Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 RA 94/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 13.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2002 wird aufgehoben, soweit die Beklagte Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Beigeladene zu 1) fordert. Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Berechtigung der Beklagten zur Nachforderung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Beigeladene zu 1).
Die Klägerin beschäftigte ab April 1993 die Beigeladene zu 1). Die Beigeladene zu 1) war zunächst im April 1993 bei der I-N Ersatzkasse freiwillig versichert. Die Beigeladene zu 1) war nicht versicherungspflichtig, weil ihre Einkünfte über der Jahresarbeitsentgeltgrenze lagen. Ab dem 01.05.1993 war die Beigeladene privat bei der C-L Krankenversicherung AG gegen das Risiko der Krankheit und nach Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung auch gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichert.
Die Klägerin hat Beitragszuschüsse zur privaten Krankenversicherung der Beigeladenen zu 1) gezahlt.
In der Zeit vom 08. Februar 2001 bis zum 13.11.2001 führte die Beklagte eine Betriebsprüfung nach § 28 p SGB VI durch. Hierbei stellte sie unter anderem fest, dass die Beigeladene zu 1) in der Zeit von Dezember 1996 bis Dezember 2000 durchgehend die Jahresarbeitsentgeltgrenze im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V unterschritt.
Mit Bescheid vom 13.11.2001 forderte die Beklagte für die Zeit vom 01.12.1996 bis zum 30.04.2000 Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung für die Beigeladene zu 1) in Höhe von 35 729,28 DM.
Im Widerspruchsverfahren trug die Klägerin vor, die Beigeladene zu 1) sei durch die I-N Ersatzkasse von der Krankenversicherungspflicht befreit worden. Außerdem habe die Beigeladene zu 2) am 28.08.1998 eine Betriebsprüfung durchgeführt, die zu keinerlei Beanstandungen geführt habe. Hieraus resultiere jedenfalls Vertrauensschutz zu Gunsten der Klägerin.
Die Beklagte zog den Bericht über die Beitragsüberwachung durch die Beigeladene zu 2) vom 28.08.1998 sowie das hierauf gestützte Schreiben an die Klägerin vom 02.09.1998 bei. Die Beigeladene zu 2) teilte der Klägerin hierin mit, dass die "Abstimmung ihrer Lohnunterlagen mit unseren Aufzeichnungen keinen Anlass zu Beanstandungen ergeben hat". Die I-N Ersatzkasse und die C-L Krankenversicherung AG teilten auf Nachfrage durch die Beklagte mit, dass ein Befreiungsbescheid zu Gunsten der Beigeladenen zu 1) nicht vorliege. Auch die Beigeladene zu 1) teilte mit, dass ein Befreiungsbescheid ihr nicht vorliege.
Mit Bescheid vom 14.05.2002 (abgesandt am 21.5.2002) wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Beigeladene zu 1) sei versicherungspflichtig zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung gewesen. Eine Befreiung hiervon sei nicht erteilt worden. Die Betriebsprüfung durch die Beigeladene zu 2) begründe keinen Vertrauensschutz.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 21.06.2002 erhobene Klage, die die Klägerin im Wesentlichen wie den Widerspruch begründet.
Sie beantragt,
den Bescheid vom 13.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2002 aufzuheben, soweit die Beklagte Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Beigeladene zu 1) nachfordert.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft die Begründung des Widerspruchsbescheides.
Die Beigeladene zu 2) beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie schließt sich den Ausführungen der Beklagten an.
Die Beigeladene zu 1) hat keinen Antrag gestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte ohne die Beigeladene zu 1) verhandeln und entscheiden, weil diese ordnungsgemäß vom Termin benachrichtigt wurde.
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist im aufgehobenen Umfang rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Beklagten ist die Nachforderung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Beigeladene zu 1) verwehrt.
Zwar liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung vor, denn die Beklagte hat richtig festgestellt, dass die Beigeladene versicherungspflichtig sowohl zur gesetzlichen Krankenversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) als auch zur gesetzlichen Pflegeversicherung (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI) war. Denn die Beigeladene zu 1) war im Nachforderungszeitraum nicht versicherungsfrei gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V (20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI), weil ihr regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht überstieg. Dies gilt auch für das Jahr 2000 (§ 6 Abs. 4 SGB V). Die nachgeforderten Beiträge sind auch nicht verjährt (§ 25 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 23 SGB IV).
Die Beigeladene zu 1) war nicht von der Pflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung befreit. Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V wird von der Versicherungspflicht befreit, wer wegen Erhöhung der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungspflichtig wird. Die Beigeladene zu 1) war im Jahre 1993 - wie sich aus der Bestätigung der I-N Ersatzkasse ergibt - versicherungsfrei gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Eine Befreiung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V brauchte daher nicht ausgesprochen zu werden und ist nach dem Akteninhalt auch niemals ausgesprochen worden.
Die Beklagte hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass die Nacherhebung der Beiträge nicht in analoger Anwendung von § 242 BGB aus Gründen der Verwirkung rechtswidrig ist. Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraumes unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden besonderen Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde und auch tatsächlich darauf vertraut und sein Vertrauen demgemäss darauf eingerichtet hat, so dass ihm durch die verspätete Geltendmachung ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.
Der einzige Gesichtspunkt, der vorliegend für eine Verwirkung sprechen könnte, ist die Durchführung der Betriebsprüfung durch die Beigeladene zu 2) im Jahre 1998. Indes lässt sich aus einer Betriebsprüfung Vertrauensschutz nicht ableiten. Denn die Betriebsprüfungen entfalten eine entsprechende Schutzwirkung zugunsten des Arbeitgebers nicht. Betriebsprüfungen haben allein im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Sie sollen einerseits Beitragsausfälle verhindern helfen, andererseits die Versicherungsträger davor bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für Nichtversicherungspflichtige oder -versicherungsberechtigte Personen Leistungsansprüche entstehen. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt den Betriebsprüfungen nicht zu; sie bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen und ihm etwa Entlastung zu erteilen. Diese Schlussfolgerung verbietet sich schon deshalb, weil die Betriebsprüfung nicht umfassend oder erschöpfend zu sein braucht und sich auf bestimmte Einzelfälle oder Stichproben beschränken kann (BSG vom 30.11.1978 - 12 RK 6/76 - m.w.N.).
Indes führt die Nachforderung der Beiträge zu einer offenkundigen Störung des versicherungsrechtlichen Gegenleistungs- und Äquivalenzprinzips, das von der Klägerin vorliegend nicht hingenommen werden muss. Konsequenz der Entscheidung der Beklagten ist nämlich, dass die Beigeladene zu 2) Beiträge erhält, ohne jemals ein reales Versicherungsrisiko getragen zu haben.
In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist anerkannt, dass das sozialrechtliche Versicherungsverhältnis als Instrument der Darseinsvorsorge dadurch gekennzeichnet ist, dass unter den Beteiligten gegenseitige Rechte und Pflichten bestehen. Die Wechselbeziehung zwischen Beitragsanspruch des Krankenversicherungsträgers und Leistungsanspruch des Versicherten im Sinne eines Gegenleistungs- und Äquivalenzprinzips ist offenkundig gestört, wenn der Versicherungsträger - wie vorliegend die Beigeladene zu 2) - aus dem Versicherungsverhältnis einseitig Rechtspositionen in Gestalt von Beitragsansprüchen gegen den Versicherten ableitet, ohne dafür diesem gegenüber selbst nur das Risiko einer möglichen Gewährung von Versicherungsschutz durch Gewährung von Sozialleistungen zu tragen. Eine solche schwere Störung des Äquivalenzprinzips ist nicht hinnehmbar, weil kein Grund ersichtlich ist, der es rechtfertigen könnte, dass bei der für beide Teile des Versicherungsverhältnisses gleichen, ihr Verhalten bestimmenden und erklärenden subjektiven Ausgangslage - Unwissenheit über das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses schon in der Vergangenheit - der eine Teil (Versicherungsträger) für die gleichen Zeiten nur (durch Beitragsanspruch ohne Leistungsverpflichtung) begünstigt, der andere Teil (Versicherter) für die gleiche Zeit ausschließlich (durch Beitragspflicht) benachteiligt wäre (BSG vom 04.10.1988 - 4/11 a RK 2/87 -).
Diese - nach Auffassung der Kammer zutreffenden - Ausführungen sind erst recht gültig, wenn nicht der Versicherte selbst, sondern aufgrund der Regelung des § 28 g Satz 3 SGB IV allein der Arbeitgeber zur Beitragszahlung herangezogen wird. Erschwerend kommt hinzu, dass die Klägerin nicht nur nachträglich in vollem Umfang mit den Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung belastet würde, sondern zusätzlich einen Zuschuss zur privaten Versicherung der Beigeladenen zu 1) geleistet hat.
Allerdings liegt eine ausdrückliche Entscheidung des BSG nur für den Fall vor, dass Beiträge nachgefordert werden und nunmehr ein Leistungsanspruch geltend gemacht wurde, der von der beklagten Krankenkasse unter Berufung auf das Sachleistungsprinzip abgelehnt wurde. Für diesen Fall hat das BSG ausdrücklich entschieden, dass dem Versicherten aus dem Versicherungsverhältnis derjenige Schutz gewährt wird, der bei dieser Sachlage noch erbringbar ist und im zu entscheidenen Fall eine Kostenerstattung zugesprochen.
Die tragenden Überlegungen sind nach Auffassung der Kammer allerdings auch für den vorliegenden Fall gültig. Auch in diesem Fall wäre die Klägerin verpflichtet, zugunsten der Beigeladenen zu 2) Beiträge zu zahlen, ohne dass diese irgendein Versicherungsrisiko getragen hätte.
Im Gegensatz zu der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Meinung der Beklagten ist dieses unbillige Ergebnis auch nicht durch eine nachträgliche Rückabwicklung des Privatversicherungsverhältnisses zu vermeiden. Der Beklagten schwebt vor, die Beigeladene zu 1) und die private Krankenversicherung zu veranlassen, das private Versicherungsverhältnis rückwirkend zu beenden, der Privatversicherung die gezahlten Leistungen zu erstatten, der Beigeladenen zu 1) die privaten Versicherungsbeiträge zu erstatten und die Beigeladene zu 1) zu veranlassen, ihre Krankheitskosten bei der Beigeladenen zu 2) im Wege der auf die genannte BSG-Entscheidung gestützten Kostenerstattung geltend zu machen.
Die Kammer hält diesen Weg für undurchführbar. Zum einen ist nicht sichergestellt, dass die Beigeladene zu 2) denselben Leistungskatalog hat wie die private Krankenversicherung der Beigeladenen zu 1), weshalb die private Krankenversicherung mindestens mit einem Teil ihrer Aufwendungen belastet bleiben dürfte und sie die nachträgliche Rückabwicklung des Versicherungsverhältnisses verweigern dürfte. Zum anderen ist die Klägerin bei der von der Beklagten vorgeschlagenen Rückabwicklung vom entsprechenden Wohlverhalten der Beigeladenen zu 1) und der privaten Krankenversicherung der Beigeladenen zu 1) abhängig. Jedenfalls zur privaten Krankenversicherung der Beigeladenen zu 1) hat die Klägerin keinerlei Rechtsbeziehungen, weshalb eine Anspruchsgrundlage auf Rückabwicklung des Privatversicherungsverhältnisses zugunsten der Klägerin nicht besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist die Berechtigung der Beklagten zur Nachforderung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Beigeladene zu 1).
Die Klägerin beschäftigte ab April 1993 die Beigeladene zu 1). Die Beigeladene zu 1) war zunächst im April 1993 bei der I-N Ersatzkasse freiwillig versichert. Die Beigeladene zu 1) war nicht versicherungspflichtig, weil ihre Einkünfte über der Jahresarbeitsentgeltgrenze lagen. Ab dem 01.05.1993 war die Beigeladene privat bei der C-L Krankenversicherung AG gegen das Risiko der Krankheit und nach Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung auch gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichert.
Die Klägerin hat Beitragszuschüsse zur privaten Krankenversicherung der Beigeladenen zu 1) gezahlt.
In der Zeit vom 08. Februar 2001 bis zum 13.11.2001 führte die Beklagte eine Betriebsprüfung nach § 28 p SGB VI durch. Hierbei stellte sie unter anderem fest, dass die Beigeladene zu 1) in der Zeit von Dezember 1996 bis Dezember 2000 durchgehend die Jahresarbeitsentgeltgrenze im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V unterschritt.
Mit Bescheid vom 13.11.2001 forderte die Beklagte für die Zeit vom 01.12.1996 bis zum 30.04.2000 Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung für die Beigeladene zu 1) in Höhe von 35 729,28 DM.
Im Widerspruchsverfahren trug die Klägerin vor, die Beigeladene zu 1) sei durch die I-N Ersatzkasse von der Krankenversicherungspflicht befreit worden. Außerdem habe die Beigeladene zu 2) am 28.08.1998 eine Betriebsprüfung durchgeführt, die zu keinerlei Beanstandungen geführt habe. Hieraus resultiere jedenfalls Vertrauensschutz zu Gunsten der Klägerin.
Die Beklagte zog den Bericht über die Beitragsüberwachung durch die Beigeladene zu 2) vom 28.08.1998 sowie das hierauf gestützte Schreiben an die Klägerin vom 02.09.1998 bei. Die Beigeladene zu 2) teilte der Klägerin hierin mit, dass die "Abstimmung ihrer Lohnunterlagen mit unseren Aufzeichnungen keinen Anlass zu Beanstandungen ergeben hat". Die I-N Ersatzkasse und die C-L Krankenversicherung AG teilten auf Nachfrage durch die Beklagte mit, dass ein Befreiungsbescheid zu Gunsten der Beigeladenen zu 1) nicht vorliege. Auch die Beigeladene zu 1) teilte mit, dass ein Befreiungsbescheid ihr nicht vorliege.
Mit Bescheid vom 14.05.2002 (abgesandt am 21.5.2002) wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Beigeladene zu 1) sei versicherungspflichtig zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung gewesen. Eine Befreiung hiervon sei nicht erteilt worden. Die Betriebsprüfung durch die Beigeladene zu 2) begründe keinen Vertrauensschutz.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 21.06.2002 erhobene Klage, die die Klägerin im Wesentlichen wie den Widerspruch begründet.
Sie beantragt,
den Bescheid vom 13.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2002 aufzuheben, soweit die Beklagte Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Beigeladene zu 1) nachfordert.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft die Begründung des Widerspruchsbescheides.
Die Beigeladene zu 2) beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie schließt sich den Ausführungen der Beklagten an.
Die Beigeladene zu 1) hat keinen Antrag gestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte ohne die Beigeladene zu 1) verhandeln und entscheiden, weil diese ordnungsgemäß vom Termin benachrichtigt wurde.
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist im aufgehobenen Umfang rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Beklagten ist die Nachforderung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Beigeladene zu 1) verwehrt.
Zwar liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung vor, denn die Beklagte hat richtig festgestellt, dass die Beigeladene versicherungspflichtig sowohl zur gesetzlichen Krankenversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) als auch zur gesetzlichen Pflegeversicherung (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI) war. Denn die Beigeladene zu 1) war im Nachforderungszeitraum nicht versicherungsfrei gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V (20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI), weil ihr regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht überstieg. Dies gilt auch für das Jahr 2000 (§ 6 Abs. 4 SGB V). Die nachgeforderten Beiträge sind auch nicht verjährt (§ 25 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 23 SGB IV).
Die Beigeladene zu 1) war nicht von der Pflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung befreit. Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V wird von der Versicherungspflicht befreit, wer wegen Erhöhung der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungspflichtig wird. Die Beigeladene zu 1) war im Jahre 1993 - wie sich aus der Bestätigung der I-N Ersatzkasse ergibt - versicherungsfrei gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Eine Befreiung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB V brauchte daher nicht ausgesprochen zu werden und ist nach dem Akteninhalt auch niemals ausgesprochen worden.
Die Beklagte hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass die Nacherhebung der Beiträge nicht in analoger Anwendung von § 242 BGB aus Gründen der Verwirkung rechtswidrig ist. Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraumes unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden besonderen Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde und auch tatsächlich darauf vertraut und sein Vertrauen demgemäss darauf eingerichtet hat, so dass ihm durch die verspätete Geltendmachung ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.
Der einzige Gesichtspunkt, der vorliegend für eine Verwirkung sprechen könnte, ist die Durchführung der Betriebsprüfung durch die Beigeladene zu 2) im Jahre 1998. Indes lässt sich aus einer Betriebsprüfung Vertrauensschutz nicht ableiten. Denn die Betriebsprüfungen entfalten eine entsprechende Schutzwirkung zugunsten des Arbeitgebers nicht. Betriebsprüfungen haben allein im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Sie sollen einerseits Beitragsausfälle verhindern helfen, andererseits die Versicherungsträger davor bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für Nichtversicherungspflichtige oder -versicherungsberechtigte Personen Leistungsansprüche entstehen. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt den Betriebsprüfungen nicht zu; sie bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen und ihm etwa Entlastung zu erteilen. Diese Schlussfolgerung verbietet sich schon deshalb, weil die Betriebsprüfung nicht umfassend oder erschöpfend zu sein braucht und sich auf bestimmte Einzelfälle oder Stichproben beschränken kann (BSG vom 30.11.1978 - 12 RK 6/76 - m.w.N.).
Indes führt die Nachforderung der Beiträge zu einer offenkundigen Störung des versicherungsrechtlichen Gegenleistungs- und Äquivalenzprinzips, das von der Klägerin vorliegend nicht hingenommen werden muss. Konsequenz der Entscheidung der Beklagten ist nämlich, dass die Beigeladene zu 2) Beiträge erhält, ohne jemals ein reales Versicherungsrisiko getragen zu haben.
In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist anerkannt, dass das sozialrechtliche Versicherungsverhältnis als Instrument der Darseinsvorsorge dadurch gekennzeichnet ist, dass unter den Beteiligten gegenseitige Rechte und Pflichten bestehen. Die Wechselbeziehung zwischen Beitragsanspruch des Krankenversicherungsträgers und Leistungsanspruch des Versicherten im Sinne eines Gegenleistungs- und Äquivalenzprinzips ist offenkundig gestört, wenn der Versicherungsträger - wie vorliegend die Beigeladene zu 2) - aus dem Versicherungsverhältnis einseitig Rechtspositionen in Gestalt von Beitragsansprüchen gegen den Versicherten ableitet, ohne dafür diesem gegenüber selbst nur das Risiko einer möglichen Gewährung von Versicherungsschutz durch Gewährung von Sozialleistungen zu tragen. Eine solche schwere Störung des Äquivalenzprinzips ist nicht hinnehmbar, weil kein Grund ersichtlich ist, der es rechtfertigen könnte, dass bei der für beide Teile des Versicherungsverhältnisses gleichen, ihr Verhalten bestimmenden und erklärenden subjektiven Ausgangslage - Unwissenheit über das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses schon in der Vergangenheit - der eine Teil (Versicherungsträger) für die gleichen Zeiten nur (durch Beitragsanspruch ohne Leistungsverpflichtung) begünstigt, der andere Teil (Versicherter) für die gleiche Zeit ausschließlich (durch Beitragspflicht) benachteiligt wäre (BSG vom 04.10.1988 - 4/11 a RK 2/87 -).
Diese - nach Auffassung der Kammer zutreffenden - Ausführungen sind erst recht gültig, wenn nicht der Versicherte selbst, sondern aufgrund der Regelung des § 28 g Satz 3 SGB IV allein der Arbeitgeber zur Beitragszahlung herangezogen wird. Erschwerend kommt hinzu, dass die Klägerin nicht nur nachträglich in vollem Umfang mit den Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung belastet würde, sondern zusätzlich einen Zuschuss zur privaten Versicherung der Beigeladenen zu 1) geleistet hat.
Allerdings liegt eine ausdrückliche Entscheidung des BSG nur für den Fall vor, dass Beiträge nachgefordert werden und nunmehr ein Leistungsanspruch geltend gemacht wurde, der von der beklagten Krankenkasse unter Berufung auf das Sachleistungsprinzip abgelehnt wurde. Für diesen Fall hat das BSG ausdrücklich entschieden, dass dem Versicherten aus dem Versicherungsverhältnis derjenige Schutz gewährt wird, der bei dieser Sachlage noch erbringbar ist und im zu entscheidenen Fall eine Kostenerstattung zugesprochen.
Die tragenden Überlegungen sind nach Auffassung der Kammer allerdings auch für den vorliegenden Fall gültig. Auch in diesem Fall wäre die Klägerin verpflichtet, zugunsten der Beigeladenen zu 2) Beiträge zu zahlen, ohne dass diese irgendein Versicherungsrisiko getragen hätte.
Im Gegensatz zu der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Meinung der Beklagten ist dieses unbillige Ergebnis auch nicht durch eine nachträgliche Rückabwicklung des Privatversicherungsverhältnisses zu vermeiden. Der Beklagten schwebt vor, die Beigeladene zu 1) und die private Krankenversicherung zu veranlassen, das private Versicherungsverhältnis rückwirkend zu beenden, der Privatversicherung die gezahlten Leistungen zu erstatten, der Beigeladenen zu 1) die privaten Versicherungsbeiträge zu erstatten und die Beigeladene zu 1) zu veranlassen, ihre Krankheitskosten bei der Beigeladenen zu 2) im Wege der auf die genannte BSG-Entscheidung gestützten Kostenerstattung geltend zu machen.
Die Kammer hält diesen Weg für undurchführbar. Zum einen ist nicht sichergestellt, dass die Beigeladene zu 2) denselben Leistungskatalog hat wie die private Krankenversicherung der Beigeladenen zu 1), weshalb die private Krankenversicherung mindestens mit einem Teil ihrer Aufwendungen belastet bleiben dürfte und sie die nachträgliche Rückabwicklung des Versicherungsverhältnisses verweigern dürfte. Zum anderen ist die Klägerin bei der von der Beklagten vorgeschlagenen Rückabwicklung vom entsprechenden Wohlverhalten der Beigeladenen zu 1) und der privaten Krankenversicherung der Beigeladenen zu 1) abhängig. Jedenfalls zur privaten Krankenversicherung der Beigeladenen zu 1) hat die Klägerin keinerlei Rechtsbeziehungen, weshalb eine Anspruchsgrundlage auf Rückabwicklung des Privatversicherungsverhältnisses zugunsten der Klägerin nicht besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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