S 11 AL 13/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AL 13/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 27.10.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2006 verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 13.09.2005 bis 03.10.2005 zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen eine Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung.

Die am 00.00.1981 geborene Klägerin bezog seit Juni 2005 Arbeitslosengeld (Alg). Mit Schreiben vom 08.09.2005 forderte die Beklagte sie auf, sich schritftlich auf eine Stelle als Hotelfachfrau bei der Firma I N B1 H AG (i.F.: Arbeitgeber) in B2 zu bewerben. Nachdem der Arbeitgeber der Beklagten mitgeteilt hatte, die Klägerin habe sich nicht vorgestellt, teilte die Klägerin auf Nachfrage mit, sie habe sich bereits am 09.09.2005 per E-Mail beworben. Da sie jedoch seinerzeit mehrere Bewerbungen per E-Mail versandt habe, habe sie ältere Bewerbungen (darunter auch die Bewerbung beim Arbeitgeber) nach dem Absenden in ihrem eigenen Account gelöscht, um Speicherplatz für neue platzaufwändige Bewerbungen zu schaffen. Aus diesem Grund könne sie ihre Bewerbung nun auch nicht mehr vorlegen.

Nachdem die Beklagte erneut Nachfrage beim Arbeitgeber gehalten hatte, stellte sie mit Bescheid vom 27.10.2005 den Eintritt einer Sperrzeit vom 13.09. bis 03.10.2005 fest, hob die Alg-Bewillung entsprechend auf und forderte 178,56 Euro erstattet. Ihren am 07.11.2005 erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, sie habe sich zwischenzeitlich erneut beim Arbeitgeber beworben. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 01.02.2006 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 21.02.2006 erhobene Klage.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 27.10.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 13.09.2005 bis 03.10.2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Beide Beteiligte wiederholen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind rechtswidrig i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da keine Sperrzeit eingetreten ist. Mangels Eintritt einer Sperrzeit bestand auch im streitigen Zeitraum Anspruch auf Alg und die Beklagte durfte die vorangegangene Alg-Bewilligung nicht aufheben und auch keine Leistungen erstattet verlangen, §§ 48 Abs. 1 Satz 1, 50 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X).

Nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) tritt eine Sperrzeit ein, wenn der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine von der Agentur für Arbeit unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht annimmt oder nicht antritt oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältisses, insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgespräches, durch sein Verhalten verhindert (Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung). Hierunter fällt auch die bloße Untätigkeit (Niesel, in: Niesel, SGB III, 3. Aufl., § 144, Rn. 59 a). Der Tatbestand des § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III beschränkt sich (anders als Nr. 1 der Vorschrift) nicht auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, setzt jedoch vorwerfbares Handeln voraus (BSG, Urteil vom 14.07.2004, B 11 AL 67/03 R). Die Beweislast für das Vorliegen der Sperrzeittatbestände aus § 144 Abs. 1 Satz 2 SGB III trägt die Beklagte (Niesel, a.a.O., Rn. 90).

Das Gericht sieht es nicht als mit hinreichender Sicherheit erwiesen an, dass die Klägerin vorwerfbar das Zustandekommen eines Vorstellungsgespräches verhindert hat. Vorwerfbares Verhalten auf Seiten der Klägerin liegt nicht bereits darin, dass sie sich beim Arbeitgeber per E-Mail beworben hat. Auch eine Bewerbung per E-Mail erfolgt schriftlich im Sinne des Stellenangebots der Beklagten. Im Übrigen ist sie vielen und gerade größeren Arbeitgebern heutzutage auch bereits deswegen erwünscht, weil in diesem Fall keine Bewerbungsunterlagen zurückgesandt werden brauchen.

Als Verhinderung eines Vorstellungsgespräches kommt somit allein eine - von der Beklagte behauptete - unterlassene Bewerbung in Betracht. Das Gericht sieht es jedoch nicht als erwiesen an, dass die Klägerin sich nicht am 09.09.2005 beim Arbeitgeber beworben hat. Dass die E-Mail den Arbeitgeber offenbar nicht erreicht hat, ist kein hinreichender Beweis für eine Nichtabsendung. Nach Auffassung der Kammer entspricht es allgemeiner Lebenserfahrung, dass auch E-Mails (ebenso wie Briefsendungen) bei der Übermittlung "verloren gehen" können, d.h. den Adressaten nicht erreichen, ohne dass dies ihm oder dem Absender erkennbar ist. Die Klägerin macht auf die Kammer einen insgesamt glaubwürdigen Eindruck; im Übrigen ist in der Akte der Beklagten umfänglich dokumentiert, dass sie sich im selben Zeitraum - z.T. auch initiativ - bei verschiedenen anderen Arbeitgebern beworben hat.

Insbesondere bewertet das Gericht den Vortrag der Klägerin als glaubhaft und nachvollziehbar, wonach sie ihre E-Mail an den Arbeitgeber nach dem Absenden auch aus ihrem eigenen E-Mail-Account gelöscht hat, um auf diese Weise Platz für weitere speicherplatzaufwändige E-Mail-Bewerbungen zu schaffen. Glaubhaft erscheint dies vor allem deswegen, weil eine Bewerbung per E-Mail nur dann sinnvoll ist, wenn sämtliche weiteren Bewerbungsunterlagen (Lebenslauf, Zeugnisse etc.) als Anlagen (sog. Attachments) angefügt sind. Derartige Anlagen sind regelmäßig besonders speicherplatzaufwändig und versperren somit den Speicherplatz, der für weitere Bewerbungen benötigt wird.

Es kann dahinstehen, ob die Klägerin sich fahrlässig verhalten hat, indem sie nicht lediglich die Attachments gelöscht und die E-Mails an sich weiterhin dokumentiert gelassen hat, denn dies betrifft nicht mehr die eigentliche Bewerbung beim Arbeitgeber, sondern deren Dokumentation für andere Zwecke.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung über die Zulassung der Berufung auf § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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