Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 34 AL 502/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 169/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 19. März 1998 und die Bescheide des Arbeitsamtes München vom 16. August 1993 und vom 14. Oktober 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 1996 aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe sowie von Unterhaltsgeldsgeld und die Erstattung von Leistungen.
Die 1947 geborene, aus Ungarn stammende Klägerin ist technische Zeichnerin und hat diesen Beruf bis Oktober 1989 ausgeübt. Am 12.10.1989 meldete sie sich arbeitslos beim Arbeitsamt München. Das Arbeitsamt bewilligte der Klägerin ab 11.11.1989 Arbeitslosengeld in Höhe von wöchentlich 294,00 DM, ab 01.01.1990 in Höhe von 390,60 DM wöchentlich, ab 12.07.1990 Anschluss-Arbeitslosenhilfe in Höhe von 275,40 DM wöchentlich.
Ab 01.10.1990 nahm die Klägerin an einer ganztägigen Umschulung zur Altenpflegerin in der ...Akademie in München teil mit voraussichtlicher Dauer bis zum 30.09.1992. Das Arbeitsamt bewilligt der Klägerin ab 01.10.1990 Unterhaltsgeld in Höhe von wöchentlich 326,40 DM, ab 01.01.1991 in Höhe von wöchentlich 328,20 DM.
Seit 13.09.1991 war die Klägerin wegen eines chronifizierten Nierenleidens arbeitsunfähig erkrankt. Das Arbeitsamt leistete Unterhaltsgeld bis zum 24.10.1991. Am 30.11.1991 meldete sich die Klägerin aus der Maßnahme ab.
Am 06.12.1991 sprach jemand beim Arbeitsamt vor und gab an: Die Leistungsempfängerin (LE) sei bei einem Herrn H ... in der ...-Straße in München einer regelmäßigen Tätigkeit als Nachtpflegerin nachgegangen und habe dabei ein beträchtliches Nebeneinkommen erzielt. Dies sei auch jetzt noch der Fall.
Über ein Telefonat mit besagtem Herrn H ... vom 29.01.1992 vermerken die Akten: Es handele sich um einen Herrn im Alter von 90 Jahren. Die LE habe vom 13.01.1990 bis 07.02.1991 von Montag bis Samstag jede Nacht 12 Stunden als Nachtschwester für 15,00 DM in der Stunde gearbeitet.
Am 24.02.1992 führte die zuständige Bearbeiterin ein Telefongespräch mit der Klägerin. Sie vermerkte hierüber in den Akten: O.G. sei krank (Dialysepatient). LE sage, dass sie nur aus Gefälligkeit für Herrn H ... gearbeitet und Geld als Geschenk erhalten habe. Dann streite sie dies wiederum ab. Sie habe alte Teppiche und getragene Sachen geschenkt bekommen. Sie sei schwer krank, erhalte derzeit Sozialhilfe und müsse demnächst aus ihrer Wohnung heraus.
Auf das nachfolgende Anhörungsschreiben vom 23.03.1992 hin nahm die Klägerin am 07.04.1992 schriftlich Stellung. Sie habe bei Herrn H ... nicht gearbeitet. Vielmehr habe sie ihm gelegentlich geholfen, für ihn eingekauft, ihn zum Arzt oder zur Kirche gefahren. Ab September 1990 habe sie eine Ganztagsschule besucht und drei Monate Praktikum gemacht, obgleich sie schon schwer erkrankt gewesen sei.
Am 14.06.1993 und am 18.06.1993 suchte ein Aussendienstmitarbeiter des Arbeitsamts Herrn H ... in der ...-Straße auf.
Über seinen Besuch am 14.06.1993 vermerkte er: Herr H ... habe angegeben, dass die Klägerin etwa ein Jahr bei ihm als Nachtschwester beschäftigt gewesen sei und zwar täglich von 20 Uhr abends bis 8 Uhr morgens. Die Daten 13.01.1990 bis 07.02.1991 stimmten in etwa mit seiner Erinnerung überein. Er habe der Klägerin in bar etwa 15,00 DM je Stunde bezahlt. Sachleistungen wie Teppiche oder getragene Sachen habe die Klägerin niemals erhalten. Schon mit Rücksicht auf seine schwerkranke Frau hätte er niemals etwas aus dem Haus gegeben. Bei Beendigung der Beschäftigung habe ihn die Klägerin gebeten, zu vergessen, dass sie jemals für ihn gearbeitet habe.
Über den weiteren Besuch vom 18.06.1993 notierte er: Herr H ... bedauere, dass er keine schriftlichen Nachweise habe finden können. Allerdings sei er sich nach Überlegung zusammen mit seiner Frau ganz sicher, dass die Klägerin am 13.01.1990 ihre Arbeit aufgenommen und etwa ein Jahr für ihn gearbeitet habe. Weiter erinnere er sich, dass die Klägerin seinerzeit den vorgelegten Arbeitsvertrag nicht habe unterschreiben wollen mit der Begründung, sie absolviere tagsüber eine Ausbildung als Altenpflegerin in Pasing; sie habe sich abends, wenn sie zu ihm gekommen sei, auch immer theoretisches Lernmaterial mitgebracht.
Mit Bescheid vom 16.08.1993 hob das Arbeitsamt die Bewilligung von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Unterhaltsgeld für die Zeit vom 13.01.1990 bis 07.02.1991 auf und ordnete die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen in Höhe von insgesamt 16.623,70 DM an. Die Klägerin habe in dem gesamten Zeitraum vom 13.01.1990 bis 07.02.1991 keinen Anspruch auf Leistungen des Arbeitsamts gehabt, da sie in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe.
Gegen den Bescheid erhob Rechtsanwalt S ... aus der von der Klägerin bevollmächtigten Kanzlei K ... und Partner in München Widerspruch.
Mit Änderungsbescheid vom 14.10.1993 erweiterte das Arbeitsamt die Rücknahme und die angeordnete Erstattung um eine zunächst übersehene UHG-Nachzahlung von 592,50 DM auf 17.216,20 DM.
Auch gegen den Änderungsbescheid vom 14.10.1993 erhob Rechtsanwalt S ... von der Kanzlei K ... und Partner Widerspruch. Das Arbeitsamt setzte das Widerspruchsverfahren zunächst aus.
Mit Beschluss vom 10.07.1995 stellte das Amtsgericht München das gegen die Klägerin wegen Betrugs eingeleitete Strafverfahren ein, da aufgrund des Gutachtens des Gerichtssachverständigen Dr.Sch ... vom 19.06.1995 feststehe, dass die Angeklagte dauernd verhandlungsunfähig sei.
Daraufhin nahm das Arbeitsamt das Widerspruchsverfahren wieder auf. Mit Schriftsatz vom 02.11.1995 begründete der Rechtsanwalt M ... von der Kanzlei K ... und Partner den Widerspruch. Es werde bestritten, dass die Widerspruchsführerin im Zeitraum vom 13.01.1990 bis 07.02.1991 Entgelt für eine abhängige Beschäftigung bezogen habe. Ein entsprechender Nachweis sei im Strafverfahren nicht geführt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.1996 wies das Arbeitsamt den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Nach den angestellten Ermittlungen sei die Leistungsempfängerin in der Zeit vom 13.01.1990 bis 07.02.1991 als Nachtschwester bei den Eheleuten H ... überkurzzeitig beschäftigt gewesen. Sie habe daher in der Zeit vom 13.01.1990 bis 30.09.1990 keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe gehabt, da sie nicht arbeitslos gewesen sei. Auch das vom 01.10.1990 bis 07.02.1991 bezogene Unterhaltsgeld habe der Klägerin nicht zugestanden. Bei Anrechnung des Stundenlohns von 15,00 DM ergebe sich auf die Woche hochgerechnet ein Entgelt von 900,00 DM, das den Anspruch der Klägerin auf Unterhaltsgeld ausschließe. Vertrauen in den Bestand der Bewilligung der im Zeitraum vom 13.01.1990 bis 07.02.1991 erhaltenen Leistungen könne die Leistungsempfängerin nicht beanspruchen, da sie ihre Mitteilungspflicht zumindest grob fahrlässig verletzt habe und auch ohne weiteres habe erkennen können, dass ihr ab 13.01.1990 keine Ansprüche mehr zugestanden hätten.
Der Widerspruchsbescheid wurde an die Kanzlei K ... und Partner zugestellt, das Empfangsbekenntnis wurde am 13.02.1996 durch Rechtsanwalt M ... unterzeichnet.
Am 25.03.1996 sprach die Schwester der Klägerin, G.H ... mit Prozessvollmacht beim Sozialgericht (SG) München vor und erhob zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 09.02.1996. Die Wahrung der Klagefrist sei der Klägerin nicht möglich gewesen, da sie sich in Australien aufgehalten und sich außerdem in starker medikamentöser Behandlung befunden habe und befinde. Die Bevollmächtigte reichte hierzu die Kopien zweier Flugtickets nach, die ausweisen, dass die Klägerin sich vom 17.02.1996 bis 21.03.1996 in Australien aufgehalten hat. Desweiteren reichte die Klägerbevollmächtigte ein Attest des Urologen Dr.B ... vom 28.03.1996 nach. Die Klägerin befinde sich seit 1979 bei ihm in urologischer Behandlung. Bei ihr liege eine terminale Niereninsuffizienz bei polyzystischer Nierendegeneration beiderseits sowie ein Zustand nach Entfernung der linken Niere und Nierentransplantation bei renalem Bluthochdruck vor. Die Klägerin sei auf ständige ärztliche Kontrolle und die Einnahme verschiedener Medikamente angewiesen, die erhebliche Nebenwirkungen auslösten, sich u.a. erheblich auf das zentrale Nervensystem auswirkten mit der Begleiterscheinung erheblicher Konzentrationsschwierigkeiten und depressiver Zustände.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 19.03.1998 als unzulässig wegen Verfristung abgewiesen. Der Widerspruchsbescheid vom 09.02.1996 sei dem seinerzeitigen Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin laut Empfangsbekenntnis am 13.02.1996 zugestellt worden. Die Klagefrist habe damit am Mittwoch, den 13.03.1996, geendet. Daher sei die erst am 25.03.1996 erhobene Klage verspätet. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG könne nicht gewährt werden. Die Beklagte habe, nachdem die Klägerin sich im Widerspruchsverfahren durch einen Rechtsanwalt habe vertreten lassen, den Widerspruchsbescheid rechtmäßig an diesen zugestellt. Die Klägerin müsse sich das Verschulden ihres Verfahrensbevollmächtigten zurechnen lassen. Im Übrigen sei sie auch selbst nicht frei von einem Verschulden. Sie hätte vor ihrer Reise nach Australien die Vorgehensweise im Falle des Ergehens eines Widerspruchsbescheides mit ihrem Rechtsanwalt klären können.
Die Klägerin hat durch ihre Prozessbevollmächtigte Berufung eingelegt und wiederum Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Klagefrist beantragt. Die Klägerbevollmächtigte hat mitgeteilt, dass die Klägerin den Widerspruchsbescheid vom 09.02.1996 nicht vom Arbeitamt, sondern von ihrem seinerzeitigen Bevollmächtigten, Rechtsanwalt M ..., zugesandt erhalten habe. Dem hat sie ein Schreiben des Rechtsanwalts M ... vom 19.02.1996 beigelegt. Darin heißt es: Anbei werde der Widerspruchsbescheid des Arbeitsamtes München vom 09.02.1996, der am 13.02.1996 zugestellt worden sei, übersandt. Die Kanzlei K ... und Partner habe die Klägerin in der Strafsache vertreten, vertrete sie aber nicht in der Widerspruchsangelegenheit. Gegen den Widerspruchsbescheid müsse spätestens bis 13.03.1996 Klage erhoben werden.
In der Sache hat die Klägerbevollmächtigte vorgetragen: Die Klägerin sei keine ausgebildete Krankenschwester, sondern technische Zeichnerin. Die Pflege der Frau H ... (Pflegestufe 3) habe nur von einer ausgebildeten Krankenschwester geleistet werden können. Dies habe nicht die Klägerin, sondern deren Schwester, Frau Agnes H. getan.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.03.1998 und die Bescheide der Beklagten vom 16.08.1993 und 14.10.1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.02.1996 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die nunmehrige Behauptung, Frau H ... sei von einer Schwester der Klägerin betreut worden, sei nicht glaubhaft.
Der Senat hat die Gerichtsakten erster Instanz, die Akten der Beklagten sowie die Akten der Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I beigezogen und einen Befundbericht des Urologen Dr.B ... vom 23.06.1999 mit umfangreichen Fremdunterlagen eingeholt. Rechtsanwalt M ... hat dem Senat eine im Rahmen des Strafverfahrens eingeholte, notariell beglaubigte Erklärung der in Ungarn lebenden Schwester der Klägerin Agnes H. vom 22.08.1994 zur Verfügung gestellt. Agnes H. hat sich nochmals am 28.09.1999 im Wege schriftlicher Zeugenaussage nach § 377 Abs.3 ZPO gegenüber dem Senat zu ihrer Tätigkeit für die Familie H ... geäußert. In nicht öffentlichen Beweisterminen vom 25.03.1999 und vom 06.10.2000 hat der Senat desweiteren die Schwester und Prozessbevollmächtigte der Klägerin Gabriella H. als Zeugin dazu gehört, wer in welchem Umfang als Betreuungsperson bei der Familie H ... tätig geworden sei. Wegen des Ergebnisses der Zeugeneinvernahme wird auf die Senatsakten verwiesen. Das Ehepaar H ... ist nach Auskunft des Einwohnermeldeamts der Landeshauptstadt München im Melderegister nicht mehr zu ermitteln. Zur Ergänzung des Tatbestandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der gesamten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere statthafte und form- wie fristgerecht eingelegte Berufung ist auch begründet.
Das SG hat die Klage zu Unrecht als unzulässig wegen Verfristung abgewiesen. Zwar hat die Klägerin die Klagefrist versäumt. Ihr war jedoch auf ihren Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Abs.1 SGG zu gewähren, da ihr die Versäumung der Klagefrist nicht zur Last gelegt werden kann. Das Arbeitsamt hat den Widerspruchsbescheid vom 09.02.1996 dem im Widerspruchsverfahren bevollmächtigten Rechtsanwalt M ... am 13.02.1996 zugestellt. Rechtsanwalt M ... hat der Klägerin den Widerspruchsbescheid mit Schreiben vom 19.02.1996 übersandt und das Mandat niedergelegt. Zwar hat der Rechtsanwalt die Klägerin auf die Einhaltung der Klagefrist bis zum 13.03.1996 aufmerksam gemacht, die Klägerin war aber nachgewiesenermaßen vom 17.02.1996 bis 21.03.1996 in Australien. Sie brauchte nicht damit zu rechnen, dass der Rechtsanwalt ausgerechnet nach Erlass eines Widerspruchsbescheides während einer vergleichsweise kurzfristigen Abwesenheit von ihr ohne weitere Rücksprache das Mandat niederlegen und ihr die Einhaltung der Klagefrist überantworten würde. Nach BGH vom 09.10.1986 liegt in einem solchen Fall weder ein Verschulden des Rechtsanwalts, noch des Mandanten vor (Versicherungsrecht 1987, 286, gleichfalls BGH vom 14.11.1984 Versicherungsrecht 1985, 90). Nach BGH vom 14.12.1979 kann jedenfalls ein allenfallsiges Verschulden des ehemaligen Vertreters in einem solchen Fall dem Prozessbeteiligten nicht zugerechnet werden (BGH NJW 1980, 999; ebenso BGH vom 12.07.1993 Az.: II ZB 6/93, sofern nicht die Partei die Niederlegung zu vertreten hat). Der Klägerin war daher Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, nachdem sie unverzüglich nach ihrer Rückkehr, am Montag, den 25.03.1996 durch ihre Schwester, Gabriella H., Klage beim SG erhoben und Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat.
Die Berufung der Klägerin ist auch in der Sache begründet. Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden zu Unrecht die Bewilligung von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Unterhaltsgeld für die Zeit vom 13.01.1990 bis 07.02.1991 zurückgenommen und die Erstattung der für diesen Zeitraum erbrachten Leistungen angeordnet. Es ist nicht nachgewiesen, dass die Klägerin in der Zeit vom 13.01.1990 bis 07.02.1991 einer regelmäßigen entgeltlichen Beschäftigung als Nachtschwester nachgegangen ist.
Die in zwei Beweisterminen als Zeugin angehörte Schwester und Prozessbevollmächtigte der Klägerin, Gabriella H., hat dies in vollem Umfang bestritten. Sie hat zunächst die allgemeine Situation erklärt: Die Klägerin als Jüngste, sie selbst als Mittlere und Agnes als Älteste seien Schwestern. Die Familie stamme aus Budapest, wo Agnes jetzt wieder lebe. Agnes sei ausgebildete Krankenschwester. Bei dem Ehepaar H ... habe es sich um alte Freunde der Familie gehandelt. Ihr eigener Kontakt und derjenige der Klägerin mit dem Ehepaar H ... habe praktisch schon seit jeher bestanden. Die Klägerin wie auch sie selbst hätten auch schon immer gelegentlich Geschenke, auch kleinere Geldgeschenke, erhalten. Der Kontakt habe zugenommen, als sich der Zustand des Ehepaars verschlechtert habe. Sie und die Klägerin seien jedoch mehr besuchsweise nachmittags oder abends da gewesen. Im streitigen Zeitraum hätten sie etwa höchstens dreimal auch die Nacht beim Ehepaar H ... zugebracht. Frau H ... habe im streitigen Zeitraum infolge einer Operation, die etwa drei Jahre zurückgelegen habe, im Wachkoma gelegen und sei durch eine Sonde ernährt worden. Ihr Ehegatte sei lediglich altersgebrechlich und nervlich labil, eigentlich bereits senil und geistig verwirrt gewesen. Betreut worden sei Frau H ... von Rotkreuzschwestern. Für einen vorübergehenden Zeitraum sei Agnes aus Budapest gekommen und habe die Nachtpflege von Frau H ... übernommen. Sie habe dafür Entgelt erhalten. Nach ihrer, der Zeugin Erinnerung, sei dies während des ganzen hier streitigen Zeitraums der Fall gewesen.
Agnes H. hat in ihrer Rechtsanwalt M ... im Strafverfahren zur Verfügung gestellten notariell beglaubigten Erklärung erklärt, dass sie vom 26.12.1990 bis 01.02.1992 von Frau H ... gegen Entgelt als Krankenpflegerin beschäftigt worden sei. Auf die Frage des Senats, ob und wann sie in den Jahren 1989, 1990 und 1991 als Nachtschwester beim Ehepaar H ... in München gearbeitet habe, hat sie in ihrer schriftlichen Zeugenaussage nach § 377 Abs.3 ZPO angegeben, sie habe als Krankenschwester bei Frau H ... gearbeitet, gegen etwas Entgelt. An Einzelheiten könne sie sich nicht mehr erinnern.
Übereinstimmung besteht zwischen den Aussagen der beiden Schwestern darin, dass die ausgebildete Krankenschwester Agnes vorübergehend als Pflegerin für Frau H ... tätig gewesen ist. Ob dies, woran sich die Gabriella H. zu erinnern glaubt, während des ganzen hier streitigen Zeitraums der Fall gewesen ist, oder ob tatsächlich erst ab 26.12.1990, wie die notariell beglaubigte Erklärung der Agnes H. vom August 1994 nahelegt (ohne dass allerdings bekannt ist, welche Fragen ihr seinerzeit gestellt wurden), lässt sich nicht mehr aufklären. Jedenfalls wird die zentrale Aussage der Gabriella H., dass Frau H ... von Haus aus von Rotkreuzschwestern betreut wurde und nur vorübergehend von der als Krankenschwester ausgebildeten Schwester Agnes, niemals aber von ihr selbst oder der Klägerin, hierdurch nicht erschüttert. Die Angaben der Gabriella H. sind auch insofern in sich schlüssig, als der Zustand von Frau H ..., wie von der Zeugin angegeben, eine fachkundige Betreuungsperson erfordert hat.
Demgegenüber liegt keine mündliche oder schriftliche Zeugenaussage, keine schriftliche Auskunft und kein sonstiger Beleg vor, der bestätigt, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum vom 13.01.1990 bis 07.02.1991 regelmäßig gegen Entgelt als Nachtschwester für die Familie H ... gearbeitet hat. Es finden sich lediglich Aufzeichnungen von Bediensteten des Arbeitsamtes über Telefongespräche oder persönliche Gespräche mit dem anonymen Anzeiger, dem Herrn H ... und der Klägerin, die vom jeweiligen Gesprächspartner nicht gegengezeichnet sind. Nach einem Vermerk der Bediensteten des Arbeitsamtes im Anschluss an das Telefonat vom 29.01.1992 mit Herrn H ... wurde auf eine schriftliche Bestätigung seiner Angaben durch letzteren im Hinblick auf dessen Alter verzichtet. Der nachfolgende Außendienstauftrag enthält die Anweisung, die Angaben über eine Beschäftigung der Klägerin bei H ... schriftlich bestätigen zu lassen. Dem war eine Arbeitsbescheinigung beigefügt. Die Aufzeichnungen vom 14.06.1993 und vom 18.06.1993 über die Besuche bei Herrn H ... und die dort geführten Gespräche sind aber lediglich vom Bediensteten des Arbeitsamts unterzeichnet, nicht jedoch von Herrn H ... Hinzu kommt, dass den Herrn H ... befragenden Bediensteten des Arbeitsamts offensichtlich unbekannt war, dass die Klägerin eine als Krankenschwester ausgebildete ältere Schwester hat, und daher nicht gezielt nachgefragt wurde, ob nicht Herr H ... möglicherweise die beiden Schwestern vermengt hat, sei es versehentlich oder auch absichtlich, um eine illegale Tätigkeit der aus Ungarn eingereisten Agnes H. zu decken. Schließlich hätte das Arbeitsamt wegen der zeitlichen Angaben nachfragen müssen. In den angeblichen Äußerungen des Herrn H ... findet sich insoweit ein deutlicher Widerspruch. Einerseits soll die Klägerin am 13.01.1990 ihre Arbeit aufgenommen haben, wobei nicht ganz verständlich ist, wie Herr H ... ein derart genaues Datum nennen konnte, ohne aber irgendwelche schriftlichen Unterlagen präsentieren zu können. Andererseits hat nach den Aufzeichnungen des Außendienstbeauftragten des Arbeitsamtes Herr H ... angegeben, die Klägerin habe den ihr vorgelegten Arbeitsvertrag nicht unterschreiben wollen, da sie seinerzeit eine Ausbildung als Altenpflegerin in Pasing gemacht habe; sie habe sich abends auch immer theoretisches Lernmaterial mitgebracht. Die Ausbildung der Klägerin zur Altenpflegerin begann aber erst am 01.10.1990.
Letztlich ist nicht mehr aufklärbar, ob die Klägerin überhaupt jemals als Nachtschwester für die Familie H ... tätig war, wenn ja, ob sie regelmäßig und gegen Entgelt beschäftigt war und in welchen Zeiträumen dies der Fall war. Da streitig die Aufhebung der Bewilligung und die Erstattung von Leistungen ist, trägt aber die Beklagte die Feststellungslast. Die angefochtenen Bescheide waren daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Anlass, nach § 160 Abs.2 Nr.1 oder 2 SGG die Revision zuzulassen, bestand nicht. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Das Urteil weicht nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab und beruht auf dieser Abweichung.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe sowie von Unterhaltsgeldsgeld und die Erstattung von Leistungen.
Die 1947 geborene, aus Ungarn stammende Klägerin ist technische Zeichnerin und hat diesen Beruf bis Oktober 1989 ausgeübt. Am 12.10.1989 meldete sie sich arbeitslos beim Arbeitsamt München. Das Arbeitsamt bewilligte der Klägerin ab 11.11.1989 Arbeitslosengeld in Höhe von wöchentlich 294,00 DM, ab 01.01.1990 in Höhe von 390,60 DM wöchentlich, ab 12.07.1990 Anschluss-Arbeitslosenhilfe in Höhe von 275,40 DM wöchentlich.
Ab 01.10.1990 nahm die Klägerin an einer ganztägigen Umschulung zur Altenpflegerin in der ...Akademie in München teil mit voraussichtlicher Dauer bis zum 30.09.1992. Das Arbeitsamt bewilligt der Klägerin ab 01.10.1990 Unterhaltsgeld in Höhe von wöchentlich 326,40 DM, ab 01.01.1991 in Höhe von wöchentlich 328,20 DM.
Seit 13.09.1991 war die Klägerin wegen eines chronifizierten Nierenleidens arbeitsunfähig erkrankt. Das Arbeitsamt leistete Unterhaltsgeld bis zum 24.10.1991. Am 30.11.1991 meldete sich die Klägerin aus der Maßnahme ab.
Am 06.12.1991 sprach jemand beim Arbeitsamt vor und gab an: Die Leistungsempfängerin (LE) sei bei einem Herrn H ... in der ...-Straße in München einer regelmäßigen Tätigkeit als Nachtpflegerin nachgegangen und habe dabei ein beträchtliches Nebeneinkommen erzielt. Dies sei auch jetzt noch der Fall.
Über ein Telefonat mit besagtem Herrn H ... vom 29.01.1992 vermerken die Akten: Es handele sich um einen Herrn im Alter von 90 Jahren. Die LE habe vom 13.01.1990 bis 07.02.1991 von Montag bis Samstag jede Nacht 12 Stunden als Nachtschwester für 15,00 DM in der Stunde gearbeitet.
Am 24.02.1992 führte die zuständige Bearbeiterin ein Telefongespräch mit der Klägerin. Sie vermerkte hierüber in den Akten: O.G. sei krank (Dialysepatient). LE sage, dass sie nur aus Gefälligkeit für Herrn H ... gearbeitet und Geld als Geschenk erhalten habe. Dann streite sie dies wiederum ab. Sie habe alte Teppiche und getragene Sachen geschenkt bekommen. Sie sei schwer krank, erhalte derzeit Sozialhilfe und müsse demnächst aus ihrer Wohnung heraus.
Auf das nachfolgende Anhörungsschreiben vom 23.03.1992 hin nahm die Klägerin am 07.04.1992 schriftlich Stellung. Sie habe bei Herrn H ... nicht gearbeitet. Vielmehr habe sie ihm gelegentlich geholfen, für ihn eingekauft, ihn zum Arzt oder zur Kirche gefahren. Ab September 1990 habe sie eine Ganztagsschule besucht und drei Monate Praktikum gemacht, obgleich sie schon schwer erkrankt gewesen sei.
Am 14.06.1993 und am 18.06.1993 suchte ein Aussendienstmitarbeiter des Arbeitsamts Herrn H ... in der ...-Straße auf.
Über seinen Besuch am 14.06.1993 vermerkte er: Herr H ... habe angegeben, dass die Klägerin etwa ein Jahr bei ihm als Nachtschwester beschäftigt gewesen sei und zwar täglich von 20 Uhr abends bis 8 Uhr morgens. Die Daten 13.01.1990 bis 07.02.1991 stimmten in etwa mit seiner Erinnerung überein. Er habe der Klägerin in bar etwa 15,00 DM je Stunde bezahlt. Sachleistungen wie Teppiche oder getragene Sachen habe die Klägerin niemals erhalten. Schon mit Rücksicht auf seine schwerkranke Frau hätte er niemals etwas aus dem Haus gegeben. Bei Beendigung der Beschäftigung habe ihn die Klägerin gebeten, zu vergessen, dass sie jemals für ihn gearbeitet habe.
Über den weiteren Besuch vom 18.06.1993 notierte er: Herr H ... bedauere, dass er keine schriftlichen Nachweise habe finden können. Allerdings sei er sich nach Überlegung zusammen mit seiner Frau ganz sicher, dass die Klägerin am 13.01.1990 ihre Arbeit aufgenommen und etwa ein Jahr für ihn gearbeitet habe. Weiter erinnere er sich, dass die Klägerin seinerzeit den vorgelegten Arbeitsvertrag nicht habe unterschreiben wollen mit der Begründung, sie absolviere tagsüber eine Ausbildung als Altenpflegerin in Pasing; sie habe sich abends, wenn sie zu ihm gekommen sei, auch immer theoretisches Lernmaterial mitgebracht.
Mit Bescheid vom 16.08.1993 hob das Arbeitsamt die Bewilligung von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Unterhaltsgeld für die Zeit vom 13.01.1990 bis 07.02.1991 auf und ordnete die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen in Höhe von insgesamt 16.623,70 DM an. Die Klägerin habe in dem gesamten Zeitraum vom 13.01.1990 bis 07.02.1991 keinen Anspruch auf Leistungen des Arbeitsamts gehabt, da sie in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe.
Gegen den Bescheid erhob Rechtsanwalt S ... aus der von der Klägerin bevollmächtigten Kanzlei K ... und Partner in München Widerspruch.
Mit Änderungsbescheid vom 14.10.1993 erweiterte das Arbeitsamt die Rücknahme und die angeordnete Erstattung um eine zunächst übersehene UHG-Nachzahlung von 592,50 DM auf 17.216,20 DM.
Auch gegen den Änderungsbescheid vom 14.10.1993 erhob Rechtsanwalt S ... von der Kanzlei K ... und Partner Widerspruch. Das Arbeitsamt setzte das Widerspruchsverfahren zunächst aus.
Mit Beschluss vom 10.07.1995 stellte das Amtsgericht München das gegen die Klägerin wegen Betrugs eingeleitete Strafverfahren ein, da aufgrund des Gutachtens des Gerichtssachverständigen Dr.Sch ... vom 19.06.1995 feststehe, dass die Angeklagte dauernd verhandlungsunfähig sei.
Daraufhin nahm das Arbeitsamt das Widerspruchsverfahren wieder auf. Mit Schriftsatz vom 02.11.1995 begründete der Rechtsanwalt M ... von der Kanzlei K ... und Partner den Widerspruch. Es werde bestritten, dass die Widerspruchsführerin im Zeitraum vom 13.01.1990 bis 07.02.1991 Entgelt für eine abhängige Beschäftigung bezogen habe. Ein entsprechender Nachweis sei im Strafverfahren nicht geführt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.1996 wies das Arbeitsamt den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Nach den angestellten Ermittlungen sei die Leistungsempfängerin in der Zeit vom 13.01.1990 bis 07.02.1991 als Nachtschwester bei den Eheleuten H ... überkurzzeitig beschäftigt gewesen. Sie habe daher in der Zeit vom 13.01.1990 bis 30.09.1990 keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe gehabt, da sie nicht arbeitslos gewesen sei. Auch das vom 01.10.1990 bis 07.02.1991 bezogene Unterhaltsgeld habe der Klägerin nicht zugestanden. Bei Anrechnung des Stundenlohns von 15,00 DM ergebe sich auf die Woche hochgerechnet ein Entgelt von 900,00 DM, das den Anspruch der Klägerin auf Unterhaltsgeld ausschließe. Vertrauen in den Bestand der Bewilligung der im Zeitraum vom 13.01.1990 bis 07.02.1991 erhaltenen Leistungen könne die Leistungsempfängerin nicht beanspruchen, da sie ihre Mitteilungspflicht zumindest grob fahrlässig verletzt habe und auch ohne weiteres habe erkennen können, dass ihr ab 13.01.1990 keine Ansprüche mehr zugestanden hätten.
Der Widerspruchsbescheid wurde an die Kanzlei K ... und Partner zugestellt, das Empfangsbekenntnis wurde am 13.02.1996 durch Rechtsanwalt M ... unterzeichnet.
Am 25.03.1996 sprach die Schwester der Klägerin, G.H ... mit Prozessvollmacht beim Sozialgericht (SG) München vor und erhob zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 09.02.1996. Die Wahrung der Klagefrist sei der Klägerin nicht möglich gewesen, da sie sich in Australien aufgehalten und sich außerdem in starker medikamentöser Behandlung befunden habe und befinde. Die Bevollmächtigte reichte hierzu die Kopien zweier Flugtickets nach, die ausweisen, dass die Klägerin sich vom 17.02.1996 bis 21.03.1996 in Australien aufgehalten hat. Desweiteren reichte die Klägerbevollmächtigte ein Attest des Urologen Dr.B ... vom 28.03.1996 nach. Die Klägerin befinde sich seit 1979 bei ihm in urologischer Behandlung. Bei ihr liege eine terminale Niereninsuffizienz bei polyzystischer Nierendegeneration beiderseits sowie ein Zustand nach Entfernung der linken Niere und Nierentransplantation bei renalem Bluthochdruck vor. Die Klägerin sei auf ständige ärztliche Kontrolle und die Einnahme verschiedener Medikamente angewiesen, die erhebliche Nebenwirkungen auslösten, sich u.a. erheblich auf das zentrale Nervensystem auswirkten mit der Begleiterscheinung erheblicher Konzentrationsschwierigkeiten und depressiver Zustände.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 19.03.1998 als unzulässig wegen Verfristung abgewiesen. Der Widerspruchsbescheid vom 09.02.1996 sei dem seinerzeitigen Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin laut Empfangsbekenntnis am 13.02.1996 zugestellt worden. Die Klagefrist habe damit am Mittwoch, den 13.03.1996, geendet. Daher sei die erst am 25.03.1996 erhobene Klage verspätet. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG könne nicht gewährt werden. Die Beklagte habe, nachdem die Klägerin sich im Widerspruchsverfahren durch einen Rechtsanwalt habe vertreten lassen, den Widerspruchsbescheid rechtmäßig an diesen zugestellt. Die Klägerin müsse sich das Verschulden ihres Verfahrensbevollmächtigten zurechnen lassen. Im Übrigen sei sie auch selbst nicht frei von einem Verschulden. Sie hätte vor ihrer Reise nach Australien die Vorgehensweise im Falle des Ergehens eines Widerspruchsbescheides mit ihrem Rechtsanwalt klären können.
Die Klägerin hat durch ihre Prozessbevollmächtigte Berufung eingelegt und wiederum Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Klagefrist beantragt. Die Klägerbevollmächtigte hat mitgeteilt, dass die Klägerin den Widerspruchsbescheid vom 09.02.1996 nicht vom Arbeitamt, sondern von ihrem seinerzeitigen Bevollmächtigten, Rechtsanwalt M ..., zugesandt erhalten habe. Dem hat sie ein Schreiben des Rechtsanwalts M ... vom 19.02.1996 beigelegt. Darin heißt es: Anbei werde der Widerspruchsbescheid des Arbeitsamtes München vom 09.02.1996, der am 13.02.1996 zugestellt worden sei, übersandt. Die Kanzlei K ... und Partner habe die Klägerin in der Strafsache vertreten, vertrete sie aber nicht in der Widerspruchsangelegenheit. Gegen den Widerspruchsbescheid müsse spätestens bis 13.03.1996 Klage erhoben werden.
In der Sache hat die Klägerbevollmächtigte vorgetragen: Die Klägerin sei keine ausgebildete Krankenschwester, sondern technische Zeichnerin. Die Pflege der Frau H ... (Pflegestufe 3) habe nur von einer ausgebildeten Krankenschwester geleistet werden können. Dies habe nicht die Klägerin, sondern deren Schwester, Frau Agnes H. getan.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.03.1998 und die Bescheide der Beklagten vom 16.08.1993 und 14.10.1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.02.1996 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die nunmehrige Behauptung, Frau H ... sei von einer Schwester der Klägerin betreut worden, sei nicht glaubhaft.
Der Senat hat die Gerichtsakten erster Instanz, die Akten der Beklagten sowie die Akten der Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I beigezogen und einen Befundbericht des Urologen Dr.B ... vom 23.06.1999 mit umfangreichen Fremdunterlagen eingeholt. Rechtsanwalt M ... hat dem Senat eine im Rahmen des Strafverfahrens eingeholte, notariell beglaubigte Erklärung der in Ungarn lebenden Schwester der Klägerin Agnes H. vom 22.08.1994 zur Verfügung gestellt. Agnes H. hat sich nochmals am 28.09.1999 im Wege schriftlicher Zeugenaussage nach § 377 Abs.3 ZPO gegenüber dem Senat zu ihrer Tätigkeit für die Familie H ... geäußert. In nicht öffentlichen Beweisterminen vom 25.03.1999 und vom 06.10.2000 hat der Senat desweiteren die Schwester und Prozessbevollmächtigte der Klägerin Gabriella H. als Zeugin dazu gehört, wer in welchem Umfang als Betreuungsperson bei der Familie H ... tätig geworden sei. Wegen des Ergebnisses der Zeugeneinvernahme wird auf die Senatsakten verwiesen. Das Ehepaar H ... ist nach Auskunft des Einwohnermeldeamts der Landeshauptstadt München im Melderegister nicht mehr zu ermitteln. Zur Ergänzung des Tatbestandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der gesamten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere statthafte und form- wie fristgerecht eingelegte Berufung ist auch begründet.
Das SG hat die Klage zu Unrecht als unzulässig wegen Verfristung abgewiesen. Zwar hat die Klägerin die Klagefrist versäumt. Ihr war jedoch auf ihren Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Abs.1 SGG zu gewähren, da ihr die Versäumung der Klagefrist nicht zur Last gelegt werden kann. Das Arbeitsamt hat den Widerspruchsbescheid vom 09.02.1996 dem im Widerspruchsverfahren bevollmächtigten Rechtsanwalt M ... am 13.02.1996 zugestellt. Rechtsanwalt M ... hat der Klägerin den Widerspruchsbescheid mit Schreiben vom 19.02.1996 übersandt und das Mandat niedergelegt. Zwar hat der Rechtsanwalt die Klägerin auf die Einhaltung der Klagefrist bis zum 13.03.1996 aufmerksam gemacht, die Klägerin war aber nachgewiesenermaßen vom 17.02.1996 bis 21.03.1996 in Australien. Sie brauchte nicht damit zu rechnen, dass der Rechtsanwalt ausgerechnet nach Erlass eines Widerspruchsbescheides während einer vergleichsweise kurzfristigen Abwesenheit von ihr ohne weitere Rücksprache das Mandat niederlegen und ihr die Einhaltung der Klagefrist überantworten würde. Nach BGH vom 09.10.1986 liegt in einem solchen Fall weder ein Verschulden des Rechtsanwalts, noch des Mandanten vor (Versicherungsrecht 1987, 286, gleichfalls BGH vom 14.11.1984 Versicherungsrecht 1985, 90). Nach BGH vom 14.12.1979 kann jedenfalls ein allenfallsiges Verschulden des ehemaligen Vertreters in einem solchen Fall dem Prozessbeteiligten nicht zugerechnet werden (BGH NJW 1980, 999; ebenso BGH vom 12.07.1993 Az.: II ZB 6/93, sofern nicht die Partei die Niederlegung zu vertreten hat). Der Klägerin war daher Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, nachdem sie unverzüglich nach ihrer Rückkehr, am Montag, den 25.03.1996 durch ihre Schwester, Gabriella H., Klage beim SG erhoben und Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat.
Die Berufung der Klägerin ist auch in der Sache begründet. Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden zu Unrecht die Bewilligung von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Unterhaltsgeld für die Zeit vom 13.01.1990 bis 07.02.1991 zurückgenommen und die Erstattung der für diesen Zeitraum erbrachten Leistungen angeordnet. Es ist nicht nachgewiesen, dass die Klägerin in der Zeit vom 13.01.1990 bis 07.02.1991 einer regelmäßigen entgeltlichen Beschäftigung als Nachtschwester nachgegangen ist.
Die in zwei Beweisterminen als Zeugin angehörte Schwester und Prozessbevollmächtigte der Klägerin, Gabriella H., hat dies in vollem Umfang bestritten. Sie hat zunächst die allgemeine Situation erklärt: Die Klägerin als Jüngste, sie selbst als Mittlere und Agnes als Älteste seien Schwestern. Die Familie stamme aus Budapest, wo Agnes jetzt wieder lebe. Agnes sei ausgebildete Krankenschwester. Bei dem Ehepaar H ... habe es sich um alte Freunde der Familie gehandelt. Ihr eigener Kontakt und derjenige der Klägerin mit dem Ehepaar H ... habe praktisch schon seit jeher bestanden. Die Klägerin wie auch sie selbst hätten auch schon immer gelegentlich Geschenke, auch kleinere Geldgeschenke, erhalten. Der Kontakt habe zugenommen, als sich der Zustand des Ehepaars verschlechtert habe. Sie und die Klägerin seien jedoch mehr besuchsweise nachmittags oder abends da gewesen. Im streitigen Zeitraum hätten sie etwa höchstens dreimal auch die Nacht beim Ehepaar H ... zugebracht. Frau H ... habe im streitigen Zeitraum infolge einer Operation, die etwa drei Jahre zurückgelegen habe, im Wachkoma gelegen und sei durch eine Sonde ernährt worden. Ihr Ehegatte sei lediglich altersgebrechlich und nervlich labil, eigentlich bereits senil und geistig verwirrt gewesen. Betreut worden sei Frau H ... von Rotkreuzschwestern. Für einen vorübergehenden Zeitraum sei Agnes aus Budapest gekommen und habe die Nachtpflege von Frau H ... übernommen. Sie habe dafür Entgelt erhalten. Nach ihrer, der Zeugin Erinnerung, sei dies während des ganzen hier streitigen Zeitraums der Fall gewesen.
Agnes H. hat in ihrer Rechtsanwalt M ... im Strafverfahren zur Verfügung gestellten notariell beglaubigten Erklärung erklärt, dass sie vom 26.12.1990 bis 01.02.1992 von Frau H ... gegen Entgelt als Krankenpflegerin beschäftigt worden sei. Auf die Frage des Senats, ob und wann sie in den Jahren 1989, 1990 und 1991 als Nachtschwester beim Ehepaar H ... in München gearbeitet habe, hat sie in ihrer schriftlichen Zeugenaussage nach § 377 Abs.3 ZPO angegeben, sie habe als Krankenschwester bei Frau H ... gearbeitet, gegen etwas Entgelt. An Einzelheiten könne sie sich nicht mehr erinnern.
Übereinstimmung besteht zwischen den Aussagen der beiden Schwestern darin, dass die ausgebildete Krankenschwester Agnes vorübergehend als Pflegerin für Frau H ... tätig gewesen ist. Ob dies, woran sich die Gabriella H. zu erinnern glaubt, während des ganzen hier streitigen Zeitraums der Fall gewesen ist, oder ob tatsächlich erst ab 26.12.1990, wie die notariell beglaubigte Erklärung der Agnes H. vom August 1994 nahelegt (ohne dass allerdings bekannt ist, welche Fragen ihr seinerzeit gestellt wurden), lässt sich nicht mehr aufklären. Jedenfalls wird die zentrale Aussage der Gabriella H., dass Frau H ... von Haus aus von Rotkreuzschwestern betreut wurde und nur vorübergehend von der als Krankenschwester ausgebildeten Schwester Agnes, niemals aber von ihr selbst oder der Klägerin, hierdurch nicht erschüttert. Die Angaben der Gabriella H. sind auch insofern in sich schlüssig, als der Zustand von Frau H ..., wie von der Zeugin angegeben, eine fachkundige Betreuungsperson erfordert hat.
Demgegenüber liegt keine mündliche oder schriftliche Zeugenaussage, keine schriftliche Auskunft und kein sonstiger Beleg vor, der bestätigt, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum vom 13.01.1990 bis 07.02.1991 regelmäßig gegen Entgelt als Nachtschwester für die Familie H ... gearbeitet hat. Es finden sich lediglich Aufzeichnungen von Bediensteten des Arbeitsamtes über Telefongespräche oder persönliche Gespräche mit dem anonymen Anzeiger, dem Herrn H ... und der Klägerin, die vom jeweiligen Gesprächspartner nicht gegengezeichnet sind. Nach einem Vermerk der Bediensteten des Arbeitsamtes im Anschluss an das Telefonat vom 29.01.1992 mit Herrn H ... wurde auf eine schriftliche Bestätigung seiner Angaben durch letzteren im Hinblick auf dessen Alter verzichtet. Der nachfolgende Außendienstauftrag enthält die Anweisung, die Angaben über eine Beschäftigung der Klägerin bei H ... schriftlich bestätigen zu lassen. Dem war eine Arbeitsbescheinigung beigefügt. Die Aufzeichnungen vom 14.06.1993 und vom 18.06.1993 über die Besuche bei Herrn H ... und die dort geführten Gespräche sind aber lediglich vom Bediensteten des Arbeitsamts unterzeichnet, nicht jedoch von Herrn H ... Hinzu kommt, dass den Herrn H ... befragenden Bediensteten des Arbeitsamts offensichtlich unbekannt war, dass die Klägerin eine als Krankenschwester ausgebildete ältere Schwester hat, und daher nicht gezielt nachgefragt wurde, ob nicht Herr H ... möglicherweise die beiden Schwestern vermengt hat, sei es versehentlich oder auch absichtlich, um eine illegale Tätigkeit der aus Ungarn eingereisten Agnes H. zu decken. Schließlich hätte das Arbeitsamt wegen der zeitlichen Angaben nachfragen müssen. In den angeblichen Äußerungen des Herrn H ... findet sich insoweit ein deutlicher Widerspruch. Einerseits soll die Klägerin am 13.01.1990 ihre Arbeit aufgenommen haben, wobei nicht ganz verständlich ist, wie Herr H ... ein derart genaues Datum nennen konnte, ohne aber irgendwelche schriftlichen Unterlagen präsentieren zu können. Andererseits hat nach den Aufzeichnungen des Außendienstbeauftragten des Arbeitsamtes Herr H ... angegeben, die Klägerin habe den ihr vorgelegten Arbeitsvertrag nicht unterschreiben wollen, da sie seinerzeit eine Ausbildung als Altenpflegerin in Pasing gemacht habe; sie habe sich abends auch immer theoretisches Lernmaterial mitgebracht. Die Ausbildung der Klägerin zur Altenpflegerin begann aber erst am 01.10.1990.
Letztlich ist nicht mehr aufklärbar, ob die Klägerin überhaupt jemals als Nachtschwester für die Familie H ... tätig war, wenn ja, ob sie regelmäßig und gegen Entgelt beschäftigt war und in welchen Zeiträumen dies der Fall war. Da streitig die Aufhebung der Bewilligung und die Erstattung von Leistungen ist, trägt aber die Beklagte die Feststellungslast. Die angefochtenen Bescheide waren daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Anlass, nach § 160 Abs.2 Nr.1 oder 2 SGG die Revision zuzulassen, bestand nicht. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Das Urteil weicht nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab und beruht auf dieser Abweichung.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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