Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 23 KR 876/02
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 83/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Festzuschusses zum Zahnersatz im Streit.
Der 59-jährige Kläger erkrankte im Jahre 2000 an Kehlkopfkrebs, der unter anderem gegen Ende 2000/Anfang 2001 durch Strahlentherapie behandelt wurde. Unter Vorlage eines Heil- und Kostenplanes der Zahnärzte D. und T. vom 16. November 2001 wandte sich der Kläger im Dezember 2001 an die Beklagte und bat um die Bewilligung eines Festzuschusses für die Eingliederung von Zahnersatz. Mit Bescheid vom 6. Dezember 2001 sagte die Beklagte einen Zuschuss in Höhe von 60 Prozent der Gesamtkosten zu. Nach Vorlage eines weiteren Heil- und Kostenplanes vom 3. Januar 2002 des Zahnarztes Dr. K. bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Januar 2002 in Abänderung ihres Bescheides vom 6. Dezember 2001 wiederum einen Zuschuss in Höhe von 60 % der Gesamtkosten, d.h. in Höhe von 1507,79 EUR bei Gesamtkosten in Höhe von 2512,99 EUR. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Der Zahnersatz sei notwendig geworden, weil die Krebserkrankung unter anderem eine Strahlentherapie erforderlich gemacht habe. Hierbei habe insbesondere der untere Kiefer im Strahlenbereich gelegen. Hierdurch und nicht wegen mangelhafter Zahnpflege seien die zu ersetzenden Zähne schadhaft geworden. Sie seien in Folge der Erkrankung des Kehlkopfes und der zur Behandlung dieser Erkrankung erforderlichen Strahlentherapie entfernt worden. Außerdem sei es erforderlich, dass er seinen Magen mit gut zerkauten Lebensmitteln versorge, um ein Wiederauftreten des Krebses zu verhindern. Er leide nämlich zusätzlich an Refluxösophagitis, welche den Kehlkopfkrebs begünstigt habe. Die Vorschrift des § 30 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V), welcher den Zuschuss zum Zahnersatz regele, sei auf ihn nicht anzuwenden, weil nicht mangelnde Vorsorge bzw. Zahnpflege, sondern die Nebenwirkung der Bestrahlung die Ursache des Zahnverlustes gewesen sei. In der Techniker Krankenkasse sei es überdies stets üblich gewesen, immer dann eine umfassende Versorgung mit Zahnersatz zu gewähren, wenn die Ursache in einer anderen Erkrankung gelegen habe. Die Beklagte wies den Widerspruch unter Hinweis auf § 30 Abs. 1 Nr. 1 SGB V durch Bescheid vom 8. Mai 2002 als unbegründet zurück. Die Vorschrift regele die Versorgung mit Zahnersatz abschließend; eine hierüber hinausgehende Kostenübernahme als Sachleistung sei nicht möglich. Dies gelte auch dann, wenn die Versorgung mit Zahnersatz aus anderen als zahnmedizinischen Gründen erfolge. Denn § 30 Abs. 1 Satz 1 SGB V knüpfe die Beschränkung der Kassenleistung an den Gegenstand (Zahnersatz) und nicht an die Ursache des Behandlungsbedarfs. Dies sei auch aus dem Umstand herzuleiten, dass das Gesetz von medizinisch und nicht von zahnmedizinisch notwendiger Versorgung spreche.
Mit seiner daraufhin fristgerecht erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Entscheidung der Beklagten lasse völlig außer Betracht, dass trotz der in § 30 SGB V enthaltenen Festbetragsregelung in bestimmten Fällen eine vollständige Kostenübernahme durch die Kasse in Betracht komme. Ein derartige Fall liege hier vor, weil die Zahnbehandlung nur eine Teilbehandlung der ihm zuteil gewordenen Krebsbehandlung sei. Das Sozialgericht hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt. Der Arzt für Strahlentherapie Dr. C. hat unter dem 29. Oktober 2002 angegeben, dass auf Grund der postoperativen Tumorklassifikation bei dem Kläger die zwingende Indikation zur Durchführung der postoperativen Strahlenbehandlung bestanden habe; es habe keine Alternative zu dieser Behandlung gegeben. Bei der Strahlenbehandlung würden zwangsläufig größere Teile der Speicheldrüsen erfasst, sodass es als Dauerfolge der Strahlenbehandlung zu einer verringerten Speichelproduktion komme. Wegen der daraus resultierenden geringeren mechanischen und chemischen Reinigungsfunktion des Speichels komme es als Folge der Strahlenbehandlung zu einer erhöhten Kariesanfälligkeit des Gesamtgebisses. Auf die mündliche Verhandlung vom 24. August 2005 hat das Sozialgericht die Klage unter Hinweis auf die zu § 30 SGB V ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abgewiesen. Das Urteil ist dem seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 23. September 2005 zugestellt worden.
Der Kläger hat am 12. Oktober 2005 Berufung eingelegt, mit der er sein auf Erstattung der gesamten Kosten des Zahnersatzes gerichtetes Begehren unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens weiterverfolgt. Die in § 30 SGB V getroffene Regelung stehe dem vollen Ersatz der Kosten für Zahnersatz nicht entgegen. Durch die Vorschrift sollten vielmehr Versicherte zur Prophylaxe durch regelmäßige Zahnpflege veranlasst werden. In Fällen, in denen - wie bei ihm - das Gebiss ausschließlich durch äußere Einflüsse geschädigt wurde, sei die Vorschrift bei verfassungskonformer Auslegung nicht anwendbar. Auch verstoße der nur teilweise Kostenersatz gegen den Gleichheitssatz. Er habe nämlich - anders als andere Versicherte - keine Zusatzversicherungsmöglichkeit innerhalb oder außerhalb der gesetzlichen Krankenkasse gehabt. Überdies habe der volle Zahnersatz stets zu den satzungsgemäßen Leistungen der Beklagten gehört. Dies habe nur auf Weisung der Versicherungsaufsicht geändert werden müssen. Über diese Änderung sei er nicht ordnungsgemäß informiert worden. Auch nach Wegfall der entsprechenden Satzungsregelung sei zudem in Fällen wie dem seinen voller Kostenersatz aufgrund einer internen Dienstanweisung gewährt worden, und zwar noch bis zum Jahre 2002. Deshalb sei ihm der volle Kostenersatz aus Vertrauensschutzgründen zu gewähren.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 24. August 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 8. Januar 2002, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2002, zu verurteilen, einen Zuschuss zu den Kosten für Zahnersatz gemäß dem am 8. Januar 2002 genehmigten Heil- und Kostenplan vom 3. Januar 2002 in Höhe von 100% zu gewähren; hilfsweise die im Schriftsatz vom 17. März 2006 benannten Zeugen zu dem Beweisthema zu vernehmen, dass bis 2002 es Praxis der Beklagten war und es dafür auch interne Durchführungsbestimmungen gab, Zahnersatz für den Fall zu leisten, dass der Zahnverlust Folge einer Strahlenbehandlung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherungsleistung der Beklagten gewesen ist; höchsthilfsweise, dass alternative Behandlungsmethoden für den Kehlkopfkrebs des Klägers zur Verfügung gestanden haben (Chemotherapie), die nicht zum Zahnverlust geführt hätten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Urteil würdige den Sachverhalt in rechtlich zutreffender Weise. Eine Satzungsregelung zum Zahnersatz habe es bei der Beklagten zum Zeitpunkt der Änderung des § 30 SGB V nicht mehr gegeben. Allerdings hätten bis zum 31. März 1989 Zuschüsse zu den Kosten für zahntechnische Leistungen gem. § 20 der Versicherungsbedingungen geleistet werden können. Diese Möglichkeit sei jedoch zum 31. März 1989 entfallen. Die bei der Beklagten ab 1. April 1989 geltende Satzung beinhalte keine Regelungen in Bezug auf zahntechnische Leistungen. Eine solche Regelung sei seitdem auch nicht erneut in die Satzung aufgenommen. Die im Jahr 1989 erfolgte Satzungsänderung sei ordnungsgemäß veröffentlicht worden. Die Versicherten seien zudem ausführlich in der Zeitschrift "TK aktuell" über die Satzungsänderung informiert worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Senatssitzung am 10. Mai 2006 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und im Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Die Berufung ist aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht ein höherer Zuschuss zum Zahnersatz als der ihm gewährte nicht zu.
Nach § 30 Abs. 1 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung ist ebenso wie nach § 55 Abs. 1 SGB V in der seit dem 1. Januar 2005 geltenden und auf den vorliegenden Fall einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage infolge Fehlens einer Übergangsvorschrift anzuwendenden Fassung des Gesetzes (vgl. jeweils Artikel 1 Nr. 17 und 36 sowie Artikel 37 Abs. 2 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14. November 2003, BGBl. I, Seite 2190) der volle Kostenersatz auch für diejenigen Fälle ausgeschlossen, in denen Zahnersatz wegen der Behandlung einer anderweitigen Erkrankung erforderlich wird. Beide Vorschriften regeln als spezielle Anspruchsnormen die Ansprüche bei der Versorgung mit Zahnersatz abschließend und abweichend von den allgemeinen Regeln der §§ 27, 28 SGB V. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist insoweit seit langem geklärt, dass bei der Versorgung mit Zahnersatz die Leistung der Krankenkasse nach dem mittlerweile aufgehobenen § 30 Abs. 1 SGB auch dann auf einen Zuschuss beschränkt bleibt, wenn der Zahnersatz anderen als zahnmedizinischen Zwecken dient oder integrierender Bestandteil einer anderen Behandlung ist. Denn § 30 Abs. 1 Satz 1 SGB V knüpfte die Beschränkung der Kassenleistung an den Gegenstand (Zahnersatz) und nicht an die Ursache des Behandlungsbedarfs. Insoweit spricht das Gesetz von medizinisch (und nicht zahnmedizinisch) notwendiger Versorgung. Lediglich in Fällen, in denen eine frühere Leistung der Krankenkasse den jetzigen Behandlungsbedarf veranlasst hat und sich dies als hoheitlicher Eingriff darstellt, kann eine Befreiung vom Eigenanteil bei der Versorgung mit Zahnersatz mit Rücksicht auf den verfassungsrechtlichen Schutz der körperlichen Unversehrtheit unter dem Gesichtspunkt der Aufopferung geboten sein (BSG 6. Oktober 1999 - B 1 KR 9/99, SozR 3-2500 § 30 Nr. 10; vgl. auch Bundesverfassungsgericht, Beschl. vom 14. August 1998, 1 BvR 897/98, NJW 1999, 857 f.). Dieser Rechtsprechung folgt der erkennende Senat. Sie findet uneingeschränkt auch auf die nunmehr geltende gesetzliche Regelung Anwendung. Denn auch dort wird bei im Übrigen identischem Regelungsgehalt von einer "medizinisch notwendigen Versorgung mit Zahnersatz" gesprochen.
Danach kann der Kläger Befreiung von der Eigenleistung nicht verlangen. Wie bereits das Sozialgericht ermittelt hat, liegen die Voraussetzungen, unter denen nach der erwähnten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. a.a.O.) unter Aufopferungs¬gesichtspunkten voller Kostenersatz zu gewähren ist, nicht vor. Denn nicht die Vorgabe des Leistungs- oder des Leistungserbringungsrecht des SGB V haben die Strahlenbehandlung des Klägers erzwungen. Vielmehr war diese nach der Einschätzung des behandelnden Radiologen die einzige sinnvolle Behandlung zur Heilung der Krebserkrankung, und der Kläger ist diesem ärztlichen Rat gefolgt. Keinesfalls aber war er verpflichtet, sich dieser Behandlung zu unterziehen. Ihm hätte es vielmehr freigestanden, eine andere Art der Krebsbehandlung zu wählen. Damit hat nicht ein Systemmangel – die Kausalität zwischen Strahlenbehandlung und Zahnverlust unterstellt – die Zahnbehandlung erforderlich gemacht, sondern die von Arzt und Patient gewählte Art der Behandlung, und das Gericht brauchte dem weiteren Hilfsantrag des Klägers nicht nachzugehen und nicht aufzuklären, ob etwa mit einer Chemotherapie derselbe Behandlungserfolg zu erzielen und gleichzeitig ein Zahnverlust zu vermeiden gewesen wäre. Für die Entscheidung kann schließlich auch dahinstehen, ob tatsächlich bei dem Kläger die Eingliederung von Zahnersatz als Folge der Strahlenbehandlung erforderlich wurde. Zwar ist ein Zahnverlust nach den vom Sozialgericht eingeholten ärztlichen Stellungnahmen häufige Folge einer derartigen Behandlung. Ob dies auch bei dem Kläger hinsichtlich der anlässlich der streitigen Behandlung ersetzten Zähne der Fall war oder ob hierfür andere Umstände ursächlich sind, ist allein aufgrund dieser Befundberichte allerdings nicht abschließend zu entscheiden, braucht indessen ebenfalls nicht aufgeklärt zu werden, weil es für die Entscheidung hierauf nicht ankommt.
Die von dem Kläger bemühten Vertrauensschutzgesichtspunkte können der Berufung schon deswegen nicht zum Erfolg verhelfen, weil sich bei ihm ein schützenswertes Vertrauen auf vollen Kostenersatz nach der zum 1. April 1989 erfolgten Satzungsänderung der Beklagten nicht hat bilden können. Zwar konnte nach § 20 Abs. 3 der Versicherungsbedingungen der Beklagten, die nach § 3 der Satzung der Beklagten in der bis zum 31. März 1989 geltenden Fassung einen Bestandteil derselben bilden, die Beklagte "in Härtefällen" den vom Mitglied zu zahlenden Kostenanteil für zahntechnische Leistungen ganz oder teilweise übernehmen. Dies ist offenbar auch regelmäßig in vergleichbaren Fällen geschehen. Diese Regelung ist jedoch zum 1. April 1989 ersatzlos weggefallen. Die Beklagte hat auch nachgewiesen, dass das ab 1. April 1989 geltende Satzungsrecht ordnungsgemäß durch Aushang nach § 10 der Satzung und entsprechenden Hinweis im Mitteilungsblatt bekannt gemacht wurde. Dort wurde auch auf den durch das zum 1. Januar 1989 in Kraft getretene Gesundheitsreformgesetz erzwungenen Wegfall einiger "Sonderrechte" der Mitglieder dieser Kasse hingewiesen.
Wenn der Kläger vorträgt, die Praxis der Beklagten sei gleichwohl bis zum Jahre 2002 noch dahin gegangen, vollen Kostenersatz bei Zahnersatz in bestimmten Fällen zu gewähren, so kann dies als wahr unterstellt werden. Der von dem Kläger hierfür mit seinem ersten Hilfsantrag angebotene Zeugenbeweis braucht nicht erhoben zu werden. Schon mangels einer entsprechenden Satzungsregelung erweist sich diese Praxis nämlich als rechtswidrig. Im Übrigen dürfen die gesetzlichen Krankenkassen unter der Geltung des SGB V in ihrer Satzung auch nur noch Leistungen vorsehen, die das Gesetz zulässt (vgl. § 194 Abs. 2 Satz 2 SGB V). Für Zahnersatz sieht das Gesetz aber Mehrleistungen nicht vor. Damit läuft das auf die Gewährung zusätzlicher Leistungen in diesem Bereich gerichtete Verlangen auf eine Gleichbehandlung im Unrecht hinaus. Nach allgemeiner Auffassung kann jedoch unter Hinweis auf den aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz folgenden Gleichheitssatz die Fortführung einer rechtswidrigen Praxis nicht mit Erfolg verlangt werden.
Dass im Hinblick auf das Einkommen des Klägers die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Zuzahlung durch die Anwendung von § 61 SGB V a.F. bzw. § 55 Abs. 2 SGB n.F. vorlägen, hat der Kläger schließlich weder geltend gemacht, noch ist hierfür sonst etwas ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen diese Entscheidung nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Festzuschusses zum Zahnersatz im Streit.
Der 59-jährige Kläger erkrankte im Jahre 2000 an Kehlkopfkrebs, der unter anderem gegen Ende 2000/Anfang 2001 durch Strahlentherapie behandelt wurde. Unter Vorlage eines Heil- und Kostenplanes der Zahnärzte D. und T. vom 16. November 2001 wandte sich der Kläger im Dezember 2001 an die Beklagte und bat um die Bewilligung eines Festzuschusses für die Eingliederung von Zahnersatz. Mit Bescheid vom 6. Dezember 2001 sagte die Beklagte einen Zuschuss in Höhe von 60 Prozent der Gesamtkosten zu. Nach Vorlage eines weiteren Heil- und Kostenplanes vom 3. Januar 2002 des Zahnarztes Dr. K. bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Januar 2002 in Abänderung ihres Bescheides vom 6. Dezember 2001 wiederum einen Zuschuss in Höhe von 60 % der Gesamtkosten, d.h. in Höhe von 1507,79 EUR bei Gesamtkosten in Höhe von 2512,99 EUR. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Der Zahnersatz sei notwendig geworden, weil die Krebserkrankung unter anderem eine Strahlentherapie erforderlich gemacht habe. Hierbei habe insbesondere der untere Kiefer im Strahlenbereich gelegen. Hierdurch und nicht wegen mangelhafter Zahnpflege seien die zu ersetzenden Zähne schadhaft geworden. Sie seien in Folge der Erkrankung des Kehlkopfes und der zur Behandlung dieser Erkrankung erforderlichen Strahlentherapie entfernt worden. Außerdem sei es erforderlich, dass er seinen Magen mit gut zerkauten Lebensmitteln versorge, um ein Wiederauftreten des Krebses zu verhindern. Er leide nämlich zusätzlich an Refluxösophagitis, welche den Kehlkopfkrebs begünstigt habe. Die Vorschrift des § 30 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V), welcher den Zuschuss zum Zahnersatz regele, sei auf ihn nicht anzuwenden, weil nicht mangelnde Vorsorge bzw. Zahnpflege, sondern die Nebenwirkung der Bestrahlung die Ursache des Zahnverlustes gewesen sei. In der Techniker Krankenkasse sei es überdies stets üblich gewesen, immer dann eine umfassende Versorgung mit Zahnersatz zu gewähren, wenn die Ursache in einer anderen Erkrankung gelegen habe. Die Beklagte wies den Widerspruch unter Hinweis auf § 30 Abs. 1 Nr. 1 SGB V durch Bescheid vom 8. Mai 2002 als unbegründet zurück. Die Vorschrift regele die Versorgung mit Zahnersatz abschließend; eine hierüber hinausgehende Kostenübernahme als Sachleistung sei nicht möglich. Dies gelte auch dann, wenn die Versorgung mit Zahnersatz aus anderen als zahnmedizinischen Gründen erfolge. Denn § 30 Abs. 1 Satz 1 SGB V knüpfe die Beschränkung der Kassenleistung an den Gegenstand (Zahnersatz) und nicht an die Ursache des Behandlungsbedarfs. Dies sei auch aus dem Umstand herzuleiten, dass das Gesetz von medizinisch und nicht von zahnmedizinisch notwendiger Versorgung spreche.
Mit seiner daraufhin fristgerecht erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Entscheidung der Beklagten lasse völlig außer Betracht, dass trotz der in § 30 SGB V enthaltenen Festbetragsregelung in bestimmten Fällen eine vollständige Kostenübernahme durch die Kasse in Betracht komme. Ein derartige Fall liege hier vor, weil die Zahnbehandlung nur eine Teilbehandlung der ihm zuteil gewordenen Krebsbehandlung sei. Das Sozialgericht hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt. Der Arzt für Strahlentherapie Dr. C. hat unter dem 29. Oktober 2002 angegeben, dass auf Grund der postoperativen Tumorklassifikation bei dem Kläger die zwingende Indikation zur Durchführung der postoperativen Strahlenbehandlung bestanden habe; es habe keine Alternative zu dieser Behandlung gegeben. Bei der Strahlenbehandlung würden zwangsläufig größere Teile der Speicheldrüsen erfasst, sodass es als Dauerfolge der Strahlenbehandlung zu einer verringerten Speichelproduktion komme. Wegen der daraus resultierenden geringeren mechanischen und chemischen Reinigungsfunktion des Speichels komme es als Folge der Strahlenbehandlung zu einer erhöhten Kariesanfälligkeit des Gesamtgebisses. Auf die mündliche Verhandlung vom 24. August 2005 hat das Sozialgericht die Klage unter Hinweis auf die zu § 30 SGB V ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abgewiesen. Das Urteil ist dem seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 23. September 2005 zugestellt worden.
Der Kläger hat am 12. Oktober 2005 Berufung eingelegt, mit der er sein auf Erstattung der gesamten Kosten des Zahnersatzes gerichtetes Begehren unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens weiterverfolgt. Die in § 30 SGB V getroffene Regelung stehe dem vollen Ersatz der Kosten für Zahnersatz nicht entgegen. Durch die Vorschrift sollten vielmehr Versicherte zur Prophylaxe durch regelmäßige Zahnpflege veranlasst werden. In Fällen, in denen - wie bei ihm - das Gebiss ausschließlich durch äußere Einflüsse geschädigt wurde, sei die Vorschrift bei verfassungskonformer Auslegung nicht anwendbar. Auch verstoße der nur teilweise Kostenersatz gegen den Gleichheitssatz. Er habe nämlich - anders als andere Versicherte - keine Zusatzversicherungsmöglichkeit innerhalb oder außerhalb der gesetzlichen Krankenkasse gehabt. Überdies habe der volle Zahnersatz stets zu den satzungsgemäßen Leistungen der Beklagten gehört. Dies habe nur auf Weisung der Versicherungsaufsicht geändert werden müssen. Über diese Änderung sei er nicht ordnungsgemäß informiert worden. Auch nach Wegfall der entsprechenden Satzungsregelung sei zudem in Fällen wie dem seinen voller Kostenersatz aufgrund einer internen Dienstanweisung gewährt worden, und zwar noch bis zum Jahre 2002. Deshalb sei ihm der volle Kostenersatz aus Vertrauensschutzgründen zu gewähren.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 24. August 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 8. Januar 2002, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2002, zu verurteilen, einen Zuschuss zu den Kosten für Zahnersatz gemäß dem am 8. Januar 2002 genehmigten Heil- und Kostenplan vom 3. Januar 2002 in Höhe von 100% zu gewähren; hilfsweise die im Schriftsatz vom 17. März 2006 benannten Zeugen zu dem Beweisthema zu vernehmen, dass bis 2002 es Praxis der Beklagten war und es dafür auch interne Durchführungsbestimmungen gab, Zahnersatz für den Fall zu leisten, dass der Zahnverlust Folge einer Strahlenbehandlung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherungsleistung der Beklagten gewesen ist; höchsthilfsweise, dass alternative Behandlungsmethoden für den Kehlkopfkrebs des Klägers zur Verfügung gestanden haben (Chemotherapie), die nicht zum Zahnverlust geführt hätten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Urteil würdige den Sachverhalt in rechtlich zutreffender Weise. Eine Satzungsregelung zum Zahnersatz habe es bei der Beklagten zum Zeitpunkt der Änderung des § 30 SGB V nicht mehr gegeben. Allerdings hätten bis zum 31. März 1989 Zuschüsse zu den Kosten für zahntechnische Leistungen gem. § 20 der Versicherungsbedingungen geleistet werden können. Diese Möglichkeit sei jedoch zum 31. März 1989 entfallen. Die bei der Beklagten ab 1. April 1989 geltende Satzung beinhalte keine Regelungen in Bezug auf zahntechnische Leistungen. Eine solche Regelung sei seitdem auch nicht erneut in die Satzung aufgenommen. Die im Jahr 1989 erfolgte Satzungsänderung sei ordnungsgemäß veröffentlicht worden. Die Versicherten seien zudem ausführlich in der Zeitschrift "TK aktuell" über die Satzungsänderung informiert worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Senatssitzung am 10. Mai 2006 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und im Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Die Berufung ist aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht ein höherer Zuschuss zum Zahnersatz als der ihm gewährte nicht zu.
Nach § 30 Abs. 1 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung ist ebenso wie nach § 55 Abs. 1 SGB V in der seit dem 1. Januar 2005 geltenden und auf den vorliegenden Fall einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage infolge Fehlens einer Übergangsvorschrift anzuwendenden Fassung des Gesetzes (vgl. jeweils Artikel 1 Nr. 17 und 36 sowie Artikel 37 Abs. 2 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14. November 2003, BGBl. I, Seite 2190) der volle Kostenersatz auch für diejenigen Fälle ausgeschlossen, in denen Zahnersatz wegen der Behandlung einer anderweitigen Erkrankung erforderlich wird. Beide Vorschriften regeln als spezielle Anspruchsnormen die Ansprüche bei der Versorgung mit Zahnersatz abschließend und abweichend von den allgemeinen Regeln der §§ 27, 28 SGB V. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist insoweit seit langem geklärt, dass bei der Versorgung mit Zahnersatz die Leistung der Krankenkasse nach dem mittlerweile aufgehobenen § 30 Abs. 1 SGB auch dann auf einen Zuschuss beschränkt bleibt, wenn der Zahnersatz anderen als zahnmedizinischen Zwecken dient oder integrierender Bestandteil einer anderen Behandlung ist. Denn § 30 Abs. 1 Satz 1 SGB V knüpfte die Beschränkung der Kassenleistung an den Gegenstand (Zahnersatz) und nicht an die Ursache des Behandlungsbedarfs. Insoweit spricht das Gesetz von medizinisch (und nicht zahnmedizinisch) notwendiger Versorgung. Lediglich in Fällen, in denen eine frühere Leistung der Krankenkasse den jetzigen Behandlungsbedarf veranlasst hat und sich dies als hoheitlicher Eingriff darstellt, kann eine Befreiung vom Eigenanteil bei der Versorgung mit Zahnersatz mit Rücksicht auf den verfassungsrechtlichen Schutz der körperlichen Unversehrtheit unter dem Gesichtspunkt der Aufopferung geboten sein (BSG 6. Oktober 1999 - B 1 KR 9/99, SozR 3-2500 § 30 Nr. 10; vgl. auch Bundesverfassungsgericht, Beschl. vom 14. August 1998, 1 BvR 897/98, NJW 1999, 857 f.). Dieser Rechtsprechung folgt der erkennende Senat. Sie findet uneingeschränkt auch auf die nunmehr geltende gesetzliche Regelung Anwendung. Denn auch dort wird bei im Übrigen identischem Regelungsgehalt von einer "medizinisch notwendigen Versorgung mit Zahnersatz" gesprochen.
Danach kann der Kläger Befreiung von der Eigenleistung nicht verlangen. Wie bereits das Sozialgericht ermittelt hat, liegen die Voraussetzungen, unter denen nach der erwähnten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. a.a.O.) unter Aufopferungs¬gesichtspunkten voller Kostenersatz zu gewähren ist, nicht vor. Denn nicht die Vorgabe des Leistungs- oder des Leistungserbringungsrecht des SGB V haben die Strahlenbehandlung des Klägers erzwungen. Vielmehr war diese nach der Einschätzung des behandelnden Radiologen die einzige sinnvolle Behandlung zur Heilung der Krebserkrankung, und der Kläger ist diesem ärztlichen Rat gefolgt. Keinesfalls aber war er verpflichtet, sich dieser Behandlung zu unterziehen. Ihm hätte es vielmehr freigestanden, eine andere Art der Krebsbehandlung zu wählen. Damit hat nicht ein Systemmangel – die Kausalität zwischen Strahlenbehandlung und Zahnverlust unterstellt – die Zahnbehandlung erforderlich gemacht, sondern die von Arzt und Patient gewählte Art der Behandlung, und das Gericht brauchte dem weiteren Hilfsantrag des Klägers nicht nachzugehen und nicht aufzuklären, ob etwa mit einer Chemotherapie derselbe Behandlungserfolg zu erzielen und gleichzeitig ein Zahnverlust zu vermeiden gewesen wäre. Für die Entscheidung kann schließlich auch dahinstehen, ob tatsächlich bei dem Kläger die Eingliederung von Zahnersatz als Folge der Strahlenbehandlung erforderlich wurde. Zwar ist ein Zahnverlust nach den vom Sozialgericht eingeholten ärztlichen Stellungnahmen häufige Folge einer derartigen Behandlung. Ob dies auch bei dem Kläger hinsichtlich der anlässlich der streitigen Behandlung ersetzten Zähne der Fall war oder ob hierfür andere Umstände ursächlich sind, ist allein aufgrund dieser Befundberichte allerdings nicht abschließend zu entscheiden, braucht indessen ebenfalls nicht aufgeklärt zu werden, weil es für die Entscheidung hierauf nicht ankommt.
Die von dem Kläger bemühten Vertrauensschutzgesichtspunkte können der Berufung schon deswegen nicht zum Erfolg verhelfen, weil sich bei ihm ein schützenswertes Vertrauen auf vollen Kostenersatz nach der zum 1. April 1989 erfolgten Satzungsänderung der Beklagten nicht hat bilden können. Zwar konnte nach § 20 Abs. 3 der Versicherungsbedingungen der Beklagten, die nach § 3 der Satzung der Beklagten in der bis zum 31. März 1989 geltenden Fassung einen Bestandteil derselben bilden, die Beklagte "in Härtefällen" den vom Mitglied zu zahlenden Kostenanteil für zahntechnische Leistungen ganz oder teilweise übernehmen. Dies ist offenbar auch regelmäßig in vergleichbaren Fällen geschehen. Diese Regelung ist jedoch zum 1. April 1989 ersatzlos weggefallen. Die Beklagte hat auch nachgewiesen, dass das ab 1. April 1989 geltende Satzungsrecht ordnungsgemäß durch Aushang nach § 10 der Satzung und entsprechenden Hinweis im Mitteilungsblatt bekannt gemacht wurde. Dort wurde auch auf den durch das zum 1. Januar 1989 in Kraft getretene Gesundheitsreformgesetz erzwungenen Wegfall einiger "Sonderrechte" der Mitglieder dieser Kasse hingewiesen.
Wenn der Kläger vorträgt, die Praxis der Beklagten sei gleichwohl bis zum Jahre 2002 noch dahin gegangen, vollen Kostenersatz bei Zahnersatz in bestimmten Fällen zu gewähren, so kann dies als wahr unterstellt werden. Der von dem Kläger hierfür mit seinem ersten Hilfsantrag angebotene Zeugenbeweis braucht nicht erhoben zu werden. Schon mangels einer entsprechenden Satzungsregelung erweist sich diese Praxis nämlich als rechtswidrig. Im Übrigen dürfen die gesetzlichen Krankenkassen unter der Geltung des SGB V in ihrer Satzung auch nur noch Leistungen vorsehen, die das Gesetz zulässt (vgl. § 194 Abs. 2 Satz 2 SGB V). Für Zahnersatz sieht das Gesetz aber Mehrleistungen nicht vor. Damit läuft das auf die Gewährung zusätzlicher Leistungen in diesem Bereich gerichtete Verlangen auf eine Gleichbehandlung im Unrecht hinaus. Nach allgemeiner Auffassung kann jedoch unter Hinweis auf den aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz folgenden Gleichheitssatz die Fortführung einer rechtswidrigen Praxis nicht mit Erfolg verlangt werden.
Dass im Hinblick auf das Einkommen des Klägers die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Zuzahlung durch die Anwendung von § 61 SGB V a.F. bzw. § 55 Abs. 2 SGB n.F. vorlägen, hat der Kläger schließlich weder geltend gemacht, noch ist hierfür sonst etwas ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen diese Entscheidung nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Login
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