L 14 KG 13/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
14
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 KG 26/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 KG 13/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 KG 4/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18. August 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist im Zeitraum von Mai 1994 bis Dezember 1995 ein Kindergeldanspruch des Klägers für die leiblichen Kinder A. , geb. 1987, und A. , geb. 1992, nebst Verzinsung von 12,5 %.

Der Kläger und seine Familienangehörigen, alle Staatsbürger Bosnien-Herzegowinas, flüchteten im März 1993 wegen des damaligen Bürgerkriegs von dort in die Bundesrepublik Deutschland - BRD - (Einreise aufgrund eines Besuchervisums und einer "Einladung" des Prozessbevollmächtigten), hielten sich an zwei Orten in der Oberpfalz bis zum 27.04.1997 auf und kehrten mit dem 1996 geborenen dritten Kind S. nach einem längeren Zwischenaufenthalt in Kroatien (während dieses Aufenthalts wurden auf Antrag die Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 11.017,82 DM erstattet - Bescheid der damaligen Landesversicherungsanstalt Niederbayern-Oberpfalz vom 31.10.2000) in ihr Heimatland zurück.

Zwischen 1993 und 1997 war der Kläger zeitweise, u.a. vom 24.05.1994 bis zum 01.01.1995 und vom 01.03.1995 bis zum 31.01.1996, bei der Firma E. GmbH, Behälterbau, beschäftigt und bezog laut Bescheiden des Arbeitsamts W. (in der später vom Senat beigezogenen Sozialhilfeakte) u.a. vom 02.01. bis 28.02.1995 Arbeitslosengeld.

Der möglicherweise seit Dezember 1994 in einem Arbeitsverhältnis stehenden Ehefrau des Klägers sind (laut den vom Senat beigezogenen Ausländerakten des Landratsamts N.) ab 22.03.1993 wiederholt befristete Duldungen (Aussetzung der Abschiebung) und ab 18.09.1995 befristete Aufenthaltsbefugnisse erteilt worden; der Aufenthalt des Klägers beruhte vom 19.03.1993 bis 14.09.1994 auf einer Duldung, vom 15.09.1994 bis 19.03.1995 auf einer Aufenthaltserlaubnis, vom 20.03. bis 17.09.1995 auf einer Duldung und vom 18.09.1995 bis 24.03.1997 auf einer Aufenthaltsbefugnis.

Am 30.04.2001 stellte der Kläger erstmals bei der Beklagten einen schriftlichen Antrag auf Kindergeld für drei Kinder unter Beifügung von Unterlagen (vom jetzigen Prozessbevollmächtigten beim Arbeitsamt W. abgegebener Formblattantrag mit beigefügten Belegen), wobei ersichtlich war, dass sich der Kläger und dessen Familie seit dem 27.04.1997 nicht mehr in der BRD aufhielten und in S. , Bosnien-Herzegowina, wohnten. Seine Ehefrau hatte auf dem Formblatt ihr Einverständnis mit der Zahlung des Kindergelds an den Kläger erklärt.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 29.06.2001 unter dem Betreff "Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG)" lehnte die Beklagte den Antrag mit folgender Begründung ab: "Gemäß § 52 Abs.32b EStG in Verbindung mit § 66 Abs.3 EStG in der bis zum 31.12.1997 geltenden Fassung ist eine rückwirkende Gewährung des Kindergeldes im Rahmen der Festsetzungsfrist des § 169 Abs.2 Nr.2 AO möglich. Allerdings ist hierbei zu beachten, dass eine Kindergeldgewährung für die Zeit vor Juli 1997 nicht in Betracht kommt. In ihrem Fall kann Kindergeld für die Kinder A. , A. und S. nicht gewährt werden, weil sie am 27.04.1997 aus der Bundesrepublik Deutschland ausgereist sind" (Rechtsbehelfsbelehrung: Einspruch).

Mit dem hiergegen vom jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers eingelegten Einspruch wurde Kindergeld unter Bezug auf "diverse Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs" und der "zwischenstaatlichen Vereinbarungen zwischen der BRD und Ex-Jugoslawien" begehrt. Daraufhin erging die zurückweisende Einspruchsentscheidung vom 09.08.2001. Allein unter Zitierung von Vorschriften der Abgabenordnung (AO) und des EStG wurde begründet, dass Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Antragstellung gezahlt werden könne und - nach einer Rechtsänderung - rückwirkend längstens bis Juli 1997 (§ 66 Abs.3 und § 52 Abs.62 EStG). Gemäß § 62 Abs.2 EStG habe ein Ausländer nur Anspruch auf Kindergeld, wenn er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis sei. Der Einspruchsführer habe sich im Rahmen einer "Aufenthaltsgestattung" bis zum 27.04.1997 in der BRD aufgehalten und sei zur Ausreise gemäß § 42 Abs.1 des Ausländergesetzes (AuslG) bis spätestens 30.06.1997 aufgefordert worden. Ab Juli 1997 hätten somit die Voraussetzungen für Kindergeld nicht vorgelegen.

Im darauf folgenden Klageverfahren vor dem Finanzgericht N. begehrte der Kläger Kindergeld für drei Kinder im Zeitraum von Mai 1994 bis Juli 1997 mit dem Vortrag, die Familienkasse habe "uns" auf Nachfragen wegen Kindergelds immer wieder gesagt, dass "wir" keine Aufenthaltserlaubnis hätten und damit kein Recht auf Kindergeld. Der Schwager S. M. habe zur damaligen Zeit schriftlich bekommen, dass er kein Kindergeld wegen fehlender Aufenthaltserlaubnis erhalten könne (Anmerkung des Senats: Der Prozessbevollmächtigte des Klägers nahm hierbei Bezug auf den der Ehefrau des Schwagers als Antragstellerin erteilten Bescheid vom 19.07.1993, in dem bei fehlender Aufenthaltserlaubnis, Vorhandensein einer befristeten Duldung und der Prognose, auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden zu können, ein Kindergeldanspruch deswegen abgelehnt wurde, weil das in § 1 Abs.3 Bundeskindergeldgesetz - BKGG - in der bis zum 31.12.1993 geltenden Fassung vorgesehene Jahr eines geduldeten Aufenthalts noch nicht abgelaufen war - vgl. Berufungsverfahren L 14 KG 9/05.) In der damaligen Zeit sei es unzumutbar gewesen, gegen die Beklagte einen Prozess zu führen, und warum sollte ein Kindergeldantrag gestellt werden, wenn dieser sowieso abgelehnt worden wäre. Nunmehr habe das Bundessozialgericht (BSG) mit Entscheidung vom 12.04.2000 - B 14 KG 2/99 R und 3/99 R "uns" aufgrund des deutsch-jugoslawischen Abkommens ein Recht auf Kindergeld für Zeiten der versicherungspflichtigen Beschäftigung und des Arbeitslosengeldbezugs anerkannt. In dieser Entscheidung stehe nicht, dass ein Kindergeldanspruch nur rückwirkend ab 1997 zustehe; das BSG-Urteil habe § 52 Abs.62 EStG außer Kraft gesetzt.

Das Finanzgericht N. trennte das bei ihm anhängige Verfahren in zeitlicher Hinsicht. Wegen der Kindergeldansprüche ab 01.01.1996 nach steuerrechtlichen Vorschriften erging das abweisende Urteil vom 26.03.2002 - IV 226/2001. Hinsichtlich der Kindergeldansprüche von Mai 1994 bis Dezember 1995 aufgrund der bis zum 31.12.1995 anzuwendenden Vorschriften des BKGG - BKGG a.F. -, damit für zwei Kinder und Zinsen von 13,5 %, wurde der Rechtsweg zu den Finanzgerichten für unzulässig erklärt und die Streitsache an das Sozialgericht Nürnberg verwiesen (Beschluss vom 19.03.2002 - VI 315/2001).

Im sozialgerichtlichen Verfahren begehrte der Kläger Kindergeld für drei Kinder von Mai 1994 bis Juni 1997 (Schriftsatz vom 29.07.2003) mit der Behauptung, noch bei dem Versuch, "unser" Kindergeld zu beantragen, seien "sie" strikt abgelehnt worden bzw. sei das Kindergeld verweigert worden. Bei einer Vorsprache beim Arbeitsamt (Kindergeldkasse) im Mai 1994 seien sie mit den Worten ausgelacht worden: "Sie können Antrag stellen, aber das wird 100 %-ig abgewiesen, Sie haben kein Recht auf Kindergeld." Deswegen sei der im Jahre 2001 gestellte Antrag als im Mai 1994 gestellt anzusehen. Erneut wurde im Klageverfahren vorgetragen, dass es dem Kläger bzw. den Flüchtlingen nicht zumutbar gewesen sei, sofort nach der Flucht vor dem Krieg Klage gegen deutsche Behörden zu führen. Sie hätten Angst wegen des Kriegs gehabt, keine Deutschkenntnisse, keine Rechtskenntnisse, im Übrigen auch Angst um den weiteren Aufenthalt in der BRD, wenn sie gegen die Familienkasse rechtlich vorgingen.

Das Sozialgericht Nürnberg wies die Klage mit Urteil vom 18.08.2003 ab, wobei es nur eine Klage wegen Kindergelds für zwei Kinder im Zeitraum von Mai 1994 bis Dezember 1995 sah. Es war der Auffassung, dass dem Kläger im genannten Zeitraum ein Anspruch auf Kindergeld nach dem BKGG in Verbindung mit dem deutsch-jugoslawischen Abkommen zustehen hätte können (Urteil des BSG vom 12.04.2000 - B 14 KG 2/99 R), für die Zeit von September 1994 bis März 1995 sogar allein auf der Grundlage des BKGG. Mit dem am 30.04.2001 gestellten Antrag habe der Kläger die Zahlungspflicht der Beklagten nicht mehr auslösen können, weil nach § 20 Abs.2 BKGG n.F. Kindergeld rückwirkend längstens bis einschließlich Juli 1997 gezahlt werden könne. Auch bei einem im Jahre 1994 mündlich gestellten Kindergeldantrag des Klägers könne er heute keinen Anspruch auf Kindergeld verwirklichen. Ein solcher mündlicher Antrag, der freilich die Formvorschrift des § 17 Abs.1 Satz 1 BKGG a.F. nicht eingehalten habe, sei von der damaligen Kindergeldkasse im Jahre 1994 mit mündlichem Verwaltungsakt abgelehnt worden. Ein solcher Verwaltungsakt verstoße zwar gegen die Formvorschrift des § 25 Abs.1 BKGG a.F., doch führe die Verletzung der Schriftform nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts gemäß § 40 Sozialgesetzbuch Teil X (SGB X). Damit wäre ein im Mai 1994 von der Kindergeldkasse erteilter mündlicher Verwaltungsakt wirksam. Gemäß § 44 Abs.4 SGB X - von Amts wegen zu berücksichtigende Ausschlussfrist und Nachzahlungsbegrenzung - könnten auf Antrag des Klägers auf Überprüfung der Richtigkeit des im Jahre 1994 ergangenen Ablehnungsbescheids - dieser Antrag liege im Kindergeldantrag vom 30.04.2001 - Leistungen nur rückwirkend für vier Jahre vor dem Überprüfungsantrag erbracht werden, also nicht mehr für die Jahre 1994 und 1995.

Mit dem Rechtsmittel der Berufung begehrt der Kläger die rückwirkende Kindergeldzahlung zuerst für drei Kinder vom Mai 1994 bis 1997 nebst 13,5 % Zins, zuletzt - nach mehrfachen Änderungen und Berichtigungen - Kindergeld für die zwei vor dem 01.01.1996 geborenen Kinder von Mai 1994 bis Dezember 1995 bei 12,5 % Zins. Zur persönlichen damaligen Situation gibt der Kläger an, dass er von März 1993 bis Mai 1994 Sozialhilfe bezogen, ab Mai 1994 gearbeitet und - nunmehr im Juni 1994 (genannt wurden aber auch Mai 1994 und April 1994) - auf Anregung von Arbeitskollegen und möglicherweise sogar des Arbeitgebers - bei der Kindergeldkasse vorgesprochen habe. Die Ehefrau habe nur auf geringfügiger, nicht versicherungspflichtiger Basis insgesamt 13 Monate als Putzfrau in einer Volksschule und in einem Sägewerk gearbeitet. Der Kläger beruft sich zur Begründung seines Begehrens auf den angeblichen Parallelfall des Herrn Z., der nachträglich vom Arbeitsamt Herford Kindergeld ab 01.06.1993 erhalten habe, und behauptet, alle Bosnier seien schriftlich oder mündlich gleich beim ersten Antrag auf Kindergeld von der Kindergeldkasse W. mit falscher Begründung abgelehnt worden. Er, der Kläger, sei mit Ehefrau und Kindern, mit dem Prozessbevollmächtigten und anderen Verwandten bzw. verschwägerten Personen beim Arbeitsamt vorstellig geworden, weil sie zunächst nicht dem Prozessbevollmächtigten geglaubt hätten, dass sie kein Kindergeld bekämen. Sie seien von Bediensteten des Arbeitsamts ausgelacht worden, weil eine Duldung für das Kindergeld nicht ausreiche und eine Aufenthaltserlaubnis erforderlich sei. Er habe dann nichts gegen die Kindergeldkasse unternommen, weil die Familie M. (Anmerkung des Senats: vgl. hierzu die Berufung L 14 KG 9/05) unter den gleichen Umständen auch schriftlich abgelehnt worden sei.

Erneut trug der Kläger, wie bereits in den vorangegangenen Klageverfahren beim Sozialgericht und Finanzgericht, die Gründe dafür vor, dass er nach Vorsprache beim Arbeitsamt nichts mehr unternommen hätte, u.a. auch, dass "sie" sich nicht einen gerichtlichen Prozess gegen ein Land leisten konnten, das ihnen in ihrer schweren Situation geholfen habe. Hierzu hätten auch wirtschaftliche und psychische Umstände sowie Sprachbarrieren und Gesetzesunkenntnis beigetragen. Es liege keine "Fristverletzung" vor bzw. § 44 Abs.4 SGB X, § 9 Abs.2 BKGG a.F. und § 20 Abs.2 in Verbindung mit § 5 Abs.2 BKGG n.F. sowie § 45 Abs.1 SGB I (Verjährung) seien (sinngemäß) anders oder nicht anzuwenden. In diesem Zusammenhang behauptet der Kläger - entgegen dem früheren Vorbringen über ein Gespräch mit Bediensteten der Kindergeldkasse -, im Mai 1994 bzw. April 1994 sei nachweislich ein schriftlicher Kindergeldantrag der Familie S. erfolgt (Schriftsatz vom 17.03.2005). Im Übrigen vertritt er die Auffassung, die Verweigerung des Kindergelds habe auf einem Fehlverhalten der Beklagten, der Behinderung an der Antragstellung durch Demagogie beruht, und er habe sofort nach Kenntnis des Urteils des BSG vom 12.04.2000 das Kindergeld beantragt. Nach dem deutsch-jugoslawischen Abkommen hätte ihm seit Beginn der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung das Kindergeld zugestanden, im Übrigen auch gemäß dem europäischen Abkommen über soziale Sicherheit nach sechs Monaten Wohnaufenthalt in der BRD. Es werde eine "Gesamtklage von kindergeldgeschädigten bosnischen Flüchtlingen gegen die Familienkasse Deutschlands wegen tausender Betrogener in Millionenhöhe überlegt", was der Prozessbevollmächtigte des Klägers wohl dann mit der beim Sozialgericht Regensburg eingelegten Klage S 8 KG 4/06 umsetzte.

Der Kläger hält die "Einladung" des damaligen Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit für sinnvoll, weil dieser mit seinem Team die umstrittenen Spargesetze am 01.01.1994 beschlossen (Anmerkung: gemeint ist der ab 01.01.1994 geltende § 1 Abs.3 BKGG, neu gefasst durch das Erste Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumprogramms - 1. SKWPG) und Dienstanweisungen gegeben habe. Als eventuelle Zeugen kämen auch die Mitarbeiter der Familienkasse W. in Frage, die die Dienstanweisungen befolgt und "uns" immer wieder abgelehnt hätten.

Die Beklagte weist darauf hin, dass hinsichtlich des Kindergelds nur ein schriftlicher Antrag vorgesehen und wirksam sei. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch scheitere bereits daran, dass der Beklagten kein Fehlverhalten vorzuwerfen sei. Sie habe damals auf der Basis höchstrichterlicher Rechtsauslegung korrekt Auskünfte erteilt; eine erst im Jahre 2000 erfolgte Änderung der Rechtsprechung durch Urteil des BSG vom 12.04.2000 könne einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht begründen. Hierdurch wäre der Kläger im Übrigen besser gestellt, als wenn er im Jahre 1994 einen schriftlichen Ablehnungsbescheid erhalten hätte, weil § 44 Abs.4 SGB X mit der Ausschlussfrist von vier Jahren dann einer nachträglichen Erbringung von Leistungen entgegenstehe.

Der Senat hat die Kindergeldakte der Beklagten und deren ca. 60 Blatt umfassenden Dienstanweisungen zur damaligen Rechtshandhabung bei Kindergeld für Ausländer, die Klageakten des Sozialgerichts Nürnberg S 9 KG 26/02 und des Finanzgerichts N. VI 226/2001, die Ausländerakten (Kläger und Ehefrau) und die Sozialhilfeakte des Landratsamts N. sowie einen Beitragserstattungsbescheid der Landesversicherungsanstalt Niederbayern-Oberpfalz vom 31.10.2000 (mit Zeiten der Beschäftigung des Klägers und des Bezugs von Arbeitslosengeld/Arbeitslosenhilfe) beigezogen. Nicht nachgekommen ist die Klagepartei der unter Übersendung eines Formblatts erfolgten Anregung des Senats, Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts zu stellen.

Gegen die im Beweisaufnahmetermin vom 30.05.2005 - der Kläger ist hierzu nicht erschienen und hat auch nicht einen Prozessbevollmächtigten entsandt - geladene und nicht erschienene Zeugin A. S. (Ehefrau des Klägers) ist ein Ordnungsgeld von 100,00 EUR festgesetzt worden (Beschluss vom 30.05.2005). Im weiteren Termin zur Beweisaufnahme und Erörterung vom 08.12.2005 - auch hier waren der Kläger und dessen Bevollmächtigter nicht anwesend - wurde gegen die nicht erschienene Zeugin A. S. ein Ordnungsgeld von 400,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft von fünf Tagen, und gegen den nicht erschienenen Zeugen S. M. (Bruder des Prozessbevollmächtigten) ein Ordnungsgeld von 150,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft von zwei Tagen, festgesetzt (Beschluss vom 08.12.2005).

Im Beweisaufnahmetermin am 08.05.2006 ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers als Zeuge einvernommen worden. Er gab an, seines Wissens sei bis zum Jahre 2001 nie ein schriftlicher Kindergeldantrag gestellt worden. Eine erste "inoffizielle" Vorsprache des Klägers wegen allgemeiner Informationen zum Kindergeld sei im Juli 1993 erfolgt. Zum zweiten Mal sei, in Anwesenheit aller Familienangehörigen, nach der Arbeitsaufnahme des Klägers ca. im Juli 1994 vorgesprochen worden. Dem Kläger sei mitgeteilt worden, ihm stehe kein Kindergeldanspruch zu, und wenn er einen Antrag stellen werde, werde dieser abgelehnt. Ein Formblatt für den Kindergeldantrag sei nicht verlangt worden. Es sei bekannt gewesen, dass man Kindergeld nur schriftlich beantragen könne, die Familienkasse den Antrag entgegennehmen und verbescheiden müsse. Allgemeinhin könne gesagt werden, dass nie die Entgegennahme eines schriftlichen Antrags verweigert worden sei. Der Kläger habe ihm, dem Prozessbevollmächtigten, nach Hinweis des Sachbearbeiters des Arbeitsamts auf bosnisch gesagt, warum er denn einen Kindergeldantrag ausfüllen solle, wenn der Mann sage, es werde doch alles abgelehnt. Dies habe er auch so übersetzt. Unbekannt sei ihm, dass der Kläger im Sommer 1994 eine Aufenthaltserlaubnis erhalten habe, ebenso wisse er nicht, warum der Kläger bei Erhalt einer Arbeitserlaubnis keinen Kindergeldantrag gestellt habe.

Der Kläger beantragt (sinngemäß), das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.08.2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29.06.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2001 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Kindergeld für die Kinder A. und A. im Zeitraum von Mai 1994 bis Dezember 1995 nebst 12,5 % Zins zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat lagen zur mündlichen Verhandlung die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die oben genannten Akten und Unterlagen vor. Zur mündlichen Verhandlung sind wegen des übergreifenden, in weiten Teilen gleichlautenden Sachvortrags des Prozessbevollmächtigten des Klägers, der angeblich gleichgelagerten Sachverhalte und der dortigen Zeugenaussagen des Prozessbevollmächtigten die Berufungs-, Klage- und Kindergeldakten in den Berufungen S. M. L 14 KG 9/05 und Z. B. L 14 KG 10/05 beigezogen worden.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung (§§ 143 ff., 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) ist unbegründet.

Gegenstand des Verfahrens war der Bescheid vom 29.06.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2001, soweit hierdurch die Bewilligung des Kindergelds für zwei Kinder in der Zeit bis zum 31.12.1995 abgelehnt worden ist. Zwar betreffen die Bescheide allein nach dem "Betreff" und nach den zitierten Gesetzesvorschriften das "steuerrechtliche" Kindergeld, das erst mit Wirkung ab 01.01.1996 ins EStG übernommen und dort grundsätzlich auf anderen dogmatischen Grundlagen neu geregelt worden ist. Es kam jedoch nicht darauf an, was die Beklagte unter fachjuristischen Gesichtspunkten mit den angewendeten Vorschriften hätte regeln können, ebensowenig darauf, was sie regeln wollte (wobei hier im Übrigen der Verdacht besteht, dass die Beklagte mit den steuerrechtlichen Vorschriften nicht nur einen Kindergeldanspruch rückwirkend bis zum 01.01.1996, sondern auch vor diesem Zeitpunkt ablehnen wollte). Maßgebend ist unter Berücksichtigung der äußeren Umstände der objektive "Erklärungsinhalt" (Regelungsgehalt) des Bescheids, wie ihn ein objektiver Dritter (Laie) aus seiner Sicht verstehen durfte. Hiernach wurde ein deutlich erkennbarer Antrag auf Kindergeld für die Zeit von 1993 bis 1997 abgelehnt, ohne dass die Beklagte - wie manchmal in anderen Fällen geschehen - durch den Bescheidtext oder einen besonderen Hinweis klargestellt hätte, dass die getroffene Regelung nur einen Sachverhalt ab 01.01.1996 betreffe (Teilentscheidung) und hinsichtlich der Zeit bis zum 31.12.1995 ein gesonderter Bescheid nach dem BKGG a.F. ergehen werde.

Allein die im Bescheid zitierten Rechtsgrundlagen aus dem Gebiet des Steuerrechts und die Rechtsbehelfsbelehrung (Einspruch anstelle von Widerspruch und Einspruch nach den jeweiligen Zeitabschnitten) sind nicht geeignet für die Annahme, eine Regelung hinsichtlich des "sozialrechtlichen" Kindergelds bis Dezember 1995 sei nicht erfolgt. Abgesehen davon, dass es keineswegs ausgeschlossen ist, dass bei Verwaltungsentscheidungen auch nicht einschlägige Rechtsvorschriften angewendet und (teils) unrichtige Rechtsbehelfsbelehrungen erteilt werden, erschließt sich einem Laien eine eventuell gewollte Beschränkung des Umfangs des Regelungsgehalts nicht aus den zitierten und ihm nicht geläufigen Gesetzen, sondern aus der inhaltlichen Aussage.

Es war auch möglich, dass die Beklagte und die Widerspruchsstelle/Einspruchsstelle einmal in der Eigenschaft als Bundesanstalt für Arbeit bzw. Bundesagentur für Arbeit, betraut mit der Durchführung des Kindergeldrechts nach dem BKGG a.F. und n.F. (§ 24 BKGG a.F., § 13 BKGG n.F.), ein andermal in der Eigenschaft als Finanzbehörde (Organleihe - § 5 Abs.1 Nr.11 des Finanzverwaltungsgesetzes), betraut mit der Durchführung des Kindergeldrechts auf der Grundlage des EStG, beide unter der ab 01.01.1996 geltenden Bezeichnung Familienkasse bzw. Rechtsbehelfsstelle der Familienkasse einen gemischten Bescheid bzw. einen Anspruchs- und Widerspruchsbescheid erteilten, zumal das Amt bzw. die Behörde identisch war.

Zu Recht hat das Sozialgericht die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten nicht aufgehoben oder abgeändert, wenn auch deren Begründung hinsichtlich des abgelehnten Kindergeldanspruchs von 1993 bis 1995 unzutreffend gewesen ist. Die Begründung nimmt nicht an der Bestandskraft von Verwaltungsakten teil, und maßgebend kam es vorliegend - eine Ermessensentscheidung war nicht zu treffen - auf die Richtigkeit des Ausspruchs (Regelungssatz, hier Ablehnung) an, der im Ergebnis bei anderer (zutreffender) Begründung zu bestätigen war.

Entsprechendes gilt im Übrigen auch für den Urteilsspruch (Tenor) des Sozialgerichts bei den nach Meinung des Senats zum Teil nicht zutreffenden Entscheidungsgründen.

Dem Kläger stand ehemals ein ab dem Jahre 2001 nicht mehr realisierbarer Kindergeldanspruch zu und zwar a) von Mai bis August 1994 (Duldung) aufgrund der Vorschriften des BKGG a.F. in Verbindung mit dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12.10.1968 in der Fassung des Änderungsabkommens vom 30.09.1974 (deutsch-jugoslawisches Abkommen), b) von September 1994 bis März 1995 (Aufenthaltserlaubnis) allein aufgrund innerstaatlicher Vorschriften ohne Zuhilfenahme des Abkommens und c) von April bis Dezember 1995 (erst Duldung, dann Aufenthaltsbefugnis) aufgrund des BKGG a.F. in Verbindung mit dem Abkommen, wobei zu a) und c) vorausgesetzt wird, dass das Abkommen im Verhältnis der BRD zu Bosnien-Herzegowina überhaupt Anwendung findet. Auf einen Flüchtlingsstatus, der in Verbindung mit dem innerstaatlichen Recht oder dem Recht der EG über die Gleichstellung von Ausländern mit Deutschen oder EG-Angehörigen ein Kindergeldrecht von Mai bis August 1994 und April bis Dezember 1995 eröffnen könnte, kann sich der Kläger nicht berufen.

1. Gemäß § 1 Abs.1 Satz 1 Nr.1 BKGG a.F. hat Anspruch auf Kindergeld für seine Kinder und die durch § 2 Abs.2 gleichgestellten Kinder, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes (also der BRD) einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Nach § 1 Abs.3 BKGG in der vom 01.01.1991 bis 31.12.1993 geltenden Fassung haben Ausländer, die sich ohne Aufenthaltsgenehmigung im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten, einen Anspruch nach diesem Gesetz nur, wenn sie nach den §§ 51, 53 oder 54 AuslG auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können, frühestens für die Zeit nach einem gestatteten oder geduldeten Aufenthalt von einem Jahr. Nach § 1 Abs.3 Satz 1 BKGG in der ab 01.01.1994 geltenden Fassung (gleichlautend später der ab 01.01.1996 geltende § 62 Abs.2 Satz 1 EStG) hat ein Ausländer einen Anspruch nach diesem Gesetz nur, wenn er in Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist (Zu § 1 Abs.3 Satz 1 BKGG a.F. entschied das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 06.07.2004 - 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97 und 1 BvL 6/97, dass die für 1994 und 1995 geltende Bestimmung mit der Verfassung nicht vereinbar sei und in noch nicht rechts- oder bestandskräftig abgeschlossenen Verfahren das bis zum 31.12.1993 geltende Recht anzuwenden sei, wenn der Gesetzgeber bis zum 01.01.2006 keine Neuregelung treffe.).

§ 1 Abs.3 BKGG in der bis zum 31.12.1993 geltenden Fassung beinhaltete - abgesehen von dem Hinausschieben des Kindergeldanspruchs um ein Jahr - keine lex specialis zu § 1 Abs.1 BKGG a.F. (Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt), sondern vollzog mit Wirkung ab 01.01.1991 lediglich die herrschende Meinung in der Literatur und die allgemeine Auffassung in der Rechtsprechung, dass der tatsächliche Aufenthalt eines Ausländers erst dann sich zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von § 30 SGB I entwickeln könne, wenn nach dem jeweils geltenden Ausländerrecht und der Handhabung der einschlägigen Ermessensvorschriften durch die deutschen Behörden (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) davon auszugehen sei, dass der Ausländer nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer im Bundesgebiet bleiben könne (vgl. BSG vom 31.08.1980 - 8b RKg 4/79 in BSGE 49, 254; BSG vom 15.06.1982 - 10 RKg 26/81, 27/81 und 34/81, ersteres in BSGE 53, 234; BSG vom 20.05.1987 - 10 RKg 18/85 in Breithaupt 1988, 339; BSG vom 23.08.1988 - 10 RKg 20/86, 21/86, 16/87 und 17/87, letzteres in BSGE 63, 67; BSG vom 12.02.1992 - 10 RKg 26/90).

Das Ausländergesetz in damaliger Fassung sah in § 5 an Arten der Aufenthaltsgenehmigung, gestuft nach der Qualität der Berechtigungen, die Aufenthaltserlaubnis (§§ 15, 17 AuslG), die Aufenthaltsberechtigung (§ 27 AuslG), die Aufenthaltsbewilligung (§§ 28, 29 AuslG) und die Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AuslG) vor. § 1 Abs.3 BKGG in der bis zum 31.12.1993 geltenden Fassung bezog sich insbesondere bei Fehlen einer Aufenthaltsgenehmigung auf die Aufenthaltsgestattung zur Durchführung eines Asylverfahrens und die Duldung nach § 55 AuslG.

§ 1 Abs.3 BKGG a.F. in der ab 01.01.1994 geltenden Fassung des 1. SKWPG entfernte sich vom Begriff "Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt" und stellte nur mehr auf den gesicherten Aufenthalt eines Ausländers bei Vorliegen der qualitativ am höchsten stehenden Arten der Aufenthaltsgenehmigung, der Aufenthaltsberechtigung und der Aufenthaltserlaubnis ab.

Aufgrund der dem Kläger für die Zeit vom 15.09.1994 bis 19.03.1995 erteilten befristeten Aufenthaltserlaubnis bestand bereits nach dem damals geltenden Gesetz und der damaligen Rechtsauslegung ein Kindergeldanspruch von September 1994 bis März 1995. Nach der bis zum Jahre 2000 geltenden unumstrittenen Rechtsprechung hatte der Kläger aber in den Zeiten von Mai bis August 1994 und April bis Dezember 1995 keinen Anspruch auf Kindergeld. Insoweit konnte das europäische Recht jedenfalls nicht zu einem Kindergeldanspruch verhelfen. Die EG-Verordnungen, die das innerstaatliche Kindergeldrecht des BKGG a.F. modifizierten, und zwar auch dann, wenn der Gesetzgeber insoweit (in § 42 BKGG a.F.) keine Ausnahmevorschriften vorgesehen hätte, waren nicht einschlägig, weil der Kläger nicht Angehöriger eines EG-Staates war. Im Übrigen bestimmte § 42 BKGG a.F.: "Soweit in diesem Gesetz Ansprüche Deutschen vorbehalten sind, haben Angehörige anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften, Flüchtlinge und Staatenlose nach Maßgabe des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen die gleichen Rechte. Auch im Übrigen bleiben die Bestimmungen der genannten Verordnungen unberührt".

Nach diesen Regelungen konnte sich der Kläger auch nicht auf die Stellung als "Bürgerkriegsflüchtling" berufen. § 42 BKGG a.F. nimmt mit seiner Formulierung zunächst Bezug auf Flüchtlinge aufgrund des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951, BGBl. 1953 II S.559 ("Genfer Flüchtlingskonvention"). Die Gleichstellung mit Deutschen, die im Inland ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, hat zur Folge, dass § 1 Abs.3 BKGG in der vor und ab dem 01.01.1994 geltenden Fassung nicht anzuwenden ist, setzt aber voraus, dass die Flüchtlinge nach diesem Gesetz (durch unanfechtbaren Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge) anerkannt waren. Einen solchen qualifizierten Flüchtlingsstatus hatte der Kläger jedoch nicht. Er war auch nicht anerkannter Asylberechtigter oder anerkannter sonstiger politischer Verfolgter (§§ 1 und 2 Asylverfahrensgesetz) und gehörte ferner nicht zu den so genannten Kontingent-Flüchtlingen, die die Rechtsstellung nach dem Abkommen vom 28.07.1951 genießen (vgl. § 1 des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommener Flüchtlinge vom 20.07.1980, BGBl.I S.1057 - HumHG). Eine derartige Rechtsstellung wird in der Regel durch eine amtliche Bescheinigung nachgewiesen, die nur erteilt werden kann und darf, wenn der Ausländer vor der Einreise in der Form eines Sichtvermerks oder aufgrund einer Übernahmeerklärung nach § 33 Abs.1 AuslG im Bundesgebiet aufgenommen wird. Ein nachträgliches Anerkennungs- und Feststellungsverfahren hierzu war nicht vorgesehen, vielmehr entstand die Rechtsstellung im Sinne von § 1 Abs.1 HumHG kraft Gesetzes. Eine nachträgliche Anerkennung, etwa durch die Ausstellung eines Reiseausweises mit dem Vermerk Flüchtling im Sinne des § 1 Abs.1 HumHG, ist nicht möglich (ausführlich zu den Einzelheiten siehe Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 09.07.2001 - A 6 S 2218/99).

Der Kläger hat aber vor seiner Einreise in die BRD kein Sichtvermerks- oder Übernahmeverfahren durchlaufen, sondern ist lediglich auf "Einladung" des Bevollmächtigten, der dann später durch die Kostenübernahmepflicht überfordert war, mit einem Besuchervisum in die BRD eingereist. Demnach erhielt der Kläger im Jahre 1993 zunächst nur Duldungen (Aussetzung der Abschiebung bei einem von vornherein als transitorisch angelegten Aufenthalt), wohingegen bei Zugehörigkeit zu den "humanitären Sonderkontingenten" (vgl. §§ 32, 33 AuslG) eine Aufenthaltsbefugnis erteilt worden wäre.

Ein Kindergeldanspruch von Mai bis August 1994 und April bis Dezember 1995 bestand aber ausschließlich aufgrund des deutsch-jugoslawischen Abkommens. (In Frage gestellt wird dies aber wieder vom 13. Senat des BSG, der mit Beschluss vom 23.05.2006 - B 13 RJ 17/05 R dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt hat, ob das Abkommen im Verhältnis der BRD und Bosnien-Herzegowina als eine der "Nachfolgestaaten" des ehemaligen Jugoslawiens mangels eines zustimmenden parlamentarischen Aktes - Bundesgesetz nach Art.59 Abs.2 Satz 1 des Grundgesetzes - GG - überhaupt zum anzuwendenden Gesetz geworden sei. Hierauf kam es im Folgenden nicht mehr an, weil dem Kläger auch bei Geltung des Abkommens kein Anspruch auf Kindergeld mehr zustünde).

Der 14. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 12.04.2000 - B 14 KG 2/99 R und B 14 KG 3/99 R (letzteres in SozR 3-5870 § 1 Nr.18) kundgetan, dass er seine bisherige Rechtsprechung - genannt wurden die Urteile vom 19.11.1997 - 14/10 RKg 19/96 und vom 22.01.1998 - B 14 KG 2/97 R - aufgibt und bei Bürgerkriegsflüchtlingen (offen soll dies bei Asylbewerbern bleiben), sofern sie Arbeitnehmer sind oder Arbeitslosen- bzw. Krankengeld beziehen (Art.28 Abs.1 des Abkommens), die Voraussetzungen nach § 1 Abs.1 BKGG a.F. für gegeben ansieht. Aus Art.2 Abs.1 Buchst. d, Art.3 Abs.1 Buchst. a, Art.4 Abs.1 Satz 1 des Abkommens soll folgen, dass nicht erst Art.28 des Abkommens, die einzige Vorschrift zum Kindergeld in den besonderen Bestimmungen über die einzelnen Sozialleistungen, einen Anspruch auf Kindergeld begründe, sondern vielmehr Art.28 - abgesehen von der Erweiterung des Arbeitnehmerbegriffs durch Bezieher von Krankengeld und Arbeitslosengeld - je nach dem Aufenthalt der Kinder in einem oder dem anderen Vertragsstaat lediglich regele, ob das Kindergeld in Höhe des § 10 BKGG a.F. oder in Höhe der nach Art.28 Abs.2 des Abkommens geminderten Sätze zu zahlen sei. Hierbei soll der Begriff des "Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts" im Sinne von § 1 Abs.1 BKGG a.F. durch den Begriff des "Wohnens" (sich gewöhnlich aufhalten) des Arbeitnehmers und der Kinder im Sinne des Vertragsrechts modifiziert werden. Demnach kommt § 1 Abs.3 BKGG a.F. nicht mehr zur Anwendung.

Der Senat schließt sich vorbehaltlich der vom Bundesverfassungsgericht noch zu entscheidenden Frage der Anwendbarkeit des Abkommens dieser nicht nur ihn überraschenden Sichtweise letztlich an, weist aber darauf hin, dass der Kläger das Urteil des Bundessozialgerichts in zweifacher Hinsicht missverstanden hat. Zum einen wurde hier nicht, weder dem Kläger im Revisionsverfahren noch allen Bosniern, ein Kindergeldanspruch "zugesprochen", sondern lediglich das vorausgehende Urteil des Landessozialgerichts Darmstadt aufgehoben und diesem aufgegeben, zum Bestehen eines materiell-rechtlichen Kindergeldanspruchs zu ermitteln und dann hierüber zu entscheiden, wobei überdies zugrunde lag, dass der dortige Kläger das Kindergeld rechtzeitig beantragt und gegen eine ablehnende Entscheidung noch im Jahre 1993 fristgerecht Klage und später Berufung eingelegt hatte. Zum zweiten folgt aus dem Urteil des BSG bereits die Nichtanwendbarkeit des § 1 Abs.3 BKGG a.F. in den vor und ab dem 01.01.1994 geltenden Fassungen.

Auf der Grundlage des Urteils des BSG vom 12.04.2000 ergibt sich nach §§ 1 bis 3 BKGG a.F. i.V.m. dem modifizierenden deutsch-jugoslawischen Abkommen eine Kindergeldberechtigung des Klägers von Mai bis August 1994 und April bis Dezember 1995, weil er in diesen Zeiten versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist.

2. Die monatlichen Zahlungsansprüche des Klägers aufgrund der Kindergeldberechtigung zwischen Mai 1994 und Dezember 1995 sind mangels eines rechtzeitig gestellten Kindergeldantrags des Klägers mit Ablauf des 30.06.1996 sämtlich erloschen. Der Kläger hatte bis zum Jahre 2001 keinen Kindergeldantrag gestellt. Als einziger Zeitpunkt hierfür käme das Jahr 1994, wohl Juni 1994, in Frage; ein Kindergeldantrag, der gemäß § 17 Abs.1 Satz 1 BKGG a.F. (und auch nach den Nachfolgevorschriften) schriftlich zu stellen war, hat aber damals nicht vorgelegen. Zu den Akten der Beklagten ist ein solcher Antrag nicht gelangt. Zwar konnte aufgrund des pathetischen, grob verallgemeinernden und damit den Sachverhalt verzerrenden Vortrags des Prozessbevollmächtigten des jetzigen Klägers und der Kläger in den Parallelverfahren L 14 KG 9/05 und KG 10/05 nicht ausgeschlossen werden, dass die Beklagte die Entgegennahme eines schriftlichen Antrags verweigert hätte. Die Einvernahme des Prozessbevollmächtigten als Zeugen ergab jedoch, dass der Kläger keinen schriftlichen formlosen Antrag oder ein ausgefülltes Formblatt zu seiner Vorsprache beim Arbeitsamt mitbrachte oder dort etwas schriftlich niederlegte, sondern auf die Ausfüllung eines Formblattantrags, dessen Herausgabe die Beklagte nicht verweigert hätte, verzichtete. Dem Kläger ging es zunächst um Informationen der Behörde, woran sich dann ggf. erst die Stellung eines Kindergeldantrags anschließen sollte. Zu weitgehend ist es hier bereits, von einem mündlichen Kindergeldantrag zu sprechen, wie es das Sozialgericht und häufig auch der Prozessbevollmächtigte des Klägers getan haben; im Übrigen wäre auch der (unwirksame) mündliche Kindergeldantrag als zurückgenommen und damit nicht existent zu behandeln gewesen. Erst recht kann nicht davon die Rede sein, dass die Beklagte einen mündlichen Kindergeldantrag abgelehnt hat. Zum ersten wurde die Ablehnung nur in Aussicht gestellt, zum anderen wäre ein mündlich ablehnender Verwaltungsakt unwirksam gewesen. Ein Verwaltungsakt kann zwar nach allgemeinen Vorschriften schriftlich, mündlich oder in anderer Weise, z.B. konkludent, erlassen werden (§ 33 Abs.2 Satz 1 SGB X). Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ist die Formfreiheit von Verwaltungsakten im Kindergeldrecht durch eine lex spezialis eingeschränkt. Nach § 25 Abs.1 BKGG a.F. ist ein schriftlicher ("förmlicher") Bescheid zu erteilen, wenn ein Antrag auf Kindergeld (ganz oder teilweise) abgelehnt oder bereits bewilligtes Kindergeld entzogen wird. Ein Verstoss hiergegen führt zur Nichtigkeit des Bescheides (§ 40 Abs.1 SGB X); es wäre dann nicht von einem rechtswidrigen, aber wirksamen Verwaltungsakt auszugehen, der nach Ablauf der Vier-Jahres-Frist des § 44 Abs.4 SGB X nicht mehr zurücknehmbar wäre (so das SG Nürnberg), sondern von einem unwirksamen, d.h. letztlich nichtexistenten Verwaltungsakt (BSG vom 23.02.1988 - 10 RKg 7/87 in SozR 5870 § 25 Nr.2. Nur im Falle des § 25 Abs.2 BKGG a.F., also insbesondere bei der Anzeige des Berechtigten, dass die Voraussetzungen für die Berücksichtigung eines Kindes nicht mehr erfüllt sind, darf von der Erteilung eines schriftlichen Bescheides abgesehen werden, vgl. BSG vom 18.07.1989 - 10 RKg 14/88 und vom 27.02.1981 - 10 RKg 5/80 unter Berufung auf das Urteil vom 23.02.1988).

Mangels rechtzeitigen Kindergeldantrags sind die Kindergeldansprüche des Klägers untergegangen. § 9 Abs.2 BKGG a.F. und § 5 Abs.2 BKGG n.F. bestimmen, dass der nach § 17 BKGG a.F. schriftlich zu stellende Kindergeldantrag eine Zahlungspflicht rückwirkend nur für sechs Monate vor Beginn des Eingangs des Antrags auslöst. Der Zahlungsanspruch für Mai 1994 war mit Ablauf des 30.11.1994 erloschen, der Zahlungsanspruch für Dezember 1995 mit Ablauf des 30.06.1996. Bei der in § 9 Abs.2 BKGG a.F., § 5 Abs.2 BKGG n.F. geregelten Frist handelt es sich nach seinem Sinn und Zweck um eine (absolut wirkende) materiell-rechtliche Ausschlussfrist (BSG vom 22.11.1979 - 8b RKg 3/79 in BSGE 49, 154), so dass es weder auf die Kenntnis des Berechtigten von seinem Anspruch noch auf ein etwaiges Verschulden bezüglich verspäteter Antragstellung ankommt. Bei einer solchen Frist ist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 SGB X möglich. § 9 BKGG a.F. bestand bereits vor In-Kraft-Treten des Sozialgesetzbuches und musste der von einer Mindermeinung im Schrifttum vertretenen und vom Bundessozialgericht nicht geteilten Ansicht, ab In-Kraft-Treten des SGB X müsste in solchen neu eingeführten Vorschriften ausdrücklich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen sein, nicht entsprechen. § 20 Abs.2 BKGG n.F., den die Prozessbeteiligten und das Sozialgericht erwähnen, war im Übrigen nicht einschlägig. Die Vorschrift sieht selbst keinen Ausschluss von Leistungen für die Vergangenheit vor. Vielmehr wurde § 5 Abs.2 BKGG n.F. durch Art.30 des Gesetzes vom 16.12.1997 (BGBl.I S.2970) mit Wirkung vom 01.01.1998 aufgehoben, wobei § 20 Abs.2 BKGG n.F. zur Klarstellung darlegt, dass § 5 Abs.2 BKGG n.F. letztmals für das Kalenderjahr 1997 anzuwenden ist, so dass Kindergeld auf einen nach dem 31.12.1997 gestellten Antrag rückwirkend längstens bis einschließlich Juli 1997 gezahlt werden kann.

Die Anwendung der § 9 Abs.2 BKGG a.F., § 5 Abs.2 BKGG n.F. ist vorliegend nicht durch ein objektives Fehlverhalten der Beklagten (unzutreffende Information des Klägers über einen materiell-rechtlichen Anspruch) ausgeschlossen. Entgegen gehalten werden kann nicht die ehemals von der Beklagten und der Rechtsprechung allgemein hin vertretene Ansicht, versicherungspflichtig erwerbstätigen Bürgerkriegsflüchtlingen aus Bosnien stehe bei Duldung in den Jahren 1994/95 kein Kindergeldanspruch zu. Sicherlich handelt es sich hierbei um eine unzutreffende Rechtsansicht, die zu einer Fehlinformation des Klägers im Sommer 1994 geführt hat. Die Berufung auf § 9 Abs.2 BKGG a.F. und auf § 5 Abs.2 BKGG a.F., deren Fristen kraft Gesetzes und nicht erst auf Einrede zu beachten waren, wäre aber nur bei einer unzulässigen Rechtsausübung ausgeschlossen. Hierfür genügt nicht eine unrichtige Sachbehandlung (rechtswidriger ablehnender Verwaltungsakt) oder eine in der Sache unzutreffende Beratung, vielmehr wäre ein qualifiziertes Fehlverhalten der Beklagten erforderlich. Dies träfe zum Beispiel dann zu, wenn die Beklagte durch ein arglistiges Verhalten, also absichtlich in Kenntnis eines bestehenden Anspruchs des Klägers, diesen von einer Antragstellung bis zum 30.06.1996 abgehalten hätte. Von einem arglistigen Verhalten der Beklagten kann aber im Hinblick auf die Entwicklung der Gesetzgebung und der Rechtsprechung nicht die Rede sein. Im Übrigen hat der Zeuge bei seiner Einvernahme am 08.05.2006 in den Berufungen L 14 KG 10/05 und L 14 KG 13/03 bekundet, dass es bereits damals bekannt gewesen sei, dass Kindergeldanträge schriftlich zu stellen seien, und dass die in der Kindergeldkasse W. beschäftigten Personen sich keinesfalls geweigert hätten, Antragsformulare auszuhändigen sowie Anträge entgegenzunehmen und zu verbescheiden. Damit stimmt überein, dass auch im Verfahren L 14 KG 9/05 die Beigeladene ihren Kindergeldantrag laut Kindergeldakte persönlich bei der Kindergeldkasse am 02.07.1993 eingereicht hat und dieser laut Vermerk des Bearbeiters des Arbeitsamts W. entgegengenommen worden ist, sich auch heute noch in der Kindergeldakte befindet. Ebenso ist im Verfahren L 14 KG 10/06 ein schriftlicher Kindergeldantrag anlässlich der Vorsprache des dortigen Klägers am 08.07.1993 entgegengenommen und verbeschieden worden.

Eine unrichtige Beratung vermag unter Umständen einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu begründen, der § 9 Abs.2 BKGG a.F. nicht ausschließt, vielmehr sich auf einer anderen Ebene bewegt, so dass auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch selbst § 9 Abs.2 BKGG a.F. keine Anwendung findet.

3. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zu Gunsten des Klägers ist nicht ersichtlich. Ein solcher setzt voraus a) eine Pflichtverletzung: Der auf Herstellung in Anspruch genommene Leistungsträger muss eine Hauptpflicht oder Nebenpflicht aus seinem jeweiligen Sozialrechtsverhältnis mit dem Anspruchssteller, die ihm gerade diesem gegenüber oblag, (objektiv) rechtswidrig nicht oder schlecht erfüllt haben; b) das Bewirken einer sozialrechtlichen Nachteils: Die Pflichtverletzung muss ferner als nicht hinwegdenkbare Bedingung, neben anderen Bedingungen zumindest gleichwertig ("ursächlich") bewirkt haben, dass dem Betroffenen ein (verfahrensrechtliches oder materielles Leistungs-, Gestaltungs- oder Abwehr-) Recht, das ihm im jeweiligen Sozialrechtsverhältnis nach den oder auf Grund der Vorschriften des SGB gegen den Leistungsträger zugestanden hat oder ohne die Pflichtverletzung zugestanden hätte, nicht mehr zusteht; c) der Schutzzweckzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Nachteil: Zur sachgerechten Begrenzung der dem Leistungsträger zurechenbaren Nachteile ist ergänzend zu kontrollieren, ob der geltend gemachte Nachteil nach Art und Entstehungsweise aus der Gefahr stammt, zu deren Abwendung die verletzte konkrete Pflicht diente (innerer Zusammenhang); (Vgl. stellvertretend für viele höchstrichterliche Urteile BSG vom 15.12.1994 - 4 RA 64/93 in SozR 3-1200 § 14 Nr.17.).

Der Vortrag des Klägers zielt in seiner Berufung vorrangig, wenn auch unwissentlich, auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ab, und zwar mit der pauschalen Behauptung, es sei ihm bzw. den bosnischen Flüchtlingen immer wieder gesagt worden, für den Kindergeldanspruch bedürfe es einer Aufenthaltserlaubnis, und eine Duldung sei nicht ausreichend. Es wurden auch angeblich gleichgelagerte Beispielsfälle genannt, die bei näherer Prüfung verschiedene Sachverhaltsgestaltungen aufweisen und auch rechtlich differenziert zu behandeln sind. Die Aussage des Zeugen in den drei Berufungen L 14 KG 13/03, 9/05 und 10/05 erscheint auch in wesentlichen Punkten unglaubwürdig. So konnte zum Beispiel die Beklagte der Beigeladenen im Falle L 14 KG 9/05 (Duldung) und dem Kläger im Falle L 14 KG 10/05 (Aufenthaltsgestattung) nicht im Juni/Juli 1993 die Auskunft erteilt haben, ein Kindergeldrecht bestehe bei der vorliegenden Duldung nicht, und es sei eine Aufenthaltserlaubnis erforderlich, weil die diesbezügliche Gesetzesregelung auf Grund des 1. SKWPG vom 21.12.1994 erst ab 01.01.1994 galt. Trotz der zum Teil mit einem objektiven Sachverhalt nicht übereinstimmenden Angaben des Zeugen hielt der Senat die Aussage des Zeugen, es sei eine Vorsprache im Jahre 1994, circa in der Zeit von Mai bis Juli 1994 ohne Stellung eines schriftlichen Antrags, erfolgt, im Kern für glaubhaft. Der Senat ging weiterhin davon aus, dass die Beklagte entsprechend ihren Dienstanweisungen und entsprechend der damaligen Rechtsprechung dem Kläger Mitte 1994 die Auskunft erteilt hatte, ein Kindergeldrecht stehe ihm nicht zu, wobei die Geltung des deutsch-jugoslawischen Abkommens bei versicherungspflichtiger Beschäftigung oder Bezug von Arbeitslosengeld/Krankengeld unerkannt und unerwähnt blieb. Der Senat ging in Auswertung aller Unterlagen ferner davon aus, dass ein Bediensteter der Beklagten den Kläger auch darauf hingewiesen hat, dass bei Antragstellung mit einem ablehnenden Bescheid zu rechnen sei. Andererseits ist nicht nachgewiesen, dass Bedienstete der Beklagten den Kläger an der Stellung eines schriftlichen Antrags gehindert oder behindert hätten. Schriftliche Anträge - das Formerfordernis war bekannt - wurden jederzeit laut Aussage des Zeugen in zwei Berufungsverfahren entgegengenommen, wie auch Formblätter zu diesem Zwecke ausgegeben wurden. Die angebliche Behinderung an der Stellung eines Antrags stellt sich letzten Endes laut Aussagen des Zeugen in der jetzigen Berufung und insbesondere in der Berufung L 14 KG 10/05 als "Erteilung negativer Auskünfte und früher erteilter negativer Bescheide" dar, wobei der Senat darauf hinweisen muss, dass die in den Berufungen L 14 KG 9/05 und KG 10/05 überprüften Bescheide von einer anders gelagerten Sach- und Rechtslage zum Stand des Jahres 1993 ausgingen. Die weiterhin ersichtlichen Bescheide aus dem Jahre 1996 (L 14 KG 9/05) betrafen eine Ablehnung mangels Mitwirkung. Zwei im Juni/Juli 1993 erfolgte Beratungen (L 14 KG 9/05 und KG 10/05) konnten zudem nicht die im Jahre 1994 geltende, wesentlich geänderte Rechtslage betreffen. Insoweit haben alle Klageparteien (auch in der Berufung L 14 KG 13/03) und der Zeuge unrichtige Tatsachen behauptet.

Allein die unrichtige Information des jetzigen Klägers im Jahre 1994 eröffnet keinen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Allerdings beruht dies nicht auf den von der Beklagten vorgetragenen Gründen, eine falsche Beratung könne unter Zugrundelegung der damaligen höchstrichterlichen Auslegung des § 1 BKGG a.F. nicht vorgelegen haben, bzw. ein Fehlverhalten der Bediensteten des Arbeitsamts sei nicht zu bejahen. Ob eine Beratung richtig oder unzutreffend ist, bemisst sich allein nach dem damals geltenden Recht und nach objektiven Kriterien und nicht nach den damaligen Rechtsansichten (vgl. hierzu auch BSG vom 25.10.1984 - 11 RAz 3/83 in SozR 1300 § 44 Nr.13 zur anfänglichen Unrichtigkeit von erteilten Bescheiden bei späterer Änderung der Rechtsprechung des BSG). Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch setzt weiterhin kein Verschulden des Leistungsträgers voraus, sondern besteht (bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen) auch dann, wenn der Leistungsträger zum Zeitpunkt der Auskunftserteilung von der Richtigkeit seiner Rechtsansicht und Rechtsauskunft ausgehen durfte (vgl. für mehrere Urteile des BSG stellvertretend BSG vom 12.10.1979 - 12 RK 47/77 in SozR 1200 § 14 Nr.5 im Gegensatz zu der früheren, überholten Rechtsprechung, z.B. BSG vom 11.03.1976 - 7 RAr 152/74, dass eine erteilte unrichtige Auskunft nur dann pflichtwidrig gewesen ist, wenn dem Beamten die Unrichtigkeit erkennbar gewesen ist).

3.1 Für die Zeit von September 1994 bis März 1995 folgte das Fehlen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs aus dem Umstand, dass der Kläger nach den damals geltenden innerstaatlichen Gesetzen (einschließlich der damaligen Rechtsauslegung) einen Kindergeldanspruch allein auf Grund innerstaatlicher Vorschriften ohne Berücksichtigung des deutsch-jugoslawischen Abkommens hatte, weil er über eine Aufenthaltserlaubnis verfügte (§ 1 Abs.3 in der ab 01.01.1994 geltenden Fassung). Bei kurz vorausgehender Belehrung der Beklagten, zum Kindergeldbezug bedürfe es einer Aufenthaltserlaubnis, hätte der Kläger einen auch ihm offensichtlichen Kindergeldanspruch von September 1994 bis März 1995 mit einem Antrag verfolgen müssen. Zwischen unrichtiger Beratung in der Zeit von Mai bis Juli 1994 und dem Verlust des Kindergeldanspruchs für September 1994 bis März 1995 besteht kein ursächlicher Zusammenhang. Zum einen hat die Auskunft der Beklagten den Kläger gerade nicht von einer Antragstellung für die Zeit ab 01.09.1994 abgehalten, sondern diese geradezu gefördert. Zum anderen wäre, dies ist vorliegend nicht mehr wesentlich, bei einer unterstellt unrichtigen Beratung der Beklagten für die Zeit ab 01.09.1994 ebenfalls vom fehlenden Kausalzusammenhang auszugehen. Verletzt der Sozialleistungsträger eine Informationspflicht, begründet dies nur dann ein Herstellungsrecht, wenn die Pflichtverletzung wesentliche, das heißt zumindest gleichwertige Bedingung für die Beeinträchtigung eines sozialen Rechts war; dies ist nicht der Fall, wenn der Betroffene wissentlich oder fahrlässig gegen sich selbst einen erforderlichen Antrag nicht gestellt hat (BSG vom 06.03.2003 - B 4 RA 38/02 R in SozR 4-2600 § 115 Nr.1).

3.2 Für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ist daher nur ein Kindergeldanspruch des Klägers von Mai bis August 1994 und April bis Dezember 1995 in Erwägung zu ziehen. Aber auch insoweit sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, denn es fehlt aus anderen Gründen als vorausgehend am Kausalzusammenhang. Der Herstellungsanspruch richtet sich auf Herstellung des ohne die "schädigende" Handlung oder ohne das "schädigende" Unterlassen bestehenden Zustands durch Vornahme einer (nach dem Gesetz zulässigen) "Amtshandlung" (Naturalrestitution - BSG vom 27.04.1978 - 11 RA 69/77). Hierbei dürfen tatsächliche Sachverhalte nicht beliebig als gegeben unterstellt (fingiert) werden. Vorliegend darf nur davon ausgegangen werden, dass der im Jahre 2001 gestellte Kindergeldantrag bei richtiger Information der Beklagten oder unterlassener fehlerhafter Information bereits als im Jahre 1994 gestellt angesehen wird (und nicht etwa, dass die Beklagte im Jahre 1994 einen zutreffenden Bewilligungsbescheid erteilt hätte). Die Beklagte hätte dann nach Prüfung der Rechtslage und Befolgung ihrer Anweisungen einen im Jahre 1994 gestellten Antrag abgelehnt, und der Kläger hätte aus den von ihm selbst wiederholt genannten Gründen keinen Widerspruch erhoben oder zumindest nach Erteilung des Widerspruchsbescheids keinen Prozess angestrengt. Dies hat er wiederholt unter Benennung zahlreicher Gründe glaubhaft und überzeugend dargelegt. Der Ablehnungsbescheid wäre bestandskräftig geworden, und nach Kenntnis des Urteils des BSG vom 12.04.2000 hätte der Kläger seine Ansprüche wegen § 44 Abs.4 SGB X auch nicht mehr verwirklichen können. Die "Untätigkeit" des Klägers, das heißt der Umstand, dass er den tatsächlichen oder vermeintlichen Kindergeldanspruch notfalls auch gerichtlich nicht weiter verfolgt hat und verfolgt hätte, kann nicht dazu führen, dass er unbeschadet der gesetzlichen Vorschriften nunmehr den Anspruch rückwirkend zeitlich unbegrenzt geltend machen kann. Bei Hinwegdenken der unrichtigen Beratung im Jahre 1994 (und Unterstellung einer Antragstellung des Klägers im Jahre 1994) wäre der "Schaden" mit Wahrscheinlichkeit auch eingetreten, so dass der Kausalzusammenhang zu verneinen ist.

Mangels der tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Herstellungsanspruch ist die Frage, ob § 44 Abs.4 SGB X in entsprechender Anwendung den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ausschließt, nicht mehr von entscheidender Bedeutung. Auch einen solchen Ausschluss hätte der Senat im vorliegenden Fall bejaht. Er ist zwar der Ansicht, dass § 44 Abs.4 SGB X keinen übergreifenden allgemeinen, in allen Leistungsbereichen des Sozialrechts und in allen Fällen außerhalb der Unrichtigkeit bestandskräftiger Verwaltungsakte geltenden Rechtsgrundsatz enthält, dass Leistungen für die Vergangenheit auf vier Jahre vor der Stellung eines Antrags oder vor der von Amts wegen erfolgter Tätigkeit der Verwaltung zu begrenzen sind. Eine Anwendung im Bereich der damals als kurzlebig angelegten Kindergeldansprüche nach dem BKGG und im Besonderen wiederum nur bei bestimmten Fallgestaltungen erscheint dem Senat aber erlaubt. Es geht nicht an, dass die Rechtsprechung ein lückenfüllendes subsidiäres Rechtsinstitut wie den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch schafft, dann aber zur Begrenzung dieses Anspruchs ausschließlich auf die allgemeinen Gesetzesvorschriften verweist oder auf die alleinige Befugnis des Gesetzgebers, diesen Anspruch wieder einzuschränken. Vielmehr ist die Rechtsprechung auch berechtigt, die Reichweite des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nach bereits vorhandenen rechtlichen Gesichtspunkten in gesetzlich geregelten Bereichen zu bestimmen. Vorliegend ist zu beachten, dass ein subsidiärer Anspruch nicht weiter gehen kann als der gesetzlich geregelte Anspruch, der gegeben wäre, wenn die unrichtige Information nicht erteilt worden wäre. Insoweit wäre es aber zum Untergang von Leistungen gemäß § 9 Abs.2 BKGG a.F. und § 5 Abs.2 BKGG n.F. (Sechs-Monats-Frist) bzw. gemäß § 44 Abs.4 SGB X (Vier-Jahres-Frist) gekommen.

Nicht überzeugend scheint dem Senat das Argument, dass hinsichtlich des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs aber immerhin § 45 Abs.1 SGB I (vierjährige Verjährungsfrist) gelte. Abgesehen davon, dass die Verjährung nach § 45 Abs.1 SGB I nur auf "Einrede" und mit Verwaltungsakt geltend zu machen ist und wegen des gesetzlich vorgesehenen Ermessens und der zu beachtenden Ermessensgesichtspunkte oft nicht zum Zuge kommt, also weitaus schwächer als die von Amts wegen zu beachtende Einwendung gemäß § 44 Abs.4 SGB X ausfällt, ist nach Meinung des Senats noch zu beachten, dass § 45 Abs.1 SGB I in Fällen wie den vorliegenden keinen Anwendungsbereich hat. Wird kraft sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ein verspätet gestellter Antrag als rechtzeitig (hier im Jahre 1994) gestellt behandelt, muss auch konsequenterweise davon ausgegangen werden, dass der dann fingiert rechtzeitige Antrag den Eintritt der Verjährung nach vier Jahren unterbricht (§ 45 Abs.3 Satz 1 SGB I), und die Unterbrechung andauert, bis ein Bescheid erteilt wird (insoweit gilt dann die dreißigjährige Verjährungsfrist). Der subsidiäre Anspruch desjenigen, der unter den gleichen Umständen in Kenntnis der Möglichkeit auf eine Antragstellung hierauf verzichtet, ist damit stärker ausgestaltet als der gesetzliche Anspruch desjenigen, der den Antrag gestellt und den ablehnenden Bescheid hingenommen hat. Beide wollten, so jedenfalls im vorliegenden Fall, bei feststehenden gleichen Ablehnungsgründen eines ergangenen oder möglichen künftigen Verwaltungsakts, von vornherein den Rechtsweg zu den Gerichten nicht beschreiten und von der Verfolgung ihrer Rechte absehen. Einem (vorliegend nicht mehr erteilten) Verwaltungsakt kam damit nicht mehr die Warnfunktion zu, dass nunmehr hiergegen etwas unternommen werden müsse. Das subsidiäre Recht kann allenfalls gleich stark und ggf. schwächer als der gesetzliche Anspruch ausgestaltet werden, kann aber nicht bei gleichgelagerten Sachverhalten dem Untätigen weitaus mehr Rechte eröffnen als demjenigen, der wenigstens den ersten Schritt, das Erwirken eines Verwaltungsakts, unternommen hat.

Der Anregung des Klägers, den ehemaligen Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit und ggf. Sachbearbeiter der Beklagten einzuvernehmen, war nicht nachzukommen. Zum einen sollen Zeugen über (streitige und entscheidungserhebliche) tatsächliche Sachverhalte berichten und haben nicht die vom Deutschen Bundestag beschlossenen Gesetze darzulegen und die Gesetzesmotive zu erklären. Die Gesetze selbst sind dem Senat bekannt, ebenso die Rechtsprechung mit ihrer Entwicklung. Die damalige Rechtsauffassung und Rechtshandhabung der Beklagten ergibt sich aus den von dieser vorgelegten Dienstanweisungen, die der Kläger in vielen Punkten falsch verstanden und fehlinterpretiert hat. Streitige und entscheidungserhebliche Tatsachen sind dem Senat nicht ersichtlich. Wahrscheinlich geht es dem Kläger um einen vom vorliegenden Prozess nicht gedeckten Zweck, Material für den von ihm in leichtfertiger Weise behaupteten "Sozialbetrug" durch die Beklagte und die angebliche Missachtung des Urteils des Bundessozialgerichts vom 12.04.2000 in drei von ihm verfolgten Berufungen zu erlangen, wobei er wohl auch verkennt, dass bereits vom zu beurteilenden Sachverhalt her jeder Fall gegenüber dem anderen anders gestaltet ist.

Sofern sich der Kläger auf das Urteil des BSG vom 12.04.2000 und - unter Erwähnung des Falles des Herrn Z. - auf eine Gleichbehandlung nach dem Gesetz (Art.3 des GG) beruft, geht dies am Kern der Sache vorbei. Die Sozialgerichte urteilen nicht wie im anglosächsischen Recht nach einem Fallrecht, sondern nach den allgemein-gültigen Gesetzen, und eine Gleichbehandlung im Unrecht, also falls die Sache des Herrn Z. mit rückwirkender Gewährung des Kindergelds ab 1993 unrichtig geregelt worden wäre, kann ohnehin nach Art.3 GG nicht gefordert werden. Nur nebenbei weist der Senat darauf hin, dass den vom Kläger benannten zwei Fällen ein wesentlich anders gelagerter Sachverhalt zu Grunde lag. Dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 12.04.2000 ging voraus, dass ein erstmaliger Kindergeldantrag vom April 1993 mit Bescheid vom Mai 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides von Oktober 1993 abgelehnt worden ist und hierauf rechtzeitig Klage, Berufung und Revision folgten. Im Falle des Herrn Z. wurde zwar ein im November 1993 gestellter Kindergeldantrag bestandskräftig abgelehnt, aber ein weiterer Antrag wurde bereits im April 1994 gestellt.

In der jetzigen Berufung hatte der Kläger aber erstmals im Jahre 2001 einen Kindergeldantrag bei der Beklagten eingereicht, und der behauptete 12- bis 13-jährige Kampf um das Kindergeld ist ebenso wenig nachvollziehbar wie die Ansicht, dass materiell-rechtliches Verfahrensrecht (z.B. § 9 Abs.2 BKGG a.F., § 5 Abs.2 BKGG n.F., § 44 Abs.4 SGB X in unmittelbarer oder analoger Anwendung) von vornherein nicht zu beachten sei. Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 12.04.2000 wurde im Übrigen nicht missachtet, sondern es besteht auch unter Zugrundelegung dieser Entscheidung seitens des Klägers kein durchsetzbarer Rechtsanspruch.

Eine Diskriminierung von Ausländern kann nicht gesehen werden. Der Ausschluss oder die fehlende Durchsetzbarkeit jahrelang zurückliegender Kindergeldansprüche gilt gleichermaßen für Deutsche wie für Ausländer. Weiterhin ist unabhängig von der Staatsangehörigkeit die Bearbeitung jedes lange zurückliegenden Falles mit erheblichem Zeitaufwand verbunden, wenn alle ehemaligen Umstände nicht vollständig in einer Kindergeldakte dokumentiert sind bzw. eine solche Akte bisher nicht existiert hat.

Der Senat sah sich in der Lage, ein Urteil zu erlassen, ohne die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Weitergeltung des deutsch-jugoslawischen Abkommens im Verhältnis BRD-Bosnien-Herzegowina abzuwarten. Bei Anwendbarkeit des Abkommens wäre das vorliegende Urteil nicht tangiert. Im Falle der Unanwendbarkeit bestünde nur ein zusätzlicher Grund, die Berufung zurückzuweisen.

Diese Entscheidung ist für den Kläger gerichtskostenfrei. Wegen seines Unterliegens waren ihm außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten (§ 193 SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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