L 2 U 56/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 5 U 294/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 56/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 17.02.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Feststellung der Lendenwirbelsäulenbeschwerden des Klägers als Berufskrankheit (BK) Nr. 2110 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

Der am ... geborene Kläger arbeitete ab 1959 bis 1963 als Traktorist; nach seinem bis 1965 dauernden Wehrdienst war er bis November 1995 als Traktorist und Kraftfahrer beschäftigt. Ab 22.01.1996 war er für ca. ein Jahr arbeitsunfähig erkrankt und seither nicht mehr in seinem Beruf tätig.

Am 29.06.1995 erstattete der Facharzt für Orthopädie Dr. H ... eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit und gab an, dass der Kläger Schmerzen in der Lendenwirbelsäule und im rechten Bein geäußert habe, die erstmals vor acht Jahren aufgetreten seien.

Die Beklagte holte im Feststellungsverfahren ärztliche Berichte und Behandlungsunterlagen der den Kläger behandelnden Ärzte Dr. H ..., Dr. D ... und Dipl.-Med. L ... ein und veranlasste Expositionsanalysen durch ihren Technischen Aufsichtsdienst (TAD) und den TAD der Bau-Berufsgenossenschaft Bayern und Sachsen. Dieser führte in einer Stellungnahme vom 08.08.1996 aus, dass der Kläger von November 1966 bis Januar 1977 überwiegend als Kraftfahrer im Erdbau gearbeitet und hierbei in der Regel Erdmassen, zu 75 % auf Großbaustellen und zu 25 % auf kleineren Baustellen transportiert habe. Von Januar 1977 bis Ende 1983 habe er Erdmassen im Straßenbau befördert, von 1984 bis Dezember 1991 habe er zusätzlich einen Tag pro Woche Baumaterialien befördert. Danach sei er im Straßenbau als Tiefbauarbeiter eingesetzt worden und habe nur gelegentlich Fahrzeuge wie z. B. Kipper, Minibagger und Schaufelbagger bedient. Der nach der VDI 2057 festgelegte Richtwert der Beurteilungsschwingstärke zur Vermeidung einer Gesundheitsgefährdung sei in einem großen Teil des zu beurteilenden Zeitraumes überschritten worden. Im Sinne der BK 2110 habe eine gesundheitsgefährdende Belastung festgestellt werden können. Der TAD der Beklagten stellte in einer Stellungnahme vom 14.09.1997 fest, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Annahme einer BK 2110 gegeben seien. Der Kläger sei einer gefährdenden Belastung in diesem Sinne ausgesetzt gewesen.

Der Facharzt für Orthopädie Dr. H ... teilte im Befundbericht vom 12.09.1995 der Beklagten mit, dass er den Kläger wegen Wirbelsäulenbeschwerden erstmals am 12.04.1994 behandelt habe. Die Befunderhebung habe einen Finger-Boden-Abstand von 40 cm, einen Schober 10/12 cm, eine endgradig eingeschränkte Extension/Seitneigung, einen Druckschmerz L3/S1 und einen Lasègue rechts bei 80° positiv ergeben. Das Röntgenbild habe eine rechts-konvexe Lendenwirbelsäule und eine Intervertebralchondrose L3/L4 gezeigt.

Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Frau Dipl.-Med. L ... wies im Befundbericht vom 11.09.1997 an die Beklagte darauf hin, dass der Kläger noch von ihr wegen anhaltender rezidivierender Lumbalgien mit Sensibilitätsstörungen im Bein am 23.03.1994 in orthopädische Behandlung überwiesen worden sei. Im Februar 1996 sei ein akutes Lendenwirbelsäulensyndrom mit Diskusprolaps diagnostiziert worden.

Der von der Beklagten um eine Stellungnahme gebetene Chirurg und Beratungsarzt der Beklagten Dr. B ... führte am 09.10.1997 daraufhin aus, dass das Vorliegen einer BK 2110 nicht wahrscheinlich sei. Die vorliegenden degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und der unteren Bandscheiben seien Folge der anlagebedingten Fehlhaltung der Lendenwirbelsäule und in diesem Zusammenhang altersentsprechend. Die ebenfalls um eine Stellungnahme gebetene Gewerbeärztin Frau Dipl.-Med. G ... empfahl mit Schreiben vom 13.10.1997, eine BK 2110 ohne gutachterliche Untersuchung abzulehnen, da röntgenologisch vor allem auch erhebliche degenerative Veränderungen an der Brustwirbelsäule nachweisbar seien, während sich im Bereich der Lendenwirbelsäule eine Skoliose finde.

Die Beklagte erließ daraufhin am 10.03.1998 einen Bescheid, mit dem sie Entschädigungsleistungen in Verbindung mit der Berufskrankheiten-Verordnung ablehnte, weil eine Berufskrankheit nach den Nrn. 2108 bis 2110 der Anlage 1 zur BKV nicht vorliege.

Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 01.09.1998 zurückgewiesen. Am 30.09.1998 ist Klage vor dem Sozialgericht Dresden (SG) erhoben worden. Das SG hat im Rahmen seiner Ermittlungen Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Dr. H ... hat am 20.11.1998 den Befund nach einem Computertomogramm vom 13.12.1995 (spinales CT L4 bis S1) übersandt, der zwischen L4 und L5 einen mediolateralen Bandscheibenprotrusionsherd mit mäßiger periduraler Kompression und diskreter Einengung der Wurzeltasche bei mäßigen begleitenden intervertebralarthrotischen Reaktionen beschreibt. Er hat als Diagnosen ein lumbales pseudoradikuläres Schmerzsyndrom L4/L5 bei Bandscheibenprotrusion, eine Osteochondrose L4/L5/S1 und C5/C7 und eine Spondylosis deformans der mittleren Brustwirbelsäule aufgeführt.

Des Weiteren hat das SG ein Gutachten bei Prof. Dr. D ... in Auftrag gegeben. Im Gutachten vom 06.07.1999, das nach einer Untersuchung am 30.06.1999 erstellt worden ist, hat Prof. Dr. D ... auf Grund der von ihm gefertigten Röntgenaufnahmen festgestellt, dass der Kläger im Bereich der Halswirbelsäule an einer erheblichen Osteochondrose und Spondylosis deformans und einer leichten Uncovertebralarthrose leide. Die Brustwirbelsäule zeige eine ausgeprägte Spondylosis deformans D7 bis D11 rechts, eine mäßige Spondylosis deformans der gesamten mittleren Brustwirbelsäule und geringere Residuen eines abgelaufenen Morbus Scheuermannn D6 bis D10, ferner eine leichte rechts-konvexe Skoliose. An der Lendenwirbelsäule zeige sich ein Baastrup-Phänomen L3/L4, ferner eine bilaterale Lumbalisation von S1 mit rudimentärer Bandscheibe L6(=S1)/S2 und eine Erniedrigung der Zwischenwirbelräume L4/L5 und L5/S1 mit leichten ventralen Kantenausziehungen. Der Kläger leide an einem lumbalen vertebragenen pseudoradikulären Schmerzsyndrom mit sensiblen radikulären Residuen rechts bei Osteochondrose und Spondylosis deformans L4/L5 und L5/S1, Lumbalisation von S1 und rechts-konvexer Lumbalskoliose; an einem lokalen vertebragenen oberen thorakalen Schmerzsyndrom bei leichter rechts-konvexer Thorakalskoliose und Spondylosis deformans der mittleren und unteren Brustwirbelsäule, einem zervikalen vertebragenen pseudoradikulären Schmerzsyndrom bei ausgeprägten degenerativen Veränderungen C6/C7, einer Koxarthrose beidseits, einer beginnenden retropatellaren Chondropathie beidseits und einer Epicondylalgia radialis humeri duplex bei vertebragenem zervikalem Pseudoradikulärsyndrom.

Der klinische Befund weise schmerzhafte vertebragene klinische Symptome in allen drei Etagen des beweglichen Achsenorganes aus. Der Schmerzbeginn im Bereich der Lendenwirbelsäule habe Mitte der 80er Jahre gelegen, bis sich in den letzten Jahren auch nahezu analog intensive Schmerzen in der Halswirbelsäule und oberen Brustwirbelsäule eingestellt hätten. Es bestehe eine Bewegungseinschränkung mittleren Grades in allen Bewegungsebenen der Halswirbelsäule. Die Brustwirbelsäulenbeweglichkeit sei erheblich reduziert und an der Lendenwirbelsäule bestehe ebenfalls in allen Ebenen eine mäßige Bewegungseinschränkung. Es seien zweisegmentale Verschleißprozesse an der Lendenwirbelsäule zu belegen bei berufsunabhängiger rechts-konvexer Skoliose und anlagebedingter Fehlbildung am lumbo-sakralen Übergang. Im Bereich der Brustwirbelsäule fänden sich polysegmentale degenerative Veränderungen und an der Halswirbelsäule ein schwerer monosegmentaler Degenerationsbefund bei C6/C7. Das klinische Verteilungsmuster der Beschwerden auf alle drei Abschnitte des beweglichen Achsenorganes mit entsprechenden degenerativen Veränderungen an Halswirbelsäule, Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule spreche gegen eine Berufserkrankung im Sinne der BK 2110. Die Lendenwirbelsäule zeige insbesondere gegenüber der Brustwirbelsäule keinesfalls vorauseilende bzw. verstärkte degenerative Veränderungen. Für eine endogene Disposition des degenerativen Krankheitsbildes an der Gesamtwirbelsäule spreche außerdem, dass auch an beiden Hüftgelenken und in leichterem Maße an beiden Kniegelenken sich ein Verschleißleiden entwickelt habe, obwohl in Bezug auf die großen Gelenke keinerlei berufliche Faktoren für die Entwicklung des Verschleißbildes verantwortlich gemacht werden könnten. Das Verteilungsmuster der degenerativen Veränderungen auf die beiden unteren Lumbalsegmente spreche gegen eine vibrationsbedingte Pathogenese, da die Gesamtlendenwirbelsäule bei der Ganzkörperschwingungsbelastung unter verstärkte Belastung gerate. Der Kläger habe angegeben, dass er seine Arbeit als Kraftfahrer habe aufgeben müssen, weil ihm im November 1996 wegen mangelnder Auftragslage gekündigt worden sei. Allerdings sei er zuvor mehrfach auch langzeitig wegen der Wirbelsäule arbeitsunfähig gewesen, und er sei bei den Beschwerden, vor allem im Bereich der Lendenwirbelsäule im Sinne des lumbalen vertebragenen Pseudoradikulärsyndroms, nicht mehr in der Lage, im Sinne der Ganzkörpervibration Belastungen ausgesetzt zu werden. Auch Tätigkeiten mit Exposition im Sinne der BK Nr 2108, 2109 seien für die Zukunft kontraindiziert.

Das SG hat mit Urteil vom 17.02.2000 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die beim Kläger festgestellten Veränderungen der Lendenwirbelsäule nicht rechtlich wesentlich auf die berufliche Einwirkung zurückgeführt werden könnten.

Gegen das ihm am 14.03.2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12.04.2000 Berufung eingelegt. Zur Begründung der Berufung ist insbesondere ausgeführt worden, in Anbetracht des Umstandes, dass die Schwingungsbelastung auf die gesamte Wirbelsäule und nicht nur lediglich auf den Lendenwirbelsäulenbereich einwirke, seien auch der Halswirbelsäulen- und der Brustwirbelsäulenbereich in Mitleidenschaft gezogen, so dass Erkrankungen in diesem Bereich nicht gegen eine berufliche Entstehungsursache der Erkrankungen im Lendenwirbelsäulenbereich sprächen. Des Weiteren spreche der bisegmentale Befund bei L4/L5 und L5/S1 nicht gegen eine beruflich bedingte Verursachung, da die beiden untersten Segmente der Lendenwirbelsäule schon allgemein auf Grund der anatomischen Gegebenheiten am stärksten belastet und deswegen auch ohne die besonderen Einwirkungen im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2110 für eine bandscheibenbedingte Erkrankung besonders anfällig seien. Hiernach sprächen mono- oder bisegmental bestehende Bandscheibenschäden weder für noch gegen eine berufsbedingte Verursachung des Schadens.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 17.02.2000 und den Bescheid vom 10.03.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.09.1998 aufzuheben, das Vorliegen einer Berufskrankheit der Nr. 2110 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung festzustellen und dem Kläger eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ihrer Ansicht nach war durch die Ganzkörperschwingungen, denen der Kläger ausgesetzt war, allein die Lendenwirbelsäule betroffen. Da beim Kläger die gesamte Wirbelsäule verschleißbedingte Veränderungen aufweise, wobei die Lendenwirbelsäule insbesondere gegenüber der Brustwirbelsäule keine vorauseilenden bzw. verstärkten degenerativen Veränderungen zeige, könne von einer berufsbedingten Verursachung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule nicht ausgegangen werden. Eine polysegmentale Verteilung der Bandscheibenerkrankung mit Beteiligung der Hals- und/oder Brustwirbelsäule (und/oder degenerativen Veränderungen an den großen Gelenken) weise auf eine starke konstitutionelle Veranlagung zum Bandscheibenverschleiß hin. Bei der Skoliose, soweit diese klinisch relevant sei, und der Scheuermannschen Erkrankung bzw. dem Zustand nach Morbus Scheuermann handele es sich zudem um konkurrierende Gesundheitsstörungen, die gegen einen kausalen Zusammenhang zwischen der Lendenwirbelsäulenerkrankung und der angeschuldigten Tätigkeit sprächen. Zusätzlich bestehe beim Kläger eine anlagebedingte Fehlbildung am lumbosakralen Übergang, auch das Baastrup-Phänomen im Segment L3/L4 sei vom Gutachter berücksichtigt worden.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Auf das vorliegende Verfahren ist, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, das Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzuwenden, da der Versicherungsfall der Berufskrankheit nur vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 01.01.1997 eingetreten sein kann (Artikel 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 212 SGB VII).

Eingetreten ist der Versicherungsfall Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die Gefährdungen realisiert haben, vor denen die gesetzliche Unfallversicherung Schutz gewähren soll, damit zu dem Zeitpunkt des Eintritts jedes Gesundheitsschadens, der die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale einer Berufskrankheit erfüllt (Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheiten-Verordnung - BKV; Kommentar, Stand 14.03.2001, E § 9 SGB VII Rn. 42, S. 97 m. w. N.). Diese sind gegeben, wenn die schädigende Einwirkung einen regelwidrigen Körper- und Geisteszustand verursacht hat, der die Krankheitsmerkmale eines Berufskrankheitentatbestandes erfüllt und wenn gegebenenfalls erforderliche besondere Merkmale, insbesondere die Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten vorliegen (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Handkommentar, Stand Februar 2001, § 9 SGB VII Rn. 7). Angesichts dessen, dass der Kläger seit November 1995 nicht mehr in seinem Beruf tätig und nicht mehr Ganzkörperschwingungen ausgesetzt war, kommt als möglicher Zeitpunkt der Anspruchsentstehung nur der 01.12.1995 in Betracht.

Nach den somit einschlägigen §§ 548 Abs. 1, 551 Abs. 1 Satz 1, 2 RVO gelten als Arbeitsunfälle auch die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Hierzu zählen auch bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkungen von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (BK Nr. 2110). Die tatbestandlichen Merkmale dieser Berufskrankheit sind jedoch nicht erfüllt.

Zwar liegt beim Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor. Insoweit haben sowohl der den Kläger behandelnde Orthopäde Dr. H ... als auch Prof. Dr. D ... beschrieben, dass der Kläger insbesondere an einem Bandscheibenvorfall im Bereich L4/L5 leide, ferner an Verschleißerscheinungen insbesondere im Bereich L4 bis S1.

Des Weiteren ergibt sich aus den Stellungnahmen der Technischen Aufsichtsdienste der Beklagten und der Bau-Berufsgenossenschaft Bayern und Sachsen, dass der Kläger über einen Zeitraum von über dreißig Jahren gesundheitsgefährdenden Ganzkörperschwingungen im Sinne der BK Nr. 2110 der Anlage 1 zur BKV ausgesetzt war.

Auch das weitere Tatbestandsmerkmal des so genannten Unterlassungszwanges ist erfüllt. Hierfür ist in der Regel erforderlich, dass die Tätigkeit, die zu der Erkrankung geführt hat, aus arbeitsmedizinischen Gründen nicht mehr ausgeübt werden soll und dass der Versicherte die schädigende Tätigkeit und solche Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich sein können, tatsächlich objektiv aufgegeben hat, wobei es auf das Motiv des Versicherten nicht ankommt (st.Rspr., z. B. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 23.08.2000, B 2 U 34/99 R, bestätigt in BSG, Urteil vom 20.02.2001, B 2 U 10/00 R). Der Kläger war auf Grund der bei ihm vorliegenden bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule gehalten, die von ihm jahrzehntelang ausgeübte schädigende Tätigkeit nicht weiter auszuüben. Prof. Dr. D ... hat dies in seinem Gutachten ausdrücklich bestätigt. Der Senat hat angesichts der beschriebenen degenerativen Veränderungen in der Lendenwirbelsäule des Klägers im unteren Bereich keine Bedenken, dieser Einschätzung zu folgen. Der Kläger hat die schädigende Tätigkeit am 30.11.1995 auch tatsächlich endgültig aufgegeben.

Jedoch besteht keine rechtlich wesentliche Kausalbeziehung zwischen den beruflichen Belastungen, denen der Kläger während seines Erwerbslebens ausgesetzt war und der bandscheibenbedingten Erkrankung seiner Lendenwirbelsäule.

Eine Berufskrankheit ist immer dann in Folge einer Versichertentätigkeit eingetreten und als Berufskrankheit anzuerkennen und zu entschädigen, wenn die beruflichen Belastungen in rechtlich wesentlicher Weise bei der Krankheitsentstehung mitgewirkt haben. Die Wertung als rechtlich wesentliche Ursache erfordert nicht, dass der berufliche Faktor die alleinige oder überwiegende Bedingung ist. Haben mehrere Ursachen in medizinisch-naturwissenschaftlicher Hinsicht gemeinsam zum Entstehen der Erkrankung beigetragen, dann sind sie nebeneinander (Mit-)Ursachen im Rechtssinne, wenn beide in ihrer Bedeutung und Tragweite beim Eintritt des Erfolges wesentlich mitgewirkt haben. Der Begriff "wesentlich" ist nicht identisch mit den Beschreibungen überwiegend, gleichwertig oder annähernd gleichwertig. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch (prozentual), also verhältnismäßig niedriger zu wertende Bedingung kann für den Erfolg wesentlich sein. Ein mitwirkender Faktor ist nur dann rechtlich unwesentlich, wenn er von einer anderen Ursache ganz in den Hintergrund gedrängt wird. Daher ist es zulässig eine - rein naturwissenschaftlich betracht - nicht gleichwertige (prozentual, also verhältnismäßig niedriger zu bewertende) Ursache rechtlich als wesentlich anzusehen, weil gerade und nur durch ihr Hinzutreten zu der anderen wesentlichen Ursache der Erfolg eintreten konnte. Die letztere Ursache hat dann im Verhältnis zur ersteren keine überragende Bedeutung (Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., § 8 SGB VII Rn. 8.2.3).

Jedoch ist vorliegend nicht davon auszugehen, dass die Ganzkörperschwingungen, denen der Kläger in seiner beruflichen Tätigkeit ausgesetzt war, eine rechtlich wesentliche Ursache für die Entstehung des Krankheitsbildes darstellen. Gegen einen derartigen Zusammenhang spricht insbesondere, dass die degenerativen Veränderungen an der Lendenwirbelsäule des Klägers nicht ausgeprägter sind als die an der Brustwirbelsäule und der Halswirbelsäule. Insoweit ist davon auszugehen, dass eine polysegmentale auftretende Bandscheibenerkrankung mit Beteiligung auch der Halswirbelsäule und der Brustwirbelsäule auf eine konstitutionelle Veranlagung zum Bandscheibenverschleiß hinweist. Bei Vorliegen einer solchen polysegmentalen Verteilung ist ein Ursachenzusammenhang zwischen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule und einer beruflichen Belastung zunächst als unwahrscheinlich anzusehen (so auch Mehrtens/Perlebach, a. a. O. S. 30). Eine Anerkennung von degenerativen Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit in den Fällen, in denen auch im Wesentlichen gleich oder sogar stärker ausgeprägte Veränderungen an der Brustwirbelsäule und der Halswirbelsäule bestehen, hätte zur Folge, dass die degenerativen Veränderungen in den oberen Etagen der Wirbelsäule als endogen angesehen würden, während die Veränderungen in der unteren Etage der Lendenwirbelsäule als berufsbedingt qualifiziert würden. Ein derartiges Ergebnis wäre nicht nachvollziehbar.

Soweit der Kläger hiergegen einwenden lässt, dass Ganzkörperschwingungen auf die gesamte Wirbelsäule und nicht nur auf die Lendenwirbelsäule einwirken, vermag dies nicht zu überzeugen. Soweit ersichtlich, existieren keine medizinischen Erkenntnisse oder Untersuchungen, die dies mit der erforderlichen Gewissheit belegen könnten. Vielmehr ist angesichts dessen, dass in diesem Zusammenhang lediglich die Auswirkungen von Ganzkörperschwingungen auf die Lendenwirbelsäule untersucht worden sind, davon auszugehen, dass ein Zusammenhang von Ganzkörperschwingungen und degenerativen Veränderungen an Brust- und Halswirbelsäule jedenfalls nicht gesichert ist.

Zuzugeben ist dem Kläger, dass aus der Existenz eines (nur) mono- oder bisegmentalen Schadens nicht geschlossen werden kann, dass dieser nicht durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden sei. Insoweit ist dem Senat auch aus anderen Verfahren bekannt, dass die in dem vom SG eingeholten Gutachten vertretene These, dass bei Vorliegen eines mono- oder bisegmentalen Schadens das Vorliegen einer Berufskrankheit nicht bejaht werden könne, in der medizinischen Wissenschaft und Literatur umstritten ist. Gleichwohl vermag dies vorliegend nicht dazu zu führen, dass eine BK Nr 2110 anerkannt werden könnte, da unter Berücksichtigung des gesamten Erscheinungsbildes der Wirbelsäule des Klägers eine berufliche Verursachung der degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule nicht hinreichend wahrscheinlich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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