedermann nachprüfbar sind. Annahmen, Vermutungen, Unterstellungen oder sonstige Hypothesen reichen nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht aus, auch eine "gute Möglichkeit" und selbst eine "hinreichende Wahrscheinlichkeit" nicht (A. Erlenkämper,, Arbeitsunfall, Schadensanlage und Gelegenheitsursache in: SGB 1997 S. 355,361 mit Hinweis auf BSG SozR 2200 § 548 Nr. 84 und SozR 3-2200 § 548 RVO Nr. 4).
Ebenso bedürfen aber auch alle unfallunabhängigen Kausalfaktoren, deren ursächliche Beteiligung an dem Eintritt des streitigen Schadens erwogen wird, in ihren tatsächlichen Grundlagen stets eines solchen Vollbeweises. Kann eine - theoretisch - in Betracht zu ziehende unfallfremde Mitursache in ihren tatsächlichen Grundlagen nicht nachgewiesen werden, kann sich - so das BSG in ständiger Rechtsprechung (BSGE 61, 127, 130) - "nicht einmal die Frage erheben", ob sie im konkreten Einzelfall Ursache im Rechtssinne sein könnte. Daher darf auch die ursächlich wesentliche oder gar überwiegende Mitwirkung einer Schadensanlage an der Entstehung der Körperschädigung stets nur erwogen werden, wenn diese Schadensanlage für den individuellen Einzelfall in ihren tatsächlichen Grundlagen im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen ist. Auch insofern reichen Annahmen, Unterstellungen, Hypothesen, "gute Möglichkeiten" und selbst eine "hinreichende Wahrscheinlichkeit" hier ebenso wenig aus, wie eine Berufung auf "allgemeine ärztliche Erfahrung" (Erlenkämper ebd. mit Hinweis auf BSG SozR 2200 § 548 Nr. 75,84; SozR 3-2200 § 548 RVO Nr. 4 u. 11; vgl. ferner Erlenkämper/Fichte, Sozialrecht, 4. Auflage, S. 118).
In diesem Zusammenhang ist auch der Schutzzweck des Gesetzes zu beachten. Die gesetzliche Unfallversicherung hat die Aufgabe, Versicherten, die "infolge" einer versicherten Tätigkeit einen Arbeitsunfall erleiden, für den dadurch bewirkten ("verursachten") Gesundheitsschaden die gesetzlich vorgesehene Entschädigung zu gewährleisten (Erlenkämper a. a. O. S. 357). Daher sind in den Schutz der Versicherung auch alle im Unfallzeitpunkt bereits bestehenden Krankheiten, Behinderungen, sonstige Vorschäden mit ihren Auswirkungen, aber auch alle Schadensanlagen, also alle konstitutionell, degenerativ oder durch frühere Erkrankungen oder Unfälle bedingten Krankheitsdispositionen einzubeziehen. Gerade der Versicherte, der trotz einer solchen Schadensanlage beruflichen Belastungen ausgesetzt wird und infolge einer solchen Schadensanlage leichter als der Gesunde, Robuste der Gefahr erliegt, durch schädigende Einwirkungen der versicherten Tätigkeit einen bleibenden Gesundheitsschaden zu erleiden, soll den Schutz des Gesetzes erfahren und nicht hiervon ausgeschlossen werden.
Tritt demnach eine Körperschädigung durch ein ursächliches Zusammenwirken von Arbeitsunfall und einer solchen Schadensanlage ein, darf dem Arbeitsunfall die Bedeutung einer rechtlich wesentlichen Bedingung nicht von vornherein pauschal mit der Begründung abgesprochen werden, die Schadensanlage habe sich "bei Gelegenheit" des Arbeitsunfalles manifestiert oder gar, bei einem gesunden Versicherten wäre dieser Schaden nicht eingetreten (vgl. Erlenkämper ebd.).
Nach der ständigen Rechtsprechung ist für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark und so leicht ansprechbar ist, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen nicht besonderer in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedarf, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSGE 62, 220, 222 m. w. N.). Nur in einem solchen Fall wird von der "Gelegenheitsursache" gesprochen.
Nicht ohne jede rechtliche Relevanz für die Frage, ob der Arbeitsunfall eine wesentliche Bedingung bildet oder nicht, ist es allerdings weiterhin, ob ein bestimmtes Unfallereignis sozialmedizinisch als "nicht geeignet" angesehen wird, den streitigen Gesundheitsschaden zu bewirken. Der Unfallhergang darf aber nur dann in die Abwägung mit einbezogen werden, wenn er generell, also auch für einen Laien einleuchtend, nicht geeignet ist, den aufgetretenen Gesundheitsschaden zu verursachen. Der Unfallhergang kann dann - sofern er überhaupt rekonstruierbar ist - als Indiz, aber nur als solches, für einen Vorschaden herangezogen werden, darf aber nicht, wie dies häufig und auch im vorliegenden Rechtsstreit der Fall ist, dazu herangezogen werden, den Schluss zu ziehen, dieser sei medizinisch generell nicht geeignet, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Denn im Sozialrecht ist - wie Erlenkämper zutreffend ausführt - rechtlich allein relevant, ob die schädigende Einwirkung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Conditio sine qua non für den Eintritt des Schadens gebildet hat und ob diese Bedingung auch rechtlich wesentlich ist. Eine generalisierende, auf allgemeine (auch: allgemein ärztliche) Erfahrung gestützte Betrachtung dahin, eine bestimmte Einwirkung sei generell nicht geeignet, den streitigen Schaden zu verursachen, und die damit auf die Adäquanz zwischen dem schädigenden Ereignis und dem eingetretenen Schaden abhebt, ist typisch für das Zivilrecht und für die dort gewollte Beschränkung der Haftung auf Bedingungen, die erfahrungsgemäß allgemein - also weitgehend unabhängig von den individuellen Gegebenheiten des konkreten Einzelfalles - geeignet sind, einen gleichartigen Erfolg zu bewirken. Ein solcherweise bewirkter Ausschluss ungewöhnlicher und unvorhersehbarer Kausalitätsabläufe ist dem Sozialrecht dagegen wesensfremd. Es wäre nicht mit dem Gebot der individualisierenden Prüfung vereinbar (Erlenkämper/Fichte a. a. O., S. 79 mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 28.06.1988 - 2/9b RU 28/87 = SozR 2200 § 548 RVO Nr. 91).
Unter Heranziehung dieser Grundsätze kann im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden, dass der Kläger an einer Schadensanlage an der rechten Schulter gelitten hat. Eine solche Schadensanlage ist im Sinne des Vollbeweises nachzuweisen. Hierzu führt Dr. G ... in seinem Gutachten aus, dass eine Schadensanlage am rechten Schultergelenk zum Unfallzeitpunkt nicht hinreichend belegt werden kann und belegt dies durch die Analyse der zeitnah zum Unfall angefertigten Röntgenaufnahmen. Diejenige der rechten Schulter vom 29.3.1993 zeigt "allenfalls diskrete Hinweise auf Verschleißerscheinungen" im Schulergelenk und im Schultereckgelenk, welche jedoch "das altersübliche Maß bei einem körperlich arbeitenden Rechtshänder nicht übersteigen (Gutachten S. 4, LSG-Akte Bl. 61). Von daher erscheint es dem Senat die Beurteilung von Dr. Müller vom 6.12.2000 (LSG-Akten Bl. 95) als spekulativ, diese geringfügigen Verschleißerscheinungen würden den Bewegungsraum für die Rotatorenmanschette einengen und auf diese Weise ein "Krankheitspotential" darstellen für die spätere reaktive Entzündung des Schulterschleimbeutels als unmittelbare Ursache der Schultersteife. Denn wenn es sich tatsächlich so verhielte, dann müßte praktisch in einer Vielzahl von Fällen - also denen mit mit altesentsprechenden Verschleißerscheinungen im Schulter- und Schultereckgelenk - die Schleimbeutelentzündung als regelmäßige Krankheit - ja Volkskrankheit - auftreten. So verhält es sich offenbar nicht. Dr ... legt auch nicht dar, daß Prof Gahr das Röntgenbild falsch gedeutet habe und die Verschleißerscheinungen in Wahrheit erheblich stärker ausgeprägt gewesen seien, als von diesem dargestellt. Der Senat vermag sich deshalb nicht von der Existenz eines Vor-"Schadens" als "Krankheitsgrundlage" und Ursache des später festgestellten Befundes zu überzeugen. Kann also - wie hier - ein Vorschaden oder anlagebedingtes Leiden nicht sicher festgestellt werden, stellt sich nicht einmal die Frage, ob sie im konkreten Einzelfall auch nur als Ursache im naturwissenschaftlich-philisophischen Sinn in Betracht zu ziehen ist.
Wenn Dr. M ... ferner ausführt, eine "frozen shoulder" als Schultersteife könne nur dann unfallbedingt entstanden sein, wenn eine "schwerwiegendes Ereignis" die Schulter geschädigt habe, geht er sinngemäß davon aus, dass der Unfallhergang nicht geeignet gewesen sei, die Schultersteife zu verursachen. Eine solche Betrachtungsweise ist aber, wie oben dargelegt, für die sozialrechtliche Beurteilung eines Kausalzusammenhangs ungeeignet, wenn nicht zugleich dargelegt wird, weshalb der tatsächliche Unfallhergang unter jedem Gesichtspunkt als Ursache nicht in Betracht kommen kann. Hier steht immerhin soviel fest, daß nach der ältesten Dokumentation des Vorganges (Krankenblatteintragung vom 1.7.1993, Verw.-Akte Bl. 10) bei dem Sturz neben Kniegelenk ("KG") und Hüftgelenk ("HG") auch die "Schulter" und zwar ausdrücklich die "rechte Schulter" betroffen war. Mehr als drei Jahre später wußte der Kläger sich gegenüber Dr. H ... zu erinnern, daß er auf das rechte Knie und den rechten Ellenbogen gestürzt sei (Gutachten S. 4, Verw.-Akte Bl. 71). Dies Angabe ist gewiß untendenziös gemacht, andernfalls hätte es nahe gelegen - der Kläger wußte, worum es geht - eine unmittelbare Schulterbeteiligung anzugeben. Bei einem Sturz aus einem Fahrzeug wird regelmäßig der Ellenbogen beteiligt sei, weil es der natürlichen reflexartigen Auffangreaktion entspricht. Daß von hier aus die Aufprallkraft an das Schultergelenk weitergegeben wird, ist physiologisch unvermeidlich. Es spricht aber die Eintragung von Juli 1993 mehr dafür, daß die rechte Schulter unmittelbar beteiligt war. Deshalb vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, daß - wie es erforderlich wäre, um von einem "ungeeigneten" Unfallhergang zu sprechen - die Schulter bei dem Sturz überhaupt nicht beteiligt war.
Das die Schulter nicht betroffen gewesen sein könne, versucht Dr. M ... aus dem Umstand zu erschließen, daß der Kläger nach dem Unfall weiter arbeitete, dies aber eine substantielle Schädigung wegen der aufgehobenen Belastbarkeit nicht zugelassen hätte. Nun schreibt Dr. M ... in anderem Zusammenhang, eine Arthrose müsse sich nicht kontinuierlich entwickeln, es sei vielmehr auch ein sprunghafter Verlauf mit nachfolgender Stagnation möglich - für den Senat ein Hinweis dafür, daß biologische Vorgänge offenbar nicht zwingend monomodal verlaufen, vielmehr eine erhebliche Bandbreite besteht. Hinzu kommt, daß der Kläger von Dr. G ... als "indolent" (herabgesetzt schmerzempfindlich) beschrieben wird und überdies die Unfallfolge ohnehin nicht stark ausgeprägt war. Eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit liegt nicht vor (s.u.). Deshalb vermag der Senat auch in diesem Hinweis keine Widerlegung des von Dr. G ... dargelegten Ursachenzusammenhangs zu erblicken.
Auch den Ausführungen des SG ist nicht zu folgen, wonach davon auszugehen sei, dass "die Schultersteife auf eine bestehende degenerative Erkrankung des Klägers zurückzuführen". Das SG beachtet dabei nicht, dass es des Nachweises im Sinne eines Vollbeweises des Vorschadens bedarf. Ein solcher Nachweis läßt sich den Entscheidungsgründen nicht entnehmen. Insbesondere bleibt offen, warum das Röntgenergebnis vom 29.03.1993 sowie das am 21.01.1993 festgestellte Zervikalsyndrom rechts für eine degenerative Vorerkrankung sprechen sollen.
Das Gutachten von Dr. H ... steht dem ebenfalls nicht entgegen. Dieser hat zur Intensität der Einwirkungen keinerlei Ausführungen gemacht, obwohl ein Zeuge angegeben hatte, es habe ein "starker Aufprall" (Bl. 37 der B.-Akte) stattgefunden. Soweit Dr. H ... behauptet, es liege eine so genannte Gelegenheitsursache vor, fehlt es an dem hierfür erforderlichen Nachweis, dass es sich bei der Frozen Schoulden zweiten Grades, der Bursitits subacromialis der rechten Schulter mit Impingementsyndrom um unfallunabhängige krankhafte Veränderungen handelt. Für den Senat ist nicht nachvollziehbar, welche Nachweise diesen Schluss zulassen. Auch genügt nicht die formelhafte Umschreibung der Gelegenheitsursache, um eine solche zu beweisen. Dr. H ... hätte in seinem Gutachten anhand von Nachweisen darlegen müssen, dass die unfallunabhängige Schadensanlage im Zeitpunkt des Unfallereignisses bereits so stark ausgeprägt war, dass es nur noch eines geringfügigen Anstoßes bedurfte, um den konkreten Gesundheitsschaden auszulösen. In seinem Gutachten fehlt aber bereits der Nachweis im Sinne des Vollbeweises, dass eine unfallunabhängige Schadensanlage überhaupt bestand. Auch vermag Dr. H ... nicht deutlich zu machen, weshalb die - in der Tat nicht festgestellte - Rotatorenmanschettenruptur die medizinisch einzig mögliche unmittelbare Unfallfolge darstellen soll. Die knappe Behauptung: "Bei einer Periarthritis handelt es sich nicht um eine Unfallfolge, sondern um eine Erkrankung" (Gutachten S. 4, Verw.-Akten Bl. 71) läßt sich nicht verifiziren. Nach Standardwerk von Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch kann dieses Leiden sehr wohl "mechanisch-traumatisch" verursacht sein (Stichwort: Periarthropathia humeroscapularis). Auch dies vermag daher nicht zu überzeugen.
Der Senat hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, den Kläger wegen der Folgen des Unfalles "zu entschädigen". Der Umfang dieser Leistungen ergibt sich aus dem tatsächlichen gesetzlichen Bedarf. Zur Klarstellung ist jedoch ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß die Gewährung einer Verletztenrente nicht dazu gehört. Dies ergibt sich aus dem gutachten von Dr. G ..., wonach eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit zu keinem Zeitpunkt bestand (S. 12, LSG-Akten Bl. 69).
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
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