S 6 KR 91/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 KR 91/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Unter Aufhebung des Bescheides vom 03.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2002 wird festgestellt, dass die Beklagte für die Behandlung des Klägers mit dem Arzneimittel "Spondyl AT" endgültig zu einer Kostenübernahme verpflichtet ist. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers, im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Mit der Klage vom 07.05.2002 gegen den Bescheid der Beklagten vom 03.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2002 fordert der Kläger die Kostenübernahme für seine Behandlung mit dem Arzneimittel "224-Spondyl AT" (Radiumchlorid-Therapie) - 10 Injektionen à DM 825,-; streitig ist, ob die Anwendung des Arzneimittels aufgrund seiner eingeschränkten arzneimittelrechtlichen Zulassung mit bestimmten Auflagen als neue Behandlungsmethode zu bewerten ist, für die krankenversicherungsrechtlich das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt eingreift; die Zulassungsindikation des Arzneimittels für den Kläger ist hingegen unstreitig.

"Spondyl AT" ist vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) am 23.10.2000 gemäß §§ 25 Abs. 1, 28 Abs. 3 des Arzneimittelgesetzes - AMG - mit Auflagen zugelassen worden, u.a. mit der Auflage, innerhalb von fünf Jahren Ergebnisse klinischer Prüfungen nach § 22 Abs. 2 Nr. 3 AMG (klinische Studie Phase III) vorzulegen und Anwendungsbeobachtungen über 10 Jahre durchzuführen; es handelt sich um die Neuzulassung eines Arzneimittels, das aufgrund einer früheren Alt-Zulassung bis 1986 eingesetzt worden ist und von der Firma B seit 2000 wiederhergestellt wird.

Der 1959 geborene Kläger - Produktionsmechaniker bei der Firma Q - leidet an Morbus Bechterew (Spondylitis ankylosans), Stadium III, und war ab Mitte Oktober arbeitsunfähig krank. Am 16.10.2001 beantragte er durch seinen behandelnden Arzt für Nuklearmedizin L - auf einem Firmenvordruck des Arzneimittelherstellers B Therapie GmbH & Co.KG - die Kostenübernahme für "Spondyl AT" nach zuvor ausgeschöpfter konsequenter und adäquater Schmerztherapie - Gutachten des MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) Arztes Dr. U vom 19.12.2001l.

Mit den oben genannten Bescheiden lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab, weil dem Anspruch des Klägers trotz der Befürwortung durch den MDK (Gutachten Dr. U) rechtliche Gründe entgegenstünden:

1.Es handele sich um eine neue ärztliche Behandlungsmethode, die dem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V unterliege, denn während und nach der Arzneimitteltherapie seien umfangreiche ärztliche Behandlungsleistungen zu erbringen; die Behandlungsmethode sei nicht durch den EBM erfasst und es liege insoweit keine Empfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vor.

2. Als Versorgung mit einem Arzneimittel könne "Spondyl AT" nicht beansprucht werden, weil die klinische Erprobung noch nicht abgeschlossen sei, wie sich aus der Auflage, eine klinische Studie der Phase III vorzulegen, ergebe.

Während des Widerspruchsverfahrens beantragte der Kläger die Verpflichtung der Beklagten im Wege einer einstweiligen Anordnung zur Übernahme von "Spondyl AT" - SG Aachen, S 6 KR 30/02 ER -, aufgrund der, mit - bestandskräftig gewordenem - Beschluss vom 06.05.2002 ausgesprochenen Verpflichtung der Beklagten übernahm diese vorläufig die Kosten der Behandlung des Klägers mit "Spondyl AT".

Mit der gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid der Beklagten erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Leistungsbegehren nach vorläufiger Leistung der streitigen Behandlung als Feststellungsbegehren weiter.

Der Kläger trägt im Wesentlichen vor:

Das BSG habe in seinem "Sandoglobulin"-Urteil (vom 19.03.2002 - B 1 KR 37/00 R -) erneut klargestellt, dass sich die Zuständigkeit des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen nur auf Überprüfung zulassungsfreier Rezepturarzneimittel beziehen könne; es sei nicht Aufgabe des Bundesausschusses, zulassungspflichtige Arzneimittel für den Einsatz in der vertragsärztlichen Versorgung einer, neben der Zulassung durch das BfArM nochmaligen, gesonderten Begutachtung zu unterziehen und die arzneimittelrechtliche Zulassung zu ergänzen oder zu ersetzen. Es handele sich bei "224-Spondyl AT" um ein nach den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes (AMG) durch Bescheid des BfArM vom 23.10.2000 nach Anhörung der Strahlenschutzkommission - Stellungnahme vom 23./24.04.1998 (152. Sitzung) - zugelassenes Arzneimittel. Das Arzneimittel dürfe laut Beschluss des Länderausschusses für Atomenergie - Fachausschuss Strahlenschutz - vom 28.02./01.03.2000 ambulant verabreicht werden. Bei der Verabreichung durch einen Vertragsarzt handele es sich nach arzneimittelrechtlicher Zulassung nicht um eine "neue" Behandlungsmethode, die einer Prüfung durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen bedürfe. Die fehlende Erfassung einer Behandlung des Morbus Bechterew mit dem offenen Radionuklid "224-Spondyl AT" im Kapitel T (Strahlentherapie) V (Anwendung offener Radionuklide) des (EBM) stehe der vertragsärztlichen Versorgung nicht entgegen, denn die hier geregelte Verbindung von ärztlicher Leistung und aufgewandten Radionukliden sei dem Bewertungsausschuss nicht zwingend vorgegeben, was der Entwurf des EBM-Plus (Stand: 27.10.2000) mit getrennter Berechnung von Radionukliden belege. Die Injizierung des Radionuklids könne unter der EBM-Gebührenposition Nr. 4 (Konsiliarpauschale) abgerechnet werden.

Zur Stützung seines Vorbringens legt er vor:

1. Zulassungsbescheid des BfArM vom 23.10.2000,

2. Monographie (224-Ra) Radiumchlorid Bundesgesundheitsamt, Bundesanzeiger vom 21.11.1992, Seite 8827,

3. Therapie mit Ra-224-Radiumchlorid, Stellungnahme Strahlenschutzkommission vom 23./24.04.1998,

4. Bundesamt für Strahlenschutz, Nuklearmedizinische Therapie mit Ra-224-Radiumchlorid,

5. Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin, Entwurf: Stand 03.09.2001,

6 Niedersächsisches Umweltministerium, Durchführung der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) Therapie mit Ra-224-Radiumchlorid,

7. Stellungnahme Einordnung von 224-Spondyl AT",

8. Braun u.a., Therapie der ankylosierenden Spondylitis (AS) mit Radiumchlorid (224-Spondyl AG), Z Rheumatol. 2001, Seite 74, 76,

9. Reiners, Braun u.a., Therapie der Spondylitis ankylosans mit (224-Ra) Radiumchlorid, Der Nuklearmediziner, Seite 105, 109,

10. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Rheumathologie zur Therapie der ankylosierenden Spondylitis (AS) mit Radiumchlorid (224-Spondyl AT), Z Rheumatol.60: 84-87 (2201), Seite 84,

11. Schreiben des Nuklearmediziners L vom 21.03.2002,

12. Schreiben der Deutschen Gesellschaft für Rheumathologie, Prof. Dr. Burmester vom 04.02.2002,

13. Schreiben der Deutschen Vereinigung Morbus Bechterew e.V. vom 21.11.2001 und

14. Schreiben der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin vom 24.01.2001.

Der Kläger hat sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt und schriftsätzlich beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides vom 03.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2002 festzustellen, dass die Beklagte für die Behandlung des Klägers mit dem Arzneimittel "Spondyl AT" endgültig zu einer Kostenübernahme verpflichtet ist.

Die Beklagte hat sich ebenfalls mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt und schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf den Inhalt der von ihr erteilten Bescheide.

Die Beigeladenen 1) und 2) haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt und schriftsätzlich keinen Klageantrag gestellt.

Es ist Beweis erhoben worden durch Einholung der Auskunft des BfArM vom 02.12.2002, auf deren Inhalt verwiesen wird.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Streitakte S 6 KR 30/02 ER sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Die Akten haben bei der Entscheidung vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung ist gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - aufgrund der Einverständniserklärung der Beteiligten zulässig.

Die zulässige Klage ist mit dem Feststellungsantrag begründet, denn der Kläger hat im Hinblick auf einen möglichen Rückzahlungs-/Erstattungsanspruch der Beklagten nach vorläufiger Leistungserbringung aufgrund einstweiliger Anordnung (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. § 86 b Rn. 22; Finkelnburg, Einstweiliger Rechtsschutz, Rn. 588 u. 1059) ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 55 Abs. 1 SGG an der Feststellung der endgültigen Kostenübernahmepflicht der Beklagten.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig, denn der Kläger hat gemäß §§ 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, 27 Abs. 1 S. 1 u. S. 2 Nr. 3, 31 Abs. 1, 34 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches - 5. Buch/Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V - einen Anspruch auf Versorgung mit dem apothekenpflichtigen Arzneimittel "Spondyl AT"; dieses ist nicht gemäß § 34 Abs. 1 SGB V durch Verordnung vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen und darf gemäß § 29 Abs. 1 S. 2 des Bundesmantelvertrags-Ärzte (BMV-Ä) nicht von einer Genehmigung durch die Krankenkasse abhängig gemacht werden.

Die Verordnungsfähigkeit des streitigen Arzneimittels ergibt sich aus dessen Zulassung durch das BfArM, wobei unerheblich ist, dass es sich um eine - nach § 28 Abs. 3 AMG arzneimittelrechtlich zulässige - eingeschränkte Zulassung mit Auflagen handelt. Das Vorliegen der Zulassungsindikation ist unstreitig. Entsprechend der Gesetzessystematik sind bei zulassungspflichtigen Arzneimitteln Unbedenklichkeit und Wirksamkeit in dem Zulassungsverfahren beim BfArM und nicht zusätzlich im Rahmen einer Zertifizierung durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (BAdÄuKK) - Beigeladener 2) - zu prüfen und festzustellen (BSG Urt. v. 19.03.2002 - "Sandoglobulin"). "Spondyl AT" ist ein "apothekenpflichtiges" Arzneimittel im Sinne des § 31 Abs. 1 SGB V und des § 43 Abs. 1 S. 1 AMG, auch wenn nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 f AMG die Abgabe außer Apotheken mit Genehmigung für den Umgang und die Anwendung radioaktiver Substanzen auch durch Ärzte mit einer solchen Genehmigung erfolgen darf. § 47 Abs. 1 Nr. 2 f AMG erweitert den Kreis der Abgabeberechtigten, nimmt dem Arzneimittel jedoch nicht die Eigenschaft der "Apothekenpflichtigkeit"; durch das Erfordernis einer zusätzlichen Genehmigung wird einerseits der Kreis der abgabeberechtigten Apotheker beschränkt und andererseits der abgabeberechtigte Arzt einem abgabeberechtigten Apotheker gleich gestellt.

Ziff. 12 S. 3, Ziff. 13 S. 2 der Arzneimittel-Richtlinien - AMR -, wonach Erprobungen von Arzneimitteln auf Kosten der Krankenkasse unzulässig sind und Arzneimittel mit nicht ausreichend gesichertem therapeutischen Nutzen vom Vertragsarzt nicht verordnet werden dürfen, stehen dem Anspruch des Klägers auf Versorgung mit dem Arzneimittel nicht entgegen. Zum Einen steht es dem BdÄuKK nicht zu, durch Richtlinien ein zugelassenes Arzneimittel vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung auszuschließen, denn insoweit fordert § 34 Abs. 1 SGB V den Ausschluss durch eine Verordnung (BSG Urt. v. 30.09.1999 - B 8 KN 9/98 KR R - "SKAT" -). Zum Anderen steht der therapeutische Nutzen aufgrund der vom BfArM ausgesprochenen arzneimittelrechtlichen Zulassung fest (siehe oben).

Auch wenn im Zusammenhang mit der Verabreichung des Arzneimittels "Spondyl AT" eine, über die bloßen Injektionen hinausgehende umfangreiche begleitende ärztliche Behandlung notwendig ist, machte dies die Versorgung mit dem Arzneimittel nicht zu einer neuen - ambulanten vertragsärztlichen - Behandlung, die dem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V unterliegt. Inhalt und Umfang der ärztlichen Behandlung werden einzig und allein durch die Art des verabreichten Arzneimittels bestimmt, sodass ein eigenständiges, übergeordnetes, selbstständiges ärztliches Behandlungskonzept denkgesetzlich ausgeschlossen ist. Das Arzneimittel wird gerade nicht nur zusätzlich und nur unterstützend im Rahmen eines in sich geschlossenen und umfassenden ärztlichen Behandlungskonzepts verabreicht.

Ob die vertragsärztlichen Nebenleistungen nach dem EBM, insbesondere nach den Gebührenziffern des Kap. T "Strahlentherapie" V "Anwendung offener Radionuklide", abgerechnet werden können oder nicht, kann dahingestellt bleiben. Ein Ausschluss einer Pharmakotherapie mit arzneimittelrechtlich zugelassenen Fertigarzneimittel ist durch die Ermächtigung des Bewertungsausschusses - des Beigeladenen 1) - in § 87 Abs. 1 SGB V nicht gedeckt, denn dieser hat das "ob" und "wie" der Arzneimittelversorgung nicht zu bewerten; gemäß § 87 Abs. 2 SGB V ist es seine Aufgabe, im EBM den Inhalt der abrechnungsfähigen Leistungen und ihr wertmäßiges, in Punkten ausgedrücktes Verhältnis zueinander zu bestimmen (vgl. auch BSG, Urt. v. 13.11.1996 - 6 RKa 31/95 -). Ein solcher Ausschluss wäre auch system- und gesetzeswidrig, denn bei Arzneimitteln ist der Ausschluss gemäß § 34 SGB V nur durch Rechtsverordnung vorgesehen (BSG, Urt. v. 30.09.1999 - B 8 KN 9/98 KR R - "SKAT"). Selbst wenn dem Beigeladenen 1) ein Prüfungsrecht zugebilligt würde, wäre ein Ausschluss der Pharmakotherapie mit "224-Spondyl AT" durch Nichtaufnahme einer entsprechenden Gebührenposition rechtswidrig. Die Grenzen der dem Beigeladenen 1) eingeräumten Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit wären überschritten, wenn er trotz positiver Richtlinien-Empfehlung gemäß § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V keine Leistungsposition für den Einsatz einer bestimmten Untersuchungs- oder Behandlungsmethode schafft (BSG, a.a.O.); Gleiches müsste gelten, wenn er trotz arzneimittelrechtlicher Zulassung eines weiteren offenen Radionuklids für eine bestimmte Indikation den entsprechenden Gebührenabschnitt nicht erweitert.

Die Entscheidung über die Kosten der nach alledem begründeten Klage folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Die Zulässigkeit der Berufung ergibt sich aus §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG, denn der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt EUR 500,-.
Rechtskraft
Aus
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