L 10 U 865/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 3132/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 865/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15. Dezember 2004 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 5.000 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine rückwirkende Neuveranlagung seines Unternehmens für den Zeitraum 1. Juli 1992 bis 31. Dezember 1997.

Der Vater des Klägers führte seit den 1950er-Jahren bis 30. Juni 1992 das bei der Beklagten versicherte Bauunternehmen. Bei der Beklagten wurde das Unternehmen unter der Bezeichnung "Baugeschäft" oder "Maurergeschäft" geführt und unter der Tarifstelle "Hochbau aller Art" des Gefahrentarif veranlagt. Am 1. Juli 1992 übernahm der am 6. November 1956 geborene Kläger das Unternehmen. Mit Bescheid vom 10. März 1993 nahm die Beklagte den Kläger ab 1. Juli 1992 in ihr Unternehmerverzeichnis auf und veranlagte das Unternehmen unter der Tarifstelle "Hochbau aller Art" (Gefahrklasse 8,5) ihres Gefahrentarifs. Der Kläger übermittelte der Beklagten die Gewerbeab- bzw. -anmeldung - jeweils zum 1. Juli 1992 - vom 22. März 1993.

Am 21. April 1994 fand eine Betriebsprüfung statt. Am 11. November 1997 meldete der Kläger sein Gewerbe um und gab an, neben der weiterhin ausgeübten Tätigkeit "Hochbau u. Verputzarbeiten" werde ab 11. November 1997 neu die Tätigkeit "Bauunternehmung und Stuckateurbetrieb" ausgeübt. Am 24. Oktober 2001 wurde der Betrieb erneut geprüft.

Am 28. November 2002 teilte der Kläger der Beklagten mit, er beschäftige seit der Übernahme des Unternehmens Gipser/Stuckateure in einem eigenen Nebenunternehmen mit eigenem wirtschaftlichen Zweck. Die Beklagte führte daraufhin am 6. März 2003 eine weitere Betriebsprüfung durch. Danach veranlagte sie den Kläger mit Bescheid vom 18. März 2003 (unter Ersetzung des Veranlagungsbescheid vom 4. Dezember 2002, gültig ab 1. Dezember 2002) ab 1. Januar 1998 auch zur Tarifstelle "Stuckarbeiten" (Gefahrklasse 4,0) und berechnete mit Beitragsbescheid vom selben Tag den Beitrag ab 1. Januar 1998 neu. Der Kläger erhob hiergegen und gegen einen in diesem Zusammenhang erlassenen "Säumniszuschlagsbescheid" Widerspruch. Bereits aus der Gewerbeanmeldung vom März 1993, so trug er vor, habe sich ergeben, dass er auch im Unternehmenszweig "Stuckarbeiten" hätte veranlagt werden müssen, spätestens aber aus der Betriebsprüfung am 24. Oktober 1994. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. November 2003 wies die Beklagte die Widersprüche zurück.

Der Kläger hat am 3. Dezember 2003 bei dem Sozialgericht Ulm gegen den Veranlagungsbescheid vom 18. März 2003 in der Form des Widerspruchsbescheids vom 4. November 2003 Klage erhoben, soweit dieser eine neue Berechnung der Beiträge für die Zeit vom 1. Juli 1992 bis 31. Dezember 1997 nicht vorsehe.

Mit Urteil vom 15. Dezember 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Veranlagungsbescheid könne nicht für einen früheren Zeitraum zurückgenommen werden.

Der Kläger hat gegen das ihm am 3. Februar 2005 zugestellte Urteil am 2. März 2005 Berufung eingelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15. Dezember 2004 aufzuheben und den Veranlagungsbescheid vom 18. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 4. November 2002 dahingehend abzuändern, dass die Veranlagung auch zur Tarifstelle "Stuckarbeiten" bereits zum 1. Juli 1992 erfolgt, hilfsweise: die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Streitgegenstand ist allein der Veranlagungsbescheid vom 18. März 2003 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids). Nur dieser ist ausdrücklich mit der am 3. Dezember 2003 erhobenen Klage angefochten worden und nur hierauf bezieht sich der vom Kläger gestellte Antrag.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neuveranlagung für die Zeit vor dem 1. Januar 1998.

Der Bescheid vom 10. März 1993 war - wenn man die Angaben des Klägers als richtig unterstellt, dass bereits ab seiner Übernahme des Unternehmens Gipser- und Stuckateurarbeiten als Neben- und nicht nur als Hilfsunternehmen durchgeführt worden sind - rechtswidrig. Denn der maßgebliche Gefahrentarif 1987 weist (wie auch die nachfolgenden Gefahrentarife 1993 und 1999) neben der Tarifstelle "Hochbau aller Art" u. a. die Tarifstelle "Verputzer-, Gipser-, Stuck-, Fugarbeiten, Herstellung von Stuckwaren und -modellen" aus. Die vom Kläger als Neben- und nicht nur als Hilfsunternehmen (vgl. Teil II Nr. 3 des Gefahrentarifs 1987; entsprechend in den Gefahrentarifen 1993 und 1999) betriebenen Gipser- und Stuckateurarbeiten wären hierunter zu veranlagen gewesen.

Der Bescheid vom 10. März 1993 ist aber bestandkräftig (§ 77 SGG) geworden. Eine Änderung des Bescheids vom 10. März 1993 ist nur nach § 734 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) möglich. Denn nach § 219 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind die Vorschriften über die Aufbringung der Mittel, zu denen auch § 160 SGB VII gehört (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 9. Dezember 2003, B 2 U 54/02 R, SozR 4-2700 § 160 Nr. 1), erstmals für das Haushaltsjahr 1987 anzuwenden. Änderungen von Veranlagungsbescheiden mit Wirkung für die Zeit vor 1997 erfolgen damit nach altem Recht, nicht nach § 160 SGB VII (so auch Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 219 SGB VII Anm. 5 und Erstkommentierung des UVEG, § 219 Anm. 1).

Nach § 734 Abs. 2 RVO kann die Berufsgenossenschaft nach der Veranlagung ein Unternehmen für die Tarifzeit neu veranlagen, wenn sich herausstellt, dass die Angaben des Unternehmens unrichtig waren oder wenn eine Änderung im Unternehmen eingetreten ist. § 734 Abs. 2 RVO lässt Änderungen also nur "für die Tarifzeit" zu. Änderungen nach § 734 Abs. 2 RVO nach Abschluss der Tarifzeit sind ausgeschlossen (vgl. auch BSG, Urteil vom 12. Dezember 1985, 2 RU 49/84, SozR 2200 § 734 Nr. 5). Der Gefahrentarif 1987 wurde aber zum 1. Januar 1993 durch einen neuen Gefahrentarif abgelöst. Ab diesem Zeitpunkt waren keine Änderungen mehr möglich.

Neben § 734 Abs. 2 RVO kommt § 44 Zehntes Buchsozialgesetzbuch (SGB X) nicht zur Anwendung. Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Mit der Anwendung dieser Regelung würde eine wesentliche Grundentscheidung des Gesetzes - keine Änderungen nach Ende der Tarifzeit - umgangen. Auch § 160 SGB VII - Nachfolgeregelung zu § 734 RVO - ist gegenüber §§ 44 ff. SGB X lex specialis (Ricke in: Kasseler Kommentar, § 116 SGB VII Rdnr. 2; Platz in: Lauterbach, Unfallversicherung, § 160 SGB VII Rdnr. 1; Jochem Schmitt, SGB VII, 2. Aufl. 2004, § 160 Rdnr. 2) bzw. modifiziert die Vorschriften hinsichtlich des Änderungszeitpunkts (BSG, Urteil vom 9. Dezember 2003, a.a.O.), lässt also Änderungen nur für die Zukunft zu (§ 160 Abs. 3 SGB VII).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG, § 154 Abs. 1 und 2 der Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Streitwert ergibt sich aus § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Änderung des Streitwerts für die erste Instanz folgt aus § 63 Abs. 3 GKG und ist durch den sachdienlichen Antrag (§ 106 Abs. 1 SGG) bedingt.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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