Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 7 U 151/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 71/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 09.03.2000 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Verkehrsunfalles vom 01.05.1996 als Arbeitsunfall und um die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund der Folgen dieses Unfalles.
Der am ... geborene und ledige Kläger arbeitete seit Februar 1990 als Baumaschinist in G ... in der Nähe von M ... Er bewohnte zunächst bis Mai 1995 im Wohnheim der Firma mit einem Arbeitskollegen zusammen ein gemeinsames Zimmer. Ab Mai 1995 bewohnte er im gleichen Gebäude zwei ehemalige Büroräume mit seperatem Bad allein; diese Wohnung war komplett mit Möbeln, Herd, Radio, Fernseher sowie einer Waschmaschine eingerichtet. Der Mietzins betrug 700,00 DM pro Monat.
Schon bevor der Kläger seine Arbeitsstelle in G ... angetreten hatte, bewohnte er zusammen mit seiner Mutter eine 3-Zimmer-Wohnung mit Küche und Toilette auf halber Treppe in B ... In dieser Wohnung hatte er bis Juli 1997, als er sich eine eigene Wohnung in B ... nahm, ein eigenes, vollmöbliertes Zimmer. In diesem Zimmer befanden sich auch Bücher, ein Plattenspieler und Kleidungsstücke. Insgesamt bewahrte der Kläger in B ... mehr persönliche Sachen auf als in G ... Bis Juli 1997 trug er nach seinen Angaben für die Wohnung in B ... die Hälfte der Mietkosten (ca. 250,00 DM pro Monat).
Während der ersten Jahre seiner Tätigkeit in G ... fuhr der Kläger fast jedes Wochenende zusammen mit zwei Arbeitskollegen nach B ... Ab 1995 fuhr er noch etwa zweimal pro Monat nach B ... und verlängerte, soweit möglich, das Wochenende mit einem Tag Urlaub und verband Wochenende und Feiertage durch Urlaub. Außer seinem Sommerurlaub, den er regelmäßig mit der Familie seiner Schwester in Ungarn verbrachte, blieb er in der Regel in B ... Da er in den Wintermonaten von seinem Arbeitgeber zum Winterdienst eingeteilt wurde, fuhr er in den Wintermonaten seltener als zweimal pro Monat nach B ...
Einen Freundes- und Bekanntenkreis in G ... hatte der Kläger nicht; er kannte dort außer seinen Arbeitskollegen niemanden und verbrachte seine Freizeit in G ... überwiegend allein, gelegentlich mit Arbeitskollegen.
Bei seinen Besuchen in B ... übernachtete der Kläger in der dortigen mit seiner Mutter gemeinsam bewohnten Wohnung und kümmerte sich um die Heizung sowie Einkäufe für sich und seine Mutter. Hin und wieder unternahm er Ausflüge mit seiner Mutter oder ging mit ihr essen. Ansonsten traf er sich während seines Aufenthaltes in B ... häufig mit Freunden und Geschwistern.
Am 01.05.1996 erlitt der Kläger, nachdem er ein verlängertes Wochenende in B ... verbracht hatte, auf der Fahrt von B ... nach M ... in der Nähe von Hof einen schweren Verkehrsunfall, als er in einem Baustellenbereich auf die Gegenfahrbahn geriet und mit einem entgegenkommenden Fahrzeug frontal zusammenstieß. Hierbei zog er sich schwere Verletzungen, insbesondere im Kopf- und im Beinbereich zu. Nach dem Unfall hielt der Kläger sich nicht mehr in G ... auf. Er wohnte zunächst bei seiner Mutter und nahm sich dann im Juli 1997 eine eigene Wohnung.
Während der gesamten Zeit seiner beruflichen Tätigkeit in G ... war er mit Hauptwohnsitz in B ... gemeldet; sein Zimmer und später seine Wohnung in G ... hatte er als Nebenwohnsitz angemeldet.
Mit Bescheid vom 06.02.1998 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen des Ereignisses vom 01.05.1996 ab. Begründet wurde dies damit, dass sich aus der Art und Seltenheit der Besuche des Klägers in B ... in dem Jahr vor dem Unfall und unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Lebensgestaltung, insbesondere der Ausgestaltung der Wohnung in G ..., der Dauer des dort begründeten Beschäftigungsverhältnisses und der räumlichen Entfernung zum Elternhaus schließen lasse, dass der Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse zum Unfallzeitpunkt am Ort des Beschäftigungsverhältnisses in G ... gewesen sei. Somit handele es sich nicht um einen Wegeunfall von der Familienwohnung zum Ort des Beschäftigungsverhältnisses, sondern um einen Weg, der in erster Linie dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzuordnen sei.
Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch wurde mit Bescheid vom 07.04.1998 zurückgewiesen. Im Widerspruchsbescheid führte die Beklagte ergänzend aus, dass angesichts dessen, dass der Kläger seit 1990 in G ... gearbeitet habe, davon auszugehen sei, dass dieses Arbeitsverhältnis auf Dauer ausgerichtet gewesen sei. Auch sei Anlass der Wochenendheimfahrten nicht die Bindung zu den Eltern bzw. die regelmäßige Verbringung seiner Freizeit bei den Eltern gewesen, sondern die Wohnung der Eltern sei lediglich eine Unterkunftsmöglichkeit gewesen, um besuchs- oder urlaubsweise seine Bekannten und Freunde in B ... zu treffen. Somit habe sich der Unfall auf dem Rückweg von einem Kurzurlaub, der dem unversicherten privaten Lebensbereich zuzuordnen sei, ereignet.
Am 07.05.1998 hat der Kläger hiergegen Klage vor dem Sozialgericht Dresden (SG) erhoben und zur Begründung der Klage u.a. vorgetragen, es treffe nicht zu, dass er allein oder hauptsächlich nach B ... gefahren sei, um dort Freunde und Bekannte zu sehen. Vielmehr sei er aus familiären Gründen so häufig nach B ... gefahren.
Mit Urteil vom 09.03.2000 hat das SG der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass unter Würdigung aller Umstände davon auszugehen sei, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalles sein Lebensmittelpunkt und damit seine Familienwohnung in B ... gehabt habe; demzufolge habe es sich bei dem Unfall vom 01.05.1996 um einen Arbeitsunfall gehandelt.
Gegen das ihr am 18.04.2000 zugestellt Urteil hat die Beklagte am 27.04.2000 Berufung eingelegt. Ihrer Ansicht nach hatte der Kläger zum Unfallzeitpunkt sein Lebensmittelpunkt in G ... Immerhin sei er dort in einem Dauerarbeitsverhältnis beschäftigt gewesen und habe eine komplett mit Möbeln und Teppichboden ausgestattete Wohnung bewohnt, für die er 700,00 DM Miete monatlich bezahlt habe. Des weiteren sei zu berücksichtigen, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt bereits 30 Jahre alt gewesen sei und seit 5 1/2 Jahren nicht mehr bei seiner Mutter in B ... gewohnt habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 09.03.2000 aufzu heben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat vortragen lassen, dass er in G ... lediglich eine Unterkunft im Sinne des Gesetzes gehabt habe. Die gesamte Gestaltung seiner Lebensverhältnisse habe dazu geführt, dass er seine Familienwohnung in B ... trotz des langandauernden Arbeitsverhältnisses in G ... nicht aufgegeben habe. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat er angegeben, er habe in G ... keine persönlichen Dinge gehabt, weil er dort fast nichts gebraucht habe. Er lese viel, aber seine Bücher seien überwiegend in B ... gewesen. Nach G ... habe er immer mal ein Buch mitgenommen. Er sei nach G ... nur gegangen, weil man dort viel Geld verdienen könne.
Die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 05.06.2001, 06.06.2001 und 07.06.2001 mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung konnte durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin ergehen, da das hierfür gemäß § 155 Abs. 4, 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erforderliche Einverständnis vorliegt.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Bei dem Verkehrsunfall des Klägers vom 01.05.1996 handelt es sich um einen Arbeitsunfall, der von der Beklagten zu entschädigen ist.
Die Anerkennung des Unfallereignisses vom 01.05.1996 als Arbeitsunfall richtet sich nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da sich der Unfall vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 01.01.1997 ereignete (§ 212 SGB VII).
Ein Arbeitsunfall ist gemäß § 548 Abs. 1 S. 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Nach § 550 Abs. 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. § 550 Abs. 3 RVO regelt ergänzend, dass der Umstand, dass der Versicherte wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat, die Versicherung auf dem Weg von und nach der Familienwohnung nicht ausschließt.
Der Kläger stand bei dem Verkehrsunfall vom 01.05.1996 nicht aufgrund der Vorschrift des § 550 Abs. 1 RVO unter Versicherungsschutz, da die von ihm unternommenen Fahrten nicht in erster Linie mit seinem Arbeitsverhältnis, sondern mit der Art der Gestaltung seines unversicherten persönlichen Lebensbereiches zusammenhing; er begab sich von einem persönlichen Lebensbereich in den anderen (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 29.04.1982, Az.: R 2 U 44/81 und BSG, Urteil vom 06.12.1989, Az.: 2 RU 23/89).
Jedoch stand der Kläger aufgrund der Vorschrift des § 550 Abs. 3 RVO unter Versicherungsschutz. Er hatte zum Unfallzeitpunkt in B ... eine Familienwohnung im Sinne des § 550 Abs. 3 RVO; die Wohnung in G ... stellte eine Unterkunft im Sinne dieser Vorschrift dar. Da sich der Unfall auf dem Weg von der Familienwohnung zur Unterkunft ereignete, stand der Kläger unter Versicherungsschutz (Kasseler Kommentar-Ricke, Sozialversicherungsrecht, § 550 Rn. 56).
Bei der Wohnung in B ... handelte es sich um eine ständige Familienwohnung i.S.d. § 550 Abs. 3 RVO, nämlich um eine Wohnung, die für nicht unerhebliche Zeit den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse des Versicherten bildete. Maßgeblich insoweit ist die tatsächliche Lebensgestaltung des Versicherten im Unfallzeitpunkt; hierzu gehören insbesondere auch die soziologischen und psychologischen Gegebenheiten (BSG, Urteil vom 06.12.1989, a.a.O.).
Unter Abwägung aller Gesichtspunkte und Umstände des Einzelfalles ist das Gericht zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalles am 01.05.1996 seinen Lebensmittelpunkt in der von ihm gemeinsam mit seiner Mutter bewohnten Wohnung in B ... hatte.
Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass verschiedene Umstände - so das Alter des Klägers zum Zeitpunkt des Unfalles, die damals über 5-jährige Dauer des Beschäftigungsverhältnisses in G ..., die vollwertige Wohnung am Beschäftigungsort und die Tatsache, dass der Kläger teilweise auch die Wochenenden in G ... verbrachte gegen eine Annahme von B ... als Lebensmittelpunkt sprechen könnten. Jedoch können derartige auf eine Verlagerung des Mittelpunktes der Lebensverhältnisse hinweisenden Umstände in ihrer Bedeutung im Einzelfall zurückgedrängt werden, wenn am Beschäftigungsort kein neuer Mittelpunkt der Lebensverhältnisse gefunden wird und die früheren Beziehungen erhalten bleiben (vgl. BSG, aaO.).
Vorliegend hatte der Kläger seine sozialen Kontakte weit überwiegend in B ... auch dass er nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in G ... wieder ausschließlich in B ... wohnte, spricht dafür, dass trotz der mehrjährigen Dauer des Arbeitsverhältnisses in G ... sein Lebensmittelpunkt in B ... erhalten geblieben war. Auch hat der Kläger im gesamten Verfahren überzeugend dargetan, dass er immer dann, wenn es den beruflichen und sonstigen Gegebenheiten nach möglich war, seine Freizeit in B ... verbrachte. Weiteres Indiz für einen Lebensmittelpunkt in B ... ist, dass der Kläger seinen Hauptwohnsitz über die Gesamtzeit in B ... hatte und in G ... nur mit Nebenwohnsitz gemeldet war.
Eine der Familienwohnung in B ... gleichwertige (Familien) Wohnung hatte der Kläger in G ... nicht. Das ergibt sich nach Ansicht des Gerichts schon aus den im Wesentlichen fehlenden sozialen Kontakten in G ... Nicht ausschlaggebend ist insoweit die Ausstattung oder Größe der Wohnung in G ..., so dass insbesondere der wesentlich höhere Mietzins, den der Kläger für die Wohnung in G ... zu zahlen hatte, für die Frage, ob dort eine Familienwohnung bestand oder nicht, außer Betracht bleiben kann (BSG, Urteil vom 29.04.1982, aaO.; Kasseler Kommentar-Ricke, Sozialversicherungsrecht, § 550 RVO, Rn. 51).
Das Gericht hat hierbei nicht außer Acht gelassen, dass es der Lebenserfahrung entspricht, dass ledige Arbeitnehmer, die auswärtig beschäftigt und am Ort ihrer Tätigkeit untergebracht sind, sich meist in stärkerem Maße vom Elternhaus lösen, als dies im Regelfall bei Versicherten mit eigenem Hausstand am Wohnort der Eltern der Fall zu sein pflegt und dass es zu einer solchen Lösung auch leichter kommt, wenn sich der ledige Arbeitnehmer in einem längerdauernden, seine persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit stärkenden Arbeitsverhältnis befindet. Im vorliegend zu würdigenden Einzelfall hat der Kläger jedoch aus den bereits genannten Gründen dennoch nicht seinen Lebensmittelpunkt in B ... zugunsten eines Lebensmittelpunktes in G ... aufgegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
II. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Verkehrsunfalles vom 01.05.1996 als Arbeitsunfall und um die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund der Folgen dieses Unfalles.
Der am ... geborene und ledige Kläger arbeitete seit Februar 1990 als Baumaschinist in G ... in der Nähe von M ... Er bewohnte zunächst bis Mai 1995 im Wohnheim der Firma mit einem Arbeitskollegen zusammen ein gemeinsames Zimmer. Ab Mai 1995 bewohnte er im gleichen Gebäude zwei ehemalige Büroräume mit seperatem Bad allein; diese Wohnung war komplett mit Möbeln, Herd, Radio, Fernseher sowie einer Waschmaschine eingerichtet. Der Mietzins betrug 700,00 DM pro Monat.
Schon bevor der Kläger seine Arbeitsstelle in G ... angetreten hatte, bewohnte er zusammen mit seiner Mutter eine 3-Zimmer-Wohnung mit Küche und Toilette auf halber Treppe in B ... In dieser Wohnung hatte er bis Juli 1997, als er sich eine eigene Wohnung in B ... nahm, ein eigenes, vollmöbliertes Zimmer. In diesem Zimmer befanden sich auch Bücher, ein Plattenspieler und Kleidungsstücke. Insgesamt bewahrte der Kläger in B ... mehr persönliche Sachen auf als in G ... Bis Juli 1997 trug er nach seinen Angaben für die Wohnung in B ... die Hälfte der Mietkosten (ca. 250,00 DM pro Monat).
Während der ersten Jahre seiner Tätigkeit in G ... fuhr der Kläger fast jedes Wochenende zusammen mit zwei Arbeitskollegen nach B ... Ab 1995 fuhr er noch etwa zweimal pro Monat nach B ... und verlängerte, soweit möglich, das Wochenende mit einem Tag Urlaub und verband Wochenende und Feiertage durch Urlaub. Außer seinem Sommerurlaub, den er regelmäßig mit der Familie seiner Schwester in Ungarn verbrachte, blieb er in der Regel in B ... Da er in den Wintermonaten von seinem Arbeitgeber zum Winterdienst eingeteilt wurde, fuhr er in den Wintermonaten seltener als zweimal pro Monat nach B ...
Einen Freundes- und Bekanntenkreis in G ... hatte der Kläger nicht; er kannte dort außer seinen Arbeitskollegen niemanden und verbrachte seine Freizeit in G ... überwiegend allein, gelegentlich mit Arbeitskollegen.
Bei seinen Besuchen in B ... übernachtete der Kläger in der dortigen mit seiner Mutter gemeinsam bewohnten Wohnung und kümmerte sich um die Heizung sowie Einkäufe für sich und seine Mutter. Hin und wieder unternahm er Ausflüge mit seiner Mutter oder ging mit ihr essen. Ansonsten traf er sich während seines Aufenthaltes in B ... häufig mit Freunden und Geschwistern.
Am 01.05.1996 erlitt der Kläger, nachdem er ein verlängertes Wochenende in B ... verbracht hatte, auf der Fahrt von B ... nach M ... in der Nähe von Hof einen schweren Verkehrsunfall, als er in einem Baustellenbereich auf die Gegenfahrbahn geriet und mit einem entgegenkommenden Fahrzeug frontal zusammenstieß. Hierbei zog er sich schwere Verletzungen, insbesondere im Kopf- und im Beinbereich zu. Nach dem Unfall hielt der Kläger sich nicht mehr in G ... auf. Er wohnte zunächst bei seiner Mutter und nahm sich dann im Juli 1997 eine eigene Wohnung.
Während der gesamten Zeit seiner beruflichen Tätigkeit in G ... war er mit Hauptwohnsitz in B ... gemeldet; sein Zimmer und später seine Wohnung in G ... hatte er als Nebenwohnsitz angemeldet.
Mit Bescheid vom 06.02.1998 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen des Ereignisses vom 01.05.1996 ab. Begründet wurde dies damit, dass sich aus der Art und Seltenheit der Besuche des Klägers in B ... in dem Jahr vor dem Unfall und unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Lebensgestaltung, insbesondere der Ausgestaltung der Wohnung in G ..., der Dauer des dort begründeten Beschäftigungsverhältnisses und der räumlichen Entfernung zum Elternhaus schließen lasse, dass der Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse zum Unfallzeitpunkt am Ort des Beschäftigungsverhältnisses in G ... gewesen sei. Somit handele es sich nicht um einen Wegeunfall von der Familienwohnung zum Ort des Beschäftigungsverhältnisses, sondern um einen Weg, der in erster Linie dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzuordnen sei.
Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch wurde mit Bescheid vom 07.04.1998 zurückgewiesen. Im Widerspruchsbescheid führte die Beklagte ergänzend aus, dass angesichts dessen, dass der Kläger seit 1990 in G ... gearbeitet habe, davon auszugehen sei, dass dieses Arbeitsverhältnis auf Dauer ausgerichtet gewesen sei. Auch sei Anlass der Wochenendheimfahrten nicht die Bindung zu den Eltern bzw. die regelmäßige Verbringung seiner Freizeit bei den Eltern gewesen, sondern die Wohnung der Eltern sei lediglich eine Unterkunftsmöglichkeit gewesen, um besuchs- oder urlaubsweise seine Bekannten und Freunde in B ... zu treffen. Somit habe sich der Unfall auf dem Rückweg von einem Kurzurlaub, der dem unversicherten privaten Lebensbereich zuzuordnen sei, ereignet.
Am 07.05.1998 hat der Kläger hiergegen Klage vor dem Sozialgericht Dresden (SG) erhoben und zur Begründung der Klage u.a. vorgetragen, es treffe nicht zu, dass er allein oder hauptsächlich nach B ... gefahren sei, um dort Freunde und Bekannte zu sehen. Vielmehr sei er aus familiären Gründen so häufig nach B ... gefahren.
Mit Urteil vom 09.03.2000 hat das SG der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass unter Würdigung aller Umstände davon auszugehen sei, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalles sein Lebensmittelpunkt und damit seine Familienwohnung in B ... gehabt habe; demzufolge habe es sich bei dem Unfall vom 01.05.1996 um einen Arbeitsunfall gehandelt.
Gegen das ihr am 18.04.2000 zugestellt Urteil hat die Beklagte am 27.04.2000 Berufung eingelegt. Ihrer Ansicht nach hatte der Kläger zum Unfallzeitpunkt sein Lebensmittelpunkt in G ... Immerhin sei er dort in einem Dauerarbeitsverhältnis beschäftigt gewesen und habe eine komplett mit Möbeln und Teppichboden ausgestattete Wohnung bewohnt, für die er 700,00 DM Miete monatlich bezahlt habe. Des weiteren sei zu berücksichtigen, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt bereits 30 Jahre alt gewesen sei und seit 5 1/2 Jahren nicht mehr bei seiner Mutter in B ... gewohnt habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 09.03.2000 aufzu heben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat vortragen lassen, dass er in G ... lediglich eine Unterkunft im Sinne des Gesetzes gehabt habe. Die gesamte Gestaltung seiner Lebensverhältnisse habe dazu geführt, dass er seine Familienwohnung in B ... trotz des langandauernden Arbeitsverhältnisses in G ... nicht aufgegeben habe. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat er angegeben, er habe in G ... keine persönlichen Dinge gehabt, weil er dort fast nichts gebraucht habe. Er lese viel, aber seine Bücher seien überwiegend in B ... gewesen. Nach G ... habe er immer mal ein Buch mitgenommen. Er sei nach G ... nur gegangen, weil man dort viel Geld verdienen könne.
Die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 05.06.2001, 06.06.2001 und 07.06.2001 mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung konnte durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin ergehen, da das hierfür gemäß § 155 Abs. 4, 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erforderliche Einverständnis vorliegt.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Bei dem Verkehrsunfall des Klägers vom 01.05.1996 handelt es sich um einen Arbeitsunfall, der von der Beklagten zu entschädigen ist.
Die Anerkennung des Unfallereignisses vom 01.05.1996 als Arbeitsunfall richtet sich nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da sich der Unfall vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 01.01.1997 ereignete (§ 212 SGB VII).
Ein Arbeitsunfall ist gemäß § 548 Abs. 1 S. 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Nach § 550 Abs. 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. § 550 Abs. 3 RVO regelt ergänzend, dass der Umstand, dass der Versicherte wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat, die Versicherung auf dem Weg von und nach der Familienwohnung nicht ausschließt.
Der Kläger stand bei dem Verkehrsunfall vom 01.05.1996 nicht aufgrund der Vorschrift des § 550 Abs. 1 RVO unter Versicherungsschutz, da die von ihm unternommenen Fahrten nicht in erster Linie mit seinem Arbeitsverhältnis, sondern mit der Art der Gestaltung seines unversicherten persönlichen Lebensbereiches zusammenhing; er begab sich von einem persönlichen Lebensbereich in den anderen (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 29.04.1982, Az.: R 2 U 44/81 und BSG, Urteil vom 06.12.1989, Az.: 2 RU 23/89).
Jedoch stand der Kläger aufgrund der Vorschrift des § 550 Abs. 3 RVO unter Versicherungsschutz. Er hatte zum Unfallzeitpunkt in B ... eine Familienwohnung im Sinne des § 550 Abs. 3 RVO; die Wohnung in G ... stellte eine Unterkunft im Sinne dieser Vorschrift dar. Da sich der Unfall auf dem Weg von der Familienwohnung zur Unterkunft ereignete, stand der Kläger unter Versicherungsschutz (Kasseler Kommentar-Ricke, Sozialversicherungsrecht, § 550 Rn. 56).
Bei der Wohnung in B ... handelte es sich um eine ständige Familienwohnung i.S.d. § 550 Abs. 3 RVO, nämlich um eine Wohnung, die für nicht unerhebliche Zeit den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse des Versicherten bildete. Maßgeblich insoweit ist die tatsächliche Lebensgestaltung des Versicherten im Unfallzeitpunkt; hierzu gehören insbesondere auch die soziologischen und psychologischen Gegebenheiten (BSG, Urteil vom 06.12.1989, a.a.O.).
Unter Abwägung aller Gesichtspunkte und Umstände des Einzelfalles ist das Gericht zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalles am 01.05.1996 seinen Lebensmittelpunkt in der von ihm gemeinsam mit seiner Mutter bewohnten Wohnung in B ... hatte.
Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass verschiedene Umstände - so das Alter des Klägers zum Zeitpunkt des Unfalles, die damals über 5-jährige Dauer des Beschäftigungsverhältnisses in G ..., die vollwertige Wohnung am Beschäftigungsort und die Tatsache, dass der Kläger teilweise auch die Wochenenden in G ... verbrachte gegen eine Annahme von B ... als Lebensmittelpunkt sprechen könnten. Jedoch können derartige auf eine Verlagerung des Mittelpunktes der Lebensverhältnisse hinweisenden Umstände in ihrer Bedeutung im Einzelfall zurückgedrängt werden, wenn am Beschäftigungsort kein neuer Mittelpunkt der Lebensverhältnisse gefunden wird und die früheren Beziehungen erhalten bleiben (vgl. BSG, aaO.).
Vorliegend hatte der Kläger seine sozialen Kontakte weit überwiegend in B ... auch dass er nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in G ... wieder ausschließlich in B ... wohnte, spricht dafür, dass trotz der mehrjährigen Dauer des Arbeitsverhältnisses in G ... sein Lebensmittelpunkt in B ... erhalten geblieben war. Auch hat der Kläger im gesamten Verfahren überzeugend dargetan, dass er immer dann, wenn es den beruflichen und sonstigen Gegebenheiten nach möglich war, seine Freizeit in B ... verbrachte. Weiteres Indiz für einen Lebensmittelpunkt in B ... ist, dass der Kläger seinen Hauptwohnsitz über die Gesamtzeit in B ... hatte und in G ... nur mit Nebenwohnsitz gemeldet war.
Eine der Familienwohnung in B ... gleichwertige (Familien) Wohnung hatte der Kläger in G ... nicht. Das ergibt sich nach Ansicht des Gerichts schon aus den im Wesentlichen fehlenden sozialen Kontakten in G ... Nicht ausschlaggebend ist insoweit die Ausstattung oder Größe der Wohnung in G ..., so dass insbesondere der wesentlich höhere Mietzins, den der Kläger für die Wohnung in G ... zu zahlen hatte, für die Frage, ob dort eine Familienwohnung bestand oder nicht, außer Betracht bleiben kann (BSG, Urteil vom 29.04.1982, aaO.; Kasseler Kommentar-Ricke, Sozialversicherungsrecht, § 550 RVO, Rn. 51).
Das Gericht hat hierbei nicht außer Acht gelassen, dass es der Lebenserfahrung entspricht, dass ledige Arbeitnehmer, die auswärtig beschäftigt und am Ort ihrer Tätigkeit untergebracht sind, sich meist in stärkerem Maße vom Elternhaus lösen, als dies im Regelfall bei Versicherten mit eigenem Hausstand am Wohnort der Eltern der Fall zu sein pflegt und dass es zu einer solchen Lösung auch leichter kommt, wenn sich der ledige Arbeitnehmer in einem längerdauernden, seine persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit stärkenden Arbeitsverhältnis befindet. Im vorliegend zu würdigenden Einzelfall hat der Kläger jedoch aus den bereits genannten Gründen dennoch nicht seinen Lebensmittelpunkt in B ... zugunsten eines Lebensmittelpunktes in G ... aufgegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
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