L 11 AL 257/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AL 833/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 257/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 9. April 1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die ehrenamtliche Tätigkeit des Klägers als Vorsitzender eines Vereins die Beklagte berechtigte, die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) aufzuheben.

Dem Kläger war durch Bescheid der Beklagten vom 02.10.1996 Alg ab 14.08.1996 für 576 Tage aufgrund des Formblattantrages vom 14.08.1996 bewilligt worden. Im Formblattantrag hatte er unterschriftlich versichert, dass er das Merkblatt für Arbeitslose "Ihre Rechte, Ihre Pflichten" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen habe.

Die Beklagte erhielt im August 1997 einen Hinweis, dass der Kläger in der "Selbsthilfegruppe B." eV (Verein) in D. als 1.Vorsitzender ganztägig tätig sei. Die Beklagte ließ den Kläger am 09.09.1997 und 10.09.1997 von einem Mitarbeiter beobachten. Der Mitarbeiter schloss aus seinen Wahrnehmungen, dass sich der Kläger am 09.09.1997 mit Unterbrechungen und am 10.09.1997 ganztägig in den Büroräumen des Vereins aufgehalten habe. Bei einer persönlichen Anhörung durch das Arbeitsamt (AA) Ansbach äußerte der Kläger am 17.09.1997: Seine Tätigkeit erstrecke sich für den Verein auf weniger als 18 Stunden wöchentlich. Soweit er sich in größerem Umfange in den Büroräumen des Vereins aufhalte, geschehe dies rein privat, um Dinge zu erledigen, die er genauso zu Hause erledigen könnte.

Mit Bescheid der Beklagten vom 24.09.1997, der dem Kläger am 25.09.1997 durch die Post überbracht wurde, hob die Beklagte die Bewilligung von Alg mit Wirkung ab 27.09.1997 auf. Der Klä- die Grenze der Kurzzeitigkeit übersteige. Seine Erklärung, er sei nur unter 18 Stunden pro Woche tätig, werde durch die getroffenen Feststellungen widerlegt.

Der am 25.09.1997 erhobene Widerspruch ist mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.1997 zurückgewiesen worden.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg (SG) hat der Kläger erklärt, dass der Verein Ende Mai 1996 gegründet worden sei. Seit Ende 1996 stünden dem Verein feste Räume zur Verfügung. Für die Mitarbeiter des Vereins seien nun feste Öffnungszeiten von 08.00 bis 18.00 Uhr eingerichtet worden.

Die als Zeugin vom SG vernommene ehemalige Mitarbeiterin des Vereins, Frau K. , hat ausgesagt: Sie habe zunächst ab 01.03.1997 bis 15.04.1997 nachmittags an fünf Stunden und vom 01.06.1997 bis zum 15.08.1997 vormittags bis 13.00 Uhr im Verein gearbeitet. Während ihrer Arbeitszeit sei der Kläger überwiegend anwesend gewesen. Das Büro sei täglich zehn Stunden besetzt gewesen. Sie habe gute Kontakte zu einer weiteren Mitarbeiterin des Vereins gehabt, die zeitversetzt zu ihr gearbeitet habe, und zu dem Werkstattleiter des Vereins, der ganztägig eingesetzt gewesen sei. Nach deren Bekundungen sei der Kläger überwiegend anwesend gewesen. Der Kläger sei der Chef gewesen, der "Motor des Vereins". Er habe die Arbeit eingeteilt, die Mitarbeiter an- und eingewiesen und alle kaufmännischen und verwaltungstechnischen Arbeiten für den Verein erledigt. Er habe die Werbung übernommen, Kontakte zu Geschäftsleuten, den staatlichen Stellen, den Kirchen und dgl hergestellt, Vorträge organisiert und auch Kontakte mit der Presse aufgenommen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 09.04.1998 abgewiesen. Es sei auch bei kritischer Würdigung der Aussagen der Zeugin K. nicht daran zu zweifeln, dass der Kläger mehr als 18 Stunden pro Woche für den Verein gearbeitet habe. Es sei, da für den Verein erst ab Ende 1996 feste Räume zur Verfügung gestanden hätten und erst dann ein Gebrauchtwarenmarkt eingerichtet werden konnte, davon auszugehen, dass die mehr als kurzzeitige Tätigkeit des Klägers für den Verein erst nach der Bekanntgabe seines Alg-Bewilligungsbescheides erfolgt sei. Die Einlassung des Klägers, seine Anwesenheit in den Räumen des Vereins habe, soweit sie über 18 Stunden pro Woche hinausgegangen sei, nur privaten Zwecken gedient, sei nicht glaubhaft. Die Zeugin selbst habe dem Gericht nachvollziehbar die Arbeit des Klägers geschildert. Danach habe der Kläger mehr als eine Vollzeitkraft für den Verein gearbeitet. Rechtlich sei es ohne Bedeutung, ob der Kläger entgeltlich oder unentgeltlich, selbständig oder unselbständig für den Verein gearbeitet habe.

Das Urteil des SG ist dem Kläger am 03.07.1998 zugestellt worden.

Mit seiner am 01.08.1998 erhobenen Berufung macht der Kläger geltend: Sein Engagement für den Verein als 1.Vorsitzender sei ausschließlich ehrenamtlich gewesen. Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis habe nicht bestanden. Die ehrenamtliche Tätigkeit sei für den Staat und insbesondere für Arbeitslose sehr wichtig, wenn sie, wie im vorliegenden Fall, zur Verbesserung der Eingliederungsaussichten beitrage. Er habe der Arbeitsvermittlung ständig zur Verfügung gestanden. Nach Erhalt des Bescheides vom 24.09.1997, habe er beim AA Dinkelsbühl vorgesprochen und ausdrücklich erklärt, dass er die Tätigkeit beim Verein auf die zulässigen 18 Stunden in der Woche einschränken werde. Daran habe er sich auch gehalten. Seiner Erinnerung nach sei er ab dem 02.10.1997 überwiegend vormittags maximal zwei bis drei Stunden für den Verein tätig gewesen. Im Übrigen sei er der Meinung, dass ehrenamtliche Tätigkeit weder der Verfügbarkeit noch der Arbeitslosigkeit abträglich sei. Dies habe das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen (Urteil vom 23.05.2000 - Az: L 7 Al 392/99) in einem vergleichbaren Fall festgestellt.

Der Kläger beantragt:

1. Das Urteil des SG Nürnberg S 5 Al 833/97 vom 09.04.1998, zugestellt am 03.07.1998, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Aufhebungsbescheid vom 24.09.1997 über die Bewilligung von Alg wegen fehlender Arbeitslosigkeit zurückzunehmen,
2. ab 27.09.1997 weiter Alg plus 4 % Zinsen zu zahlen, den
3. Beitragsrückstand von derzeit DM 985,70 bei der DAK plus Säumniszuschlägen zu tragen,
4. die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte,
5. die Revision wird zugelassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 09.04.1998 - Az S 5 AL 833/97 - als unbegründet zurückzuweisen,

Sie verkenne nicht das ehrenamtliche soziale Engagement des Klägers. Jedoch schließe ein solches Engagement die rechtlichen Folgen einer daraus resultierenden fehlenden Arbeitslosigkeit und Verfügbarkeit nicht aus, wenn aufgrund des zeitlichen Umfangs des Engagements die Kurzzeitigkeitsgrenze überschritten werde. Die subjektive Bereitschaft des Klägers, jederzeit eine Arbeit aufzunehmen, reiche für die Annahme von Verfügbarkeit nicht aus, wenn er objektiv durch Tätigkeiten für den Verein zeitlich mehr als kurzzeitig gebunden gewesen sei. Aufgrund seiner ganztägigen Anwesenheit in den Vereinsräumen habe der Kläger auch nicht das Erfordernis der Erreichbarkeit im Sinne von § 103 Abs 1 Nr 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) iVm § 1 Aufenthalts-Anordnung erfüllt.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten (Stammnr: 21874) und des SG, insbesondere auf das Terminsprotokoll vom 09.04.1998, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.

Die Beklagte hat zu Recht gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) die Bewilligung von Alg (Bescheid vom 02.10.1996) durch den streitgegenständlichen Bescheid vom 24.09.1997 mit Wirkung für die Zukunft (dh ab 27.09.1997) aufgehoben. Denn in den Verhältnissen des Klägers, die dem Bewilligungsbescheid zugrunde lagen, war eine Änderung eingetreten, die einen Anspruch auf Alg ausschloss.

Der Kläger hatte nach Erlass des Bewilligungsbescheides vom 02.10.1996 die Tätigkeit des 1.Vorsitzenden im Verein in einem Maße ausgedehnt, dass die Kurzzeitigkeitsgrenze von 18 Stunden pro Woche überschritten wurde und er der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung stand.

Die Kurzzeitigkeitsgrenze von 18 Stunden resultiert aus § 101 Abs 1 AFG iVm § 102 AFG (idF des 8.Gesetzes zur Änderung des AFG vom 14.12.1987 [BGBl I S 2602, 2605], in Kraft ab 01.01.1988. § 102 AFG mit der Kurzzeitigkeitsgrenze von 18 Stunden war trotz seiner Änderung durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz vom 24.03.1997 (BGBl I S 594) wegen des § 242y Abs 1 AFG, der durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz in das AFG eingefügt wurde, in seiner bis zum 31.03.1997 geltenden Fassung auf Sachverhalte bis zum 31.12.1997 weiterhin anzuwenden.

Dass der Kläger mindestens 18 Stunden pro Woche - in der Zeit, in der auch die Zeugin K. im Verein beschäftigt war - für den Verein tätig war, steht zur Überzeugung des Senats fest aufgrund der detaillierten Aussagen von Frau K. vor dem SG und der damit übereinstimmenden Beobachtungen der Beklagten. Die Aussagen der Zeugin K. vor dem SG sind genau und bis in die Einzelheiten in sich widerspruchsfrei und glaubhaft. Der Senat schließt sich der überzeugenden Würdigung dieser Zeugenaussage durch das Erstgericht an (vgl Urteil vom 09.04.1998, dort S 5-7). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nach der Zeit, in der er mit der Zeugin K. zusammenarbeitete, in geringerem Umfange als 18 Stunden als Vorsitzender des Vereins tätig gewesen ist. Die Feststellungen des Außendienstmitarbeiters der Beklagten, der den Kläger an zwei Tagen im September 1997 beobachtet hat, belegen im Gegenteil, dass der Kläger in mehr als kurzzeitigem Umfang in den Bürozeiten für den Verein tätig war.

Soweit der Kläger im Berufungsverfahren geltend gemacht hat, er habe seine Tätigkeit für den Verein ab dem 02.10.1997 nach Erhalt des Aufhebungsbescheides auf die zulässige Zeit von 18 Wochenstunden beschränkt, hat dies für die streitgegenständliche Verwaltungsentscheidung keine Bedeutung. Denn es ist allein darauf abzustellen, ob die Alg-Aufhebung zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung am 24.09.1997 unter Berücksichtigung des Beginns der Aufhebung, nämlich ab dem 27.09.1997, den tatsächlichen Verhältnissen entsprach. Die klägerische Einlassung in der mündlichen Verhandlung am 28.11.2000, er habe ab 02.10.1997 seine Tätigkeit für den Verein auf die "zulässigen" 18 Stunden eingeschränkt, wird nur verständlich, wenn er für die Zeit zuvor von einem zeitlich umfangreicheren Engagement ausging.

Anspruch auf Alg hatte nach §§ 100, Abs 1, 103 Abs 1 Satz 1 AFG nur, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand. Dazu war nach ständiger Rechtsprechung (BSG SozR 4100 § 103 Nr 39 S 91, 92; SozR 4100 § 103 Nr 46 S 127, 128; BSG Urteil vom 24.04.1997 Az 11 RAr 39/96 S 3; BSG Urteil vom 17.07.1997 Az 7 RAr 12/96 S 5; BSG Urteil vom 05.11.1998 Az B 11 AL 35/98 R S 4) erforderlich, dass sich der Arbeitslose aktuell der Vermittlungstätigkeit der Bundesanstalt für Arbeit zur Verfügung hielt. Diesem Erfordernis war grundsätzlich auch dann nicht genügt, wenn zwar keine die Arbeitslosigkeit ausschließende Tätigkeit ausgeübt wurde, aber die bisher fehlende objektive Vermittelbarkeit erst zu dem Zeitpunkt herbeigeführt werden sollte, an dem dem Arbeitslosen ein Arbeitsangebot unterbreitet wurde, es also gestaltender Entscheidungen des Arbeitslosen bedurfte. Im vorliegenden Falle hätte der Kläger sich zur Herstellung seiner aktuellen Verfügbarkeit von seinem Vollzeitengagement als 1.Vorsitzender im Verein trennen müssen. Da der Kläger sich nach den glaubhaften Aussagen der Zeugin K. voll für den Verein engagiert hatte, ist die nötige Lösung von seinem Engagement im Prinzip nicht anders zu beurteilen, als wenn ein Arbeitsloser sich zB von einer selbstgesuchten Bildungsmaßnahme lösen müsste.

Der Senat kann es wegen der Besonderheiten des vorliegenden Falles dahinstehen lassen, ob eine ehrenamtliche, caritative oder sportliche Tätigkeit eines Arbeitslosen seiner Verfügbarkeit grundsätzlich nicht schadet, wie es in der vom Kläger zitierten Entscheidung des LSG Niedersachsen (Urteil vom 23.05.2000 Az: L 7 AL 392/99) vertreten wird. In dieser Entscheidung wurde allerdings die postalische Erreichbarkeit des Arbeitslosen im Sinne des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG ausdrücklich festgestellt. Das im vorliegenden Fall gegebene besondere, sichtbar gelebte Engagement des Klägers für den Verein, das in seinem zeitlichen Umfang (mehr als kurzzeitig) und nach Lage der Tätigkeiten in der allgemeinen Geschäftszeit über eine übliche ehrenamtliche Tätigkeit weit hinausging und den Kläger insbesondere auch überwiegend davon abhielt, sich zu den üblichen Zeiten des Eingangs der Briefpost unter der von ihm in seinem Alg-Antrag benannten Anschrift aufzuhalten, schließt einen Vergleich mit der zitierten Entscheidung aus. Diese unterscheidet sich vom vorliegenden Fall vor allem bezüglich der Erreichbarkeit des Arbeislosen. Der Arbeitslose hatte in der genannten Entscheidung einen wesentlichen Teil seiner ehrenamtlichen Tätigkeit von 30 Stunden pro Woche zu Hause verrichtet und hatte sich regelmäßig in den Zeiten des üblichen Posteingangs zu Hause aufgehalten, so dass das LSG Niedersachsen von seiner postalischen Erreichbarkeit ausgehen konnte.

Im vorliegenden Fall ist der Senat jedoch davon überzeugt, dass der Kläger wegen seines Engagements für den Verein für die Arbeitsvermittlung nicht in der vom Gesetz geforderten Weise erreichbar gewesen ist (§ 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG iVm § 1 Aufenthalts-Anordnung ). Danach musste der Arbeitslose unter der von ihm benannten, für die Zuständigkeit des Arbeitsamts maßgeblichen Anschrift mit der ordentlichen täglichen Post erreichbar sein. Diese Regelung sollte sicherstellen, dass der Arbeitslose alle wichtigen und deshalb schriftlich übermittelten Nachrichten sofort mit dem üblichen Posteingang in Empfang nehmen konnte.

Da der Kläger sich jedoch überwiegend ganztägig während der Öffnungszeiten des Vereins von 08.00 bis 18.00 Uhr in den Räumen des Vereins aufhielt, war diese Voraussetzung nicht gegeben.

Da die Beklagte den Kläger zu dem Umfang und der Schädlichkeit seiner Tätigkeit im Verein für seinen Alg-Anspruch am 17.09.1997 persönlich angehört hat und der Kläger sich zu dem Umfang seiner Arbeit für den Verein auch geäußert hat, ergeben sich bezüglich einer Anhörung (§ 24 SGB X) und der Voraussetzungen der Aufhebung der Alg-Bewilligung ab 27.09.1997, dh mit Wirkung für die Zukunft (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB X) des am 24.09.1997 zur Post gegebenen Bescheides (BSGE 61, 189 (190)) keine durchgreifenden Bedenken.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben (§ 160 SGG).
Rechtskraft
Aus
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