L 9 AL 199/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 35 AL 393/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 199/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 16. April 1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1948 geborene Kläger hat 1970 bis 1972 eine Lehre zum Industriekaufmann bei der H. AG, München, absolviert, anschließend über den Besuch der Fachoberschule und der Fachhochschule die fachgebundene Hochschulreife erlangt und von 1974 bis 1979 Wirtschaftswissenschaften an der Universität Augsburg studiert. Dieses Studium schloss er als Diplom-Ökonomen ab. Von März 1979 bis Dezember 1979 bezog er Arbeitslosenhilfe. Von Januar 1980 bis Dezember 1980 war er Assistent an einem Marktforschungsinstitut, von Januar 1981 bis Juni 1982 bezog er Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe. Von Juli 1982 bis zum Dezember 1985 arbeitete der Kläger im Vertrieb, zunächst bei einer Grundstücksverwaltung, dann bei einer Brauerei. Seit Januar 1986 bezog er fortlaufend Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe. Nebenberuflich übte der Kläger regelmäßig eine Tätigkeit als Tennislehrer aus. Von Oktober 1987 bis Juni 1988 besuchte er eine EDV-Maßnahme bei N. Computer, M. , von Juli 1994 bis Juli 1995 eine Fortbildungsmaßnahme "EDV-orientiertes Wirtschaftstraining für Akademiker/innen" des Berufsförderungszentrums I ... Anschließend bezog er zunächst erneut Arbeitslosengeld, ab Januar 1996 Arbeitslosenhilfe.

Am 12.11.1996 unterbreitete das Arbeitsamt dem Kläger einen schriftlichen Vermittlungsvorschlag. Ab 09.12.1996 sei eine Stelle bei der Firma L. GmbH, I. , in deren Niederlassung in N. zu besetzen. Die Stelle wurde wie folgt näher umschrieben: Betriebsart: "Spedition"; Tätigkeit: "Lager-, Transporthelfer"; Anforderungen: "Lagerarbeiten, Kommissionieren, Zwei-Schicht, Wareneingang, Lagererfahrung vorteilhaft, keine gesundheitlichen Einschränkungen"; Arbeitszeit: "Vollzeit, Wechselschicht", befristet bis 15.03. 1997. Als Vorstellungstermin war der 28.11.1996 in N. angegeben. Dem Vermittlungsvorschlag war die Rechtsfolgenbelehrung "R1" beigegeben.

Bei der Firma L. , jetzt "R. Spedition und Logistik GmbH", handelte es sich um ein Auslieferungszwischenlager zwischen Hersteller und Handel. Verträge bestanden seinerzeit mit Herstellern von Schuhen und Sportkleidung.

Der Kläger nahm den Vorstellungstermin am 28.11.1996 in N. wahr. Bei dieser Gelegenheit kam es zu keiner Einstellung.

Nach zwischenzeitlichem Rückruf der Firma L. beim Arbeitsamt und Insistieren des Arbeitsamtes gegenüber dem Kläger auf dem Vermittlungsvorschlag sprach der Kläger am 03.12.1996 nochmals bei der Firma L. vor, diesmal in der Zentrale in I ... Nunmehr unterzeichnete er einen bis 15.03.1997 "bzw. 30.03.1997" befristeten Arbeitsvertrag als Lagerist.

Dies teilte die seinerzeitige Personalleiterin der Firma, die Zeugin J., dem Arbeitsamt am 04.12.1996 mit. Daraufhin hob das Arbeitsamt mit Bescheid vom 09.12.1996 die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe ab 09.12.1996 wegen Arbeitsaufnahme auf und stellte die Zahlungen ab diesem Zeitpunkt ein.

Der Kläger erschien am 09.12.1996, einem Montag, nicht zur Aufnahme der Arbeit bei der Firma L ... Vielmehr sprach er beim Arzt für Allgemeinmedizin V. , N. , vor, der ihn vom 09.12.1996 bis voraussichtlich 13.12.1996 arbeitsunfähig krank schrieb. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung übersandte der Kläger der Zentrale der Firma L. in I. , auch teilte er seine Arbeitsunfähigkeit der Firma auf telefonische Nachfrage fernmündlich mit.

Am darauffolgenden Montag, den 16.12.1996, erschien der Klä- ger gleichfalls nicht zur Aufnahme der Arbeit bei der Firma L ... Vielmehr meldete er sich am 16.12.1996 wiederum arbeitslos und beantragte Arbeitslosenhilfe. Bei der Arbeitslosmeldung legte er ein Attest des Allgemeinarztes V. vom 12.12. 1996 vor. Darin es heißt: Der Kläger sei in ständiger ambulanter Behandlung. Er sei aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage, schwere körperliche Arbeiten zu verrichten.

Daraufhin bewilligte des Arbeitsamt dem Kläger zunächst mit Bescheid vom 28.01.1997 unter vorläufiger Aussparung eines eventuellen Sperrzeitraumes ab 03.03.1997 Arbeitslosenhilfe.

Der Kläger erhob Widerspruch. Das Arbeitsamt möge vorläufig Arbeitslosenhilfe ab 09.12.1996 gewähren. Gegebenenfalls sei eine spätere Verrechnung möglich.

Das Arbeitsamt wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.02.1997 als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen für eine vorläufige Leistung nach § 147 Abs.1 Nr. 3 AFG lägen nicht vor, da noch eine medizinische Abklärung nötig sei.

Dagegen hat der Kläger am 13.03.1997 Klage zum Sozialgericht (SG) München erhoben, die unter dem Az.: S 35 Al 393/97 geführt wurde.

Die medizinische Abklärung nahm die Arbeitsamtsärztin und Betriebsmedizinerin Dr.F. vor, die den Kläger am 08.01.1997 untersuchte. Der Kläger gab "Wirbelsäulenbeschwerden, Psyche" als Leiden an. Er sei am 09.12.1996 aufgrund der psychischen Belastung wegen seiner Arbeitslosigkeit und wegen der Art der für ihn vorgesehenen Tätigkeit gestürzt. Einem Befundbericht des Allgemeinarztes V. vom 14.01.1997 entnahm Dr.F.: Der Patient sei seit 1995 in ambulanter Behandlung wegen Depressionen, Überlastungssyndrom, Bluthochdruck, Wirbelsäulensyndrom und Fingergelenksarthrose. Geklagt werde über Schwellungen an den Fingergelenken, Muskelverspannungen und Druckschmerz im Brust- und Lendenwirbelsäulenbereich mit Schmerzausstrahlung in den Brustraum. Der psychische Zustand des Patienten sei sicherlich durch die Arbeitslosigkeit und die damit einhergehenden sozialen Konsequenzen bedingt. Dem beigegeben waren Blutdruck- und Laborwerte des Klägers. Ein von der Barmer Ersatzkasse beigezogener Auszug über die Krankheitszeiten des Klägers vom 08.01.1997 bescheinigte Krankheitszeiten vom 06.06.1995 bis 05.07.1995 ("Depression, Angina pectoris") und vom 09.12.1996 bis 13.12.1996 ("Depression").

Die Arbeitsamtsärztin Dr.F. stellte aufgrund der beigezogenen Unterlagen und der eigenen Untersuchung die Diagnosen: "Arthrotische Veränderungen der Fingerendglieder, leichte Rundrückenfehlhaltung der Brustwirbelsäule, Übergewicht, Neigung zu erhöhtem Blutdruck". In ihrem Gutachten vom 05.02.1997 hielt sie den Kläger für noch in der Lage, vollschichtige Tätigkeiten in temperierten Räumen in Tagesschicht, Früh-/Spätschicht oder Nachtschicht zu verrichten. Diese könnten leicht bis mittelschwer sein und im Stehen, Gehen oder Sitzen ausgeführt werden. Zu vermeiden seien Nässe und Kälte. Schwere Männerarbeiten könnten ihm nicht vollschichtig abverlangt werden. Feinarbeiten könne der Kläger nicht verrichten.

Am 05.02.1997 führte die zuständige Vermittlerin K. ein Telefongespräch mit der Zeugin J ... In dem Betrieb seien 80 % Frauen und 20 % Männer beschäftigt. Der Kläger hätte nach der Krank- schreibung ab Montag, den 16.12.1996, bei L. anfangen können.

Der Kläger selbst sprach am 17.02.1997 vor und gab an: Er habe die Arbeit nicht antreten können, da diese ihm zu schwer sei, wie das vorliegende ärztliche Attest bestätige.

Dazu vermerkte die Vermittlerin, dass es sich nach Auskunft der Personalleiterin J. um keine schwere Tätigkeit gehandelt habe.

Mit Bescheid vom 11.03.1997 versagte das Arbeitsamt dem Kläger die Wiederbewilligung von Arbeitslosenhilfe auf seinen Antrag vom 16.12.1996 hin bis zum 02.03.1997. Wegen des Nichtantritts der Stelle bei der Firma L. sei eine zwölfwöchige Sperrzeit vom 16.12.1996 bis zum 02.03.1997 eingetreten, während der der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe ruhe. Der Kläger habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die ihm vorgeschlagene Tätigkeit der Firma L. nicht angetreten, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, die Annahme der Tätigkeit bei der Firma L. sei ihm nicht zumutbar gewesen. Dies gelte trotz seiner langdauernden vorangehenden Arbeitslosigkeit. Es widerspreche den Grundsätzen einer sachgerechten Vermittlung, da ungelernte Tätigkeiten Arbeitslosen vorbehalten bleiben müssten, die beruflich minderqualifiziert seien. Auch sei zu besorgen, dass, wenn er in einer unterqualifizierten Tätigkeit untergebracht sei, seitens des Arbeitsamts keine Vermittlung in eine ausbildungsadäquate Tätigkeit mehr betrieben werde. Im Übrigen seien ihm schwere körperliche Anstrengungen, wie sie bei Lagerarbeiten anfielen, nicht möglich. Er sei nicht im Stande, Hilfsmittel wie Gabelstapler oder sonstige Fahrzeuge zu bedienen, könne vielmehr nur reine Handarbeiten durchführen, also nur schwere, ihm nicht zumutbare körperliche Tätigkeiten ausüben.

Am 15.09.1997 führte die Widerspruchsstelle des Arbeitsamts ein weiteres Telefonat mit der Zeugin J. Dazu ist vermerkt: Der Kläger habe bereits bei der ersten Vorstellung mitgeteilt, dass er für die vorgesehene Tätigkeit überqualifiziert sei und außerdem diese Arbeit nicht verrichten könne. Gleichwohl sei nachfolgend ein Arbeitsvertrag mit Beginn 09.12.1996 geschlossen worden. Als sich der Kläger dann zum Arbeitsbeginn krank gemeldet habe, sei er durch die Firma in Kenntnis gesetzt worden, dass er nach Ende der Arbeitsunfähigkeit die Tätigkeit aufnehmen solle. Der Arbeitsplatz befinde sich in einer geschlossenen Werkhalle. Die für den Kläger vorgesehene Tätigkeit hätte darin bestanden, an einem Förderband Turnschuhe in Kartons zu schichten, ohne die Kartons heben und tragen zu müssen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.10.1997 änderte das Arbeitsamt den angefochtenen Bescheid vom 11.03.1997 insoweit ab, als der zwölfwöchige Sperrzeit- und Ruhenszeitraum auf den 17.12.1996 bis 10.03.1997 verlegt wurde. Im Übrigen wies das Arbeitsamt den Widerspruch als unbegründet zurück.

Dagegen erhob der Kläger gleichfalls Klage zum Sozialgericht (SG) München, die unter dem Az.: S 35 Al 1761/97 geführt wurde.

Der Kläger trug vor: Bei der ersten Vorstellung am 28.11.1996 habe die Personalleiterin J. gesagt, sie müsse sich seine, des Klägers Unterlagen nicht anschauen, da er für die zu vergebende Tätigkeit, eine reine Hilfsarbeitertätigkeit, nicht geeignet sei. Am 03.12.1996 habe er sich auf Anweisung des Arbeitsamts nochmals vorstellen müssen. Die benannte J. habe lediglich die Zuteilung von Arbeitskleidung vorgeschlagen, ihm sei nicht gesagt worden, dass seine Tätigkeit im Schichten von Turnschuhen an einem Förderband bestehen solle, wie nunmehr angeführt. Vielmehr sei ihm gesagt worden, dass er sämtliche für Lager- arbeiter anfallende Tätigkeiten zu verrichten habe.

Das Sozialgericht zog noch einen Befundbericht des Allgemeinarztes V. vom 01.02.1999 bei. Darin bescheinigte dieser dem Kläger die bisherigen Diagnosen, zusätzlich eine rechtsseiti- ge Epikondylitis seit 1998 und Arbeitsunfähigkeitszeiten vom 06.06.1995 bis 05.07.1995, vom 09.12.1996 bis 13.12. 1996 und vom 21.04.1998 bis 23.04.1998.

In der mündlichen Verhandlung am 16.04.1999 verband das SG die Streitigkeiten S 35 Al 393/97 und S 35 Al 1761/97 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung.

Die seinerzeitige Personalleiterin J. wurde uneidlich als Zeugin einvernommen.

Sie gab an: Aufgabe des Klägers wäre es gewesen, nach Maßgabe eines Auftragszettels einen Karton, der sich auf einem Rollband befunden habe, mit den benötigten Schuhen zu füllen. Es habe sich um keine Tätigkeit gehandelt, die mit Heben oder Tragen verbunden gewesen sei. Die Arbeit werde auch überwiegend von Frauen ausgeführt.

Man habe Saisonkräfte für zwei bis drei Monate gesucht, so etwa 20 bis 30 weibliche und männliche Mitarbeiter. Es hätte auch die Möglichkeit bestanden, dass ein Dauerarbeitsplatz daraus geworden wäre. Von 20 bis 30 Saisonkräften würden jeweils ungefähr vier bis fünf Arbeitnehmer übernommen.

Zum Vorstellungsgespräch am 28.11.1996 in der Niederlassung N. sei der Kläger sehr elegant mit einem Aktenkoffer erschienen. Sie, die Zeugin, habe ihn zunächst für einen Kunden gehalten und gefragt was er wolle. Der Kläger habe erklärt, dass er vom Arbeitsamt geschickt worden sei. Er habe den Bewerbungsbogen nicht ausfüllen wollen, da er studiert habe. Er habe dann seinen Aktenkoffer geöffnet und seine Diplome als Akademiker vorgezeigt. Sie habe ihm erklärt, dass sie einen Lagerarbeiter suche. Wenn es sich um einen Irrtum des Arbeitsamts handle, müsse er sich dort wieder melden. Sie, die Zeugin, habe sich anschließend mit dem Arbeitsamt in Verbindung gesetzt und es sei ihr gesagt worden, dass der Kläger wegen seiner langen Arbeitslosigkeit die für ihn vorgesehene Tätigkeit auch als Akademiker annehmen müsse.

Der Kläger sei daraufhin am 03.12.1996 ein weiteres Mal, diesmal in die Zentrale nach I. gekommen, und habe nunmehr einen Arbeitsvertrag für eine befristete Tätigkeit vom 09.12. 1996 bis 15.03.1997 bzw. 31.03.1997 unterschrieben.

Am 09.12.1996 sei der Kläger aber nicht erschienen, sondern habe sich bis 13.12.1996 krank gemeldet. Am 16.12.1996 sei er wiederum nicht erschienen. Stattdessen habe sie ein vom 13.12. 1996 datiertes Schreiben des Klägers erhalten, worin er unter Hinweis auf ein Attest, welches er dem Arbeitsamt übersandt habe, mitgeteilt habe, dass er für die Arbeit nicht tauglich sei.

Wäre der Kläger am 16.12.1996 erschienen, hätte er mit der Arbeit anfangen können.

Hätte er die für ihn vorgesehene Arbeit in Augenschein nehmen wollen, so hätte sie ihn mit der Schichtleiterin zum Arbeitsplatz geschickt.

Mit der Angabe im Stellenangebot, dass ein Bewerber ohne gesundheitliche Einschränkungen gesucht sei, sei gemeint gewesen, dass der Bewerber arbeitsfähig sein müsse.

Das SG hat die verbundenen Klagen mit Urteil vom 16.04.1999 als unbegründet abgewiesen.

Die Klage gegen den Bescheid vom 28.01.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.1997 (S 35 Al 393/97) sei unbegründet. Die Voraussetzungen für eine vorläufige Bewilligung von Arbeitslosenhilfe nach § 147 Abs.1 Satz 1 Nr.3 AFG trotz möglichen Eintritts einer Sperrzeit auch für den fraglichen Ruhenszeitraum hätten nicht vorgelegen, da noch eine Abklärung notwendig gewesen sei.

Die Klage gegen den Bescheid vom 11.03.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.10.1997 sei gleichfalls unbegründet. Der Kläger hätte die ihm vorgeschlagene Tätigkeit bei der Firma L. ohne weiteres ausüben können. Es habe sich um leichte Frauenarbeiten gehandelt, im Übrigen gebe der Kläger seit Jahren bezahlte Trainerstunden als Tennislehrer.

Mit der Berufung trägt der Kläger vor: Bei der ersten Vorstellung am 28.11.1996 habe ihm die Zeugin J. ohne weitere Erläuterung der vorgesehenen Tätigkeit erklärt, dass er als Diplom-Ökonom für die in Frage stehende Hilfsarbeitertätigkeit nicht geeignet sei, und habe ihn de facto weggeschickt. Anschließend habe ihn dann seine Vermittlerin K. angerufen und dazu genötigt, sich nochmals bei der Firma L. vorzustellen. Sie habe ihm gedroht, seine Arbeitslosenhilfe werde verfallen, wenn er die ihm dort angebotene Arbeit nicht annehme. Bei der zweiten Vorstellung am 03.12.1996 habe ihn die Zeugin J. angebrüllt, so dass er in einem depressiven Zustand zur Vertragsunterschrift genötigt worden sei. Am Tag der usprünglich vorgesehenen Arbeitsaufnahme, dem 09.12.1996, habe ihn die Zeugin angerufen und trotz seiner Krankmeldung erneut angebrüllt. Über die Art der für ihn vorgesehenen Tätigkeit sei er weiterhin nicht unterrichtet worden.

Der Kläger reichte im Berufungsverfahren etliche ärztliche Berichte ein: einen Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Dr.B. vom 22.12.1999 an den Hausarzt, Allgemeinarzt V. , einen Arztbrief des Rheumatologen Dr.F. an den arbeitsamts- ärztlichen Dienst vom 07.12.2000 sowie einen weiteren Arztbrief des Neuropsychiaters Dr.B. an den Allgemeinarzt V. vom 26.04.2001, schließlich die Kopie eines neuerlichen Gutachtens der Arbeitsamtsärztin Dr.F. vom 01.12.2000. Neben den bisherigen Leiden des Klägers wird nunmehr u.a. internistisch der Verdacht auf eine Neuroborreliose aufgrund eines Zeckenbisses 1999 geäußert, allerdings ohne sicheren serologischen Hinweis, desweiteren wird vom Neuropsychiater Dr.B. eine Persönlichkeitsstörung mit depressiv schizoiden Merkmalen mit mangelnder Anpassungsfähigkeit und mangelnder Stressbelastbarkeit diagnostiziert, die den Kläger außer Stande setze, auch einfache Arbeiten unter Zeitdruck, in Gruppen, mit Publikum zu verrichten.

In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben. Sie erklärt sich in Abänderung der angefochtenen Bescheide bereit, dem Kläger Arbeitslosenhilfe für den 16.12.1996 zu gewähren.

Der Kläger hat das Teilanerkenntnis der Beklagten angenommen und beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 16.04.1999 sowie die Bescheide der Beklagten vom 28.01.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.1997 und vom 11.03. 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.10. 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 17.12.1996 bis 02.03.1997 zu leisten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat auf die Gründe des Ersturteils verwiesen.

Der Senat hat die Akten des SG und der Beklagten einschließlich der vollständigen Vermittlungsunterlagen (BewA) des Klägers beigezogen, des Weiteren die Akten der BfA Berlin. Die BEK hat dem Senat mit Schreiben vom 13.08.2001 und 10.09.2001 die Krankheitszeiten des Klägers mit Diagnosen seit 09.12.1996 mitgeteilt. Der Seminarleiter W. hat den Senat mit Schreiben vom 20.10.2000 über den Verlauf der Fortbildungsmaßnahme des Klägers "EDV-orientiertes Wirtschaftstraining für Akademiker/innen" des BFZ I. vom 11.07.1994 bis 07.07.1995 unterrichtet. Die Nachfolgefirma der Firma L. , die "R. Logistik Gruppe" I. hat dem Senat die dort noch über den Vorgang aufbewahrten Unterlagen, nämlich den Arbeitsvertrag vom 03.12.1996, den vom Kläger ausgefüllten Personalbogen sowie die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 09.12.1996 bis 13.12.1996 übersandt. Wegen des Tatbestandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der eingeholten Auskünfte und der gesamten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere statthafte und form- wie fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet.

Das SG hat die Klage gegen den Bescheid vom 28.01.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.1997 (S 35 Al 393/97) zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine vorläufige Bewilligung von Arbeitslosenhilfe auch für den möglichen Sperrzeitraum nach § 147 Abs.1 Nr.3 AFG la- gen nicht vor. Die Voraussetzungen für den Anspruch waren nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben, nachdem noch eine ärztliche Abklärung erforderlich war.

Die Klage gegen den Bescheid vom 11.03.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.10.1997 war insoweit - von der Beklagten bereits anerkannt - begründet, als dem Kläger für den 16.12.1996 Arbeitslosenhilfe zu gewähren war. Im Übrigen hat das SG die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Anlässlich des Nichtantretens der Stelle bei der Firma L. ist nach den §§ 119, 119a AFG eine zwölfwöchige Sperrzeit eingetreten.

Nach §§ 119, 119a AFG tritt eine Sperrzeit von zwölf Wochen ein, wenn der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine vom Arbeitsamt unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Arbeit nicht angenommen oder nicht angetreten hat, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben.

Dem Kläger wurde mit schriftlichem Angebot vom 12.11.1996 eine Arbeitsstelle bei der Firma L. in deren Niederlassung in N. angeboten.

Der Vermittlungsvorschlag war mit der der Sperrzeitregelung der §§ 119, 119a AFG entsprechenden Rechtsfolgenbelehrung "R1" für den Fall des dem Arbeitslosen zurechenbaren Nichtzustandekommens eines Beschäftigungsverhältnisses versehen.

Der Kläger hat am 03.12.1996 einen Arbeitsvertrag mit der Firma L. über eine Tätigkeit als Lagerarbeiter vom 09.12.1996 bis 15.03. bzw. 31.03.1997 geschlossen. Dieser Vertrag war wirksam. Für eine Geschäftsunfähigkeit des Klägers zum damaligen Zeitpunkt ergeben sich aus den Ergebnissen der Untersuchung durch die Arbeitsamtsärztin Dr.F. am 08.01.1997 wie auch aus dem dem arbeitsamtsärztlichen Dienst übersandten Befundbericht des Allgemeinarztes V. vom 14.01.1997 keine Hinweise.

Der Kläger hat die nach Ablauf seiner Arbeitsunfähigkeit vom 09.12.1996 bis 13.12.1996 noch nicht besetzte Stelle am Montag, den 16.12.1996, nicht angetreten.

Er hatte hierfür keinen wichtigen Grund.

Die von der Firma L. angebotene Stelle war dem Kläger zumutbar, obwohl er ein abgeschlossenes Hochschulstudium hat und es sich bei der Tätigkeit bei der Firma L. um eine einfache Beschäftigung der Zumutbarkeitsstufe V nach § 12 der Zumutbarkeitsanordnung handelte. Das Arbeitsförderungsrecht kennt keinen dauerhaften Berufsschutz. Der Kläger war seit Januar 1986 arbeitslos. Aufgrund der kurzen Dauer seiner vorangegangenen Beschäftigung betrug der Berufsschutz für jede Qualifikationsstufe des § 12 Abs.2 der Zumutbarkeitsanordnung nach den §§ 8, 12 Abs.1 der Zumutbarkeitsanordnung jeweils vier Monate. Durch die Teilnahme an der Fortbildungsmaßnahme "EDV-orientiertes Wirtschaftstraining für Akademiker/innen" von Juli 1994 bis Juli 1995 kehrte der Kläger nicht etwa in die Qualifikationsstufe I der Hochschulabsolventen zurück, nachdem er weder während dieser Maßnahme in ein Praktikum zu vermitteln war, noch anschließend eine entsprechende Tätigkeit ausübte, vielmehr weiterhin arbeitslos war.

Laut den Vermittlungsunterlagen wurde der Kläger im Laufe seiner langdauernden Arbeitslosigkeit mehrfach über die ihm zumutbaren Tätigkeiten aufgeklärt. Auch hat die zuständige Vermittlerin K. den Kläger nach seinem eigenen Vortrag nach dem Scheitern des ersten Vorstellungsgesprächs am 28.11.1996 nochmals ausdrücklich zu der Firma L. hingeschickt, da ihm die dort angebotene Tätigkeit auch als Akademiker zumutbar sei.

Eine Tätigkeit des Klägers bei der Firma L. hätte auch nicht ausgeschlossen, dass der Kläger weiter Arbeitssuchender im Sinne des § 14 Abs.1 AFG geblieben wäre, mit der Folge, dass die Bundesanstalt auf Wunsch des Klägers hin weiterhin hätte versuchen müssen, ihm höherqualifizierte Tätigkeiten zu vermitteln (Niesel-Brand, Rdz.6 zu § 14 AFG).

Die Tätigkeit des Klägers bei der Firma L. war ihm auch gesundheitlich zumutbar.

Nach der Beschreibung der Tätigkeit durch die Zeugin handelte es sich um eine eher leichte Arbeit, die auch von Frauen verrichtet werden konnte. Der Kläger hätte Turnschuhe an einem Förderband in einen Karton schichten müssen, ohne die Kartons selbst zu heben oder zu tragen. Ausgeschlossen hatte der Hausarzt des Klägers, Allgemeinarzt V. , in seinem Attest vom 12.12.1996 lediglich schwere körperliche Arbeiten. Auch die Arbeitsamtsärztin Dr.F. schloss für den Kläger lediglich schwere Männerarbeiten aus. Zwar handelte es sich bei der Tätigkeit bei der Firma L. um Schichtarbeit. Die Arbeitsamtsärztin Dr.F. hatte dem Kläger aber in ihrem Gutachten vom 05.02.1997 bis mittelschwere Tätigkeiten in Tagesschicht, Früh-/Spätschicht und Nachtschicht zugemutet und hatte auch Zeitdruck nicht ausgeschlossen.

Die vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Unterlagen und die vom Senat beigezogenen Akten und eingeholten Auskünfte ergeben keinen Anhaltspunkt dafür, dass die seinerzeitige Beurteilung der Arbeitsamtsärztin Dr.F. falsch war.

Allenfalls hat sich der Zustand des Klägers seither verschlechtert. So haben die Krankheitszeiten seit Ende 1996 nach Auskunft der Barmer Ersatzkasse vom 13.08.2001 zugenommen. Verzeichnet sind nach dem Stand August 2001: 09.12.1996 bis 13.12. 1996 (Depression), 21.04.1998 bis 23.04.1998 (grippaler Infekt), 04.09.2000 bis 20.09.2000 (leichte depressive Episode, sonstige Mononeuropathien, Erschöpftsein bei Witterungsunbilden, Hypertonie), 02.11.2000 bis 09.12.2000 (depressive Episode, Interkostalneuralgie, Erschöpfung bei Witterungsunbilden, sonstige Gelenkkrankheiten), 10.01.2001 bis laufend (depressive Episode, Interkostalneuralgie, Erschöpfung durch Ausgesetztsein gegenüber Witterungsunbilden, Lyme-Krankheit). Am 27.12.2000 hat der Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beantragt. Die begutachtenden Ärzte haben den Kläger für vollschichtig mit Einschränkungen erwerbsfähig erklärt. Die BfA Berlin hat dem Kläger mit Bescheid vom 21.08.2001 einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, d.h. nach §§ 43 Abs.1, 240 SGB VI mit Rücksicht auf seine nervliche Minderbelastbarkeit eine Berufsunfähigkeitsrente alten Rechts ab Antrag zuerkannt. Was die vom Kläger selbst vorgelegten ärztlichen Unterlagen betrifft, so findet sich ein erstmaliger Bericht über das Aufsuchen eines Neuropsychiaters im Arztbrief des Dr.B. vom 22.12.1999, worin dem Kläger eine Persönlichkeitsstörung mit hochgradig überwertigen Ideen bescheinigt wird. Allenfalls ab diesem Zeitpunkt, wenn überhaupt, kann man davon ausgehen, dass der Vorstellung des Klägers, er könne als Akademiker keine einfachen Tätigkeiten verrichten, Krankheitswert zukommt. Auch die Neuroborreliose oder auch nur der dahingehende Verdacht, der serologisch nicht bestätigt werden konnte, geht erst auf einen Zeckenbiss im Sommer 1999 zurück.

Es kann offen bleiben, ob der Kläger nach seinem aktuellen Befinden in der Lage wäre, eine Tätigkeit wie diejenige auszuüben, die er bei der Firma L. zu verrichten gehabt hätte. Der Senat hat jedenfalls nach den damaligen ärztlichen Aussagen keinen Zweifel daran, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Angebots dieser Stelle im November/Dezember 1996 dazu gesundheitlich in der Lage war.

Der Kläger kann auch keinen Irrtum seinerseits über die Art der für ihn vorgesehenen Tätigkeit als wichtigen Grund dafür geltend machen, dass er die Stelle nicht angetreten hat. Der Kläger wurde zwar laut Arbeitsvertrag vom 03.12.1996 als "Lager- arbeiter" eingestellt, was verschiederlei Möglichkeiten offen lässt, welche Tätigkeiten hiermit verbunden sind. Er hat jedoch am 03.12.1996 außerdem einen Personal-Fragebogen unterzeichnet. Danach habe er sich als "Lager- und Transport-Helfer" beworben. Die Frage: "Dürfen Sie ohne Beeinträchtigung ihrer Gesundheit die bei der voraussichtlichen Tätigkeit anfallenden Arbeiten verrichten?" hat der Kläger bejaht. Dies deutet darauf hin, dass der Kläger durchaus Kenntnis davon hatte, welche konkre- te Tätigkeit von ihm auszuüben gewesen wäre. Selbst wenn dies nicht der Fall war, konnte er ohne Weiteres nachfragen. Die Zeugin hat glaubhaft bekundet, dass sie ihn in diesem Fall an seinen Arbeitsplatz geführt hätte. Sollte der Kläger demnach tatsächlich in Unkenntnis über die ihm abverlangte Tätigkeit und die damit verbundenen Anforderungen gewesen sein, so ist dies seinem Desinteresse an der ihm nach seinem Verständnis als Akademiker unzumutbaren Hilfstätigkeit und seiner mangelnden Nachfrage zuzuschreiben.

Der Senat konnte unter den gegebenen Umständen im Eintritt einer vollen Sperrzeit von zwölf Wochen nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen auch keine besondere Härte erkennen, so dass eine Halbierung der Sperrzeit nach § 119 Abs.2 AFG nicht möglich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Anlass, die Revision nach § 160 Abs.2 Nr.1 oder Nr.2 SGG zuzulassen, bestand nicht. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Das Urteil des Senats weicht nicht ab von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts und beruht auf dieser Abweichung.
Rechtskraft
Aus
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