L 11 AL 18/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AL 316/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 18/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 24. November 1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und um die von der Aufhebung erfassten Überzahlungen.

Die Klägerin, die bis zum 31.10.1992 als Näherin gearbeitet hatte, bezog zunächst Arbeitslosengeld und danach Anschluss-Alhi. Der letzte Alhi-Bewilligungsabschnitt umfasst die Zeit vom 01.11.1997 bis zum 31.10.1998. Die Klägerin hatte neben der Alhi Einkünfte aus einem Nebeneinkommen, das leistungskürzend bei der Alhi berücksichtigt wurde.

Am 25.05.1998 wurde der Klägerin vom Arbeitsamt Bamberg, Nebenstelle Kulmbach, eine Bildungsmaßnahme angeboten. Die Klägerin sollte in der Zeit vom 17.06.1998 bis zum 05.11.1998 an einer gewerblich-technischen Eingliederungsmaßnahme (Trainigsmaßnahme) in Kulmbach teilnehmen. In dem schriftlichen Angebot wurden ihr Leistungen zum Lebensunterhalt mindestens in der Höhe der bisher bezogenen Alhi, die Übernahme sämtlicher mit dem Lehrgang verbundenen Kosten und Kinderbetreuungskosten angeboten.

Die Klägerin lehnte am 25.05.1998 die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme ab. In einem Beratungsgespräch bei der Beklagten am 28.05.1998 vertrat die Klägerin - trotz Belehrung über die Rechtsfolgen - den Standpunkt, dass sie wegen ihrer kurzzeitigen Nebentätigkeit an keiner Maßnahme teilnehmen könne, da sie auf die Einkünfte aus der Nebentätigkeit nicht verzichten könne.

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 09.06.1998 idF des Widerspruchsbescheides vom 30.07.1998 hob die Beklagte die Bewilligung der Alhi ab 26.05.1996 auf. Es sei eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten, die zum Wegfall des Alhi-Anspruchs geführt habe. Die Klägerin habe die Teilnahme an einer zumutbaren Bildungsmaßnahme verweigert. Die Leistungen, die für die Zeit ab dem 26.05.1996 zu Unrecht erbracht worden seien, seien zu erstatten (131,10 DM Alhi, 35,62 DM Krankenversicherungsbeiträge und 4,42 DM Pflegeversicherungsbeiträge).

Ein hiergegen durchgeführtes Klageverfahren vor dem Sozialgericht Bayreuth ist erfolglos geblieben (Urteil vom 24. November 1998). Das Sozialgericht ist der Argumentation der Beklagten gefolgt.

Gegen das der Klägerin am 11.01.1999 zugestellte Urteil hat diese am 19.01.1999 Berufung eingelegt.

Die Klägerin trägt vor: Es sei für sie nicht einsichtig, warum sie eine selbstbesorgte Nebentätigkeit aufgeben solle, um an einer Bildungsmaßnahme teilzunehmen. Durch die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme hätte sie sich finanziell wesentlich schlechter gestellt, wahrscheinlich hätte sie sogar Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen. Es könne nicht Sinn des Gesetzes sein, dass sie wegen einer Entscheidung des Arbeitsamtes Sozialhilfe in Anspruch nehmen müsse. Zudem habe die Aussicht bestanden, dass sie eine weitere Putzstelle bei ihrem Arbeitgeber bekäme und somit wieder insgesamt in einer Vollzeitstelle arbeiten könne, wie ihr dies inzwischen auch gelungen sei.

Die Klägerin beantragt

Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Bayreuth vom 24.11.1998 und des Bescheides der Beklagten vom 09.06.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.1998.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 24.11.1998 zurückzuweisen.

Die von der Klägerin damals ausgeübte Nebentätigkeit sei kein wichtiger Grund im Sinne des § 144 Abs 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Die angebotene Maßnahme sollte der Wiedereingliederung der Klägerin in das Erwerbsleben dienen. Der eventuelle Wegfall des Nebeneinkommens gäbe der Klägerin kein Recht, die Maßnahme abzulehnen. Die Klägerin sei seit 1992 arbeitlos gewesen. Sie habe seit April 1995 regelmäßig Nebeneinkommen als Putzfrau erzielt. Es sei merkwürdig, wenn sie behaupte, dass sie nun plötzlich in absehbarer Zeit diese Stelle in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umwandeln könne. Aufgrund der Erklärung der Klägerin vom 28.05.1998 läge Verfügbarkeit nicht mehr vor. Sie habe nämlich erklärt, sie sei lediglich bereit, an Weiterbildungsmaßnahmen dann teilzunehmen, wenn ihr für die Zeit der Teilnahme mindestens ein monatliches Einkommen von ca 1.350,00 DM, wie sie es aus Alhi und Nebeneinkommen habe, zugesichert werde.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird verwiesen auf die beigezogenen Akten der Beklagten (Stamm-Nr 130 248) und des Sozialgerichts Bayreuth, deren Inhalte zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 1.000,00 DM.

Die Berufung ist nicht begründet. Mit der Ablehnung der Klägerin am 25.05.1998, an der angebotenen Bildungsmaßnahme teilzunehmen, und der nachfolgenden generellen Ablehnung am 28.05.1998, an allen angebotenen Bildungsmaßnahmen nicht teilzunehmen, wenn ihr nicht mindestens ein Ausgleich für den Ausfall von Alhi nebst dem Einkommen aus der Nebentätigkeit gewährt werde, ist eine wesentliche Änderung in den der Bewilligung von Alhi zugrunde liegenden Tatsachen eingetreten, die die Beklagte zur Aufhebung der Alhi-Bewilligung berechtigte (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch iVm § 330 Abs 3 SGB III). Durch die jeweiligen konkreten Rechtsfolgebelehrungen der Beklagten wusste die Klägerin, dass wegen ihrer Weigerung ab 26.05.1998 eine Sperrzeit mit Ruhen der Leistung während der Sperrzeit eintrat (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB III) und der Anspruch ab 28.05.1998 insgesamt mangels Verfügbarkeit (§ 119 Abs 2, Abs 3 Nr 2 SGB III) ganz wegfiel.

Auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Urteils des Sozialgerichts Bayreuth vom 24.11.1998 wird zur weiteren Begründung verwiesen (§ 152 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Der durch die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme zu erwartende Verlust der Einnahmen aus der Nebentätigkeit ist kein wichtiger Grund (§ 144 Abs 1 SGB III), die Teilnahme an der angebotenen Maßnahme zu verweigern.

Was ein wichtiger Grund im Sinne des § 144 Abs 1 SGB III ist, ist zwar gesetzlich nicht definiert, aber in ständiger Rechtsprechung (vgl zB BSG SozR 4100 § 119 Nr 28 S 126) klargestellt worden. Ein wichtiger Grund ist dann gegeben, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versicherungsgemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann. Bei der langen Arbeitslosigkeit der Klägerin vor dem Beginn der angebotenen Trainigsmaßnahme war eine Verbesserung ihrer Eingliederungsaussichten dringend geboten. Die angebotene Maßnahme war dazu geeignet. Die Teilnahme war ihr zumutbar.

Die Klägerin durfte ihre grundsätzlich als Voraussetzung für den Bezug von Arbeitslosenhilfe geforderte subjektive Bereitschaft - an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung teilzunehmen - nicht einschränken (st. Rspr. zur wortgleichen Vorgängervorschrift vgl BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 13 S 58, 59). Die Klägerin hat auch nicht die Zumutbarkeit der Maßnahme selbst angegriffen, sondern lediglich geltend gemacht, dass die finanziellen Folgen der Maßnahme ihr nicht zumutbar seien.

Zweck von Trainigsmaßnahmen im Sinne von § 48 SGB III ist, die Eingliederungsaussichten von Arbeitslosen zu verbessern. Die Zumutbarkeit von Trainigsmaßnahmen ist im Grunde nicht anders zu beurteilen als die Zumutbarkeit von angebotenen Arbeitsplätzen (BSG aaO). Die Vermittlung in eine Vollzeittätigkeit kann nicht mit dem Hinweis auf ein höheres Einkommen aus Alhi und einem Nebenverdienst eingeschränkt werden, weil dies den Vorrang der Vermittlung in Arbeit (§ 4 SGB III) vor der Leistungsgewährung auf den Kopf stellen würde. Der Vorrang der Vermittlung ist in § 122 Abs 3 Satz 3 SGB III dahingehend konkretisiert worden, dass eine Vermittlung in eine Arbeit solange zumutbar ist, wie das aus der vermittelten Arbeit resultierende Nettoentgelt der Höhe der Entgeltersatzleistung entspricht (§ 198 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB III iVm § 121 Abs 3 Satz 3 SGB III). Für eine Bildungsmaßnahme kann deshalb nichts anderes gelten. Würde man der Argumentation der Klägerin folgen, käme es zu einer Fehlentwicklung, die Arbeitslosigkeit perpetuieren würde.

Auch der Hinweis der Klägerin auf die eventuelle Notwendigkeit der Inanspruchnahme von Sozialhilfe ist nicht durchschlagend, denn die Inanspruchnahme von Sozialhilfe ist nicht unzumutbar.

Eine andere Frage ist, ob die Klägerin sich auf die Chance einer alsbaldigen Vollzeittätigkeit hätte berufen können, um die Maßnahme abzulehnen. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin ist nicht schlüssig. Er wurde erst mit der Berufung am 19.01.1999, dh nach Ablauf der abgelehnten Maßnahme, als zukünftige Chance mitgeteilt, hatte also für die Maßnahmezeit keine Bedeutung.

Für den Eintritt der Sperrzeit maßgebende Tatsachen, die eine besondere Härte bedeuten könnten, sind nicht ersichtlich. Die Klägerin kann sich auch insoweit nicht auf den eventuellen Wegfall des Verdienstes aus der Nebentätigkeit oder den zusätzlichen Bedarf an Sozialhilfe berufen. Denn eine solche Berücksichtigung wäre systemwidrig (siehe oben).

Die Erstattungspflicht der überzahlten Alhi ergibt sich aus § 50 Abs 1 SGB X, die der gezahlten Krankenversicherungsbeiträge und Pflegeversicherungsbeiträge aus § 335 SGB III.

Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben (§ 160 SGG).
Rechtskraft
Aus
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