L 4 KR 192/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 134/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 192/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 34/06 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11. Mai 2004 wird aufgehoben.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe der Beiträge (Beitragsbemessung) zur freiwilligen Versicherung.

Der 1917 geborene Kläger ist als Rentner freiwillig bei der Beklagten versichert. Er bezieht Altersrente und Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) von ca. 160,00 EUR. Der Kläger hat den Grundrentenbezug (40 %) auch im Fragebogen für Juni 2003 angegeben. Mit Bescheid vom Juli 2003 hat die Beklagte die Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung ab 01.07.2003 neu berechnet. Es seien weitere Einkünfte neben der Rente berücksichtigt worden. Gegen diesen Bescheid hat der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 04.12.2003 Widerspruch eingelegt. Der Kläger fühlte sich beschwert, weil die Kriegsbeschädigtenrente (Grundrente) mit berücksichtigt werde. Die Grundrente gehöre nicht zu den beitragspflichtigen Einnahmen nach § 240 SGB V und § 180 RVO. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26.02.2004 zurückgewiesen. Nach § 240 Abs.1 SGB V gehörten zu den beitragspflichtigen Einnahmen freiwilliger Mitglieder alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung bis zum kalendertäglichen Betrag der Beitragsbemessungsgrenze der Krankenversicherung. Die Beitragsfreiheit sei selbst bei zweckgerichteten Sozialleistungen nur noch für die Hilfe in besonderen Lebenslagen nach dem Bundessozialhilfegesetz anerkannt.

Hiergegen richtete sich die am 10.03.2004 beim Sozialgericht Nürnberg eingegangene Klage, die der Bevollmächtigte u.a. damit begründete, das BVG gewähre Beschädigten Anspruch auf Heilbehandlung für Gesundheitsschäden als Folgeschaden. Für die Kosten einer solchen Heilbehandlung komme der Staat und nicht die gesetzliche Krankenkasse auf. Deshalb dürfe die gesetzliche Krankenkasse aus der Grundrente keine Beiträge verlangen. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 11.05.2004 die Beklagte verpflichtet, die Beiträge neu festzusetzen und die Grundrente nach dem BVG nicht als beitragspflichtige Einnahme zu berücksichtigen. Für die Berücksichtigung der Grundrente bei der Beitragsbemessung gebe es keine Grundlage in Gesetz und Satzung. Die Rechtsprechung zu § 180 Abs.4 RVO beanspruche auch im Hinblick auf die Regelung des § 240 Abs.1 SGB V Geltung, soweit es die Beschädigten-Grundrente anbelangt, da diese im Sozialrecht als Einnahme grundsätzlich außer Betracht zu bleiben habe. Hätte der Gesetzgeber in Kenntnis von Rechtsprechung und Verwaltungspraxis bei Einführung des § 240 SGB V eine Änderung beabsichtigt, hätte er dies in der Geseztesbestimmung, zumindest aber in der Gesetzesbegründung, zum Ausdruck bringen müssen. Die Beschädigten-Grundrente bleibe als zweckbestimmte Einnahme, die nicht geeignet sei, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers im Vergleich zu anderen Versicherten zu verbessern, unberücksichtigt. Der Beklagten sei darin zu folgen, dass sich aus dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 06.09.2001 (SozR 3-2500 § 240 Nr.41) etwas anderes ergebe. Mit diesem Urteil sei entschieden worden, dass auch eine Unfallrente aus einem privaten Versicherungsvertrag mit dem Zahlbetrag beitragspflichtig sei, soweit die Satzung dies vorsehe. Aus den Ausführungen des BSG ergebe sich, dass die Grundrente nach dem BVG grundsätzlich als Einnahme nicht zu berücksichtigen sei, da dies in § 76 BSHG ausdrücklich bestimmt sei. Die darin zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung sei auch im Rahmen des § 240 SGB V zu berücksichtigen.

Die von der Beklagten gegen dieses Urteil eingelegte Berufung begründet sie damit, dass die Rechtsprechung des BSG zu § 180 Abs.4 Satz 1 RVO, wonach die Beschädigten-Grundrente nach dem BVG keine Einnahme zum Lebensunterhalt sei, seit Geltung des SGB V nicht mehr anzuwenden sei. Das BSG habe im Urteil vom 06.09.2001 ausgeführt, dass zweckbestimmte Leistungen, sofern sie aufgrund eines bestimmten Mehrbedarfs bezogen werden, zur gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Sinne des § 240 SGB V zählten. Dies habe für die Beschädigten-Grundrente ebenso zu gelten wie für die Rente aus einer privaten Unfallversicherung. Das BSG weise in diesem Urteil ausdrücklich daraufhin, es habe die Beitragsfreiheit selbst bei zweckgerichteten Sozialleistungen nur noch für die Hilfe in besonderen Lebenslagen nach dem BSHG anerkannt. Es handele sich hierbei um eine abschließende Aufzählung.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgericht Nürnberg vom 11.05.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Es sei hervorzuheben, dass die Beschädigten-Grundrente unantastbar und eben gerade als Entschädigung für die Kriegswirren gezahlt und zur Beitragsbemessung nicht heranzuziehen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die nicht der Zulassung nach § 144 SGG bedarf, ist zulässig und begründet. Die Grundrente nach dem BVG gehört zu den beitragspflichtigen Einnahmen freiwilliger Mitglieder.

Gemäß § 240 Abs.1 Satz 1 SGB V wird für freiwillige Mitglieder die Beitragbemessung durch die Satzung geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt. Die Beklagte hat hierzu in § 21 Abs.1 ihrer Satzung eine allgemeine Regelung dahingehend getroffen, dass zu den beitragspflichtigen Einnahmen freiwilliger Mitglieder Arbeitsentgelt sowie alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung bis zum kalendertäglichen Betrag der Beitragsbemessungsgrenze der Krankenversicherung gehören. § 21 Abs.2g der Satzung führt weiter aus, dass beitragspflichtige Einahmen auch Versorgungsbezüge des § 229 SGB V sowie Leistungen von Versicherungsgesellschaften sind. Es sollen sowohl laufende Geldleistungen als auch nicht regelmäßig wiederkehrende Leistungen (Kapitalauszahlungen) berücksichtigt werden.

Damit ist in der Satzung keine ausdrückliche Erwähnung der Grundrente nach dem BVG erfolgt. Die Grundrente ist damit unter § 1 Abs.1 zu subsummieren, und zwar als Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden können.

Der Senat ist wie die Beklagte nicht der Auffassung der Erstgerichts, dass die zur Geltung des § 180 RVO ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch über den 01.01.1989 (Geltung des SGB V) weiter anwendbar ist. Das Bundessozialgericht hat am 21.10.1980 entschieden, die Beschädigten-Grundrente nach dem BVG sei keine Einnahme zum Lebensunterhalt. Nach § 180 Abs.4 Satz 1 RVO in der ab 01.07.1977 geltenden Fassung waren bei freiwillig Versicherten neben dem Arbeitsentgelt auch die "sonstigen Einnahmen zum Lebensunterhalt" zu berücksichtigen. Das BSG kam dabei zu dem Ergebnis, dem Gesetzeswortlaut sei zu entnehmen, dass nicht alle Einnahmen, sondern nur solche dem Grundlohn zuzurechnen sind, die dem Versicherten zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zufließen. Einnahmen, die einen besonderen schädigungs- oder behinderungsbedingten Mehrbedarf abdecken sollen, zählten nicht hierzu. Dafür spreche schon der gesetzliche Bezug zum Arbeitsentgelt. Der ab 01.01.1989 geltende § 240 Abs.1 Satz 2 stellt diesen Bezug nicht mehr her. Nach § 240 Abs.1 Satz 2 ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt. Das Bundessozialgericht hat hierzu im zitierten Urteil vom 06.09.2001 (SozR 3-2500 § 240 Nr.40) ausgeführt, die von der Rechtsprechung unter Geltung der RVO angenommene Beschränkung der Beitragspflicht von Einnahmen gelte nicht mehr für § 240 SGB V und für Satzungsvorschriften, die auf dieser Vorschrift beruhen. Maßstab sei die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers wird durch den Bezug von Grundrente mitbestimmt.

Der Auffassung des Sozialgerichts, der Gesetzgeber hätte, da er die Problematik der Beitragspflichtigkeit von Grundrenten kannte, eine ausdrückliche Regelung im Gesetz treffen müssen, Grundrenten also beitragsfrei seien, ist nicht zu folgen. Der Gesetzgeber hat nämlich in § 240 Abs.2 SGB V durch Gesetz vom 14.11.2003 (BGBl I S.2190) einen Satz 2 eingefügt, wonach der in Abs.4 Satz 2 genannte Existenzgründungszuschuss der Beitragsbemessung nicht zugrunde zu legen ist. Für die BVG-Grundrente hat er in § 240 SGB V keine entsprechende Regelung getroffen. Ebenfalls durch Gesetz vom 14.11.2003 hat der Gesetzgeber in § 62 Abs.2 Satz 4 SGB V geregelt, dass zu den Einnahmen zum Lebensunterhalt nicht Grundrenten, die die Beschädigten nach dem BVG oder nach anderen Gesetzen in entsprechender Anwendung des BVG erhalten, sowie Renten oder Beihilfen, die nach dem BVG für Schäden am Körper oder Gesundheit gezahlt werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrenten nach dem BVG gehören. § 62 SGB V regelt die Belastungsgrenze für Zuzahlungen. Auch außerhalb des SGB V hat der Gesetzgeber in letzter Zeit zu erkennen gegeben, dass ihm die Problematik der Anrechnung von Grundrente nach dem BVG bekannt und bewusst ist. So hat er in dem seit 01.04.2003 geltenden § 82 Abs.1 Satz 1 SGB XII den Begriff des Einkommens im Sinne dieses Gesetzes so geregelt, dass hierzu alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesen Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden am Leben sowie an Körper oder Gesundheit bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz gehören. In § 240 SGB V fehlt eine solche Ausschlussregelung bezüglich der Grundrente. Die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz ist damit für freiwillig Versicherte beitragspflichtig.

Das Urteil des Sozialgerichts ist deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Obsiegen der Beklagten im Berufungsverfahren. Weil beim Bundessozialgericht unter dem Az.: B 12 KR 28/05 R ein Rechtsstreit, die Berücksichtigung einer nach dem Bundesversorgungsgesetz gezahlten Grundrente bei der Beitragsbemessung zur gesetzlichen Krankenversicherung bei freiwilliger Mitgliedschaft betreffend, anhängig ist, wird die Revision gemäß § 160 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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