L 2 U 97/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 7 U 121/99
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 97/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 30.03.2000 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird an das Sozialgericht Leipzig zurückverwiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung von Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit (BK).

Der am ... geborene Kläger absolvierte von September 1958 bis 1962 eine Lehre als Betonfacharbeiter mit der Spezialisierung Eisenflechter. Bis 1975 arbeitete er danach als Eisenflechter, von 1975 bis 1990 als Baumaschinist und Anlagenschlosser, von 1991 bis 1998 wiederum als Eisenflechter und seit 1998 als Polier (Bl. 6R f., 93 VwAkte).

Am 25.11.1996 erstattete der Praktische Arzt/Orthopäde Dipl.-Med. T ... unter Beifügung eines Befundberichtes bei der Beklagten eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit. Er gab an, der Kläger leide seit ca. 30 Jahren an Rückenbeschwerden. Der von der Beklagten um eine Stellungnahme zum beigefügten Befundbericht gebetene Facharzt für Orthopädie Dr. F ... lehnte mit Schreiben vom 04.03.1998 das Vorliegen einer BK Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) mit der Begründung ab, dass die röntgenologischen Veränderungen der Brustwirbelsäule (BWS) ausweislich der Röntgenbilder vom 06.01.1995 ausgeprägter seien als die Veränderungen der Lendenwirbelsäule (LWS) (Bl. 64 VwAkte).

Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten führte in einer Stellungnahme vom 06.10.1998 (Bl. 72 VwAkte) u. a. aus, dass der Kläger von 1958 bis 1974 in ca. 80 % seiner durchschnittlichen Arbeitszeit mit Armierungsarbeiten befasst gewesen sei. Hierzu habe das Flechten von Stahlmatten auf der Baustelle gehört; die geflochtenen Stahlmatten sowie Stahlstäbe seien von Hand eingebaut und miteinander verbunden worden. Die angelieferten Stahlmatten hätten manuell zur Einbaustelle transportiert werden müssen. Im Übrigen seien Schalungs- und Betonarbeiten ausgeführt worden. Von 1975 bis 1990 habe der Kläger insbesondere in ca. 10 bis 15 % seiner Arbeitszeit Maschinenteile mit einen Gewicht von ca. 20 kg bis 50 kg gehoben und getragen. In ca. 20 % der täglichen Arbeitszeit habe der Kläger in Rumpfbeugehaltung gearbeitet. Von 1991 bis Juli 1997 habe der Kläger überwiegend Armierungsarbeiten ausgeführt. Eine Belastung im Sinne der BK Nr. 2110 habe nicht vorgelegen, wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten i.S. der BK Nr. 2108 habe der Kläger insgesamt in 35 % bis 50 % seiner täglichen Arbeitszeit ausgeführt. Ausführungen zum (Nicht)Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK Nr. 2109 enthält das Schreiben nicht.

Mit Bescheid der Beklagten vom 16.12.1998 (Bl. 79 VwAkte) wurde die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung abgelehnt, dass die beim Kläger bestehenden Wirbelsäulenbeschwerden keine Berufskrankheit darstellten. Hinsichtlich der BK Nr. 2110 lägen schon die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht vor, hinsichlich der BK Nr. 2108 fehle es am Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen.

Im Widerspruchsschreiben vom 12.01.1999 wies der Kläger u. a. darauf hin, dass er ab dem Beginn seiner Lehre im Alter von 14 Jahren bis 1990 Eisenbündel von einem Gewicht zwischen 50 und 80 kg auf der Schulter getragen habe. Wegen zunehmender Rückenbeschwerden habe er 1975 den Entschluss gefasst, sich beruflich zu verändern und demzufolge den Beruf des Baumaschinisten erlernt. Aufgrund eines Arbeitsunfalles habe er ab 1979 jedoch nicht mehr in diesem Beruf arbeiten können und sei gezwungen gewesen, wieder als Stahlbetonbauer zu arbeiten (Bl. 85f. VwAkte).

In dem auf Veranlassung der Beklagten daraufhin von Prof. Dr. R ... am 19.02.1999 erstellten Gutachten wurden ein lokales cervikales und lumbales vertebragenes Schmerzsyndrom und eine beginnende Coxarthrose, links stärker als rechts, diagnostiziert. Im Gutachten wird u. a. ausgeführt, dass der Kläger an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS, der BWS und der HWS leide. Die im Bereich der LWS vorliegenden Veränderungen stellten jedoch keine dem Lebensalter vorauseilenden Veränderungen dar. Wesentlich schwerwiegender seien die röntgenologischen Veränderungen im Bereich der BWS sowie die Funktionsveränderungen im Bereich der HWS. Insoweit sei das Vorliegen einer BK Nr. 2109 zu diskutieren. Jedoch gehe der TAD in seiner Stellungnahme in keiner Weise auf diese BK ein. Schon wegen des Nichtvorliegens der haftungsbegründenden Kausalität müsse deshalb die Ablehnung der BK Nr. 2109 empfohlen werden. Dem Gutachten lagen Röntgenbefunde vom 05.03.1993 zugrunde.

Mit Bescheid vom 26.04.1999 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Angesichts dessen, dass HWS und BWS stärker von degenerativen Veränderungen betroffen seien als die LWS, müsse davon ausgegangen werden, dass die rechtlich wesentliche Ursache für die degenerativen Veränderungen an der LWS des Klägers nicht in dessen beruflicher Tätigkeit zu suchen sei.

Am 26.05.1999 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Leipzig (SG) erhoben. In der Klagebegründung hat er u. a. darauf hingewiesen, dass dem Gutachter Prof. Dr. R ... bei der Untersuchung anlässlich der Gutachtenserstellung nur ältere Röntgenbefunde vorgelegen hätten. Nachdem das SG mitgeteilt hatte, dass beabsicht sei, das Gutachten Prof. Dr. R ... der gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legen, wurde seitens des Klägers mit Schreiben vom 30.11.1999 nochmals darauf hingewiesen, dass dem Gutachten lediglich Röntgenbefunde vom 05.03.1993 zugrunde gelegen hätten. Darüber hinaus sei versäumt worden zu überprüfen, ob die Voraussetzungen einer BK Nr. 2109 vorlägen (Bl. 27 SG-Akte).

Dennoch hat das SG ohne Durchführung weiterer Ermittlungen mit Gerichtsbescheid vom 30.03.2000, zugestellt am 17.05.2000, die Klage abgewiesen. Der Kläger habe sinngemäß beantragt, unter Aufhebung des Bescheides vom 16.12.1998 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 26.04.1999 das Vorliegen einer BK Nr. 2108 und Nr. 2110 festzustellen und nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu entschädigen. Aus dem Gutachten von Prof. Dr. R ... ergebe sich jedoch, dass im Bereich der LWS keine dem Lebensalter vorauseilenden Veränderungen vorlägen. Insgesamt wiesen die Veränderungen auf eine endogene Ursache vor. Weder die Voraussestzungen einer BK Nr. 2108 noch die einer BK Nr. 2110 lägen vor.

Am Montag, dem 19.06.2000 ist Berufung gegen den Gerichtsbescheid eingelegt worden. Zur Begründung der Berufung ist u. a. wiederum ausgeführt worden, das SG habe trotz entsprechenden Hinweises nicht beachtet, dass dem Gutachten vom 19.02.1999 ältere Befunde zugrunde gelegen hätten.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 30.03.2000 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Leipzig zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat bestätigt, dass anlässlich der Untersuchung am 17.02.1999 keine neuen Röntgenbilder gefertigt worden sind.

Der Kläger hat am 07.03.2001 erklären lassen, dass er mit einer Zurückverweisung an das SG im schriftlichen Verfahren einverstanden sei. Die Beklagte hat sich am 14.03.2001 mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die zulässige Berufung ist begründet, da das erstinstanzliche Verfahren an wesentlichen Mängeln leidet und der Senat im vorliegenden Fall eine Zurückverweisung als tunlich erachtet.

Gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht (LSG) die angefochtene erstinstanzliche Entscheidung aufheben und an das SG zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Gemäß Abs. 2 der Vorschrift hat das SG sodann die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

Die Entscheidung des SG leidet an wesentlichen Verfahrensmängeln. Das SG hat es zum einen unterlassen, über die von der Beklagten durchgeführten Ermittlungen hinaus eigene Ermittlungen anzustellen. Zu solchen Ermittlungen hätte es sich unter Zugrundelegung der von ihm vertretenen Rechtsansicht gedrängt fühlen müssen (Verstoß gegen § 103 SGG). Des Weiteren ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt worden (Verstoß gegen § 62 SGG); auch ist die Entscheidung nicht in ausreichendem Maße mit Gründen versehen (Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG).

Gemäß § 103 Satz 1 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Insoweit müssen alle Tatsachen ermittelt werden, die für die Entscheidung in prozessualer und materieller Hinsicht entscheidungserheblich sind (Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz mit Erläuterungen, 6. Auflage 1998, § 103, Rn. 4a m.w.N.). Dabei muss das Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch machen (Meyer-Ladewig, aaO., Rn. 8 m.w.N.).

Das SG hat seine aus § 103 SGG resultierende Pflicht zur Aufklärung des Sachverhaltes verletzt, indem es seine Entscheidung ohne Durchführung weiterer Ermittlungen auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten vom 19.02.1999 gestützt hat, obwohl dem Gutachter lediglich am 05.03.1993 gefertigte Röntgenbilder bzw. die entsprechenden Befunde vorlagen. Zwar ist es grundsätzlich möglich, auch im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten im Wege des Urkundsbeweises für die richterliche Entscheidung zu verwerten, erforderlich ist jedoch, dass das Gericht darlegt, ob und warum es die gutachterlichen Aussagen für schlüssig und nachvollziehbar hält und aus welchen Gründen es die gegen ein solches Gutachten bzw. die nachfolgenden Verwaltungsentscheidungen vorgebrachten Einwände für unbeachtlich hält. Hier hätte das SG, wenn es eine Beurteilung aufgrund der älteren Befunde für ausreichend hielt, zumindest darlegen müssen, warum das Vorliegen einer Berufskrankheit anhand der 1993 gefertigten Röntgenbilder beurteilt werden konnte.

Vorliegend hat der Kläger nämlich, soweit aus der Akte ersichtlich, bis ca. 1998 Tätigkeiten ausgeführt, die jedenfalls die LWS belasteten. Erst zu dem Zeitpunkt der Aufgabe der die LWS belastenden Tätigkeit kann der Versicherungsfall der BK Nr. 2108 (bzw. Nr. 2110) eingetreten sein mit der Folge, dass für die Beurteilung, ob der Kläger an einer dieser beiden Berufskrankheiten leidet, auch auf diesen Zeitpunkt abzustellen ist. Dem liegt zugrunde, dass der Versicherungsfall Berufskrankheit erst zu dem Zeitpunkt eingetreten sein kann, zu dem sich die Gefährdungen realisiert haben, vor denen die gesetzliche Unfallversicherung Schutz gewähren soll, damit zu dem Zeitpunkt des Eintritts jedes Gesundheitsschadens, der die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale einer Berufskrankheit erfüllt (Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung - BKV -, Kommentar, Stand 14.03.2001, E § 9 SGB VII Rn. 42, S. 97 m. w. N.). Diese sind gegeben, wenn die schädigende Einwirkung einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand verursacht hat, der die Krankheitsmerkmale eines Berufskrankheitentatbestandes erfüllt und wenn ggf. erforderliche besondere Merkmale, insbesondere die Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten, vorliegen (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Handkommentar, Stand Februar 2001, § 9 SGB VII Rn. 7).

Somit hätte das SG prüfen müssen, ob der Kläger zu dem - noch genau zu ermittelnden - Zeitpunkt, ab dem er nicht mehr lendenwirbelsäulenbelastend tätig war, an einer als BK Nr. 2108 zu wertenden Erkrankung der Wirbelsäule litt. Dem Akteninhalt ist jedenfalls zu entnehmen, dass der Kläger noch bis Ende 1998/Anfang 1999 wirbelsäulenbelastend tätig war. Das SG hätte bei seiner Prüfung, ob eine BK vorliegt, somit das Gutachten von Prof. Dr. R ... jedenfalls insoweit nicht verwerten dürfen, als dieses auf den Röntgenbefunden von Mai 1993 beruht. Es hätte vielmehr im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht zumindest eine ergänzende Begutachtung gestützt auf aktuellere Röntgenbefunde veranlassen müssen. Sofern das SG weitere Ermittlungen nicht für erforderlich hielt, hätte es die Gründe hierfür dartun müssen.

Indem das SG den Hinweis des Klägers auf die Erstellung des Gutachtens vom 19.02.1999 unter Zugrundelegung älterer Röntgenbefunde überging, hat es auch den auf Verfassungsrecht fußenden und für das Sozialrecht in § 62 SGG normierten Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt, da es das diesbezügliche Vorbringen des Klägers übergangen hat, ohne es auch nur ansatzweise zu würdigen oder zumindest deutlich zu machen, dass es dieses Vorbringen zur Kenntnis genommen hat (vgl. BVerfGE 40, 101 ff.; BVerfGE 86, 133 ff.).

Gleiches gilt, soweit der Kläger in der der Klageschrift beigefügten Kopie des Widerspruchsschreibens und im Schreiben vom 30.11.1999 an das SG darauf hingewiesen hat, dass er in seinem Berufsleben erhebliche Lasten auf der Schulter transport habe und dass er der Meinung sei, dass dies insoweit geprüft werden müsse, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 2109 vorlägen.

Angesichts dieser Ausführungen des Klägers und auch im Hinblick darauf, dass bereits der Gutachter Prof. Dr. R ... im Gutachten vom 17.02.1999 darauf hinwies, dass angesichts der Schäden im HWS-Bereich an eine BK Nr. 2109 zu denken sei, hätte das SG Anlass sehen müssen, Ermittlungen hinsichtlich des Vorliegens der arbeitstechnischen und ggf. der medizinischen Voraussetzungen (bezogen auf den Zeitpunkt des Endes der halswirbelsäulenbelastenden Tätigkeit) einer BK Nr. 2109 anzustellen. Auch insoweit liegt ein Verstoß gegen § 103 SGG vor. Da in der Entscheidung des SG auch nicht dargetan ist, aus welchen Gründen von weiteren Ermittlungen abgesehen wurde bzw. nicht ersichtlichtlich ist, dass das SG die Ausführungen des Klägers auch nur zur Kenntnis genommen hat, ist auch insoweit der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt.

Da das SG nicht über das (Nicht)Vorliegen einer BK Nr. 2109 entschieden hat hat, genügt seine Entscheidung auch nicht den Anforderungen, die § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG an die Urteilsbegründung stellt. Insoweit ist erforderlich, dass das Gericht sich mit allen wesentlichen Streitpunkten auseinandersetzt (BSGE 76, 233). Urteilsgründe fehlen, wenn in der Urteilsbegründung selbst nicht mindestens die Erwägungen zusammengefasst worden sind, auf denen die Entscheidung über jeden einzelnen für den Urteilsausspruch rechtserheblichen Streitpunkt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht (BSG SozR 155 § 136 Nr. 10).

Zwar hat das SG den Antrag des Klägers sinngemäß dahin formuliert, dass dieser die Feststellung und Entschädigung (nur) einer BK Nr. 2108 und 2110 begehre. Jedoch hatte der Kläger schon mit der Klageschrift und ausdrücklich dann auch im Schreiben vom 30.11.1999 darauf hingewiesen, dass er auch die Prüfung der Voraussetzungen einer BK Nr. 2109 begehrt. Streitgegenstand war ohnehin, ob es sich bei den beim Kläger vorliegenden Wirbelsäulenbeschwerden um eine Berufskrankheit handele, so dass auch ohne ausdrücklichen Hinweis des Klägers zumindest im vorliegenden Fall (Tragen von Eisenstäben mit einem Gewicht von 50 bis 80 kg auf der Schulter über einen Zeitraum von ca. 30 Jahren bei Vorliegen degenerativer Veränderungen im HWS-Bereich) Anlass bestanden hätte, die Voraussetzungen der BK Nr. 2109 zu prüfen. Allenfalls dann, wenn der Kläger ausdrücklich darauf verzichtet hätte, eine BK Nr. 2109 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, hätte das SG von Ausführungen hierzu absehen können.

Die aufgeführten Verfahrensmängel sind überwiegend als wesentlich i.S.d. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG anzusehen. Wesentlich ist ein Verfahrensfehler dann, wenn das Urteil des SG auf ihm beruhen kann. Darüber hinaus muss der Verfahrensverstoß so erheblich sein, dass das erstinstanzliche Verfahren keine ordnungsgemäße Grundlage für eine Entscheidung darstellt (s. Fichte, Die Statthaftigkeit der Zurückverweisung gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG, in: SGb, 1987, S. 271, 273). Liegt ein Verfahrensverstoß in einer Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes, ist des Weiteren zu berücksichtigen, dass dieser Mangel die Aufhebung und Zurückverweisung nur dann rechtfertigt, wenn nicht oder nicht vollständig aufgeklärt worden ist, was das SG hätte aufklären müssen, wenn seine Auffassung der materiellen Rechtslage richtig wäre (Fichte, aa0.). Bezüglich des Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz sind diese Voraussetzungen hier jedenfalls insoweit gegeben, als das SG die Begutachtung aufgrund der älteren Röntgenbefunde hat ausreichen lassen. Sofern das SG davon ausgegangen sein sollte, dass der Streitgegenstand nicht die Prüfung der Erkrankung der HWS als BK mit umfasste, liegt jedoch (nur) im Hinblick auf den Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz zwar ein Verfahrensfehler vor, der jedoch im oben dargelegten Sinne nicht wesentlich ist.

Der auf der Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs beruhende Verfahrensverstoß ist insgesamt als wesentlich anzusehen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das SG in seiner Entscheidung zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es die Ausführungen des Klägers zur Kenntnis genommen hätte. Insoweit liegt ein wesentlicher Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs sowohl vor, als das SG den Hinweis auf die Röntgenbefunde von 1993 nicht beachtet hat als auch soweit das Begehren des Klägers bezüglich der Prüfung der bei ihm vorliegenden HWS-Beschwerden als BK keine Berücksichtigung gefunden hat.

Der Senat sieht eine Zurückverweisung aufgrund der oben genannten wesentlichen Verfahrensmängel im vorliegenden Fall auch als tunlich an.

Er hat dabei sowohl das Interesse des Klägers an der Wiedereröffnung der ersten (Tatsachen-)Instanz, als auch - andererseits - die durch eine infolge der Zurückverweisung auftretende Zeitverzögerung und somit Beeinträchtigung der rechtsstaatlich gebotenen Effektivität des Rechtsschutzes berücksichtigt. Auch die Belastungssituation der in der ersten Instanz tätigen Richter übersieht der Senat nicht.

Zwar ist das LSG ebenso Tatsacheninstanz wie das SG und deswegen ist eine abschließende Sachentscheidung die Regel, eine Zurückverweisung der Sache an das SG hingegen die Ausnahme. Dies darf aber nicht dazu führen, dass gerade in schwierigen Fällen, die eine eingehende Sachverhaltsaufklärung erfordern, diese Ermittlungsarbeit generell bzw. jedenfalls in zahlreichen Fällen dem Berufungsgericht überlassen wird, dem als zweiter Tatsacheninstanz doch im Wesentlichen nur eine Überprüfungsfunktion zukommen soll (vgl. Urteil des Senats vom 11.03.1998, L 2 V 1/98), und so dieses geradezu in die Rolle einer Eingangsinstanz gedrängt wird, während das erstinstanzliche Verfahren eine bloße "Durchlaufstation" darstellt, in der lediglich eine mehr oder minder summarische Prüfung stattfindet, da dies zu einer nicht mehr akzeptablen Verkürzung des sozialrechtlichen Rechtsschutzes führt.

Nach der für das SG bindenden Beurteilung des Senats ist somit zunächst zu klären, zu welchem Zeitpunkt der Kläger die lendenwirbelsäulenbelastende Tätigkeit aufgegeben ist. Des Weiteren muss noch ermittelt werden, ob der Kläger i. S. der BK Nr. 2109 langjährig Lasten auf der Schulter getragen hat und falls ja, bis zu welchem Zeitpunkt. Hierauf ist im Rahmen einer die Begutachtung vom 17.02.1999 zumindest ergänzenden Begutachtung bezogen auf den Zeitpunkt der endgültigen Aufgabe der lenden- bzw. halswirbelsäulenbelastenden Tätigkeit zu klären, ob die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 2108 und ggf. Nr. 2109 gegeben sind. Sofern dies bejaht werden kann, ist weiter zu prüfen, ob die berufliche Tätigkeit des Klägers die jeweilige BK auch rechtlich wesentlich verursacht hat.

Die Kostenentscheidung bleibt dem SG vorbehalten; Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 SGG).
Rechtskraft
Aus
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