Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 4 U 141/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 51/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 10. März 1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger gegenüber der Beklagten Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen einer von ihm behaupteten Wirbelsäulenverletzung hat.
Der am ... geborene Kläger, ein Facharzt für Chirurgie, wandte sich mit Schreiben vom 13.4.1995 an die Bau- Berufsgenossenschaft Frankfurt. Er führte aus, er habe vom September 1959 bis August 1960 als Bauhilfsarbeiter in einem Beton-Plattenwerk in D ... gearbeitet. Dort habe er einen Arbeitsunfall erlitten. Dabei sei ein Wirbelkörper verletzt worden. Er sei deswegen mehrere Wochen arbeitsunfähig krank gewesen. Die anfänglich erträglichen Beschwerden seien in den letzten Jahren nahezu unerträglich geworden. Später ergänzte er diesen Sachverhalt und gab an, er habe auch eine Verletzung am rechten Fuß erlitten. Ferner übersandte er eine Kopie aus den Personalunterlagen seines früheren Arbeitgebers, dem W ..., die die Jahre 1959 und 1960 betrifft. Hiernach war er vom 16.9. bis 12.10.1959 wegen einer als "BU" (Betriebsunfall) bezeichneten Verletzung des rechten Vorfußes arbeitsunfähig krank. Der Unfall ereignete sich zwei Tage nach Aufnahme seiner Tätigkeit.
Die Bau-Berufsgenossenschaft Frankfurt holte bei Dr. O ..., Facharzt für Chirurgie/Gefäßchirurgie einen Befundbericht ein (Blatt 24 bis 26 der Beklagtenakte). Dr. O ... diagnostizierte beim Kläger einen Zustand nach alter Wirbelkörperkompressionsfraktur des fünften Lendenwirbelkörpers, die mittlerweile zu einer chronischen Lumbalgie mit Belastungsminderung und Bewegungseinschränkung geführt habe. Ferner befragte sie Herrn L ..., der am 19.8.1996 schriftlich bestätigte, dass er den Kläger kenne und dieser kurzfristig in dem Betonwerk in D ... gearbeitet habe. Angaben zu einem Arbeitsunfall des Klägers konnte Herr L ... nicht machen.
Ab Dezember 1996 wurde das Verwaltungsverfahren von der Beklagten fortgeführt. Dr. H ..., Facharzt für Orthopädie, gab am 12.2.1997 auf Anfrage der Beklagten an, der Kläger befinde sich seit 7.12.1995 in seiner Behandlung. Ihm sei im Mai 1996 eine Hüftendoprothese links eingesetzt worden. Von einer Unfallanamnese sei ihm nichts bekannt.
Mit Bescheid vom 10.4.1997 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aufgrund des Arbeitsunfalles vom 16.9.1959 ab, soweit der Kläger geltend mache, er habe eine Wirbelsäulenverletzung erlitten. Die Wirbelsäulenverletzung müsse mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen. Dieser Nachweis könne nicht geführt werden. Als Anspruchsteller treffe den Kläger die objektive Beweislast. Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, die handschriftliche Notiz über den Arbeitsunfall in den Personalunterlagen dürfe nicht überbewertet werden. Für die Mitarbeiter seines früheren Arbeitgebers sei das Direkttrauma an der Wirbelsäule weniger sichtbar gewesen als die blutende Weichteilwunde am Fuß. Leider würden keine Röntgenaufnahmen mehr existieren. Während der Tätigkeit als Hilfspfleger im Krankenhaus D ...- ... von 1960 bis 1961 sowie während des Studiums und des Berufslebens (vgl. dazu Blatt 40 der SG-Akte) habe er keine weiteren, die Wirbelsäule betreffenden Unfälle erlitten. Dies gehe aus seinem Sozialversicherungsausweis auch hervor. Somit sei der indirekte Nachweis geführt, dass seine Wirbelsäule am 16.9.1959 verletzt worden sei. Ergänzend übersandte er eine von seinen Eltern unterschriebene Erklärung vom 2.6.1997 mit folgendem Inhalt:
"Wir können uns an den Unfall im Betonwerk ... in D ... erinnern und haben anschließend unseren Sohn über Wochen bettlägerig mit einer Fuß- und Rückenverletzung gepflegt." (Blatt 69 der Beklagtenakte).
Dr. O ... führte in seinem Schreiben vom 31.7.1997 (Blatt 75 der Beklagtenakte) insbesondere nochmals aus, dass die Veränderungen im unteren Lendenwirbelsäulenbereich als posttraumatisch gewertet werden müssten. Die Beklagte ermittelte weiter, schrieb erneut die Eltern des Klägers an und ließ sich von dem Gesamtvollstreckungsverwalter der Bau J ... GmbH, dem Nachfolger des Baukombinats, 14 Namen mit Adressen geben, die möglicherweise Zeugen des Arbeitsunfalls sein konnten (Blatt 94 der Beklagtenakte). Die von der Beklagten angeschriebenen früheren Arbeitnehmer des Baukombinats konnten keine sachdienlichen Angaben machen (Blatt 110 bis 121, 127 der Beklagtenakte). Der Vater des Klägers gab handschriftlich insbesondere an (Blatt 91 der Beklagtenakte):
"Unser Sohn erzählte uns, daß ihm ein Betonstück, das am Kran hing in den Rücken geschlagen hat. Dabei ist er gestürzt und hat sich noch den Fuß verletzt."
Mit Bescheid vom 18.3.1998 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, weil trotz der Ermittlungen unklar geblieben sei, ob der Arbeitsunfall auch zu einer Verletzung der Wirbelsäule im Sinne einer Kompressionsfraktur geführt habe. Es liege ein Fall der objektiven Beweislosigkeit vor, der zu Lasten des Klägers gehe.
Mit seiner dagegen vor dem Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobenen Klage hat der Kläger ausgeführt, die Beweiswürdigung der Beklagten sei fehlerhaft. Der Richter dürfe und müsse sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebiete, ohne sie völlig auszuschließen. Dies habe die Beklagte nicht beachtet, die exzessive Beweisanforderungen gestellt habe. Die Wirbelsäulenverletzung werde durch die Angaben der Eltern des Klägers und von Dr. O ... sowie durch den Umstand des Fehlens anderweitiger Unfallereignisse bewiesen. Dagegen hat die Beklagte insbesondere eingewandt, es lägen keine Angaben einer auf medizinischem Gebiet kundigen Person vor. Den Angaben der Eltern des Klägers könne allenfalls entnommen werden, dass der Kläger im Bett gelegen habe. Eine Rückenverletzung sei damit noch nicht bewiesen.
Das SG hat mit Urteil vom 10.3.1999 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es sei nicht davon überzeugt, dass der Kläger bei dem Arbeitsunfall vom 16.9.1959 eine Fraktur des fünften Lendenwirbelkörpers erlitten habe. Die Eltern hätten nicht beurteilen können, ob die Rückenverletzung des Klägers zugleich eine Fraktur des fünften Lendenwirbelkörpers beinhaltet habe. Auch sei nicht hinreichend belegt, dass die Rückenverletzung eine Folge des Arbeitsunfalls sei. Gegen eine Wirbelsäulenverletzung sprächen die Eintragungen in der betrieblichen Sozialversicherungskarte. Zum einen sei keine Rückenverletzung aufgeführt, zum anderen sei die Arbeitsunfähigkeit nur relativ kurz gewesen. Schließlich sei aufgrund des vom Kläger beschriebenen Unfallmechanismus ("beim Beschlagen der Holzform mit schwerem Hammer") auch nicht nachvollziehbar, wie die Lendenwirbelsäule hätte verletzt werden können. Weitere Beweismittel seien nicht ersichtlich. Ein medizinisches Sachverständigengutachten verspreche keine beweiserheblichen Erkenntnisse, weil es nur den aktuellen Gesundheitszustand des Klägers darlegen könne.
Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Er rügt erneut die nach seiner Ansicht im vorliegenden Fall fehlerhaft zu hoch angesetzten Anforderungen für den Vollbeweis des Vorliegens einer Wirbelsäulenverletzung. Auch seien die Argumente des SG unzutreffend. Durch die Kompressionsfraktur des fünften Lendenwirbelkörpers sei es zu einer Kantenabsprengung gekommen, ohne dass davon der Wirbelkanal oder das Rückenmark betroffen gewesen seien. Bei einer solchen Verletzung an der Lendenwirbelsäule sei eine Dauer der Arbeitsunfähigkeit von rund vier Wochen durchaus üblich. Entgegen der Ansicht des SG sei daher die Dauer der Arbeitsunfähigkeit kein deutliches Indiz gegen das Vorliegen der Wirbelsäulenverletzung. Auch der vom Kläger beschriebene Unfallmechanismus spreche nicht gegen eine Verletzung der Wirbelsäule. Der Kläger habe im Unfallzeitpunkt die beim Guss der Betonteile eingebrachte Holzform für die Fensteraussparungen entfernen wollen, indem er sie mit einem rund 10 kg schweren Hammer habe herausschlagen wollen. Bei dieser Tätigkeit habe der Kläger rund 1,5 bis 2 Meter über dem Boden gestanden. Als er zum Schlag mit dem Hammer ausgeholt habe, habe er das Gleichgewicht verloren, sei herabgefallen und mit dem Rücken aufgekommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 10.3.1999 und den Bescheid der Beklagten vom 10.4.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.3.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der am 16.9.1959 erlittenen Wirbelsäulenverletzung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.
Der Senat hat mit Schreiben vom 24.1.2001 die Beklagte gebeten, durch einen sie beratenden Facharzt für Orthopädie oder Chirurgie abklären zu lassen, ob es nach mehr als 40 Jahren noch möglich sei, aufgrund aktueller Befunde im Allgemeinen und im Falle des Klägers im Besonderen auf die Art und Schwere einer früher erlittenen Verletzung der Wirbelsäule zu schließen. Die Einholung einer derartigen Stellungnahme hat die Beklagte mit der (nicht nachvollziehbaren) Behauptung abgelehnt, der Senat wolle für den Beweis der Wirbelsäulenverletzung schon die reine Möglichkeit ausreichen lassen. Die Nachfrage des Senats beim Kläger hat ergeben, dass mittlerweile der Vater des Klägers verstorben ist. Der Berichterstatter des Senats hat sodann am 24.4.2001 die Mutter des Klägers als Zeugin vernommen und den Kläger nochmals zu dem Unfallhergang befragt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift (Blatt 48 bis 50 der LSG-Akte) verwiesen. Es sind - vergeblich - Unterlagen vom Klinikum C ... angefordert worden (Blatt 64 bis 66 der LSG- Akte). Der Kläger ist zu Einzelheiten der Beschwerdeentwicklung sowie zu Art und Umfang der Behandlung befragt worden (vgl. Blatt 71 f. der LSG-Akte). Es ist die Verwaltungsakte der Bau-Berufsgenossenschaft Frankfurt beigezogen worden (vgl. Blatt 78 bis 100 der LSG-Akte), weil der Kläger von dieser Berufsgenossenschaft in ihrer Eigenschaft als so genannte "Geburtstags-BG" eine auf die gesetzliche Unfallversicherung übergeleitete DDR- Verletztenrente aufgrund eines als Arbeitsunfall anerkannten Schädel-Hirn-Traumas vom 29.11.1973 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. erhält. Sodann ist Prof. Dr. D ... durch Beweisanordnung vom 5.10.2001 zum Sachverständigen auf orthopädischem Fachgebiet bestimmt worden. Er meint, es gebe keinen sicheren Hinweis dafür, dass vor rund 40 Jahren ein oder mehrere Wirbelkörper des Klägers traumatisch geschädigt worden seien. Wegen der Einzelheiten des Gutachtens vom 8.11.2001 wird auf Blatt 111 bis 125 der LSG-Akte verwiesen. Hiergegen hat der Kläger vorgebracht, es könne nicht darauf ankommen, ob heute noch eine Fraktur röntgenologisch beschrieben werden könne. Entscheidend sei, dass die vorhandenen Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule des Klägers altersuntypisch seien. Dies habe der Sachverständige übersehen. Aber auch er habe eine Fraktur nicht ausschließen können.
Dem Einzelrichter des Senats liegen die Verfahrensakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte der Beklagten vor.
Der Senat kann durch den Berichterstatter als Einzelrichter (§ 155 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz ) ohne mündliche Verhandlung (§ 153 Abs. 1 i.V.m. 124 Abs. 2 SGG) entscheiden, weil sich die Beteiligten schriftsätzlich (Schreiben vom 23.1. und 25.1.2002) mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt haben.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig.
Die Beklagte ist aufgrund ihrer allgemeinen fachlichen Zuständigkeit auch die richtige Beklagte. Die Voraussetzungen über die Verteilung der Versicherungsfälle nach dem besonderen Schlüssel der Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nummer 1 Buchstabe c Absatz 8 Ziffer 2 Doppelbuchstabe aa zum Einigungsvertrag i.V.m. dem Einigungsvertragsgesetz sind hier nicht erfüllt, weil der Arbeitsunfall erst nach dem 31.12.1994 angezeigt wurde (Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nummer 1 Buchstabe c Absatz 8 Ziffer 2 Doppelbuchstabe ff zum Einigungsvertrag i.V.m. dem Einigungsvertragsgesetz). Der Kläger wandte sich wegen des Arbeitsunfalls vom 16.9.1959 erstmals mit Schreiben vom 13.4.1995 an einen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung.
Da demzufolge kein Unfallversicherungsträger vor dem 1.1.1994 Kenntnis von diesem Arbeitsunfall erlangt hat, findet § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) i.V.m. § 215 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anwendung. Hiernach sind im Beitrittsgebiet eingetretene Unfälle, die vor dem 1.1.1992 eingetreten und einem zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31.12.1993 bekannt geworden sind, nur dann als Arbeitsunfälle zu behandeln, wenn sie auch nach den Vorschriften der RVO zu entschädigen sind. Es wird daher darauf verzichtet, die am 16.9.1959 in der DDR geltende unfallversicherungsrechtliche Rechtslage darzustellen, die noch maßgeblich durch das Recht der sowjetischen Militäradministration geprägt war.
Nach der hier maßgeblichen Vorschrift des § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO muss der durch den Arbeitsunfall verursachte Primärschaden - die Verletzung als unmittelbares Ergebnis des Unfallgeschehens - nach Art und Umfang in einem Maße feststehen, dass der Unfallversicherungsträger und damit auch das Sozialgericht hiervon voll überzeugt ist (so genannter Vollbeweis). Vernünftige Zweifel dürfen nicht mehr vorhanden sein. Es muss Gewissheit über das Ausmaß des Primärschadens bestehen. Dieser Beweismaßstab entspricht der ganz herrschenden, seit langem bestehenden und unangefochtenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.
Vorliegend ist zwar aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers im Beweisaufnahmetermin und der Erklärungen seines inzwischen verstorbenen Vaters davon auszugehen, dass er bei dem Ereignis vom 16.9.1959, das die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls nach § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO erfüllt, auch eine Rückenverletzung davongetragen hat. Hingegen sind die Angaben der Mutter des Klägers wenig geeignet, diese Überzeugung zusätzlich abzusichern, da ein altersbedingter Abbau nicht nur der Gedächtnisleistungen, sondern allgemein der geistigen Fähigkeiten bei ihr offensichtlich war. Der aus den Angaben des Klägers und seines Vaters gewonnenen Überzeugung des Einzelrichters des Senats, dass der Kläger eine Rückenverletzung erlitten hat, steht nicht entgegen, dass sich der Kläger nicht mehr in allen Einzelheiten an den Unfallhergang erinnern kann. Vielmehr trägt dies sogar zur Glaubwürdigkeit bei, weil kein Grund ersichtlich ist, warum der Kläger eine damals als vorübergehende und damit letztlich als relativ geringfügig erfahrene Verletzung sich hinsichtlich des Unfallhergangs immer wieder in das Gedächtnis hätte rufen sollen. Es steht zur Überzeugung des Einzelrichters des Senats damit fest, dass der Kläger bei der Arbeit aus geringer Höhe gestürzt ist und sich dabei eine irgendwie geartete Rückenverletzung zugezogen hat. Eine Rückenverletzung ist jedoch nicht schon mit einer schweren Wirbelsäulenverletzung in Gestalt einer Wirbelkörperfraktur gleichzusetzen. Auch die Angabe des Klägers, ihm sei ärztlicherseits mitgeteilt worden, ein Wirbelkörper sei geschädigt worden, ist für sich genommen nur ein einzelnes Indiz, das eine Wirbelsäulenverletzung noch nicht beweist.
Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. D ... kann sich der Einzelrichter des Senats im Sinne des vorstehend beschriebenen Beweismaßstabes keine Überzeugung dahingehend bilden, dass der Kläger durch den am 16.9.1959 erlittenen Arbeitsunfall eine Kompressionsfraktur des fünften Lendenwirbelkörpers oder anderer Lendenwirbelkörper erlitten hat. Prof. Dr. D ... hat ausgeführt, die Beschwerden des Klägers würden durch eine idiopathische Skoliose verursacht. Der Begriff "idiopathisch" ist zwar insoweit nichtssagend, als er lediglich die gelehrte Umschreibung für das ärztliche Nichtwissen der Ursache eines körperlichen Zustandes und für die Vermutung einer inneren Ursache ist. Prof. Dr. D ... hat jedoch in der Darstellung des Befundes ausgeführt, dass sich röntgenologisch das typische Bild einer aus innerer Ursache entstandenen rechtskonvexen Lumbalskoliose zeige, die unfallunabhängig im jugendlichen Alter zunächst rasch voranschreitend entstehe und sich nach Abschluss des Wachstumsalters langsam aber kontinuierlich weiterentwickele. Er hat ferner überzeugend dargetan, dass bei Annahme einer Fraktur die am meisten degenerativ veränderten Lendenwirbelkörper 3 und 4 ebenfalls hätten verletzt worden sein müssen. Eine doppelte Wirbelkörperfraktur bei Lendenwirbelkörper 3 und 4 wäre aber instabil gewesen, weil auch der entsprechende Zwischenwirbelraum einbezogen gewesen wäre. Wenn es aber in einem solchen Fall, wie Prof. Dr. D ... ausführt, völlig ausgeschlossen ist, binnen drei Wochen - unter Schonarbeitsbedingungen - wieder arbeitsfähig zu sein, ist dies ein sehr gewichtiges Argument gegen eine traumatische Schädigung der Wirbelsäule. Diese Umstände begründen vernünftige Zweifel an der vom Kläger behaupteten Art und dem Ausmaß der Rückenverletzung. Hinzu kommt, dass keinerlei Unregelmäßigkeiten im Sinne früherer Frakturlinien erkennbar sind und beim Kläger eine endogene Disposition zu hyperostotischen degenerativen Veränderungen besteht, die sich auch an der Hals- und der Brustwirbelsäule finden.
Soweit der Kläger dagegen vorbringt, Prof. Dr. D ... habe nicht beachtet, dass die degenerativen Veränderungen altersuntypisch seien, entbehrt dieses Argument jeglicher Grundlage. Vorzeitige degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (so genannte Linksverschiebung) treten nicht nur aufgrund von Verletzungen auf. Diese stellen zahlenmäßig wohl eher nur eine kleine Gruppe aller Wirbelsäulenschäden dar. Wie die weiterhin anhaltende Diskussion um die Berufskrankheiten nach Nr. 2108 bis 2110 der Anlage zur Berufskrankheiten- Verordnung zeigt, gibt es eine Vielzahl nichttraumatischer und auch nichtberufsbedingter Wirbelsäulenschäden. All dies ist dem Einzelrichter des Senats aufgrund einer Vielzahl von Verfahren und einer damit korrespondierenden noch größeren Zahl von Gutachten, Befundberichten, Arztbriefen und Epikrisen bekannt. Es hat daher aufgrund des Vorbringens des Klägers kein Anlass bestanden, von Amts wegen ein weiteres Gutachten einzuholen. Auch muss mit aller Deutlichkeit gesagt werden, dass von einem Kläger, der selbst Facharzt für Chirurgie ist, erwartet werden kann, dass er die Ergebnisse des Gutachtens wesentlich substantiierter bestreitet, als dies hier geschehen ist, wenn er sie denn für falsch hält. Dass dies hier nicht geschehen ist, spricht für sich selbst.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger gegenüber der Beklagten Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen einer von ihm behaupteten Wirbelsäulenverletzung hat.
Der am ... geborene Kläger, ein Facharzt für Chirurgie, wandte sich mit Schreiben vom 13.4.1995 an die Bau- Berufsgenossenschaft Frankfurt. Er führte aus, er habe vom September 1959 bis August 1960 als Bauhilfsarbeiter in einem Beton-Plattenwerk in D ... gearbeitet. Dort habe er einen Arbeitsunfall erlitten. Dabei sei ein Wirbelkörper verletzt worden. Er sei deswegen mehrere Wochen arbeitsunfähig krank gewesen. Die anfänglich erträglichen Beschwerden seien in den letzten Jahren nahezu unerträglich geworden. Später ergänzte er diesen Sachverhalt und gab an, er habe auch eine Verletzung am rechten Fuß erlitten. Ferner übersandte er eine Kopie aus den Personalunterlagen seines früheren Arbeitgebers, dem W ..., die die Jahre 1959 und 1960 betrifft. Hiernach war er vom 16.9. bis 12.10.1959 wegen einer als "BU" (Betriebsunfall) bezeichneten Verletzung des rechten Vorfußes arbeitsunfähig krank. Der Unfall ereignete sich zwei Tage nach Aufnahme seiner Tätigkeit.
Die Bau-Berufsgenossenschaft Frankfurt holte bei Dr. O ..., Facharzt für Chirurgie/Gefäßchirurgie einen Befundbericht ein (Blatt 24 bis 26 der Beklagtenakte). Dr. O ... diagnostizierte beim Kläger einen Zustand nach alter Wirbelkörperkompressionsfraktur des fünften Lendenwirbelkörpers, die mittlerweile zu einer chronischen Lumbalgie mit Belastungsminderung und Bewegungseinschränkung geführt habe. Ferner befragte sie Herrn L ..., der am 19.8.1996 schriftlich bestätigte, dass er den Kläger kenne und dieser kurzfristig in dem Betonwerk in D ... gearbeitet habe. Angaben zu einem Arbeitsunfall des Klägers konnte Herr L ... nicht machen.
Ab Dezember 1996 wurde das Verwaltungsverfahren von der Beklagten fortgeführt. Dr. H ..., Facharzt für Orthopädie, gab am 12.2.1997 auf Anfrage der Beklagten an, der Kläger befinde sich seit 7.12.1995 in seiner Behandlung. Ihm sei im Mai 1996 eine Hüftendoprothese links eingesetzt worden. Von einer Unfallanamnese sei ihm nichts bekannt.
Mit Bescheid vom 10.4.1997 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aufgrund des Arbeitsunfalles vom 16.9.1959 ab, soweit der Kläger geltend mache, er habe eine Wirbelsäulenverletzung erlitten. Die Wirbelsäulenverletzung müsse mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen. Dieser Nachweis könne nicht geführt werden. Als Anspruchsteller treffe den Kläger die objektive Beweislast. Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, die handschriftliche Notiz über den Arbeitsunfall in den Personalunterlagen dürfe nicht überbewertet werden. Für die Mitarbeiter seines früheren Arbeitgebers sei das Direkttrauma an der Wirbelsäule weniger sichtbar gewesen als die blutende Weichteilwunde am Fuß. Leider würden keine Röntgenaufnahmen mehr existieren. Während der Tätigkeit als Hilfspfleger im Krankenhaus D ...- ... von 1960 bis 1961 sowie während des Studiums und des Berufslebens (vgl. dazu Blatt 40 der SG-Akte) habe er keine weiteren, die Wirbelsäule betreffenden Unfälle erlitten. Dies gehe aus seinem Sozialversicherungsausweis auch hervor. Somit sei der indirekte Nachweis geführt, dass seine Wirbelsäule am 16.9.1959 verletzt worden sei. Ergänzend übersandte er eine von seinen Eltern unterschriebene Erklärung vom 2.6.1997 mit folgendem Inhalt:
"Wir können uns an den Unfall im Betonwerk ... in D ... erinnern und haben anschließend unseren Sohn über Wochen bettlägerig mit einer Fuß- und Rückenverletzung gepflegt." (Blatt 69 der Beklagtenakte).
Dr. O ... führte in seinem Schreiben vom 31.7.1997 (Blatt 75 der Beklagtenakte) insbesondere nochmals aus, dass die Veränderungen im unteren Lendenwirbelsäulenbereich als posttraumatisch gewertet werden müssten. Die Beklagte ermittelte weiter, schrieb erneut die Eltern des Klägers an und ließ sich von dem Gesamtvollstreckungsverwalter der Bau J ... GmbH, dem Nachfolger des Baukombinats, 14 Namen mit Adressen geben, die möglicherweise Zeugen des Arbeitsunfalls sein konnten (Blatt 94 der Beklagtenakte). Die von der Beklagten angeschriebenen früheren Arbeitnehmer des Baukombinats konnten keine sachdienlichen Angaben machen (Blatt 110 bis 121, 127 der Beklagtenakte). Der Vater des Klägers gab handschriftlich insbesondere an (Blatt 91 der Beklagtenakte):
"Unser Sohn erzählte uns, daß ihm ein Betonstück, das am Kran hing in den Rücken geschlagen hat. Dabei ist er gestürzt und hat sich noch den Fuß verletzt."
Mit Bescheid vom 18.3.1998 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, weil trotz der Ermittlungen unklar geblieben sei, ob der Arbeitsunfall auch zu einer Verletzung der Wirbelsäule im Sinne einer Kompressionsfraktur geführt habe. Es liege ein Fall der objektiven Beweislosigkeit vor, der zu Lasten des Klägers gehe.
Mit seiner dagegen vor dem Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobenen Klage hat der Kläger ausgeführt, die Beweiswürdigung der Beklagten sei fehlerhaft. Der Richter dürfe und müsse sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebiete, ohne sie völlig auszuschließen. Dies habe die Beklagte nicht beachtet, die exzessive Beweisanforderungen gestellt habe. Die Wirbelsäulenverletzung werde durch die Angaben der Eltern des Klägers und von Dr. O ... sowie durch den Umstand des Fehlens anderweitiger Unfallereignisse bewiesen. Dagegen hat die Beklagte insbesondere eingewandt, es lägen keine Angaben einer auf medizinischem Gebiet kundigen Person vor. Den Angaben der Eltern des Klägers könne allenfalls entnommen werden, dass der Kläger im Bett gelegen habe. Eine Rückenverletzung sei damit noch nicht bewiesen.
Das SG hat mit Urteil vom 10.3.1999 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es sei nicht davon überzeugt, dass der Kläger bei dem Arbeitsunfall vom 16.9.1959 eine Fraktur des fünften Lendenwirbelkörpers erlitten habe. Die Eltern hätten nicht beurteilen können, ob die Rückenverletzung des Klägers zugleich eine Fraktur des fünften Lendenwirbelkörpers beinhaltet habe. Auch sei nicht hinreichend belegt, dass die Rückenverletzung eine Folge des Arbeitsunfalls sei. Gegen eine Wirbelsäulenverletzung sprächen die Eintragungen in der betrieblichen Sozialversicherungskarte. Zum einen sei keine Rückenverletzung aufgeführt, zum anderen sei die Arbeitsunfähigkeit nur relativ kurz gewesen. Schließlich sei aufgrund des vom Kläger beschriebenen Unfallmechanismus ("beim Beschlagen der Holzform mit schwerem Hammer") auch nicht nachvollziehbar, wie die Lendenwirbelsäule hätte verletzt werden können. Weitere Beweismittel seien nicht ersichtlich. Ein medizinisches Sachverständigengutachten verspreche keine beweiserheblichen Erkenntnisse, weil es nur den aktuellen Gesundheitszustand des Klägers darlegen könne.
Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Er rügt erneut die nach seiner Ansicht im vorliegenden Fall fehlerhaft zu hoch angesetzten Anforderungen für den Vollbeweis des Vorliegens einer Wirbelsäulenverletzung. Auch seien die Argumente des SG unzutreffend. Durch die Kompressionsfraktur des fünften Lendenwirbelkörpers sei es zu einer Kantenabsprengung gekommen, ohne dass davon der Wirbelkanal oder das Rückenmark betroffen gewesen seien. Bei einer solchen Verletzung an der Lendenwirbelsäule sei eine Dauer der Arbeitsunfähigkeit von rund vier Wochen durchaus üblich. Entgegen der Ansicht des SG sei daher die Dauer der Arbeitsunfähigkeit kein deutliches Indiz gegen das Vorliegen der Wirbelsäulenverletzung. Auch der vom Kläger beschriebene Unfallmechanismus spreche nicht gegen eine Verletzung der Wirbelsäule. Der Kläger habe im Unfallzeitpunkt die beim Guss der Betonteile eingebrachte Holzform für die Fensteraussparungen entfernen wollen, indem er sie mit einem rund 10 kg schweren Hammer habe herausschlagen wollen. Bei dieser Tätigkeit habe der Kläger rund 1,5 bis 2 Meter über dem Boden gestanden. Als er zum Schlag mit dem Hammer ausgeholt habe, habe er das Gleichgewicht verloren, sei herabgefallen und mit dem Rücken aufgekommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 10.3.1999 und den Bescheid der Beklagten vom 10.4.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.3.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der am 16.9.1959 erlittenen Wirbelsäulenverletzung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.
Der Senat hat mit Schreiben vom 24.1.2001 die Beklagte gebeten, durch einen sie beratenden Facharzt für Orthopädie oder Chirurgie abklären zu lassen, ob es nach mehr als 40 Jahren noch möglich sei, aufgrund aktueller Befunde im Allgemeinen und im Falle des Klägers im Besonderen auf die Art und Schwere einer früher erlittenen Verletzung der Wirbelsäule zu schließen. Die Einholung einer derartigen Stellungnahme hat die Beklagte mit der (nicht nachvollziehbaren) Behauptung abgelehnt, der Senat wolle für den Beweis der Wirbelsäulenverletzung schon die reine Möglichkeit ausreichen lassen. Die Nachfrage des Senats beim Kläger hat ergeben, dass mittlerweile der Vater des Klägers verstorben ist. Der Berichterstatter des Senats hat sodann am 24.4.2001 die Mutter des Klägers als Zeugin vernommen und den Kläger nochmals zu dem Unfallhergang befragt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift (Blatt 48 bis 50 der LSG-Akte) verwiesen. Es sind - vergeblich - Unterlagen vom Klinikum C ... angefordert worden (Blatt 64 bis 66 der LSG- Akte). Der Kläger ist zu Einzelheiten der Beschwerdeentwicklung sowie zu Art und Umfang der Behandlung befragt worden (vgl. Blatt 71 f. der LSG-Akte). Es ist die Verwaltungsakte der Bau-Berufsgenossenschaft Frankfurt beigezogen worden (vgl. Blatt 78 bis 100 der LSG-Akte), weil der Kläger von dieser Berufsgenossenschaft in ihrer Eigenschaft als so genannte "Geburtstags-BG" eine auf die gesetzliche Unfallversicherung übergeleitete DDR- Verletztenrente aufgrund eines als Arbeitsunfall anerkannten Schädel-Hirn-Traumas vom 29.11.1973 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. erhält. Sodann ist Prof. Dr. D ... durch Beweisanordnung vom 5.10.2001 zum Sachverständigen auf orthopädischem Fachgebiet bestimmt worden. Er meint, es gebe keinen sicheren Hinweis dafür, dass vor rund 40 Jahren ein oder mehrere Wirbelkörper des Klägers traumatisch geschädigt worden seien. Wegen der Einzelheiten des Gutachtens vom 8.11.2001 wird auf Blatt 111 bis 125 der LSG-Akte verwiesen. Hiergegen hat der Kläger vorgebracht, es könne nicht darauf ankommen, ob heute noch eine Fraktur röntgenologisch beschrieben werden könne. Entscheidend sei, dass die vorhandenen Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule des Klägers altersuntypisch seien. Dies habe der Sachverständige übersehen. Aber auch er habe eine Fraktur nicht ausschließen können.
Dem Einzelrichter des Senats liegen die Verfahrensakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte der Beklagten vor.
Der Senat kann durch den Berichterstatter als Einzelrichter (§ 155 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz ) ohne mündliche Verhandlung (§ 153 Abs. 1 i.V.m. 124 Abs. 2 SGG) entscheiden, weil sich die Beteiligten schriftsätzlich (Schreiben vom 23.1. und 25.1.2002) mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt haben.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig.
Die Beklagte ist aufgrund ihrer allgemeinen fachlichen Zuständigkeit auch die richtige Beklagte. Die Voraussetzungen über die Verteilung der Versicherungsfälle nach dem besonderen Schlüssel der Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nummer 1 Buchstabe c Absatz 8 Ziffer 2 Doppelbuchstabe aa zum Einigungsvertrag i.V.m. dem Einigungsvertragsgesetz sind hier nicht erfüllt, weil der Arbeitsunfall erst nach dem 31.12.1994 angezeigt wurde (Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nummer 1 Buchstabe c Absatz 8 Ziffer 2 Doppelbuchstabe ff zum Einigungsvertrag i.V.m. dem Einigungsvertragsgesetz). Der Kläger wandte sich wegen des Arbeitsunfalls vom 16.9.1959 erstmals mit Schreiben vom 13.4.1995 an einen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung.
Da demzufolge kein Unfallversicherungsträger vor dem 1.1.1994 Kenntnis von diesem Arbeitsunfall erlangt hat, findet § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) i.V.m. § 215 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anwendung. Hiernach sind im Beitrittsgebiet eingetretene Unfälle, die vor dem 1.1.1992 eingetreten und einem zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31.12.1993 bekannt geworden sind, nur dann als Arbeitsunfälle zu behandeln, wenn sie auch nach den Vorschriften der RVO zu entschädigen sind. Es wird daher darauf verzichtet, die am 16.9.1959 in der DDR geltende unfallversicherungsrechtliche Rechtslage darzustellen, die noch maßgeblich durch das Recht der sowjetischen Militäradministration geprägt war.
Nach der hier maßgeblichen Vorschrift des § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO muss der durch den Arbeitsunfall verursachte Primärschaden - die Verletzung als unmittelbares Ergebnis des Unfallgeschehens - nach Art und Umfang in einem Maße feststehen, dass der Unfallversicherungsträger und damit auch das Sozialgericht hiervon voll überzeugt ist (so genannter Vollbeweis). Vernünftige Zweifel dürfen nicht mehr vorhanden sein. Es muss Gewissheit über das Ausmaß des Primärschadens bestehen. Dieser Beweismaßstab entspricht der ganz herrschenden, seit langem bestehenden und unangefochtenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.
Vorliegend ist zwar aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers im Beweisaufnahmetermin und der Erklärungen seines inzwischen verstorbenen Vaters davon auszugehen, dass er bei dem Ereignis vom 16.9.1959, das die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls nach § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO erfüllt, auch eine Rückenverletzung davongetragen hat. Hingegen sind die Angaben der Mutter des Klägers wenig geeignet, diese Überzeugung zusätzlich abzusichern, da ein altersbedingter Abbau nicht nur der Gedächtnisleistungen, sondern allgemein der geistigen Fähigkeiten bei ihr offensichtlich war. Der aus den Angaben des Klägers und seines Vaters gewonnenen Überzeugung des Einzelrichters des Senats, dass der Kläger eine Rückenverletzung erlitten hat, steht nicht entgegen, dass sich der Kläger nicht mehr in allen Einzelheiten an den Unfallhergang erinnern kann. Vielmehr trägt dies sogar zur Glaubwürdigkeit bei, weil kein Grund ersichtlich ist, warum der Kläger eine damals als vorübergehende und damit letztlich als relativ geringfügig erfahrene Verletzung sich hinsichtlich des Unfallhergangs immer wieder in das Gedächtnis hätte rufen sollen. Es steht zur Überzeugung des Einzelrichters des Senats damit fest, dass der Kläger bei der Arbeit aus geringer Höhe gestürzt ist und sich dabei eine irgendwie geartete Rückenverletzung zugezogen hat. Eine Rückenverletzung ist jedoch nicht schon mit einer schweren Wirbelsäulenverletzung in Gestalt einer Wirbelkörperfraktur gleichzusetzen. Auch die Angabe des Klägers, ihm sei ärztlicherseits mitgeteilt worden, ein Wirbelkörper sei geschädigt worden, ist für sich genommen nur ein einzelnes Indiz, das eine Wirbelsäulenverletzung noch nicht beweist.
Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. D ... kann sich der Einzelrichter des Senats im Sinne des vorstehend beschriebenen Beweismaßstabes keine Überzeugung dahingehend bilden, dass der Kläger durch den am 16.9.1959 erlittenen Arbeitsunfall eine Kompressionsfraktur des fünften Lendenwirbelkörpers oder anderer Lendenwirbelkörper erlitten hat. Prof. Dr. D ... hat ausgeführt, die Beschwerden des Klägers würden durch eine idiopathische Skoliose verursacht. Der Begriff "idiopathisch" ist zwar insoweit nichtssagend, als er lediglich die gelehrte Umschreibung für das ärztliche Nichtwissen der Ursache eines körperlichen Zustandes und für die Vermutung einer inneren Ursache ist. Prof. Dr. D ... hat jedoch in der Darstellung des Befundes ausgeführt, dass sich röntgenologisch das typische Bild einer aus innerer Ursache entstandenen rechtskonvexen Lumbalskoliose zeige, die unfallunabhängig im jugendlichen Alter zunächst rasch voranschreitend entstehe und sich nach Abschluss des Wachstumsalters langsam aber kontinuierlich weiterentwickele. Er hat ferner überzeugend dargetan, dass bei Annahme einer Fraktur die am meisten degenerativ veränderten Lendenwirbelkörper 3 und 4 ebenfalls hätten verletzt worden sein müssen. Eine doppelte Wirbelkörperfraktur bei Lendenwirbelkörper 3 und 4 wäre aber instabil gewesen, weil auch der entsprechende Zwischenwirbelraum einbezogen gewesen wäre. Wenn es aber in einem solchen Fall, wie Prof. Dr. D ... ausführt, völlig ausgeschlossen ist, binnen drei Wochen - unter Schonarbeitsbedingungen - wieder arbeitsfähig zu sein, ist dies ein sehr gewichtiges Argument gegen eine traumatische Schädigung der Wirbelsäule. Diese Umstände begründen vernünftige Zweifel an der vom Kläger behaupteten Art und dem Ausmaß der Rückenverletzung. Hinzu kommt, dass keinerlei Unregelmäßigkeiten im Sinne früherer Frakturlinien erkennbar sind und beim Kläger eine endogene Disposition zu hyperostotischen degenerativen Veränderungen besteht, die sich auch an der Hals- und der Brustwirbelsäule finden.
Soweit der Kläger dagegen vorbringt, Prof. Dr. D ... habe nicht beachtet, dass die degenerativen Veränderungen altersuntypisch seien, entbehrt dieses Argument jeglicher Grundlage. Vorzeitige degenerative Veränderungen der Wirbelsäule (so genannte Linksverschiebung) treten nicht nur aufgrund von Verletzungen auf. Diese stellen zahlenmäßig wohl eher nur eine kleine Gruppe aller Wirbelsäulenschäden dar. Wie die weiterhin anhaltende Diskussion um die Berufskrankheiten nach Nr. 2108 bis 2110 der Anlage zur Berufskrankheiten- Verordnung zeigt, gibt es eine Vielzahl nichttraumatischer und auch nichtberufsbedingter Wirbelsäulenschäden. All dies ist dem Einzelrichter des Senats aufgrund einer Vielzahl von Verfahren und einer damit korrespondierenden noch größeren Zahl von Gutachten, Befundberichten, Arztbriefen und Epikrisen bekannt. Es hat daher aufgrund des Vorbringens des Klägers kein Anlass bestanden, von Amts wegen ein weiteres Gutachten einzuholen. Auch muss mit aller Deutlichkeit gesagt werden, dass von einem Kläger, der selbst Facharzt für Chirurgie ist, erwartet werden kann, dass er die Ergebnisse des Gutachtens wesentlich substantiierter bestreitet, als dies hier geschehen ist, wenn er sie denn für falsch hält. Dass dies hier nicht geschehen ist, spricht für sich selbst.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved