Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 35 AL 559/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 282/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 28.07.1999 sowie der Bescheid vom 15.11.1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.1991 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Antrag des Klägers im Schriftsatz vom 30.10.1989 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu verbescheiden. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
I.
Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen einer Überprüfung gemäß § 44 SGB X die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) wegen der Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs streitig (01.03. mit 26.11.1985, 21.07. mit 10.11.1986).
Dem am 1943 geborenen ledigen Kläger, von Beruf Volljurist, der seit 01.08.1981 mit Unterbrechungen im Leistungsbezug des Beklagten gestanden hat, gewährte letztere ab 01.02.1984 Anschluss-Alhi unter Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs gegenüber seinem Vater. Im Einzelnen wurde ihm ab 01.03.1985 Alhi in Höhe von DM 135,78 wöchentlich unter Anrechnung von DM 160,00 bewilligt, reduziert auf DM 126,55 (Bescheide vom 11.03.1985/24.06.1985), ab 01.07.1985 in Höhe von DM 164,46 unter Anrechnung von DM 137,93, reduziert auf DM 119,02 (Bescheide vom 24.07.1985/02.09.1985) bzw. in Höhe von DM 183,36 unter Anrechnung von DM 119,02 (Bescheid vom 04.09.1985). Während einer vom 16.10.1985 mit 20.07.1986 vorliegenden Arbeitsunfähigkeit (stationärer Aufenthalt in der Klinik für dynamische Psychiatrie M. GmbH 27.03. mit 20.07.1986) gewährte die Barmer Ersatzkasse vom 27.11.1985 mit 20.07.1986 Krankengeld. Anschließend bezog der Kläger ab 21.07.1986 erneut Alhi in Höhe von DM 179,64 unter Berücksichtigung eines Anrechnungsbetrages von DM 123,96 weiter (Bescheid vom 26.09.1986), schließlich ab 01.10.1986 in Höhe von DM 205,62 unter Anrechnung von DM 97,97 (Bescheid vom 06.10.1986). Der Leistungsbezug endete am 10.11.1986 aufgrund einer erneuten Aufnahme in o.g. Klinik. Durch Bescheid vom 25.05.1987 wurden vorgenannte Bescheide vom 26.09. und 06.10.1986 mit Wirkung vom 21.07.1986 insoweit abgeändert, als ab 21.07.1986 Alhi in Höhe von DM 214,02 wöchentlich unter Anrechnung eines Betrages von DM 135,80 wöchentlich gewährt wurde.
II.
Durch Schreiben vom 30.10.1989, beim Arbeitsamt eingegangen am 03.11.1989, beantragte der Kläger für die Bewilligungszeiträume März mit November 1985 und Juli mit November 1986 eine Überprüfung hinsichtlich der fiktiven Unterhaltsansprüche gemäß § 44 SGB X. Er habe sich stets geweigert, eine Beschäftigung unterhalb des erlernten Berufes anzunehmen und auszuüben, auch habe ihm der Vater tatsächlich keinen Unterhalt gewährt. Unter Bezugnahme auf die Urteile des BSG vom 13.06.1985 und 07.09.1988 bat er um die Neuberechnung seiner Leistungen. Das Begehren wurde durch Bescheid vom 15.11.1989 abgelehnt. Die zu Grunde liegenden bestandskräfigen Bewilligungsbescheide könnten gemäß § 152 Abs.1 a AFG für die Vergangenheit nicht aus unterhaltsrechtlichen Gründen zurückgenommen werden. Im Übrigen seien die Bewilligungen bis zur Entscheidung des BSG vom 07.09.1988 rechtmäßig gewesen. Selbst bei unterstellter Rechtswidrigkeit hätte die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens zu einer Ablehnung des Antrages geführt.
Hiergegen wandte der Kläger im Wesentlichen ein, die AFG-Novellierung sei verfassungswidrig. § 152 Abs.1 Halbsatz 2 sei mit einer Rückwirkung verbunden, mit der er nicht habe rechnen müssen. Denn der Gesetzgeber habe auch bei der früheren Entscheidung des BSG vom 13.06.1985 nicht reagiert. Der Rechtsbehelf wurde im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 06.05.1991), die seinerzeitigen Bewilligungen seien rechtlich nicht zu beanstanden gewesen. Selbst bei angenommener Rechtswidrigkeit hätte die Ermessensausübung zu einer Ablehnung geführt. Durch § 152 Abs.1 2.Halbsatz AFG sei der BA eingeräumt worden, über die Rücknahme für die Vergangenheit nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Im Rahmen des ihr zustehenden weiten Spielraumes habe weder die Rechtssicherheit noch die Einzelfallgerechtigkeit einen Vorrang. Die Vorschrift stelle ein Billigkeitsventil dar. Die Dienststellen der BA hätten ein erhebliches Interesse an der Bestandskraft der Bewilligungen. Neben der Alhi-Bewilligung sei grundsätzlich ein Sozialhilfebezug möglich, dabei würde von der Sozialhilfeverwaltung ein fiktiver Unterhalt in stärkerem Maße berücksichtigt, als dies nach dem AFG möglich sei. Ein genereller Vollzug würde im Übrigen ein Massenverfahren für die Vergangenheit nach sich ziehen, wohin gegen die Nachteile für den Betroffenen tragbar seien. Eine Rücknahme der seinerzeitigen Alhi-Bewilligungen sei daher unangemessen. Insgesamt sei die Ablehnung durch Bescheid vom 15.11.1989 nicht zu beanstanden.
III.
Die hiergegen zum Sozialgericht (SG) München erhobene Klage wurde durch Urteil vom 15.07.1993 mit der Begründung abgewiesen, gemäß § 152 Abs.1 a AFG könnten bestandskräftige Bescheide wegen Unterhaltsansprüchen nicht für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Das am 15.07.1993 verkündete Urteil war nach einer Auskunft der Geschäftsstelle des SG vom 17.02.1994 an diesem Tag noch nicht abgesetzt. Wegen Urlaubs des Vorsitzenden würde die Absetzung auch noch einige Zeit dauern. Tatsächlich wurde eine Urteilsausfertigung erst am 04.01.1995 zur Post gegeben.
Auf die Berufung des Klägers hob der 9. Senat des Bayer. Landessozialgerichts (LSG) das Urteil des SG München auf und wies den Rechtsstreit an die erste Instanz zurück. Wegen der nicht rechtzeitigen Absetzung liege ein absoluter Revisionsgrund vor. Eine ordnungsgemäße Grundlage für die Entscheidung durch das Berufungsgericht sei mithin schlechterdings nicht gegeben. Ohne zutreffende tatsächliche Feststellungen lasse sich nicht erkennen, ob die Beklagte dem Kläger die einschränkende Zugunstenregelung des § 152 Abs.1 a AFG a.F. entgegenhalten könne. Das SG werde insoweit zu beachten haben, dass sich die Rechtsprechung des BSG zu der am 08.07.1989 in Kraft und am 31.12.1991 außer Kraft getretenen Vorschrift des § 137 Abs.1 a AFG entgegen der Auffassung der Beklagten auf den Anwendungsbereich des § 152 Abs.1 a AFG auswirke. Nach der Auffassung des Senats sei es maßgeblich, ob die Anrechnung von Einkommen für die Zukunft (ab 08.07.1989) nach § 137 Abs.1 a AFG gerechtfertigt sei. In diesem Falle könne es ohne diese rechtliche Grundlage bei der Anrechnung in der Vergangenheit verbleiben. Anderenfalls sei ein Anspruch auf Zugunstenregelung nicht ausgeschlossen. Insoweit sei auch der Vergleich vom 15.07.1993 in den Verfahren S 34 AL 558/91 und 790/91 zwischen den Beteiligten zu beachten, in dem sich die Beklagte verpflichtet habe, dem Kläger für die Zukunft Leistungen ohne Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs gegen seinen Vater zu gewähren.
IV.
Die nunmehr zuständige 35. Kammer des SG wies die Klage durch Gerichtsbescheid vom 28.07.1999 im Wesentlichen mit der Begrün- AFG gelte für alle Überprüfungsanträge, die nach Inkrafttreten der Vorschrift gestellt worden seien. Hier sei der Antrag vom 30.10.1989 am 03.11.1989 bei der Beklagten eingegangen. Alhi-Empfänger, die keinen Rechtsbehelf gegen die fiktive Unterhaltsanrechnung eingelegt hätten, hätten nicht damit rechnen können, dass der Gesetzgeber nach der Entscheidung des BSG vom 07.09.1988 untätig bleiben würde.
V.
In dem dagegen eingeleiteten Berufungsverfahren rügt der Kläger im Wesentlichen einen Verstoss gegen Art.3 Abs.1 GG und die Rückwirkung des § 152 Abs.1 a AFG a.F. Gemäß § 152 Abs.1 AFG habe er darauf vertrauen können, während des ganzen Jahres 1989 einen Zugunstenantrag stellen zu können. Seiner Auffassung nach hätte die Beklagte von sich aus alle in Frage kommenden Leistungsempfänger auf diese geänderte Rechtsprechung aufmerksam machen müssen, von der er erst im Jahr 1989 erfahren habe. Außerdem hätte die Beklagte aufgrund eines näher ausgeführten Härtefalles unter Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens entscheiden müssen. Letztere hält die zulässige Berufung für nicht begründet und bezieht sich insoweit auf ihren erstinstanziellen Vortrag.
Der Senat hat neben den Streitakten des ersten Rechtszuges die Leistungsakte der Beklagten sowie die erledigten früheren Streit- und Berufungsakten beigezogen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des SG München vom 28.07.1999 sowie den Bescheid vom 15.11.1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.1991 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 11.03.1985 und 24.06.1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.1985 sowie der Bescheide vom 24.07.1985 und 04.09.1985, vom 26.09.1986, 06.10.1986 und 25.05.1987 zu verurteilen, ihm Alhi für die Zeiträume 01.03. mit 26.11.1985 und 21.07. mit 10.11.1986 ohne Berücksichtigung eines fiktiven Unterhaltsanspruches zu gewähren.
Demgegenüber beantragt die Beklagte,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG München vom 28.07.1999 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie der oben angeführten weiteren Akten Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift der Senatssitzung vom 29.03.2001.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mangels Vorliegens einer Beschränkung grundsätzlich statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Berufung des Klägers, §§ 143 ff. SGG, erweist sich im Sinne einer Aufhebung des Gerichtsbescheides sowie der Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats als begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen.
Der Senat entscheidet trotz klägerischen Ausbleibens im Termin vom 29.03.2001 durch Urteil, denn der Kläger wurde in der ihm am 10.03.2001 durch Niederlegung bei der Dienststelle 80339 München, Filiale 12 der Deutschen Post AG zugestellten Terminsmitteilung vom 08.03.2001 ausdrücklich auf diese Möglichkeit hingewiesen.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 15.11.1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.1991, mit dem die Beklagte den Überprüfungsantrag des Klägers vom 30.10.1989 abgelehnt hat.
Zu Unrecht hat sich das SG darauf berufen, dass der Rücknahme unanfechtbarer Verwaltungsakte aus unterhaltsrechtlichen Gründen für die Zeit vor dem 08.07.1989 die durch das KOV-Anpassungsgesetz vom 30.06.1989 (BGBl. I.1288) eingefügte Vorschrift des § 152 Abs.1 a AFG entgegenstehe. Zwar hat die am 08.07.1989 in Kraft getretene und mit Ablauf des 31.12.1993 ersatzlos weggefallene Vorschrift des § 152 Abs.1 a AFG grundsätzlich vorgesehen, dass soweit für die Zeit vor dem 08.07.1989 Unterhaltsansprüche nach § 138 Abs.1 Nr.1 AFG berücksichtigt worden sind, unanfechtbare Verwaltungsakte für die Vergangenheit nicht aus unterhaltsrechtlichen Gründen zurückgenommen werden. Jedoch korrespondierte diese Regelung mit der besonderen Regelung zur Bedürftigkeit bei der Arbeitslosenhilfe, die als Abs.1 a des § 137 AFG ab 01.07.1989 durch das obige Gesetz eingefügt worden war und gemäß § 249 a AFG befristet bis zum 31.12.1991 galt, vgl. Henke in Hennig-Kühl-Heuer, AFG, § 152 Anm.29 ff.
Abs.1 a ist ohne die Rechtsprechung des BSG zur Anrechnung von Unterhaltsansprüchen auf die Alhi und die Reaktion des Verordnungs- bzw. Gesetzgebers hierauf nicht zu verstehen. Danach gilt: Bemüht sich der volljährige Arbeitslose nicht um Arbeiten, die zwar nach dem Recht der Alhi unzumutbar, nach dem Unterhaltsrecht des BGB aber zumutbar sind, so besteht kein anrechenbarer Unterhaltsanspruch, vgl. BSG vom 07.09.1998, 11 RAr 25/88. Die Bestimmung des § 10 Nr.3 der Alhi-Verordnung, eingefügt mit Wirkung vom 21.12.1988, führte zu keinem die Verwaltungspraxis der BA zufriedenstellenden Ergebnis. Mit dieser Vorschrift sollte die Beibehaltung der von der Rechtsprechung des BSG nicht gebilligten Praxis ermöglicht werden, Unterhaltsansprüche eines Arbeitslosen gegen Eltern und Kinder wie nach § 138 Abs.1 Nr.1 AFG zu berücksichtigen, auch wenn dessen Ansprüche deshalb nicht gegeben waren, weil der Arbeitslose sich nicht auch um einfache Arbeiten bemüht hat. Das BSG hat diese Vorschrift als nicht mit der Rechtsetzungsermächtigung des § 137 Abs.3 AFG in Einklang stehend bezeichnet, vgl. BSG vom 28.06.1990, 7 RAr 22/90. Die am 08.07.1989 in Kraft und am 31.12.1991 außer Kraft getretene Vorschrift des § 137 Abs.1 a AFG war ebenfalls nicht geeignet, zur Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruches zu führen. Denn sie setzte voraus, dass die unterlassene Handlung des Arbeitslosen für das Fehlen des Unterhaltsanspruchs kausal war. Auch das wurde vom BSG für den Regelfall verneint, vgl. Urteil vom 17.10.1991, 11 RAr 125/90. Mit der am 08.07.1989 eingeführten einschränkenden Zugunstenregelung des § 152 Abs.1 a AFG sollte verhindert werden, dass die Verwaltungspraxis, soweit ihr für die Zukunft durch § 137 Abs.1 a eine Rechtsgrundlage unterlegt wurde, in bereits bindend gewordenen Fällen eine Korrektur erfuhr. Auch dieser gesetzgeberische Vorstoss misslang. Denn die Rechtsprechung des BSG zu § 137 Abs.1 a wirkte sich zwangsläufig auf den Anwendungsbereich des § 152 Abs.1 a AFG aus. Nur soweit die Anrechnung von Einkommen für die Zukunft (ab 08.07.1989) nach § 137 Abs.1 a gerechtfertigt wäre, sollte es auch ohne diese rechtliche Grundlage bei Anrechnungen in der Vergangenheit sein Bewenden haben. Soweit die Berücksichtigung eines Unterhaltsanspruches auch nach § 137 Abs.1 a nicht gerechtfertigt wäre, sollte der Anspruch auf eine Zugunstenentscheidung demgegenüber nicht ausgeschlossen sein. In solchen Fällen sollte es vielmehr beim Grundsatz des § 152 Abs.1 Satz 1 Halbsatz 2 bleiben, in dessen Rahmen die allgemeinen Grundsätze der Ermessenausübung zum Tragen kommen sollten, vgl. Henke, a.a.O., Anm.35 sowie Wagner im Gemeinschaftskommentar zum AFG, § 152 Anm.24.
Konkret ist im Fall des Klägers festzuhalten, dass dieser in allen Instanzen vorgetragen hat, unterhalb seines Vermittlungsniveaus weder zu einer Arbeitssuche noch zur Ausübung einer Beschäftigung bereit zu sein. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Kläger, der über eine qualifizierte Ausbildung verfügt, nach einer amtsärztlichen Untersuchung vom 03.09.1986 keinen wesentlichen gesundheitlichen Einschränkungen unterlag und als Alleinstehender uneingeschränkt mobil gewesen ist, seinen Lebensunterhalt durch Einkünfte aus eigener Erwerbstätigkeit bestreiten könnte, wenn er sich nachhaltig und ernsthaft um jegliche ihm mögliche Erwerbstätigkeit bemühen würde. Damit scheidet ein Unterhaltsanspruch nach bürgerlichem Recht aus, eine Anrechnung im Sinne des § 138 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AFG ergab sich nicht. Wie das BSG in seiner Entscheidung vom 17.10.1991, 11 RAr 125/90, vgl. SozR 3-4100 § 137 Nr.2, ausführt, verpflichtete § 137 Abs.1 a AFG den Arbeitslosen nur zur Handlungen, die zur Sicherung eines Unterhaltsanspruchs beitrugen. Bestand ein Unterhaltsanspruch unabhängig von seinem Verhalten jedoch nicht, konnte es auf die Verletzung der unterhaltsrechtlichen Erwerbsmöglichkeiten für die Verneinung der Bedürftigkeit gemäß § 137 Abs.1 a AFG nicht ankommen. Das ist der Fall, wenn offene unterhaltsrechtlich zumutbare Arbeitsplätze für den Arbeitslosen vorhanden sind. Bereits in seiner Entscheidung vom 07.09.1988 (BSGE 64.52) hat das BSG darauf verwiesen, dass der Arbeitslose bei Vorhandensein entsprechender Arbeitsplätze einen Unterhaltsanspruch nicht herbeiführen kann. Nimmt er eine solche Arbeit auf, so ist er tatsächlich nicht mehr unterhaltsbedürftig; verweigert er die Arbeitsaufnahme, so gilt er als nicht unterhaltsbedürftig. Kommt aber ein Unterhaltsanspruch bei Vorhandensein offener Arbeitsstellen ohnehin nicht in Betracht, spielt es keine Rolle, ob und in welchem Umfang sich der Arbeitslose um Arbeitsplätze einfachster Art bemüht hat. Das BSG führte in der vorgenannten Entscheidung u.a. aus, dass die Rechtslage vor Erlass des § 137 Abs.1 a AFG verfassungsgemäß gewesen sei, wie im Urteil vom 07.09.1988 ausgeführt. Lediglich die Verwaltungspraxis sei rechtswidrig und, was damals nicht zu entscheiden gewesen sei, auch verfassungswidrig gewesen. Zur Aufrechterhaltung einer rechts- und verfassungswidrigen Verwaltungspraxis stehe dem Gesetzgeber im Rechtsstaat keine Überlegungsfrist zu. Die Verfassungswidrigkeit schließe es aus, der Verwaltungspraxis nachträglich eine Rechtsgrundlage zu geben, sei es auch nur auf Zeit. Der bewusste Erlass einer verfassungswidrigen Rechtsnorm auf Zeit könne mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Überlegungsfrist des Gesetzgebers nicht verglichen werden.
Entgegen der Auffassung des SG kommt im Fall des Klägers eine Zugunstenentscheidung gemäß § 152 Abs.1 Satz 1 Halbsatz 2 AFG in Betracht. Denn mit dem BSG scheidet eine Anrechnung fiktiver Unterhaltsansprüche auch für die Zukunft (ab 08.07.1989) aus, vgl. Henke a.a.O., Anm.35, Wagner, a.a.O., Anm.24. Insoweit verweist der Senat auch darauf, dass der Beklagte sich in einem Prozessvergleich vom 15.07.1993, S 34 AL 558/91 und 790/91 verpflichtet hat, dem Kläger ab 17.09.1989 Alhi ohne Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs zu gewähren. Oben angeführter Vorschrift zufolge konnte die Beklagte über den Überprüfungsantrag vom 30.10.1989 nur unter pflichtgemäßer Ausübung des Verwaltungsermessens entscheiden. Dem ist sie allerdings nicht hinreichend nachgekommen. Zwar hat sie zumindest im Widerspruchsbescheid vom 06.05.1991 zu erkennen gegeben, ihr Ermessen ausüben zu wollen, insoweit hat sie sich jedoch im Wesentlichen auf die Abwägung formaler Positionen beschränkt (erhebliches Interesse an der Bestandskraft, Massenverfahren bei generellem Vollzug von Vergangenheitsberichtigungen gegenüber "tragbaren" Nachteilen des Betroffenen). Völlig unberücksichtigt geblieben sind demgegenüber die konkreten Verhältnisse des betroffenen Klägers. Bei der Gegenüberstellung der zu Unrecht angerechneten fiktiven Unterhaltsansprüche mit den verbliebenen Zahlungsbeträgen (Bescheid vom 11.03.1985: Anrechnungsbetrag DM 160,00, Zahlbetrag DM 135,78; Bescheid vom 24.07.1985: Anrechnungsbetrag DM 137,93, Zahlbetrag DM 164,46; Bescheid vom 04.09.1985: Anrechnungsbetrag DM 119,02, Zahlbetrag DM 183,36; Bescheid vom 26.09.1986: Anrechnungsbetrag DM 123,96, Zahlbetrag DM 197,64) ergibt sich, dass der Anrechnungsbetrag einen erheblichen Teil des Gesamtanspruchs darstellte und insbesondere im Jahre 1985 ein erhebliches Missverhältnis eingetreten ist. Der Senat kann daher die Rechtsmeinung der Beklagten nicht nachvollziehen, wonach die den Kläger treffenden Nachteile tragbar seien, während eine etwaige Rücknahme der seinerzeitigen rechtswidrigen Alhi-Bewilligungen als unangemessen erscheine. Mit Seewald, Kasseler Kommentar, SGB I § 39 Rdnr.39 wird in einem solchen Fall das Ermessen nicht eigentlich ausgeübt, es liegt vielmehr eine Ermessensunterschreitung vor.
Die Berufung des Klägers war mithin erfolgreich im Sinne einer Aufhebung und einer Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats.
Die Kostenfolge beruht auf den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang war die Beklagte zur Erstattung der notwendigen Aufwendungen zu verpflichten, die dem Kläger in sämtlichen Rechtzügen (einschließlich der Zurückverweisung) zu seiner Rechtsverfolgung entstanden sind.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor. Weder wirft dieses Urteil nämlich eine entscheidungserhebliche höchstrichterlich bisher ungeklärte Rechtsfrage grundsätzlicher Art auf, noch weicht es von einer Entscheidung des BSG, das Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab und beruht hierauf.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
I.
Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen einer Überprüfung gemäß § 44 SGB X die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) wegen der Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs streitig (01.03. mit 26.11.1985, 21.07. mit 10.11.1986).
Dem am 1943 geborenen ledigen Kläger, von Beruf Volljurist, der seit 01.08.1981 mit Unterbrechungen im Leistungsbezug des Beklagten gestanden hat, gewährte letztere ab 01.02.1984 Anschluss-Alhi unter Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs gegenüber seinem Vater. Im Einzelnen wurde ihm ab 01.03.1985 Alhi in Höhe von DM 135,78 wöchentlich unter Anrechnung von DM 160,00 bewilligt, reduziert auf DM 126,55 (Bescheide vom 11.03.1985/24.06.1985), ab 01.07.1985 in Höhe von DM 164,46 unter Anrechnung von DM 137,93, reduziert auf DM 119,02 (Bescheide vom 24.07.1985/02.09.1985) bzw. in Höhe von DM 183,36 unter Anrechnung von DM 119,02 (Bescheid vom 04.09.1985). Während einer vom 16.10.1985 mit 20.07.1986 vorliegenden Arbeitsunfähigkeit (stationärer Aufenthalt in der Klinik für dynamische Psychiatrie M. GmbH 27.03. mit 20.07.1986) gewährte die Barmer Ersatzkasse vom 27.11.1985 mit 20.07.1986 Krankengeld. Anschließend bezog der Kläger ab 21.07.1986 erneut Alhi in Höhe von DM 179,64 unter Berücksichtigung eines Anrechnungsbetrages von DM 123,96 weiter (Bescheid vom 26.09.1986), schließlich ab 01.10.1986 in Höhe von DM 205,62 unter Anrechnung von DM 97,97 (Bescheid vom 06.10.1986). Der Leistungsbezug endete am 10.11.1986 aufgrund einer erneuten Aufnahme in o.g. Klinik. Durch Bescheid vom 25.05.1987 wurden vorgenannte Bescheide vom 26.09. und 06.10.1986 mit Wirkung vom 21.07.1986 insoweit abgeändert, als ab 21.07.1986 Alhi in Höhe von DM 214,02 wöchentlich unter Anrechnung eines Betrages von DM 135,80 wöchentlich gewährt wurde.
II.
Durch Schreiben vom 30.10.1989, beim Arbeitsamt eingegangen am 03.11.1989, beantragte der Kläger für die Bewilligungszeiträume März mit November 1985 und Juli mit November 1986 eine Überprüfung hinsichtlich der fiktiven Unterhaltsansprüche gemäß § 44 SGB X. Er habe sich stets geweigert, eine Beschäftigung unterhalb des erlernten Berufes anzunehmen und auszuüben, auch habe ihm der Vater tatsächlich keinen Unterhalt gewährt. Unter Bezugnahme auf die Urteile des BSG vom 13.06.1985 und 07.09.1988 bat er um die Neuberechnung seiner Leistungen. Das Begehren wurde durch Bescheid vom 15.11.1989 abgelehnt. Die zu Grunde liegenden bestandskräfigen Bewilligungsbescheide könnten gemäß § 152 Abs.1 a AFG für die Vergangenheit nicht aus unterhaltsrechtlichen Gründen zurückgenommen werden. Im Übrigen seien die Bewilligungen bis zur Entscheidung des BSG vom 07.09.1988 rechtmäßig gewesen. Selbst bei unterstellter Rechtswidrigkeit hätte die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens zu einer Ablehnung des Antrages geführt.
Hiergegen wandte der Kläger im Wesentlichen ein, die AFG-Novellierung sei verfassungswidrig. § 152 Abs.1 Halbsatz 2 sei mit einer Rückwirkung verbunden, mit der er nicht habe rechnen müssen. Denn der Gesetzgeber habe auch bei der früheren Entscheidung des BSG vom 13.06.1985 nicht reagiert. Der Rechtsbehelf wurde im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 06.05.1991), die seinerzeitigen Bewilligungen seien rechtlich nicht zu beanstanden gewesen. Selbst bei angenommener Rechtswidrigkeit hätte die Ermessensausübung zu einer Ablehnung geführt. Durch § 152 Abs.1 2.Halbsatz AFG sei der BA eingeräumt worden, über die Rücknahme für die Vergangenheit nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Im Rahmen des ihr zustehenden weiten Spielraumes habe weder die Rechtssicherheit noch die Einzelfallgerechtigkeit einen Vorrang. Die Vorschrift stelle ein Billigkeitsventil dar. Die Dienststellen der BA hätten ein erhebliches Interesse an der Bestandskraft der Bewilligungen. Neben der Alhi-Bewilligung sei grundsätzlich ein Sozialhilfebezug möglich, dabei würde von der Sozialhilfeverwaltung ein fiktiver Unterhalt in stärkerem Maße berücksichtigt, als dies nach dem AFG möglich sei. Ein genereller Vollzug würde im Übrigen ein Massenverfahren für die Vergangenheit nach sich ziehen, wohin gegen die Nachteile für den Betroffenen tragbar seien. Eine Rücknahme der seinerzeitigen Alhi-Bewilligungen sei daher unangemessen. Insgesamt sei die Ablehnung durch Bescheid vom 15.11.1989 nicht zu beanstanden.
III.
Die hiergegen zum Sozialgericht (SG) München erhobene Klage wurde durch Urteil vom 15.07.1993 mit der Begründung abgewiesen, gemäß § 152 Abs.1 a AFG könnten bestandskräftige Bescheide wegen Unterhaltsansprüchen nicht für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Das am 15.07.1993 verkündete Urteil war nach einer Auskunft der Geschäftsstelle des SG vom 17.02.1994 an diesem Tag noch nicht abgesetzt. Wegen Urlaubs des Vorsitzenden würde die Absetzung auch noch einige Zeit dauern. Tatsächlich wurde eine Urteilsausfertigung erst am 04.01.1995 zur Post gegeben.
Auf die Berufung des Klägers hob der 9. Senat des Bayer. Landessozialgerichts (LSG) das Urteil des SG München auf und wies den Rechtsstreit an die erste Instanz zurück. Wegen der nicht rechtzeitigen Absetzung liege ein absoluter Revisionsgrund vor. Eine ordnungsgemäße Grundlage für die Entscheidung durch das Berufungsgericht sei mithin schlechterdings nicht gegeben. Ohne zutreffende tatsächliche Feststellungen lasse sich nicht erkennen, ob die Beklagte dem Kläger die einschränkende Zugunstenregelung des § 152 Abs.1 a AFG a.F. entgegenhalten könne. Das SG werde insoweit zu beachten haben, dass sich die Rechtsprechung des BSG zu der am 08.07.1989 in Kraft und am 31.12.1991 außer Kraft getretenen Vorschrift des § 137 Abs.1 a AFG entgegen der Auffassung der Beklagten auf den Anwendungsbereich des § 152 Abs.1 a AFG auswirke. Nach der Auffassung des Senats sei es maßgeblich, ob die Anrechnung von Einkommen für die Zukunft (ab 08.07.1989) nach § 137 Abs.1 a AFG gerechtfertigt sei. In diesem Falle könne es ohne diese rechtliche Grundlage bei der Anrechnung in der Vergangenheit verbleiben. Anderenfalls sei ein Anspruch auf Zugunstenregelung nicht ausgeschlossen. Insoweit sei auch der Vergleich vom 15.07.1993 in den Verfahren S 34 AL 558/91 und 790/91 zwischen den Beteiligten zu beachten, in dem sich die Beklagte verpflichtet habe, dem Kläger für die Zukunft Leistungen ohne Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs gegen seinen Vater zu gewähren.
IV.
Die nunmehr zuständige 35. Kammer des SG wies die Klage durch Gerichtsbescheid vom 28.07.1999 im Wesentlichen mit der Begrün- AFG gelte für alle Überprüfungsanträge, die nach Inkrafttreten der Vorschrift gestellt worden seien. Hier sei der Antrag vom 30.10.1989 am 03.11.1989 bei der Beklagten eingegangen. Alhi-Empfänger, die keinen Rechtsbehelf gegen die fiktive Unterhaltsanrechnung eingelegt hätten, hätten nicht damit rechnen können, dass der Gesetzgeber nach der Entscheidung des BSG vom 07.09.1988 untätig bleiben würde.
V.
In dem dagegen eingeleiteten Berufungsverfahren rügt der Kläger im Wesentlichen einen Verstoss gegen Art.3 Abs.1 GG und die Rückwirkung des § 152 Abs.1 a AFG a.F. Gemäß § 152 Abs.1 AFG habe er darauf vertrauen können, während des ganzen Jahres 1989 einen Zugunstenantrag stellen zu können. Seiner Auffassung nach hätte die Beklagte von sich aus alle in Frage kommenden Leistungsempfänger auf diese geänderte Rechtsprechung aufmerksam machen müssen, von der er erst im Jahr 1989 erfahren habe. Außerdem hätte die Beklagte aufgrund eines näher ausgeführten Härtefalles unter Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens entscheiden müssen. Letztere hält die zulässige Berufung für nicht begründet und bezieht sich insoweit auf ihren erstinstanziellen Vortrag.
Der Senat hat neben den Streitakten des ersten Rechtszuges die Leistungsakte der Beklagten sowie die erledigten früheren Streit- und Berufungsakten beigezogen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des SG München vom 28.07.1999 sowie den Bescheid vom 15.11.1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.1991 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 11.03.1985 und 24.06.1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.1985 sowie der Bescheide vom 24.07.1985 und 04.09.1985, vom 26.09.1986, 06.10.1986 und 25.05.1987 zu verurteilen, ihm Alhi für die Zeiträume 01.03. mit 26.11.1985 und 21.07. mit 10.11.1986 ohne Berücksichtigung eines fiktiven Unterhaltsanspruches zu gewähren.
Demgegenüber beantragt die Beklagte,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG München vom 28.07.1999 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie der oben angeführten weiteren Akten Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift der Senatssitzung vom 29.03.2001.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mangels Vorliegens einer Beschränkung grundsätzlich statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Berufung des Klägers, §§ 143 ff. SGG, erweist sich im Sinne einer Aufhebung des Gerichtsbescheides sowie der Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats als begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen.
Der Senat entscheidet trotz klägerischen Ausbleibens im Termin vom 29.03.2001 durch Urteil, denn der Kläger wurde in der ihm am 10.03.2001 durch Niederlegung bei der Dienststelle 80339 München, Filiale 12 der Deutschen Post AG zugestellten Terminsmitteilung vom 08.03.2001 ausdrücklich auf diese Möglichkeit hingewiesen.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 15.11.1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.1991, mit dem die Beklagte den Überprüfungsantrag des Klägers vom 30.10.1989 abgelehnt hat.
Zu Unrecht hat sich das SG darauf berufen, dass der Rücknahme unanfechtbarer Verwaltungsakte aus unterhaltsrechtlichen Gründen für die Zeit vor dem 08.07.1989 die durch das KOV-Anpassungsgesetz vom 30.06.1989 (BGBl. I.1288) eingefügte Vorschrift des § 152 Abs.1 a AFG entgegenstehe. Zwar hat die am 08.07.1989 in Kraft getretene und mit Ablauf des 31.12.1993 ersatzlos weggefallene Vorschrift des § 152 Abs.1 a AFG grundsätzlich vorgesehen, dass soweit für die Zeit vor dem 08.07.1989 Unterhaltsansprüche nach § 138 Abs.1 Nr.1 AFG berücksichtigt worden sind, unanfechtbare Verwaltungsakte für die Vergangenheit nicht aus unterhaltsrechtlichen Gründen zurückgenommen werden. Jedoch korrespondierte diese Regelung mit der besonderen Regelung zur Bedürftigkeit bei der Arbeitslosenhilfe, die als Abs.1 a des § 137 AFG ab 01.07.1989 durch das obige Gesetz eingefügt worden war und gemäß § 249 a AFG befristet bis zum 31.12.1991 galt, vgl. Henke in Hennig-Kühl-Heuer, AFG, § 152 Anm.29 ff.
Abs.1 a ist ohne die Rechtsprechung des BSG zur Anrechnung von Unterhaltsansprüchen auf die Alhi und die Reaktion des Verordnungs- bzw. Gesetzgebers hierauf nicht zu verstehen. Danach gilt: Bemüht sich der volljährige Arbeitslose nicht um Arbeiten, die zwar nach dem Recht der Alhi unzumutbar, nach dem Unterhaltsrecht des BGB aber zumutbar sind, so besteht kein anrechenbarer Unterhaltsanspruch, vgl. BSG vom 07.09.1998, 11 RAr 25/88. Die Bestimmung des § 10 Nr.3 der Alhi-Verordnung, eingefügt mit Wirkung vom 21.12.1988, führte zu keinem die Verwaltungspraxis der BA zufriedenstellenden Ergebnis. Mit dieser Vorschrift sollte die Beibehaltung der von der Rechtsprechung des BSG nicht gebilligten Praxis ermöglicht werden, Unterhaltsansprüche eines Arbeitslosen gegen Eltern und Kinder wie nach § 138 Abs.1 Nr.1 AFG zu berücksichtigen, auch wenn dessen Ansprüche deshalb nicht gegeben waren, weil der Arbeitslose sich nicht auch um einfache Arbeiten bemüht hat. Das BSG hat diese Vorschrift als nicht mit der Rechtsetzungsermächtigung des § 137 Abs.3 AFG in Einklang stehend bezeichnet, vgl. BSG vom 28.06.1990, 7 RAr 22/90. Die am 08.07.1989 in Kraft und am 31.12.1991 außer Kraft getretene Vorschrift des § 137 Abs.1 a AFG war ebenfalls nicht geeignet, zur Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruches zu führen. Denn sie setzte voraus, dass die unterlassene Handlung des Arbeitslosen für das Fehlen des Unterhaltsanspruchs kausal war. Auch das wurde vom BSG für den Regelfall verneint, vgl. Urteil vom 17.10.1991, 11 RAr 125/90. Mit der am 08.07.1989 eingeführten einschränkenden Zugunstenregelung des § 152 Abs.1 a AFG sollte verhindert werden, dass die Verwaltungspraxis, soweit ihr für die Zukunft durch § 137 Abs.1 a eine Rechtsgrundlage unterlegt wurde, in bereits bindend gewordenen Fällen eine Korrektur erfuhr. Auch dieser gesetzgeberische Vorstoss misslang. Denn die Rechtsprechung des BSG zu § 137 Abs.1 a wirkte sich zwangsläufig auf den Anwendungsbereich des § 152 Abs.1 a AFG aus. Nur soweit die Anrechnung von Einkommen für die Zukunft (ab 08.07.1989) nach § 137 Abs.1 a gerechtfertigt wäre, sollte es auch ohne diese rechtliche Grundlage bei Anrechnungen in der Vergangenheit sein Bewenden haben. Soweit die Berücksichtigung eines Unterhaltsanspruches auch nach § 137 Abs.1 a nicht gerechtfertigt wäre, sollte der Anspruch auf eine Zugunstenentscheidung demgegenüber nicht ausgeschlossen sein. In solchen Fällen sollte es vielmehr beim Grundsatz des § 152 Abs.1 Satz 1 Halbsatz 2 bleiben, in dessen Rahmen die allgemeinen Grundsätze der Ermessenausübung zum Tragen kommen sollten, vgl. Henke, a.a.O., Anm.35 sowie Wagner im Gemeinschaftskommentar zum AFG, § 152 Anm.24.
Konkret ist im Fall des Klägers festzuhalten, dass dieser in allen Instanzen vorgetragen hat, unterhalb seines Vermittlungsniveaus weder zu einer Arbeitssuche noch zur Ausübung einer Beschäftigung bereit zu sein. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Kläger, der über eine qualifizierte Ausbildung verfügt, nach einer amtsärztlichen Untersuchung vom 03.09.1986 keinen wesentlichen gesundheitlichen Einschränkungen unterlag und als Alleinstehender uneingeschränkt mobil gewesen ist, seinen Lebensunterhalt durch Einkünfte aus eigener Erwerbstätigkeit bestreiten könnte, wenn er sich nachhaltig und ernsthaft um jegliche ihm mögliche Erwerbstätigkeit bemühen würde. Damit scheidet ein Unterhaltsanspruch nach bürgerlichem Recht aus, eine Anrechnung im Sinne des § 138 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AFG ergab sich nicht. Wie das BSG in seiner Entscheidung vom 17.10.1991, 11 RAr 125/90, vgl. SozR 3-4100 § 137 Nr.2, ausführt, verpflichtete § 137 Abs.1 a AFG den Arbeitslosen nur zur Handlungen, die zur Sicherung eines Unterhaltsanspruchs beitrugen. Bestand ein Unterhaltsanspruch unabhängig von seinem Verhalten jedoch nicht, konnte es auf die Verletzung der unterhaltsrechtlichen Erwerbsmöglichkeiten für die Verneinung der Bedürftigkeit gemäß § 137 Abs.1 a AFG nicht ankommen. Das ist der Fall, wenn offene unterhaltsrechtlich zumutbare Arbeitsplätze für den Arbeitslosen vorhanden sind. Bereits in seiner Entscheidung vom 07.09.1988 (BSGE 64.52) hat das BSG darauf verwiesen, dass der Arbeitslose bei Vorhandensein entsprechender Arbeitsplätze einen Unterhaltsanspruch nicht herbeiführen kann. Nimmt er eine solche Arbeit auf, so ist er tatsächlich nicht mehr unterhaltsbedürftig; verweigert er die Arbeitsaufnahme, so gilt er als nicht unterhaltsbedürftig. Kommt aber ein Unterhaltsanspruch bei Vorhandensein offener Arbeitsstellen ohnehin nicht in Betracht, spielt es keine Rolle, ob und in welchem Umfang sich der Arbeitslose um Arbeitsplätze einfachster Art bemüht hat. Das BSG führte in der vorgenannten Entscheidung u.a. aus, dass die Rechtslage vor Erlass des § 137 Abs.1 a AFG verfassungsgemäß gewesen sei, wie im Urteil vom 07.09.1988 ausgeführt. Lediglich die Verwaltungspraxis sei rechtswidrig und, was damals nicht zu entscheiden gewesen sei, auch verfassungswidrig gewesen. Zur Aufrechterhaltung einer rechts- und verfassungswidrigen Verwaltungspraxis stehe dem Gesetzgeber im Rechtsstaat keine Überlegungsfrist zu. Die Verfassungswidrigkeit schließe es aus, der Verwaltungspraxis nachträglich eine Rechtsgrundlage zu geben, sei es auch nur auf Zeit. Der bewusste Erlass einer verfassungswidrigen Rechtsnorm auf Zeit könne mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Überlegungsfrist des Gesetzgebers nicht verglichen werden.
Entgegen der Auffassung des SG kommt im Fall des Klägers eine Zugunstenentscheidung gemäß § 152 Abs.1 Satz 1 Halbsatz 2 AFG in Betracht. Denn mit dem BSG scheidet eine Anrechnung fiktiver Unterhaltsansprüche auch für die Zukunft (ab 08.07.1989) aus, vgl. Henke a.a.O., Anm.35, Wagner, a.a.O., Anm.24. Insoweit verweist der Senat auch darauf, dass der Beklagte sich in einem Prozessvergleich vom 15.07.1993, S 34 AL 558/91 und 790/91 verpflichtet hat, dem Kläger ab 17.09.1989 Alhi ohne Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs zu gewähren. Oben angeführter Vorschrift zufolge konnte die Beklagte über den Überprüfungsantrag vom 30.10.1989 nur unter pflichtgemäßer Ausübung des Verwaltungsermessens entscheiden. Dem ist sie allerdings nicht hinreichend nachgekommen. Zwar hat sie zumindest im Widerspruchsbescheid vom 06.05.1991 zu erkennen gegeben, ihr Ermessen ausüben zu wollen, insoweit hat sie sich jedoch im Wesentlichen auf die Abwägung formaler Positionen beschränkt (erhebliches Interesse an der Bestandskraft, Massenverfahren bei generellem Vollzug von Vergangenheitsberichtigungen gegenüber "tragbaren" Nachteilen des Betroffenen). Völlig unberücksichtigt geblieben sind demgegenüber die konkreten Verhältnisse des betroffenen Klägers. Bei der Gegenüberstellung der zu Unrecht angerechneten fiktiven Unterhaltsansprüche mit den verbliebenen Zahlungsbeträgen (Bescheid vom 11.03.1985: Anrechnungsbetrag DM 160,00, Zahlbetrag DM 135,78; Bescheid vom 24.07.1985: Anrechnungsbetrag DM 137,93, Zahlbetrag DM 164,46; Bescheid vom 04.09.1985: Anrechnungsbetrag DM 119,02, Zahlbetrag DM 183,36; Bescheid vom 26.09.1986: Anrechnungsbetrag DM 123,96, Zahlbetrag DM 197,64) ergibt sich, dass der Anrechnungsbetrag einen erheblichen Teil des Gesamtanspruchs darstellte und insbesondere im Jahre 1985 ein erhebliches Missverhältnis eingetreten ist. Der Senat kann daher die Rechtsmeinung der Beklagten nicht nachvollziehen, wonach die den Kläger treffenden Nachteile tragbar seien, während eine etwaige Rücknahme der seinerzeitigen rechtswidrigen Alhi-Bewilligungen als unangemessen erscheine. Mit Seewald, Kasseler Kommentar, SGB I § 39 Rdnr.39 wird in einem solchen Fall das Ermessen nicht eigentlich ausgeübt, es liegt vielmehr eine Ermessensunterschreitung vor.
Die Berufung des Klägers war mithin erfolgreich im Sinne einer Aufhebung und einer Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats.
Die Kostenfolge beruht auf den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang war die Beklagte zur Erstattung der notwendigen Aufwendungen zu verpflichten, die dem Kläger in sämtlichen Rechtzügen (einschließlich der Zurückverweisung) zu seiner Rechtsverfolgung entstanden sind.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor. Weder wirft dieses Urteil nämlich eine entscheidungserhebliche höchstrichterlich bisher ungeklärte Rechtsfrage grundsätzlicher Art auf, noch weicht es von einer Entscheidung des BSG, das Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab und beruht hierauf.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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