L 8 AL 268/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 35 AL 709/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 268/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 09.07.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Erteilung einer Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung streitig.

Mit Schreiben vom 26.03.1996 und 30.04.1996 beantragte der Kläger beim Landesarbeitsamt Bayern bzw. beim Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg die Erteilung der Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Die Arbeitnehmerüberlassung sollte in der L. Personaldienstleistungen GbR in M. und B. betrieben werden.

Die Beklagte lehnte mit Bescheiden vom 06.12.1996 und 10.01. 1997 die Anträge im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Erlaubnis sei zu versagen, da der Kläger die erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitze. Nach den vorliegenden Unterlagen sei er in den Jahren 1980 bis 1989 wegen Einkommens- und Vermögensdelikten rechtskräftig verurteilt worden. Die finanzielle Grundausstattung liege nicht vor, weil er am 30.11.1995 beim Amtsgericht München eine eidesstattliche Versicherung abgegeben habe. Das Finanzamt München III habe Einkommensteuerschulden von DM 427.205,71, Lohnsteuerrückstände von DM 12.527,34 und Umsatzsteuerrückstände von DM 23.244,96 festgestellt. Im Übrigen wurde die Ablehnung auch auf den Bescheid der Landeshauptstadt München vom 29.03.1993 gestützt, mit dem dem Kläger die Ausübung des Gewerbes "Vermittlung von Versicherungen und Bausparverträgen; Betrieb eines Schreibbüros - Handelsvertretung in Textilien und Lebensmittel; Durchführung von Werbemaßnahmen" sowie jegliche gewerbliche Tätigkeit als selbständiger Gewerbetreibender im stehenden Gewerbe untersagt worden war. Die dagegen zum Bayerischen Verwaltungsgericht erhobene Klage war mit Urteil vom 24.10.1995 abgewiesen worden. Unabhängig von der Höhe der Steuerschulden, die wegen der laufenden Verfahren noch nicht feststünden, sei festzustellen, dass der Kläger mehrfach die Steuererklärungen nicht fristgerecht eingereicht und Zahlungen nicht nach Fälligkeit geleistet habe, weshalb bereits erhebliche Bedenken gegen die gewerberechtliche Zuverlässigkeit bestünden.

Mit den dagegen erhobenen Widersprüchen machte der Kläger im Wesentlichen geltend, dass in seinem Führungszeugnis keine Eintragung von Straftaten mehr vorhanden sei; im Übrigen seien die anhängigen Verfahren bei Verwaltungs- und Finanzgericht noch nicht rechtskräftig entschieden.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 26.03. und 25.04.1997 wies die Beklagte die Widersprüche als unbegründet zurück. Auch wenn die Gewerbeuntersagung und die Steuerbescheide noch nicht rechtskräftig seien, würden sie die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger die erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitze, insbesondere, weil er unter anderem die Vorschriften über die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer nicht einhalte.

Mit den am 02.05. und 27.05.1997 zum Sozialgericht (SG) München erhobenen Klagen hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und insbesondere erneut darauf hingewiesen, er verfüge über ein Führungszeugnis vom 22.02.1996, das keine Eintragungen enthalte. Die vom Finanzamt mitgeteilten Steuerschulden seien überholt, nachdem die tatsächlichen Schulden weitaus geringer seien. Soweit die Beklagte geltend gemacht habe, die Auswertung zahlreicher beschlagnahmter Unterlagen der Firmen U. , G. , A. und C. hätten Verstöße ergeben, würden anhängige Gerichtsverfahren zeigen, dass diese Verstöße geringfügig seien und den Entzug von Erlaubnissen zur Arbeitnehmerüberlassung nicht rechtfertigen würden. Die Beklagte hat hingegen zahlreiche Verfahren aufgelistet, unter anderem von Firmen bezüglich des Widerrufs der Erlaubnis, weil der Kläger trotz faktischer Geschäftsführung Gesellschafter gewesen sei (Bescheide 05.09.1986 und 14.04.1987). Seine Verstöße als Hintermann bezüglich der Firmen U. , G. , C. und A. würden bis in die Jahre 1995 bis 1996 hineinreichen.

Nach Verbindung der beiden Streitsachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung hat das SG Unterlagen des Verwaltungsgerichtshofs (Az.: 22 B 95.3719) beigezogen. Des Weiteren hat es Ermittlungen beim Finanzamt München III durchgeführt. Mit Schreiben vom 07.06.1999 hat das Finanzamt dem SG die Steuerschulden des Klägers für die Jahre 1984, 1986, 1987, 1991, 1992 und 1996 mitgeteilt, wobei sich eine Gesamtsumme von DM 280.407,86 und Umsatzsteuerschulden für die Jahre 1986 bis 1993 von DM 30.520,24 ergaben.

Mit Urteil vom 09.07.1999 hat das SG die Klage abgewiesen. Die von der Beklagten in den Widerspruchsbescheiden angeführten Tatsachen würden die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger die für die Ausübung der Tätigkeit nach § 1 AÜG erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitze. Maßgeblich sei, wie bereits das Verwaltungsgericht im Urteil vom 24.10.1995 ausgeführt habe, dass er seit Jahren die ihm obliegenden steuerlichen Verpflichtungen verletze. Da derzeit kein Verfahren beim Finanzgericht anhängig sei, seien die Steuerbescheide bestandskräftig. Die Steuerschulden würden auf die Unzuverlässigkeit des Klägers schließen lassen, weil sie Ausfluss mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit seien.

Mit seiner Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass seine Steuerschulden zwischenzeitlich auf DM 59.000,00 reduziert worden seien. Auch beruft er sich auf den Bescheid der Landeshauptstadt München vom 08.07.1999, wonach ihm nach § 34c Gewerbeordnung die Erlaubnis, gewerbsmäßig den Abschluss von Verträgen zu vermitteln oder die Gelegenheit zum Abschluss solcher Verträge nachzuweisen, über Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte, Wohnräume und gewerbliche Räume erteilt worden sei. Des Weiteren weist er erneut auf ein aktuelles polizeiliches Führungszeugnis hin, worin keine Eintragungen mehr zu verzeichnen seien.

Auf eine entsprechende gerichtliche Anfrage teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass im Verfahren unter dem Az.: 302 VRs 18.599/86 noch eine Forderung über DM 6.552,64 gegen den Kläger offenstehe. Von Seiten der Staatsanwaltschaft Essen wurde eine Anklageschrift vom 08.05.2000 übersandt, wonach dem Kläger vorgeworfen wird, durch sieben selbständige Handlungen in der Zeit von Anfang 1997 bis August 1998 es als Geschäftsführer entgegen § 64 Abs.1 des GmbH-Gesetzes unterlassen zu haben, wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung die Eröffnung des Konkursverfahrens oder des gerichtlichen Vergleichsverfahrens zu beantragen, und in einem Fall mit einem weiteren Angeschuldigten gemeinschaftlich als Arbeitgeber Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung der Einzugsstelle vorenthalten zu haben. Die Staatsanwaltschaft München I teilte mit, dass gemäß § 154 Abs.1 von einer Strafverfolgung abgesehen worden sei, da der Kläger wegen einer anderen Tat eine Bestrafung zu erwarten habe. Die Strafe, die wegen der angezeigten Tat (Insolvenzverschleppung) verhängt werden könnte, würde daneben voraussichtlich nicht beträchtlich ins Gewicht fallen. Des Weiteren ist ein Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Leipzig unter dem Az.: 204 Js 10823/01 anhängig.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 09.07.1999 sowie die Bescheide vom 06.12.1996 und 10.01.1997 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 25.04.1997 und 26.03.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass der Kläger die erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitze. Dabei verweist sie insbesondere auf ein Schreiben des Kreisverwaltungsreferats an den Kläger vom 23.03.2000. Darin teilte das KVR im Hinblick auf eine mögliche Untersagung der Ausübung eines Gewerbes nach § 35 Abs.1 Satz 1 Gewerbeordnung als Sachverhalt mit, dass die Innungskrankenkasse Brandenburg und Berlin dem KVR am 08.03. 2000 mitgeteilt habe, dass die Gewerbetreibende (der Kläger) Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 01.11.1997 bis 31.01. 1998 in Höhe von DM 19.380,20 einschließlich Nebenforderungen schulde. Das Zentralfinanzamt habe mit Schreiben vom 14.02.2000 mitgeteilt, dass sich die Rückstände des Klägers an Einkommen-, Umsatz-, Lohn- und Lohnkirchensteuer sowie Solidaritätszuschlägen zur Einkommen- und Lohnsteuer auf DM 1.045.172,20 belaufen würden. Wie aus einem Schreiben des Kassen- und Steueramts der Landeshauptstadt München vom 17.03.2000 hervorgehe, würden die Zahlungsrückstände des Klägers DM 145.925,30 betragen, wobei sämtliche bisher durchgeführte Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos gewesen seien. Aufgrund dieses Sachverhalts gehe man davon aus, dass die für einen Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht vorliegen würde, weshalb man beabsichtige, das Gewerbe zu untersagen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 09.07.1999 sowie die zugrunde liegenden Bescheide sind nicht zu beanstanden, denn hier liegen Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger die für die Ausübung der Tätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt.

Nach Art.1 § 3 Abs.1 Nr.1 AÜG ist die nach Art.1 § 1 Abs.1 AÜG erforderliche Erlaubnis zum gewerbsmäßigen Betrieb der Überlassung von Leiharbeitnehmern an Dritte zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für die Ausübung der Tätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, insbesondere, weil er die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts, über die Einhaltung und Abführung der Lohnsteuer, über die Arbeitsvermittlung, über die Anwerbung im Ausland oder über die Arbeitserlaubnis, die Vorschriften des Arbeitsschutzrechts oder die arbeitsrechtlichen Pflichten nicht einhält. Aus dem Wort "insbesondere" ergibt sich, dass die aufgeführten Umstände, an denen die Annahme der Unzuverlässigkeit geknüpft wird, nicht abschließend ist. Vielmehr kann sich die Unzuverlässigkeit auch aus anderen Umständen ergeben, insbesondere Vorstrafen und ungeordneten Vermögensverhältnissen (so ausdrücklich BT-Drucksache VI/2303 S.11). Nach den Vorstellungen des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren hätte das Merkmal der "ungeordneten Vermögensverhältnisse" als besonderer Versagungsgrund in das Gesetz aufgenommen werden sollen (BT-Drucksache VI 2303, Anlage 2 S.20); die Bundesregierung hielt demgegenüber diese Klarstellung für entbehrlich, da ungeordnete Vermögensverhältnisse bereits die Unzuverlässigkeit nach Abs.1 Nr.1 begründeten (Gegenäußerung in BT-Drucksache VI 2303 Anlage 3 S.24).

Anhaltspunkte für "ungeordnete Vermögensverhältnisse" sind etwa die Eröffnung des Konkursverfahrens oder die Eintragung des Verleihers in das vom Konkursgericht oder vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 107 Konkursordnung - KO -; § 915 Zivilprozessordnung - ZPO -). Entsprechendes hat zu gelten, wenn ein Antragsteller die eidesstattliche Versicherung nach § 807 ZPO abgegeben hat (Becker/Wulfgram, Kommentar zum AÜG, 3. Auflage, Rdnr.26 zu Art.1 § 3; Schüren, AÜG, Rdnr.93 zu § 3 AÜG). Somit spricht jedenfalls die letztmals am 30.11.1995 abgegebene eidesstattliche Versicherung gegen die Zuverlässigkeit des Klägers, es sei denn, dass sich gegenüber dem damaligen Zeitpunkt die Verhältnisse in einem für den Kläger positiven Sinne geändert hätten, da hinsichtlich der im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung zu erstellenden Prognose über die zukünftige Entwicklung auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht, hier Berufungsgericht, abzustellen ist (BSG SozR 3-7815 Art.1 § 3 Nr.3). Hiergegen sprechen eindeutig die Feststellungen des Kreisverwaltungsreferats in dessen Schreiben vom 23.03.2000. Danach hat das Zentralfinanzamt mit Schreiben vom 14.02.2000 mitgeteilt, dass sich die Rückstände des Klägers an Einkommen-, Umsatz-, Lohn- und Lohnkirchensteuer sowie Solidaritätszuschlägen zur Einkommen- und Lohnsteuer auf DM 1.045.172,20 belaufen. Des Weiteren ist festzuhalten, dass nach den Mitteilungen der Innungskrankenkasse Brandenburg und Berlin Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 01.11.1997 bis 31.01.1998 DM 19.380,20 betragen. Darüber hinaus bestehen Zahlungsrückstände beim Kassen- und Steueramt der Landeshauptstadt München in Höhe von DM 145.925,30.

Den geordneten Vermögensverhältnissen kommt deshalb Bedeutung zu, weil der Verleiher das Lohnzahlungsrisiko für seine Leiharbeitnehmer auch für Zeiten trägt, in denen er sie nicht einsetzen kann, weshalb er über ein Mindestmaß an Finanzreserven verfügen muss, um die Ansprüche der Arbeitnehmer erfüllen zu können (Schüren, a.a.O., Rdnr.92).

Die Tatsache, dass in dem aktuellen Führungszeugnis des Klägers keine Eintragungen mehr enthalten sind, entlastet diesen nicht. Entgegen dem Verwertungsverbot gemäß § 51 Bundeszentralregistergesetz dürfen frühere Taten nach § 52 Abs.1 Nr.4 dieses Gesetzes berücksichtigt werden, wenn der Betroffene die Zulassung zu einem Beruf oder einem Gewerbe, die Einstellung in den öffentlichen Dienst oder die Erteilung einer Waffenbesitzkarte, eines Munitionserwerbes, Waffenscheins, Jagdscheins oder einer Erlaubnis des § 27 des Sprengstoffgesetzes beantragt, falls die Zulassung, Einstellung oder Erteilung der Erlaubnis sonst zu einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit führen würde; das Gleiche gilt, wenn der Betroffene die Aufhebung einer die Ausübung eines Berufs oder Gewerbes untersagenden Entscheidung beantragt. Zwar mag es grundsätzlich fraglich sein, ob die Erteilung einer Erlaubnis nach § 1 AÜG an eine unzuverlässige Person zu einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit in diesem Sinne führt. Denn jedenfalls stand die Straftat, weswegen der Kläger mit Urteil des Landgerichts München I vom 27.01. 1999 - Az.: 19 KLS 302 JS 18599/86 wegen Steuerhinterziehung und Beitragsvorenthaltung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden ist, im Zusammenhang mit einer Arbeitnehmerverleihtätigkeit (Firma "A.").

Somit war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 09.07.1999 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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