L 8 AL 190/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AL 268/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 190/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27. März 2002 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch auf Konkursausfallgeld (Kaug) für die Monate April bis Juni 1998 streitig.

Der 1946 geborene Kläger war vom 01.11.1983 bis 30.06.1998 bei der Firma C. tätig. Mit Beschluss des Amtsgerichts Nördlingen vom 18.02.1999 wurde der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen dieser Firma mangels Masse abgewiesen. Zum 30.06.1998 war bereits die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit erfolgt. Am 14.08. 1998 beantragte der Kläger Kaug, wobei er rückständigen Lohn für die Zeit vom 01.04. bis 30.06.1998 geltend machte (Pauschale für Kundenbetreuung jeweils in Höhe von DM 1.705,00 und Gehalt jeweils in Höhe von DM 5.378,00 brutto).

Im Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines mitarbeitenden Gesellschafters in der GmbH gab der Kläger am 14.08.1998 an, er sei seit 01.11.1983 Gesellschafter in der GmbH. Bis zum 30.10.1984 hätten sein Bruder und er jeweils 30 % der Geschäftsanteile gehalten und Herr G. M. 40 % bei einem damaligen Stammkapital von DM 50.000,00. Ab 06.04.1987 habe das Stammkapital DM 300.000,00 betragen, woran er mit DM 60.000,00 beteiligt gewesen sei (= 20 %). Nach dem Gesellschaftervertrag seien Gesellschafterbeschlüsse mit einer qualifizierten Mehrheit von 75 % zu treffen. Nach einem Studium der Betriebswirtschaft habe er von 1971 bis 1974 als Organisator/ Einkäufer, von 1974 bis 1983 als Organisator (EDV) und Betriebswirtschaft und ab 1983 bis 1998 als Vertriebsleiter gearbeitet. Die regelmäßige Arbeitszeit habe 40 Stunden betragen. Der Geschäftsführer habe sein Weisungsrecht tatsächlich ausgeübt. Durch seine Arbeit erzielte Gewinne seien in der Firma belassen worden. Für ihn seien Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden. Er habe der GmbH Darlehen in Höhe von insgesamt DM 230.000,00 gewährt, wobei die Darlehensverträge von 1988, 1989, 1992, 1994, 1997 und vom 14.07.2000 datierten. Des Weiteren habe er der GmbH gegenüber Bürgschaften von insgesamt DM 160.000,00 übernommen - tatsächlich handelte es sich um Bürgschaften in Höhe von insgesamt DM 172.000,00.

Im Anstellungsvertrag zwischen der GmbH und dem Kläger ist u.a. ausgeführt, dass sich der Kläger in Erfüllung seiner Aufgaben allein vom Wohl des Unternehmens zu leiten lassen hatte. Was die Arbeitszeit betrifft, ist kein fixer Beginn und keine fixe Endzeit festgelegt. Eine Überstundenvergütung ist nicht vorgesehen. Der Anstellungsvertrag ist sowohl auf der "Arbeitnehmerseite" als auch auf der "Arbeitgeberseite" vom Kläger unterschrieben.

Mit Bescheid vom 29.09.1998 lehnte die Beklagte die Gewährung von Kaug ab. Der Kläger habe in keiner beitragspflichtigen Beschäftigung zur GmbH gestanden. Er sei nicht Arbeitnehmer gewesen. Gegen das Vorliegen einer Arbeitnehmereigenschaft würden die gewährten Darlehen und die gewährten Bürgschaften für die GmbH sowie die wirtschaftlichen Interessen am Wohle und Gedeihen der GmbH sprechen. Der Kläger sei auch an keinerlei Arbeitszeiten gebunden gewesen.

Dagegen trug der Kläger vor, er sei als versicherungspflichtiger Arbeitnehmer tätig gewesen, was aufgrund seines Anstellungsvertrages feststehe. Nochmals wies er darauf hin, dass für ihn Sozialversicherungsbeiträge und Einkommensteuer bezahlt worden seien. Die Aufgaben eines Leitenden Angestellten würden sich immer nach dem Wohle des Unternehmens richten. Wegen der Art der Tätigkeit sei die Arbeitszeit nicht eingrenzbar gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.1999 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger habe durch die Darlehens- und die Bürgschaftgewährungen an die GmbH nicht nur fremdes, sondern auch eigenes Risiko übernommen.

Seine dagegen zum Sozialgericht Augsburg erhobene Klage hat der Kläger im Wesentlichen mit seinem bisherigen Vorbringen begründet. Das Gericht hat Auskünfte von dem Gesellschafter der Firma, Herrn S. , zur Stellung des Klägers im Betrieb eingeholt. Bezüglich des Inhalts der Befragung und der Beantwortung wird auf das Schreiben des Gerichts vom 07.11.2001 und das Antwortschreiben des J. S. vom 16.11.2001 verwiesen. Mit Urteil vom 27.03.2002 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.09.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.1999 verurteilt, dem Kläger Kaug nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Obwohl der Kläger durch Einbringung von Bürgschaften und Darlehen in die GmbH unternehmerisches Risiko getragen habe, würden die Eigenschaften eines Arbeitnehmers überwiegen. Nach seinen eigenen Angaben und den Angaben des Gesellschafters Herrn S. sei der Kläger als Vertriebsleiter in der GmbH angestellt gewesen. In dieser Funktion habe er Prokura gehabt und habe dem Geschäftsführer berichten müssen. So habe er auch Weisungen vom Geschäftsführer der GmbH erhalten. Der Kläger habe auch beim Umfang seiner Beteiligung an der GmbH Beschlüsse derselben nicht verhindern können.

Mit ihrer Berufung weist die Beklagte insbesondere auf die "Historie" der C.GmbH hin. So sei der Kläger zunächst Gründungsgesellschafter gewesen und habe über einen Anteil von 30 % des Stammkapitals verfügt. Gesellschafterbeschlüsse seien nach dem Gesellschaftsvertrag mit einer Mehrheit von 75 % zu treffen gewesen. Somit habe der Kläger ursprünglich über eine Sperrminorität verfügt und habe für ihn unangenehme Gesellschafterbeschlüsse verhindern können. Aufgrund der ursprünglichen Gesellschaftsverhältnisse sei der Kläger eindeutig nicht als Arbeitnehmer zu qualifizieren. Es sei nicht ersichtlich, dass sich an der Tätigkeit des Klägers für die Firma C.-GmbH im Zusammenhang mit der Herabsetzung seines Stimmanteils bei gleichzeitiger Erhöhung der absoluten Stammeinlage etwas geändert habe. Insoweit sei der Kläger bei unveränderter Tätigkeit nicht vom Selbständigen zum Arbeitnehmer geworden. Ein weiteres gewichtiges Indiz dafür, dass der Kläger nicht Arbeitnehmer gewesen sei, bestehe darin, dass dieser der Gesellschaft Darlehen in einer für Arbeitnehmer absolut untypischen Höhe gewährt und darüber hinaus in annähernd gleicher Höhe zugunsten der Gesellschaft Bürgschaftserklärungen abgegeben habe. Es mangele insoweit an dem für ein Beschäftigungsverhältnis typischen Interessengegensatz zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, da der Kläger in hohem Maße von den Geschicken des Unternehmens selbst abhängig gewesen sei. Seine wirtschaftliche Situation sei nahezu untrennbar mit den Geschicken des Unternehmens verwoben gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27.03.2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger ist nach wie vor der Auffassung, als Arbeitnehmer in der GmbH beschäftigt gewesen zu sein.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 141, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als begründet. Zu Unrecht hat das SG der Klage stattgegeben mit einer entsprechenden Verurteilung zu Lasten der Beklagten. Die Bescheide der Beklagten vom 29.09.1998 und 30.04.1999 entsprechen hingegen der Sach- und Rechtslage. Zutreffend hat diese entschieden, dass der Kläger wegen fehlender Arbeitnehmereigenschaft keinen Anspruch auf die Gewährung von Kaug hat.

Anspruch auf Kaug hat ein Arbeitnehmer, der bei Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen seines Arbeitgebers für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat (§ 141b Abs.1 AFG iVm § 430 Abs.5 SGB III). Nach § 141b Abs.3 Nr.1 AFG steht der Eröffnung des Konkursverfahrens die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse gleich. Nach § 141b Abs.3 Nr.2 steht der Eröffnung des Konkursverfahrens auch die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Geltungsbereich dieses Gesetzes gleich. Unstreitig ist hier mit Beschluss des Amtsgerichts Nördlingen vom 18.02.1999 der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Firma C. GmbH mangels Masse abgewiesen worden und unstreitig steht auch fest, dass bereits zum 30.06. 1998 die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit erfolgt war.

Dem Kläger steht Kaug nicht zu, weil er nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur Firma C. GmbH stand. Nach der sozialrechtlichen Definition des Arbeitnehmerbegriffs ist Arbeitnehmer, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Persönliche Abhängigkeit erfordert Eingliederung in den Betrieb und Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung (BSG SozR 3-2400 § 7 Nr.4, BSG, Urteil vom 28.01.1992 - 11 RAr 133/90 sowie BSG SozR 3-4100 § 104 Nr.8). Zwar kann das Weisungsrecht erheblich eingeschränkt sein, wie dies insbesondere bei Diensten höherer Art der Fall ist, vollständig entfallen darf es jedoch nicht. Es muss eine fremdbestimmte Dienstleistung verbleiben, die Dienstleistung also zumindest in einer von anderer Seite vorgegebenen Ordnung des Betriebs aufgehen. Ist ein Weisungsrecht nicht vorhanden, kann der Betreffende seine Tätigkeit also wesentlich frei gestalten, insbesondere über die eigene Arbeitskraft, über Arbeitsort und Arbeitszeit frei verfügen oder fügt er sich nur in die von ihm selbst gegebene Ordnung des Betriebs ein, liegt keine abhängige, sondern eine selbständige Tätigkeit vor, die zusätzlich durch ein Unternehmerrisiko gekennzeichnet zu sein pflegt.

Mitarbeitende Gesellschafter und Leitende Angestellte können grundsätzlich sowohl abhängig als auch selbständig tätig sein. Entscheidend bei der Beurteilung ist insoweit u.a., ob ein Unternehmerrisiko getragen wird. Auch tritt eine vertragliche Ausgestaltung zurück, wenn die tatsächlichen Verhältnisse davon abweichen (BSG SozR 3-4100 § 168 Nr.16).

Nach diesen Grundsätzen bestimmt sich auch, ob die Tätigkeit eines Gesellschafters für die Gesellschaft eine abhängige, beitragspflichtige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit ist. Wesentliches Merkmal ist hierbei der Umfang der Kapitalbeteiligung des Gesellschafters und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Entscheidungen der Gesellschaft. Letztlich kann nicht Arbeitnehmer der Gesellschaft sein, wer kraft seiner Gesellschaftsrechte die für das Arbeitnehmerverhältnis typischen Folgen der Abhängigkeit von einem Arbeitgeber vermeiden kann, insbesondere aufgrund der Höhe seiner Kapitalbeteiligung (BSG aaO).

Die Tatsache der Kapitalbeteiligung steht hier allein der Arbeitnehmereigenschaft nicht entgegen, da der Kläger mit seiner Beteiligung von 20 % keinen wesentlichen Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft ausüben konnte, da er nicht über die Sperrminorität verfügte. Jedoch stehen die Darlehensgewährungen und die gewährten Bürgschaften der Annahme einer Arbeitnehmereigenschaft entgegen.

Zwar ist es zutreffend, dass nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 2200 § 1227 Nr.17, SozR 3-4100 § 4 Nr.1) ein unternehmerisches Risiko nur dann einen Hinweis auf das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit enthält, wenn diesem Risiko größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft gegenüberstehen. Hier ist jedoch wesentlich, dass der Kläger insbesondere durch die Darlehensgewährungen, die sich über einen Zeitraum von 1988, 1989, 1992, 1994 und 1997 erstreckten, das Weiterbestehen der GmbH überhaupt ermöglicht hat. Zudem ist auch auf die übernommenen Bürgschaften in Höhe von insgesamt DM 172.000,00 zu verweisen.

Aufgrund dieser Situation war die Gesellschaft vom Kläger abhängig. So kann auch aufgrund der Tatsache, dass mehrere Darlehen gewährt werden mussten, nicht angenommen werden, dass sich diese wirtschaftliche Abhängigkeit der GmbH nicht auf die Stellung des Klägers in der Gesellschaft ausgewirkt hat. Darauf, ob der Kläger auf Geschäftsentscheidungen wesentlichen Einfluss genommen hat, kommt es nicht an, weil entscheidend die ihm theoretisch zustehende Einflussmöglichkeit ist, nicht jedoch, ob er diese in der Praxis auch ausgeschöpft hat (vgl. BSG SozR 3-4100 § 168 Nr.5). Da der Kläger durch die Darlehensgewährung somit über das Weiterbestehen der Gesellschaft entschieden hat, hatte er naturgemäß auch die Möglichkeit, diese Entscheidung von der Bedingung einer Einflussnahme auf künftige Entscheidungen in der Gesellschaft abhängig zu machen. Letztlich ist der für ein Arbeitgeber-/Arbeitnehmerverhältnis typische Interessengegensatz aufgehoben, wenn der Arbeitnehmer über das Weiterbestehen seines "Arbeitgebers" und damit auch über das Weiterbestehen des Arbeitsverhältnisses entscheidet.

Somit war auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27.03.2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 166 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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