L 16 KR 22/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 4 KR 118/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 22/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 16/03 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten zu 1), 2), 4), 5), jetzt 8), 9) und 10) wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 04. November 1998 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Festsetzung von Festpreisen für Stomaartikel gemäß § 36 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) ab 01.08.1997.

Die Landesverbände der Krankenkassen sowie die Verbände der Ersatzkassen haben auf der Grundlage des durch die Spitzenverbände der Krankenkassen gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 4 SGB V verabschiedeten Festbetragsgruppensystems für Stomaartikel vom 05.02.1996 und des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 128 SGB V - Produktgruppe Stomaartikel - am 21.07.1997 für das Land Nordrhein-Westfalen Festbeträge beschlossen. Die mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene Festsetzung wurde im Bundesanzeiger Nr. 140 vom 31.07.1997, S. 9526 und S. 9527, veröffentlicht.

Gegen diese Festsetzung haben die Kläger zu 1) bis 5) am 05.08.1997 Klage erhoben. Die Rechtsgrundlage der Festbetragsfestsetzung in den §§ 35, 36 SGB V sei mit dem Grundgesetz unvereinbar. Das Bundessozialgericht habe mit Beschlüssen vom 14.06.1995 - 3 RK 20/94, 3 RK 21/94, 3 RK 23/94 - die Verfahren nach Art. 100 Grundgesetz ausgesetzt. Es solle eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu eingeholt werden, ob § 36 i.V.m. § 35 SGB V hinsichtlich der Festsetzung von Festbeträgen für Hilfsmittel deswegen gegen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie (Art. 20 Grundgesetz), gegen Art. 80 Grundgesetz und gegen Art. 12 Grundgesetz verstoße, weil die Festsetzung nicht durch dazu legitimierte Rechtssetzungsorgane, sondern durch Verwaltungsbehörden erfolge. Die Kläger haben sich den Rechtsausführungen des vorlegenden Senats angeschlossen. Ferner haben sie geltend gemacht, die konkrete Festbetragsfestsetzung verstoße gegen Verfahrensvorschriften. Nach § 36 SGB V sei den Verbänden der betroffenen Heilmittelerbringer vor der Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und die Stellungnahmen seien in die Entscheidungen einzubeziehen. Die Landesarbeitsgemeinschaft der Kläger habe ausdrücklich mit Schreiben vom 09.04.1997 eine mündliche Anhörung gewünscht und beantragt. Die Verbände der Krankenkassen in Nordrhein-Westfalen hätten in ihrer Besprechung am 24.06.1997 jedoch lediglich nach nochmaliger Prüfung der Marktlage andere als die in die Anhörung gegebenen Festbeträge für einzelne Festbetragsgruppen festgesetzt. Die Beklagten hätten sich damit über die Argumente der Klägerinnen vollständig hinweggesetzt, ohne hierfür eine Begründung abzugeben. Anzugreifen sei ferner die Gruppeneinteilung als solche. Denn nach § 36 Abs. 1 SGB V seien bei der Festbetragsfestsetzung in ihrer Funktion gleichartige und gleichwertige Mittel in Gruppen zusammenzufassen. Mit der hier angegriffenen Gruppeneinteilung und Festbetragsfestsetzung werde aber übersehen, dass bei der Stomaversorgung weitere Leistungen notwendig würden, die nicht festbetragsfähig seien bzw. nicht in der Gruppeneinteilung oder mit einem angemessenen Festbetrag berücksichtigt würden. So müssten für Hilfsmittel mit Dienstleistung und Hilfsmittel ohne Dienstleistung getrennte Festbetragsgruppen errichtet werden. Wenn man die Dienstleistung überhaupt für festbetragsfähig halte, so müsste vorliegend differenziert werden nach 1. Stomaerstversorgung, 2. Lieferung von Stomahilfsmitteln nach durchgeführter Erstversorgung ohne weitere Dienstleistung, 3. Systemwechsel von Stomahilfsmitteln und 4. Handhabungs-/Versorgungsschwierigkeiten des Patienten während des Stomagebrauchs. Ein Verstoß gegen § 35 Abs. 5 SGB V liege jedenfalls dann vor, wenn die Dienstleistung für den Festbetrag unter Gesichtspunkten der Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitssicherstellung nicht gewährleistet werden könne. Wer beispielsweise ein Hilfsmittel für 3,50 DM oder 12,00 DM im Rahmen einer Stomaversorgung zur Verfügung stellen müsse, könne mit dieser Festbetragszahlung nicht auch dafür bezahlt sein, dass er eine dreiviertel Stunde lang oder noch länger die Stomaerstversorgung durchführe. Die Stomaerstversorgung umfasse nicht nur die Lieferung der Hilfsmittel, sondern eine, bezogen auf den konkreten Versorgungsfall, eingehende Beratung über die Auswahl der konkret durchzuführenden Versorgung. Dabei müsse der Patient in den Gebrauch des für seinen Versorgungsfall speziell optimierten Hilfsmittels eingewiesen werden. Im Anschluss daran sei ein über mehrere Tage dauernder Übungs- und Kontrollprozess erforderlich. Erst danach beschränke sich die Versorgung auf die reine Lieferung der Hilfsmittel. Ein erhöhter Dienstleistungsanteil falle ebenso an, wenn ein Systemwechsel von Stomahilfsmittel erforderlich sei. Dies sei etwa der Fall, wenn sich Veränderungen des Entero-Stomas einstellten, so dass entweder das Versorgungssystem geändert oder eine komplett andere Art der Versorgung erfolgen müsse. Einen erheblichen Dienstleistungsaufwand erforderten auch Handhabungs- bzw. Versorgungsschwierigkeiten des Patienten. Dies sei z.B. gegeben, wenn es infolge falscher Ernährung zu Durchfällen komme oder sich aufgrund sonstiger Ursachen Entzündungen im Stomabereich ergäben. In diesem Fall müsse der Sitz der Stomaversorgung überprüft und ggf. eine erneute Anpassung oder sogar eine Systemänderung erfolgen. Dienstleistungen im Stomabereich erforderten einen erheblichen Aufwand. Es müsse ein gesonderter Raum mit einer Spezialliege zur Verfügung gestellt werden. Nach jeder Behandlung müsse eine vollständige Reinigung durchgeführt worden, da bei Stomabehandlungen dieser Art in der Regel Kot austrete und es zu erheblichen Verschmutzungen der Umgebung komme. Die Kläger haben ferner vorgebracht, die festgesetzten Festbeträge lägen teilweise unter bzw. oft nur minimal über dem Einkaufspreis eines Hilfsmittels. Die Klägerin hat hierzu eine nach den angegriffenen Festbeträgen mit Angabe der Hersteller und des Einkaufspreises gegliederte Aufstellung überreicht, insofern wird auf Bl. 57 bis 70 der Prozessakten (PA) Bezug genommen. Ergänzend haben die Kläger darauf hingewiesen, durch das Festbetragssystem dürfe der Sachleistungsanspruch aus § 2 Abs. 2 SGB V nicht aufgehoben werden. Festbeträge müssten so festgesetzt sein, dass die Lieferung zum Festbetrag überhaupt möglich sei.

Die Kläger haben beantragt,

die von den Beklagten für das Bundesland Nordrhein-Westfalen am 21.07.1997 festgesetzten Festbeträge für Stomaartikel aufzuheben.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben ausgeführt, die Kläger lieferten durch die überreichte Gegenüberstellung von Stomafestsetzungsbeträgen und Einkaufspreisen der Herstellerfirmen selbst den Beweis dafür, dass keine relevanten Einbußen bei ihren Innungsmitgliedern zu befürchten seien. Aus der Aufstellung ergebe sich zwar, dass einige Herstellerfirmen mit ihren Preisen über den Festbeträgen lägen. Andere lägen jedoch sogar weit darunter, so dass eine mehr als angemessene Differenz zu den Festbeträgen bestehe. Es sei den Mitgliedsbetrieben der Klägerinnen ohne weiteres möglich, von Herstellerfirmen die Artikel zu beziehen, die diese preisgünstig anböten. Genau dies entspreche der Intention des Gesetzgebers bei Einführung der Festbetragsregelung. Es sollte unter den Herstellerfirmen ein Wettbewerb angestoßen werden, damit die Hilfsmittellieferanten zu wirtschaftlichen Preisen liefern könnten. Der Gesetzgeber sei zu Recht davon ausgegangen, dass erhebliche Wirtschaftlichkeitsreserven ohne Beeinträchtigung des Interesses der Lieferantenseite vorhanden seien. Die Betriebe der Klägerinnen seien ohne irgendeine Beeinträchtigung ihres Erwerbsgeschäfts in der Lage, zu Festbeträgen zu liefern.

Mit Urteil vom 04.11.1998, auf das Bezug genommen wird, hat das Sozialgericht die Festsetzung der Festbeträge für Stomaartikel in NRW durch Verfügung vom 21.07.1997 aufgehoben und den Beklagten die außergerichtlichen Kosten der Kläger auferlegt. Die Festsetzung der Festbeträge für Stomaartikel sei rechtswidrig, da die Festbeträge auf einer Gruppeneinteilung beruhten, die den Anforderungen des § 36 Abs. 1 Satz 2 SGB V nicht genüge und somit das Ziel des § 35 Abs. 5 Satz 1 SGB V nicht erreicht werde. Die bei der Abgabe von Stomaartikeln anfallenden Dienstleistungen, insbesondere bei der Erstversorgung, beim Systemwechsel und bei Anpassungsschwierigkeiten, würden nicht berücksichtigt. Es seien zudem erhebliche Zweifel angebracht, ob das vom Gesetz nach wie vor verfolgte Ziel, die Versorgung mit Hilfsmitteln in einer dem medizinischen Stand der Erkenntnisse entsprechenden Qualität als Sachleistung zu gewährleisten, mit den hier streitigen Festbeträgen noch erreicht werden könne.

Gegen dieses ihnen am 19.01.1999 zugestellte Urteil haben die Beklagte zu 2) am 26.01.1999, die Beklagte zu 5) und die Beklagte zu 8) am 18.02.1999, die Beklagte zu 9) und die Beklagte zu 10) am 28.01.1999 Berufung eingelegt. Die Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 4), denen das Urteil am 20.01.1999 zugestellt worden war, haben am 02.02. bzw. 11.02.1999 Berufung eingelegt. Die vom Sozialgericht für zwingend erforderlich gehaltene Differenzierung zwischen Dienstleistungs- und Sachkostenanteil sei nicht erforderlich und werde vom Bundessozialgericht ausdrücklich abgelehnt. Das Sozialgericht beziehe sich insofern zu Unrecht auf den Beschluss vom 14.06.1995 - 3 RK 23/94 -. Des weiteren habe das erstinstanzliche Gericht nicht ohne eigene Überprüfung davon ausgehen dürfen, dass bei Abgabe der Stomaartikel ein Dienstleistungsanteil anfalle. Die Höhe und der Umfang des Dienstleistungsanteils sei während des gesamten erstinstanzlichen Verfahrens auch seitens der Kläger nur als Randproblem erörtert worden. Wenn diese Frage nach Auffassung des Gerichts entscheidungserheblich gewesen sei, hätte es Beweis erheben müssen. Im Rahmen der Beweisaufnahme hätte sich dann ergeben, dass der Dienstleistungsanteil im Bereich der Abgabe von Stomaartikeln nur marginal sei, dass ihm jedenfalls keine erhebliche Bedeutung im Verhältnis zum Abgabepreis zukomme. Die klagenden Hilfsmittelerbringer seien gerade nicht mit den Aufgaben betraut, welche nach Auffassung des Sozialgerichts einen erhöhten Dienstleistungsanteil begründen. Vielmehr entscheide der jeweils behandelnde Arzt, welche Hilfsmittel erforderlich seien und verordne diese. Auf wechselnde Anforderungen reagiere ebenfalls der behandelnde Arzt mit einer Änderung der Verordnung. Ein über die normale Beratung hinausgehender Aufwand entstünde somit nicht. Auch die vom Gericht erwähnte Erbringung von Dienstleistungen in den Wohnungen der Patienten finde nicht statt. Zu Unrecht gehe das erstinstanzliche Gericht davon aus, die bei der Abgabe von Stomaartikeln anfallenden Dienstleistungen seien bei Festsetzung der Festbeträge nicht berücksichtigt worden. Aufgrund des nur marginalen Dienstleistungsanteils habe jedoch Einigkeit darüber bestanden, dass dieser betragsmäßig nicht zu erfassen und nicht als eigenständiger Posten festzusetzen sei. Das Urteil fuße somit auf der Feststellung unzutreffender Tatsachen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 10.05.2001 haben die Vertreter der Beklagten zu 9) und 10) erklärt, bei der Festsetzung der Festbeträge habe man durchaus einen Dienstleistungsanteil berücksichtigt. Dieser sei aber nicht prozentual beziffert worden und er könnte auch nicht beziffert werden. Die Tatsache, dass ein Dienstleistungsanteil anfallen könne, sei vielmehr allgemein berücksichtigt worden, indem die marktüblichen Preise teilweise sogar nach oben korrigiert worden seien. Gedanken darüber, in welchem Umfang bei Abgabe welchen Hilfsmittels konkret eine Dienstleistung anfalle, habe man sich nicht gemacht. Der Vertreter der Beklagten zu 2) hat ergänzt, die entsprechenden vertraglichen Regelungen aus der RVO-Zeit hätten insoweit eine Differenzierung nach Dienstleistung und Sachleistungsanteil nicht enthalten.

Die Beklagten zu 1), 2), 4), 5), 8), 9) und 10) beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts vom 04.11.1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Sie halten das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Bereits im Anhörungsverfahren hätten sie in ihrer Stellungnahme vom 09.04.1997 detailliert auf die Notwendigkeit einer weitergehenden Gruppeneinteilung unter Berücksichtigung des Beratungsbedarfs hingewiesen. Dieser sei von den Beklagten zu keinem Zeitpunkt detailliert bestritten worden. Eine Festbetragsfähigkeit sei zu verneinen, wenn eine Leistung hauptsächlich aus Dienstleistung bestehe. Stomaartikel seien zwar im wesentlichen Verbrauchsteile, die als einzelnes Hilfsmittel keinen sehr großen Abgabewert hätten. Bei der Stomaerstversorgung, dem Systemwechsel von Stomahilfsmitteln aus medizinischen Gründen sowie Handhabungs-/Versorgungsschwierigkeiten des Patienten während des Stomagebrauchs falle jedoch ein hoher Dienstleistungsanteil an. Dass der betreffende Dienstleistungsaufwand vom Arzt betrieben werde, sei nicht zutreffend. Der Arzt folge häufig mit der konkreten Verordnung einer Empfehlung des Hilfsmittellieferanten, des Stomatherapeuten, der die Vorschläge für die Auswahl der einzelnen Stomahilfsmittel dem Arzt unterbreite. Es gebe viele Vertragsärzte, die allgemeine richtungsweisende Verordnungen ausstellen, die dann vom Hilfsmittellieferanten im Rahmen seiner Zulassung (§ 126 Abs. 1 SGB V) konkretisiert würden. Die Erstversorgung werde vom Arzt angeordnet, vom Stomatherapeuten durchgeführt. Bei entzündlichen Vorgängen komme der Patient entweder unmittelbar in den Mitgliedsbetrieb der Klägerinnen oder werde vom Arzt zum Stomatherapeuten geschickt. Dort werde dann ein neues System im Hinblick auf die aufgetretenen Schwierigkeiten und Probleme ausgesucht. Die Anpassung von Filtern und Beuteln nehme nicht der Arzt, sondern der nichtärztliche Stomatherapeut vor. Eine Erstversorgung könne tagelang dauern, ein Systemwechsel mit oder ohne entzündlichem Vorgang sei nicht unter 45 bis 60 Minuten zu leisten. Schließlich sei zu bezweifeln, ob dem eigentlichen Beschlussgremium die Argumente der Kläger in anderer Form als lediglich in der Ergebnisniederschrift der Besprechung der Verbände der Krankenkassen vom 24.06.1997 zur Kenntnis gelangt seien. Aus der zwischenzeitig vorliegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2002 - 1 BvL 28/95, 1 BvL 29/95, 1 BvL 30/95 - SozR 3-2500 § 35 Nr. 2 ergebe sich die Verpflichtung der Sozialgerichte zu prüfen, ob überhaupt eine Sachleistung noch möglich sei. In geeigneten Zeitabständen werde zudem eine Überprüfung und Anpassung der Festbeträge erforderlich. Aus Gründen der Transparenz müsse zudem nachvollziehbar dargelegt werden, wie die Stellungnahmen der Leistungserbringer in die Festbetragsfestsetzung eingeflossen seien, dies müsse dokumentiert werden. Das Bundessozialgericht habe am 23.01.2003 - B 3 KR 7/02 R - entschieden, dass der für ein Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag die Leistungspflicht der Krankenkasse dann nicht begrenze, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreiche. Hieraus sei zu folgern, dass der Festbetrag rechtswidrig sei und die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht begrenze, wenn ein im Einzelfall notwendiges Hilfsmittel zum Festbetrag nicht erbringbar sei, da der Einkaufspreis bereits über dem Festbetrag liege.

Die Verwaltungsakte der Beklagten hat neben der Prozessakte vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten zu 1), 2), 4), 5), 8), 9) und 10) ist begründet.

Die Festsetzung von Festpreisen für Stomaartikel durch die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen vom 21.07.1997 für das Land Nordrhein-Westfalen, veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 140 vom 31.07.1997, S. 9526 und S. 9527, ist rechtmäßig.

Die in §§ 35 und 36 SGB V enthaltene Ermächtigung der Krankenkassenverbände, für Hilfsmittel Festbeträge festzusetzen, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Gesetzeskraft am 17.12.2002 - 1 BvL 28/95, 1 BvL 29/95 und 1 BvL 30/95 = SozR 3-2500 § 35 Nr. 2 - entschieden. Die Vorschriften über das Verfahren der Festbetragsfestsetzung stehen mit dem Grundgesetz in Einklang. Damit können die Kläger auch im vorliegenden Verfahren nicht mit ihrer Auffassung durchdringen, die in § 36 SGB V eingeräumte Befugnis, für Hilfsmittel Festbeträge festzusetzen, verstoße gegen Art. 12, Art. 20 und Art. 80 Grundgesetz. Der Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz wird bei den Anbietern von Hilfsmitteln nicht berührt, wenn die Kostenübernahme gegenüber den Versicherten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung geregelt wird. Dass Marktchancen betroffen werden, ändert hieran nichts. Die Auswirkungen der Festbetragsfestsetzung auf die Berufsausübung der Leistungserbringer sind bloßer Reflex der auf das System der gesetzlichen Krankenversicherung bezogenen Regelungen. Die Orientierung an Bedingungen des Preiswettbewerbs ist der vom Gesetzgeber vorgesehene Weg, um den Gesetzesadressaten die Beachtung des ihnen rechtlich vorgegebenen Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit zu ermöglichen. Dies dient dazu, das Leistungssystem der Krankenversicherung funktionsfähig zu halten. Die Aufgabenzuweisung in den §§ 35, 36 SGB V hält sich insgesamt in dem Rahmen des Verwaltungshandelns, der den Krankenkassen und ihren Verbänden im System der Krankenversicherung zugewiesen ist. Das Verfassungsrecht gebietet nicht, die Festbeträge durch Rechtsverordnung festzusetzen. In den §§ 35, 36 SGB V sind die gesetzlichen Grundlagen für die Festbetragsfestsetzung enthalten und inhaltliche und verfahrensmäßige Anforderungen festgelegt. Die Rechtsgrundlagen genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Ermächtigung zur Festsetzung der Festbeträge in Form einer Allgemeinverfügung. Der Gesetzgeber hat die Maßstäbe und das Verfahren der Entscheidungsfindung in den §§ 35, 36 SGB V mit der dem Sachbereich angemessenen Genauigkeit geregelt. Die entsprechenden Ermächtigungen genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen für den Gesetzesvollzug. In Bezug auf die Hilfsmittel sind die Kriterien für die zu treffende Entscheidung durch die Bezugnahme in § 36 Abs. 3 SGB V hinreichend bestimmt.

Die Kläger rügen im konkreten Fall zu Unrecht eine Verletzung von Verfahrensvorschriften. Denn nach § 36 Abs. 1 Satz 3 SGB V ist den Verbänden der betroffenen Leistungserbringern vor der Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und ist diese in die Entscheidung einzubeziehen. Die gesetzlichen Verfahrensbestimmungen sehen somit nicht die von den Klägern ausdrücklich gewünschte mündliche Anhörung vor. Es lässt sich auch nicht feststellen, dass die Beklagten die schriftlich eingereichten Stellungnahmen der Kläger nicht in ihre Entscheidung einbezogen hätten. Die Klagebegründung spricht vielmehr sogar für das Gegenteil, wenn dort vorgetragen wird, die Verbände der Krankenkassen hätten in ihrer Besprechung am 24.06.1997 nach nochmaliger Prüfung der Marktlage andere Festbeträge als die in die Anhörung gegebenen für die einzelnen Festbetragsgruppen festgesetzt. Die Kläger rügen ferner, die Beklagten hätten sich über die Argumente der Kläger festgesetzt, ohne hierfür eine Begründung abzugeben. Sie übersehen dabei jedoch, dass das Gesetz keinen Begründungszwang normiert und die gesetzlich vorgegebene Einbeziehung der Stellungnahmen nur dazu verpflichtet, sich mit diesen auseinanderzusetzen, nicht aber die Auffassung der Leistungserbringer zu übernehmen.

Zur Überzeugung des Senats entspricht die Festbetragsfestsetzung auch in Bezug auf die zugrundeliegende Gruppeneinteilung den gesetzlichen Anforderungen. Zunächst ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben, dass die angegriffene Festsetzung von Festpreisen für Stomaartikel ab 01.08.1997 auf dem durch die Spitzenverbände der Krankenkassen am 05.02.1996 verabschiedeten Festbetragsgruppensystem für Stomaartikel basiert. Unabhängig davon ist hier nach Auffassung des Senats eine Differenzierung zwischen Dienstleistungsanteil einerseits und Sachleistungsanteil andererseits nicht geboten. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass der Dienstleistungsanteil den Charakter der Gesundheitsleistung Stomartikel "prägt". Der Senat folgt damit der vom Bundessozialgericht in seinem Vorlagebeschluss vom 14.06.1995 - 3 RK 23/94 - SozRSich 1995, 274 vertretenen Auffassung, dass allenfalls bei Gesundheitsleistungen, deren Charakter durch die Dienstleistung des Leistungserbringers geprägt wird, die Festsetzung von Festbeträgen ausscheidet. Die Festbetragsregelung ist aber nicht ausgeschlossen, wenn, wie die Kläger behaupten, die für die Dienstleistung anfallenden Kosten nur im Einzelfall die Höhe der reinen Sachkosten übersteigen.

Die Kläger haben weder substantiiert vorgetragen noch unter Beweis gestellt, dass ihr Dienstleistungsanteil den Charakter der von ihnen erbrachten Gesundheitsleistung prägt. Der Senat musste sich auch nicht gedrängt fühlen, weitere Ermittlungen von Amts wegen anzustellen und quasi ins Blaue hinein zu ermitteln. Dies gilt umso mehr, als auch die Kläger auch in der abschließenden mündlichen Verhandlung keinen Weg aufzeigen konnten, in welcher Weise der von den einzelnen Mitgliedsbetrieben erbrachte Dienstleistungsanteil durch Belege zu quantifieren wäre. Eine Auszählung der abgerechneten Rezepte wäre wenig sinnvoll (vgl. hierzu Engels und Walzik, Festbeträge für Hilfsmittel aus Sicht der gesetzlichen Krankenversicherung in: KrV November 1991, 325, 328). Der im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 14.08.2003 erschienene Obermeister der Innung für Orthopädie-Technik für den Regierungsbezirk Düsseldorf, Herr ..., hat zudem erklärt, dass Beratungen den Versicherten der Beklagten nicht in Rechnung gestellt werden. Damit scheidet auch eine Auswertung derartiger Rechnungen aus. Der Senat konnte es deshalb dahingestellt sein lassen, ob der bei der Erstversorgung, bei Systemwechsel und Anwendungsschwierigkeiten anfallende Beratungsbedarf tatsächlich weit überwiegend durch die Stomatherapeuten - so der Vortrag der Kläger - oder doch durch Ärzte - so das Vorbringen der Beklagten - erbracht wird. Weiter bedurfte es keiner Gewichtung des Umstandes, dass ein derartiger Beratungsbedarf bei einem Stomaträger nur temporär auftritt und damit nicht bei jedem Verkauf eines Beutels, einer Kappe, von Platten, Irrigatoren, Bandagen und Zubehör anfällt.

Die streitige Festsetzung von Festpreisen für Stomaartikel bedeutet auch keine gesetzeswidrige Abkehr vom Sachleistungsprinzip. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 17.12.2002 a.a.O. darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber mit Schaffung der §§ 35, 36 SGB V das Sachleistungsprinzip nicht aufgegeben hat. Vorliegend sind die Verbände ihren Aufgaben nach den §§ 35, 36 SGB V gesetzeskonform nachgekommen, denn Versicherte, die Stomaartikel benötigen, können diese - abgesehen von äußersten und eher zufälligen Ausnahmen - als Sachleistung ohne Eigenbeteiligung beziehen. Anhaltspunkte dafür, dass die Leistungserbringer mit den Krankenkassen nicht mehr die nach § 2 Abs. 2 Satz 2 SGB V vorgesehenen Verträge abschließen bzw. infolge der hier streitigen Festbetragsfestsetzung die Zahl der zugelassenen Hilfsmittelerbringer zurückgegangen wäre oder dass Mitgliedsbetriebe der Kläger Stomaartikel aus ihrem Sortiment generell herausgenommen hätten, sind nicht ersichtlich. Auch wenn in seltenen Fällen einer schlecht gelungenen Stomaoperation eine Versorgung des betreffenden Versicherten ohne dauerhafte Zuzahlungen nicht möglich sein sollte, ist die Festbetragsfestsetzung gesetzeskonform. Denn nach § 36 Abs. 3 SGB V i.V.m. § 35 Abs. 5 Satz 1 SGB V sind die Festbeträge so festzusetzen, dass sie "im Allgemeinen" eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten. Unabhängig davon begrenzt der für ein Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag die Leistungspflicht der Krankenkassen dann nicht, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreicht (BSG Urteil vom 23.01.2003 - B 3 KR 7/02 R -). Klagen von Versicherten auf Erstattung des von diesen für eine medizinisch notwendige Stomaversorgung erbrachten Zuzahlungsbetrages sind dem Senat auch nicht bekannt.

Die von den Klägern vorgelegten Listen mit Festbeträgen und Hersteller-/Ein- kaufspreisen belegen gerade nicht, dass eine Lieferung zum Festbetrag nicht möglich wäre. Der von den Klägern angeführte Umstand, daß manche Herstellerpreise über dem Festpreis des betreffenden Artikels liegen bzw. nur minimal darunter, genügt hierfür nicht. Mit der Einführung von Festbeträgen sollte der Wettbewerb unter den Anbietern von Hilfsmitteln verstärkt werden (BT-Drucksache 11/2237 S. 175 zu § 35; s. zur Begrenzung der Leistungspflicht der Krankenkassen für Brillengestelle BSG Urteil vom 14.19.1994 - 3/1 RK 36/93 = SozR 3-2500 § 33 SGB V Nr. 12). § 35 Abs. 5 Satz 2 SGB V, der durch die Gesetzesverweisung des § 36 Abs. 3 SGB V auch für Hilfsmittel Anwendung findet, ordnet an, dass die Festbeträge Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen haben, dass sie einen wirksamen Preiswettbewerb auslösen sollen und sich deshalb an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten auszurichten haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Senat hat die Revision zugelassen, da er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 160 Abs. 2 Ziff. 1 SGG beimißt.
Rechtskraft
Aus
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