L 2 B 8/01 RJ

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 RJ 204/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 B 8/01 RJ
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 13.12.2000 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

In der beim SG Würzburg anhängigen Rentenversicherungs-Streitsache (S 8 RJ 204/98) des Beschwerdeführers (BF) gegen die Landesversicherungsanstalt Unterfranken (Beklagte) beauftragte der zuständige Richter mit Beweisanordnung vom 07.12.2000 Dr. M. S. mit der Erstellung eines Gutachtens.

Mit Schreiben vom 12.12.2000 (Telefax) lehnte der Prozessbevollmächtigte des BF den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dr.S. sei in der gleichen Sache bereits mehrfach tätig gewesen, und zwar als Gewerbearzt in der BG-Sache mit etwa 1 bis 2 Stellungnahmen. Sein Mandant gehe deshalb von einer Prägung aus dieser beruflichen Position in der gleichen Beurteilungsangelegenheit der Leistungseinschränkung aus, die eine objektive Beurteilung ausschließe.

Mit Beschluss vom 13.12.2000 hat das SG Würzburg den Ablehnungsantrag zurückgewiesen. Eine mögliche Tätigkeit in einem anderen Verwaltungsverfahren genüge nicht, an der Unparteilichkeit des ärztlichen Sachverständigen zu zweifeln. Es sei nicht ersichtlich, weshalb der Sachverständige in dem hier vorliegenden Rentenverfahren voreingenommen sein sollte.

Gegen den Beschluss legte der BF am 28.12.2000 Beschwerde ein, in der er darauf hinwies, Dr.S. habe im Verwaltungsverfahren bezüglich der Berufserkrankung des Klägers eine in sachlich nicht begründbarer Weise leistungsverweigernde Haltung eingenommen. Dr.S. Kollege Prof.Dr.H. habe im Verfahren S 5 SB 470/97 sich gleichfalls in nicht sachlich nachvollziehbarer Weise negativ geäußert, da er einen Gesamt-GdB von 20 angenommen habe, während im gerichtlichen Urteil ein GdB von 40 festgestellt worden sei. Auch diese Diskrepanz zeige die fehlende Bereitschaft und wohl auch Möglichkeit zu sachlichen Feststellungen im gewerbeärztlichen Dienst. Es sei anzunehmen, dass Dr.S. wegen Rücksichten auf seinen einzigen Kollegen Prof.Dr.H. auch im anhängigen Verfahren unfrei sei. Für Dr.S. bestünden schon durch Behördenaufgaben restriktive Vorgaben, wie sie bei allen behördlichen Gutachtern grundsätzlich bewertungsbestimmend seien. Ein Terminsgutachten stelle von vornherein eine Überforderung des Gutachters dar, gegen die er sich, wenn er objektiv wäre und sich nicht als Behördenbediensteter des Gerichts fühlte, zur Wehr setzen müsste. Behördliche Gutachter seien, was die Besorgnis der Befangenheit angehe, als Belastete anzusehen, weil die behördliche Solidarität eine enorme Rolle spiele. Der Kläger könne in der Regel davon ausgehen, dass die Beauftragung eines Behördengutachters dazu führe, dass die Verwaltungsgutachten weitestgehend aufrechterhalten würden. Im Übrigen fehlten Dr.S. die diagnostischen Mittel, die für genauere Gutachten unbedingt und unverzichtbar Voraussetzung seien. Es fehle dem Behördengutachter in aller Regel der weite Überblick über die medizinische Entwicklung und der Wissenshöchststand für das spezielle Fachgebiet. Außerdem ergebe sich zwischen Gewerbe- und BG-Ärzten ein sehr enger Kontakt. Der Gewerbearzt habe nur eine mitvollziehende eingeschränkt kontrollierende Funktion und sei in den Gesamtvollzug des Unfallversicherungsträgers stark eingebunden. Eine kritische Kontrolle und Infragestellung der Verwaltungstätigkeit sei absolut nicht Aufgabe des Gutachters. Von dieser Haltung her sei der gewerbeärztliche Gutachter bereits generell nicht geeignet, die gerichtliche Gutachtertätigkeit auszuüben, die die grundsätzliche Infragestellung des Verwaltungshandelns bedeute.

Der Prozessbevollmächtigte hat eine ärztliche Stellungnahme des Dr.S. für die Süddeutsche Metall-BG vom 10.07.1996, ein ärztliches Gutachten für die Süddeutsche Metall-BG vom 17.08. 1998, ein Gutachten von Prof.Dr.E. für die Süddeutsche Metall-BG vom 31.07.1998, einen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung Würzburg vom 23.03.2000, einen Beitrag zur Anhörung der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag mit dem Thema "Die Problematik medizinischer Gutachten" von I. S. , Referatsleiter Sozialdatenschutz beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz, vom 20.10.1999, ein Schreiben des MdB H. B. an den Präsidenten des Bundesversicherungsamtes vom 26.10.1998, ein Schreiben des Präsidenten des Bundesversicherungsamtes an den Abgeordneten Büttner vom 25.11.1998, ein Schreiben des Bundesversicherungsamtes an die bundesunmittelbaren gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 25.11.1998, ein Schreiben des Bundesbeauftragten für Datenschutz an den Abgeordneten B. vom 30.10.1998 sowie ein Gutachten des Arztes im gewerbeärztlichen Dienst Prof.Dr.H. vom 07.05. 1998 in der Streitsache S 5 SB 470/97 beigefügt.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie am 03.01. 2001 dem Bayer. Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Beschwerdeakte sowie der beigezogenen Verwaltungs- und Klageakten Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 172, 173 SGG zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Gemäß § 118 Abs.1 SGG sind für die Beweisaufnahme im sozialgerichtlichen Verfahren die Vorschriften der ZPO u.a. über die Ablehnung eines Sachverständigen entsprechend anzuwenden. Gemäß § 406 Abs.1 Satz 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Diese Gründe ergeben sich aus § 60 SGG in Verbindung mit § 42 Abs.2 ZPO. Eine Besorgnis der Befangenheit liegt nur dann vor, wenn ein objektiv vernünftiger Grund gegeben ist, der den am Verfahren Beteiligten auch von seinem Standpunkt aus befürchten lassen kann, der Sachverständige werde nicht unparteiisch entscheiden. Eine rein subjektiv unvernünftige Vorstellung ist unerheblich. Entscheidend ist ausschließlich, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu zweifeln (vgl. Thomas/Putzo, Kommentar zu ZPO, 21. Auflage § 42 Anm.9).

Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen ist das Ablehnungsgesuch nicht begründet. Eine Befangenheit des Sachverständigen Dr.S. ist nach Sachlage nicht zu befürchten. Der Beschluss des SG Würzburg vom 13.12.2000 ist nicht zu beanstanden.

Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 11.12.1992, Az. 9 A Rv 6/92 überzeugend ausgeführt, wann ein im Öffentlichen Dienst tätiger Arzt als Sachverständiger im Gerichtsverfahren auch von einem objektiv vernünftigen Prozessbeteiligten als befangen angesehen werden kann. In dem vom BSG entschiedenen Fall, in dem die Klägerin Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz begehrte, sah sie zu Recht den vom SG beauftragen Sachverständigen, der zugleich Arzt beim Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen war, als befangen an, da, wie das BSG zutreffend ausführt, die dienstliche Stellung des in der Versorgungsverwaltung tätigen Arztes die Frage rechtfertige, ob sich der Arzt als Sachverständiger von Rücksichten auf die Interessen seines Dienstherrn frei machen könne und ob er ohne Hemmungen die ärztlichen Stellungnahmen seiner in derselben Sache bereits tätig gewordenen Kollegen aus der Versorgungsverwaltung kritisch zu beurteilen vermöge. Die Verknüpfung des Arztes mit den Interessen seines Dienstherrn und Rücksichten gegenüber den im gleichen Verwaltungsbereich tätig werdenden Kollegen rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit, nicht aber schlechthin der Umstand, dass ein Arzt zugleich im Öffentlichen Dienst beschäftigt ist. Dem steht nicht entgegen, dass das Bundessozialgericht die Besorgnis der Befangenheit auch dann für berechtigt hält, wenn der Sachverständige als Versorgungsarzt im Dienst eines anderen Landes als des Beklagten steht. Hierzu hat es zutreffend ausgeführt, dass die Bundesländer nach außen als Einheit erscheinen, da sie das Bundesversorgungsgesetz im Auftrag des Bundes auf dessen Kosten jeweils in ihrem Gebiet ausführen. Das BSG hat weiter darauf hingewiesen, dass dieses Bild der Einheit der Versorgungsverwaltung auch durch die allgemeinen Verwaltungsvorschriften, Richtlinien und Rundschreiben des BMA, wodurch auf eine einheitliche Verwaltungspraxis hingewirkt wird, verstärkt wird. Nicht hat es ausgeführt, dass auf den begutachtenden Arzt durch allgemeine Verwaltungsvorschriften, Richtlinien und Rundschreiben auf eine bestimmte Verhaltensweise hingewirkt wird und dass nicht erwartet werden kann, dass der verbeamtete oder angestellte Arzt sich aus diesem Bindungsgeflecht herauslösen könne, wenn er als Gutachter für das SG auftrete.

Es ist irrig zu meinen, dass ein im öffentlichen Dienst tätiger Arzt grundsätzlich ein Gutachten nicht unparteiisch erstatten werde. Ein derart pauschaler Vorwurf ist ohnehin kaum einem Beweis zugänglich und als Misstrauensgrund daher nicht geeignet. Zu Recht hat das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz im Beschluss vom 18.11.1985, Az. L 3 Sb 96/85 (Breithaupt 1986 S.638 ff.), ausgeführt, dass die von den Versicherungsträgern im Verwaltungsverfahren eingeholten, von den Gerichten im Wege des Urkundenbeweises zu verwertenden Gutachten keine Privatgutachten sind, da auch die Sozialversicherungsträger wie die Gerichte den öffentlich-rechtlichen Auftrag haben, die Durchsetzung der Rechte der Bürger in einem rechtstaatlich geordneten Verfahren zu gewährleisten. Sie und die von ihnen zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts als Hilfspersonen herangezogenen Ärzte haben den Sachverhalt objektiv zu ermitteln und daher von Amts wegen auch für den Versicherten günstige Umstände zu berücksichtigen (§ 20 Abs.2 SGB X). Es ist danach grundsätzlich nicht davon auszugehen, dass der verbeamtete oder im Öffentlichen Dienst angestellte Arzt das Gutachten einseitig zu Gunsten eines Versicherungsträgers erstattet.

Dr.S. ist zudem nicht für einen Rentenversicherungsträger tätig, sondern beim Gewerbeaufsichtsamt. Im Verhältnis zwischen Gewerbeaufsichtsamt und Rentenversicherungsträger besteht kein Über- oder Unterordnungsverhältnis, sondern es handelt sich um zwei staats- und organisationsrechtlich voneinander unabhängige Institutionen. Dies gilt im Übrigen auch für das Verhältnis zwischen Gewerbeaufsichtsamt und Unfallversicherungsträger. Die Tätigkeit der Staatlichen Gewerbeärzte stellt sich als eine externe Mitarbeit zur Unterstützung eines anderen öffentlichen Aufgabenträgers dar und wird durch die begrenzte Beteiligung an einem fremden Verwaltungsverfahren ausgeübt. Bei einer verständigen Betrachtung der Sachlage liegt kein hinreichender Grund vor, der zu Zweifeln an der Unparteilichkeit Anlass geben könnte. Auch eine Tätigkeit im berufsgenossenschaftlichen Verwaltungsverfahren ist kein Ablehnungsgrund. Die Inanspruchnahme unabhängiger Gutachter durch die Sozialleistungsträger ergeht nicht mit dem vorrangigen Ziel, mit Hilfe des Gutachtens, von dem sie sich ein bestimmtes Ergebnis erwarten, Ansprüche abzuwehren. Die Tätigkeit des Dr.S. als Gutachter in anderen Verwaltungsverfahren bietet überdies keinen Anhalt für ein irgendwie geartetes Abhängigkeitsverhältnis zur Beklagten, das eine Ablehnung rechtfertigen könnte (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage § 118 Anm.12l; Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 24.07.1996, Breithaupt 1997, S.373 ff.).

Die Tatsache, dass der Kollege des Dr.S. , Prof.Dr.H. , im Schwerbehindertenverfahren ein Gutachten erstellt hat, ist gleichfalls kein Ablehnungsgrund, zumal im Rahmen des Schwerbehindertenrechts völlig andere Bewertungsmaßstäbe gelten als im Rentenversicherungsrecht und schon insofern eine Rücksichtnahme gegenüber dem Kollegen, die Dr.S. daran hindern könnte, im Gutachten zu anderen Ergebnissen zu kommen, nicht veranlasst ist.

Im Übrigen hat der Gesetzgeber des SGG gesehen, dass Kläger für sie ungünstige Gutachten in vielen Fällen nicht anerkennen werden, weil sie meinen, das Gericht habe einen ungeeigneten oder von vornherein gegen sie eingestellten, als besonders ablehnungsgeneigt geltenden Gutachter ausgewählt. Auch aus diesen Gründen gibt das SGG den Klägern die Möglichkeit, dem Gericht einen Gutachter ihres Vertrauens zu benennen, der dann in aller Regel beauftragt wird, und zwar unabhängig davon, ob bereits im Verwaltungsverfahren erstellte Gutachten oder Gerichtsgutachten von Amts wegen vorliegen. Das Gesetz will damit einen Vorsprung der Verwaltung bei der Feststellung des medizinischen Sachverhalts durch von ihr beauftragte und bezahlte Gutachter ausgleichen und dem Kläger die Möglichkeit geben, für ihn ungünstige Begutachtungen durch einen Arzt seines Vertrauens überprüfen zu lassen. Welchem Gutachten dann zu folgen ist, hat das Gericht unter Würdigung der von den Sachverständigen ins Feld geführten Argumente und der Überzeugungskraft ihrer Stellungnahmen zu entscheiden (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18.11. 1985, Breithaupt 1996, S.638).

Inwieweit Dr.S. wissenschaftlich kompetent genug ist, das Gutachten zu erstellen, ist in erster Linie eine Frage seiner Qualifikation, die notwendigerweise im Zusammenhang mit der Verwertbarkeit des Gutachtens diskutiert werden muss. Sie ist aber ohne Bedeutung für eine behauptete Befangenheit.

Aus diesen Gründen ist die Beschwerde gegen dem Beschluss des SG Würzburg vom 13.12.2000 zurückzuweisen.

Dieser Beschluss ist nicht weiter anfechtbar (§ 177 SGG), er ergeht kostenfrei (§ 183 SGG).
Rechtskraft
Aus
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