Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 V 109/92
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 V 61/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Heilbehandlungsanspruch nach dem BVG (hier Hörgeräteversorgung)
stellt dem Grunde nach einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar. Um den
Heilbehandlungsanspruch zum Wegfall zu bringen, muß eine wesentliche Änderung
in rechtlicher oder medizinischer Hinsicht eingetreten sein.
stellt dem Grunde nach einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar. Um den
Heilbehandlungsanspruch zum Wegfall zu bringen, muß eine wesentliche Änderung
in rechtlicher oder medizinischer Hinsicht eingetreten sein.
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 29.09.1994 und der Bescheid des Beklagten vom 01.07.1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.11.1992 aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, der Klägerin weiterhin Hörhilfe im Wege der Heilbehandlung zu gewähren.
II. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Klägerin für die im Sinne der Verschlimmerung anerkannte Schädigungsfolge "Otosklerose beiderseits mit hochgradiger Schwerhörigkeit" weiterhin eine Hörgeräteversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zusteht.
Bei der am ...1928 geborenen Klägerin, die bei der Postbeamtenkrankenkasse, Bezirksstelle Nürnberg, krankenversichert ist, sind mit Bescheid vom 16.10.1952 als Schädigungsfolge mit einer nicht rentenberechtigenden MdE von 20 v.H. anerkannt worden: "Otosklerose beiderseits mit hochgradiger Schwerhörigkeit, nicht richtunggebend verschlimmert".
Am 16.01.1980 beantragte die Klägerin erstmals eine Hörgeräteversorgung bei der Orthopädischen Versorgungsstelle Würzburg (OVSt). Der HNO-Arzt Dr ... stellte in seinem versorgungsärztlichen Gutachten vom 05.03.1980 eine doppelseitige hochgradige an Taubheit grenzende kombinierte überwiegende Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits als Endstadium der anerkannten Otosklerose fest und bejahte eine Heilbehandlung mit der Begründung, der Anteil der Nichtschädigungsfolgen lasse sich sachlich nicht von dem als Schädigungsfolge anerkannten Anteil trennen. Das Versorgungsamt Würzburg (VA) teilte der OVSt auf Anfrage unter dem 12.03.1980 mit, daß unter Berücksichtigung dieses Gutachtens ein Hörgerät gem. § 10 Abs. 1 BVG zustehe. Da nach Sachlage anzunehmen sei, daß sich die Voraussetzungen zur Gewährung eines Hörgerätes mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern würden, könne auf eine weitere (spätere) versorgungsrechtliche Würdigung des Falles verzichtet werden.
Am 13.03.1980 bewilligte die OVSt ein Hörgerät und lieferte es am 02.04.1980 an die Klägerin aus. Ein förmlicher Bescheid erging an die Klägerin nicht.
In den folgenden Jahren versorgte die OVSt die Klägerin alle zwei Monate mit 16 Stück Batterien, bezahlte 1982 für die Instandsetzung des Hörgeräts 90,25 DM und übernahm 1983 die Kosten für ein neues Ohrpaßstück.
Am 25.04.1986 beantragte die Klägerin die Ausstattung mit einem weiteren Hörgerät. Die OVSt hielt eine versorgungsrechtliche Entscheidung durch das VA nicht mehr für erforderlich und holte ein Gutachten des HNO-Arztes Dr ... ein. Im Gutachten vom 11.06.1986 stellte dieser wiederum fest, daß sich Schädigungsfolgen und schädigungsfolgenfremde Anteile nicht voneinander trennen ließen, so daß Heilbehandlung und orthopädische Versorgung sowie die Ausstattung mit Hörgeräten für das Gesamtleiden zustehe. Die Ersatzbeschaffung habe auch im Hinblick auf die rechtliche Entscheidung des VA vom 12.03.1980 nach § 10 Abs. 1 Satz 2 BVG zu erfolgen. Für das Hörgerät müsse ein neues secret ear nach Maß angefertigt werden. Das Batteriekontingent sei das gleiche wie bisher. Es erging ein Auftrag zur Lieferung eines Hörgeräts im Wert von 1.359,90 DM. Die Klägerin bestätigte den Empfang des Hörgeräts am 26.06.1986. 1988 übernahm die OVSt Reparaturkosten für dieses Hörgerät, 1989 Kosten für ein Ohrpaßstück und 1990 wiederum Reparaturkosten für das Hörgerät.
Am 29.05.1992 beantragte die Klägerin erneut die Versorgung mit einem Hörgerät. Der HNO-Arzt Dr ... vertrat hierzu in einer von dem Beklagten veranlaßten Stellungnahme vom 10.06.1992 die Auffassung, der anerkannte Verschlimmerungsanteil sei für den Zustand, der hörprothetische Versorgung erfordere, ohne Einfluß, da die Hörhilfe auch ohne den Verschlimmerungsanteil notwendig sei. Seine gegenüber dem Gutachten des Dr ... vom 11.06.1986 abweichende Beurteilung beruhe auf der "Änderung zu § 10/2" BVG.
Daraufhin lehnte die OVSt mit Bescheid vom 01.07.1992 eine Versorgung mit einer Hörhilfe mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 10 BVG lägen nicht vor. Für die Hörgeräteversorgung sei deshalb die Krankenkasse zuständig. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte u.a. mit der Begründung zurück, die gegenüber Juni 1986 andere Beurteilung beruhe auf der Konkretisierung des § 10 Abs. 1 Satz 2 BVG durch die Verwaltungsvorschrift Nr. 2 zu § 10 BVG (Widerspruchsbescheid vom 02.11.1992).
Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Würzburg (SG) den HNO-Arzt Dr ... gehört (Gutachten vom 15.09.1993 / 02.04.1994). Dieser hat den überwiegenden Anteil der Schwerhörigkeit für schädigungsfremd und eine Hörgeräteversorgung auch ohne den schädigungsbedingten Anteil für erforderlich gehalten. Das SG hat die Postbeamtenkrankenkasse Nürnberg einfach beigeladen und die Klage mit Urteil vom 29.09.1994 abgewiesen. Es hat sich auf das Gutachten von Dr ... gestützt und ausgeführt, die Entscheidung über die jeweilige Versorgung mit dem Hilfsmittel "Hörgerät" sei auf Antrag jeweils neu zu treffen. Einen Automatismus gebe es nicht.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, ihr behandelnder HNO-Arzt Dr ... halte eine Hörhilfe wegen der Schädigungsfolgen für erforderlich. Die anerkannten Schädigungsfolgen seien zumindest gleichwertige Mitursache für die Notwendigkeit der Versorgung mit einem Hörgerät. Auch stelle sich die Frage, ob nicht ein Vertrauensschutz auf die weitere Bewilligung von Hörhilfen bestehe.
Der vom Senat gehörte Prof. Dr ..., Würzburg (Gutachten vom 23.04.1997 und 07.10.1997) hat die bei der Klägerin an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit auf eine schädigungsfremde Otosklerose zurückgeführt und die Hörgeräteversorgung auch ohne den als Schädigungsfolge anerkannten Verschlimmerungsanteil in gleichem Umfang für erforderlich gehalten.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Würzburg vom 29.09.1994 und des Bescheides vom 01.07.1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.11.1992 zu verpflichten, der Klägerin eine Hörhilfe gem. § 10 BVG zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 29.09.1994 zurückzuweisen und die Revision zuzulassen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Ergänzend wird auf die beigezogene Beschädigtenakte, die orthopädische Beiakte und die Schwerbehindertenakte des Beklagten, die Archivakten des Sozialgerichts Würzburg KB 9733/52 und S 4 Ar 68/80, die Archivakte des Bayer. Landessozialgerichts L 5 Ar 65/81 und die Gerichtsakten der ersten und zweiten Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz ) und begründet.
Der Klägerin steht Heilbehandlung nach dem BVG wegen der im Sinne der Verschlimmerung anerkannten Hörstörung auch weiterhin zu. Der Beklagte hätte eine Neufeststellung über den Heilbehandlungsanspruch der Klägerin treffen müssen und konnte nicht einfach über den Antrag der Klägerin nach den maßgeblichen Vorschriften der § 10 ff BVG entscheiden (vgl. BSGE 25, 260). Aber auch eine Entscheidung im Wege der Neufeststellung hätte den Heilbehandlungsanspruch der Klägerin nicht zum Wegfall gebracht, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen des Heilbehandlungsanspruches weder in rechtlicher noch in medizinischer Hinsicht eingetreten ist.
Die Versorgung umfaßt Heilbehandlung (§ 9 Nr. 1 BVG). Heilbehandlung wird gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 BVG Beschädigten für Gesundheitsstörungen, die als Folge einer Schädigung anerkannt oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden sind, gewährt, um die Gesundheitsstörungen oder die durch sie bewirkte Beeinträchtigung der Berufs- oder Erwerbsfähigkeit zu beseitigen oder zu bessern, eine Zunahme des Leidens zu verhüten, ... körperliche Beschwerden zu beheben, die Folgen der Schädigung zu erleichtern oder um die Beschädigten möglichst auf Dauer, in Arbeit, Beruf und Gesellschaft einzugliedern. Ist eine Gesundheitsstörung nur im Sinne der Verschlimmerung als Folge einer Schädigung anerkannt, wird abweichend von Satz 1 Heilbehandlung für die gesamte Gesundheitsstörung gewährt, es sei denn, daß die als Folge einer Schädigung anerkannte Gesundheitsstörung auf den Zustand, der Heilbehandlung erfordert, ohne Einfluß ist (§ 10 Abs. 1 Satz 2 BVG). Die Heilbehandlung umfaßt Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 BVG). Art, Umfang und besondere Voraussetzungen der Versorgung mit Hilfsmitteln sind in der Verordnung über die Versorgung mit Hilfsmitteln und über die Ersatzleistungen nach dem BVG (Orthopädieverordnung - OrthV) näher bestimmt (§ 24 a BVG). Danach werden Hörgeräte als Hörhilfe geliefert (§§ 16 Nr. 1 und 17 Abs. 1 OrthV). Nach den Richtlinien für die Verordnung von Hörhilfen im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts (Rundschreiben des BMA vom 19.06.1987 VI a 7 - 56017 vgl. Wilke/Fehl, Soziales Entschädigungsrecht, Kommentar, 7. Aufl., § 13 BVG RdNr. 55) hat der erstmaligen Gewährung einer Hörhilfe sowie jeder Ersatzbeschaffung eine HNO-ärztliche Untersuchung voranzugehen. Dabei ist zu klären, ob bei Beschädigten die anerkannten Schädigungsfolgen von ursächlicher Bedeutung für die Notwendigkeit der Hörhilfe sind. Nach § 18 a Abs. 6 Satz 1 BVG werden die Leistungen nach den §§ 10 - 24 a BVG bis zu dem Tag gewährt, an dem ihre Voraussetzungen entfallen.
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Die Änderung nach Erlaß des Verwaltungsaktes kann im tatsächlichen oder rechtlichen Bereich liegen (Schroeder-Printzen/Wiesner, SGB X, 3. Auflage, § 48 RdNr. 6). Vorausssetzung für die Feststellung, ob eine Änderung vorliegt, ist ein Vergleich zwischen den Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses der bindend gewordenen bescheidmäßigen Feststellung der Leistung und dem Zustand im Zeitpunkt der Neufeststellung (aaO § 48 RdNr. 7).
Der Beklagte hat über den Heilbehandlungsanspruch der Klägerin 1980 durch Verwaltungsakt entschieden. Diesem Verwaltungsakt kommt Dauerwirkung zu. Der Beklagte hat anläßlich des Erstantrags auf Ausstattung mit einem Hörgerät vom 16.01.1980 eine HNO-ärztliche Begutachtung veranlaßt, in der die medizinisch-kausalen Voraussetzungen für eine Hörgeräteversorgung bejaht wurden. Das VA hat in der Aktenverfügung vom 12.03.1980 die versorgungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Heilbehandlung bejaht. Die OVSt hat daraufhin die Klägerin am 02.04.1980 mit einem Hörgerät versorgt. Darin ist eine Entscheidung über den Heilbehandlungsanspruch der Klägerin durch Verwaltungsakt zu sehen. Der Klägerin wurde Heilbehandlung gem. § 10 Abs. 1 Satz 2 BVG dem Grunde nach zugestanden. Zwar erging dieser Verwaltungsakt weder schriftlich noch mündlich, sondern "in anderer Weise" (§ 33 Abs. 2 SGB X) durch Realakt oder konkludentes Handeln. Diese Form des Erlasses eines Verwaltungsakts genügt aber den gesetzlichen Anforderungen (vgl. Schroeder-Printzen aaO § 33 RdNr. 9 mit Verweisung auf BSG-Rechtsprechung). Dieser Entscheidung über den Grundanspruch auf Heilbehandlung kommt Dauerwirkung zu. Denn ihr Regelungsgehalt erschöpft sich nicht in einem einmaligen Bewilligungsvorgang, wie die mehrfachen Reparaturen und Ersatzbeschaffungen nach der erstmaligen Bewilligung zeigen. Die Gewährung von Heilbehandlung war zukunftsorientiert, die rechtliche Wirkung erstreckte sich über die einmalige Gestaltung der Rechtslage hinaus auf Dauer (vgl. Schroeder-Printzen/Wiesner aaO § 48 RdNr. 3). Der Beklagte hat die Voraussetzungen für den Heilbehandlungsanspruch nach versorgungsärztlicher Überprüfung auch bei der Ersatzbeschaffung 1986 unter Berufung auf die fortbestehenden Verhältnisse von 1980 für gegeben erachtet. Erst anläßlich der zweiten Ersatzbeschaffung hat der Beklagte den Anspruch auf Heilbehandlung verneint, ohne jedoch eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nachzuweisen.
Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse in rechtlicher Hinsicht liegt nicht vor. Der Beklagte hat sich zur Begründung der Änderung seiner Beurteilung auf eine " Konkretisierung " einer Verwaltungsvorschrift (VV) berufen. Die Neufassung der VV Nr. 2 zu § 10 BVG im Jahr 1986 stellt keine wesentliche Änderung im rechtlichen Bereich dar.
Die im Jahr 1980 geltende VV Nr. 2 zu § 10 BVG (Allgemeine VV zum BVG vom 26.06.1969 BAnz Nr. 119 vom 04.07.1969) hatte folgenden Wortlaut: "Der anerkannte Verschlimmerungsanteil übt einen Einfluß auf den behandlungsbedürftigen Zustand aus (§ 10 Abs. 1 Satz 2), wenn er wenigstens eine, wenn auch nicht wesentliche Bedingung für die Behandlungsbedürftigkeit des Gesamtleidens ist."
Diese VV wurde unter dem 27.08.1986 geändert (BAnz Nr. 161 vom 02.09.1986). Der bisherigen VV zu § 10 Nr. 2 wurde ein Halbsatz angefügt: " ...; der Verschlimmerungsanteil ist dann nicht Bedingung für die Behandlungsbedürftigkeit, wenn auch ohne ihn der jeweilige Behandlungsbedarf in gleichem Umfang bestehen würde".
Die Neufassungen von Verwaltungsanordnungen ohne Rechtssatzcharakter sind in der Regel Ausdruck einer geläuterten Rechtsauffassung, mit der zum Ausdruck gebracht wird, daß richtigerweise schon früher so hätte entschieden werden müssen. In diesen Fällen sind Verwaltungsakte, die sich trotz zwischenzeitlich geänderter Auffassung an überholten Verwaltungsanordnungen ausrichten, wegen anfänglicher Unrichtigkeit nach §§ 44, 45 SGB X aufzuheben (aaO § 48 Rdnr. 6). So ist es hier. Die VV zu § 10 Nr. 2 BVG hat sich in der Zeit zwischen der Erstgewährung von Heilbehandlung und dem angefochtenen Bescheid nicht entscheidend geändert. Die erfolgte Änderung ist nicht wie eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse zu beurteilen. Die Änderung erfolgte nur, um - wie der Beklagte richtig erkannt hat - die schon bislang bestehende Rechtslage zu konkretisieren. Eine solche Ergänzung von Verwaltungsvorschriften ist nicht vergleichbar mit der Änderung von Anhaltspunkten (AHP) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG), die wie Änderungen der rechtlichen Verhältnisse iSd § 48 SGB X wirken (BSG SozR 3 3870 § 3 Nr. 5). Der VV Nr. 2 zu § 10 BVG kommt keine rechtsnormähnliche Qualität zu, wie sie vom BSG den AHP nach dem SchwbG zuerkannt worden ist. Bei den AHP handelt es sich um ein geschlossenes Beurteilungsgefüge, auf das auch die Gerichte angewiesen sind (BSG aaO). Damit kann die VV Nr. 2 zu § 10 BVG nicht verglichen werden. Hinzu kommt, daß die VV nicht inhaltlich geändert, sondern - wie der Beklagte zu Recht erkannt hat - lediglich konkretisiert worden ist. Die Neufassung der VV hat nur die Rechtsanwendung (Subsumtion) verdeutlicht. Der Beklagte hat sich bei der Anwendung der VV von 1969 auch nicht nach einem veröffentlichten, aber fehlerhaften Maßstab gerichtet. Vorliegend haben sich nämlich nicht nachträglich Tatsachen geändert, die nach einem veröffentlichten fehlerhaften Maßstab wesentlich sind und auf die der Bewilligungsbescheid zu Unrecht gestützt worden ist (vgl. hierzu BSG SozR 3 1300 § 48 Nr. 60).
Auch in medizinischer Hinsicht ist eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nicht eingetreten. Zwar ist nach den Feststellungen des Dr ... (ergänzende Stellungnahme vom 02.04.1994) und des Prof. Dr ... (Gutachten vom 07.10.1997) eine Hörgeräteversorgung beiderseits auch ohne den als Schädigungsfolge anerkannten Verschlimmerungsanteil in gleichem Umfang erforderlich, so daß eine Hörgeräteversorgung schon bei der ersten Antragstellung im Jahre 1980 nicht zustand. Bei der Klägerin bestand aber nach den Feststellungen des HNO-Arztes Dr ... vom 05.03.1980 bereits 1980 eine hochgradige an Taubheit grenzende kombinierte, überwiegende Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits als E n d s t a d i u m der (anerkannten) Otosklerose. An diesem Zustand hat sich nach den übereinstimmenden Feststellungen der gehörten Sachverständigen nichts geändert. Eine Aufhebung des Anspruches auf Heilbehandlung könnte daher nur im Wege des § 45 SGB X erfolgen. Die dort niedergelegten Fristen sind jedoch abgelaufen.
Nach alledem besteht der Anspruch der Klägerin auf eine Hörgeräteversorgung zu Recht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Rechtsfrage, ob der Heilbehandlungsanspruch nach dem BVG (hier Hörgeräteversorgung) dem Grunde nach einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung darstellt, grundsätzliche Bedeutung zumißt.
II. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Klägerin für die im Sinne der Verschlimmerung anerkannte Schädigungsfolge "Otosklerose beiderseits mit hochgradiger Schwerhörigkeit" weiterhin eine Hörgeräteversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zusteht.
Bei der am ...1928 geborenen Klägerin, die bei der Postbeamtenkrankenkasse, Bezirksstelle Nürnberg, krankenversichert ist, sind mit Bescheid vom 16.10.1952 als Schädigungsfolge mit einer nicht rentenberechtigenden MdE von 20 v.H. anerkannt worden: "Otosklerose beiderseits mit hochgradiger Schwerhörigkeit, nicht richtunggebend verschlimmert".
Am 16.01.1980 beantragte die Klägerin erstmals eine Hörgeräteversorgung bei der Orthopädischen Versorgungsstelle Würzburg (OVSt). Der HNO-Arzt Dr ... stellte in seinem versorgungsärztlichen Gutachten vom 05.03.1980 eine doppelseitige hochgradige an Taubheit grenzende kombinierte überwiegende Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits als Endstadium der anerkannten Otosklerose fest und bejahte eine Heilbehandlung mit der Begründung, der Anteil der Nichtschädigungsfolgen lasse sich sachlich nicht von dem als Schädigungsfolge anerkannten Anteil trennen. Das Versorgungsamt Würzburg (VA) teilte der OVSt auf Anfrage unter dem 12.03.1980 mit, daß unter Berücksichtigung dieses Gutachtens ein Hörgerät gem. § 10 Abs. 1 BVG zustehe. Da nach Sachlage anzunehmen sei, daß sich die Voraussetzungen zur Gewährung eines Hörgerätes mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern würden, könne auf eine weitere (spätere) versorgungsrechtliche Würdigung des Falles verzichtet werden.
Am 13.03.1980 bewilligte die OVSt ein Hörgerät und lieferte es am 02.04.1980 an die Klägerin aus. Ein förmlicher Bescheid erging an die Klägerin nicht.
In den folgenden Jahren versorgte die OVSt die Klägerin alle zwei Monate mit 16 Stück Batterien, bezahlte 1982 für die Instandsetzung des Hörgeräts 90,25 DM und übernahm 1983 die Kosten für ein neues Ohrpaßstück.
Am 25.04.1986 beantragte die Klägerin die Ausstattung mit einem weiteren Hörgerät. Die OVSt hielt eine versorgungsrechtliche Entscheidung durch das VA nicht mehr für erforderlich und holte ein Gutachten des HNO-Arztes Dr ... ein. Im Gutachten vom 11.06.1986 stellte dieser wiederum fest, daß sich Schädigungsfolgen und schädigungsfolgenfremde Anteile nicht voneinander trennen ließen, so daß Heilbehandlung und orthopädische Versorgung sowie die Ausstattung mit Hörgeräten für das Gesamtleiden zustehe. Die Ersatzbeschaffung habe auch im Hinblick auf die rechtliche Entscheidung des VA vom 12.03.1980 nach § 10 Abs. 1 Satz 2 BVG zu erfolgen. Für das Hörgerät müsse ein neues secret ear nach Maß angefertigt werden. Das Batteriekontingent sei das gleiche wie bisher. Es erging ein Auftrag zur Lieferung eines Hörgeräts im Wert von 1.359,90 DM. Die Klägerin bestätigte den Empfang des Hörgeräts am 26.06.1986. 1988 übernahm die OVSt Reparaturkosten für dieses Hörgerät, 1989 Kosten für ein Ohrpaßstück und 1990 wiederum Reparaturkosten für das Hörgerät.
Am 29.05.1992 beantragte die Klägerin erneut die Versorgung mit einem Hörgerät. Der HNO-Arzt Dr ... vertrat hierzu in einer von dem Beklagten veranlaßten Stellungnahme vom 10.06.1992 die Auffassung, der anerkannte Verschlimmerungsanteil sei für den Zustand, der hörprothetische Versorgung erfordere, ohne Einfluß, da die Hörhilfe auch ohne den Verschlimmerungsanteil notwendig sei. Seine gegenüber dem Gutachten des Dr ... vom 11.06.1986 abweichende Beurteilung beruhe auf der "Änderung zu § 10/2" BVG.
Daraufhin lehnte die OVSt mit Bescheid vom 01.07.1992 eine Versorgung mit einer Hörhilfe mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 10 BVG lägen nicht vor. Für die Hörgeräteversorgung sei deshalb die Krankenkasse zuständig. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte u.a. mit der Begründung zurück, die gegenüber Juni 1986 andere Beurteilung beruhe auf der Konkretisierung des § 10 Abs. 1 Satz 2 BVG durch die Verwaltungsvorschrift Nr. 2 zu § 10 BVG (Widerspruchsbescheid vom 02.11.1992).
Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Würzburg (SG) den HNO-Arzt Dr ... gehört (Gutachten vom 15.09.1993 / 02.04.1994). Dieser hat den überwiegenden Anteil der Schwerhörigkeit für schädigungsfremd und eine Hörgeräteversorgung auch ohne den schädigungsbedingten Anteil für erforderlich gehalten. Das SG hat die Postbeamtenkrankenkasse Nürnberg einfach beigeladen und die Klage mit Urteil vom 29.09.1994 abgewiesen. Es hat sich auf das Gutachten von Dr ... gestützt und ausgeführt, die Entscheidung über die jeweilige Versorgung mit dem Hilfsmittel "Hörgerät" sei auf Antrag jeweils neu zu treffen. Einen Automatismus gebe es nicht.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, ihr behandelnder HNO-Arzt Dr ... halte eine Hörhilfe wegen der Schädigungsfolgen für erforderlich. Die anerkannten Schädigungsfolgen seien zumindest gleichwertige Mitursache für die Notwendigkeit der Versorgung mit einem Hörgerät. Auch stelle sich die Frage, ob nicht ein Vertrauensschutz auf die weitere Bewilligung von Hörhilfen bestehe.
Der vom Senat gehörte Prof. Dr ..., Würzburg (Gutachten vom 23.04.1997 und 07.10.1997) hat die bei der Klägerin an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit auf eine schädigungsfremde Otosklerose zurückgeführt und die Hörgeräteversorgung auch ohne den als Schädigungsfolge anerkannten Verschlimmerungsanteil in gleichem Umfang für erforderlich gehalten.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Würzburg vom 29.09.1994 und des Bescheides vom 01.07.1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.11.1992 zu verpflichten, der Klägerin eine Hörhilfe gem. § 10 BVG zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 29.09.1994 zurückzuweisen und die Revision zuzulassen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Ergänzend wird auf die beigezogene Beschädigtenakte, die orthopädische Beiakte und die Schwerbehindertenakte des Beklagten, die Archivakten des Sozialgerichts Würzburg KB 9733/52 und S 4 Ar 68/80, die Archivakte des Bayer. Landessozialgerichts L 5 Ar 65/81 und die Gerichtsakten der ersten und zweiten Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz ) und begründet.
Der Klägerin steht Heilbehandlung nach dem BVG wegen der im Sinne der Verschlimmerung anerkannten Hörstörung auch weiterhin zu. Der Beklagte hätte eine Neufeststellung über den Heilbehandlungsanspruch der Klägerin treffen müssen und konnte nicht einfach über den Antrag der Klägerin nach den maßgeblichen Vorschriften der § 10 ff BVG entscheiden (vgl. BSGE 25, 260). Aber auch eine Entscheidung im Wege der Neufeststellung hätte den Heilbehandlungsanspruch der Klägerin nicht zum Wegfall gebracht, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen des Heilbehandlungsanspruches weder in rechtlicher noch in medizinischer Hinsicht eingetreten ist.
Die Versorgung umfaßt Heilbehandlung (§ 9 Nr. 1 BVG). Heilbehandlung wird gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 BVG Beschädigten für Gesundheitsstörungen, die als Folge einer Schädigung anerkannt oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden sind, gewährt, um die Gesundheitsstörungen oder die durch sie bewirkte Beeinträchtigung der Berufs- oder Erwerbsfähigkeit zu beseitigen oder zu bessern, eine Zunahme des Leidens zu verhüten, ... körperliche Beschwerden zu beheben, die Folgen der Schädigung zu erleichtern oder um die Beschädigten möglichst auf Dauer, in Arbeit, Beruf und Gesellschaft einzugliedern. Ist eine Gesundheitsstörung nur im Sinne der Verschlimmerung als Folge einer Schädigung anerkannt, wird abweichend von Satz 1 Heilbehandlung für die gesamte Gesundheitsstörung gewährt, es sei denn, daß die als Folge einer Schädigung anerkannte Gesundheitsstörung auf den Zustand, der Heilbehandlung erfordert, ohne Einfluß ist (§ 10 Abs. 1 Satz 2 BVG). Die Heilbehandlung umfaßt Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 BVG). Art, Umfang und besondere Voraussetzungen der Versorgung mit Hilfsmitteln sind in der Verordnung über die Versorgung mit Hilfsmitteln und über die Ersatzleistungen nach dem BVG (Orthopädieverordnung - OrthV) näher bestimmt (§ 24 a BVG). Danach werden Hörgeräte als Hörhilfe geliefert (§§ 16 Nr. 1 und 17 Abs. 1 OrthV). Nach den Richtlinien für die Verordnung von Hörhilfen im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts (Rundschreiben des BMA vom 19.06.1987 VI a 7 - 56017 vgl. Wilke/Fehl, Soziales Entschädigungsrecht, Kommentar, 7. Aufl., § 13 BVG RdNr. 55) hat der erstmaligen Gewährung einer Hörhilfe sowie jeder Ersatzbeschaffung eine HNO-ärztliche Untersuchung voranzugehen. Dabei ist zu klären, ob bei Beschädigten die anerkannten Schädigungsfolgen von ursächlicher Bedeutung für die Notwendigkeit der Hörhilfe sind. Nach § 18 a Abs. 6 Satz 1 BVG werden die Leistungen nach den §§ 10 - 24 a BVG bis zu dem Tag gewährt, an dem ihre Voraussetzungen entfallen.
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Die Änderung nach Erlaß des Verwaltungsaktes kann im tatsächlichen oder rechtlichen Bereich liegen (Schroeder-Printzen/Wiesner, SGB X, 3. Auflage, § 48 RdNr. 6). Vorausssetzung für die Feststellung, ob eine Änderung vorliegt, ist ein Vergleich zwischen den Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses der bindend gewordenen bescheidmäßigen Feststellung der Leistung und dem Zustand im Zeitpunkt der Neufeststellung (aaO § 48 RdNr. 7).
Der Beklagte hat über den Heilbehandlungsanspruch der Klägerin 1980 durch Verwaltungsakt entschieden. Diesem Verwaltungsakt kommt Dauerwirkung zu. Der Beklagte hat anläßlich des Erstantrags auf Ausstattung mit einem Hörgerät vom 16.01.1980 eine HNO-ärztliche Begutachtung veranlaßt, in der die medizinisch-kausalen Voraussetzungen für eine Hörgeräteversorgung bejaht wurden. Das VA hat in der Aktenverfügung vom 12.03.1980 die versorgungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Heilbehandlung bejaht. Die OVSt hat daraufhin die Klägerin am 02.04.1980 mit einem Hörgerät versorgt. Darin ist eine Entscheidung über den Heilbehandlungsanspruch der Klägerin durch Verwaltungsakt zu sehen. Der Klägerin wurde Heilbehandlung gem. § 10 Abs. 1 Satz 2 BVG dem Grunde nach zugestanden. Zwar erging dieser Verwaltungsakt weder schriftlich noch mündlich, sondern "in anderer Weise" (§ 33 Abs. 2 SGB X) durch Realakt oder konkludentes Handeln. Diese Form des Erlasses eines Verwaltungsakts genügt aber den gesetzlichen Anforderungen (vgl. Schroeder-Printzen aaO § 33 RdNr. 9 mit Verweisung auf BSG-Rechtsprechung). Dieser Entscheidung über den Grundanspruch auf Heilbehandlung kommt Dauerwirkung zu. Denn ihr Regelungsgehalt erschöpft sich nicht in einem einmaligen Bewilligungsvorgang, wie die mehrfachen Reparaturen und Ersatzbeschaffungen nach der erstmaligen Bewilligung zeigen. Die Gewährung von Heilbehandlung war zukunftsorientiert, die rechtliche Wirkung erstreckte sich über die einmalige Gestaltung der Rechtslage hinaus auf Dauer (vgl. Schroeder-Printzen/Wiesner aaO § 48 RdNr. 3). Der Beklagte hat die Voraussetzungen für den Heilbehandlungsanspruch nach versorgungsärztlicher Überprüfung auch bei der Ersatzbeschaffung 1986 unter Berufung auf die fortbestehenden Verhältnisse von 1980 für gegeben erachtet. Erst anläßlich der zweiten Ersatzbeschaffung hat der Beklagte den Anspruch auf Heilbehandlung verneint, ohne jedoch eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nachzuweisen.
Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse in rechtlicher Hinsicht liegt nicht vor. Der Beklagte hat sich zur Begründung der Änderung seiner Beurteilung auf eine " Konkretisierung " einer Verwaltungsvorschrift (VV) berufen. Die Neufassung der VV Nr. 2 zu § 10 BVG im Jahr 1986 stellt keine wesentliche Änderung im rechtlichen Bereich dar.
Die im Jahr 1980 geltende VV Nr. 2 zu § 10 BVG (Allgemeine VV zum BVG vom 26.06.1969 BAnz Nr. 119 vom 04.07.1969) hatte folgenden Wortlaut: "Der anerkannte Verschlimmerungsanteil übt einen Einfluß auf den behandlungsbedürftigen Zustand aus (§ 10 Abs. 1 Satz 2), wenn er wenigstens eine, wenn auch nicht wesentliche Bedingung für die Behandlungsbedürftigkeit des Gesamtleidens ist."
Diese VV wurde unter dem 27.08.1986 geändert (BAnz Nr. 161 vom 02.09.1986). Der bisherigen VV zu § 10 Nr. 2 wurde ein Halbsatz angefügt: " ...; der Verschlimmerungsanteil ist dann nicht Bedingung für die Behandlungsbedürftigkeit, wenn auch ohne ihn der jeweilige Behandlungsbedarf in gleichem Umfang bestehen würde".
Die Neufassungen von Verwaltungsanordnungen ohne Rechtssatzcharakter sind in der Regel Ausdruck einer geläuterten Rechtsauffassung, mit der zum Ausdruck gebracht wird, daß richtigerweise schon früher so hätte entschieden werden müssen. In diesen Fällen sind Verwaltungsakte, die sich trotz zwischenzeitlich geänderter Auffassung an überholten Verwaltungsanordnungen ausrichten, wegen anfänglicher Unrichtigkeit nach §§ 44, 45 SGB X aufzuheben (aaO § 48 Rdnr. 6). So ist es hier. Die VV zu § 10 Nr. 2 BVG hat sich in der Zeit zwischen der Erstgewährung von Heilbehandlung und dem angefochtenen Bescheid nicht entscheidend geändert. Die erfolgte Änderung ist nicht wie eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse zu beurteilen. Die Änderung erfolgte nur, um - wie der Beklagte richtig erkannt hat - die schon bislang bestehende Rechtslage zu konkretisieren. Eine solche Ergänzung von Verwaltungsvorschriften ist nicht vergleichbar mit der Änderung von Anhaltspunkten (AHP) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG), die wie Änderungen der rechtlichen Verhältnisse iSd § 48 SGB X wirken (BSG SozR 3 3870 § 3 Nr. 5). Der VV Nr. 2 zu § 10 BVG kommt keine rechtsnormähnliche Qualität zu, wie sie vom BSG den AHP nach dem SchwbG zuerkannt worden ist. Bei den AHP handelt es sich um ein geschlossenes Beurteilungsgefüge, auf das auch die Gerichte angewiesen sind (BSG aaO). Damit kann die VV Nr. 2 zu § 10 BVG nicht verglichen werden. Hinzu kommt, daß die VV nicht inhaltlich geändert, sondern - wie der Beklagte zu Recht erkannt hat - lediglich konkretisiert worden ist. Die Neufassung der VV hat nur die Rechtsanwendung (Subsumtion) verdeutlicht. Der Beklagte hat sich bei der Anwendung der VV von 1969 auch nicht nach einem veröffentlichten, aber fehlerhaften Maßstab gerichtet. Vorliegend haben sich nämlich nicht nachträglich Tatsachen geändert, die nach einem veröffentlichten fehlerhaften Maßstab wesentlich sind und auf die der Bewilligungsbescheid zu Unrecht gestützt worden ist (vgl. hierzu BSG SozR 3 1300 § 48 Nr. 60).
Auch in medizinischer Hinsicht ist eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nicht eingetreten. Zwar ist nach den Feststellungen des Dr ... (ergänzende Stellungnahme vom 02.04.1994) und des Prof. Dr ... (Gutachten vom 07.10.1997) eine Hörgeräteversorgung beiderseits auch ohne den als Schädigungsfolge anerkannten Verschlimmerungsanteil in gleichem Umfang erforderlich, so daß eine Hörgeräteversorgung schon bei der ersten Antragstellung im Jahre 1980 nicht zustand. Bei der Klägerin bestand aber nach den Feststellungen des HNO-Arztes Dr ... vom 05.03.1980 bereits 1980 eine hochgradige an Taubheit grenzende kombinierte, überwiegende Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits als E n d s t a d i u m der (anerkannten) Otosklerose. An diesem Zustand hat sich nach den übereinstimmenden Feststellungen der gehörten Sachverständigen nichts geändert. Eine Aufhebung des Anspruches auf Heilbehandlung könnte daher nur im Wege des § 45 SGB X erfolgen. Die dort niedergelegten Fristen sind jedoch abgelaufen.
Nach alledem besteht der Anspruch der Klägerin auf eine Hörgeräteversorgung zu Recht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Rechtsfrage, ob der Heilbehandlungsanspruch nach dem BVG (hier Hörgeräteversorgung) dem Grunde nach einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung darstellt, grundsätzliche Bedeutung zumißt.
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