Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 7 U 238/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 6/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Unter Zurückweisung der Berufung des Klägers im Übrigen werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 08.11.1999 und der Bescheid der Beklagten vom 25.08.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.1998 geändert. Es wird festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis vom 30.09.1997 um einen Arbeitsunfall handelt. Als Unfallfolge wird eine muskuläre Zerrung festgestellt.
II. Die Beklagte trägt ein Fünftel der außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Rechtszüge.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung und Entschädigung eines Bandscheibenvorfalls im HWS-Bereich als Folge eines Ereignisses am 30.09.1997.
Gemäß der Arbeitgeber-Unfallanzeige (bei der Beklagten eingegangen am 07.11.1997) hob der am ... geborene Kläger am 30.09.1997 um 8.30 Uhr einen Stampfer 80 cm hoch über eine Straßenkante und verspürte einen heftigen Schmerz in der linken Schulter und der Brust. Die Verletzung wurde als "Zerrung durch Verheben" beschrieben. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. A ... teilte der Beklagten in einer Unfallmeldung vom 23.10.1997 mit, dass der Kläger am 30.09.1997, 16.00 Uhr bei ihr gewesen sei. Beim Transportieren eines ca. 70 kg schweren Verdichters über die Bordsteinkante zur Bürgersteigseite habe er einen starken Schmerz linke Schulterseite bis zur Brust ziehend und an der Halsseite verspürt. Sie habe ein akutes Cervicalsyndrom mit Verdacht auf BS-Blockierung diagnostiziert.
Im Durchgangsarztbericht von Dr. S ... vom 22.10.1997 wird ausgeführt, der Kläger habe eine Waggerplatte (Bodenverdichter) gehoben. Er habe dabei einen plötzlichen Schmerz in der linken Schulter zum Nacken und nach vorn zur Brust links mit Taubheitsgefühl zu den Fingern der linken Hand gehabt. Es bestehe auch jetzt noch eine Schiefhalshaltung mit Blickrichtung nach rechts und Druckschmerz am Nacken. Die Kopfbewegungen seien eingeschränkt. Der Kläger leide unter peripheren Sensibilitätsstörungen des 2. und 3. Fingers links. Die Motorik sei ungestört. Dr. S ... gibt an, er habe ein Schulter-Arm-Syndrom links cervical diagnostiziert, evtl. lägen degenerative HWS-Veränderungen vor. Dem Kläger sei erklärt worden, dass kein eigentliches Unfallgeschehen vorliege und eine Gelegenheitsursache keine BG-Behandlung und Absicherung begründe.
Der Kläger schildert in einem Schreiben vom 08.12.1997 an die Beigeladene die Folgen des Ereignisses vom 30.09.1997: Er habe beim Anheben des Wackers einen heftigen Schmerz in der linken Schulter zur Brust verspürt, der ca. 5 Minuten, nach dem Wiederaufrichten, soweit nachgelassen habe, dass es ihm zunächst möglich geworden sei, weiterzuarbeiten.
Auf Anforderung der Beklagten erstellte Prof. Dr. S ..., Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie der Universität L ..., am 29.01.1998 einen fachärztlichen Bericht, in dem er ausführte, der Kläger habe am 30.09.1997 eine schwere ungleich verteilte Last angehoben. Der Kläger sei nicht konzentriert gewesen und habe sich beim Anheben vorgestellt, dass die schwere Seite die leichte sei. Somit sei es zu einer erheblichen Fehlbelastung gekommen, die zu einem sofortigen schlagartigen heftigen Schmerz in der Halswirbelsäule mit Ausstrahlung zur linken Schulter geführt habe. Sofort seien die Finger der linken Hand taub gewesen. Am 21.10.1997, als der Kläger sich erstmalig in der Poliklinik vorgestellt habe, sei ein Bandscheibenvorfall C6/7 links diagnostiziert und die stationäre Aufnahme veranlasst worden. Am 19.01.1998 sei der Kläger operiert worden. Dabei habe sich ein Sequester in Höhe C6/7 gefunden, der entfernt worden sei. Bis zum 30.09.1997 sei der Kläger vollständig beschwerdefrei gewesen. Bei dem in Frage stehenden Ereignis handele es um ein für den Kläger unvorhergesehenes Ereignis, da der Kläger irrtümlich die schwere Seite des anzuhebenden Gegenstandes mit der leichten verwechselt und somit seine Muskelgruppen völlig falsch eingesetzt habe.
Der Beratungsarzt der Beklagten Besig führte in einer Stellungnahme vom 11.02.1998 hierzu aus, seiner Ansicht nach könnten durch Muskelanspannung Bandscheibenschäden nicht hervorgerufen werden. Es sei nicht begründet worden, warum der seltene Ausnahmefall einer traumatischen Bandscheibenschädigung vorliegen solle.
Am 25.05.1998 erließ die Beklagte einen Bescheid, mit dem sie das Ereignis vom 30.09.1997 nicht als Arbeitsunfall anerkannte. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen diesem Ereignis und dem Körperschaden sei nicht gegeben, da keine objektiven verletzungsbedingten Befunde benannt werden könnten, die den seltenen Ausnahmefall einer traumatischen Bandscheibenschädigung begründeten. Vielmehr sei die Schädigung der Bandscheibe auf unfallunabhängige Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule zurückzuführen. Die Bandscheibenschädigung wäre auch außerhalb der versicherten Tätigkeit unter den Belastungen des täglichen Lebens etwa zur gleichen Zeit und bei ähnlichem Anlass zu Tage getreten.
Der Kläger widersprach dem und legte ein Schreiben von Prof. Dr. S ... vom 05.08.1998 vor, in dem es u.a. heißt, er habe natürlich nie geäußert, durch Muskelanspannung könnten Bandscheibenschäden hervorgerufen werden. Dass der Kläger bis zum 30.09.1997 völlig beschwerdefrei geblieben sei, spreche nicht gegen eine Vorschädigung der Bandscheibe, die allerdings klinisch symptomlos geblieben sei. Wenn auf eine vorgeschädigte Bandscheibe zusätzlich ein akutes Trauma einwirke, müssten zwangsläufig die Folgen andere sein als bei einem völlig intakten Bewegungsapparat.
Mit Bescheid vom 08.10.1998 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Am 02.11.1998 hat der Kläger das Sozialgericht Leipzig (SG) angerufen mit dem Begehren, das Ereignis vom 30.09.1997 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen.
Das SG hat zur Aufklärung des Sachverhaltes in orthopädischer Hinsicht Prof. Dr ... zum Sachverständigen bestellt, der im Gutachten vom 25.03.1999 ausführt, der Kläger habe berichtet, er habe beim Herausheben des Verdichters aus einer 80 cm messenden Vertiefung einen plötzlich eintretenden Schmerz zwischen Hals und linker Schulter verspürt, der sowohl in das linke Schulterblatt als auch nach vorn in die linke Brust ausgestrahlt habe. Zusätzlich habe sich innerhalb weniger Stunden ein Taubheitsgefühl in den ersten drei Fingern der linken Hand sowie an der Streckseite des linken Unter- und Oberarmes eingestellt. Aufgrund nicht nachlassender Beschwerden sei am 15.10.1997 eine kernspintomograhische Untersuchung der HWS erfolgt, die einen sequestrierten links mediolateralen Bandscheibenvorfall zwischen dem 6. und 7. Halswirbelkörper gezeigt habe. Der Kläger sei wegen der fortbestehenden Beschwerden bis zum 13.09.1998 arbeitsunfähig gewesen. Seit 19.02.1998 sei er wegen Konkurses seines Betriebes arbeitslos.
Die neurologische Untersuchung habe eine Sensibilitätsstörung im Bereich des 1. bis 3. Fingers der linken Hand ergeben, die sich über die Streckseite des linken Unter- und Oberarmes fortsetze und entsprechend den Dermatomen C6 und C7 zugeordnet werden könne. Motorische Ausfälle ließen sich nicht nachweisen. Im Röntgenbild habe sich eine erhebliche Steilstellung der HWS mit deutlichen degenerativen Veränderungen des 5. bis 7. Halswirbelkörpers gezeigt. Auch nach dem Kernspintomogramm vom 15.10.1997 bestehen außer dem großen mediolateralen Bandscheibenvorfall ausgeprägte degenerative Veränderungen in diesem Bereich. Es liege eine Verschleißerkrankung und Funktionsstörung der Halswirbelsäule mit neurologischen (sensiblen) Ausfallerscheinungen nach operativ versorgtem Bandscheibenvorfall vor. Bei dem Anheben des Verdichters handle es sich um eine geplante und zielgerichtete Tätigkeit, aus der eine erhebliche Anspannung der HWS-Muskulatur resultiere. Es gehe hier also nicht um ein unvorhergesehenes Ereignis, sondern um ein geplantes, wobei es angesicht den bereits bestehenden degenerativen Veränderungen bei jeder anderen zu verrichtenden Tätigkeit ebenfalls zu einem Bandscheibenvorfall habe kommen können. Das Ereignis vom 30.09.1997 sei als eine Gelegenheitsursache für den Bandscheibenvorfall anzusehen. Es sei nicht als Unfallereignis zu werten und auch nicht als Teilursache für die Gesundheitsstörung verantwortlich. Ursache für die geltend gemachte Gesundheitsstörung sei die am 30.09.1997 bereits vorliegende, bisher asymptomatisch verlaufene Verschleißerkrankung der Halswirbelsäule.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 08.11.1999, dem Kläger zugestellt am 07.12.1999, die Klage abgewiesen. Es hat den Antrag des Klägers sinngemäß dahin ausgelegt, dass dieser die Anerkennung von Unfallfolgen und die Gewährung einer MdE begehre und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, da der gerichtliche Sachverständige mitgeteilt habe, die vorliegenden Gesundheitsstörungen seien nicht auf einen Unfall zurückzuführen, habe die Klage keine Aussicht auf Erfolg gehabt.
Am 06.01.2000 ist Berufung gegen den Gerichtsbescheid eingelegt worden.
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. D ... ein weiteres Gutachten auf dem Gebiet der Orthopädie vom 19.07.2000 erstellt und darin ein zervikales vertebragenes pseudoradikuläres Post-Nukleotomiesyndrom mit radikulären Residuen diagnostiziert. Das Röntgenbild der Halswirbelsäule habe eine Unkovertebralarthrose (degenerative Erkrankung der HWS mit Einengung der Zwischenwirbellöcher durch kleine Auflagerungen von Knochengewebe an den Wirbelsegmenten C4/5, C5/6 und C6/7) und eine Spondylosis deformans hyperostotica (degenerative Erkrankung der Wirbelkörper mit ausgeprägten deformierenden knöchernen Veränderungen) gezeigt. Die Schmerzen, die der Kläger anläßlich des Ereignisses vom 30.09.1997 erlitten und bei der sehr exakten Exploration am Untersuchungstag beschrieben habe, seien typisch für eine muskuläre Zerrung. Mehrfach befragt habe der Kläger angegeben, dass erst ca. vier Tage nach dem Geschehen vom 30.09.1997 Sensibilitätsstörungen im 1. bis 3. Finger links aufgetreten seien und dann auch eine Minderung der Kraft im linken Arm.
Es sei davon auszugehen, dass der Kläger am 30.09.1997 eine Weichteilzerrung erlitten habe. Die sich einige Tage später entwickelnde zervikale vertebragene radikuläre motorische und sensible Symptomatik sei dagegen auf dem Boden eines Nucleus pulposus Prolaps (Vorfall des zentralen Teils der Zwischenwirbelscheiben) enstanden, der unfallunabhängig Folge der im MRT nachgewiesenen, seit langem bestehenden degenerativen Veränderungen sei. Die unerwartete Kraftanstrengung (beim Anheben des Verdichters) habe in viel höherem Maße biomechanisch Brust- und Lendenwirbelsäule betroffen, über welche die Krafteinleitung erfolgt sei. Im Kernspintomogramm der HWS würden erhebliche vorbestehende degenerative Veränderungen in zwei Bewegungssegmenten an typischer Lokalisation beschrieben. Derartige fortgeschrittene degenerative Veränderungen im Bewegungssegment benötigten zur definitiven Dekompensation nur geringer, auch im unversicherten Alltagsleben ständig vorkommender Belastungen zur Auslösung einer klinisch-relevanten Symptomatik. Die Belastung der HWS sei gegenüber BWS und LWS bei dem geschilderten Hergang des Geschehens vom 30.09.1997 am geringsten. Seiner Meinung nach resultierten bis auf eine muskuläre Zerrung keine Folgen aus dem Geschehen vom 30.09.1997. Zerrungen führten im Allgemeinen nach vier bis sechs Wochen zur Beschwerdefreiheit. Der Kläger sei vom 06.10.1997 bis September 1998 arbeitsunfähig erkrankt gewesen und seitdem arbeitslos.
Der Kläger hat darauf hingewiesen, dass es sich seiner Meinung nach bei dem Ereignis vom 30.09.1997 um einen Arbeitsunfall handele. Auch sei davon auszugehen, dass er den Bandscheibenvorfall ohne dieses Ereignis nicht im gleichen Zeitraum und Ausmaß erlitten hätte. Des Weiteren sei nicht geklärt, wann die Sensibilitätsstörungen in der Hand aufgetreten seien.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 08.11.1999 aufzuheben, festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 30.09.1997 um einen Arbeitsunfall handelt, als Unfallfolge einen Bandscheibenvorfall im Segment C6/C7 festzustellen und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.05.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.1998 zu verurteilen, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE von wenigstens 20 vom Hundert ab 30.09.1997 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Ihrer Ansicht nach liegen die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruches nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die fristgemäß erhobene und auch sonst zulässige Berufung ist teilweise begründet. Entgegen der Ansicht der Beklagten handelte es sich bei dem Ereignis vom 30.09.1997 um einen Arbeitsunfall gem. § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, 7. Buch (SGB VII). Als Unfallfolge war jedoch nicht der Bandscheibenvorfall im Segment C6/C7, sondern eine muskuläre Zerrung festzustellen. Eine messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers aufgrund des Arbeitsunfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus lag nicht vor (§§ 56 Abs. 1 Satz 1, 72 Abs. 1 SGB VII).
Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeiten. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII definiert Unfälle als zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Körperschaden führen. Mit dem Erfordernis, dass das Ereignis "von außen" auf den Menschen einwirken muss, soll lediglich ausgedrückt werden, dass ein aus innerer Ursache, aus dem Menschen selbst kommendes Ereignis nicht als Unfall anzusehen ist (BSG SozR 2200 § 550 Nr. 35). So genügt es für eine Einwirkung von außen zum Beispiel, dass der Boden (als Teil der "Außenwelt") beim Aufprallen physikalische Kräfte gegen Körper wirksam werden lässt (vgl. BSG a.a.O.) Auch körpereigene Bewegungen können unter Umständen ausreichen (so z. B. Landessozialgericht -LSG- für das Land Nordrhein-Westfalen, Entscheidung vom 24.11.1999, Az. L 17 U 261/97 und LSG für das Land Baden-Württemberg in HVBG-Info 1996, 905).
In diesem Sinne hat auch nach Ansicht des Senats der Kläger einen Unfall erlitten, als er sich beim Herausheben eines ca. 70 kg schweren Verdichters aus einer ca. 80 cm messenden Vertiefung jedenfalls eine Muskelzerrung zuzog.
Jedoch ist der (entweder zeitgleich oder allenfalls vier Tage später aufgetretene) Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule nicht rechtlich wesentlich auf diesen Hebevorgang zurückzuführen.
Ein Unfall ist nämlich nur dann "infolge" einer versicherten Tätigkeit eingetreten und somit als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen, wenn die berufliche Tätigkeit in rechtlich wesentlicher Weise bei der Krankheitsentstehung mitgewirkt hat. Die Wertung als rechtlich wesentliche Ursache erfordert nicht, dass der berufliche Faktor die alleinige oder überwiegende Bedingung ist. Haben mehrere Ursachen (in medizinisch-naturwissenschaftlicher Hinsicht) gemeinsam zum Entstehen des Schadens beigetragen, sind sie nebeneinander (Mit-)Ursachen im Rechtssinne, wenn beide in ihrer Bedeutung und Tragweite beim Eintritt des Erfolges wesentlich mitgewirkt haben. Der Begriff "wesentlich" ist nicht identisch mit den Beschreibungen "überwiegend", "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine "nicht annähernd gleichwertige" sondern rechnerisch (prozentual), also verhältnismäßig niedriger zu wertende Bedingung kann für den Erfolg wesentlich sein. Ein mitwirkender Faktor ist nur dann rechtlich unwesentlich, wenn er von einer anderen Ursache ganz in den Hintergrund gedrängt wird. Daher ist es zulässig, eine - rein naturwissenschaftlich betrachtet - nicht gleichwertige (prozentual also verhältnismäßig niedriger zu bewertende) Ursache rechtlich als "wesentlich" anzusehen, weil gerade und nur durch ihr Hinzutreten zu der anderen wesentlichen Ursache "der Erfolg" eintreten konnte: Letzere Ursache hat dann im Verhältnis zur ersten keine überragende Bedeutung (Bereiter/Hahn/Mehrtens, § 8 SGB VII Rdnr. 8.2.3).
Darüber hinaus ist zu beachten, dass im Hinblick auf den Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung jeder Versicherte in dem Gesundheitszustand geschützt ist, bei dem er sich bei Aufnahme seiner Tätigkeit befindet, auch wenn dieser Zustand eine größere Gefährdung begründet. Eingebunden sind alle im Unfallzeitpunkt bestehenden Krankheiten, Anlagen, konstitutionell oder degenerativ bedingten Schwächen und Krankheitsdispositionen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage S. 81).
Dementsprechend darf eine Schadensanlage als allein wesentliche Ursache nur dann gewertet werden, wenn sie so stark ausgeprägt und so leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung des akuten Krankheitsbildes keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlichen äußeren Einwirkung aus der versicherten Tätigkeit bedurft hat, sondern der Gesundheitsschaden wahrscheinlich auch ohne diese Einwirkungen durch beliebig austauschbare Einwirkungen des unversicherten Alltagslebens zu annähernd gleicher Zeit und in annähernd gleicher Schwere entstanden wäre (vgl. Erlenkämper, Arbeitsunfall, Schadensanlage und Gelegenheitsursache, in SGb 1997, S. 355, 358, m.w.N.).
Vorliegend ist aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhanges (maximal vier Tage) zwischen dem Unfallereignis und den aufgetretenen Sensibilitätsstörungen (insbesondere im Bereich des 1. bis 3. Fingers der linken Hand) davon auszugehen, dass der Hebevorgang am 30.09.1997 (auch) ursächlich war für das Eintreten des Bandscheibenvorfalles war.
Ebenfalls ursächlich für den Bandscheibenvorfall waren aber auch die zum Unfallzeitpunkt beim Kläger vorliegenden ausgeprägten degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule. Dies ist erwiesen durch die Gutachten von Prof. Dr. v ... (vom 23.03.1999) als auch von Prof. Dr. D ... (vom 19.07.2000), wonach sich aus den Röntgenaufnahmen der HWS des Klägers (u. a. vom 06.04.1998 und vom 16.07.1998) ergibt, dass ausgeprägte degenerative Veränderungen im Bereich C5 bis C7 vorlagen. Im Kernspintomogramm vom 15.10.1997 zeigte sich darüber hinaus eine Schädigung der Bandscheibe zwischen dem 6. und 7. Halswirbelkörper mit Vorwölbung in den Spinalkanal und Eindellung des Rückenmarkes im Seitbild. Diese degenerativen Veränderungen, die sich über einen langen Zeitraum entwickeln, müssen auch schon vor dem 30.09.1997 vorgelegen haben; sie sind im Sinne eines Vollbeweises nachgewiesen.
Dass - erhebliche - degenerative Veränderungen an der Halswirbelsäule des Klägers bereits am 30.09.1997 vorgelegen haben müssen, ergibt sich auch daraus, dass eine gesunde, nicht vorgeschädigte Bandscheibe bei dem beschriebenen Hebevorgang keine Schädigung erlitten hätte. Beim Anheben einer schweren Last wirken auf die Bandscheiben im Halswirbelsäulenbereich erheblich geringere Kräfte ein als z. B. auf die Bandscheiben im Lendenwirbelsäulenbereich. Auch wenn man entsprechend dem Vortrag des Klägers davon ausgeht, dass dieser die leichte Seite der Last bei Beginn des Hebevorganges mit der schweren "verwechselte" und deshalb zunächst nicht die richtigen Muskelgruppen einsetzte, folgt hieraus keine solche Belastung für die Halswirbelsäule, dass eine gesunde Bandscheibe in diesem Bereich geschädigt werden könnte. Auch Prof. Dr. S ... hat in seinem Schreiben vom 05.08.1998 klargestellt, dass auch er nicht der Ansicht sei, dass durch Muskelanspannung Bandscheibenschäden hervorgerufen werden könnten und darauf hingewiesen, dass auch er degenerative Vorschäden für möglich halte.
Die beim Kläger am 30.09.1997 vorliegenden Bandscheibenschäden stellen die rechtlich allein wesentliche Ursache für den Bandscheibenvorfall dar. Zur Überzeugung des Senates steht fest, dass der Bandscheibenvorfall auch ohne den Arbeitsunfall vom 30.09.1997 zu ungefähr der gleichen Zeit und in annähernd gleicher Art und Weise entstanden wäre.
Der Senat stützt sich insoweit insbesondere auf die schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen in den Gutachten von Prof. Dr. v ... und Prof. Dr. D ... Prof. Dr. v ... hat ausgeführt, dass es bei dem Hebevorgang am 30.09.1997 weder zu einer übermäßigen noch zu einer unphysiologischen Belastung der Halswirbelsäule gekommen sei; auch eine Gewalteinwirkung auf die Halswirbelsäule habe nicht stattgefunden. Bei den bereits vorliegenden degenerativen Veränderungen habe es bei jeder anderen Tätigkeit zu einem Bandscheibenvorfall kommen können. Prof. Dr. D ... hat in Übereinstimmung mit dieser Einschätzung dargelegt, dass die unerwartete Kraftanstrengung beim Anheben des Verdichters biomechanisch in viel höheren Maße die Brust- und die Lendenwirbelsäule betroffen habe, über die vektoriell die Krafteinleitung erfolgt sei. Die beschriebenen ausgeprägten degenerativen Veränderungen benötigten zur definitiven Dekompensation nur geringer, auch im unversicherten Alltagsleben ständig vorkommender Belastungen zur Auslösung einer klinisch-relevanten Symptomatik. Prof. Dr. S ... hat keine Aussagen zu dem Gewicht der jeweiligen Verursachungsbeiträge getroffen. Angesichts dessen, dass die bei dem Hebevorgang am 30.09.1997 auf die Halswirbelsäule des Klägers einwirkende Kraft somit nicht größer war als die bei sonstigen Verrichtungen des täglichen Lebens auftretenden Belastungen der Halswirbelsäule, hat der Senat keine Bedenken, Einschätzung von Prof. Dr. v ... und Prof. Dr. Dü ... zu folgen. Hinzu kommt, dass in der medizinischen Literatur - soweit ersichtlich - nirgendwo ein dem sog. Verhebetrauma der Lendenwirbelsäule gleichzustellender Vorgang für den Bereich der Halswirbelsäule beschrieben ist.
Somit ist davon auszugehen, dass zwar eine Zerrung der Muskulatur, nicht jedoch der Bandscheibenvorfall rechtlich wesentliche Unfallfolge war. Da die muskuläre Zerrung jedenfalls innerhalb von weniger als 26 Wochen ausgeheilt ist, hat der Kläger keine Gesundheitsschäden erlitten, aufgrund derer die Beklagte ihm eine Verletztenrente gewähren müsste.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
II. Die Beklagte trägt ein Fünftel der außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Rechtszüge.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung und Entschädigung eines Bandscheibenvorfalls im HWS-Bereich als Folge eines Ereignisses am 30.09.1997.
Gemäß der Arbeitgeber-Unfallanzeige (bei der Beklagten eingegangen am 07.11.1997) hob der am ... geborene Kläger am 30.09.1997 um 8.30 Uhr einen Stampfer 80 cm hoch über eine Straßenkante und verspürte einen heftigen Schmerz in der linken Schulter und der Brust. Die Verletzung wurde als "Zerrung durch Verheben" beschrieben. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. A ... teilte der Beklagten in einer Unfallmeldung vom 23.10.1997 mit, dass der Kläger am 30.09.1997, 16.00 Uhr bei ihr gewesen sei. Beim Transportieren eines ca. 70 kg schweren Verdichters über die Bordsteinkante zur Bürgersteigseite habe er einen starken Schmerz linke Schulterseite bis zur Brust ziehend und an der Halsseite verspürt. Sie habe ein akutes Cervicalsyndrom mit Verdacht auf BS-Blockierung diagnostiziert.
Im Durchgangsarztbericht von Dr. S ... vom 22.10.1997 wird ausgeführt, der Kläger habe eine Waggerplatte (Bodenverdichter) gehoben. Er habe dabei einen plötzlichen Schmerz in der linken Schulter zum Nacken und nach vorn zur Brust links mit Taubheitsgefühl zu den Fingern der linken Hand gehabt. Es bestehe auch jetzt noch eine Schiefhalshaltung mit Blickrichtung nach rechts und Druckschmerz am Nacken. Die Kopfbewegungen seien eingeschränkt. Der Kläger leide unter peripheren Sensibilitätsstörungen des 2. und 3. Fingers links. Die Motorik sei ungestört. Dr. S ... gibt an, er habe ein Schulter-Arm-Syndrom links cervical diagnostiziert, evtl. lägen degenerative HWS-Veränderungen vor. Dem Kläger sei erklärt worden, dass kein eigentliches Unfallgeschehen vorliege und eine Gelegenheitsursache keine BG-Behandlung und Absicherung begründe.
Der Kläger schildert in einem Schreiben vom 08.12.1997 an die Beigeladene die Folgen des Ereignisses vom 30.09.1997: Er habe beim Anheben des Wackers einen heftigen Schmerz in der linken Schulter zur Brust verspürt, der ca. 5 Minuten, nach dem Wiederaufrichten, soweit nachgelassen habe, dass es ihm zunächst möglich geworden sei, weiterzuarbeiten.
Auf Anforderung der Beklagten erstellte Prof. Dr. S ..., Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie der Universität L ..., am 29.01.1998 einen fachärztlichen Bericht, in dem er ausführte, der Kläger habe am 30.09.1997 eine schwere ungleich verteilte Last angehoben. Der Kläger sei nicht konzentriert gewesen und habe sich beim Anheben vorgestellt, dass die schwere Seite die leichte sei. Somit sei es zu einer erheblichen Fehlbelastung gekommen, die zu einem sofortigen schlagartigen heftigen Schmerz in der Halswirbelsäule mit Ausstrahlung zur linken Schulter geführt habe. Sofort seien die Finger der linken Hand taub gewesen. Am 21.10.1997, als der Kläger sich erstmalig in der Poliklinik vorgestellt habe, sei ein Bandscheibenvorfall C6/7 links diagnostiziert und die stationäre Aufnahme veranlasst worden. Am 19.01.1998 sei der Kläger operiert worden. Dabei habe sich ein Sequester in Höhe C6/7 gefunden, der entfernt worden sei. Bis zum 30.09.1997 sei der Kläger vollständig beschwerdefrei gewesen. Bei dem in Frage stehenden Ereignis handele es um ein für den Kläger unvorhergesehenes Ereignis, da der Kläger irrtümlich die schwere Seite des anzuhebenden Gegenstandes mit der leichten verwechselt und somit seine Muskelgruppen völlig falsch eingesetzt habe.
Der Beratungsarzt der Beklagten Besig führte in einer Stellungnahme vom 11.02.1998 hierzu aus, seiner Ansicht nach könnten durch Muskelanspannung Bandscheibenschäden nicht hervorgerufen werden. Es sei nicht begründet worden, warum der seltene Ausnahmefall einer traumatischen Bandscheibenschädigung vorliegen solle.
Am 25.05.1998 erließ die Beklagte einen Bescheid, mit dem sie das Ereignis vom 30.09.1997 nicht als Arbeitsunfall anerkannte. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen diesem Ereignis und dem Körperschaden sei nicht gegeben, da keine objektiven verletzungsbedingten Befunde benannt werden könnten, die den seltenen Ausnahmefall einer traumatischen Bandscheibenschädigung begründeten. Vielmehr sei die Schädigung der Bandscheibe auf unfallunabhängige Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule zurückzuführen. Die Bandscheibenschädigung wäre auch außerhalb der versicherten Tätigkeit unter den Belastungen des täglichen Lebens etwa zur gleichen Zeit und bei ähnlichem Anlass zu Tage getreten.
Der Kläger widersprach dem und legte ein Schreiben von Prof. Dr. S ... vom 05.08.1998 vor, in dem es u.a. heißt, er habe natürlich nie geäußert, durch Muskelanspannung könnten Bandscheibenschäden hervorgerufen werden. Dass der Kläger bis zum 30.09.1997 völlig beschwerdefrei geblieben sei, spreche nicht gegen eine Vorschädigung der Bandscheibe, die allerdings klinisch symptomlos geblieben sei. Wenn auf eine vorgeschädigte Bandscheibe zusätzlich ein akutes Trauma einwirke, müssten zwangsläufig die Folgen andere sein als bei einem völlig intakten Bewegungsapparat.
Mit Bescheid vom 08.10.1998 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Am 02.11.1998 hat der Kläger das Sozialgericht Leipzig (SG) angerufen mit dem Begehren, das Ereignis vom 30.09.1997 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen.
Das SG hat zur Aufklärung des Sachverhaltes in orthopädischer Hinsicht Prof. Dr ... zum Sachverständigen bestellt, der im Gutachten vom 25.03.1999 ausführt, der Kläger habe berichtet, er habe beim Herausheben des Verdichters aus einer 80 cm messenden Vertiefung einen plötzlich eintretenden Schmerz zwischen Hals und linker Schulter verspürt, der sowohl in das linke Schulterblatt als auch nach vorn in die linke Brust ausgestrahlt habe. Zusätzlich habe sich innerhalb weniger Stunden ein Taubheitsgefühl in den ersten drei Fingern der linken Hand sowie an der Streckseite des linken Unter- und Oberarmes eingestellt. Aufgrund nicht nachlassender Beschwerden sei am 15.10.1997 eine kernspintomograhische Untersuchung der HWS erfolgt, die einen sequestrierten links mediolateralen Bandscheibenvorfall zwischen dem 6. und 7. Halswirbelkörper gezeigt habe. Der Kläger sei wegen der fortbestehenden Beschwerden bis zum 13.09.1998 arbeitsunfähig gewesen. Seit 19.02.1998 sei er wegen Konkurses seines Betriebes arbeitslos.
Die neurologische Untersuchung habe eine Sensibilitätsstörung im Bereich des 1. bis 3. Fingers der linken Hand ergeben, die sich über die Streckseite des linken Unter- und Oberarmes fortsetze und entsprechend den Dermatomen C6 und C7 zugeordnet werden könne. Motorische Ausfälle ließen sich nicht nachweisen. Im Röntgenbild habe sich eine erhebliche Steilstellung der HWS mit deutlichen degenerativen Veränderungen des 5. bis 7. Halswirbelkörpers gezeigt. Auch nach dem Kernspintomogramm vom 15.10.1997 bestehen außer dem großen mediolateralen Bandscheibenvorfall ausgeprägte degenerative Veränderungen in diesem Bereich. Es liege eine Verschleißerkrankung und Funktionsstörung der Halswirbelsäule mit neurologischen (sensiblen) Ausfallerscheinungen nach operativ versorgtem Bandscheibenvorfall vor. Bei dem Anheben des Verdichters handle es sich um eine geplante und zielgerichtete Tätigkeit, aus der eine erhebliche Anspannung der HWS-Muskulatur resultiere. Es gehe hier also nicht um ein unvorhergesehenes Ereignis, sondern um ein geplantes, wobei es angesicht den bereits bestehenden degenerativen Veränderungen bei jeder anderen zu verrichtenden Tätigkeit ebenfalls zu einem Bandscheibenvorfall habe kommen können. Das Ereignis vom 30.09.1997 sei als eine Gelegenheitsursache für den Bandscheibenvorfall anzusehen. Es sei nicht als Unfallereignis zu werten und auch nicht als Teilursache für die Gesundheitsstörung verantwortlich. Ursache für die geltend gemachte Gesundheitsstörung sei die am 30.09.1997 bereits vorliegende, bisher asymptomatisch verlaufene Verschleißerkrankung der Halswirbelsäule.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 08.11.1999, dem Kläger zugestellt am 07.12.1999, die Klage abgewiesen. Es hat den Antrag des Klägers sinngemäß dahin ausgelegt, dass dieser die Anerkennung von Unfallfolgen und die Gewährung einer MdE begehre und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, da der gerichtliche Sachverständige mitgeteilt habe, die vorliegenden Gesundheitsstörungen seien nicht auf einen Unfall zurückzuführen, habe die Klage keine Aussicht auf Erfolg gehabt.
Am 06.01.2000 ist Berufung gegen den Gerichtsbescheid eingelegt worden.
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. D ... ein weiteres Gutachten auf dem Gebiet der Orthopädie vom 19.07.2000 erstellt und darin ein zervikales vertebragenes pseudoradikuläres Post-Nukleotomiesyndrom mit radikulären Residuen diagnostiziert. Das Röntgenbild der Halswirbelsäule habe eine Unkovertebralarthrose (degenerative Erkrankung der HWS mit Einengung der Zwischenwirbellöcher durch kleine Auflagerungen von Knochengewebe an den Wirbelsegmenten C4/5, C5/6 und C6/7) und eine Spondylosis deformans hyperostotica (degenerative Erkrankung der Wirbelkörper mit ausgeprägten deformierenden knöchernen Veränderungen) gezeigt. Die Schmerzen, die der Kläger anläßlich des Ereignisses vom 30.09.1997 erlitten und bei der sehr exakten Exploration am Untersuchungstag beschrieben habe, seien typisch für eine muskuläre Zerrung. Mehrfach befragt habe der Kläger angegeben, dass erst ca. vier Tage nach dem Geschehen vom 30.09.1997 Sensibilitätsstörungen im 1. bis 3. Finger links aufgetreten seien und dann auch eine Minderung der Kraft im linken Arm.
Es sei davon auszugehen, dass der Kläger am 30.09.1997 eine Weichteilzerrung erlitten habe. Die sich einige Tage später entwickelnde zervikale vertebragene radikuläre motorische und sensible Symptomatik sei dagegen auf dem Boden eines Nucleus pulposus Prolaps (Vorfall des zentralen Teils der Zwischenwirbelscheiben) enstanden, der unfallunabhängig Folge der im MRT nachgewiesenen, seit langem bestehenden degenerativen Veränderungen sei. Die unerwartete Kraftanstrengung (beim Anheben des Verdichters) habe in viel höherem Maße biomechanisch Brust- und Lendenwirbelsäule betroffen, über welche die Krafteinleitung erfolgt sei. Im Kernspintomogramm der HWS würden erhebliche vorbestehende degenerative Veränderungen in zwei Bewegungssegmenten an typischer Lokalisation beschrieben. Derartige fortgeschrittene degenerative Veränderungen im Bewegungssegment benötigten zur definitiven Dekompensation nur geringer, auch im unversicherten Alltagsleben ständig vorkommender Belastungen zur Auslösung einer klinisch-relevanten Symptomatik. Die Belastung der HWS sei gegenüber BWS und LWS bei dem geschilderten Hergang des Geschehens vom 30.09.1997 am geringsten. Seiner Meinung nach resultierten bis auf eine muskuläre Zerrung keine Folgen aus dem Geschehen vom 30.09.1997. Zerrungen führten im Allgemeinen nach vier bis sechs Wochen zur Beschwerdefreiheit. Der Kläger sei vom 06.10.1997 bis September 1998 arbeitsunfähig erkrankt gewesen und seitdem arbeitslos.
Der Kläger hat darauf hingewiesen, dass es sich seiner Meinung nach bei dem Ereignis vom 30.09.1997 um einen Arbeitsunfall handele. Auch sei davon auszugehen, dass er den Bandscheibenvorfall ohne dieses Ereignis nicht im gleichen Zeitraum und Ausmaß erlitten hätte. Des Weiteren sei nicht geklärt, wann die Sensibilitätsstörungen in der Hand aufgetreten seien.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 08.11.1999 aufzuheben, festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 30.09.1997 um einen Arbeitsunfall handelt, als Unfallfolge einen Bandscheibenvorfall im Segment C6/C7 festzustellen und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.05.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.1998 zu verurteilen, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE von wenigstens 20 vom Hundert ab 30.09.1997 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Ihrer Ansicht nach liegen die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruches nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die fristgemäß erhobene und auch sonst zulässige Berufung ist teilweise begründet. Entgegen der Ansicht der Beklagten handelte es sich bei dem Ereignis vom 30.09.1997 um einen Arbeitsunfall gem. § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, 7. Buch (SGB VII). Als Unfallfolge war jedoch nicht der Bandscheibenvorfall im Segment C6/C7, sondern eine muskuläre Zerrung festzustellen. Eine messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers aufgrund des Arbeitsunfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus lag nicht vor (§§ 56 Abs. 1 Satz 1, 72 Abs. 1 SGB VII).
Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeiten. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII definiert Unfälle als zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Körperschaden führen. Mit dem Erfordernis, dass das Ereignis "von außen" auf den Menschen einwirken muss, soll lediglich ausgedrückt werden, dass ein aus innerer Ursache, aus dem Menschen selbst kommendes Ereignis nicht als Unfall anzusehen ist (BSG SozR 2200 § 550 Nr. 35). So genügt es für eine Einwirkung von außen zum Beispiel, dass der Boden (als Teil der "Außenwelt") beim Aufprallen physikalische Kräfte gegen Körper wirksam werden lässt (vgl. BSG a.a.O.) Auch körpereigene Bewegungen können unter Umständen ausreichen (so z. B. Landessozialgericht -LSG- für das Land Nordrhein-Westfalen, Entscheidung vom 24.11.1999, Az. L 17 U 261/97 und LSG für das Land Baden-Württemberg in HVBG-Info 1996, 905).
In diesem Sinne hat auch nach Ansicht des Senats der Kläger einen Unfall erlitten, als er sich beim Herausheben eines ca. 70 kg schweren Verdichters aus einer ca. 80 cm messenden Vertiefung jedenfalls eine Muskelzerrung zuzog.
Jedoch ist der (entweder zeitgleich oder allenfalls vier Tage später aufgetretene) Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule nicht rechtlich wesentlich auf diesen Hebevorgang zurückzuführen.
Ein Unfall ist nämlich nur dann "infolge" einer versicherten Tätigkeit eingetreten und somit als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen, wenn die berufliche Tätigkeit in rechtlich wesentlicher Weise bei der Krankheitsentstehung mitgewirkt hat. Die Wertung als rechtlich wesentliche Ursache erfordert nicht, dass der berufliche Faktor die alleinige oder überwiegende Bedingung ist. Haben mehrere Ursachen (in medizinisch-naturwissenschaftlicher Hinsicht) gemeinsam zum Entstehen des Schadens beigetragen, sind sie nebeneinander (Mit-)Ursachen im Rechtssinne, wenn beide in ihrer Bedeutung und Tragweite beim Eintritt des Erfolges wesentlich mitgewirkt haben. Der Begriff "wesentlich" ist nicht identisch mit den Beschreibungen "überwiegend", "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine "nicht annähernd gleichwertige" sondern rechnerisch (prozentual), also verhältnismäßig niedriger zu wertende Bedingung kann für den Erfolg wesentlich sein. Ein mitwirkender Faktor ist nur dann rechtlich unwesentlich, wenn er von einer anderen Ursache ganz in den Hintergrund gedrängt wird. Daher ist es zulässig, eine - rein naturwissenschaftlich betrachtet - nicht gleichwertige (prozentual also verhältnismäßig niedriger zu bewertende) Ursache rechtlich als "wesentlich" anzusehen, weil gerade und nur durch ihr Hinzutreten zu der anderen wesentlichen Ursache "der Erfolg" eintreten konnte: Letzere Ursache hat dann im Verhältnis zur ersten keine überragende Bedeutung (Bereiter/Hahn/Mehrtens, § 8 SGB VII Rdnr. 8.2.3).
Darüber hinaus ist zu beachten, dass im Hinblick auf den Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung jeder Versicherte in dem Gesundheitszustand geschützt ist, bei dem er sich bei Aufnahme seiner Tätigkeit befindet, auch wenn dieser Zustand eine größere Gefährdung begründet. Eingebunden sind alle im Unfallzeitpunkt bestehenden Krankheiten, Anlagen, konstitutionell oder degenerativ bedingten Schwächen und Krankheitsdispositionen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage S. 81).
Dementsprechend darf eine Schadensanlage als allein wesentliche Ursache nur dann gewertet werden, wenn sie so stark ausgeprägt und so leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung des akuten Krankheitsbildes keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlichen äußeren Einwirkung aus der versicherten Tätigkeit bedurft hat, sondern der Gesundheitsschaden wahrscheinlich auch ohne diese Einwirkungen durch beliebig austauschbare Einwirkungen des unversicherten Alltagslebens zu annähernd gleicher Zeit und in annähernd gleicher Schwere entstanden wäre (vgl. Erlenkämper, Arbeitsunfall, Schadensanlage und Gelegenheitsursache, in SGb 1997, S. 355, 358, m.w.N.).
Vorliegend ist aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhanges (maximal vier Tage) zwischen dem Unfallereignis und den aufgetretenen Sensibilitätsstörungen (insbesondere im Bereich des 1. bis 3. Fingers der linken Hand) davon auszugehen, dass der Hebevorgang am 30.09.1997 (auch) ursächlich war für das Eintreten des Bandscheibenvorfalles war.
Ebenfalls ursächlich für den Bandscheibenvorfall waren aber auch die zum Unfallzeitpunkt beim Kläger vorliegenden ausgeprägten degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule. Dies ist erwiesen durch die Gutachten von Prof. Dr. v ... (vom 23.03.1999) als auch von Prof. Dr. D ... (vom 19.07.2000), wonach sich aus den Röntgenaufnahmen der HWS des Klägers (u. a. vom 06.04.1998 und vom 16.07.1998) ergibt, dass ausgeprägte degenerative Veränderungen im Bereich C5 bis C7 vorlagen. Im Kernspintomogramm vom 15.10.1997 zeigte sich darüber hinaus eine Schädigung der Bandscheibe zwischen dem 6. und 7. Halswirbelkörper mit Vorwölbung in den Spinalkanal und Eindellung des Rückenmarkes im Seitbild. Diese degenerativen Veränderungen, die sich über einen langen Zeitraum entwickeln, müssen auch schon vor dem 30.09.1997 vorgelegen haben; sie sind im Sinne eines Vollbeweises nachgewiesen.
Dass - erhebliche - degenerative Veränderungen an der Halswirbelsäule des Klägers bereits am 30.09.1997 vorgelegen haben müssen, ergibt sich auch daraus, dass eine gesunde, nicht vorgeschädigte Bandscheibe bei dem beschriebenen Hebevorgang keine Schädigung erlitten hätte. Beim Anheben einer schweren Last wirken auf die Bandscheiben im Halswirbelsäulenbereich erheblich geringere Kräfte ein als z. B. auf die Bandscheiben im Lendenwirbelsäulenbereich. Auch wenn man entsprechend dem Vortrag des Klägers davon ausgeht, dass dieser die leichte Seite der Last bei Beginn des Hebevorganges mit der schweren "verwechselte" und deshalb zunächst nicht die richtigen Muskelgruppen einsetzte, folgt hieraus keine solche Belastung für die Halswirbelsäule, dass eine gesunde Bandscheibe in diesem Bereich geschädigt werden könnte. Auch Prof. Dr. S ... hat in seinem Schreiben vom 05.08.1998 klargestellt, dass auch er nicht der Ansicht sei, dass durch Muskelanspannung Bandscheibenschäden hervorgerufen werden könnten und darauf hingewiesen, dass auch er degenerative Vorschäden für möglich halte.
Die beim Kläger am 30.09.1997 vorliegenden Bandscheibenschäden stellen die rechtlich allein wesentliche Ursache für den Bandscheibenvorfall dar. Zur Überzeugung des Senates steht fest, dass der Bandscheibenvorfall auch ohne den Arbeitsunfall vom 30.09.1997 zu ungefähr der gleichen Zeit und in annähernd gleicher Art und Weise entstanden wäre.
Der Senat stützt sich insoweit insbesondere auf die schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen in den Gutachten von Prof. Dr. v ... und Prof. Dr. D ... Prof. Dr. v ... hat ausgeführt, dass es bei dem Hebevorgang am 30.09.1997 weder zu einer übermäßigen noch zu einer unphysiologischen Belastung der Halswirbelsäule gekommen sei; auch eine Gewalteinwirkung auf die Halswirbelsäule habe nicht stattgefunden. Bei den bereits vorliegenden degenerativen Veränderungen habe es bei jeder anderen Tätigkeit zu einem Bandscheibenvorfall kommen können. Prof. Dr. D ... hat in Übereinstimmung mit dieser Einschätzung dargelegt, dass die unerwartete Kraftanstrengung beim Anheben des Verdichters biomechanisch in viel höheren Maße die Brust- und die Lendenwirbelsäule betroffen habe, über die vektoriell die Krafteinleitung erfolgt sei. Die beschriebenen ausgeprägten degenerativen Veränderungen benötigten zur definitiven Dekompensation nur geringer, auch im unversicherten Alltagsleben ständig vorkommender Belastungen zur Auslösung einer klinisch-relevanten Symptomatik. Prof. Dr. S ... hat keine Aussagen zu dem Gewicht der jeweiligen Verursachungsbeiträge getroffen. Angesichts dessen, dass die bei dem Hebevorgang am 30.09.1997 auf die Halswirbelsäule des Klägers einwirkende Kraft somit nicht größer war als die bei sonstigen Verrichtungen des täglichen Lebens auftretenden Belastungen der Halswirbelsäule, hat der Senat keine Bedenken, Einschätzung von Prof. Dr. v ... und Prof. Dr. Dü ... zu folgen. Hinzu kommt, dass in der medizinischen Literatur - soweit ersichtlich - nirgendwo ein dem sog. Verhebetrauma der Lendenwirbelsäule gleichzustellender Vorgang für den Bereich der Halswirbelsäule beschrieben ist.
Somit ist davon auszugehen, dass zwar eine Zerrung der Muskulatur, nicht jedoch der Bandscheibenvorfall rechtlich wesentliche Unfallfolge war. Da die muskuläre Zerrung jedenfalls innerhalb von weniger als 26 Wochen ausgeheilt ist, hat der Kläger keine Gesundheitsschäden erlitten, aufgrund derer die Beklagte ihm eine Verletztenrente gewähren müsste.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
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